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31. Oktober 2025
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31. Oktober 2023
Spaziergang über den Friedhof
Die Kette mit den 6 Hufeisen an der Leonhardskapelle befindet sich trotz aller Sagen wohl dort, weil an so gut wie allen Leonhardskapellen Ketten sind. St. Leonhard lebte im 6. Jahrhundert (starb wohl 559) und gehört zu den 14 Nothelfern – er ist der Patron der Fuhrleute. Die Kette gilt als „aneinandergereihte Danksagung“ an den Patron aller Wesen, der Gefangenen und der Stalltiere.
Die Statue in der Kapelle stellt St. Leonhard sitzend mit einer Kette mit Handschelle und Schloß und mit dem Abtsstab dar.
Ebenfalls vorne an der Leonhardskapelle (erbaut 1479 und gestiftet von Konrad und Burckhart von Schellenberg) kann man die verschiedenen Wasserpegel von Hüfingen bestaunen:
Der Friedhof wurde im Jahre 1629 vom Abt Georg Gaisser des Beneditinerklosters St. Georgen geweiht und wurde 1806 und 1861 erweitert. Problem war nicht nur, dass wegen des Dreißigjährigen Krieges der Friedhof bei der Stadtkirche zu klein wurde, sondern auch die ermordeten der sogenannten „Hexenverfolgung“ verscharrt werden mussten. Archivrat Franck meint 1872: “Wen mahnt es aber nicht an höhere Strafe und Gerechtigkeit, wenn er sich erinnert, daß über die Hüfinger Blutmenschen selbst schon am 15. Oktober 1632 das fürchterliche Blutbad durch die Würtemberger hereinbrach?”
Aus dem Jahre 1620 stammt die „Bräunlinger mappa„, in der die Territorialgrenze gegen Bräunlingen hervorgehoben ist. Sie enthält auch den westlichen Teil der Gemarkung Hüfingen, die allerdings ungenau gezeichnet ist. Dagegen sind die Schächerkapelle, das Leprosenhaus, St. Leonhard, das Schützenhaus, die Seemühle und der Galgen sowie der große Weiher (Behlaer Weiher) richtiger eingetragen als in der Landtafel der Baar. Verzeichnet sind das Scharfrichterhaus und der Weg nach Behla.
Karte aus dem Jahr 1662 von Hüfingen von Martin Menradt
Landtafel der Baar von 1620 von Hiffingen mit Schützenhaus und Stadtkirche. Die beiden Stadttore und überdimensional auch die Nikolauskapelle. Die Nikolauskapelle stand etwa da, wo die Stadtapotheke war. Deutlich lassen sich die an die Stadtmauer gebauten Häuser erkennen. Merkwürdigerweise fehlen die beiden Schlösser. Willkürlich ist die Bebauung innerhalb der Stadt gestaltet. Auf der Donaueschinger Stadtseite lagen eingezäunte Grundstücke (Gärten). Besonders ins Auge fällt ein Wegkreuz etwa auf dem Platz der nachmaligen Lorettokapelle. Weniger Sorgfalt als in der » Bräunlinger Mappa« wurde auf den Breglauf, die Wege und die topographisch richtige Lage der St. Leonhardskapelle und des Scharfrichterhauses (zwischen Kapelle und Wegkreuz) gelegt, das westlich der Dögginger Straße erbaut war.
Als Sinnbild der Vergänglichkeit kennt jeder die Rose, dabei ist der Efeu schon seit vorchristlicher Zeit das Sinnbild der Erlösung und des ewigen Lebens.
Epitaphien sind Grabinschriften für einen Verstorbenen an einer Kirchenwand oder in der Friedhofsmauer. Hier will ich einige zeigen und beginne aber erst mit der Mauer von German Hasenfratz in den 1970er
Friedhofsmauer von German Hasenfratz etwa 1970
Lucian Reich Schriftsteller und Kunstmaler 26. Februar 1817 – 2. Juli 1900
Xaver Reich Bildhauer 1. August 1815 – 8. Oktober 1881 Josepha Reich geb. Elsässer 23. Aprlil 1823 – 19. November 1900
Karl Bromberger, Litograph Ehernbürger der Stadt Hüfingen 1873-1965 Clara Bromberger, geb. Bölke 1871-1958
Durchbohrt von eines Mörders Hiebe. Blieb CURTA noch ein Muster von Geduld. Noch sterbend sprach er voll der Liebe. Vergebet meinem Mörder seine Schuld.
Dieses Denkmal der Liebe weihet ihrem Gatten Vallentin Curta Handelsmann seine betrübte Witwe mit VIII. verzogenen Kindern. Geboren zu der H. Dreyfaltigkeit in Gressoney. Starb den IV. Oktober MDCCCV. im LIII. Jahr seines Alters. R.I.P.
Dieses Denkmahl der Einzigen Liebe und des oantbiex? andenkens seihen dir Sehrvermißten Curtaischen Kinder ihrer ? für ? und alle jene, die sehr herzlichen unvergeßlichen Mutter Rosina Burkhard verehelichten Curta deren Geist aus der zerbrechlichen irdischen Hülle zu der ewigen Stütze und zur fehgälich gewünschten wiedervereinigung zu ihrem vorangegangenen Gatten eille. der 22. März 1808. eben als die das 40 e Lebensjahr angefangen hatte. Gottes friede weh in Blumen düften Vater Mutter über Euer Gräber her.
Johann Franz Valentin Curta (Kurta im Stammbuch), Kaufmann aus Italien, * in „Dreifaltigkeit ind der Cresonai“ (=Gressoney am Monte Rosa). Gestorben in Hüfingen am 19.10.1805 . Er wurde von österreichischen Soldaten beim Plündern vor den Augen seiner Frau und seiner Kinder niedergeschossen und drei Stunden später gestorben. Er war verheiratet mit Rosina Burkhard und sie hatten 12 Kinder. Ein Sohn Johann Franz Valentin Curta wurde Hirschenwirt und Johann Jakob Handelsmann.
Maria Franziska von Ehren geb. D. IX. September gestorben D. 22 ANG. 1863 ?
Denkmal Ihrer Hochedelgebohrenen Frau Katharina Kletser gebohrene Bosch. Sie starb den 5. November 1815 im 40 Lebensjahr.
Lasset die Kinder zu mir kommen Dem hoffnungsvollen Knaben Ferdinand Fischerkeller Geb. den 8. August 1818 Gest. 25 April 1828 Weihen dieses Denkmal seine trauernden Eltern
Hier ruht Johann Babtist Fischerkeller geboren zu Donaueschingen den 21ten August 1749. gundler Kaplan zu Jungnau druch 13 – zu Kaseifingen G_ und endlich dazu ad 6. Blasium durch 26 Jahre ? seine irdische Laufbahn den 21 ten Juny 1852. Gott gebe Ihm und allen ? dir Ewige ? Amen
Francisco Neser Josepf Anton Heizman Raul Stoerk
Ruhestätte des Hochwürdigen Herrn LOS. Benedict Rebsteix (Pfarrer?)
2. von links: Maria Magdalena Nober geb. Moog 24. Juni 1765 – 14. Juli 1840
Dem Andenken Des Hochwürdigen Herrn Benedici Merck Des villino, Rur:Kap;Exdecans Bischöf. Konk, geist. Raths, und durh 35 Jahrepfarrer dahier Legte ab die Körperliche Hülle nach 7 Jahren Leiden den 21 May 1798 im 64 Alterjahre: Geweiht v. seinen Geschwistern.
In der Mitte das Epitaph eines Bäckers. Die Brezel bindet die gesenkte Fackel des Todes ein.
Das von Franz Xaver Reich 1864 erschaffene Steinkreuz verbindet die Hauptachse des alten Friedhofsteiles mit dem neuen Teil. Der obere Teil scheint neuer zu sein. Vielleicht weiß ja jemand wo sich das ursprüngliche obere Kreuz befindet?
Die Einsegnungshalle wurde 2007 vom damaligen Bürgermeister Anton Knapp zusammen mit dem Architekten Rolf Schafbuch mit einer großen „Lichterscheinung“ vom Hüfinger Künstler Emil Kiess neu gestaltet.
Das Glasfenster von Emil Kiess mit 6000 kleinen Glasplatten spiegelt den Friedhof wie ein Mosaik.
Ebenfalls bei der Einsegungshalle befinden sich die Grabplatten von Adolf Heer und Rudolf Gleichauf.
Adolf Heer Bildhauer geboren 13. September 1819 gestorben 29. März 1898
Grabstein Adolf Heer und Rudolf Gleichauf
Rudolf Gleichauf Historienmaler geboren 29. Juli 1826 gestorben 15. Oktober 1896
Die Grabstätte (Grabstein) von Adolf Heer und seinem Freund Rudolf Gleichauf ehemals auf dem Hauptfriedhof in Karlsruhe.
Nach dem Tode Adolf Heers veranlasste der Landschaftsmaler Wilhelm Klose, ein ehr vermögender Karlsruher Mäzen (Ehrenbürger der Stadt Karlsruhe), eine würdige Grabstätte für seine Freunde zu errichten. Die Ausführung lag in den Händen von Bildhauer Johannes Hirt, der ein langjähriger Mitarbeiter von Heer bei der Gestaltung des Kaiser-Wilhelm-Denkmal war. Auch die zwei Bronzereliefs von Heer und Gleichauf am Grabstein sind mit J. Hirt signiert. J. Hirt wurde vom Verlassenschaft -Gericht als Abwickler der noch nicht vollendeten Arbeiten von Heer bestimmt. Er wurde ein bekannter Bildhauer in Karlsruhe. Das Grabmal fand seinen Platz auf dem sogenannten „Hügel“, eine bevorzugte Lage mit Bäumen, Farnen und Stechpalmen – wahrscheinlich unter Denkmalschutz stehend.
Wenig verständlich erscheint ein Bericht im Südkurier im Jahre 1976, „Silberdisteln schmücken das gemeinsame Grab von A. Heer und R. Gleichauf, wo den Besuchern von der Friedhofsverwaltung erklärt wird: „Wir halten es für eine Selbstverständlichkeit und Pflicht, den Gräbern Heers und Gleichaufs unsere Aufmerksamkeit zu schenken“. Mit wenigen einprägsamen Worten wird die Bedeutung der Künstler skizziert: .. Heer und Gleichauf haben im vergangenen Jahrhundert mitgeholfen, die Züge des Kunstschaffens in Karlsruhe zu prägen“. Monate später wird dann in einem Schreiben an die Stadtverwaltung Hüfingen und wahrscheinlich auch Vöhrenbach angefragt, ob Interesse am Grabstein der beiden Künstler bestehe: „Das Grab wird aufgelöst.“ Die Stadtverwaltung Hüfingen holte den Grabstein, der jetzt bei der Aussegnunghalle und den Urnenstelen steht. Leider ist der Stein nur ein Torso, denn die kunstvolle Einfassung fehlt. Auch sollte die Inschrift erneuert werden.
Bildhauer Prof. Adolf Heer, Sein Leben und seine Werke auf der Baar und dem Umland von Erich Willmann Schriften der Baar 53, (2010)
Dr. Erwin Sumser (8. Oktober 1891 in Merzhausen bei Freiburg im Breisgau als Erwin Josef Sumser – 22. Januar 1961 in Hüfingen). Pionier des Naturschutzes.
Eva von Lintig geboren 11. Juli 1931 gestorben 10. September 2023
ergänzt mit Fotos und Infos, Originalbeitrag vom 16. Dezember 2022
Der Leinenweber, bzw. Tuchmacher Johann Martin Nober wurde am 9.01.1688 in Hüfingen geboren und verstarb ebenda am 27.11.1741. Ein Enkel, Joh. (C)Kaspar Nober (1765-1842) wurde Tuchmachermeister und kaufte das Haus an der Hauptstraße 5.
Katharina Schelble, geborene Götz (1760-1847)
Sohn Johannes Evangelist Nober (18.10.1806-11.02.1887) heiratet Katharina Schelble (1806-1871, Tochter des Korrekturhausverwalters Franz Josef Schelble und Katharina Götz). Mit der Heirat wird Luzian Reich der Ältere sein Schwager, da dieser mit der Schwester von Katharina, Josepha Schelble, verheiratet ist. Der Bruder der beiden Schwestern ist der berühmte Musiker Johann Nepomuk Schelble.
Die Fabrikantenfamilie Nober betreibt auch eine Weberei außerhalb in der Donaueschinger Straße.*
J.C. Nober ist hier der Sohn Johann Evangelist Nober 16.10.1806-11.02.1887
Die Anfänge des Hauses Hüfingen Hauptstraße 5 sind nicht geklärt.
Haus J.C. Nober etwa 1900
1953
Haus Nober 1910
Haus J.C. Nober etwa 1930
Die Hauptstrasse als wesentlicher Teil der Vorderstadt scheint nach einem Brand irgendwann um 1400 erbaut worden sein. 1702 Abriss des alten oberen Schlosses und Beginn eines Neubaus durch die Fürstenberger. Es werden auch Steine des alten hinteren Schlosses verwendet. Bis 1744 wohnte der Fürst von Fürstenberg zeitweise selbst im Schloss.
Das Haus Hauptstraße 5 muss irgendwie mit dem Schloss zu tun gehabt haben und möglicherweise auf Grund der Stilrichtung in Richtung Barock zwischen 1702 und 1744 errichtet oder wenigstens modernisiert worden zu sein.*
Auf einer Karte von 1786 besitzt das Haus schon den heutigen Grundriss (leider keine Quelle in dem Zeitungsartikel).
Alle Bürger Hüfingens, egal welchen Handwerks, hatten im Nebenerwerb noch etwas Landwirtschaft und so hatte auch das Haus Hauptstraße 5 noch bis 1960 eine Scheuer und noch Relikte von Aufbewahrungsräumen und möglicherweise kleine Stallungen.
Ende 18.Jhd war es nachweislich das Gasthaus zur Sonne.*
Das Sonnenkreuz trägt im Fuße des Sockels die Jahreszahl 1783
Thomas Winterhalder von der Kalten Herberge (Urach) hatte das Haus 1811 gekauft und war bis 1816 als Besitzer und Wirt eingetragen. Winterhalder war mit Maria Mayer (1769 –1813 ) verheiratet und hatte 8 Kinder, ein Sohn war Matthä Winterhalder (23.07.1799-18.11.1863). Thomas Winterhalder war Uhrmacher und dessen Sohn gründete ca. 1850-1860 die Firma Winterhalder und Hofmeier (W&H, Schwärzenbach). (Infos per E-Mail von Dr. Peter Schlesselmann).
Nach dem Tod von Maria Mayer hatte Winterhalder das Haus 1815 an seinen Pächter Fischerkeller verkauft und zog nach Fiedenweiler. Er hatte aber noch eine Hypothek von 2500 Gulden auf dem Besitz.
Im Jahre 1823 erwarb urkundlich Johann Caspar Nober das Haus Hüfingen Hauptstraße 5 durch Kauf vom damaligen Sonnenwirt Thomas Winterhalder bzw. seinem Pächter und seit 1815 auch Nachbesitzer Johann Baptist Fischerkeller (30.6.1781- 25.8.1853).
Fischerkeller war mit Martha Engesser verheiratet (seit 1813) und baute sich ein neues Gasthaus zu Sonne an der Schaffhauser Straße.
Fischerkeller musste diese “Winterhalder- Hypothek“ auf sein neues Anwesen übertragen, damit J.C. Nober den vollen Kaufpreis an Fischerkeller bezahlen und die Eigentumsübertragung erfolgen konnte. *
Hier ruht Johann Babtist Fischerkeller geboren zu Donaueschingen den 21ten August 1749. gundler Kaplan zu Jungnau druch 13 – zu Kaseifingen G_ und endlich dazu ad 6. Blasium durch 26 Jahre ? seine irdische Laufbahn den 21 ten Juny 1852. Gott gebe Ihm und allen ? die Ewige ? Amen
Aufnahme „Fischerkeller“ von 1880. Vermutlich Ferdinand oder Mathias, Gastwirt zur Sonne
Caspar Nober stellte im Haus Webstühle auf und betrieb eine Woll-und Textilweberei. Er hatte das Geschäft der Weberei von seinem Vater, Johannes Nober (16.12.1719-13.09.1788) und Großvater Martin Nober (9.01.1688 -27.11.1741) erlernt. (Fa. Martin Nober und Comp).
In dem Universal Lexikon von dem Großherzoglichen Baden von 1843 steht unter anderem: „Hüfingen hat 238 Häuser…. Herr Xaver Reich hat hier ein Bildhaueratelier…. In diesem Schloss wohnen gewöhnlich die Witwen aus der Fürstenbergischen Familie. Unweit des Schlosses steht eine Nobersche Spinnmaschinenfabrik für Tuchweber, wobei 12 Arbeiter beschäftigt sind…..“*
Später betrieb Caspar Nober zusammen mit seinem Sohn Johann Evangelist Nober die Weberei in noch größerem Stil in der Schaffhauserstraße (nach dem 2. WK Schreinerei Schelble). Firma Caspar Nober und Sohn.*
Maria Heinemann (23.12.1857-19.05.1948)
Maria Josepha Heinemann am Brunnen an der Hauptstrasse 52 mit ihrer Cousine Elisabeth Heinemann (Grießhaber). Maria Heinemann war die Tochter von J. Nepomuk Heinemann und Elisabeth Reich, der Tochter von Luzian Reich.
Marie Heinemann und Joh. Karl Nober
Maria Nober (geborene Heinemann) im Jahr 1878
Johann Evangelist jüngster Sohn (von 14 Kindern), Johann Karl Nober (11.04.1850-11.12.1920) heiratete Maria Josefa Heinemann (23.12.1857-19.05.1948) die Enkeltochter von Luzian Reich und Tochter des Litographen Joh. Nepomuk Heinemann und Elisabeth Reich. Sie übernahmen später die Hauptstraße 5, handelten dort mit Woll- und Textilwaren und nannten sich J.C. Nober, wie schon der Vater in seiner Todesanzeige. Das Gründungsdatum des Geschäftes wurde auf den Beginn der Nobers in diesem Haus mit 1823 festgeschrieben.
Eingang mit alter Tür 1974
Glasnegativ von Wilhelm Kratt (1869-1949), Generallandesarchiv Karlsruhe
Die Spinnerei in der Schaffhauser Straße wurde von seinen Brüdern weiterbetrieben und wurde 1875 geschossen.*
Robert Rosenstiel und Klara Nober. Im Hintergrund das Gemälde von Marie Heinemann.
Das Wollgeschäft des Johann Karl Nobers funktionierte erfolgreich weiter und wurde später an den Schwiegersohn Robert Rosenstiel aus Unadingen übergeben.
Maria Josepha Nober, geborene Heinemann in der Hauptstr. 5
*Alle Daten und Infos sind aus dem Sippenbuch von Hüfingen und den unten aufgeführten Zeitungsausschnitten.
Hüfingen, 15. März 1927 Zur Zeit läßt Herr Kaufmann Robert Rosenstiel in seinem alten Patrizierhaus dem ehemaligen Gashaus zur Sonne die Zimmer renovieren. Dabei wurden im oberen Stock die Deckengemälde blosgelegt, von deren Vorhandensein die Familie wohl Kenntnis hatte, aber nie wußte, was die Gemälde darstellen und welchen Charakter und Kunstwert sie haben. Dann seit Jahrzehnten sind die Gemälde übertüncht gewesen und nur die reiche Stückarbeit im ganzen Obergeschoß verriet, daß hier echte Heimatkunst einmal herrliche Räume geschaffen hatte. Die ganze Lamperie zeigt später eingemalte Jagdszenen. An der Decke wurden nun die Bildwerke in den reichumrahmten Feldern wenigstens zum Teil frei gelegt. Es stellt sich heraus, daß lauter biblische Bilder wohl aus dem 18. Jahrhundert an die Decke gemalt sind und zwar ist die Geschichte des ägyptischen Josef in verschiedenen Szenen dargestellt, Josef wird von seinen Brüdern verkauft, Josef und das Weib des Buthiphar, Josef als König, wie er sich zu erkennen gibt etc. Wenn einmal die Bilder wieder von kunstfertiger Hand hergestellt sind, dann besitzt sicher Herr Rosenstiel eines der schönsten Häuser weit und breit. Die Familie bewahrt auch noch eine ganze Reihe von kunstvollen Schnitzarbeiten, Zeichnungen, Bildern und allerlei anderen Kunstgegenständen aus dem Nachlaß der Hüfinger Künstlerfamilien Heinemann-Reich als kosbare Erbstücke auf, denn Frau Rosenstiel ist die Enkelin des Lithographen J. Nep. Heinemann und amit mit den Künstlern Luzian und Franz Xaver Reich und Gleichauf verwandt oder verschwägert. Herr Rosenstiel weiß den reichen Familienschatz wohl zu würdigen.
Zeitungsartikel von 1927
Wappen Rosenstiel
Zeitungsartikel unbekannter Herkunft und Datum
Das Geschlecht der Tuchmacher und Wollenweber Nober war in den Kirchenbüchern der katholischen Pfarrei Hüfingen seit 1596 erwähnt. In direkter Linie können folgende Ahnherren festgestellt werden: Georg Nober, geboren am 2. Juni 1679, Johannes Nober (28. Dezember 1641 bis April 1690), Johann Martin Nober, Tuchwalker (9. Januar 1688 bis 27. November 1741), Johannes Nober, Leineweber und Tuchmacher (16. Dezember 1719 bis 13. September 1788), Johann Caspar Nober, Tuchmachermeister und Leineweber (13. Dezember 1765 bis August 1842), Johann Evangelist Nober, Kaufmann und Tuchfabrikant (18. Oktober 1806 bis 11. Februar 1887), Johann Carl Nober, Textilkaufmann (11. April 1850 bis 11. Dezember 1920), Robert Rosenstiel, Textilkaufmann (4. Juni 1887 bis 3. Dezember 1960), verheiratet mit der einzigen Tochter Clara des Johann Carl Nober (am 22. Oktober 1912).
Erwerb des Geschäftshaus in der Hauptstraße am Tor 1823 durch Johannes Caspar Nober und zwar durch Kauf vom damaligen Sonnenwirt Thomas Winterhalter, Vormals aus Friedenweiler bei Neustadt, beziehungsweise seinem Pächter und Nachbesitzer Johann Baptist Fischerkeller, Gastwirt zur Sonne (30.Juni 1781 bis 25. August 1853), der seit 18. November 1813 mit Martha Engesser verheiratet war und sich ein neues Gasthaus zur Sonne vor dem Tor an der Schaffhauser Straße an der Abzweigung nach Freiburg erbaute. Die Ehefrau des vormaligen Sonnenwirts Thomas Winterhalter, Maria Mayer, geboren 1769, war am 20. Juni 1813 kinderlos gestorben. Dieser hatte das Haus um 1815 an den oben genannten Johann Baptist Fischerkeller verkauft, hatte aber noch eine Hypothek von 2500 Gulden auf dem Anwesen, welche dann von Fischerkeller auf seinen Neubau übernommen wurden, so dass Caspar Nober den Kaufpreis ganz an Fischerkeller zu bezahlen hatte.
Gründung der Firma J. C. Nober: Sie ist auf 1823 datiert. Daß der »Handel mit Wolle und Wollenwaaren schon vom Vater des Johann Caspar Nober unter der Firma Martin Nober & Comp. und später unter der Firma Caspar Nober & Sohn, ferner, dass Johann Evangelist Nober das Geschäft des Wollenwaaren-Handels bei seinem Vater erlernt und betrieben habe«, geht aus einen Zivilprozess des Jahres 1839 (16. April) »in Sachen des Handelsmannes Limberger und Comp. von hier, Kläger, gegen den Tuchmacher Johann Evang. Nober wegen Beeinträchtigung im Handelsgewerb« beim Bezirksgericht Hüfingen hervor.
Tuchfabrik und Wollweberei: Diese betrieben Johann Caspar und Johann Evangelist Nober in Hüfingen an der Schaffhauser Straße (jetzige Schreinerei Schelble). Diese konnte unter den Brüdern des Johann Carl Nober um 1875 den Anschluss an das Maschinenzeitalter nicht mehr finden und ging als Handwerksbetrieb in den folgenden Jahren ein. Nur das Handelsgeschäft mit Textilwaren und Wolle wurde von Johann Carl Nober im Haus Hauptstraße 5 und später von dessen Schwiegersohn Robert Rosenstiel unter der Firma J. C. Nober, Textilwaren und Garngroßhandlung, weiter betrieben.
Ofen in der Hauptstr. 5
Zeitungsartikel unbekannter Herkunft etwa aus 1990 vermutlich von von Franz-J. Filipp
Die Josefsgeschichte an der Stuckdecke
Bilder aus der Genesis im Obergeschoss
Hüfingen (ff). In fünf Bildszenen dokumentiert ist im Gebäude Rosenstiel-Nober in Hüfingens Hauptstraße im zweiten Obergeschoss die so genannte Josefsgeschichte als Deckengemälde, eingefasst in Stuck. Thema ist die biblische Erzählung, die auch Stoff für Thomas Manns Roman, aber auch für das Musical zum Thema Josef waren. Ein historischer Kern mag sicher vorhanden, aber nicht belegt sein. Literarisch ist die Josefsgeschichte als Novelle zu betrachten. Wie die Geschichte erzählt, begegnet der zweitjüngste Sohn des Erzvaters als Siebzehnjähriger Jakob (Genesis 37 bis 50, Ps 105). Wegen der Bevorzugung durch den Vater und seiner Träume, die einen Vorrang vor seinen Brüdern und sogar vor seinen Eltern ausdrückt, erregt er den Hass seiner Brüder. Die Absicht der Brüder, ihn zu töten, wird wegen des Einspruchs von Ruben, dem Ältesten, und von Juda nicht ausgeführt. Er wird aber als Sklave an eine ismaelitische Karawane mitgegeben und durch diese nach Ägypten verkauft. Dem Vater wird der Tod durch ein wildes Tier vorgetäuscht. Der reiche Ägypter Potifar kauft Josef schließlich als Sklaven.
Das erste Motiv der Deckengemälde stellt die Brüder Josefs dar wie sie ihn an ägyotische Kaufleute verkaufen. Dieses Deckengemälde wurde durch Bombenabwürfe in der Nähe des heutigen Bürgerhauses Krone im Kriegsjahr 1945 in Mitleidenschaft gezogen.
Ein weiteres Bild zeigt den Versuch der Verführung Josefs im Hause Potifars durch dessen Ehefrau.
Das zentrale Motiv, das heute jedoch durch eine Zwischenwand zerteilt wird und deshalb in seiner Bildaussage nicht erkennbar ist, stellt eine Traumszene des König mit sieben mageren und sieben fetten Kühen dar. Das vierte Bild unmittelbar über dem Eingang zur Wohnstube von der Treppe zeigt ein Gastmahl, zu dem Josef als Verwalter der königlichen Kornspeicher eingeladen hatte. Auf einem abgebildeten Becher ist die Jahreszahl 1748 zu erkennen, was Rückschlüsse auf das Alter der Gemälde zulassen dürfte. In der letzten Szene direkt am Fenster zur Hauptstraße ist Josef schließlich mit seinen Brüdern zu sehen.
Für Theo Wössner, den langjährigen Vorsitzenden des katholischen Bildungswerkes Hüfingen und dessen Frau die in dem Haus früher gewohnt hat, sind die Darstellungen »einmalig«, wie er erklärt. Und Klaus Sigwart, der Hüfinger Restaurator, verweist in diesem Zusammenhang auf Bürgerhäuser in Villingen. Dort konnten sich die Gemälde in den Stuben lediglich nur wohlhabende Bürger leisten.
Zeitungsartikel vom 19. Juni 2004 von Franz-J. Filipp
Biblische Szenen über dem Sofa
Hüfingen. Strategien und Lösungsansätze für den Einzelhandel, ein Thema mit dem sich schon bald der neu gewählte Gemeinderat beschäftigen dürfte. Doch mit dem Ankauf des Hauses Rosenstiel-Nober hat die Stadt Hüfingen zugleich auch ein historisches Erbe angetreten.
Das alte Gemäuer entpuppt sich für Bürgermeister Anton Knapp und Stadtbaumeister Ewald Fürderer bei einem ersten Rundgang als kleines Schatzkästchen. Vor allem die in Stuck gefassten Deckengemälde sind älteren Datums und eine Rarität, direkt über dem Wohnzimmersofa der heutigen Wohnungsmieter.
Und was von der Straßenseite hinter der in früheren Jahren sanierten Fassade kaum zu vermuten ist, Türen, Holztäfelungen oder Fußböden scheinen ebenfalls die Jahrhunderte unbeschadet überstanden zu haben. Bis auf das Ladengeschäft mit einer Nutzfläche von 184,5 Quadratmetern im Erdgeschoss geben die alten Holzdielen auf den 183,9 Quadratmetern im ersten Obergeschoss knarrende Stadtgeschichte preis. Mit zum Teil alten Schlössern bewehrte Tü-ren, dem alten Kachelofen oder durch die Trennwände mit kunstvollen Schnitzereien eröffnet das Haus Rosenstiel-Nober zugleich den Blick auf ein Stück Stadtgeschichte.
Weitere 191,7 Quadratmeter Nutzfläche stehen im zweiten Obergeschoss zur Verfügung.
Hüfingens Verwaltungschef möchte zudem die Idee eines Dienstleistungszentrums in dem historischen Gemäuer mit den neu gewählten Bürgervertretern voraussichtlich noch vor der Sommer im Rahmen einer Klausurtagung gemeinsam mit der Komm-In GmbH aus Sternenfels zur Diskussion stellen. Ziel soll es dabei sein, Dienstleister in der Kernstadt zu halten. Das Konzept von Dienstleistungen, etwa der Stadtverwaltung oder von Banken, sowie Lebensmittelhandel oder Bäcker unter einem Dach als modulares System soll durch interessante Öffnungszeiten etwa an Samstagen neue Impulse zur Belebung der Innenstädte bieten und »Tante-Emma-Läden«, überlebensfähig machen. Träger der Zentren können dabei Kommunen oder Investoren sein.
Der letzte Zeitungsartikel über das Haus war am 9. Januar 2014
Zeitungsartikel über das Haus am 9. Januar 2014 von Stephanie Jakober
Hoffnung für das Haus Nober
Das Gebäude an der Hüfinger Hauptstraße besitzt einen spätmittelaltern Kernbau. 1747 wurde es umgebaut. Diese spätbarocke Ausstattung dominiert das heutige Erscheinungsbild. Vor allem im Inneren, wo die beiden oberen Stockwerke durch hochwertige Ausstattung geprägt werden. In einer bauhistorischen Untersuchung wird das Haus als Quelle der Kulturgeschichte bezeichnet, die Einblick in das Leben und Wirken der Menschen ab dem 16. Jahrhundert ermöglicht.
Der Textilbetrieb Nober: 1823 wurde das Haus von Johann Caspar Nober erwoben. Davor war es im Besitz des Sonnenwirts Thomas Winterhalter. Nober war Tuchmacher und Leinenweber und machte aus dem Haus an der damaligen Marktstraße sein Geschäftshaus, um dort mit Wolle und Wollwaren zu handeln. Johann Caspar und sein Sohn Johann Evangelist führten auch ein große Tuchfabrik und Wollweberei an der Schaffhauser Straße. Diese musste aber um 1875 unter Johann Karl Nober geschlossen werden. Danach wurde nur noch der Textil- und Wollbetrieb weitergeführt.
Von Johann Karl Nober ging dann der Betrieb an dessen Schwiegersohn Robert Rosenstiel über, dessen Tochter Hildegard von 1960 bis 1984 Eigentümerin war und auch das Geschäft selbst geführt hat. Danach übernahm Peter Biechele das Textilgeschäft, führte es aber unter dem Namen Nober weiter. Lange Zeit war Hildegard Rosenstiel noch im Betrieb als Beraterin zu Stell, wenn es um den Einkauf der Kollektionen ging. 2002 führten die Töchter Petra und Elke Biechele das Geschäft weiter. Der Mietvertrag mit der Erbengemeinschaft lief 2004 aus, die Schwestern gaben daraufhin ihr Geschäft auf.
Bauantrag aus dem Jahr 2020
Zeichnung aus dem Bauantrag vom 29. Februar 2020
Seit 2019
Seit 2020 Krav Maga umgezogen ist, steht das Gebäude leer. Im Jahr wurde 2020 dem Gemeinderat ein Bauantrag gezeigt und die Baufreigabe erfolgte im Dezember 2022. Im September 2023 gab es kurzfristig einige Aktivitäten und am Fenster des Zimmers mit dem Tanzboden und dem Gastraum mit den Wandbemalungen aus 1748, wurden ermordete Fische getrocknet.
Laut Landratsamt würde „das Vorhaben von einem denkmalerfahren Architekten begleitet“.
Was also mal übrig bleibt von den barocken Kunstwerken steht in den Sternen.
Liebe Eltern! Vor lauter Geschäften bin ich nicht dazu gekommen der lieben Mutter zum Namensfeste zu gratulieren, es soll deshalb noch nachträglich geschehen. Der lieben ? ebenfalls, ich habe ihr als Namenstagsgruß ein Exemplar Hieronymus hübsch einbinden lassen und werde es nächstens an sie abgehen lassen. Unsere hiesigen Subscribenten sind mit dem Werke alle sehr zufrieden, man hört nur Günstiges darüber. Die Besprechung von Dr. J. Bader darüber in der Carlsruher Zeitung lege ich hier bei, sie ist besser als die Fiklerische in den Landblättern. Beim Fürsten bin ich sehr gut aufgenommen worden. – Es wird gut sein wenn Heinemann vielleicht nur von hundert zu hundert druckt daß wir recht bald wieder in (?) kommen. Der Zettel mit den Druckfehlern ist allerdings eine von Vogel unnötigen Sparsamkeiten,
übrigens unbedeutend, der Buchbinder muß eben das Blatt auf ein Papier aufziehen. Bei den nächsten Versendungen muß es auf ein ganzes Blatt gedruckt werden. Stotz hat in Neustadt Abonnenten: Marie Hoffmayer, lieferungsweise. Hübsch wartet sehnlichst auf den Giebel. Xaver wird einige Zeit hier verweilen müssen. Es wäre mir lieb wenn Heinemann vorerst keine der Bilder frisch zeichnen würde, um den Druck nicht aufzuhalten. Auch muß ich gestehen daß mir der Büchsenmacher welcher Kugel gießt, nicht unwerth ist. Die Bilder finden überhaupt bei jedermann den entschiedensten Anklang. Die Art der Ausführung zieht jedermann unwillkürlich an. In Frankfurt hat sich eine Buchhandlung zur Sammlung der Sache erboten. Überhaupt scheint mir daß die ganze Sache recht gut im Gang ist. Indem ich Euch Alle tausend mal grüße Euer Lucian Carlsruhe, den 25. Mrz. 53 Xaver möge nicht vergessen die Büsten vom Fürsten und der Fürstin mit hierher zu bringen.
Lucian Reich aus Rastatt, 1. August 1856
Liebe Eltern! Das Schuljahr neigt sich dem Ende zu, und ich freue mich wieder einige Wochen bei Euch sein zu können. Bevor ich nach Hüfingen komme, werde ich jedoch, des früher besprochenen Projekts wegen, an den See, in die Umgegend der Arhenberger reisen. Läßt sich etwas damit machen, so kann der Aufenthalt wohl 14 Tag bis 3 Wochen dauern. Ist der Stoff nicht ergiebig, so werde ich einen Ausflug nach Zürich machen und dann direkt nach Hüfingen kommen. Unsere Prüfungen am Lyceum beginnen dieses Jahr schon mit dem 13. und ich hoffe davon
dispensiert zu werden, weil ich doch nichts dabei zu thun habe. Ich hoffe Euch Alle gesund und wohl anzutreffen; daß dir lieber Vater die Brüder in Dürrheim so gute Dienste geleistet, hat mir Heinemann geschrieben. Von Kreidel habe ich dieser Tage Nachricht bekommen, daß das Mainau-Werklein dem Regent vorgelegt worden sei. Kreidel ertheilt der Arbeit sehr große Lobsprüche und glaubt daß sie der Regent gewiß gebührend würdigen werde. Die vorige Woche traf auch ein Schreiben von Paris ein, worin gesagt wird, daß der Uhrenmarkt angekommen sei. So wie man hört, will das neuvermählte Paar etwa am 28. Sept. die Rundreise durchs Land antreten und auf der Mainau eine kleine Rast einlegen.
Indem ich Euch und Alle herzlich grüße Euer dankbarer Sohn Lucian Rastatt 1. Aug. 56 Die Ernte fällt hier sehr gut aus. Die Früchte sind von außerordentlicher Qualität und auch die Kartoffeln versprechen das Beste.
Lucian Reich aus Rastatt, 22. Mai 1857
Liebe Eltern! Die Nachricht, welche mir Heinemann von dem dir lieber Vater zugestoßenen Unfall mitgetheilt, hat mich nicht wenig erschreckt, aber auch wiederum getröstet, da ich die Versicherung erhielt, die Verlezungen seien Gott sei Dank nicht gefährlich und im Verlauf weniger Tage so geheilt worden, daß du lieber Vater wieder deine täglichen Ausgänge machen kannst. Wir können alle dem Himmel nicht genug danken, daß der gefahrvolle Tag nicht zum wirklichen Unglückstag für uns geworden ist, was bei der Größe der
Gefahr, so leicht hätte der Fall sein können. Gott wolle uns vor ähnlichen Ereignissen gnädig bewahren. Ich kann mir denken, wie es die liebe Mutter und alle Familien-Angehörigen erschreckt haben wird.
Dem Heinemann werde ich nächstens schreiben. Wegen Xavers Angelegenheit in Baden konnte ich bis jezt noch nichts thun, da ich bei meinem kürzlichen Besuche dort den Fohr zufällig nicht angetroffen habe. Ich werde nächstens wieder einmal hinüber gehen.
Hier in Rastatt geht alles seinen gewohnten ruhigen Gang fort; vom Ministerium erhielt ich die Versicherung, daß mein Gehalt demnächst auf die normalen 600 fl gestellt werden solle.
Indem ich baldigen weiteren Nachrichten entgegen sehe, wie es dir lieber Vater ferner geht, grüße ich alle herzlich Euer dankbarer Sohn Lucian Rastatt, d. 21. Mai 1857
Lucian Reich aus Rastatt, 3. Mai 1858
Liebe Eltern! Ich wollte bisher warten Euch Nachricht zu geben bis ich dem Heinemann zugleich hätte die Holzstöcklein für den ? ? mitschicken können. Dies kann aber erst im Laufe der nächsten Woche geschehen. Ich bin sehr begierig, wie es dir liebe Mutter geht, hoffentlich von Tag zu Tag besser. Den gleichen Tag, wie ich hierher kam hatte eine Nachbarsfrau, die viel zu meinen Hausleuten kommt das nämliche Unglück
nur war der Fall gefährlicher, weil der Knochen durch die Haut herausdrang. Sie mußte bis jetzt liegen, den Arm auf einem Kissen befestigt. Ich bin hier wieder in meine gewöhnliche Tätigkeit eingetretten. Von Freiburg höre ich daß die Zeichnungen zu den Glasfenstern sehr viel Beifall finden. Auf Xavers Großherzog ist man allenthalben sehr gespannt; er wird aber gut thun, wenn er selbst damit nach Carlsruhe geht. In Baden herrschen noch immer die Blattern und es geht niemand hin, der nicht
muß. Wenn ich nach Carlsruhe komme so werde ich den Schmuck für den Sepperle für seine getreue Pflege dort einkaufen. Bis dahin lebt alle wohl und benachrichtigt mich bald wie es der lieben Mutter geht. An Xavers Familie und Heinemann, Nober viele herzliche Grüße
von euerm dankbaren Sohn Lucian Rastatt, 3. Mai 1858
Lucian Reich um 1860 Dieser Brief ist nicht datiert, aus dem Inhalt geht aber hervor, daß er um 1860 geschrieben sein muß. Um 1860 war Franz Xaver mit der Ausführung des Großherzog-Leopold-Denkmals beschäftigt.
Liebe Eltern! Zum morgigen Namensfeste gratuliere ich dir liebe Mutter herzlich, der Himmel möge uns dieses Fest noch vielmal ungetrübt feiern lassen. Wie ich heute von Heinemann höre wird die Base Martha, die leider keinen guten Winter gehabt hat, ? zu Euch hinauf kommen, sollte sie gerade bei Euch anwesend sein, so bitte ich sie herzlich zu grüßen.
In Herrn ? Angelegenheit bin ich immer noch derselben Ansicht, wie ich sie ihm umgehend mitgetheilt habe. Er soll sich auf ein auswärtiges Gutachten, wobei auch Männer vom eigenen Fach mitzusprechen haben, berufen, gegen ein willkürliches ? näher ? Verwerfung ? der Auffassung und der Motive, wodurch ja alle künstlerische Freiheit gerade zu ver? wäre bescheidenen Einspruch erheben. Im Übrigen sich bei nochmaliger Bearbeitung streng an die Natur halten, was abgeschlossen von anderen Künstlern und ihren
Arbeiten der einzig richtige Weg ist, wobei auch nicht gesagt ist, daß man sich in Kleinlichkeiten verlieren soll. Sollte er Lust haben nach München zu gehen, so würde ich dort nur kleine Skizzen machen oder vielmehr in kleinen Skizzen von den jezigen Figuren beibehalten was man dort für gut findet.
Sollten in Betreff der Leopoldfigur Steine in den Weg zu werfen versucht werden, so würde ich mich entschieden auf das gegeben gutheißend Wort des Großherzogs und seines Bruders des Prinzen Wilhelm berufen,
und dem Großherzog zu bedenken geben, daß mit Zurücknahme dieses gegebenen Wortes ?? dein Ruf als Künstler gefährdet werde. Die Figur ist entschieden gut und wird später, wenn sich die Staubwolken verzogen haben, ihre Anerkennung finden. Indem ich bitte der lieben Josephine im Garten zu gratulieren ebenso bei Nober auch bei Heinemanns meine Grüße auszurichten. Euer dankbarer Sohn Lucian Unsere diesjährigen Remunerationen sind für diejenigen, welche keine Dienstwohnung haben, um 50 reichlicher ausgefallen.
Lucian Reichaus Rastatt, 3. Januar 1861 Die 5. Tochter von Xaver Reich, Amalie, wurde am 25.12.1860 geboren und starb erst am 31.08.1955 in Hüfingen.
Liebe Eltern! Zum neuen Jahr meine herzlichsten Glückwünsche; der Himmel wolle uns noch lange gesund und wohl beisammen erhalten. Ebenso wünsche ich dir lieber Vater zum Namensfeste Glück und Segen. Eine dritte Gratulation bitte ich in Xavers Familie gelangen zu lassen, wegen der glücklichen Ankunft des Christkindleins. Über die Brunnenangelegenheit ist noch keine Bestimmung getroffen;
nur soviel wurde mir gesagt, daß die Kosten zur Figur durch freiwillige Beiträge gedeckt werden sollen. Vor einigen Tagen erhielt ich aus Württemberg eine Anfrage wegen 2 Cartons zu Kirchenfenstern. Dieser Tage werdet Ihr ein Kistchen mit einigen Flaschen Markgräfler erhalten. Indem ich alle Familienangehörige herzlich grüße und ihnen Glück zum Neujahr wünsche Euer dankbarer Sohn Lucian Rastatt, 3. Jr. 61
Lucian Reich aus Rastatt, 18. März 1866 Eine Tochter von Xaver Reich war Marie Josefa Amalie Reich. Sie hat am 08.03.1866 den Karl Eschborn, FF Forstverwalter, geheiratet. Sowohl die Mutter von Lucian Reich als auch seine Nichte hießen also Josepha. (Vielen Dank an Markus Greif, der das Rätsel mit dem Eschborn’schen Haus entziffert hat)
Liebe Eltern! Zum hl. Josephsfest meine herzlichsten Glückwünsche dir, liebe Mutter, so wie auch unsere Josepha’s im Garten und neugegründetem Eschborn’schen Hause. Die frühe Ostern macht mir die Ferienreise zu Euch hinauf unthunlich. Mein Bild erfordert zur Vollendung noch recht gut den ganzen Monat, und da ich die Goldrahm dazu hierher bekomme, so werde ich es noch einige Tage im Schloß zur Ansicht aufstellen. Ich glaube, daß es sehr gut geworden ist. Nach diesem werde ich noch zwei kleinere Altarbilder für eine
Kirche in der Nähe von Ettlingen malen. Unterdessen wird der August herankommen, den ich dann wie gewöhnlich zur Hinaufreise benützen werde. Xaver wird am besten thun, das Relief mit Oel- oder Schellack zu colorieren, denn auch in der großen Tonwaarenfabrik bei Koblenz geschieht mit Figuren, Vasen etc., die ins Freie kommen, das gleiche. Indem ich Euch alle, ins besonders das junge Ehepaar, von dem ich gestern einen Brief erhalten, bestens grüße Euer dankbarer Sohn Lucian Rastatt 18. Mrz. 66
Luzian Reich (07.01.1787 – 18.12.1866) und seine Ehefrau Maria Josefa Schelble (19.03.1788-12.11.1866). Die lieben Eltern starben kurz nacheinander vor Weihnachten 1866. Foto von Johann Nepomuk Heinemann (dem lieben Schwager) etwa 1866.
Lucian Reich aus Rastatt an Johann Nepomuk Heinemann, 19. September 1880. Margareta Stoffler aus Geisingen war die Frau von Lucian Reich und Mutter der einzigen Tochter Anna. Marie Heinemann war die einzige Tochter von „Lisette“ Reich (seine Schwester Elisabeth 15.12.1819-22.06.1871) und dem „lieben Schwager“ . https://hieronymus-online.de/hufinger-kunstlerkreis/
Lieber Schwager! Das an Xaver und Dich gerichtete Schreiben wird Dir mitgeteilt worden sein. Euch beiden, als den nächsten Angehörigen, wollte ich keine gedruckten Todesanzeigen zuschicken. Dir das tiefe Gefühl der Trauer über diese ? zu schildern, kann ich unterlassen, da du von dem gleichen Geschick betroffen worden und alles schmerzliche an dir selbst erfahren hast. Dieses Geschick hat ohnehin viel Gemeinsames, unsere gute unvergeßliche Margarete viel Ähnlichkeit mit der guten Lisette selig. Beide gleich anspruchslos u. verzichtend auf äußerlichen Lebensgenuß opferten sich ganz
den Ihrigen. Beiden war nur eine Tochter beschieden, auf die sich ihr ganzes Lebens? vereinigt hat. Und was uns selbst betrifft, so sind wir beide im Alter, wo man nur noch im Wohlergehen u. Glück der Kinder sein eigenes Finden kann. Was nun meine gute Anna betrifft, so war sie an dem 10 monatlangen Krankenlager der Mutter fast über ihre Kräfte angestrengt, so daß sie jezt der Ruhe und Erholung dringend von nöthen hat. Wir haben eine Schwester der Verewigten bei uns, die einige Wochen bleiben. Anna hofft, Du werdest gestatten, daß deine Marie im Laufe des Winters auf Besuch zu uns kommt. Obwohl uns die Trauerzeit nunmehr Zurückgezogenheit auferlegt, so würden wir ihr den
Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen versuchen. Mit herzlichen Grüßen auch von Anna Dein trauernder Schwager Lucian R. Rastatt, 19. Sept. 80
Elisabeth (Lisette) Reich (1819 – 1871) am Spinnrad; Katharina Heinemann (1828 – 1900) mit Kind; J. Nepomuk Heinemann, genannt “Muckle” (1817 – 1902) mit Fes? Mütze; Lucian Reich (1817-1900) mit Pfeife; Rudolf (Vetter) Gleichauf (1826 – 1896) rechts unter der Uhr; Josef Heinemann (1825 – 1901) mit Buch. Zeichnung aus den Wanderblühten.
Lucian Reich aus Rastatt an Johann Nepomuk Heinemann, 24. Sept. 1880
Lieber Schwager! Dein Schreiben mit der Versicherung, Deine Marie werde uns besuchen, war ein freundlicher Lichtstrahl im Dämmer unserer Traurigkeit. Anna meint wenn sie nur schon da wäre, damit sie ihr Herz gegen sie ausschütten könnte. Wie man aber den Kindern nicht alles zur gleichen Zeit gibt, sondern die Süßigkeiten vertheilt, damit sie lange daran haben, so bin ich der Meinung, solle man es auch mit Liebeswerken umgehen, u. glaube, daß Marie ihren Besuch auf eine Weile verschieben solle, bis die Schwägerin, die wir hier haben uns verlaßen hat. Es würde sonst der Fall eintreten, daß beide, sie und Marie, uns zur gleichen Zeit wieder allein lassen würden; und würden wir dann
Marie Heinemann
die schmerzliche Lücke, zumal Abends, doppelt fühlen. Bis dorthin werden wir, so hoffe ich, dann auch wieder in der Faßung u. Stimmung sein, Marie den Aufenthalt mehr angenehm zu machen. Anna, die in der Sorge u. Wiederinstandsetzung unseres Hauswesens, einen Ableiter gegen trübes Sinnen und Denken sucht, wird dann sich wohl auch wieder mehr ihren Freundinnen zu wenden, von welchen einige bei unserem Unglück sich treu bewährt haben. Auch ich werde mich mehr in’s Unvermeidliche fügen gelernt und wieder mehr Theilnehmend gegen Alles was mir Gutes und Liebes noch geblieben ist, erzeigen können. Abends gehe ich nicht mehr aus, u. werde nicht mehr ausgehen. Meist bin ich um 9 Uhr schon zu Bett, ebenso Anna und unsere Base. Es sind nun schon 8 Tage seit dem Hinscheiden unserer guten Mutter Margareth, so schnell
auch im Trübsinn die Zeit hingeht, so habe ich doch das Gefühl, als wäre sie uns schon seit Jahren entrißen. Hätte ich nicht für Anna zu leben u. zu sorgen, so würde ich im Hinblick, daß auch meine Laufbahn naturgemäß keine allzulange mehr sein kann, mit Shakespeare im Hamlet ausrufen, „s’ist ein Ziel, auf’s innigste zu wünschen!“ – Doch genug hiervon. – Anna erwartet täglich ein Brieflein von Marie, die wir beide herzlich grüßen wie Euch alle Euer trauender anhänglicher Schwager und Onkel Lucian Rastatt 24. Sept. 1880
*Transkription unter den Briefen ist das meiste von einer großen Unbekannten – mit einer Schreibmaschine getippte Seiten waren bei den Briefen dabei. Ist also nicht alles von mir.
Brunnen an der Hauptstrasse 52 mit Elisabeth Heinemann (Grießhaber) und ihrer Cousine Maria Heinemann (Nober). Maria Heinemann war die Tochter von J. Nepomuk Heinemann und Elisabeth Reich.
Zur Wiederaufstellung am neuen Donauzusammenfluss hielt der Leiter des FF-Archives, Dr. Jörg Martin, heute am 14. September 2025 eine Vortrag über die Mutter Baar und Xaver Reich.
Dr. Jörg Martin zur jungen Donau als Kind im Schoß der Mutter am 14. September 2025
Vielen Dank an Dr. Martin der heute so nebenbei auch die lange ungeklärte Frage, wo die Donauquelle nun sei, ein für allemal beantwortet hat.
Die Donauquelle gluckst vor Freude, weil sie jetzt weiß wo es beginnt, ein langer Weg, ein langes Leiden, das jetzt nicht nur im Sand verrinnt. Der Ruf tönt nun wie Donnerhall, auch in den fernen Ländern. Furtwanger beruhigt euch nun, jetzt könnt ihr nichts mehr ändern.
Unten mehr über Xaver Reich und die Geschichte der „jungen Donau als Kind im Schoß der Mutter Baar“:
Aus dem Denkbuch von Lucian Reich: „Zu den bedeutendsten Aufträgen, die mein Bruder von Fürst Karl Egon III. erhalten hat, gehörte die Aufgabe, bei der Neueinfassung der Donauquelle im Schloßhofe auch diese mit einer Figur oder Gruppe zu charakterisieren. Statt wieder eine Nymphe, sagte mir Xaver, wolle er die junge Donau als Kind im Schooße der Baar in Vorschlag bringen. Dem Fürsten gefiel dieser die Heimat des Stromes so klar bezeichnende Gedanke; und der Beauftragte modellierte das Modell zu der Gruppe dann in München im Verkehr mit den Freunden Schwind und Schaller und auch mit Professor Widenmann.“
Als die Donauquelle im Schloßhof 1875 von Adolf Weinbrenner neu gefaßt und umgruppiert wurde, gestaltete also Xaver Reich die Gruppe: „Die junge Donau als Kind im Schoß der Mutter Baar“. 1895 schuf der Künstler Adolf Heer eine neue Marmorgruppe die über die Einfassung der Donauquelle kam – die „Mutter Baar“ darstellend, wie sie ihrer „Tochter“, der jungen Donau, den Weg weist – diese ist heute noch an der Quellfassung.
1939 schenkte Fürst Max Egon die Figurengruppe mit der jungen Donau „als Kind im Schoß der Mutter Baar“ von Xaver Reich der Stadt Donaueschingen. Reichs Gruppe fand in den 1970er Jahren in der Nähe des Zusammenflusses von Brigach und Breg eine vorläufige Bleibe. Im Jahr 2021 wurde sie für die Umgestaltung des Zusammenflusses entfernt und harrte auf dem Gelände der Verbandskläranlage auf ihren neuen Platz auf dem die gestern am 9. April 2025 wieder aufgestellt wurde.
Xaver Reich
1. Version vom Juni 2022
Die Eltern: Luzian Reich und Josefa Schelble Fotos von Johann Nepomuk Heinemann Anfang 1866
Franz Xaver Reich (1. August 1815 in Hüfingen – 8. Oktober 1881 in Hüfingen) war der ältere Bruder von Lucian und Elisabeth (Lisette).
Die Schelble waren ein Althüfinger Geschlecht. Der Urgroßvater, Franz Xaver (*28.08.1731) war Kunsthandwerker, und zugleich versah er, wie schon sein Vater, den Amtsdienerdienst. Franz Xaver Schelble fertigte die Altäre in Meßkirch, Gutmadingen, Hausach, Löffingen und die mit Hilfe seines Schwiegersohnes und Geschäftsnachfolgers Johann Gleichauf die Seitenaltäre der Hüfinger Pfarrkirche. Johann Gleichauf (4.2.1764-23.03.1816) war mit Anna Maria Schelble (27.03.1760-27.12.1816) verheiratet.
Der GroßvaterFranz Joseph Donat Schelble (*17.02.1762-13.02.1835) war Korrektionshausverwalter und beschäftigte sich mit Uhrenmachen und beaufsichtigte die Römischen Ausgrabungen im Mühleschle und am Fuße des Hölensteins, wofür er vom fürstlichen Protektor mit einer goldenen Repetieruhr beschenkt wurde.
Alter Eingang vom Römerbad
Luzian Reich gründete in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Mal- und Zeichenschule in Hüfingen. Dort unterrichtete er unter anderen auch seine Söhne Lucian und Xaver, die Brüder Nepomuk und Josef Heinemann und auch Rudolf Gleichauf.
So schreibt Lucian Reich im Denkbuch: „Glückliche Zeit so ein Vakanztag, in dem man in der Stube am Zeichentisch sitzt, während es draußen stürmt und den Schnee wirbelnd durch die Gassen jagt, oder regnet, „was abe mag!” Und so saßen auch wir, mein Bruder Fr. Xaver und ich, mit („Muckle”) Joh. Nep. Heinemann (gleich mir im teuren Jahr 17 geboren) manche Stunde zusammen.„
Xaver Reichs Geflügelhof
Aber praktisch, wie der Xaveri in allem war, wollte er bald auch mit seiner Kunstfertigkeit Geld verdienen. So z. B. hatte er einen ganzen Geflügelhof in Thon modelliert, der im Ofen des Hafners Härle gebaut und naturgetreu koloriert wurde.
Es war kurz vor dem Klausenmarkt, und die Herrlichkeit wurde einer vertrauten Käsehändlerin zum Verkauf übergeben. Aber so oft die kleinen Künstler am Tischlein der Frau vorbeistrichen, sahen sie die Schaar noch vollzählig.
Endlich – die meisten Krämer hatten bereits eingepackt – war sie vom Tischlein verschwunden und die Frau händigte den beiden – mit Abzug ihrer Prozente – das Geld hierfür ein. Um den kleinen Spekulanten die Unternehmungslust nicht zu benehmen, hatte die Mutter eine Base auf den Markt geschickt, den ganzen Kram einzukaufen was die Brüder natürlich erst viel später erfuhren.
Lucian Reich, Badische Fortbildungsschule. Nr. 7, 1900, S. 97 ff.
Lucian Reich im Denkbuch: „Mein Bruder hatte sich für die Plastik entschieden. Formensinn und außerordentlich geschickte Hand befähigten ihn hierzu. Jeden Herbst kam Onkel Schelble zu Besuch in die Vaterstadt, und was wir von ihm vom Städel’schen Kunstinstitute hörten, ließ uns Frankfurt in ganz verklärtem Lichte erscheinen. Gegen Ende der 20ger Jahre war Zwerger, der Zögling Danneckers, aus Italien zurückgekommen. In Hüfingen, bei seinem Schwager, Schloßverwalter Wehrle, vollendete er seinen „Hirtenknab” in Karrarischem Marmor. Von Schelble empfohlen, hatte er bald nachher eine Berufung an das Städel’sche Institut erhalten. Und nun erbot er sich, meinen Bruder als Schüler anzunehmen; und somit verließ dieser im Herbste 1832 mit Onkel und Tante die Vaterstadt, und im Jahr darauf fuhr auch ich mit ihnen der ersehnten freien Reichsstadt (Frankfurt) zu. Das Städel’sche Institut war gewissermaßen noch im Entstehen begriffen. Mein Bruder hatte seine Lehrzeit noch im alten Hause auf dem Roßmarkt begonnen, und der Umzug ins neue war kurz vor meiner Ankunft bewerkstelligt worden, so daß zehn oder zwölf Malerschüler, mit mir dem jüngsten, erstmaligen Besitz von den obern vier, in den Hof und Garten hinausgehenden, Ateliers nahmen. Es war eine gemischte Genossenschaft, die sich da zusammengefunden, ein Konglomerat verschiedenster Ausbildungsstufen und Richtungen, jeder mit einem andern Gegenstand beschäftigt.„
Xaver Reich gezeichnet von Nepomuk Heinemann 1838
Foto von Xaver Reich
Franz Xaver Reich Lithografie seines Schwagers Johann Nepomuk Heinemann, 1848, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oIII 609.
Lucian Reich im Denkbuch: „Kamen wir Mittwoch abends aus dem Aktzeichnen, so nahmen wir den Weg an der Hauptwache vorbei zum Rauchschen Hause, in dessen Saal der Verein seine Proben abhielt. Xaver reihte sich dann jedesmal den Sängern an, während ich, oft der einzige Zuhörer, unter der Galerie Platz nahm. Während unsres drei-, resp. vierjährigen Aufenthaltes in der Mainstadt hatten wir, ohne bei befreundeten Familien eingeladen zu sein, selten einen Abend außer dem Hause zugebracht.„
Blick aus einem Fenster des Hotels „Russischer Hof“
auf der Zeil nach Westen zur Hauptwache (William Henry Fox Talbot, 1846) Kalotypie Notiz auf dem Abzug: „street at Frankfort, gloomy day, 32 minutes in camera“ Hinweis: Talbots Abzug ist höchstwahrscheinlich seitenverkehrt. Der 1891 abgerissene Russische Hof befand sich auf der Nordseite der Zeil, siehe dazu auch ein Foto von Mylius, die Katharinenkirche hingegen auf der Südseite. Die Zeil verläuft in ost-westlicher Richtung zur Hauptwache; es ist von der Zeil aus daher nicht möglich, die Katharinenkirche rechts (nördlich) vom Hauptwachengebäude sehen. Foto: Wikipedia
Xaver Reich ging 1836 nach München und arbeitete in der Bildhauerwerkstatt von Ludwig Schaller, der Ludwig Schwanthaler bei der Ausschmückung der 1836 eröffneten Pinakothek unterstützte. Zwerger, Schaller und Schwanthaler waren Vertreter des klassizistischen Stils.
Vermutlich Johann Nepomuk Zwerger (* 28. April 1796 in Donaueschingen; † 26. Juni 1868 in Cannstatt). Deutscher Bildhauer und Hochschullehrer. Hier 1829 gezeichnet von Luzian Reich senior.
Lucian Reich im Denkbuch: „Im Atelier Schallers hatte er (Xaver), obgleich im Steinarbeiten nicht geübt, resolut zu Hammer und Meißel gegriffen und nach Schallers Modell die Holbeinstatue für die Pinatothek in Stein ausgeführt. Im Lehrsaal Zwergers war er bis in die letztere Zeit der einzige Schüler gewesen, der sich ausschließlich der Plastik widmete. Zu den jüngern Fachgenossen, mit denen er jetzt verkehrte, zählte vor allen Hähnel (später Professor in Dresden). Entwürfe, die er mir von seiner Tätigkeit als Mitglied eines Komponiervereins zuschickte, ließen ein frisches, freudiges Schaffen erkennen. Jetzt, nach kurzem Verweilen in der Vaterstadt, hatte er das Glück, an Fürst Karl Egon zu Fürstenberg einen Mäcen zu finden. Der erste bedeutende Auftrag betraf die Donaugruppe für den fürstlichen Park, wozu er das Modell in München fertigen sollte.….
….Im Gesellschaftshause Frohsinn hatte er (Xaver) Atelier und Wohnung gemietet; und ein glücklicher Gedanke war es den Kunstheros Cornelius um einen Besuch zu bitten. Und er kam oft, der kleine große Mann mit dem Blicke des Adlers, und nicht nur mit Worten, auch mit genial hingeworfenen Bleistiftstrichen suchte er den jugendlichen Modelleur auf die Erfordernisse monumentaler Plastik ausmerksam zu machen. Wozu mir in Frankfurt die Anregung gefehlt, das tat ich jetzt wieder, indem ich ein Bild aus dem Leben malte. Hierauf begab auch ich mich ebenfalls nach München, wo ich im „Frohsinn, den auch Schaller und Bildhauer Eduard Wendelstädt, Sohn des Inspektors am Städelschen Institut, bezogen hatten, mich einquartierte. (Das bedeutendste Werk dieses talentbegabten, frühe verstorbenen Künstlers ist die Statue Karls des Großen auf der Mainbrücke zu Frankfurt.)“
Lucian Reich in den Wanderblühten: „Es war am 6. August des Jahres 1837, an einem Sonntag, als das Totenglöcklein der Stadtkirche üblicherweise den Einwohnern verkündete, dass ein Mensch aus ihrer Mitte geschieden sei. – Es war das Scheidezeichen für Johann Nepomuk Schelble. – Im Geleite der Seinigen hatte er denselben Tag einen Spaziergang auf ein entferntes Grundstück unternommen, als er zurückkehrend am Eingange seines Gartens von einem Blutsturz befallen wurde, der seinen Leben in den Armen seiner Gattin ein schmerzliches schnelles Ende machte.„
Lucian Reich im Denkbuch: Unser Schaffen und Streben war im besten Zuge, als uns, wie ein Blitz aus heiterem Himmel — denn er hatte sich ja in anscheinender Besserung befunden — die Nachricht vom Tode Schelbles traf.
Wegen in des Todes kehrten die Brüder nach Hüfinger zurück, wo Xaver 1837 für Fürst Karl Egon II. zu Fürstenberg die monumentale Sandsteingruppe „Donau mit den Zuflüssen Brigach und Breg“ schuf, die ihn öffentlich bekannt machte.
Wilhelm August Rehmann, Leibarzt und Hofrat von Fürst Karl Egon II. zu Fürstenberg veranlasste, dass Xaver Reich eine Skizze modellieren konnte, welche die Donau mit ihren Zuflüsse Brigach und Breg zeigte. Karl Egon II. war vom Ergebnis begeistert und beauftragte Reich damit das Modell 1837 im großen Maßstab herzustellen. Im Schloss Hüfingen erhielt er von seinem Mäzen dann ein Atelier geräumt, um die Gruppe in Sandstein auszuführen. Die Sandsteingruppe wurde auf der „großen Insel im Schwanenweiher“ (heute: Pfaueninsel) im Schlosspark von Donaueschingen aufgestellt.
Danubiagruppe auf der Pfaueninsel (Postkarte 1906)
Durch Heinrich Hübsch ihn erhielt Xaver Reich vom badischen Großherzog Leopold den Auftrag, die Gruppe für das Giebelfeld der Trinkhalle Baden-Baden auszuführen, die Hübsch von 1839 bis 1842 errichtete.
Trinkhalle in Baden-Baden. Foto: Wikimedia
Durch ein Stipendium von Karl Egon II. wurde es Xaver Reich möglich, sich für einen zweijährigen Italienaufenthalt nach Rom zu begeben (1842/43). Dort freundete er sich mit dem aus Karlsruhe stammenden Bildhauer Christian Lotsch (1790–1873) an, der seit 1822 in Rom ansässig war.
Ostersonntagabend in Rom
Am nämlichen Abend (des Ostersonntags) ist Beleuchtung der Kuppel des Petersdomes. Das ganze Gebäude scheint zu glühen, man glaubt in einer Zauberwelt zu sein. Um ein Uhr in der Nacht wechselt auf einen Augenblick die Beleuchtung auf andern Punkten werden Pechkränze angezündet. Bei jeder Lampe ist ein Mann. Wer dies nicht gesehen hat, für den ist der Eindruck nicht zu beschreiben. Nach aller Aussagen soll auf der ganzen Welt nichts brillianteres stattfinden, selbst in Paris nicht. Die Lokalität ist hierzu äußerst günstig.
Das Schauspiel dauert ungefähr eine halbe Stunde in steter Abwechslung. Kanonen, welche dazwischen feuern, machen sich besonders schön. Zu Ende speit die ganze Engelsburg Feuer – man glaubt sich seines Lebens kaum sicher.«
Franz Xaver Reich, FFA, Tagebuchaufzeichnungen nach Wohl-lebe, J. L., Künstlermappe.
Aus dem Stadtlexikon Karlsruhe
Seine Wettbewerbsteilnahme für eine Kolossalskulptur „Handel und Schifffahrt“ auf dem Hauptportal des nach Plänen von Heinrich Hübsch realisierten Zollareals am Mannheimer Freihafen machte den Karlsruher Oberbaurat Ende der 1830er-Jahre auf Reich aufmerksam. In den folgenden zwei Jahrzehnten fertigte der Bildhauer für Hübschs wichtigste Bauwerke Bauplastiken an. Dazu gehören die Figurenreliefs am Hauptportal der neuen Gemäldegalerie (1837-1845; heute Staatliche Kunsthalle Karlsruhe), die unter anderen Albrecht Dürer, Hans Holbein den Jüngeren und Peter Vischer zeigen, das Giebelrelief der Trinkhalle in Baden-Baden (1839-1842; Entwurf und Gipsmodell von Johann Christian Lotsch) mit der Heilung der Kranken durch eine Quellnymphe, das Giebelrelief sowie die 20 lebensgroßen Figurenreliefs und 100 Medaillonköpfe mit Gestalten aus Oper und Drama am neuen Großherzoglichen Hoftheater (1851-1853; im Zweiten Weltkrieg zerstört) sowie die beiden Figurenpaare oberhalb der Eingänge in das Orangeriegebäude des Botanischen Gartens (1853-1857), welche Allegorien der vier Jahreszeiten darstellen. Beim Abräumen der Trümmer des Hoftheaters 1963 konnten viele der Medaillons und Figurenreliefs geborgen werden. Sie fanden zur Bundesgartenschau 1967 in und bei der im Wintergarten des Botanischen Gartens eingerichteten Badischen Weinstube eine neue Verwendung. Fünf der Medaillons wurden dem Heimatmuseum in Bad Dürrheim überlassen.
Weitere Arbeiten von Reich in Karlsruhe sind das überlebensgroße realistische Standbild des badischen Staatsministers Georg Ludwig Winter (heute Beiertheimer Allee) sowie die Engelsfigur des Denkmals für die Opfer des Theaterbrandes (1847/48). Auch in Baden-Baden finden sich noch Werke von ihm, darunter die Statuen der Justitia (Schwert, Waage) und Lex (Gesetzesbuch, Schwörstab) am Hauptportal des 1842/43 nach Plänen von Friedrich Theodor Fischer erbauten Amtshauses (heute Ärztehaus).
Das von Leopold beauftragte und 1848 aufgestellte Denkmal für die 63 Todesopfer die beim Brand des Karlsruher Hoftheaters am 28. Februar 1847 ums Leben gekommen waren, war der vorerst letzte Auftrag Reichs in Karlsruhe; er kehrte nach Hüfingen heim.
Familienleben
Am 28. August 1843 heiratete Xaver Reich in Kirchenhausen Josefa Elsässer (* 20. April 1823-19.11.1900).
Josefa Reich, geb. Elsässer (1823-1900)
Kinder von Xaver und Josefa Reich:
1.Berthold Lucian Joseph Reich geboren am 01.06.1844 in Karlsruhe. Hat angeblich später den Ölberg am Aufgang zu St. Johann von Donaueschingen geschaffen. Anna Reich schreibt in ihrem Brief 1876: „So, so dein Amerikaner Vetter, war ein solcher Herzeroberer, nun ich bin froh, daß ich ihn nicht kennen lernte„. Dies spricht dafür, dass es uneheliche Nachfahren gibt, von denen die Cousinen wussten. Ob Berthold in Amerika war, ist nicht bekannt. Anscheinend ist er aber erst 1925 gestorben, wie Vetter schreibt.
In der Chronik vom Vetter steht: „Der Sohn Bertold, im Juni 1854 in Karlsruhe geboren und am 24. Oktober 1925 gestorben, trat in die Fußstapfen seines Vaters und wurde ebenfalls Bildhauer.„
Im Hüfinger Sippenbuch gibt es gleich gar keinen Berthold. Aber dass Berthold 1844 in Karlsruhe geboren wurde, macht mehr Sinn, da 1854 die Reichs in Hüfingen wohnten.
2. Erwina Amalia Josepha, geboren 05.08.1845 in Karlsruhe -?
3. Maria Josefa Amalia, geboren am 21.01.1848 in Hüfingen. Am 8.3.1866 heirat mit Karl Eschborn *9.7.1834, FF Forstverwalter. Lucian Reich 1866 in einem Brief an die Eltern:„Zum hl. Josephsfest meine herzlichsten Glückwünsche dir, liebe Mutter, so wie auch unsere Josepha’s im Garten und neugegründetem Eschborn’schen Hause.“ 1 überlebendes Kind von dreien: Maria Josefa ( *1.6.1867-?)
4. Amalia Maria Anastasia geboren am 23.09.1850 in Hüfingen, gestorben am 22.10.1939 in Hüfingen
5. Klara Mathilde, geboren am 27.11.1852 in Hüfingen, verheiratet am 27.9.1877 mit Sigmund Gayer geboren in Unterliezheim am 23.03.1847, Forstverwalter Geisingen. Enkel Oberforstrat Erwin Gayer ?
6. Karl Guido geboren am 14.11.1858 in Hüfingen. Anna Reich schreibt ihrem Brief 1876: „Soso du sprachst mit meinem Herr Vetter Bodenhopser, Schubladenzieher, wenn du zu ihm kommst wieder, dann bitte ich dich um alles in der Welt, sage zu ihm er sei ein Erdslügner ein fauler Fisch, ein ein ein Spinnenbobelenhirn u. noch vieles Andere hast gehört dieses sagst zum hast’s gehört, er wird dann schon wissen warum u. was drum und dran hängt.“
Carl Guido heiratet eine Josephine (Sophia) Kirchler geboren am 15.12.1864 und beide wandern spätesten 1886 in die USA aus. Sophia Reich stirbt in New Jersey am 24.10.1926.
Census von 1900 New Jersey
Kinder:
Hermann, *13.05.1887 New Jersey – 1953 verheiratet mit Myrtis M Gifford (1893-1981) Kind: Robert Hermann Rich (1930-1992). Kinder von Robert: Pamela Bennetsen, Brian Rich, Robert Rich.
Christian, 11.02.1989 New Jersey
George, 10.03.1890 New Jersey
William Alexander Reich, *9.04.1891 in New Jersey- 25.06.1941 Kinder: Margret Reich, William Reich, Ernest Reich, Ruth Clara (Reich) Prince 4.08.1918 in New York, NY-8.12.2002)
Ernest George Reich, 6.06.1895 in Jersey City, 34.02.1967 in Leon County, Florida, 2 Kinder
Philip Reich, 2.09.1897 in Jersey
Michael Reich, ?
7. Amalia geboren am 25.12.1860-31.8.1955. Wird in den Briefen als „Christkindlein“ erwähnt: „Eine dritte Gratulation bitte ich in Xavers Familie gelangen zu lassen, wegen der glücklichen Ankunft des Christkindleins.„
Fronleichnam in Portici
1842/43 war Xaver Reich in Pisa, Florenz und in Verona und begeisterte sich für die Tradition der Blumenteppiche.
Nach Vorbild aus Portici fertigte er in Hüfingen vor seinem Elternhaus den ersten Blumenteppich und legte so den Grundstein einer langen Tradition.
In Hüfingen erweiterte er die Ziegelei, die er von seinem Vater übernommen hatte, um die Produktion von Terrakotten.
Tages-Neuigkeiten 1853
Donaueschingen, 15. Febr. Seit mehreren Wochen sah man die hiesigen Freunde der Kunst in das nahe Städtchen Hüfingen wandern, um im fürstlichen Schlosse in dem Atelier des Bildhauers X. Reich das nun bis zum Brennen des Thones vollendete Giebelfeld zu sehen, welches bestimmt ist, den Vorbau des neuen Theaters in Karlsruhe zu schmücken. Wir glauben dasselbe sowohl in der Erfindung, als in der Ausführung ein vollkommen gelungenes nennen zu dürfen. Die durch die bekannte Giebelform für die Komposition so sehr erschwerte Aufgabe wurde auf eine Weise gelöst, als wäre dem Genius des Künstlers die freie Bezwingung seiner Schwingen zu Gebote gestanden.
In der Mitte steht eine hohe weibliche Figur – die Poesie – und theilt nach beiden Seiten des Giebelfeldes den Kranz des Ruhmes aus; an ihre linke Seite lehnt sich der Liebesgott, ein kräftig gesunder Knabe mit Bogen und Pfeil. Die beiden Gruppen zur Linken und Rechten enthalten die Koryphäen der Dichtkunst und der Musik. Zur Linken ist die erste Figur Schiller, der seinem Nachbar und Freunde Goethe ein so eben geschriebenes Gedicht zur freundschaftlichen Prüfung überreicht. Die dritte, in der Ecke des Giebelfeldes ausgestreckte, mit dem Arme auf seinen Werken ruhende Gestalt ist Lessing; er ist in das Lesen eines Buches vertieft, um seine Verdienste nicht nur als schaffender, sondern auch als kritisch prüfender Geist anzuzeigen. Auf der rechten Seite des Feldes erblickt man zuerst den heiteren, liebenswürdigen Mozart mit der Violine in der Hand. Hinter ihm und von ihm abgewendet sitzt Beethoven ernst und düster mit Aufschreiben einer Komposition beschäftigt. In der Ecke der rechten Seite, der Gestalt Lessing’s auf der linken entsprechend, ruht Gluck mit seinem edlen, ritterlichen Kopfe rückwärts gegen Beethoven gewendet; eine griechische Leyer in seiner Hand mag den antiken Geschmack seiner Muse bedeuten.
Sämtliche Figuren sind edle, würdige Gestalten und den besten Vorbildern entsprechende, gelungene Porträts. Die ganze Gruppe ist lebendig und reich; die zwischen rechts und links herrschende Symmetrie, bedingt durch die architektonische Form, hat durchaus nichts Steifes oder Störendes. Wir halten dieses Werk des rühmlich bekannten Künstlers zwar für sein schwierigstes, aber auch für sein gelungenstes, und sind überzeugt, daß wir durch dieses Urtheil die Erwartungen Derjenigen, welche die andern Werke des bescheidenen Meisters, seinen Engel auf dem Friedhofe und die Marmor-figuren an der Akademie ec. zu Karlsruhe, kennen, nicht zu hoch spannen, wenn auch das Material dieser lezteren Skulpturen in dem Auge des Laien ein günstiges Vorurtheil erzeugt.
Möge nun dem Künstler bei dem Brennen dieser seiner größten Arbeit das Glück so günstig sein, als es seine Zuversicht erwartet. Die geringste Ungleichheit im Trocknen würde bei diesen Dimensionen ein Springen der Masse veranlassen und so das Produkt von langen Monaten und unermüdlichem Fleiß vernichten.
Donaueschinger Wochenblatt, Nr. 15 vom 22. Februar 1853
Franz Xaver Reichs Terrakotten überstanden großenteils die Bombennacht vom 27. September 1944, der auch das Hoftheater zum Opfer fiel. Der Landtag bewilligte seinerzeit eine hohe Summe zu ihrer Bergung. Bürgermeister Max Gilly gelang es im Jahre 1967, einige der geretteten Medaillons für Hüfingen zu erhalten.
Zu diesen Karlsruher Arbeiten kamen Aufträge zur Ausgestaltung der Orangerie, für die er die vier Jahreszeiten schuf, und der Gewächshäuser. Franz Xaver Reichs bekanntestes Medaillon aber wurde dasjenige des alemannischen Dichterfürsten Johann Peter Hebel auf dessen Grabstein in Schwetzingen.
Foto: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg, W 134 Nr. 061263d
Foto: 3268zauber, Wikipedia 2009
In der Zwischenzeit führte der unermüdlich tätige Künstler, dem ein Atelier im Schloß zur Verfügung stand, ehrenvolle Aufträge des Fürstenhauses in Donaueschingen aus. So entstand der Jagdhumor zeigende Fries an der fürstlichen Gewehrkammer in Donaueschingen. Die Medaillons am gegenüberliegenden Karlsbau, die etwas trocken und kühl wirken, zeigen neben den Häuptern von Dürer, Peter Fischer, Thorwaldsen und Cornelius hauptsächlich Vertreter der Naturwissenschaften. Tiefer empfunden und persönlicher gestaltet sind die mythologische »Flora« am Giebel des Gewächshauses.
Der Engel auf der Elisabetheninsel, den Fürst Carl Egon II in Erinnerung an seine früh verstorbene Gemahlin Elisabeth aufstellen ließ, wurde nach einem Entwurf von Xaver Reich gegossen. Zu seinen Donaueschinger Arbeiten zählt auch das Turnierrelief an der Reithalle.
Die Inschrift auf der Vorderseite des Sockels lautet: „Der Gerechte ist auch in seinem Tode getrost. Sp. Salomon 14, 23“ auf der Rückseite: „Karl Egon Fürst zu Fürstenberg seiner unvergeßlichen Frau Elisabeth, Prinzessin Reuß ä. L. zu Greiz. geb. 23. März 1824, gest. 7. Mai 1861“ . Das Denkmal wurde nach einen Entwurf von Xaver Reich gegossen.
In der Terrakottenbrennerei schuf er den plastischen Schmuck für das Hoftheater Karlsruhe und den Fries für die fürstliche Gewehrkammer in Donaueschingen sowie die Medaillons am Sammlungsgebäude gegenüber. Im Auftrag des Erzbischöflichen Baumeisters Lukas Engesser fertigte er zusätzliche Werke für badische Kirchen.
Als nach dem Brand des Klosters Maria Hof bei Neudingen Fürst Karl Egon II. in den Jahren 1835-56 die Gruftkirche erbauen ließ, wurde Franz Xaver Reich mit der Ausschmückung beauftragt. Er modellierte die vier Engel aus Zinkguß auf den vier Nebentürmchen, die die Kuppel flankieren. Von ihm stammen ebenso die Madonna und die beiden Heiligenfiguren über der Portalwand wie die beiden Klosterfrauen über dem Portal. Ganz Raphael nachempfunden, dessen Werke Reich während seines Romaufenthaltes besonders stark beeindruckt hatten, ist das Verkündigungsrelief des Hauptaltars. Im Jahre 1870 entstanden die beiden Seitenaltäre, die wiederum eine Madonna und die acht Seligkeiten darstellen.
In Hüfingen sind die Skulpturen des Karl Borromäus im Hof des Landesheimes und eine Madonna über dem Portal der Pfarrkirche aus Sandstein Zeugen des unermüdlichen Schaffens des Hüfinger Künstlers. Eine weitere Madonna schuf Franz Xaver Reich für das Portal des Konstanzer Münsters, und auf der Rheinbrücke standen die Statuen der Bischöfe Konrad (934-974) und Gebhard II. (979-995), die seit den dreißiger Jahren den Rheinsteig schmücken.
Landesheim 1950
Gebhard II.
In den Nischen auf der badischen Seite der zwischen 1858 und 1861 erbauten Rheinbrücke von Kehl standen die Figuren des » Vater Rhein« und der »Mutter Kinzig« von Hans Baur und Franz Xaver Reich. Als der östliche Teil der Brücke nach der Kriegserklärung vom 22. Juni 1870 von badischen Pionieren gesprengt wurde, stürzten auch die Statuen in den Rhein. Die Statue Reichs wurde später wieder gefunden und in Verbindung mit einem Brunnen als Kriegerdenkmal vor dem Rathaus von Kehl aufgestellt. Das Rathaus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und nach dem Kriegsende nicht wieder aufgebaut. Die Kinzigstatue steht seit der Behebung geringer Schäden aber noch heute auf ihrem Platz.
Mutter Kinzig am Kriegerdenkmal 1870/71 in Kehl am Rhein. Foto: Wikipedia 2010
Für den Erzguß der Porträtsbüste des Großherzogs Leopold erstellte Franz Xaver Reich im Auftrag der Stadt Baden-Baden das Modell. Gleichermaßen stammen von ihm die Modelle für die ehernen Standbilder des Abtes Martin Gerbert von St. Blasien in Bonndorf, die Bildnisse des Landgrafen Joachim und des Fürsten Karl Egon II. im Ornate eines Ritters vom Goldenen Vlies für den Monumentalbrunnen in Heiligenberg. Für die Heiligenberger Schloßkapelle modellierte er zusammen mit dem Bildhauer Sauer aus München den Kreuzweg, der, von der Millerschen Erzgießerei in München gegossen, in der Nagelfluwand am Weg zur Klause Egg eingelassen ist.
Madonna an Verena und Gallus von Xaver Reich
St. Peter und Paul in Bonndorf
Die Figurengruppe über dem Haupteingang vom Konstanzer Münster
Denkmal Abt Martin Gerbert von Xaver Reich aus dem Jahr 1856 im Bonndorfer Martinsgarten
Fürstenbrunnen in Heiligenberg von Xaver Reich
Leopold I. Grossherzog von Baden von Xaver Reich
Bischof Konrad (934-974) am Rheinsteig
Gebhard II. (979-995) in Konstanz
Lucian Reich 1860 in einem Brief an die Eltern: „Sollten in Betreff der Leopoldfigur Steine in den Weg zu werfen versucht werden, so würde ich mich entschieden auf das gegeben gutheißend Wort des Großherzogs und seines Bruders des Prinzen Wilhelm berufen, und dem Großherzog zu bedenken geben, daß mit Zurücknahme dieses gegebenen Wortes ?? dein Ruf als Künstler gefährdet werde. Die Figur ist entschieden gut und wird später, wenn sich die Staubwolken verzogen haben, ihre Anerkennung finden. Indem ich bitte der lieben Josephine im Garten zu gratulieren ebenso bei Nober auch bei Heinemanns meine Grüße auszurichten.„
Das Landhaus an der Bräunlinger Straße in dem Johann Nepomuk Schelble und dann Xaver Reich mit Familie gewohnt hat. „Josephines Garten“ war vermutlich vor dem Haus, wo heute noch die alten Bäume der Freunde der Natur stehen.
Zu den bedeutendsten Werken des Bildhauers zählt der Marmorengel am »Echo« in Baden-Baden, der vom Fürsten Karl Egon III. in Auftrag gegeben wurde.
Für das Denkmal seines Schwagers, des langjährigen verdienstvollen Donaueschinger Landtagsabgeordneten Kirsner, am Bahnhof, modellierte er dessen Büste, und für diejenigen des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen wurde ihm die Goldene Medaille des Hofes zuerkannt. Für den Donaueschinger Friedhof hatte Franz Xaver Reich schon im Jahr 1843 einen eindrucksvollen Corpus für das zentrale Kreuz gemeißelt.
Als die Donauquelle im Schloßhof 1875 von Adolf Weinbrenner neu gefaßt und umgruppiert wurde, gestaltete Xaver Reich die Gruppe: „Die junge Donau als Kind im Schoß der Mutter Baar“. 1895 schuf der Künstler Adolf Heer eine neue Marmorgruppe die über die Einfassung der Donauquelle kam – die „Mutter Baar“ darstellend, wie sie ihrer „Tochter“, der jungen Donau, den Weg weist.
1939 schenkte Fürst Max Egon die Figurengruppe mit der jungen Donau „als Kind im Schoß der Mutter Baar“ von Xaver Reich der Stadt Donaueschingen. Reichs Gruppe fand in den 1970er Jahren in der Nähe des Zusammenflusses von Brigach und Breg eine vorläufige Bleibe. Im Jahr 2021 wurde sie für die Umgestaltung des Zusammenflusses entfernt. Seit der Umgestaltung ist sie noch nicht wieder aufgetaucht und der Südkurier verbreitet falsche Geschichten darüber.
Die junge Donau als Kind im Schoße der Mutter Baar. Sandsteingruppe von Xaver Reich am Zusammenfluss von Brigach und Breg von 1875. Die Sandsteingruppe wurde im Jahre 1939 der Stadt Donaueschingen geschenkt.
Aus dem Denkbuch von Lucian Reich: „Zu den bedeutendsten Aufträgen, die mein Bruder von Fürst Karl Egon III. erhalten hat, gehörte die Aufgabe, bei der Neueinfassung der Donauquelle im Schloßhofe auch diese mit einer Figur oder Gruppe zu charakterisieren. Statt wieder eine Nymphe, sagte mir Xaver, wolle er die junge Donau als Kind im Schooße der Baar in Vorschlag bringen. Dem Fürsten gefiel dieser die Heimat des Stromes so klar bezeichnende Gedanke; und der Beauftragte modellierte das Modell zu der Gruppe dann in München im Verkehr mit den Freunden Schwind und Schaller und auch mit Professor Widenmann.„
Sein letztes erhaltenes Werk waren die Statuette zu einer Schlittschuhläuferin in moderner Tracht sowie eine Skizze zu einer Grablegung Christi. Er starb am 8. Oktober 1881 in Hüfingen.
Xaver Reich, Bildhauer 1. August 1815 – 8. Oktober 1881 Josepha Reich, geb. Elsässer 23. Aprlil 1823 – 19. November 1900
Quellen: Wikipedia, Chronik der Stadt Hüfingen von August Vetter 1984, Sippenbuch der Stadt Hüfingen, Briefe von Lucian Reich, Briefe von Anna Reich, Denkbuch von Lucian Reich, Fotos von Wikimedia und privat.
Dissertation von Oskar Bormann, Frankfurt am Main 1926
Vermutlich Oskar Bormann um 1926. Foto: Netzfund
Ich wurde am 25. August 1903 in Vaihingen bei Stuttgart geboren. Ich besuchte die Elementarschule des Karlsgymnasiums in Heilbronn a. N. Da meine Eltern nach Höchst a. M. zogen, verließ ich diese Anstalt schon nach dem 2. Jahr und trat in die 3. Vorschulklasse der Höchster Realschule ein. Letztere besuchte ich bis zur Obersekundareife, erhielt einen Kaiserpreis und trat dann in die Sachsenhäuser Oberrealschule in Frankfurt a. M. über. Dort erwarb ich Ostern 1921 das Reifezeugnis und bezog darauf zum Studium der Musikwissenschaft die Universität in Frankfurt a. M. Im Sommersemester 1923 war ich an der Tübinger Universität immatrikuliert und darauf wieder Studierender der Frankfurter Universität bis zu meiner Exmatrikulation nach dem Wintersemester 1924/25. An den Universitäten hörte ich Vorlesungen aus dem Gebiete der Philosophie, der Germanistik und der Musikwissenschaft bei den Herren Professoren: Dr. Cornelius, Dr. Hasse, Dr. Schultz und Dr. Bauer. Daneben trieb ich ferner praktische Musik-studien, hauptsächlich an Dr. Hochs- Konservatorium in Frankfurt.
Auf Grund der vorliegenden Arbeit, erwarb ich am 1. Juli 1926 an der Universität in Frankfurt am Main den Doktorgrad.
Vorwort.
Meine Arbeit über Johann Nepomuk Schelble, deren Anregung ich Herrn Professor Dr. Bauer verdanke, verfolgt den Zweck einer eingehenden und umfassenden Würdigung eines Mannes, dessen Name auch heute noch hervorgehoben werden muß, wenn von jener gewaltigen Bewegung am Anfang des vorigen Jahrhunderts – der Bachrenaissance um 1829 die Rede ist. Wohl ist schon viel über Schelble geschrieben worden, jedoch sind diese Schriften meist nur „Erinnerungs- und Gedenkblätter“, die wohl manchen Aufschluß über Schelbles Persönlichkeit und Wirken geben, ohne aber kritisch Stellung zu nehmen und aufzuzeigen, was uns nun Schelble eigentlich bedeutet, was von seiner Tätigkeit für immer der Musikgeschichte angehören wird. Es ist daher schon oft bedauert worden, daß sich noch niemand gefunden hat, der Schelble einer gründlichen Biographie würdigte. (Gollmick in seiner Autobiographie; Professor Dr. M. Friedländer an mich usf.)
Leider ist seit dem Tode Schelbles schon zu lange Zeit vergangen, als daß ich noch für alle meine Angaben auf die ersten Quellen hätte zurückgehen können. Es dürfte aber kaum noch in Betracht Kommendes existieren, das ich hier in meiner Arbeit nicht berücksichtigt hätte (vgl. Literaturverzeichnis und Anmerkungen). Auch Schelbles Kompositionen und die Quellen für seine Lehrmethode konnte ich bis auf ganz Weniges zusammenbringen und daraus ein Bild seiner Tätigkeit auf diesen Gebieten gewinnen.
Allen Denen, deren Unterstützung ich bei meiner Forschung in Anspruch nehmen mußte, sei an dieser Stelle mein aufrichtigster Dank ausgesprochen.
Besonders verpflichtet bin ich meinem verehrten Lehrer. Herrn Professor Dr. Bauer für seine vielfache Förderung; ferner Herrn Professor Dr. Schering, der mir das von ihm in Leipzig aufgefundene handschriftliche Material gütigst überließ, sowie Herrn Professor Dr. Müller in Frankfurt, der mir bei der Durchsicht des Archivs des Frankfurter Cäcilienvereins in stets liebenswürdiger Weise behilflich war, mir auch das von ihm gesammelte Material zur Geschichte des Cäcilienvereins (Manuskript) freundlichst zur Verfügung stellte und durch seine Tätigkeit als Bibliothekar des Cäcilienvereins mir schätzenswerte Vorarbeit geleistet hatte.
Die Gliederung meiner Arbeit ist aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich.
Die wichtigsten, der uns vorliegenden biographischen Aufsätze über Johann Nepomuk Schelble sind:
Weismann, Joh.: J. N. Schelble, Direktor des Cäcilienvereins in Frankfurt, Frankfurt 1838.
Ein Aufsatz von Lucian Reich in seinen „Wanderblüten aus dem Gedenkbuch eines Malers“: „J. N. Schelble“
Ein Aufsatz von W. Oppel-Chrysander in der allgemeinen musikalischen Zeitung in Leipzig, III. Jahrgang, 1868.
Biographie in Form eines Briefes des Franz Xaver Gleichauf an Lucian Reich in Hüfingen vom 28. 12. 1853; dieselbe befindet sich als Manuskript im Archiv des Cäcilienvereins.
Die kleine Schrift von Weis mann (Nr. 1) ist die Quelle fast aller späteren biographischen Artikel in Lexicis und anderer biographischer Aufsätze. (F. J. Fetis: Biographie universelle; Mendel-Reißmann; Grove; Allgemein deutsche Biographie; Nekrolog der Zeitschrift Cäcilia Band XX, Heft 79; Festschriften des Cäcilien-vereins; Leipziger allgemeine musikalische Zeitung 1839 u. 1868.) Diese erste kurze Biographie scheint also bekannt gewesen zu sein, obgleich sie nicht im Buchhandel erschienen ist.
J. Weismann (1804- 80),1) der als Professor in Frankfurt wirkte, war eines der frühesten Mitglieder des Cäcilienvereins und kannte daher Schelble genau; seine Schrift ist, wie meine Nachprüfungen ergaben, durchaus zuverlässig.
Der Aufsatz Lucian Reichs2) (Nr. 2) baut sich auf der Biographie von Xaver Gleichauf (Nr. 4) auf, die Reich zum Teil wörtlich benützt, im Ganzen aber erheblich erweitert.3) Ich habe in meiner Arbeit in den Fällen, in denen Reich Gleichauf wörtlich zitiert, immer die ursprüngliche Quelle angegeben.
Der Maler und Schriftsteller Lucian Reich (1817-1900) war ein Neffe Schelbles. Franz Xaver Gleichauf (1801-1856) der Musiker war und in Frankfurt lebte, war ebenfalls mit Schelble verwandt (Vetter).
Der Aufsatz von Oppel-Chrysander ist in seinem ersten Teile (W. Oppel) Abschrift von Weismann (Nr. 1); im zweiten Teile aber (Chrysander) kritische Stellungnahme zum Lehrer und Dirigenten Schelble, auf die ich in meiner Arbeit näher eingehen mußte.
Ich habe versucht, für alle meine Angaben die ersten Quellen ausfindig zu machen; diese fließen aber, besonders für die erste Lebzeit Schelbles, recht dürftig; es mußten öfters Weismann und Reich 4) zur Hilfe herangezogen werden, auch decken sich verschiedene Ergebnisse meiner Forschungen mit den genannten Autoren; in diesen Fällen habe ich immer die erste Quelle angegeben. Ausdrücklich sei hier noch darauf hingewiesen, daß ich nicht auf alle Irrtümer oder hypothetischen Behauptungen der überaus zahlreichen „Schriften“ (Zeitungsaufsätze, Nekrologe usf.) über Schelble eingehen durfte, wenn ich nicht den Anmerkungenapparat ins Uebertriebne steigern wollte. Der Text meiner Arbeit gibt in allen solchen Fällen die Berichtigung.
1) Der lebende Komponist Julius Weismann ist ein Enkel des Obigen. 2) Auch dieser Aufsatz wurde Quelle für spätere (Bad. Biogr. v. Weech; Festschrift des Cäcilien-Vereins). 3) Auf Grund der Briefe Schelbles an seine Eltern in Hüfingen. 4) Diese beiden Schriften sind nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden (Archiv des Cäcilien-Vereins; Frankfurter Stadtbibliothek; Fürstliches Archiv in Donaueschingen; Landesbibliothek Karlsruhe.)
A. Schelbles Leben und sein Wirken als Dirigent des Cäcilienvereins.
1. Vorfahren. 5
Johann Nepomuk Schelble entstammt einer uralten Familie in Hüfingen, einem Städtchen der „Baar“, im badischen Schwarzwald gelegen. Verschiedene Variationen des Familiennamens treten uns entgegen: Schälble, Schälblin, Schelblin, Schelble. Schälblin 6) dürfte der ursprüngliche Name gewesen sein, der sich durch dialektisch – schwäbische Umbildung der Endung allmählich in Schelble verwandelte. Das Geschlecht der Schelble ist schon im 17. und 18. Jahrhundert in der „Baar“ häufig“ 7) ; nicht nur Hüfingen auch Villingen und Donaueschingen8) weisen den Namen auf.
Schon von Samuel Schelle ab, der 1590 in Hüfingen geboren wurde, läßt sich der Stammbaum stetig verfolgen. Die Schelble in Hüfingen sind meist Amts- oder Kanzleidiener; doch scheint die Musik von jeher in der Familie heimisch gewesen zu sein. Es wird uns berichtet 9), daß der Großvater unseres Schelble, Franz Xaver, mit Vorliebe Musik betrieb. Der Großvater und auch der Vater Johann Nepomuks widmeten sich neben ihrem Kanzleidienst beim Fürstlich- Fürstenbergschen Justizamt dem Gewerbe der Faßmalerei; beide wirkten auch in der Kirche als Violinspieler mit. 10)
Franz Josef Schelble11) (1762-1835), so hieß der Vater Johann Nepomuks, wandte sich dann von der Faßmalerei dem Schuldienst zu; er nahm Unterricht in Donaueschingen, auch in Orgel- und Klavierspiel. Der Mangel einer Singstimme bewog ihn dann, dieser Laufbahn zu entsagen. Er beschäftigte sich noch einige Zeit mit Instrumentenbau (Klaviere in einfacher Bauart), einer Liebhaberei, die er auch später noch weiter betrieb, und die ihm den Namen „Klavierlemacher“ eintrug. Eine gesicherte Stellung erlangte er erst 1790, als er „Zuchtmeister“ wurde; 1806 wird er Korrektionshausverwalter. Er war mit Katharina Götz, der Tochter eines reichen Bauern, verheiratet; dieselbe war musikalisch und besaß eine hübsche Stimme. So ist denn der musikalische Sinn, der sich seit altersher in der Familie nachweisen ließ, besonders auch bei den Eltern unsres Schelble ausgeprägt. Johann Nepomuk war von 14 Kindern der einzige Sohn.12) In den anderen Linien der Familie begegnen uns noch zahlreiche Künstler: die Linie, die von Lucian Reich (1788-1866), dem Schwager Schelbles ausgeht, weist besonders viele Maler und Bildhauer auf, Frz. Xaver Gleichauf war ein sehr angesehener Musiker und Komponist in Frankfurt; auch die Linie Engesser ist reich an Musikern. In Hüfingen ist die Familie der Schelble ausgestorben: dort leben noch die Seitenlinien Nober und Reich.
Das hervorragendste Glied dieser weitverzweigten Künstlerfamilie, Johann Nepomuk Schelle, soll uns nun weiter beschäftigen.
5) Herr Dr. Barth in Donaueschingen besorgte mir gütigst einen Auszug aus einem von Kanzleirat Anton Schelble in Donaueschingen aufgestellten Stammbaum. Außerdem befindet sich im Archiv des Cäcilien-Vereins ein Stammbaum von Professor Engesser, Karlsruhe unterzeichnet, der bis ins 20. Jahrhuntert geführt ist. Es würde über den Rahmen meiner Arbeit hinausgehen, wollte ich ihr aus diesen beiden Quellen einen vollständigen Stammbaum Schelbles beifügen: ich beschränke mich auf die Vorfahren Schelbles: einen Auszug aus der späteren Entwicklungsgeschichte der Familie gibt der Anhang der Arbeit von C. H. Müller: „Frankfurt a. Main und der deutsche Männergesang 1813 -71″, Frankfurt 1925. 6) L. Reich („Wanderblüten“) ist auch der Ansicht, ohne sie zu begründen. 7) Nach Notizen aus den Standesbüchern in Hüfingen, die ich der Güte des Herrn Dekan Schatz daselbst verdanke. 8) Es dürfte also die enderwärts gehegte Vermutung, daß Anton Schelble, der Famulus „Antor“ des Josef Viktor v. Scheffel in Donaueschingen, ein Mitglied der Familie ist, richtig sein. 9) Lucian Reich: „Blätter aus meinem Gedenkbuch“ S. 89 in den Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar in Donaueschingen, Band IX., 1896; hier heißt es irrtümlich Ur großvater. 10) So berichtet Lucian Reich in dem schon erwähnten Aufsatz in seinen „Wanderblüten„; auch die folgenden Daten sind, wenn nicht anders angegeben, dort entnommen. 11) Von ihm befindet sich eine Gipsbüste von Professor Zwerger in den Fürstl. Fürstenbergschen Sammlungen in Donaueschingen; von derselben erhielt ich eine Aufnahme durch die Güte des Herrn Dr. Barth. 12) Bis auf 4 Schwestern starben alle schon in frühester Jugend; ich kann mir daher die Verwandtschaft, die Herr Professor Dr. med. Schelble (z. Zt. in Bremen lebend) zwischen sich und Joh. Nep. Schelble vorhanden glaubt, nicht erklären.
Luzian Reich (Schwager) und Maria Josefa Schelble (Schwester) Fotos von Johann Nepomuk Heinemann etwa 1865
II. 1789–1807 Jugendzeit, seine Lehrer, seine Ausbildung, 1. Reise nach Stuttgart.
Johann Nepomuk Schelble 13) wurde am 16. Mai 1789 in Hüfingen 14) geboren. 15) Seine Mutter sang ihm die ersten Lieder vor, den Anfangsunterricht im Klavierspiel erhielt er von seinem Vater, 16) er selbst bewies schon in frühester Jugend besondere Vorliebe für Musik: so konnte es nicht fehlen, daß das Talent des Knaben rechtzeitig entwickelt wurde und seinen Weg fand. Kriegszeiten brachen herein. Durch einen österreichischen, klavierspielenden Feldpater lernte der 7jährige Knabe Mozart’sche Melodien kennen. Kaplan Eiselin wird bald sein erster Lehrer in Gesang. Durch die großen Fortschritte des Nepomuk eine Entmutigung seiner anderen Schüler befürchtend, entließ ihn der Kaplan aus seinem Unterricht mit dem Urteil, daß es ihm an Talent mangele. Er erhielt darauf Gesangsunterricht bei dem musikalisch dilettierenden Amtskanzlisten Schlosser, der ihn soweit förderte, daß er bei der Rückkehr des wegen Kriegsgefahr geflüchteten fürstlichen Hofes in Donaueschingen eine Begrüßungsarie mit Beifall singen konnte. 17)
Durch Schlosser erhielt der Knabe schließlich eine Freistelle als Chorknabe (1800) im Reichsstift Obermarchtal einem damals bedeutenden schwäbischen Kloster. War der Unterricht hier auch pedantisch, und daher wenig fruchtbringend, so empfing doch Schelble hier seine ersten tiefen Eindrücke von der Wirkung der Musik: die nächtlichen Psalmengesänge der Mönche mit dem Orgelspiel des berühmten „Kontrapunktisten“ Sixt Bachmann blieben ihm unauslöschlich in der Erinnerung. 1803 endete der Aufenthalt in Obermarchtal mit der Säkularisierung der Klöster. Lucian Reich berichtet von einer außerordentlich heftigen Erkältung, die der Knabe sich bei der Rückkehr ins Elternhaus in einem offenen Fuhrwerk bei großer Kälte zugezogen hatte. Wahrscheinlich ist hier der Grund seiner immer wiederkehrenden und immer heftiger und gefährlicher werdenden Erkältungen zu suchen. Diese Erkältungen hinderten ihn später außerordentlich, nahmen allmählich chronische Form an und mögen schließlich mittelbar die Ursache seines durch Blutsturz erfolgten Todes geworden sein. 18)
Die erwähnte Neigung zur Indisposition und seine baldige Mutation führten ihn dem Klavierspiel zu; auch die Piccoloflöte soll er virtuos gespielt haben. Damals lernte Schelble in einer Zeitschrift einen Auszug aus Forkels „Ueber Bachs Leben und Kunstwerk“ kennen, und schöpfte aus ihm die Kenntnis von Bachs Mechanik des Klavierspiels, die ihm fortan als Richtschnur für sein Studium diente. 19)
Dem Wunsche seiner Eltern gemäß bezog er bald das Gymnasium in Donaueschingen, setzte dort die in Marchtal begonnenen Sprachstudien fort und wurde außerdem Gesangsschüler des fürstlichen Kammersängers Weiß 20) der eine strenge, aber einseitige Methode gehabt haben soll 21) jedenfalls war dies der erste Unterricht, den er von einem künstlerisch gebildeten Lehrer erhielt. Wahrscheinlich hat Weiß ihn nicht nur in Gesang, sondern auch in anderen Zweigen der Tonkunst unterrichtet, soweit er es vermochte. 22) Der Unterricht war in Rücksicht auf spätere Verwendung in der „Hofmusik“ unentgeltlich.23)
Die Lateinschulakten 24) im Fürstlich-Fürstenbergischen Archiv zu Donaueschingen berichten, daß Schelble 1804 „in suprema grammatica“ war, und eine lobende Erwähnung erhielt. Dagegen scheint er im Endexamen 1804 nicht besonders gut aufgefallen zu sein; es heißt da in einer handschriftlichen Randbemerkung:
„Schelble. So dumm als Zapf und ebenso unfleißig als dumm“ 1805 war er nicht mehr Schüler des „Gymnasium Fürstenbergicum ad fontes Danubii 25) Sicherlich hat er sich auch während seiner Gymnasialzeit eben mehr mit Musik als mit Grammatik beschäftigt und daher ist das obige Urteil mit der Betonung „unfleißig“ leicht zu verstehen.
In Donaueschingen wurde zu jener Zeit die Musik, insbesondere das Theater von dem Fürstenbergischen Hofe außerordentlich gepflegt.26) Sowohl eigne als auch von auswärts herbeigerufene Künstler vermittelten dem Publikum in ausgezeichneten Aufführungen im Fürstlich-Fürstenbergischen Hoftheater Werke der dramatischen Kunst. Schelble wirkte sowohl als Sänger wie als Schauspieler, in Konzerten wie im Theater mit. Schon 1805 erwarb er sich als Sechzehnjähriger den Beifall des Fürsten gelegentlich einer Aufführung von Dalayrac’s ,Die beiden Savoyarden* 27) Die Eltern Schelbles schienen an seine künstlerische Berufung noch nicht recht zu glauben; der Vater wünschte jedenfalls, daß er einen praktischen und gesicherten Beruf ergreife und so trat er denn 1806 als Akzessist in das F. F. Hauptarchiv ein. Seinen Unterricht bei Weiß und seine musikalische Tätigkeit am Hofe behielt er jedoch bei. Diese Tätigkeit war bis zum September 1807 unentgeltlich, von Oktober ab erhielt er eine jährliche, widerrufliche Gratifikalion von 66 fl. und nahm die Stelle eines Hofkammerexpedilors ein. Die Tätigkeit im F. F. Archiv dauerte nicht lange: Schelbles Liebe für die Musik ließ sich nicht länger zurückhalten. Sein Talent strebte zu weiterer Betätigung und Ausbildung einem größeren Wirkungskreise und einem Meister zu, der es vollenden sollte.
Trotz größten Widerstandes 28) von Seiten seiner Eltern, die ihn am Archiv in Donaueschingen halten wollten, ließ sich der sonst überaus pietätvolle Sohn nicht von seinem schon längere Zeit gehegten Plane abbringen, zu weiterer Ausbildung zu Abt Vogler nach Darmstadt zu gehen. 29) Die Eltern gaben endlich nach; im Jahre 1807 verließ Schelble Hüfingen und wandte sich zunächst nach Stuttgart.
13) Der Name wird öfters falsch geschrieben: F. J. Fétis, Biographie universelle des musiciens Band 7 (1870) schreibt Schelble; Hofmeister (Kataloge Band VI S. 535) zeigt gar das Erscheinen seiner Singeübungen unter Schelble, J. M. (!) an. 14) In den Standesbüchern in Hüfingen findet sich nur der Taufeintrag (Mitteilung von Herrn Dekan Schatz, Hüfingen). 15) Herr Professor Revellio, Villingen, der das Hüfinger Stadtarchiv durchgearbeitet hat, versicherte mir, daß nichts auf Schelble Bezügliches dort zu finden sei. 16) Reich a. a. O., Weismann u. ff. Die Jugend Schelbles ist mit allen Anekdoten ausführlich bei Reich beschrieben; wo nicht anders angegeben, folge ich Reich. 17) Fr. X. Gleichauf, Briefbiographie Schelbles im Archiv des Cäcilien-Vereins. 18) Ed. Berndorfs Angabe in seinem „Neuen Universallexikon der Tonkunst“, Offenbach 1861 Band 3 (Artikel Schelble): „krankhafte Disposition der Gehirnnerven“ scheint mir danach auf einem Irrtum zu beruhen. 19)Briefliche Biographie Schelbles von Fr. X. Gleichauf (Archiv des Cäcilien-Vereins); bei Reich a. a. O. heißt es irrtümlich: Zeitschrift Forkels. Die Anekdoten aus jener Zeit, die bei Reich zu finden sind, gehen auf Fr. X. Gleichauf (Briefbiographie) zurück. 20) J. B. Weiß war Schüler des berühmten Tenoristen Anton Raaff (Raff) (1713-97) in München. 21) Reich a. a. O.; Genaueres ist über diese Methode nicht zu ermitteln. 22) Nach Weißmann a. a. O. soll Schelble bei Weiß Gesang-, Klavier- und Kompositionsunterricht gehabt haben. 23) Nach einer Milteilung des Herrn Dr. Barth, Donaueschingen an mich. 24) Auszüge daraus verdanke ich Herrn Dr. Barth; derselbe hat mir auch in liebenswürdiger Weise das Wichtigster Barden Besson lakten Schelbles vom Jahre 1806 im F. F. Archiv excerpiert; darauf gründen sich obige Angaben. 25) Wenigstens wird er in der Klasse nicht mehr erwähnt. 26) Das Fürstlich Fürstenbergsche Hoftheater zu Donaueschingen 1775-1850. herausgegeben vom F. F. Archiv, Donaueschingen 1914; darin über Schelble S. 73 und im Personenregister. 27) Reich, a. a. O., S. 278. 28) Er droht sogar mit heimlicher Flucht aus dem Elternhause (vgl. Reich, S. 279). 29) Von dieser Absicht, zu Abt Vogler nach Darmstadt zu gehen, erfahren wir aus dem oben erwähnten 1. Brief aus Stuttgart; das ist auch die Quelle für Gleichauf, Weismann und Reich und die ihnen folgenden anderen biographischen Vorlagen. Der Rat, bei Vogler zu studieren, geht nach Reich von dem F. F. Hofrat und Leibarzt Rehmann in Donaueschingen aus.
Hoftheater Donaueschingen
III. 1807-1814 Stuttgart, Theater- und Lehrertätigkeit, Reise nach Wien.
Ueber diese seine erste Reise und über seinen Empfang in Stuttgart gibt ein Brief an seine Eltern vom 23. 12. 1807 Auskunft.30) Danach begleitete ihn sein Vater ein Stück Weges, der über Schönbrunn zunächst nach Hechingen führte; dort suchte er den ihm von Donaueschingen her bekannten „,F.-F. Musik- und Rittmeister“ von Hampeln auf. In Stuttgart wandte er sich gleich nach seiner Ankunft an den Galeriedirektor Seele, 31) der ihn freundlich aufnahm und ihn zu J. B. Krebs 32) führte.
Krebs nun wurde für Schelbles weitere Ausbildung und für seine ganze Laufbahn ausschlaggebend. Da Schelble besonders Gesangsstudien, weniger aber Kompositionsstudien betreiben wollte, so riet ihm Krebs davon ab, bei Vogler Unterricht zu nehmen, da er diesen wohl für einen ausgezeichneten Theoretiker, nicht aber für einen ebensolchen Gesangslehrer hielt. 33) Er wies daher Schelble an den „vortrefflichen Harmonisten und beliebten Melodisten“ Danzi, den er auch als Menschen außerordentlich schätzte; 34) bei diesem sollte Schelble die Kompositionskunst studieren. Krebs selbst übernahm die Prüfung der Stimme und verschaffte ihm. da dieselbe zu seiner Zufriedenheit ausfiel, Gelegenheit, sich vor dem König in einem Konzert hören zu lassen. Der König ließ ihm bald darauf eine Stelle am Theater anbieten. 35)
Schelble konnte sich nicht gleich entschließen, die Theaterlaufbahn einzuschlagen, nahm aber schließlich am 16. 2. 1808 die Stellung als königlicher Hof- und Opernsänger mit tausend Gulden Jahreshonorar an.36) Krebs wurde sein treuer Schutzpatron.
Schelble wohnte bei ihm, kam dort mit anderen Kunstjüngern zusanmen und stand unter dem wohltätigen Einfluß seiner klaren und edlen Persönlichkeit. Krebs wurde in seiner Begeisterung und Liebe für die Kunst ein Vorbild, das niemand besser widerspiegelte als Schelble selbst. Der ehemalige Plan, bei Abt Vogler in Darmstadt zu studieren, wurde aufgegeben.37)
Es steht nicht sicher fest, ob er in Stuttgart noch Gesangsunterricht genossen hat; wahrscheinlich war Krebs noch einige Zeit sein Lehrer. 38) Jedenfalls war seine Stimme bei seinem Weggang als Stuttgart (1814) noch nicht vollendet: er schreibt aus Wien noch von eifrigen Studien und von Verbesserung seines Gesanges.
Kompositionsunterricht nahm er vermutlich bei Danzi.39) Er studierte vor allen die Streichquartette und Streichquintette Mozarts, die er „sich in Partitur setzen ließ“ 40) In dieser Zeit entstanden eine Reihe von Streichquartetten, seine Oper 41) „Graf Adalbert“ und einige kleinere Klaviersachen. Damals verbreiteten sich die pädagogischen Ideen Pestalozzis in Süddeutschland. Ihre Anwendung auf das Gebiet der Musik war schon 1810 durch Nägelis Gesangschule gezeigt worden; überall wurden Schulen errichtet. die die Grundsätze des großen Schweizer Pädagogen verwerten sollten. Auch in Stuttgart wurde am 31. 12. 1811 ein Kunstinstitut 42) gegründet, um den Nachwuchs für das Orchester und das Theater nach Pestalozzischer Methode heranzubilden. Die besten Kräfte des Hoftheaters waren die Lehrer dieser Anstalt, die im Jahre 1818 wieder aufgelöst wurde. Schelble unterrichtete von Anfang des Jahres 1812 an bis zu seiner Abreise nach Wien in diesem Institut.
Die Leipziger Allgemeine Musikal, Zeitung bringt uns in Nr. 220 vom 13. 5. 1812 unter „Nachrichten aus Stuttgart“ einen eingehenden Bericht 43) über das Institut und insbesondere über Schelbles Lehrtätigkeit, den ich wegen seiner Wichtigkeit als einzige Quelle im Anhang meiner Arbeit beigefügt habe. Die Stuttgarter Lehrmethode Schelbles ist durchaus von der Frankfurter Lehrmethode, die allgemein gemeint wird, wenn überhaupt von der „Schelble’schen Methode“ gesprochen wird, zu unterscheiden.44) Jene war eine allgemeine Unterrichtsmethode in Pestalozzischem Geiste: sie sucht die melodische Kraft, die im Schüler vorhanden ist, durch Selbsttätigkeit des Schülers zu entwickeln; er muß gleich anfangs Melodien erfinden, und zwar solche, die den inneren, seelischen Anteil des Erfinders bezeugen, die er innerlich „anschaut“. Die Methode dagegen, die Schelble in Frankfurt verwandte die Schelble’sche Methode – war eine spezielle und diente zur Entwicklung des Gehörs. Ein gewisser Zusammenhang zwischen beiden ist insofern festzustellen, als Schelble auch in Frankfurt das Pestalozzische Entwicklungsprinzip beibehielt und die Schüler, um ihre Freude am Lernen zu erhöhen, kleine Phrasen und Melodien erfinden ließ. Genaueres über die weitere Entwicklung der Methode in Stuttgart wissen wir nicht.
Auch über seine Theaterlaufbahn läßt sich heute nicht mehr viel berichten. Die Theaterzettel45) verzeichnen sein erstes Auftreten am 14. 2. 1808 als Don Guzman in Mozarts „Don Gio-vanni“ nun läßt sich sein Name bis zum 25. 11. 1813 feststellen: er singt Tenor- und Baritonrollen in Opern von Dalayrac, Mozart, Spontini, Winter, Paër, Weigl.18) Am 9. März 1814 wurde Schelble aus dem Hoftheater entlassen.47) Es mögen mancherlei Gründe gewesen sein, die Schelble veranlaßten, die Stadt zu verlassen:48) ein Ruf an das Wiener Hoftheater,49) der ihm innewohnende Drang nach weiterer Ausbildung und nicht zuletzt auch Streitigkeiten 50) mit der Gemahlin seines Freundes und Lehrers Krebs, die ihm den weiteren Aufenthalt in Stuttgart 51) verleideten.52) Man ließ ihn nur ungern von Stuttgart ziehen. 53)
30) Dieser Brief ist bei Reich a. a. O. S. 280-81 vollständig abgedruckt; ich habe daher hier auf eine Wiederholung desselben verzichtet. Das Original ist nur als Fragment erhalten. 31) Nach Reich waren die Eltern Schelbles und Seeles miteinander bekannt. 32) J. B. Krebs (1774-1851) war ein berühmter Tenorist; er studierte zuerst Theologie, dann Gesang bei Weiß. Als Sänger und Regisseur in Stuttgart tätig, schrieb er Lieder, Oratorien, verfaßte Operntexte und Uebersetzungen. Seine Stimme, die einen ungewöhnlichen Umfang besaß, wurde um die Wende des vorigen Jahrhunderts als Ideal hingestellt. (Vgl. Leipziger allgemeine musikal. Zeitung, 1806.) 33) Vogler war kurz vorher einige Zeit in Stuttgart gewesen; Krebs kannte ihn daher persönlich und nannte ihn, Schelble gegenüber, geizig und habsüchlig. Alle diese Angaben gründen sich auf den schon erwähnten Brief Schelbles nach Hüfingen. 34) Interessant ist diese zeitgenössische Hochschätzung Danzis; vgl. Reipschläger: „Schubaur, Poissl und Danzi als Komponisten“ (Rostocker Dissert., 1911) 35) Nach Reich a. a. O. S. 283. Von hier ab fließen die Quellen schon etwas reichlicher. Genannt seien vor allem die 39 Familienbriefe Schelbles, die ich von Frl. Reich in Hüfingen zur Einsicht erhielt. Allerdings sind die meisten in der Frankfurter Zeit geschrieben; vgl. Anhang über den Nachlaß Schelbles. Reich scheint in diese Briefe Einsicht gehabt zu haben. 36) Wie mir aus den Akten des württembergischen Staatsarchivs mitgeteilt wurde, lautete der Kontrakt vom 16. 2. 1808 auf 3 Jahre und wurde am 27. 6. 1811 unter gleichen Bedingungen erneuert. Ueber die Verhandlungen wegen des Vertrags vgl. Reich, S. 283. 37) Grove: „Dictionary of music and musicians“, Vol. 4, London 1908 irrt also, wenn er schreibt: „he [Schelle] spent some time with Vogler and then with Krebs“. Dieser Artikel ist überhaupt sehr ungenau in seinen Angaben. 38) Fr. X. Gleichauf a. a. O. 39) Sicheres ist nirgends über seine Lehrer in Stuttgart zu finden, es dürfte aber keinem Zweifel unterliegen, daß er von 1807-12 bei Krebs und Danzi Schüler war. 40) Fr. X. Gleichauf a. a. O. 41) Die Oper hatte bei ihrer Aufführung in Stuttgart keinen Erfolg, vgl. R. Krauß: Das Stuttgarter Hoftheater, Stuttgart 1908, In der Allgemeinen Deutschen Biogr. (Artikel Schelble von Robert Eitner) ist irrtümlicherweise Wien als Entstehungsort der Oper angegeben. 42) Vgl. R. Krauß: Das Stuttgarter Hoftheater, S. 134. 43) Hier tritt uns Schelle zum 1. Mal öffentlich entgegen; von da ab wird sein Name häufiger in den Zeitungen genannt. Reich hat obigen Artikel (S. 284) kurz angezogen. Wenn es in dem Bericht (vgl. Anhang) heißt, daß Schelle nach Pestalozzischen und eignen (nicht Nägelischen) Grundsätzen unterrichtete, so unterliegt es für mich doch keinem Zweifel, daB Schelble die große Gesangschule von Pfeiffer-Nägeli gekannt und auch teilweise verwertet hat, zumal das Stuttgarter Institut unter den Subskribenten dieses Werkes zu finden ist. 44) Schon Schelbles Lehrer Krebs hat in dem Brief, den ich als Anhang VI meiner Arbeit milgab, diesen Unterschied erwähnt. (Vgl. Anhang.) 45) Die Theaterzettel des Hoftheaters Stuttgart (Stultgarter Hofbibliothek) sind von mir durchgesehen worden. Vorhanden sind sie von 1807-13, Jahrgang 1814 ist verbrannt (Theaterbrand 1901); 1815 war Schelble schon in Wien. 46) Er singt in Stuttgart (1808 14) wie auch in Wien (1814-16) die gleichen Rollen wie in Frankfurt (1816–19): ich verweise daher auf die Besprechung der Frankfurter Theaterzeit und den Anhang II. 47) Nach den Akten des württembergischen Staatsarchivs in Stuttgart. (Mitleilung der Direktion an mich.) 48) Ob Schelble in Stuttgart Beziehungen zu C. M. v. Weber (von 1807 bis 1810 in Stuttgart) hatte, konnte ich nicht feststellen. 49) Genaueres Datum seiner Abreise ist nicht mehr zu ermitteln. Da am 9. März 1814 sein Kontrakt mit dem Theater endete, so fällt der Zeitpunkt derselben zwischen 9. März und 9. Mai 1814, den Tag seines ersten Auftretens in Wien. Weismann a. a. O. S. 11 gibt irrtümlich 1813 als Reisejahr an. Ueber die Reise selbst ist nichts bekannt. 50) Reich a. a. O. S. 286. 51) Brief aus Stuttgart an seine Mutter, ohne Datum. 52) Als er in Wien Briefe aus Stuttgart erhält, schreibt er unter anderem nach Hause (22. 9. 1814): „ich meinerseits werde Krebs, dem ich viel verdanke, nie undankbar vergessen‘. Auch Krebs selbst blieb weiterhin bei seiner Hochschätzung Schelbles: vgl. Anhang VI. 53) Die allgem, musikal. Zeitung in Leipzig vom 18. 5. 1814 berichtet von seinem Weggang nach Wien und rühmt seine Verdienste als Sänger und Lehrer.
J.N. Schelble, Lithografie von Heinrich Ott. Foto: Frankfurt am Main: Stadt- und Univ.-Bibliothek
IV. 1814- 1816 Wien, Preßburg, Wien, Berlin, Frankfurt.
Am 9. Mai 1814 trat Schelble als Lorendano in Paërs „,Camilla“ zum ersten Mal am Hofoperntheater in Wien auf. Der Erfolg war kläglich: Schelble wurde ausgelacht.54) Nach diesem Mißerfolg ließ Schelble in mehrere Wiener Blätter einrücken, „daß er plötzlich vor der Vorstellung von einer Heiserkeit befallen worden sei und keineswegs Herr seiner Stimme war“ und „daß dieser erste Versuch keineswegs als richtiger Maßstab in der Beurteilung über ihn als Sänger gelten könne“ 54) Am 28. Juni spielte er den Baron Kronthal in der Oper „Der lustige Schuster“ von Paër, wiederum mit gänzlichem Mißerfolg. „Nicht durch unzählige Läufer – besonders wenn diese noch ungleich, unrein und ohne Festigkeit vorgetragen werden – . läßt sich das hiesige Publikum bestechen. Herr Schelble befleißige sich zuerst, eine Scala von 8 Tönen mit voller Sicherheit sich anzueignen, Worte mit Gesang deutlich zu verbinden, dann, wenn sein Gesang die Herzen der Zuhörer berührt,
54) Leipziger allgem. musik. Zeitung vom 22. 7. 1814, „Nachricht aus Wien“.
Seite 18- 29 der Dissertation liegen leider nicht vor!
Schelble und der Cäcilienverein
(Der Gesangverein, Schelble als Dirigent. seine Stellung in Frankfurt, Liedertafel, die Aufführungen des Vereins, die Bach . bewegung, Schelbles Verhältnis zum Cäcilienverein bis zu seinem Tode)
Noch in Schelbles Theaterzeit 148) fällt jenes bedeutsamste Ereignis der Frankfurter Epoche, dessen Auswirkungen Schelbles Namen für immer in die Musikgeschichte eingereiht haben: die Gründung des Cäcilienvereins (24. 7. 1818), 149) dem Schelble bis zu seinem Tode seine ganze künstlerische Arbeitskraft, seine ganze Persönlichkeit widmete. Der Ursprung des Cäcilienvereins ist in den musikalischen Veranstaltungen, die Schelble in seiner Wohnung 150) abhielt, zu suchen; dort wurde vor allem Quartett gespielt 151) und gesungen.
Spohr trug hier – mit Schelble, Kastner und Just – seine sechs Männerquartelte vor, die er damals komponiert hatte, 152) Aus diesen ersten Anfängen, den Gesangsveranstaltungen bei Schelble, zu denen sich bald mehr und mehr Sänger und Sängerinnen einfanden, 153) erwuchs der Cäcilienverein. Die Tatsache, daß sich unter Jenen, die Schelble kraft seiner künstlerischen Persönlichkeit zu sich hinzog, auch Mitglieder des Düring ’schen Gesangvereins befanden, darf nicht Anlaß werden, Schelble und seiner Tätigkeit unlautere Absichten zuzuschreiben, wie es Caroline Valentin in ihrem Aufsatz über Düring 154) getan hat. Gewiß war Dürings Gesangverein der erste in Frankfurt und als solcher der Ursprung aller späteren; aber Düring war nicht die Künstlerpersönlichkeit, die das je hätte durchführen können, was Schelble in kurzer Zeit mit dem Cäcilien-Verein infolge seiner künstlerischen Ueberlegenheit verwirklichte. 155) Immerhin kann Düring die Genugtuung beanspruchen, daß die Mitglieder seines Vereins später auch die Stützen des Cäcilien-Vereins wurden. 156)
Am 24. Juli 1818 konnte Schelble, der besonders von M. v. Willemer in seinen Bestrebungen unterstützt wurde, die erste Probe abhalten; am 28. Oktober fand das erste Konzert in seiner Wohnung statt. Ich will hier auf die einzelnen Daten der Geschichte des Cäcilien-Vereins nicht näher eingehen. Das Archiv des Cäcilien-Vereins und die gesamte auf ihn bezügliche Literatur habe ich durchgearbeitet; da jedoch alle bedeutenden Ergebnisse schon veröffentlicht sind, so verweise ich auf die beiden Festschriften des Vereins aus den Jahren 1868 und 1918.157) Aus einem Plan Schelbles, den Cäcilien- Verein mit der Kirche in Verbindung zu bringen, und ihn dadurch „städtisch“ zu machen,scheint nichts geworden zu sein. Er berichtet aber darüber an seinen Schwager Reich: 158)„Ich habe vom hiesigen Consistorium den Auftrag erhalten, einen Plan zur Errichtung einer Kirchenmusik in der Katharinenkirche, der Hauptkirche der Lutheraner zu entwerfen, und die Stelle als Kapellmeister ist mir angetragen. Sie ist nicht einträglich, aber ich werde die Sache doch nicht von der Hand weisen; denn ich hoffe den Verein mit dieser Kirche in Zusammenhang zu bringen, und so würde dieses Institut ein städtisches und für immer fest begründet. 159) Das Verhältnis Schelbles zu seinem Verein, das zuerst nur ein sehr lockeres gewesen war, wurde im Jahre 1821 durch einen zehnjährigen Vertrag sichergestellt. Im gleichen Jahre begann der Verein, der nun etwa 100 Mitglieder zählte, seine regelmäßigen Abonnementskonzerte.
Ab hier verzichte ich auf die zahlreichen Fußnoten
Schelble war nun endlich an die Aufgabe herangetreten, für die er geschaffen war: als Dirigent eines ausgezeichneten Chores die Kunstwerke der großen Meister zu vermitteln. Er war theoretisch vollkommen geschult, ein ausgezeichneter Pianist, ein trefflicher Sänger, der seinem Verein stets durch Vorsingen die Interpretation klar machen konnte, er war vor allem Lehrer und ein Erzieher der Stimmen, und alle diese Eigenschaften vereinigten sich in einer von einem starken, klaren Willen beherrschten Führerpersönlichkeit, die durch ihre Begeisterung für die klassische Kunst alle mitreißen mußte, die mit ihr in Berührung kamen.
Ueber die Art und Weise, wie Schelble dirigierte, wird uns so gut wie nichts berichtet. Der Taktstock war von Spohr in Frankfurt eingeführt worden. Ob Schelble von dieser Neuerung Gebrauch gemacht hat, läßt sich nicht erweisen. Von seinem Zeitgenossen Ferdinand Hiller wird Schelble als „ein fester und feuriger Dirigent“ bezeichnet. Moritz Hauptmann, an den nach dem Tode Schelbles ein Ruf zur Nachfolgerschaft ergangen war, schrieb an seinen Freund Wilh. Speyer in Frankfurt: „Von diesem Direktor, wie er sein soll, nun auf mich zurückzukommen, so bin ich leider genötigt, zu sagen, daß von den vorgenannten und gerühmten Qualitäten (Hauptmann hatte alle Vorzüge des Sängers, Pianisten und Dirigenten Schelble aufgezählt die notwendigsten mir fast gänzlich abgehen. Ich bin nicht Sänger, viel zu wenig fertiger Klavierspieler und messe mir in der Direktion nicht das geeignete Wesen, was ich als ein angebornes anerkennen muß, in hinlänglichem Grade zu, um ein würdiger Nachfolger Schelbles werden zu können.“ Die Berichte der Zeitungen bestätigen uns das glänzende Zeugnis, das Hauptmann dem Dirigenten Schelble ausstellt:
Musik- und Tageszeitungen in Frankfurt kennen nur Lob und Bewunderung für die Leistungen des Cäcilienvereins und seines Leiters. Mit größter Sorgfalt und unermeßlicher Geduld arbeitete letzterer indessen an der Verbesserung der Stimmen im einzelnen wie in der Gesamtheit und konnte bald zur Aufführung größerer und schwierigerer Werke fortschreiten. Binnen kurzem wird der Frankfurter Cäcilien-Verein in den Konzertkritiken der Zelterschen Singakademie in Berlin an Fähigkeit und Leistung gleichgestellt, ja ihr sogar übergeordnet: er galt als der erste Oratorienverein in ganz Deutschland. Ohne auf die einzelnen Konzerte und die zahlreichen Kritiken der Tages- und Musikzeitungen einzugehen, verweise ich auf den Anhang, und werde hier nur die allgemeine künstlerische Tätigkeit des Instituts und deren Bedeutung insbesondere für die Bachbewegung be-trachten.
Schelble inaugurierte mit dem Cäcilien- Verein um 1820 einen Aufschwung im Musikleben der Stadt Frankfurt. Vergegenwärtigen wir uns die Lage von damals: Die Oper war durchaus noch nicht auf der späteren Höhe; wohl wurden Mozarts Opern oft auf-geführt, aber es wurde auch sehr viel Seichtes, nur der leichten Unterhaltung Dienendes gespielt. Das Orchester war wie fast immer in Frankfurt ausgezeichnet, jedoch klagen die Zeitungen über den Mangel an guten Sängern. Der Düringsche Verein machte nur wenig von sich reden. Da war es nun für das Musikleben der Stadt, für die Geschmacksverbesserung und für die Erhöhung der musikalischen Bildung des Frankfurter Publikums von nicht genug zu schätzender Bedeutung, daß Schelble mit seinem Dilettantenverein, dem die besten Kreise des Bürgertums angehörten, die Chorwerke eines Haydn, Mozart und Cherubini, und vor allem die Oratorien Händels zum ersten Mal in Frankfurt bekannt machte. Es ist daher keineswegs übertrieben, wenn F. Hiller von Schelble schreibt: „Wie viel Liebe und Bildung zur ernsten Tonkunst er seiner Zeit in Frankfurt verbreitete, ist garnicht zu sagen das Beste, was die schöne Mainstadt nach dieser Seite hin besitzt, stammt noch von ihm her.“ Schelble wurde bald neben dem genialen Guhr der Führer des Frankfurter Musikwesens. Während aber der vielseitige Guhr außer seiner Theatertätigkeit noch zahlreiche Konzerte dirigierte, selbst als Solist auf mehreren Instrumenten hervortrat und bei keiner künstlerischen Veranstaltung fehlte, wirkte Schelble ausschließlich mit dem und durch den Cäcilien-Verein. Wie Zelter in Berlin, so gründete auch Schelble in Frankfurt aus dem Cäcilien- Verein heraus zur Pflege des guten Männergesanges die Frankfurter Liedertafel im Jahre 1826; dieselbe konnte sich aber wegen ihrer Exclusivität nicht lange halten und ging schon 1827 wieder ein. Es tauchen in den nächsten Jahren noch mehrere Liedertafeln auf, um aber alsbald wieder einzugehen; Zusammenhänge derselben mit Schelble und dem Cäcilien- Verein konnte ich bei meinen Forschungen nicht feststellen. Immerhin gab Schelble, als Gründer des ersten Männergesangvereins, den Anstoß dazu, diesen Zweig des Chorgesangs in Frankfurt heimisch zu machen,, und er wird daher mit Recht als der „Vater des Frankfurter Männergesangs“ bezeichnet.
Wenden wir uns nun dem Cäcilien-Verein selbst zu und überblicken die Aufführungen desselben unter Schelbles Leitung, so zeigen sich uns deutlich zwei Perioden: bis zum Jahre 1829 werden die Werke Händels, von da ab diejenigen Bachs bevorzugt; doch finden wir in der ersten Periode schon Werke von Bach, wie in der zweiten noch solche von Händel. Neben diesen Pfeilern in dem musikalischen Entwicklungsgange des Vereins werden aber durchaus auch die bedeutendsten Zeitgenossen, Beethoven, Spohr, später Mendelssohn und Hauptmann gepflegt. Es ist also ganz ungerechtfertigt, wenn Chrysander in seinem Aufsatz über Schelble, dessen Programmen Einseitigkeit vorwirft. Händel trat zwar später hinter Bach zurück, wurde aber keineswegs ver-gessen; allerdings – darin hat Chrysander Recht – war Schelble insofern durchaus ein Kind seiner Zeit, als er das Klavier, den Continuo, nicht als integrierenden Bestandteil jener altklassischen Musik erkannte.
Deshalb ist ihm aber kein Vorwurf zu machen; es ist für uns heute viel wichtiger, daß Schelble jene Musik überhaupt aufführte; daß er, nachdem er Händel in Frankfurt eingeführt hatte, sich als einer der ersten wieder mit Bachs Werken beschäftigte.
Für die Bachbewegung wurden Schelbles Beziehungen zu Mendelssohn und Franz Hauser besonders wichtig. Hatte Mendelssohn in Berlin durch Zelter die erste Bekanntschaft mit Bachs Werken gemacht, als er in dessen Chor mitsang, so hatte Schelble sich aus eigner Initiative die Aufgabe gestellt, dieselben in Frankfurt aufzuführen und zwar zu einer Zeit, als die ganze Bachbewegung noch lange nicht im Gange war (etwa um 1825). Die Molette „Ich lasse Dich nicht“, die er schon im Jahre 1821 im Cäcilien-Verein singen ließ, ist allerdings nicht, wie die Aufführungsverzeichnisse des Cäcilien- Vereins angeben, von Joh. Seb. Bach, sondern von Joh. Cristoph Bach. 183)
Von der Matthäuspassion erhielt nun Schelble nicht durch Mendelssohn, sondern durch den berühmten Franz Hauser Kenntnis, der 1822 von Berlin nach Frankfurt an die Oper kam. Hauser besaß eine selbst angefertigte Abschrift der Partitur der Passion, die er in irgendeiner Weise auch Schelble übermittelte. 188) Schon in jener Zeit bildete sich Schelble aus dem Cäcilien- Verein heraus einen kleinen, aus besonders befähigten Sängern bestehenden Bachchor, mit dem er in seiner Wohnung den Meister zu studieren begann. Unterdessen hatte auch Mendelssohn die Partitur der Matthäuspassion durch Abschrift von Zelters Manuskript erhalten. Diese beiden Bestrebungen in Frankfurt und Berlin, Bachs Werke wieder zum Leben zu erwecken, laufen nun nebeneinander her, schöpfen auseinander Anregungen – Hauser dürfte dabei öfters den Vermittler gespielt haben und bleiben in gegenseitiger Beziehung. Das Jahr 1827 brachte hier wie dort die ersten Proben für die Aufführung der Passion; zunächst nur in kleinerem, besonders befähigten Kreise: Schelble überwand auf diese Weise den Widerstand, der sich im Verein gegen Bachs schwierige Polyphonie erhob; Mendelssohn machte es in Berlin nach dem Vorbild Schelbles ebenso.
In Frankfurt wurde das Jahr 1827 noch besonders bedeutsam durch die Beethoventotenfeier im Cäcilien- Verein mit der Aufführung des Sanctus und Benedictus aus dessen „Missa solemnis“. Das Jahr 1828 brachte den eigentlichen Beginn der Bachrenais-sance. Schelble hatte sich 1825 von der Nägelischen Partitur der H-moll-Messe Bachs eine Abschrift verschafft, er nahm dieses zweite Riesenwerk Bachs neben den Proben für die Matthäuspassion, in Angriff, führte 1828 das „Cedro“ daraus auf und leitete damit die Bachbewegung energisch ein. Im folgenden Jahr fiel endlich die Entscheidung für das Wiederaufleben unseres größten Meisters: Am 11. März 1829 gelang es dem genialen Jugendeifer Felix Mendelssohns, Schelble mit der Aufführung der Matthäuspassion zuvorzukommen; es lag lediglich an äußeren Umständen, daß die Frankfurter Aufführung erst am 2. Mai des gleichen Jahres nachfolgte. In einem seiner Briefe nach Hüfingen beschrieb Schelble die Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellten und das Unverständnis, mit dem man der Bachschen Musik begegnete. Daß die Aufführung eine ausgezeichnete war, dürfen wir den Kritiken ohne weiteres glauben, über die Art derselben war nicht mehr viel zu ermitteln.
Die ganze Passion wurde, wie in Berlin, mit Kürzungen aufgeführt; die Choralgesänge wurden durch Schülerstimmen verstärkt. Schelble wirkte nicht nur als Dirigent, sondern sang auch die Partien des Evangelisten und des Christus. Er arbeitete sich deren Recitative in den „normalen Recitativstil“ um, allerdings nur „für sich und seinen eignen Gebrauch“ Offenbar hat er sie nivelliert und dem „Parlando“ angeglichen, was wohl auch Moser meint, wenn er sagt, daß Schelble „neue Evangelistenrecitative in Rossinischem Secco nachkomponierte, weil die echten als zu dramatisch erschreckten“. Ob Schelble in dem gleichen Irrtum befangen war wie M. Hauptmann, der die Bachschen Recitative völlig mißverstand, stelle ich dahin; es wäre immerhin möglich, daß er die Bearbeitung nur im Hinblick auf seinen eignen Vortrag, dem die ruhigere, weniger dramatische Linie besser und näher lag, vornahm.
Bis zu seinem Weggang von Frankfurt widmete sich Schelble nun mit rastlosem Eifer, mit Sorgfalt und Liebe der Pflege der Bachschen Vokalmusik, ja er versuchte auch dessen Instrumentalmusik zu berücksichtigen. Vor allem aber machte er die große Passion durch zahlreiche Aufführungen zum Eigentum des Vereins wie des Frankfurter Publikums und forderte dabei die Kritik der Frankfurter Blätter immer wieder zum Lob und zur Bewunderung dieses einzigartigen Kunstwerks wie auch seiner Interpretation heraus. Nach der Berliner Erstaufführung der Matthäuspassion wurden die Bestrebungen zur Wiedererweckung der Werke des Meisters noch lange nicht allgemein; es folgten nur wenige Städte dem Beispiel Frankfurts. Ich halte daher diese unermüdlichen Wiederholungen der Bachschen Passion, dieses intensive Eintreten Schelbles für unseren größten Meister am Anfange der ganzen Bewegung für besonders wichtig: Frankfurt blieb dadurch ein fester Stützpunkt der Bachrenaissance; es bleibt unverständlich, wie Chrysander diese Tatsache verkennen und Schelble Einseitigkeit vorwerfen konnte.
Kretzschmar berichtet uns, daß auch die Idee einer Bachgesellschaft von Schelble ausging; in einem Brief an Franz Hauser entwarf er einen Plan derselben, der allerdings erst lange nach dem Tode Schelbles seine Verwirklichung fand. Aus dem Gesagten geht Schelbles hervorragende Bedeutung für die Bachrenaissance, die bis heute keineswegs die verdiente Würdigung erfahren hat, klar hervor; er war einer der tatkräftigsten und begeistertsten Führer jener Bewegung am Anfang des vorigen Jahr-hunderts, die uns unseren Bach wiedergeschenkt hat.
Leider wurde Schelble allzufrüh seiner fruchtbaren Tätigkeit entrissen. Wie in Frankfurt überhaupt, wo sein musikalisches Urteil maßgebend war, so war er auch im engeren Kreise seines Vereins außerordentlich beliebt. Wir finden im Archiv desselben zahlreiche Gedichte, namentlich von Marianne v. Willemer und Weismann, die alle eine feinsinnige Verehrung für den Meister bekunden, und. ihn selbst oder seine Begeisterung für alle echte Kunst verherrlichen. Trotz alledem zogen sich die reichen „Garantisten“ des Cäcilien-Vereins wegen eines lächerlich geringen Defizits im Jahre 1831, nach Ablauf des zehnjährigen Kontrakts, zurück, zu einer Zeit, als der Verein auf der Höhe seiner Leistungen angekommen war. Schelble beschämte diese „Frankfurter“ indem er das Institut auf eignes Risiko fortsetzte. So änderte sich zwar an der Leistung und am Bestand des Cäcilien-Vereins nichts; da aber Schelble jetzt auch der gesamte ökonomische Teil des Direktoriums zur Last fiel, so machte sich bald bei seiner ohnehin nicht sonderlich starken Gesundheit die Ueberanstrengung bemerkbar. Anfangs des Jahres 1836 zwang ihn seine Erkrankung zur Aufgabe seiner Tätigkeit in Frankfurt, nachdem er sich schon 1835 öfters durch seinen Schüler Voigt in den Singeübungen hatte vertreten lassen müssen.
Dieser übernahm dann bis Juni, von da ab Felix Mendelssohn bis Ende Juli, darauf Ferdinand Hiller und schließlich Ferdinand Ries die Leitung des Vereins. Sie alle aber konnten dem Verein seinen „Gründer und Erhalter‘ nicht ersetzen. Die Hoffnung, daß er zurückkehren werde, erfüllte sich nicht. Schelble starb, als er von einem Spaziergang in seinen Garten zurückkehren wollte, am Eingang desselben durch einen Blutsturz in den Armen seiner geliebten Gattin am 6. August 1837 abends um ½7 Uhr. Der Cäcilien-Verein hielt ihm am 26. August im Frankfurter Dom eine würdige Totenfeier.
Alles, was ich über Schelbles Nachlaß ermitteln konnte, habe ich im Anhang III meiner Arbeit zusammengestellt.
*Die Briefe werden zu einem späteren Zeitpunkt hier veröffentlicht. (der Rest der Dissertation ist sehr speziell und nur für Fachleute zu erschließen)
148) Es ist ganz unverständlich, wenn C. Gollmick (Autobiographie S. 90) schreibt: Seine (Schelbles) Phasen zwischen Theater, Museum und Cäcilien-Verein, worin Schelble vom Jahre 18 1 3 (sic!!)(1818) an fast gleichzeitig wirkte“. Schelble war nie gleichzeitig in diesen drei Instituten tätig; wohl aber in der Musikal. Akademie, dem Museum und dem Theater; vgl. darüber weiter oben (S. 24).
149) Als 11. Oratorienverein in Deutschland; die vor ihm gegründeten sind: 1. Singakademie Berlin (1791) 2. Singakademie Leipzig (1800) 3. Gesangverein Stettin (1800) 4. Musikverein Münster (1804) 5. Dreissig’s Singakademie in Dresden (1807) 6. Gesangverein Potsdam (1814) 7. Singakademie Bremen (1815) 8. Singakademie Chemnitz (1817) 9. Musikverein Schwäbisch-Hall (1817) 10. Musikverein Innsbruck (1818) vgl. H. Kretzschmar: Chorgesang, Sängerchöre und Chorvereine S. 408 (in: „Sammlung musikal. Aufsätze“ von Waldersee, 1879).
150) In den Akten „Urgeschichte* des Cäcilien-Vereins wird als 1. Wohnung Schelbles das „Bögnersche Haus“ bei der Weißfrauenkirche, Eckhaus der Papageigasse, angegehen. In dem Frankfurter Staatskalender und Adreßbüchern jener Zeit fand ich keine Wohnungsangabe; dort findet sich erst im Jahrgang 1820 (Frankfurter Staatskalender S. 20) Schelbles Namen: er wohnte damals „Hinter der Schlimmen Mauer“ [heutige Stiftstraße]; dann zog er in ein Haus am Domplatz (vgl. „Urgeschichte“) und schließlich in das Königswartersche Haus an der „Schönen Aussicht“ [gegenüber der Stadthibliothek], wo er bis zu seinem Weggang aus Frankfurt wohnte. Schelble wurde in späteren Adreßbüchern (1834) immer als „fremd“ geführt, d. h. er hatte sich das Bürgerrecht Frankfurts nie erworben.
151) Spohr, Baldenecker (auch Bürger), Engel und Hasemann; meist Sonntag-vormittag; vgl. „Urgeschichte‘
152) Gollmick a. a. O. S. 90 : (op. 44).
153) Darunter vor allem natürlich Schüler Schelbles (siehe Gleichauf a. a. O.).
154) C. Valentin: Heinr. Düring, der Begründer des 1. Frankfurter Gesangvereins in Alt-Frankfurt, Vierteljahrsschrift für seine Geschichte und Kunst, Jahrgang V (1913). Die Verfasserin ist ungerecht gegen Schelble (vgl. S. 331) und verkennt dessen Charakter durchaus.
155) Daß die Tätigkeit des Düringschen Vereins nicht sehr bedeulend gewesen sein kann, geht aus der Bemerkung Gollmicks (a. a. O. S. 90 f) hervor: der Düringsche Verein schlafe.
156) Dürings Verein bestand noch eine Zeit lang neben dem Cäcilien- Verein und ging bald nach 1830 ein (C. Valentin a. a. O.); er gab noch Konzerte mit wenig gespielten Opern als Ergänzung zum Theater. Ueber Schelble und Düring vgl. auch das Urteil von Dr. H. Weismann in: „Der Frankfurter Liederkranz‘ Festschrift zur Feier des 50: Stiftungsfestes, Frankfurt 1878
157) Dort ist auch die 1. Urkunde faksimiliert, ferner ein auf die Gründung des Vereins bezügliches Bild „Die neue Disputa“ erklärt und im Anhang Literatur zur Geschichte des Vereins zusammengestellt (von Prof. Dr. C.H. Müller); siehe auch Reich und Weismann a. a. O.
158) Hüfinger Brief, ohne Datum, derselbe ist im Jahre 1821 geschrieben, da Schelle darin von dem in diesem Jahre geschlossenen Contract mit dem Cäcilien-Verein spricht.
Nachruf an Schelble.
Verfaßt von Dr. Heinrich Weismann, Frankfurt 1837. (Dieser Nachruf ist auch in der Festschrift des Cäcilienvereins vom Jahr 1888 wiedergegeben.)
So ist er denn geschieden, unser Meister, Entfloh’n der Erde enger Kerkerhaft; Er, der Gewall’ge, der der Töne Geister Entfesselt uns mit seltner Geisteskraft. Ein Gott hat gnädig sein Geschick geordnet, Ihn rasch entrückt der langen Leiden Schmerz; Im Tempel der Natur hat er geendet, Ihn trugen Blumenengel himmelwärts.
Verwaist steh’n wir mit unsern stummen Klagen, Geschlossen ist der Tempel des Gesangs. Sein mächt’ger Geist wars ja, der uns getragen Zu jenen Höh’n des höchsten geist’gen Klangs. Bachs Genius war durch Ihn lebendig worden, Der Himmlische, verschollen fast und todt, Und wieder tönt in mächtigen Akkorden Des Lebensfürsten Sieg und Opfertod.
Er lehrt‘ uns Töne, die zum Herzen drangen, Weil sie vom Herzen kamen klar und rein; Zu höh’rer, himmlischer Musik umschlangen Uns seine Tön‘ in herrlichem Verein. Und wie sein Geist nur Edles konnte pflegen, Ein strenger Priester seiner Königin, So trat er auch im Leben uns entgegen, Ein edler Mensch in Wort und Tat und Sinn.
O laßt des edeln Meisters Angedenken das Band sein, das uns Alle fest umschlingt, Es mög‘ sein edler Geist uns ferner lenken, Daß Fremdes nicht in seine Schöpfung dringt. Der Geist lebt fort, wenn auch das Leben fliehet, Er hat uns sterbend, was er schuf, vertraut: Wir halten fest, was uns nach oben ziehet, Von wo er segnend auf uns niederschaut.
Von meinem Lieblingskünstler habe ich hier ein Jahr vor seinem 200. Geburtstag den Beitrag aufgearbeitet.
Aktualisiert, Originalbeitrag vom März 2023
Ein Mitglied des Hüfinger Künsterkreises war Rudolf Gleichauf (29. Juli 1826 in Hüfingen – 15. Oktober 1896 in Karlsruhe). Nachdem Luzian Reich einige Illustrationen des damals erst zehnjährigen Gleichauf an Julius Schnorr von Carolsfeld geschickt hatte und dieser Gleichaufs Talent bestätigte, erhielt Gleichauf ein Stipendium des Fürsten Karl Egon III. zu Fürstenberg an der Münchner Akademie bei Schnorr von Carolsfeld. Gleichauf folgte Schnorr von Carolsfeld 1846 dann nach Dresden an die Dresdner Akademie, wo er zahlreiche Kopien von Gemälden Alter Meister anfertigte.
Rudolf Gleichauf (1826 – 1896)
Litographie um 1850 von J.N. Heinemann
Elisabeth (Lisette) Reich (1819 – 1871) am Spinnrad; Katharina Heinemann (1828 – 1900) mit Kind; J. Nepomuk Heinemann, genannt “Muckle” (1817 – 1902) mit Fes (Mütze); Lucian Reich (1817-1900) mit Pfeife; Rudolf (Vetter) Gleichauf (1826 – 1896) rechts unter der Uhr; Josef Heinemann (1825 – 1901) mit Buch. Zeichnung aus den Wanderblühten.
1848 kehrte er zeitweilig nach Baden zurück. 1850 war er an der Städelschule in Frankfurt am Main. Um jene Zeit schmückte er die Trinkhalle in Baden-Baden mit einem Kinderfries aus. Dort befindet sich auch ein Relief aus gebrannter Tonerde von Gleichauf, das den Türkenlouis darstellt.
Von Frankfurt wurde er von Oberbaudirektor Heinrich Hübsch nach Karlsruhe berufen, um Bauten der Oberbaudirektion mit Wandgemälden zu versehen. Diese Tätigkeit führte er auch unter Hübschs Nachfolger Josef Durm fort. Zu Gleichaufs Werken aus dieser Zeit gehört die Darstellung der Hygeia am Giebel des Vierordtbades. Gleichauf schuf hier ein Bild in Freskomalerei, das allerdings binnen zweier Jahrzehnte verblasst war. Daher wurde das Bild 1892 im Lithokaustik-Verfahren auf Keramik übertragen und blieb so erhalten.
Giebel über dem Eingang des Vierordtbades in Karlsruhe mit Darstellung der Hygeia. (Lithokaustik 1892 von Professor Robert Ulke; übertragenes Original-Fliesengemälde (etwa 1872) von Rudolf Gleichauf)
Eid des Hippokrates Ἱπποκράτους ὅρκοςHippokratous horkos
„Ich schwöre, Apollon den Arzt und Asklepios, Hygeia und Panakeia sowie alle Götter und Göttinnen als Zeugen anrufend, dass ich nach Kräften und gemäß meinem Urteil diesen Eid und diesen Vertrag erfüllen werde.“
Die Deckentondi in der Alten Aula der Universität Heidelberg schuf Gleichauf in den Jahren 1885/86.
Allegorische Darstellung der Fakultät für Theologie.
Allegorische Darstellung der Fakultät für Theologie. Weibliche Sitzfigur mit den charakteristischen Attributen Bibel und Gesetzestafel mit den zehn Geboten. Teil eines Ensembles der vier Gründungsfakultäten der Universität Heidelberg.
Allegorische Darstellung der Fakultät für Philosophie.
Allegorische Darstellung der Fakultät für Philosophie. Weibliche Sitzfigur mit den charakteristischen Attributen Schriftrolle und Globus. Teil eines Ensembles der vier Gründungsfakultäten der Universität Heidelberg.
Allegorische Darstellung der Fakultät für Medizin.
Allegorische Darstellung der Fakultät für Medizin. Weibliche Sitzfigur mit den charakteristischen Attributen Schlange und Schale. Teil eines Ensembles der vier Gründungsfakultäten der Universität Heidelberg in der Aula der Alten Universität in Heidelberg. Interessant hierbei, dass die Dame bei der Skizze für die Familie die Brust bedeckt hat.
Allegorische Darstellung der Fakultät für Jurisprudenz.
Allegorische Darstellung der Fakultät für Jurisprudenz. Weibliche Sitzfigur mit den charakteristischen Attributen Richtschwert, Gesetzesbuch und Urkunde. Teil eines Ensembles der vier Gründungsfakultäten der Universität Heidelberg in der Aula der Alten Universität in Heidelberg.
Außer zahlreichen Wandgemälden hat Gleichauf im Auftrag des badischen Hofs und der badischen Regierung zwischen 1862 und 1869 auch 39 Aquarellbilder und eine Vielzahl von Kostümstudien geschaffen, die sich in der Badischen Landessammlung erhalten haben und für ein „umfängliches badisches Trachtenwerk“ geplant waren, das jedoch nicht vollendet wurde. Im Museum war 2009/2010 die Ausstellung mit Werken von Rudolf Gleichauf zu sehen: https://www.stadtmuseumhuefingen.de/rudolf-gleichauf/
Hier 5 der 10 Abbildungen aus dem Badischen Trachtenwerk:
Trachtenträgerin aus dem Hanauerland
Trachtenträgerin aus Neustadt Lenzkirch.
Trachtenträgerin aus dem Schappachtal
Trachtenträger aus dem Renchthal
Trachtenträger aus dem Hanauerland
Im Kelnhofmuseum in Bräunlingen befinden sich auch einige Drucke an der Wand:
Trachtenmädchen aus der evangelischen Ostbaar:
Die Grabsteine von Adolf Heer und seinem Freund Rudolf Gleichauf
Nach dem Tode Adolf Heers veranlasste der Landschaftsmaler Wilhelm Klose eine würdige Grabstätte für seinen Freund. Die Ausführung lag in den Händen von Bildhauer Johannes Hirt, der ein langjähriger Mitarbeiter von Heer war. Die zwei Bronzereliefs von Heer und Gleichauf am Grabstein sind mit J. Hirt signiert. Das Grabmal fand seinen Platz auf dem sogenannten „Hügel“ auf dem Friedhof in Karlsruhe.
Im Jahre 1976 hieß es im Südkurier: „Silberdisteln schmücken das gemeinsame Grab von A. Heer und R. Gleichauf, wo den Besuchern von der Friedhofsverwaltung erklärt wird: „Wir halten es für eine Selbstverständlichkeit und Pflicht, den Gräbern Heers und Gleichaufs unsere Aufmerksamkeit zu schenken“. Mit wenigen einprägsamen Worten wird die Bedeutung der Künstler skizziert: .. Heer und Gleichauf haben im vergangenen Jahrhundert mitgeholfen, die Züge des Kunstschaffens in Karlsruhe zu prägen“. *
Monate später wird dann in einem Schreiben an die Stadtverwaltung Hüfingen und wahrscheinlich auch Vöhrenbach (dort ist Adolf Heer geboren) angefragt, ob Interesse am Grabstein der beiden Künstler bestehe: „Das Grab wird aufgelöst.“
Die Stadtverwaltung holte die Grabsteine nach Hüfingen und sie stehen jetzt bei der Aussegnungshalle. Leider fehlt die kunstvolle Einfassung. Auch sollte die Inschrift erneuert werden.
Adolf Heer Bildhauer geboren 13. September 1819 gestorben 29. März 1898
Grabstein von Adolf Heer und Rudolf Gleichauf ohne die ehemals kunstvolle Einfassung.
Rudolf Gleichauf Historienmaler geboren 29. Juli 1826 gestorben 15. Oktober 1896
*Bildhauer Prof. Adolf Heer, Sein Leben und seine Werke auf der Baar und dem Umland von Erich Willmann Schriften der Baar 53, (2010)
aktualisierte Version, Original war am 07. Juli 2020
Als früher Vertreter der Hüfinger Künstlertradition gilt Johann Baptist Seele (27. Juni 1774 in Meßkirch – 27. August 1814 in Stuttgart). Sein Vater Franz Xaver Seele diente ab 1776 in Hüfingen als Unteroffizier im fürstenbergischen Kreiskontingent. Johann Baptist Seele stieg bis zum Hofmaler des württembergischen Königs auf.
Johann Baptist Seele 1792
Johann Baptist Seele1800
Johann Baptist Seele 1810
Der eigentliche Künstlerkreis entstand um den Unternehmer Luzian Reich (7. Januar 1787 in Bad Dürrheim – 18. Dezember 1866 in Hüfingen), auch genannt „der Ältere“. Er selber zeichnete mit „Senior“.
Katharina Schelble geb. Götz(01.11.1760-04.04.1847) gemalt von Luzian Reich (senior) ihrem Schwiegersohn im Jahre 1829 . Sie ist die Mutter von dem Musiker Johann Nepomuk Schelble und die Großmutter von Elisabeth Heinemann geb. Reich und Lucian Reich dem Jüngeren.
Eltern von Xaver, Lucian und Elisabeth: Luzian Reich und Josefa Schelble. Großeltern: Mathias Reich und Anastasia Buckin (Bad Dürrheim). Franz Josef Schelble und Katharina Götz (Hüfingen).
Auch gründete Luzian Reich zusammen mit seinem Schwager Schelble den Verein Freunde der Natur.
Der Bruder von Maria Josefa Reich (18. März 1788 -12. November 1866) war Johann Nepomuk Schelble (16. Mai 1789 in Hüfingen – 7. August 1837 in Hüfingen), der Gründer des Cäcilienvereinsin Frankfurt a. Main.
Im Jahre 1800 trat Johann Schelble als Chorknabe in das Kloster Marchtal ein wo er wissenschaftlichen und musikalischen Unterricht erhielt. Als das Kloster 1803 aufgehoben wurde, kehrte er zu seiner Familie nach Hüfingen zurück. In der Stadtmusik Hüfingen spiele er Piccoloflöte und besuchte die Schule in Donaueschingen, wo er an dem kunstliebenden Fürsten von Fürstenberg einen Beschützer fand.
In Hüfingen erwarb Schelble 1824 ein „Landgütchen“, das er sein „Ruhetal“ nannte. Mit 48 Jahren starb Schelble in den Armen seiner Frau am Eingang seines Hüfinger Hauses an der Bräunlinger Straße.
Foto von Karl Schweizer 1980
„Man kann kaum glauben, wie viel ein einziger Mensch, der was will, auf alle andern wirken kann; S. steht dort ganz allein…Er hat sich einen sehr bedeutenden Wirkungskreis geschaffen und die Leute im eigentlichsten Sinne weiter gebracht …“
Felix Mendelssohn Bartholdy in einem Brief an Carl Friedrich Zelter
Der Sohn von Luzian Reich senior war Lucian Reich junior (26. Februar 1817 in Hüfingen – 2. Juli 1900 in Hüfingen).
Lucian Reich senior etwa 1860 (Foto: Nepomuk Heinemann)
Lucian Reich junior (26. Februar 1817 – 2. Juli 1900) Lithographie von Johann Nepomuk Heinemann
Lucian Reich hat aus Geldnot erst am 8. August 1874 Margareta Stoffler (1825-1880) aus Geisingen geheiratet; die Tochter Anna Reich war deswegen unehelich und ihre Daten sind nicht bekannt. Anna Reich kam mit ihrem Vater später wieder nach Hüfingen und pflegte ihn bis zu seinem Tod am 2. Juli 1900. Danach heiratete sie einen verwitweten Landwirt in Neudingen und zog seine (8 ?) Kinder groß. Sie selber hatte nie eigene Kinder und starb hoch betagt in der Neudinger Mühle.
Lucian Reich wirkte jahrzehntelang als Zeichenlehrer am damaligen Großherzoglichen Lyceum in Rastatt. Einen Namen machte er sich vor allem durch seine heimatkundlichen Bücher und seine Illustrationen.
Elisabeth (Lisette) Reich (1819 – 1871) am Spinnrad; Katharina Heinemann (1828 – 1900) mit Kind; J. Nepomuk Heinemann, genannt „Muckle“ (1817 – 1902) mit Fes (Das Tragen eines Fes war im Biedermeier ein Zeichen der Gemütlichkeit); Lucian Reich (1817-1900) mit Pfeife; Rudolf Gleichauf (1826 – 1896) rechts unter der Uhr; Josef Heinemann (1825 – 1901) mit Buch. Zeichnung aus den Wanderblühten.
Die Tochter von Luzian Reich senior war Elisabeth Reich (15. Dezember 1819 – 24. Juni 1871). Sie heiratete am 31. Januar 1854 einen Schüler ihres Vaters, Johann Nepomuk Heinemann (30.05.1817 – 22.02.1902).
Elisabeth (Lisette) Reich 1819-1871
Allegorie der Donauquelle von J.N. Heinemann
Selbstportrait von Nepomuk Heinemann
Heinemann begann eine Lehre als Uhrschild-Maler in Neustadt. Danach lernte er in Donaueschingen die Technik der Lithographie. Wie alle Hüfinger Künstler hielt er sich in den folgenden Jahren, wie sein Bruder Joseph, zu Studienzwecken in München auf.
Bleistiftzeichnung Karl von Schneider (1847 – 1923) von Johann Nepomuk Heinemann
Johann Nepomuk Heinemann war einer der ersten Fotografen im Land. Auch das Fürstenhaus Fürstenberg in Donaueschingen zählte zu seinen Kunden. Dieses Geschäft blühte in den 1860er Jahren auf und zahlreiche Portraits von Zeitgenossen entstanden in seinem Studio.
So auch Amélie Karoline Gasparine Leopoldine Henriette Luise Elisabeth Franziska Maximiliane Fürstenberg. Geboren am 25.05.1848 Schaffhausen und verstoben am 08.03.1918 in Baden-Baden. Tochter von Karl Egon II Fürst zu Fürstenberg (1820-1892).
Die Tochter von Nepomuk Heinemann und Lisette Reich war Maria Josepha Heinemann („Marie“ 23. Dezember 1857 – 19. Mai 1948) die am 19. September 1881 den Kaufmann Karl Nober (Haus Nober Hauptstr. 5) geheiratet hat.
Marie Heinemann (1857 – 1948)
Marie und Kätherli (Katharina Heinemann 30.04.1828-27.01.1900. Kätherli war die Schwester von Nepomuk und Josef Heinemann) Fotos von Nepomuk Heinemann etwa 1868
Selbstbildnis von Johann Nepomuk Heinemann von 1840
Ein weiterer Sohn von Luzian Reich senior war Franz Xaver Reich (1. August 1815 in Hüfingen – 8. Oktober 1881 in Hüfingen). Nach initialer Förderung durch seinen Vater, kam Xaver Reich 1832 auf Empfehlung seines Onkels Johann Nepomuk Schelble an das Städelsche Institut. Durch seinen Onkel wurde er auch Mitglied in dessen Cäcilienverein.
Wilhelm August Rehmann, Leibarzt von Fürst Karl Egon II. zu Fürstenberg veranlasste, dass Reich eine Skizze modellieren konnte, welche die Donau mit ihren Zuflüsse Brigach und Breg zeigte. Karl Egon II. war vom Ergebnis begeistert und beauftragte Reich damit das Modell 1837 im großen Maßstab herzustellen. Im Schloss Hüfingen erhielt er von seinem Mäzen dann ein Atelier geräumt, um die Gruppe in Sandstein auszuführen. Die Sandsteingruppe wurde auf der „großen Insel im Schwanenweiher“ (heute: Pfaueninsel) im Schlosspark von Donaueschingen aufgestellt.
Danubiagruppe auf der Pfaueninsel (Postkarte 1906)
Nach Vollendung der Arbeit machte sich Xaver Reich 1842 zu einer Romreise auf. Aufenthalte in Pisa, Florenz und in Verona begeisterten ihn für die Tradition der Blumenteppiche.
Nach Vorbild aus Portici fertigte er in Hüfingen vor seinem Elternhaus den ersten Blumenteppich und legte so den Grundstein einer langen Tradition.
Film von Ernst Kramer in den späten 1920er
Franz Xaver Reich wohnte mit seiner Familie im ehemaligen Anwesen seines Onkels Johann Nepomuk Schelble an der Bräunlinger Straße. In Hüfingen hatte er die Ziegelei seines Vaters übernommen und zu einer Terrakottenbrennerei umgewandelt. In ihr brannte er plastischen Schmuck. (aus dem Denkbuch von Lucian Reich)
Ziegelhütte und Terrakottenbrennerei Reich. Sie stand da, wo heute der Kofenweiher ist.
Der Engel auf der Elisabetheninsel, den Fürst Carl Egon II in Erinnerung an seine früh verstorbene Gemahlin Elisabeth aufstellen ließ, wurde nach einem Entwurf von Xaver Reich gegossen. Zu seinen Donaueschinger Arbeiten zählt auch das Turnierrelief an der Reithalle.
Die Inschrift auf der Vorderseite des Sockels lautet: „Der Gerechte ist auch in seinem Tode getrost. Sp. Salomon 14, 23“ auf der Rückseite: „Karl Egon Fürst zu Fürstenberg seiner unvergeßlichen Frau Elisabeth, Prinzessin Reuß ä. L. zu Greiz. geb. 23. März 1824, gest. 7. Mai 1861“. Das Denkmal wurde nach einen Entwurf von Xaver Reich gegossen.
Als die Donauquelle im Schloßhof neu gefaßt und umgruppiert wurde, gestaltete Xaver Reich die Gruppe: „Die junge Donau als Kind im Schoß der Mutter Baar“. Sie musste allerdings in den siebziger Jahren der Marmorgruppe des Vöhrenbacher Bildhauers Adolf Heer weichen, die heute noch die von Adolf Weinbrenner geschaffene Quellfassung schmückt. Reichs Gruppe fand in der Nähe des Zusammenflusses von Brigach und Breg eine vorläufige Bleibe und wurde 2025 am neu gestalteten Donauzusammenfluss wieder aufgestellt.
Die junge Donau als Kind im Schoße der Mutter Baar von Xaver Reich von 1875. Sandsteingruppe am alten Zusammenfluss von Brigach und Breg in Donaueschingen. Foto aus dem Jahr 1980.
Ein weiters Mitglied des Hüfinger Künsterkreises war Rudolf Gleichauf (29. Juli 1826 in Hüfingen – 15. Oktober 1896 in Karlsruhe). Gleichauf erhielt ein Stipendium des Fürsten Karl Egon II. zu Fürstenberg an der Münchner Akademie bei Schnorr von Carolsfeld.
Rudolf Gleichauf 29. Juli 1826 in Hüfingen – 15. Oktober 1896 in Karlsruhe
Außer zahlreichen Wandgemälden hat Gleichauf im Auftrag des badischen Hofs und der badischen Regierung zwischen 1862 und 1869 zahlreiche Aquarellbilder und eine Vielzahl von Kostümstudien geschaffen, die sich in der Badischen Landessammlung erhalten haben und für ein „umfängliches badisches Trachtenwerk“ geplant waren, das jedoch nicht vollendet wurde.
Unten Allegorische Darstellungen der Fakultäten für Theologie, Philosophie, Jurisprudenz und Medizin für die Universtität Heidelberg von Rudolf Gleichauf.
Theologie
Philosophie
Jurisprudenz
Medizin
Die zwei Bronzereliefs des Bildhauer Johannes Hirt auf dem Grabstein von Adolf Heer und Rudolf Gleichauf befinden sich auf dem Hüfinger Friedhof.
Adolf Heer Bildhauer geboren 13. September 1819 gestorben 29. März 1898
Grab Adolf Heer und Rudolf Gleichauf
Eine Schwester von Rudolf Gleichauf war mit dem Künstler Josef Heinemann (27.12.1825 – 02.04.1901) einem Bruder von Johann Nepomuk Heinemann, verheiratet.
Josef Heinemann (1825 – 1901) Bleistiftzeichnung von seinem Bruder Johann Nepomuk Heinemann.
Marie Heinemann (1857 – 1948) Gemalt von ihrem Taufpaten Josef Heinemann.
Auch Josef Heinemann studierte wie sein Schwager Gleichauf an der Münchner Akademie bei Julius Schnorr von Carolsfeld.
Jacob schenkt Joseph einen bunten Rock (1850) Die selten dargestellte Szene der Josephsgeschichte des Alten Testaments entstand im Umfeld von Bibel-Illustrationen. Heinemann arbeitete an verschiedenen Editionen sogenannter Bilder-Bibeln mit.
Bildnis der Ida Müller, verh. Maier (1841) Heinemann porträtiert die 20-jährige Blumen- und Stillebenmalerin als „Tochter aus gutem Hause“. Die noch ungleiche anatomische Exaktheit von ausdrucksstarkem Gesicht und summarischer Hand zeigt, dass es sich um ein Jugendwerk des 18-jährigen Zeichners handelt.
Mehr Fotos und Infos zum Hüfinger Künstlerkreis gibt es auch auf der Seite des Stadtmuseums:
Herrgottstag gesprochen von Maria Simon am 13. Juni 2023
Wenn des de Freiherr von Drais no mitkriegt hett
Herrgottsdag- Morge Aafang 1920- er Johr: Am Untere Bahwartshiesli z Degginge sind Motter Sophie, de Wilhelm, d` Berte , s`Klärli und de Seppli mit em Sunntigshäs vor de Hieslitüre fertig zum Abfahre an Herrgottstag gi Hifinge. S Häergatter isch kontrolliert, dass jo kon Fuchs im Hennefang e Bluetbad aarichtet S. Mekker- Gäessli und grunzig s `Süehli isch gfuetteret und und de Duubeschlag speerangelwiit uffklappt. D Sophie isch e Ur- Hifingeri und sie hät en Hotz ghierote, de Lixx, de Felix Hilpert vu Hiesere bei St. Bläsi im Obere Hotzewald. Ihn häts gi Degginge ad Bah verschlage. S kursierend Familie Grüecht sait, dass er ebbis verbootzget heb, de bärestark, oerche Haumoeschter us de Urwaldähnliche Wälder um Hiesere rum. Dä, z Uurberg, Dachsberg, Blasiwald und Menzeschwand kennt er sich uus wie im oegene Hosesack. Dä hinne hond sie scho immer gern gwilderet. De Lochheiri, de muusarm Gietler mit eme Stall voll Kind häts mit em Lebe zahlt. De gnadelos Waldhieter hät ihn in Flagranti verwischt und mit de Flinte verschosse. S Opfer isch wege dere Gnadelosigkeit aber zum heimliche Held, zum „Ganghofer“, vum St. Bläsemer Land wore. Die Not vu dene ville Halbwaisle vum Lochheiri us em Mucheland hond die raue Hotze dem Förster und de Obrigkeit uff langeewig nit vergesse. Sogar e Wirtschaft „Zum Lochheiri“ i de Iisebrechi bi Schluechs gihts, ganz zum Aadenke an den Wilderer, der us Mundraub- Not gwilderet hät. Wege so ere ähnliche Kummedi isch also de Lixx wahrschienli entweder freiwillig vu dä vertloffe oder sie honds ihm nahegleit. Er soll doch lieber oehmets änni gau, wo`s weniger dichte Wälder und weniger Reh und Hase gäb. Zum Biispiel uff die offe Boor.
So soll also de Lixx gi Degginge kumme sii, a d Bah und is „Unter Bahwartshieli“. Dä wo jetzet de Thomas Esslinger huuset. Dä sind au alli vier Kind uff d Welt kumme. Dieselle Kind also vum Lixx und de Hiefingeri, de Sophie, geborene Kramer, d Schweschter vum letzte Städlibuur Beppi Kramer, us em Siesse Winkel, sind dä z Degginge uffgwahse.
Hai, Hai, hucket huff
Vor em Bahwartshiesli stoht e Gamp- Draisine nebem Gleis. Gamp Draisine sind die bei de Bahn normale Gschierer, die i de Mitti zwei Schwengel hond wie bei ere Gillepumpi zum uff- und abgampe. En Exzenter triebt denno d Achs aa. Im Gegensatz zu de neie, moderne Tourischte- Draisine mit Fahrradtreter und Ketteritzel. Mit e paar Flüech schindet de bomstark Lixx des Gschier uff s Gleis. De ältscht, de Wilhelm, au scho e gross Kamel, hilft ihm debii. Im Lixx sin legendäre Fluech, der sich bald i de ganze Familie iignischtet hät, war : „Mundidie“, nu den därf er i sim Hotzejähzorn uussiblose, wenns wieder mol klemmt. Dodruff aachet die gottesfüerchtig und volksfromm Sophie wie en Gendarm. Vu wege die booremer Universalflüech wie „Herrgottsackrament“, „Himmel Arsch und Wolkebruch“ oder „Gottverdammi“. So holose, gottsläschterliche Fluech usem Hotze- und Buurefluechrepertoir gihts bi de Sofie nit. Nit ummesuscht isch de ältscht, de Wilhelm, später au Pater und Missionar z Brasilie wore. Den zuelässige, nit biichtpflichtige Fluech, hät übrigens de Lixx us em 1. Weltkrieg us Lothringe mitbroocht, und denno verhotzewälderet. Er kunnt lammfromm und d Sophie äschtimiert nuu den Fluech. Er kunnt vum französiche „Mon Dieux“.
D`Berte, d`Motter Sophie, de Josef, s`Klärle, de Felix und de Wilhelm vor em Bahwartshiesli z Degginge (dehindert s Fahrrad mit Karbidfunzel)
Getti Wilhel und Sigfried Kramer
Also stieget alli noch em letschte luute „Mundidie“ uff die verrusste, mit em Staubwedel, em Honefiefer, abgstaubte Sitzbänkli vu de Draisine. Vorher isch no en aalte Heardepfelsack uff d Dielebretter Sitzbänk gleit wore. De Vater Lixx und de Wilhelm gond an Gamp- Schwengel und die Draisine nimmt Fahrt uff gege Huuse und Hifingen. De Fahrplan vu de Hölletalbah hät de Bähnler natierli genau im Kopf und die uffzoge Sackuhr zoeget genau aa, wenn sie z Hiefinge ab em Gleis sii mond. Weils geg Hiefingen liicht bergab goht rennst wie de Deifel und i 20 Minute micket de Lix am Herregarte, D Maidli, de Josef und d Sofie stieget ab, sortieret s Feschtagshääs und de Wilhelm und de Lixx schindet die bolleschwer Draisine uffs Bankett. Jetzt kaa de Zug vu Eschingen gi Friiborg, oder de Bregtäler gi Fortwange dampfe und schnuufe.
Herrgottstag
Fascht jede Gmond hät sin hochheilige Fiirtig. Entweder s Patrozinium, oder, wie uff de Reichenau de Markustag, z Weingarte de Bluetritt, de Leonhardi Tag z Lenzkirch, z Appezell Fronleichnam oder ebe z Hiefinge de legendär und populär Herrgottstag. Die Däg zellet fascht meh wie die Hochfeschter Wihnächte, Oschtere oder Pfingschte.
No isch vor em Hochamt Ziit zum beim Getti, em Brueder und em Schwoger, bei Kramer Beppi und de Emme im Süesse Winkel uff en Zigorie Kaffe mit frisch bachenem Zopf vorbei z gucke. Die ganz Kramer Sippe füllt aaschliessend oe ganzi Bankreihe im Hochamt i St. Verena uus und innbrünschtig wered die Lieder, die an ere Schiebenummere Tafel unter de Kanzel hängt, im Magnifikat uffgschlage und mitgsunge. Noch em erhebende Te-Deum mit Orgelgebraus stellt mer sich zu de Prozession uff. De Pfarr mit de Monschtranz unterm Baldachim, unterm Himmel, voruus. Nuu er schriitet würdevoll mit em Allerheiligschte über de kunstvoll und hingebungsvoll uusgleit Hiefinger Bluemeteppich. Die farbefroh und aarührend Art de Natur und de Schöpfung z huldige, des hät de Xaver Reich vun ere Studiereis anne 1841 us Italie mitbroocht und dodemit Hiefinge und de Herrgottstag, Fronleichnam im ganze Südweschte berühmt gmacht. So könnts immer no sii, wenn nit die Wiesemonokulture, des Silofuetter und de Kunschtdünger die wunderbare booremer Bluemewiese fascht ganz uusgrottet hättet. Tausende Schauluschtige verfolget gerührt mit eme sanfte Gänsehautgfühl des Gesamtkunstwerk wenns stattfindet, den spirituelle Hifinger Kult: Die poesivoll, volksfromm Prozession über d Bluemeteppich, vorbei a de kunstvolle Bluemebilder- Altärli vor de Hieser.
Mir gond zum Herrgottstag
Noch dem erhebende Ritual gihts no bim Getti e gueti Nuddlesuppe, en Schunke im Brotdoeg mit Herdepfelsalot und en Zigorie Kaffe mit eme Käskueche und eme steife, fettige Buureschlagrohm. De Getti und de Lixx rauchet no en Burgerstumpe, d Wiiber verzellet und verkartet s Neischt us em Städtle , de Verwandschaft, vu Hiesere und vu Degginge.
Herrgottstag anne 2019 z Hifinge
Hoemfahrt
D Sackuhr vum Lixx zoeget aa, dass mer die Zugpause um Vieri nutze muess, zum mit de Draisne hoem, gegg Degginge z`Giege. D Draisine word wieder uffs Gleis gschunde und de Wilhelm und de Lixx mond jetzet aber draa. Mundidie. Es goht nämli berguff und do rennt des Monstrum nimme so gattig wie bei de Aafahrt zum Herrgottsdag.
Die Aareis vu dere Bagage mit ere Draisine düerft die kuriosescht Bsucherfahrt vum Hifinger Herrgottsdag zu dere Ziit gsii sii. Do kummet nit emol die Aafahrte vum Tal, vum Rande und de Westboor mit de kleine Bulldöggli aa, wo uff em ohne Radkaste Sitz d Grossmotter huckt, und uff em andere d Bierin. Und uff de Ackerschiene Kischte d Kind.
Und de Freiherr von Dreis het bestimmt die allergröscht Freid ghaa mit dere Reiseart mit sinere Bahgleis- Draisine , obwohl er wohrschienli evangelisch war.
Das Buch habe ich hier 2021 veröffentlicht. Allerdings veraltet auch eine Webpage ziemlich schnell und die nächsten Monate möchte ich die einzelnen Kapitel aktualisieren. Deswegen werde ich jedes aktuelle Kapitel wieder nach vorne kramen. Das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift hatte ich damals vorgelesen, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise. Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript in schwarz. In blau sind unten Erklärungen dabei.
Jedermann kennt den Volksglauben, nach welchem es keinen Samstag im Jahre gibt, an dem nicht wenigstens ein Stücklein blauen Himmels zum Vorschein kommt. Man sagt, die himmlische Haushaltung sei zu Gunsten Marien’s ausdrücklich so eingerichtet worden, damit unsere liebe Frau den frischgewaschenen Schleier jeden Sonntag trocken habe, um in die Kirche oder über das Gebirge gehen zu können.
Den Verweis hierfür mögen Wetter- und andere Propheten führen. So viel ist entschieden gewiss, dass zu Anfang der 20er Jahre, am 24. Juli, dem Samstag vor dem Jakobifeste, das zufällig auf den Sonntag fiel, der klarste blauste Himmel sich über dem alten Städtlein Hüfingen wölbte. Damals war sein Aus- und Eingang noch jeglicher mit einem Tore gesegnet; und hing noch ein gutes Stück der verwitterten Stadtmauer umher. Die Sonne stand schon tief. Auf dem Gartenhängen waren da und dort weiße Kleidungsstücke von jener Gattung aufgehängt, die ein redliches Gemüt geradezu Hosen zu nennen wagt, sie sahen frisch gewaschen und appetitlich aus und hatten eine kriegerische Bedeckung von Säbelkuppeln und Fangschnüren. In der Ferne hörte man trommeln. Buben von zehn, zwölf Jahren marschierten einen entlegenen Feldweg hin und übten sich in dieser nützlichen Kunst. Auf den Lauben (Galerien) der Häuser wurden dunkelblaue Uniformen mit weißen Aufschlägen ausgeklopft. Wer im Felde zu tun hatte, der machte sich früher als gewöhnlich heim, um noch so Manches für morgen herzurichten. Der hatte sein Säbelgefäß und die Rockknöpfe noch mit Ziegelmehl abzureiben, dieser mußte sein Tschako noch lackieren, jener erwartete vom Schuhmacher die neuen Stiefel, die er morgen einweihen wollte. Alles sprach nur von morgen und freute sich des schönen Wetters.
„Wenn es nur auch so hält“, sagte der alte Hafnermeister, in den er seinen Sappeursbart, den er morgen anlegen wollte, wieder ein wenig heraus ausstaffierte. „Es bleibt gut“, bemerkte ein Nachbar, der sassianene Gerbermeister. „Mein Laubfrosch sitzt jetzt schon seit vorgestern früh hoch auf der Leiter, und das Männle am Rathausfähnle läßt gutes Wetter supponieren.“ „Es wird einen merkwürdigen Zulauf von Fremden geben“, erwiderte der Andere. Und was war denn das für ein Tag, auf welchen so ausgebreitete Zurüstungen gemacht wurden? Es galt nichts weniger, als das Fest des heiligen Jakobus, Kirchenpatrons von Hüfingen, das seit uralten Zeiten mit geziemender Würde begangen wird.
Zur Zeit unserer Erzählung war dieser Tag für die ganze Baar sozusagen ein Volksfest, zu welchem die Gäste von nah und fern zusammenströmten. Nicht wenig zum Glanz des Tages trug eine bürgerliche Miliz und ein Musikkorps bei, welche beide nach dem Muster anderer kleinen Städte auch hier errichtet worden waren. Die Musik, von ihrem unermüdlichen Kapellmeister aufs trefflichste eingeübt, hatte den Beifall aller Hörer und die wackeren Musketiere exerzierten und manövrierten, dass es eine Lust war, ihnen zuzusehen. Und weil dazumal noch nicht jeder alte Student und Gevatter Handschuhmacher sich einbildete, ein größerer Mann zu sein, der das Volk beglücken und Deutschland umgestalten müsse, so ginge alles im besten Contento, zur Freude für Jung und Alt.
Der damalige Major und Bürgermeister war ein Kriegsoberster, der trefflich Manneszucht zu halten wußte, und recht stattlich sah es aus, wenn er in der Uniform mit kurzen hirschledernen Beinkleidern und Suwarowstiefeln, ähnlich einem Erzherzog Karl oder Fürst Schwarzenberg, vor der Fronte stand.
Die Seele der Armada von Hüfingen aber, wenigstens wenn man ihn selbst hörte, war der alte Marte, der zu dieser Stunde noch auf der Stiege hinter seinem Hause stand und bedächtig das Wetter beobachtete, ob die Sonne kein Wasser ziehe oder ob der Wind sich nicht drehe. Wahrscheinlich wäre er noch lange so gestanden, wenn nicht ein kleiner Bub in der Eigenschaft eines Feldjägers atemlos und schwitzend daher gelaufen wäre mit der Meldung, alles sei versammelt, man warte nur noch auf ihn.
Gedachter Marte war der Feldwaibel beim Corpo, der die Rekruten einschulen mußte, und zu diesem Behufe hatte er auch das Exerzieren gründlich studiert bei den Österreichern. Unter vier Augen ließ er oft Winke fallen, dass selbst der Major „das Meiste von ihm habe“. „Gleich!“ sagte er, „gleich werd‘ ich erscheinen.“ Er rückte noch einmal seine Waffen zurecht, und eilte durch das Städtlein, wo vor allen Häusern gekehrt, an allen Brunnen gefegt und gewaschen wurde, hinaus auf den Anger vor dem Schützenhause. Sobald er anlangte, stellte sich das Bürgerkorps in Reih und Glied und begann sämtliche Schwenkungen und Manövers, welche das morgige Fest verherrlichen sollten, zur Vorübung auszuführen. Hinter her aber zog ein Haufen von Buben mit Bohnenstecken statt der Gewehr, und machten alle Exercitien glücklich nach.
„Stellt euch“, sagt der Major und Bürgermeister, als diese beendet waren. „Stellt euch nur morgen auch Alle präzis ein und nehmt euch zusammen, besonders was das Feuern anbelangt, dass wir den alten Ruhm nicht einbüßen“.
Nach dieser öffentlichen Anrede zog er den Feldwebel Marte und den Korporal-Nachtwächter auf die Seite und flüsterte diesen seinen Vertrauen zu: „Ihr Leut‘, ich fürcht‘, dass uns die Zwei“ – hier winkte er verstohlen gegen zwei Rekruten hin – „morgen bei den Salven Confusion machen. Entweder schießen sie vor, oder, was noch schlimmer, sie laden unrichtig. Es wird gut sein, wenn sie morgen gar keine Patronen erhalten.!
„Herr Major“, warf der Feldwaibel mit wichtiger Miene ein: “ das wird’s nicht wohltun; wofür verzürnen die Leutele. Ich weiß ein besser Mittel, laßt mir mich machen. Morgen, bevor und dass wir einmarschieren, will ich tun, als visitiere ich ihre Musketen, und werde dann unvermerkt jedem einen tüchtigen Lichtstumpfen auf die Schwanzschraube hinunterstoßen; dann schießt keiner vor, es gibt kein Unglück, und die Leut‘ haben ihre Plaisir.“ – Der Major gab dieser Maßregel seine oberbefehlshaberliche Genehmigung und commandierte demnächst „Auseinander“, worauf sich die Buben schon längst gefreut hatten, weil sie jetzt ihren Alten die Musketen heimtragen durften.
Während alles dieses in der Stadt vorging, schritten zwei junge Burschen die staubige Straße von Bräunlingen her. Der eine, mit der Sense auf den Rücken, kam aus dem Felde. Der andere schien auf der Reise begriffen zu sein; er mochte etwa 24 Jahre zählen, ein stämmiger Bursche mit braunem Haar und rötlichem Backenbart. Die Reise konnte aber nicht allzu weit gehen, denn er hatte offenbar seine Sonntagskleider an: Über den neuen schwarzen Lederhosen, den neuen grünen Samtschoopen und das rote Leible. In der Hand trug eine schwanke Haselnussgerte, mit welcher er von Zeit zu Zeit durch den Schwarm Mücken hieb, der vor ihnen hertanzte. K
„Konrad“, sagte der mit der Sense, „das kann ich dir sagen, seit du auf dem Hofe bist, kennt man dich fast nicht mehr, du bist ein Weltkerle geworden“. „D’rum bin ich gesund, Gott Lob“, erwiderte der im Sonntagsstaat, „Essen und Trinken schmeckt mir, und überflüssige Sorgen mach‘ ich mir auch keine“. „Ja, wenn eine gewisse nicht wär!“ „Du hast gehört läuten, und weißt nicht wo, Franzsepp“, meinte Konrad. „Was soll denn das für eine gewisse sein? – Vom Hörensagen lügt man gern“. – Er suchte ablenkend das Gespräch auf eine andere Materie zu leiten, uls sie bald hernach gegen das Städtlein kamen, so dass man die vergoldeten Zeiger der Turmuhr sehen konnte, machte er ein Paar von den blanken runden Knöpfen an dem roten Leibe auf, zog eine Uhr an silberner Kette heraus, und nachdem er sie zuerst an das Ohr gehalten hatte, ob sie noch gehe, verglich er sie mit der Kirchturmuhr.- „Sechs Uhr!“ , sagte er, „Die geht eine halbe Stund‘ früher als die Bräunlingerin. Sechse, Siebene – bis um Achte bin ich daheim.“ „Ei was! kannst’s du auch Neune werden lassen“, rief der Franzsepp. „Jetzt müssen wir noch einen Schoppen Schweizer oder Markgräfler miteinander trinken in der Sonne, denn so jung kommen wir doch nicht mehr zusammen.“ „Nichts da, sag Dank, ein andermal! für jetzt b’hüti Gott!“ „Aha, es zieht den Menschen eben heim; ei, das muss ja ein großmächtiges Zugpflaster sein, das so stark zieht. – Aber morgen kommst doch zum Fest?“ „Ja, freili'“, rief Konrad zurück, der sich schon eilenden Fußes entfernte. Auf der steinernen Brücke, die vor dem Tore über die Bregach führt, machte er Halt und sah den eben zu Ende gehenden Evolutionen auf dem Anger drüben zu. Die Brücke ist ein Hauptschauplatz im Leben der Bürger dieser guten Stadt. Besonders am Sonntag nach dem Mittagessen wandern sie in aller Seelenruhe zum Tore hinaus und lassen sich auf der breiten steinernen Brustwehr um den heiligen Johann von Nepomuk nieder. Denn unter Gottes freiem Himmel spricht sich ja gar so gut von Allem, was die Woche über passiert, von Altem und Neuen, von Kriegs- und Friedenstagen. Diese Sonntagsfreude ist aber einem fleißigen Bürger wohl zu gönnen, sie kommt auch wohlfeiler, als die im Wirtshause.
Heute, an so einem geschäftigen Abend, war natürlich niemand auf der Brücke zu sehen als ihr Patron, der seit alten Zeiten in Stein gehauen, auf der Brustwehr steht. Zur Feier des kommenden Festes hatte man ihm bereits einen großen frischen Blumenstrauß statt des alten verwelkten in den Arm gegeben; er schien sich aber wenig daraus zu machen. Mit gesenktem Haupt und bedächtiger Miene sah er, wie immer, dem Lauf des Baches nach, der in einiger Entfernung die Stadtmühle treibt.
Der Wanderer verließ die Brücke und gegen den Fußweg hin, dadurch abgemähte Wiesen führte. Er achtete wenig auf die im Wege liegende, mit Kreuzen und Namen bezeichneten Bretter, die den Vorübergehenden zum Gebet für die Verstorbenen ermahnen, und doch hielt er mitten in seinem Geschwindschritte oft plötzlich ein, und bald ging es wie eine hoffnungsreiche Morgensonne in seinem frischen Gesichte auf, bald zog sich die gebräunten Züge wieder zusammen, als ob finstere Nacht und böses Unwetter im Anzug wäre. Solches Zögern verschaffte ihm noch einen Genuß, den kein echter Hüfinger diesen Abend entbehrt haben würde. Denn nachdem die Betglocken, welche in der Umgegend den kommenden Festtage verkündigten, ausgeklungen hatten, erfüllte die türkische Musik, nach langer gründlicher Probe auf der Rathaussstube, die Straßen mit ihrem Getöse, und in ihrer Gesellschaft rasselte der Zapfenstreich weit in die still gewordene abendliche Gegend hinaus. Er traf das Ohr des Wanderers, der aus der Zerstreuung auffuhr und plötzlich seine Schritte beflügelte.
Was trieb ihn denn so vorwärts, und hier sind immer wieder stille stehen? Dachte er an die Zeit, wo er noch mit seinem Ältern zu dem Hüfinger Feste gegangen war? oder an laue Sommerabende, wie dieser, wo er mit seinen Kameraden bis in die späte Nacht hinein auf der Bank vor dem Hause sang und schwatzte, und die Mädchen ihnen von oben zu den offenen Kammerfenstern heraus gute Nacht wünschen? Oder ging ihm die „Gewisse“, mit der ih der Franzsepp aufgezogen hatte, im Kopf herum? –
Hier ist nun der Ort, wo ihr mich meinetwegen unterbrechen mögt. Unser Freund hat seine zwei guten Stündlein von Hüfingen zu dem Dorfe zu gehen, wohin er trachtet. Wir können ihn jetzt verlassen und an einen anderen Weg einschlagen; wenn wir unsere Schritte fördern, so kommen wir immer noch zur gleichen Zeit mit ihm an.
Nun, da werden wir eben in die Gegend des russischen Feldzuges zurückgehen müssen. Richtig. Der Marsch ist so weit nicht, als es den Anschein hat. Also, wie Konrad’s Eltern starben und sein und sein Xaver aus Russland, wo er im kühlen Schneebette schlief, nicht wiederkehrte, da hatte der 13-jährige Waisenknabe nur noch einen einzigen älteren Bruder. Der aber konnte sich selbst noch nicht helfen; er ging in den Dienst zu einem Vetter, der einen Hof oberhalb Mistelbrunn besaß. Durch Rührigkeit und Sparsamkeit hatte sich der Knecht bald so emporgeschwungen, dass er als Pächter des fürstlichen Meierhofes zu Waldhausen sich dauernd wieder niederlassen konnte. So blieb denn Konrad allein im heimatlichen Dorfe zurück. Dort nahm ihm ein Verwandter zu sich, der keine Kinder hatte, aber sehr für möglich war. Dieser Vatersbruder, den man den „Riedbauer“ nannte, war ein langer, hagerer Mann und sah fast dem hölzernen heiligen Antonius ähnlich, der auf dem Seitenaltar der Dorfkirche stand. Er sprach „wenig um einen Groschen“, wie man zu sagen pflegte; im Übrigen, wenn man ihn näher kannte, war er kein so übler Mann. Seine Frau war im Dorfe nicht sehr beliebt, auch stand sie keineswegs unverdient im Rufe des Geizes, denn sie wäre in der Tat im Stande gewesen, „die Laus und den Balg zu schinden“. Dieser trockene, einsilbige Vetter und dieses knickrische Weib war nun alles, was Konrad noch im Leben besaß, und kühle Tage kamen für ihn; denn was half es ihm, dass ihn sein Vetter im Stillen ganz gut leiden konnte? Der ließ sich nie darüber aus, und da ist der arme Konrad nicht merkte, so machte es ihm auch nicht warm. Arm aber war er wie eine Kirchenmaus; denn nach dem Verkauf seines elterlichen Gutes war über die Schulden hinaus so viel wie nichts übrig geblieben, und für ihn gab es keine Hoffnung, jemals ein freier Mann zu werden. Er wurde anfangs zum Hüten verwendet, um allmählich zu der Würde eines Oberknechts emporzurücken.
Dazumal war noch die Ross- und Nachtweiden im Gange, und mit ihnen bestand noch die alte Rossbubenverfassung, welche seitdem auch von dem raschen Lauf der Zeit umgestürzt worden ist. Da nämlich die jüngeren Hüter den ganzen Sommer über mehr draußen als daheim lebten, so war es kein Wunder, dass sich nach und nach ureigene Gesetze und Einrichtungen, die von den Alten respektiert wurden, unter ihnen gebildet hatten. So oft sie das erste Mal im neuen Jahre „ausfuhren“, das heißt die Rosse auf die Weide trieben, wurde ein allgemeinenes Turnier gehalten, worin sie einzeln mit einander kämpfen mussten. Die vier Stärksten, die in diesen Ringspielen Meister wurden, hießen die „Stillieger“ und waren die Oberhäupter der anderen. Sie lagen nämlich still, das heißt müßig und behaglich, auf dem grünen Rasen ausgestreckt, und während sie ein Spiel zusammen machten oder sich sonst belustigten, mußte ihre Unterthanen alle Arbeit für sie tun. Sie mußten ihnen die Pfeifen stopfen, anzünden, die Rosse auf- und abzäunen und, wenn sie sich verlaufen hatten, aus dem „Schaden“ holen. Mit einem Wort, die Viere waren die Herrscher und bei Streitsachen auch die Richter des kleinen Hirtenvolkes. Aber es galt auch etwas, um zu solchem königlichen Ansehen zu gelangen; denn der Ringkampf war kein Kinderspiel, und es mußte nicht weniger als Arm und Bein eingesetzt werden. So geschah es unserem Konrad, dass er am Wahltage im Zweikampf einen unglücklichen Fall tat und den Arm brach. Das Schicksal wollte nicht, dass er ein Stillleger werden sollte. Der Barbier des Orts, das sogenannte „Katzendoktor“, unterwarf ihn einer schmerzlichen und langwierigen Kur. Da hatte er nun, obgleich sein Vetter, der ihm gesetzte „Pfleger“, einen wirklicher Pfleger an ihm wurde, voller Muße, die Geduld zu lernen, zu der das Leben seine Insassen auf diese oder jene Weise erzieht.
Aber er hatte auch noch Muße, um anderen Stimmungen und Empfindungen in sich wachsen zu lassen. Konrad ging jetzt in sein 18. Jahr, und begann eben, wie es in diesem Alter zu geschehen pflegte, die Mädchen des Dorfes mit anderen Augen anzusehen, als sonst. Während er nun stille lag, nur freilich nicht auf so angenehme Art wie seine Kameraden draußen auf der Weide, konnte er seine Gedanken nach Herzenslust spazieren führen, und da mußte er bald die Erfahrung machen, dass dieselben eine Richtung nahmen, die er sich kaum vermutet hätte. Was er auch tun und wohin er sich wenden mochte, seine eigensinnigen Gedanken gingen immer denselben Weg. Zu wem spazierten sie aber? War es des Storchenfrieders Mareille mit den schönen roten Backen und den vielen Ringen an den Fingern? Oder des Tony’s „zumpferne“ Agnes? oder eine von des Müllers Töchtern? Keine von all diesen, so oft er sich auch ihre Tugenden und Vorzüge ausmalen mochte. Oder war es gar am Ende die, welche als Bub bei jeder Gelegenheit geneckt und ihr zu Leid gelebt hatte nach Leibeskräften, die um seinetwillen in Tränen zu sehen, ihm ein Genuss gewesen war? Ja die, die war’s, des alten, vermöglichen Vogts sein feines Mariannle, das er einst so gern in die Hölle geholt und gepeinigt hätte. Jetzt war sie groß und schön geworden, und mancher junge Bursche des Dorfes warf ein Auge auf sie oder auch zwei.
Freilich hätte er lieber auch jetzt wieder, wenn ihr liebliches Bild vor seinen Augen trat, ein böses Gesicht gemacht, nur damit sie ihm auf immer aus dem Sinne schwinden solle, denn er wusste wohl, welch Kluft sei, zwischen der reichen Tochter des Vogts und einem armen Bauernknecht. Er konnte aber nicht, denn immer und immer mußte er sich wieder an die freundlichen Augen erinnern, mit denen sie ihn letztlich angeschaut hatte, so dass es ihm dabei war, als sähe er in das Paradies hinein. Ihr roter Mund und ihre blauen Augen waren jedoch gegen alle Menschen freundlich, und er durfte sich das nicht zu sehr zu seinen Gunsten auslegen.
Als er aber das erste Mal wieder aufstehen und zu seinem Kammerfenster oben heraus sehen durfte, da konnte er noch nicht umhin, es für eine gute Vorbedeutung zu nehmen, dass es das erste Menschenkind, auf das seine Augen fielen, Niemand anderes war, als das Mariannele. Sie ging gerade unten vorbei, kehrte das Köpflein ein klein wenig herauf, erblickte ihn, rief ihm einen freundlichen Gruß zu und erkundigte sich nach dem kranken Arme. Durch diesen Arm aber rann es zur Stunde wie ein Strom von Genesung, denn es war derjenige, der zunächst am Herzen liegt.
Abermals kamen Tage, die nicht Jedem gefallen. Konrad machte sich mit denen, die seines Alters waren, auf nach der Amtsstadt zur „Ziehung“. Zu Fuß war sie ausgezogen, das ganze Dorf hatte ihnen Glück gewünscht. Abends kamen sie auf einem Leiterwagen, den sie mit der konscriptionspflichtigen Mannschaft des nächsten Dorfes zusammengenommen hatten, zurück. Schon in weiter Entfernung hörte man sie singen und johlen.
Als der Wagen in’s Dorf hineinfuhr und an dem Hause, an welchem die Bürger und Mädchen beisammen standen, vorbeifuhr, stimmten die lärmenden Rekruten ein Lied an. Und ein Buckliger, den der lustige Zufall Nummer Eins hatte ziehen lassen, brachte mit kreischende Stimme dem Soldatenstand ein lautes Vivat.
Die Mädchen lachten. Als ihnen aber Konrad den Hut, worauf eine gezogene Nummer steckte, mit den Worten: „Verspielt! Nummer 17!“ entgegenhielt, da wurden die gute Mariann‘ blass bis in den Hals hinunter, und wenn der Konrad nicht, wie jeder verliebte junge Mensch, blind gewesen wäre, so hätte ihm doch an seinem Rekrutentage ein Licht aufgehen müssen.
Ich bin eigentlich froh, sagte er zu sich, als er sich von der lärmenden Gesellschaft losgemacht hatte, ich bin froh, dass ich fort komm‘. Je weiter, je lieber, je eher, je besser. Auf die Mariann‘ kannst du dir keine Hoffnungen machen. Sie ist hübsch – dazu reicher Leute, Kind. Du hast nichts, und wo nichts ist, da hat der Kaiser ’s Recht verloren. Und zudem, setzte er hinzu, indem er sich selbst einen Nasenstüber beibrachte, wer sagt dir denn, dass sie dir hold ist, einfältiger Kerl? Also nur fort – Unglückskind – fort, fort!
Doch so schnell sollte es nicht gehen. „Hast du denn gar keine Fehler?“ Fragte ihn sein Vetter nach einiger Zeit, als er sich zur Visitation stellen mußte. „Zwanzig Jahre und kein Fehler!“, sagte die Riedbäuerin dazwischen. „das wär mir was! Jugend hat kein‘ Tugend.“ „Von solchen Fehlern ist nicht die Red‘. Annekäther“, bemerkte der alte Rittbauer. „Keinen, dass ich weiß“, erwiderte Konrad. „Den linken Arm kann ich nicht mehr ganz biegen, seit ich ihn gebrochen habe.“ „Das kannst du auf alle Fälle bei den Herren angeben“, sagte sein Pfleger. – „Ja“, dachte Conrad, „das werd‘ ich wohl bleiben lassen; Soldat sein, das ist’s ja eben, was ich will.“ Aber das Schicksal hatte ihn so wenig zum Helden als zum Stilllieger bestimmt. „Was ist’s denn mit dem Arm da?“ Fragte der Regimentsarzt bei der Visitation, jedoch in einem anderen Ton, als dass Mariannle einst gefragt hatte. „Ich hab‘ ihn vor zwei Jahren gebrochen“. „Untauglich!“ hieß es. Denn es war eben für selbiges Jahr ein besonderer kräftiger Schlag gewachsen, und die Herren wußten, dass noch ganz andere Kerle vor der Türe standen.
Nu, weit ist’s auch nicht gefehlt, dachte Konrad, als er aus dem Amzhause ging: das hab‘ ich schon gemerkt, dass der Soldatenstand just kein Schleckhafen ist. – Ich weiß nicht, woher er sich diesen Werks genommen hat. Aber als er in die Abstandsstube unter das Maß gestellt wurde und nicht gleich ganz aufrecht dastand, trat ihm der Unteroffizier auf die Zehen, und, ihm einen heimlichen Rippenstoß verabreichend, murmelte er in den Bart hinein, „Aufrecht, dummer Bauerntölpel!“ Wie aber der Konrad auf dieses mit einem grimmigen Blick seine ganze Länge entfaltete, ließ er ihm das Maß so derb auf den Kopf fallen, dass der arme Rekrut sich darüber verschütteln mußte.
So hat ihm also das Vorhaben, durch die Nötigung der Umstände aus seinem heimatlichen Dorfe zu entkommen, fehlgeschlagen, und es blieb mir nichts anderes übrig, als ein freiwilliges Losreißen. Denn aushalten konnte er es länger nicht. Mußte er nicht tagtäglich mit ansehen, wie sich die vermöglichsten Bursche um des Vogts Tochter bewarben?
Die Familie des Mädchens gehörte zu den wohlhabendsten der Baar. Seit mehr als einem Jahrhundert war das Vogtamt beständig bei diesem Hause verblieben. Der älteste Besitzer des Stammgutes hatte unter anderem das Recht, mit eigenem Wappen zu siegeln, und selbst die regierenden Fürsten beliebten früher Zeit während der Jagd öfters ihre Einkehr in dem wohlgelegenen Bauernhause zu nehmen.
Kein Wunder also, dass der Vogt einen gewissen angeerbten Stolz und behäbige Selbstgefühl zur Schau trug. Zudem war er der Mann, der noch viel auf alte Sitten und Bräuche hielt. So herrschte zum Beispiel in dem Dorf noch die Sitte, die Gemeindeversammlungen im Freien unter der alten Linde bei der Kirche abzuhalten. Am Sonntag, wenn Wichtiges verhandelt werden sollte, postierte sich der Bannwart jedes Mal an die Kirchtür und entbot dem herauskommen den Bürger mit den Worten: „Ihr Mannen, ’s ist G’meind, Ihr sollet warten unter der Linden!“
Als einige Neurer später darauf drangen, die Versammlung, wie bereits anderwärts, im neuen Schulhause abzuhalten, stand sich der Vogt, der bei dieser Gelegenheit in eigensinnigen Widerspruch und Wortwechsel gerathen war, bewogen, das Vogtamt abzugeben, und vom Gemeindewesen gänzlich sich zurückzuziehen.
Um diese Zeit waren namentlich Zwei, der Sohn des Krämermichels und der Sternenwirtssohn: die waren nach anderthalb jähriger Abwesenheit wieder in’s Dorf zurückgekommen, trugen städtische Kleider und konnten etwas französisch. Diese „Modebuben“, wie sie von den Bauern genannt werden, fanden natürlich das Heimatleben gar nicht mehr nach ihrem Sinn. Anfangs taten sie, als ob sie gleich wieder umkehren wollten; der eine wollte sich in Straßburg oder Lyon, der andere in Bern oder Lausanne ein Geschäft gründen. Nur ihren Eltern zu gefallen, entschlossen sie sich endlich zu bleiben. So sagten sie wenigstens. Für diese Aufopferung aber machten sie sich durch stehende Redensarten bezahlt. „In Frankreich ist es so und so“ pflegte der Eine, der ein halbes Jahr im Elsass gewesen war, bei jeder Gelegenheit zu sagen. Der Andere hatte die Parole umgekehrt: „So ist’s in der welschen Schweiz nicht“, warf er hin, so oft ihm etwas mißfiel.
Leider aber stieß er erste, der Franzos‘, auf etwas, das er in Frankreich nicht so gefunden zu haben schien; denn er begann auf einmal der Mariann‘ auf’s Angelegentlichste den Hof zu machen. Als Konrad das gewahrte, so litt es ihn nicht mehr im Dorfe.
Sein Bruder hatte ihm schon früher den Antrag gemacht, zu ihm auf dem Maierhof zu kommen, um den Dienst eines Oberknechts bei ihm zu versehen. Ein Antrag, der unserem Konrad eben recht kam.
Am „Bündelstage“ nach Weihnachten, wo das Gesinde wechselt, schnürte auch er sein Bündel. Sein wortkarger Vetter machte ihm den Abschied nicht sonderlich sauer. Seine Kleider hatte er einem Krämer aufgeladen, und eines Morgens, von dem ich nicht weiß, ob er schön war, verließ er das Dorf mit seinem Bündeleien, das er in ein rotes Taschentuch eingewickelt trug. Es war ein eigener Zufall, dass das Mariannele just unter der Hausthür stehen mußte, als er vorüberkam. Sie wünschte ihm Glück auf den Weg und sah ihm eifrig nach. Seines Vetters großer Hofhund aber begleitet ihn noch eine Strecke vor das Dorf hinaus; dann trollte er sich wieder heim.
Auf der Höhe blieb Konrad stehen und sah sich um. Einen Schritt und noch einen, da war sein Dorf hinter dem Walde verschwunden. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn.
Der Pachthof, zu dem wir den jungen Landwirt begleiten, liegt auf einem stillen, waldbegrenzten Tal hinter dem Städtlein Bräunlingen, auf der Grenze zwischen der Baar und dem Schwarzwald. Auf kahler Anhöhe schauen die Überreste einer Burg. Das Wiesengelände, in dessen Mitte der Maierhof, ein weitläufiges steinernes Gebäude mit zackigen Giebeln sich erhebt.
Wenn es wahr ist, dass Tätigkeit und Unmuße am Besten geeignet sind, von Fällen von selbstquälerischen Sinnen und Grillenfangen abzulenken, so hätte es hier unzweifelhaft unserem Konrad gelingen müssen, seine Gedanken loszuwerden. Denn da galt es tüchtig Hand anzulegen von morgens früh bis abends spät. So sehr der Oberknecht und Gehilfe aber auch mit Arbeit überladen war, fand er dennoch Zeit genug, sich wachend und schlafend an die Heimat zurück zu träumen. –
Wenn die Schneestürme durch die winterliche Gegend wehten oder in kalten, hellstirnigen Nächten das Eis im nahe Teiche krachte, und Abends das Gesinde um den warmen Ofen sich gelagert hatte, führten ihn seine Gedanken nach Hause. – Jetzt, dachte er, werden sie beim Pfleger um den runden Tisch sitzen, und die Weiber spinnen, dass der Ofen zittert, und die Männer liegen auf der Ofenbank. Jetzt wird der alte Kasper hereinkommen, er reibt die Hände, klagt über die Grindskälte und setzt sich in den Herrgottswinkel, wo er zu erzählen anhebt.
Von den „alten Zeiten“ kommt er auf sein Lieblingsthema, die Geister, um so lieber, wenn der Wind gerade recht schauerlich um Kamin und um die Dächer rumort und die „Nachtfrau“, wie er sagt, um die Häuser schleicht. – So hörte ihn Konrad alle die alten Geschichten wieder vorbringen: vom „Berchenappele“ und anderen gespenstischen Weiblein, die in den Wäldern zwischen Hüfingen und seinem Heimatorte ihr so neckisches Wesen treiben sollen. – „Der Krieg“, schloss der Alte gewöhnlich, „hat die Geister alle vertrieben, d’rum hört man auch so wenig mehr davon“.
Solche und ähnliche Szenen malte sich in ungestörten Augenblicken der Träumer gerne aus. Aber der Besuch in der Stube seines Pflegers war gleichsam nur Vorwand, denn von da begaben sich seine Gedanken alsbald um ein Haus weiter zu kehrten in das Vogtes Heimwesen ein, obgleich sie daselbst eigentlich ein kein Hausrecht hatten. – Doch wir dürfen uns nicht zu lange aufhalten, wenn wir heute noch, da er sich leiblich der Heimat nähert, gleichen Schritt mit ihm halten wolle, denn seht, er ist auf einmal bedeutend in der Marsch geraten, und wenn ihm das „Appele“ unterwegs keinen Streich spielt, so kann er noch zeitig genug kommen, um den alten Kaspar von ihm erzählen zu hören.
An einem hellen Februartag ging Konrad, vor der Sonntagskirche, auf einen der nächsten Berge, die „Windstelle“ genannt, und erstieg hier die höchste Tanne, um nur wieder einmal den Kirchturm seines Dorfes zu erblicken. Er hatte eine weite, weite Aussicht da oben, über all die dunklen Tannenwälder hinaus, in die Baar, bis an den blauen Osterberg und den hohen Randen. Da saß er denn, während ringsum die vielen Morgenglocken zusammen klangen, und sah und suchte; aber er konnte den wohlbekannten Turm nicht finden. Da, sagte er, indem er mit der Hand gegen den Fürstenberg wies, da muss er liegen. Eine ganze Stunde saß er auf dem Baum, bis sich die Ferne in bläulich weißen Duft gehüllt hatte; dann stieg er ein wenig mißmutig herunter doch war es dabei wunderlich zu Sinne, just als schon der Frühling anbrechen wollte.
Als er auf dem Hofe zurückkam, grüßte ihn ein Landsmann und richtete ihm aus, dass seine Base, die Riederbäuerin, gestorben sei. Der gute Vetter dauerte ihn herzlich, denn er wusste wohl, dass ihm seine Frau trotz ihres unfreundlichen Wesens unentbehrliche geworden war. Die Ehe hatte unter manchen wunderbaren Geheimnissen auch das, dass sie selbst widersprechende Charaktere mit einem unauflöslichen Bande umschlingt, und es gibt Beispiele, dass zwei Leute selbst durch Zanken und Keifen, das einzige Produkt ihres Ehevereins, so aneinander gewöhnt und gefesselt waren, dass der überlebende Teil bald seinen losgelassenen Widerpart nachwelken musste.
Am Donnerstag, sagte, der Bote, sei das erste „Opfer“. Dann überbrachte er dem Konrad noch verschiedene Grüße, darunter aber auch einen ganz besonderen vom – Mariannele.
Letzterer traf ihn wie ein Blitzstrahl. Und es schien kein kalter Streich gewesen zu sein; denn am folgenden Morgen ging Konrad mit entschlossenen Schritten im Hause umher, wie wenn ihm der schwarzwäldische Unternehmergeist in den Kopf gestiegen wäre. Ich wag’s! , sagte er endlich und ging auf seine Kammer. Was er aber wagen wollte, sagte er nicht. Nur war er den übrigen Teil des Tages das Gegenteil von dem, was er Morgen gewesen. Es schien ihn etwas zu gereuen, was er nicht wieder rückgängig machen konnte; er schlicht betreten umher und fast schüchtern, so dass der alte Veitle, der Karrenknecht, vermutete, es sei ihm der Geist begegnet, der in dem Hofe zu weilen sich hören lasse, wenn er mit seinem Viergespann rassend durch das Haus fahre. – So viel ist übrigens gewiss, dass der junge Mensch so zerstreut war, dass er den Pferden den Wasserkübel statt des Heu’s in die Krippe schüttete.
Was hatte er denn gewagt? Es gab Jemanden, dem dies nicht lange ein Geheimnis bleiben sollte. Denn wie das Mariannele den nächsten Abend aus der Vesper kommt, steht ein Schneidergeselle, der früher im Ort gearbeitet hatte, ihr auf dem Weg, richtet er viele hundert Grüße aus vom Konrad, – der sei nämlich bei ihm gewesen auf dem Waldhauserhof – und praktizierte ihr dabei ein Brieflein in die Hand.
Sie wurde blass und rot vor Schrecken und hätte beinahe das schwarz im Goldschnitt eingebundene Gebetsbuch und den Rosenkranz mit den blanken silbernen „Gottesregeln“ (Pathengulden) aus der Hand fallen lassen. Nichts desto weniger flog sie, nachdem sie den Schneider mit halber Stimme gedankt hatte, auf ihr Kämmerlein, wo sie das stark verklebte Brieflein öffnete und unter Herzklopfen las. Von diesem aber liegt das Original bei den Alten und lautet folgendermaßen:
Das Jokobifest war in Hüfingen sehr wichtig und wird auch schon im Hieronymus behandelt.
In Hüfingen ist schon seit dem Mittelalter ein Abzweig zum Jakobusweg. In früheren Zeiten gab es in Hüfingen viele Pilger. Ein Pilger auf dem Weg war deshalb ein Jakobsbruder. Deshalb bemerkt der Hafnermeister (Ofenbauer) mit dem Sappeursbart (sapeur=Steinhauer):
„Es wird einen merkwürdigen Zulauf von Fremden geben“.
Eine etwa 300 Jahre alte Fahne der Jakobuspilgerbruderschaft erinnert noch heute an diese Pilgerwanderungen. Die Jakobusfahne wird an Fronleichnam bei Prozessionen mitgeführt und wurde vom FF Hofmaler Franz Joseph Weiß (*15.02.1735 Hüfingen – 14.06.1790 Donaueschingen) gefertigt (siehe im Hieronymus Kapitel 17). Ebenfalls erinnert der Jakobusbrunnen vor dem Hüfinger Stadtmuseum und der Jakobusaltar in der Hüfinger Stadtkirche St. Verena und Gallus an die Jakobusverehrung.
Fahne der Jakobsbruderschaft
Bildstock zu Ehren des Stadtpatrons St. Jakobus von Bernhard Wintermantel 1987
Im Jahre 1824 fiel der Samstag auf den 24. Juli, also war das Jakobifest auf das sich Hüfingen vorbereitet am Sonntag den 25. Juli 1824.
Lucian Reich beschreibt hier genau die Vorbereitungen in Hüfingen auf das Fest, an dem er selber 7 Jahre alt gewesen ist.
Schützenhaus
Das Schützenhaus stand bis 1839 auf dem Anger beim Farrenstall und die Breg wird in jener Gegend noch immer Schützenbach genannt. 1848 wurde dann im “unteren Angel” ein neues Schützenhaus errichtet. Nach der Schützenordnung des Fürsten Karl Friedrich vom 8. Juni 1744 wurde das “Ordinarii- Wochen- und Gesellenschießen” mit “Bürstenbüchsen” zur Pflicht gemacht. (1)
Das Schießen begann nach dieser Ordnung alljährlich am Sonntag nach Georgi (23. April).
Der Schützenmeister Franz Xaver Reich (der Bruder von Lucian Reich) schrieb am 2. April 1859, dass der Fürst zu Fürstenberg der Gesellschaft das Abbruchmaterial des Kegelhauses im Schloßgarten zum Bau eines neuen Schützenhauses als Geschenk überlassen habe. (1)
Postkarte von 1929 aus der Sammlung Dieter Friedt.
Das Fürstenbergische Kontigent Schwäbischen Kreises (1)
Mit dem „Bündelstag“ ist sicher Mariä Lichtmess gemeint. Dies war einer der wichtigsten Tage im Bauernjahr, da am 2. Februar Knechten und Mägden in der Landwirtschaft erlaubt war, ihren Dienstherrn zu wechseln.
Heiliger Nepomuk in Hüfingen
Ölbild von Martin Menradt 1682 mit der alten Bregbrücke. Foto aus der Chronik von August Vetter 1984
Der Hüfinger Kirchturm hatte es damals den Menschen wohl sehr angetan. Hierzu fällt mir der Ferienbummler von Josef Schelble aus dem Jahre 1899 ein. Hier kann man auch dem Mühlenbach und dem damaligen Stadtmüller begegnen:
Nach der lieben Vaterstadt Die den grünen Kirchturm hat
Der Maierhof und die Schafweide Waldhausen gehörte damals dem Kloster Bebenhausen, einer Zisterzienserabtei, wobei Lucian Reich schrieb „fürstlicher Maierhof zu Waldhausen“. Waldhausen gehörte tatsächlich den Fürsten zu Fürstenberg und war bis zur Eingemeindung nach Bräunlingen selbstständig.
Die „Riedbauern“ lebten vermutlich Richtung Rieböhringen bei Hausen vor Wald, da er ein bis zwei Stunden von Hüfingen unterwegs war, den Fürstenberg sehen konnte und der Vogt gerne im Adler einkehrt.
Das Buch habe ich hier 2021 veröffentlicht. Allerdings veraltet auch eine Webpage ziemlich schnell und die nächsten Monate möchte ich die einzelnen Kapitel aktualisieren. Deswegen werde ich jedes aktuelle Kapitel wieder nach vorne kramen. Das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift hatte ich damals vorgelesen, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise. Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript in schwarz. In blau sind unten Erklärungen dabei.
„Keine Kohle, kein Feuer Kann brennen also heiß, Wie stille heimliche Liebe, Die Niemand nicht weiß“ Volkslied
„Hoffnung hintergehet zwar, Aber was wandelmüthig; Hoffnung zeigt sich immerdar Treu gesinnten Herzen gütig!“ v. Logau
Was habt ihr da gemacht, Meister Lucian? – Das ist ja ein allerliebste Bildchen! Läßt sich der Freund und Gevatter vernehmen. – Da habt Ihr einmal recht mit dem Griffel ausgedrückt, was in der deutschen Schriftsprache keinen Namen hat und was nur die Schwaben zu erkennen geben können, wenn sie sagen: da sieht’s heimelig aus! Ja, eine ganze Heimat, wo gut wohnen ist, habt Ihr hineingetragen, und es wird nicht weit gefehlt sein, wenn ich denke, es sei Eure eigene, Die Baar, die an den Schwarzwald stößt.-
Wie still und traulich ist es in dieser Haushaltung! Geht ein Friedenszauber von dem schwarz eingebundenen Buche aus, in welchen die Seele der jungen Mutter atmet? Er schwebt hinüber auf das Kind, das einen kräftigen Schlaf der Gesundheit in der mit dem heiligen Zeichen gesegneten Wiege schläft. Er verbreitert sich durch das ganze Gemach mit dem wohlgeordneten reinlichen Geräte, und hat sich auch des behaglichen Haustiers bemächtigt, das vielleicht vorher noch mit dem Kinde gespielt und dann sein Schüffelein rein gemacht hatte. Nur leise wagt der Pendel an der Uhr zu gehen; durch das offene Fenster hauchte frische Gottesluft herein und schmeichelt dem dort stehenden Blumenstock so viel ab, als nötig ist, um die trauliche Stube mit Wohlgeruch zu erfüllen. – Wißt ihr? es gibt ein Bild, das die Jungfrau mit dem Kinde, in dem Propheten lesend, darstellt; es ist bekannt unter dem Namen: Mater nati fata requirens. Nun, sieht das hier nicht aus wie eine Mutter, die in den Geschicken des Kindes forscht? Wollen wir ein bisschen nachhelfen und dem kleinen, runden, dicken, süßträumenden Menschen ein Lebensläufchen zurechtmachen? Aber nicht aus den „swarzen Buochen“ wie Gottfried von Straßburg sagt! Nein, wir wollen’s frischweg aus dem Leben nehmen. Kommt, Meister Lucian, Ihr müßt ein wenig dazu behilflich sein.
Das kann schon werden, sagte er, indem er das Pfeifchen aus dem Munde nimmt, den Schnurrbart streicht und behaglich der blauen Wolke nachschaut, die sich so eben an seiner kleinen gypfernen Venus emporkräuselt.
Wohlan denn, frisch an’s Werk! In der Wiege haben wir ihn einmal, jetzt handelt es sich darum, ihn weiter zu fördern.
Nun, für die nächsten paar Jahre ist das gleich geschehen. „Wachse ’n und trüeihe“, wie Hebel singt: Damit ist alles gesagt, und gilt auch für alle gleich, ob einer mit den Insignien eines Dragonerobersten unter seidener Decke, oder mit dem weißleinen Häublein in der Wiege von Schwarzwälder Tannenholz gebettet ist. „Wachset und trüeihet!“ Es wird hernach schon Rechnung gehalten werden, ob es mit dem Gedeihen des Leibes und der Seele ernst gewesen ist.
Richtig. Also wollen wir ihn derweil den Schutzengeln überlassen, nach welchen seiner Mutter so eifrig in dem Buche schaut, und wollen ihn erst wieder heimsuchen, nachdem er seine erste Selbstständigkeit erlangt hat.
Da hält er sich an der Mutter ihrem Rock und steigt mit ihr in den Stube herum, tummelt sich mit seinen Geschwistern, und spitzt die Ohren, wenn die Mutter am Samstag Abend erzählt, was sie morgen kochen wolle; und wenn sie gar den längst versprochenen Schinken aus dem rußigen Kaminschlosse herunterlangt, dann hängen sich alle lachend und schreiend um sie her. Wenn sie „Knöpfle“ einlegt, dann muss er ihr aus dem Gärtlein hinter dem Hause „Peterle“ und Schnittlauch holen. Am Sonntag nach dem Essen, falls das Wetter schön ist, geht der Vater in den „Busch„Oesch“, um die Felder zu beschauen; die Mutter bleibt zu Hause sitzen und betet in dem Gesangbuch oder auch im alten „Himmelsschlüssel“. Da hört man dann gewöhnlich im Dorfe keinen Laut. Nur beim oberen Bierhaus ist’s lebendig; dort liegt die blanken Groschen und Sechser auf dem Boden im Sand, und der kleine Konrad sieht mit seinen Kameraden zu, wie sie von den Gewinnenden mit zufriedenem Schmunzeln aufgehoben werden.
Auf die Art wird der kleine Mensch schon frühzeitig in Dinge eingeweiht, wovon die Mutter wahrscheinlich nichts in dem fliederbeschlagenen Buche gelesen hat.
Meinhalb strolchen sie auch im Feld herum, schneiden Pfeifen im Rohr und musizieren. Aber an Regensonntage da stehen sie unter dem Vordach an des Vogts Haus, und schachern um Sackmesser, Wachholdergeißelstöcke oder um Zwick.
Zwick! das ist mir eine unbekannte Gegend. So heißt man das vordere Ende einer Geißelschnur. Jetzt weiß ich, wo ich d’ran bin. Das ist die Treibschnur; die hat bei uns auch eine große Rolle gespielt. O, geht mir mit der Treibschnur! Das ist bei den Stadtbuben ein jämmerliches einfaches Schnürlein. Aber der Zwick wird sehr kunstgerecht in einer Maschine gedreht, und knallt, dass einem das Herz im Leibe lacht. Das ist andere Arbeit. Nun, was hilft’s. Die Freude wird auch nicht ewig währen. Wenn Hölth sagt:
Bald sitzest du, nicht immer froh, Im engen Kämmerlein, Und lernst vom dicken Cicero, Verschimmeltes Latein,
So ist das ein gemeinsames Leid, das auch in seiner Weise jeden heimsucht, ob er in dem leinenen Häublein, oder mit dem Kommandostab in der Wiege lag, ob er mit dem Zwick, oder ob er als Stadtbube mit der Treibschnur knallt. Wenn man auf der Schulbank sitzen muss, und die Sonne scheint so lustig draußen, dass es einem wie Quecksilber durch die Adern ringt. –
Ja, das ist halt freilich eine harte Nuss. Wir wollen froh sein, dass wir sie durchgeknackt haben. Übrigens fehlt es auch in diesem Stande nicht an Lustbarkeiten.
Ja, im Winter tut’s das Schneeballen vor und nach der Schule, im Sommer gibt’s Eckballen, Marbel, Ball und andere Ergötzungen, und in der Schule selbst führen wir die Armbrust in Taschenformat mit dem feinen Bogen aus Fischbein, und beschossen uns, während die verlassene Dido ihrem Aeneas nachseufzte, mit erbarmungslosen Papierkugeln.
Gott segne Eure Studia! spricht Lucian, und läßt eine lange, dünne Rauchsäule in die Höhe steigen. Zu solchem reisigen Zeug darf es mein Konrad nicht bringen; auch muss er in der Schule hübsch aufpassen, schon deshalb, weil sich‘ da nicht nur um Eure leichtfertigen Poeten handelt, sondern um löblichere Dinge. als da sind die Geschichten vom ägyptischen Joseph und vom König David und dergleichen mehr. Will er nebenher noch eine Ergötzlichkeit haben, so soll er auch dazu was Ordentliches lernen, zum Beispiel „Helgle“ und Agathenzettel malen. Dadurch macht er sich dann auch bei den Mädchen, seinen Schulkamerädinnen, beliebt. Halt – kann er denn die Mädchen leiden? Das nicht gerade. Vielmehr zupft und rupft er sie, scheucht und jagt sie herum, und wo er ihnen einen Possen spielen kann, da ist‘ s ihm ein „gemähtes Wiesle“. Aber dann und wann wird er doch ein wenig gnädig und beschenkt sie, sei es auch nur aus Eitelkeit, um seine Meisterwerke an sie abzusetzen. An Lob und Schmeichelei und Bettelei lassen sie es ihrerseits nicht fehlen.
Noch einmal Halt – Ist keine ist keine darunter, die er, – wie soll ich mich ausdrücken? – so ganz besonders nicht leiden kann? Ihr wisst schon – es gibt Fälle, da hat man Beispiele. Allemal ist so eine d’runter, das versteht sich. Und wie heißt sie? Das müssen wir gleich in’s Reine bringen, denn der Name tut sehr viel zur Sache. Bei einem Konrad, meine ich immer, müsse es eine Anna sein, die er so sehr besonders leiden oder so eigentümlich besonders nicht leiden kann. Wir wollen noch eine Marie hinzufügen, dann hat der Name den rechten landschaftlichen Klang. Also, Marianne? Des erreichen Vogts Marianneli. Die Jagt er immer am hitzigsten, die kneift der am ärgsten, wenn er sie erwischen kann. Und doch hat sie ihm gewiss nie etwas zuleide getan. Bewahre, sie könnte keine Fliege kränken. Er weiß auch gar nicht, warum er so einen absonderlichen Grimm auf sie hat. Ihr Vater ist freilich ein stolzer grober Melcher, aber dafür kann das kleine freundliche Mädel ja nichts, das immer so fleißig lernt und so gutherzig gegen alle Kameraden und Kammerädinnen ist.
Doch kann das im stillen mitwirken. Gebt Acht, der Bursche läßt sie’s entgelten, dass sie ein wenig vornehmer ist als er. Freilich tut er das, und ich will gleich so ein Zeug anbringen. Da ist einmal große Kälte, es wird ein paar Tage keine Schule gehalten, und der Konrad benützte diese Zeit, um die zwei Tafeln, die in seiner Vaterstube hängen, zehn oder zwölfmal auf’s herrlichste abzumalen. Wie nun die Schule wieder angeht, legt er seinen Kram aus, eh‘ der Lehrer kommt. Den Buben verhandelt er die Bilder, den Mädchen schenkt er sie. Jede Kammerädin bekommt eins, nur nicht die Mariann‘, und doch hat der Bösewicht noch ein übriges Exemplar in der Hand. Das Marianneli, wie es solche sieht, sagt es mit seiner kleinen süßen Stimme: Aber Konrad, mir schenkst du doch auch eins? Grad‘ dir schenk‘ ich keins, sagt er: Warum hat mich dein Vater vorige Woche durchgeprügelt, als wir in eurem Shopf Tabak rauchten? Ich kann ja aber auch nichts dafür, sagt sie, und die Tränen fließen ihr in die Augen, dass sie allein leer ausgehen soll. Kauf dir eins, sagt er. Ihr sind. Ihr seid ja reich genug. Und dabei freut’s ihn innerlich, zu sehen, wie ihr das zu Herzen geht. Nachher aber reut es ihn wieder sehr, wie wenn er einem Schmetterling die Flügel ausgerupft hätte, und während der Schule sieht er oft von seiner Bank in die ihrige hinüber, was sie mache. Sie sieht ihn aber nicht an? Nicht ein einziges Mal. Deshalb wartet er auch nach der Schule und unten an der Haustür auf sie, und sagt: da, Mariann, ich schenk es dir doch. – Sie aber schlägt ihm das Bildchen aus der Hand: Jetzt will ich es auch nicht mehr, sagt sie, ich kann mir ja eins kaufen. – Nachher aber ist sie aber gleich wieder gut. Da muss er übrigens doch noch etwas extra tun, um sie für ein solch schweres Stück zu entschädigen. Ja, nach feiner Art. Werden gleich sehen. Ein paar Tage darauf sind sie alle auf dem Platz vor der Zehntscheuer. Es wird hin und her geraten, was sie spielen sollen. Wir wollen Farben auszuteilen, sagt endlich der Konrad.
Das ist, schätze ich, wohl, „Engel und Teufel“? Ja, es kommt auf eins heraus.
Die Kinder sitzen im Kreis, eines teilt die Farben oder Blumen aus, ein anderes stellt den Engel und ein drittes den Teufel vor. Ein Mädchen geht von einem Kind zum anderen und sagt ihm ins Ohr: du bist eine rote Rose, du eine weiße, du bist eine weiße Lilie, du eine braune Nelke und so weiter. Den Buben aber gibt sie keine so schöne Namen; da heißt es: du bist ein Schlehenbusch, du eine Brennessel, du ein grüner Distel, und dergleichen Zartheiten mehr. Nun kommt der Engel mit der Kuhschelle: Klingkling. – Wer ist drauß‘? fragt die Austeilerin. – Der Engel mit dem Schein. – Herein. – Was hätt Er gern? – Eine Farb‘. – Was für eine? – Eine weiße Rose. – Die bekommt er auch richtig, und führt sie in den Himmel, wo nichts als Gesang und Freude ist. Darauf erscheint der Teufel – Den macht unser Konrad? Natürlich. Der hat sich Hörner von Pappdeckel verfertigt, einen Schwanz von Werg angebunden und das Gesicht mit Ruß geschwärzt. In der Hand trägt er einen Stecken, der stellt den Schürhaken vor. Bum, bum. – Wer ist drauß? – Der Teufel mit der Schürgabel. – Was hätt‘ er gern? – Nun bekommt auch der Teufel seinen Anteil und führt die armen Seelen in die Hölle, wo er sie unter Heulen und Zähnklappern entsetzlich peinigt. Er läßt seinen ganzen Grimm an ihnen aus, der diesmal groß ist, weil er trotz allen Ratens nicht auf die rechte Farbe kommen kann.
Die Sache ist nämlich die: er möchte gar zu gern die Mariann‘ in der Hölle haben, bringt aber ihren Blumenname nicht heraus. Endlich fällt es dem Engel ein, Rosmarin zu verlangen, und siehe da, der Teufel hat das Nachsehen, und muss es sich auch noch gefallen lassen, dass die Seele, und der vergebens schnappte, im Triumph an der Hölle vorbei in den Himmel geführt wird. Darüber wird er denn ganz erbost und wütend, kann es auch nicht unterlassen, mit der Schürgabel nach dem vorbei marschierenden Engel zu schlagen; da aber dieser gewandt ausweicht, so trifft der an sich nicht ernstlich gemeinte Schlag die Mariann‘ in’s Gesicht und verursacht ihr heftiges Nasenbluten. Zarte Aufmerksamkeit!
Soll ihm auch wohl bekommen. Auf das Geschrei der jüngsten Kinder, die natürlich kein Blut sehen können, ohne einen Zetermordio zu erheben, streckt der Vogt seinen Kopf zum Fenster raus. Was gibts? – Der Konrad hat die Mariann‘ ins Gesicht geschlagen, dass sie blutet. – Habe ich dir nicht schon oft gesagt, du sollst nichts mit dem Rotzer haben?
Welche Demütigung für seine satanische Majestät! Es kommt noch besser. Während er starr wie eine Salzsäure vom Vogt noch eine Zugabe von Ehrentiteln hinnimmt, faßt in eine Hand von hinten am Kragen und nimmt ihn mit dem Seilstumpen in Arbeit.
Ah, bitte, Meister Lucian, mit dem Seilstumpen! Da beißt die Maus keinen Faden davon; denn es ist sein eigener Vater, der auf diese Weise vor dem gestrengen Vogt seine bürgerliche Freiheit wahrt. Alsdann führt er ihn am Arm nach Hause; an der Stiege, die in die Schlafkammer des Buben führt, zählt ihm noch etliche aus dem ff auf und stößt ihn nach der Treppe: So, jetzt pack dich ins Bett. – Wie ein Pfeil fährt der Teufel mit Schweif und Hörnern die Stiege hinan und läßt nichts mehr von sich hören. So, sagt der Vater zur erschrockenen Mutter, besser jetzt, als später!
Der Konrad aber kommt den ganzen folgenden Tag nicht herunter, was auch die Mutter sagen mag. Droben malt er die schönsten Blumen auf einen Bogen Papier, und wie er wieder in die Schule kommt, schenkt er sie dem Marianneli. Dem Vogt aber trägt er’s noch lange nach.
Wenn er das vorher wüßte, er würde die Wiege schwerlich verlassen wollen, in der hier so harmlos träumte. – Wenn ich so einen kleinen runden Kindskopf sehe, so pflegte ich immer zu denken: Du wirst mit der Zeit auch noch ein längeres Gesicht machen.
Und doch, wie klein sind die Unfälle, über die wir zurerst die Unterlippe hängen lassen! Wie bald sind jene Tränen vergessen, wie leicht ist die Speise des Lebens selbst da noch, wo wir sie zuerst als einen harten Bissen kennen lernen!
Ja, die Kinderjahre sind schön, und erscheinen schön und schöner, je weiter uns die Jahre von ihnen entfernen.
Das Leben kommt mir vor wie eine Stickerei. Die Gegenwart, die wir in ihrer ganzen, oft so unschönen Weitläufigkeit durchleben, ist die Kehrseite, wo die Fäden aufgetragen werden. Da läuft alles wirr und kraus durcheinander, ist wenig Sinn und Bedeutung zu finden. Wenn uns aber, wie Ihr sagt, die Jahre davon entfernen, so dreht sich allmählich vor unsren Auge das Stück, und die schöne Seite kommt zum Vorschein mit ihrer vollkommenen Gestalten, die wir in Unmuth und Unvollkommenheit gewoben haben. Da ist denn manches böse Fädelein verschwunden, das uns so dick wie ein Seilstumpen däuchte, und das uns keine Maus abbeißen zu können schien. Es ist eigentlich der Gegensatz des Lebens und der Kunst, die jenes nur wie durch fromme Erinnerung auf der Gestaltenseite schaut, denn jeder Mensch, der in die Vergangenheit und vornämlich auf seine Kinderjahre zurückblickt, wird unwillkürlich ein Künstler. – Aber nun webt mir für unseren Schützling einige freundliche Fäden ein.
Später, wenn’s schöner wird. Vorläufig tut es mir leid, dass ich nicht willfahren kann. Jetzt kommen erst die mißfarbigen, denn es nötigt mich etwas, einen dunklen Grund zu legen.
Ihr seid unerbittlich, wie das Schicksal. So thut denn, was Ihr nicht lassen könnt.
Einmal kann ich ihm die Speise der Jugend nicht sonderlich süß und schmackhaft machen, denn seine Eltern sind sehr arm. Wie? Da sagt Euer Bildchen die Wahrheit nicht. Die hübsche Tracht der Frau weiß nichts von Armut, und das Zimmer sieht so blank gescheuert und wohlhabend aus.
Bei diesem Einwurf ist Lucian etwas betroffen geworden. Er zündet sein Pfeifchen wieder an, raucht einige nachdenkliche Züge und erwidert dann: Reinlichkeit ist zwar auch Reichtum, gilt aber doch nichts im Pfandbuch, und ein Sonntagskleid hat jedes ordentliche Mädchen schon von Haus aus. Wenn sogar etwas Silber am Mieder glänzt, so kann deswegen doch Schmalhans Küchenmeister sein. Und sagt selbst, ist es nicht besser für unseren Konrad, wenn er in Armut aufwächst?
Ja, das ist wahr, und zwar ohne alles weitere Raisonnement. Macht ihn also in Gottes Namen so arm wie eine Kirchenmaus. Wird nicht viel fehlen. Der Vater arbeitet wacker auf dem Felde, und die Mutter läuft sich die Beine lahm, um Butter oder Eier in Hüfingen und Donaueschingen zu verkaufen; aber mit allem Fleiß und allen Entbehrungen kommen sie nicht aus den Schulden heraus. Das sind die grauen Fäden, und nun folgen die schwarzen. Es gibt Familien, die oft schnell und unerwartet durch eine Reihe von Todesfällen zerrissen werden. Der kleine Träumer, den wir auf seinem künftigen Lebensgange begleiten, wird nicht 13 Jahre alt, so verliert er Vater und Mutter hinter einander, und auch den ältesten Bruder dazu, der sein Beschützer sein sollte.
Warum denn auch den noch? Räumt doch nicht so grässlich auf! Wie und wo kommt der denn ums Leben? Der? Als Soldat, im russischen Feldzuge. Halt, halt, Meister Lucian, man muss den Teufel nicht an die Wand malen! Laßt uns vielmehr den Frieden festhalten, solange er mit Ehren geschehen kann. Oder – ja, nun merk‘ ich’s. – Ihr seid ein rückwärts gekehrter Prophet, und während ihr mir weiß macht, dass ihr mit dem Sehrohr in die Nebelflecken der Zukunft dringet, habt Ihr das andere Auge weit offen und schaut Euch bequemlich in der vergangenen Wirklichkeit um, wo man leider Beispiele genug für allzu frühe Todesfälle holen kann.
Wie soll ich’s anders machen? Die Geschichte, heißt es, ist die Lehrerin der Völker. Soll ich euch erzählen, wie es dem Kinde da gehen wird, so läßt sich das am besten aus Dem abnehmen, was-
Was etwa einem Vater geschehen ist? Nun, ich will nur so viel sagen, dass ich die Geschichte des Vaters mit mehr Sicherheit angeben kann, als die des Sohnes und dass ich dabei besser zu fahren hoffe, als Ihr, wenn Ihr das Nebelsehrohr von des zugedrückten Auge setzt und Träume aus dem Ärmel schüttelt; den ich kann die Geschichte gerade so erzählen, wie sie vorgefallen ist. Und zwar will ich das so kunstgerecht machen, als Ihr nur immer verlangen mögt.
Ei, das ist ja um so viel besser. Da wollen wir also den Apfel in der Wiege liegen lassen und die Geschichte des Stammes vornehmen. Je treuer je besser, und je kunstgerechter je schöner. Wohlan denn, sagt Euer Sprüchlein und teilt es mit, ich verspreche, Euch hinfüro so wenig als möglich zu unterbrechen.
Darauf legt der Freund Lucian die bereits wieder ausgegangene Pfeife weg, streicht sich den Schnurrbart im Bewusstsein eines wichtigen Unternehmens, und hebt seine Geschichte an, wie folgt.
Lucian Reich erzählt hier zuerst eine Unterhaltung mit „einem schriftgeübten Freund und Sohn der Musen“ und nennt sich hierbei selbst „Meister Lucian“.
Mater nati fata requirens – die Mutter des Sohnes sucht das Schicksal
„Wachse ‚ n und trüeihe“ bzw. „Wachset und trüeihet!“
Zwick, so heißt das vordere Ende einer Geißelschnur oder Treibschnur. Das Wort Peitsche wurde damals wohl nicht in diesem Zusammenhang benutzt.
O, geht mir mit der Treibschnur! Das ist bei den Stadtbuben ein jämmerliches einfaches Schnürlein. Aber der Zwick wird sehr kunstgerecht in einer Maschine gedreht, und knallt, daß einem das Herz im Leibe lacht.
Rottweiler Schlinge mit Zwick
Bald schwitzest du, nicht immer froh, Im engen Kämmerlein, Und lernst vom dicken Cicero‘, Verschimmeltes Latein,
Wie glücklich, wenn das Knabenkleid Noch um die Schultern fliegt! Nie lästert er der bösen Zeit, Stets munter und vergnügt. Das hölzerne Husarenschwert Belustiget ihn jetzt, Der Kreisel und das Steckenpferd, Auf dem er herrisch sitzt. O Knabe, spiel und laufe nur, Den lieben langen Tag, Durch Garten und durch grüne Flur Den Schmetterlingen nach. Bald schwitzest du, nicht immer froh, Im engen Kämmerlein, Und lernst vom dicken Cicero Verschimmeltes Latein!
„Die Knabenzeit“ von Ludwig Heinrich Christoph Hölty (1748-1776)
Darauf legt Freund Lucian die bereits wieder ausgegangene Pfeife weg, streicht sich den Schnurrbart im Bewußtsein eines wichtigen Unternehmens, und hebt seine Geschicht an, wie folgt.
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