Hermann Sumsers (1944–2024) Todestag jährt sich in diesen Tagen zum ersten Mal. Obwohl Sumser dem Verfasser persönlich unbekannt war, beeindrucken die Schriften des Hüfinger Architekten durch das sich in ihnen spiegelnde Engagement für die Baudenkmale der Baar. Die nachfolgenden Ausführungen verstehen sich als kleine Ergänzung zu den anregenden Ausführungen Sumsers über das Donaueschinger „Belvedere“, jenem Gartenhaus oberhalb des Getränkemarkts Biedermann, um dessen Erhalt Sumser vor 20 Jahren mit Erfolg gekämpft hatte.*1 Sie seien seinem Andenken gewidmet.
„Belvedere“ Donaueschingen, Nordseite mit Treppenaufgang und fensterlose Westseite, Oktober 2025. Foto: FFA Donaueschingen.
Zwischen Donaueschingen und Hüfingen schiebt sich ein Ausläufer des Schellenbergs bis in die Niederung von Brigach und Breg vor, an seinem Fuß entspringt die Juniperusquelle mit dem Allmendshofener Brunnenbach. Von der Höhe genoss man ehedem, bevor Baumbewuchs und Neubauten den Blick verstellten, einen schönen Blick auf Donaueschingen und die Donauniederung. Dort steht auf einem Aussichtspunkt ein kleines Gartenhaus, das Anfang der 2000er Jahre überraschend aus einem jahrzehntelangen Dornröschenschlaf wiedererweckt wurde. Als die Stadt Donaueschingen das Gelände im Zuge der Erschließung des Baugebiets „Bühlstraße“ als ökologische Ausgleichsfläche erworben hatte, erkannte man die geschichtliche Bedeutung des anfänglich zum Abriss vorgesehenen Gebäudes. Den Bemühungen der Stadtverwaltung, des Landesdenkmalamts (Monika Loddenkemper) und des beigezogenen Architekten Hermann Sumser ist es zu verdanken, dass das von Loddenkemper und Sumser wegen des schönen Ausblicks treffend als „Belvedere“ benannte Häuschen*2 nicht nur 2003 in das Denkmalbuch eingetragen wurde,*3 sondern überdies in den Jahren 2007 und 2008 fachgerecht restauriert wurde.*4
In der Tat handelt es sich keineswegs um einen einfachen Schuppen für die Lagerung von Gartengeräten, wie schon der rund 1 Meter hohe, aus sorgfältig behauenen Sandsteinen gemauerte Sockel zeigt.*5 Mit rund 5,5 Metern auf 6 Meter ist die Grundfläche fast quadratisch. Eine Tür auf der Ostseite führt in einen kleinen Kellerraum. Über dem Sockel erhebt sich ein über drei Meter hoher Fachwerkbau mit einem Walmdach; die Außenwände sind verschindelt, das Dach mit Ziegeln gedeckt. Die Höhe der Fenster und des Raums sowie das Walmdach mögen entfernt an Goethes Gartenhaus in Weimar erinnern, das bei der Planung vielleicht Pate stand. Über eine an der Nordseite wiederum aus Sandstein gemauerte Treppe gelangt man in das Erdgeschoss des Gebäudes, wo man von einem einzigen, hohen Raum empfangen wird. Lichte, hohe Sprossenfenster, ein hellgrüner Lambris und ein weißer Keramikkamin verweisen in die Zeit des Klassizismus; eine etwas jüngere Tapete mit neogotischer Architektur dank einer von Sumser gefundenen Unterlage aus dem Jahr 1837 in den Biedermeier. Kamin und Tapete sind zugleich die einzigen Anhaltspunkte für das hohe Alter des Bauwerks, während sich der Bauherr an keiner Stelle zu erkennen gibt.
Blick vom Schützenberg auf Donaueschingen, Aquarell von Wilhelm Thierry, 1819. Vorne die heutige Friedrich-Ebert-Straße mit dem Gasthaus „Schwanen“ (links, Friedrich-Ebert-Straße 18) und den Häusern Friedrich-Ebert-Straße 25 und 22, an der Stelle des großen Hauses rechts befindet sich heute ungefähr der Straßenkreisel. Im
Hintergrund die Josefstraße und das Residenzviertel. Fürstl. Fürstenbergische Sammlungen (FFS) Donaueschingen, Zeichnung 754. Eine sehr ähnliche Ansicht wurde 1819/20 von Franz Epple (1791–1856) in Öl gemalt (FFS Donaueschingen, Gemälde 835) und als Lithographie in den Druck gegeben (FFS Donaueschingen, Grafik 551).
Loddenkempers und Sumsers Annahme, den ersten Eigentümer des Anwesens in der Fürstenfamilie zu Fürstenberg suchen zu müssen,*6 dürfte allerdings unzutreffend sein, wie eine Recherche in den einschlägigen Archivalien ergab. Vielmehr war es der fürstenbergische Regierungspräsident Joseph Kleiser von Kleisheim (1760–1830), der sich hier ein Refugium geschaffen hatte. Mit dem von den Fürsten zu Fürstenberg betriebenen Ausbau Donaueschingens zur Residenz und der immer weiter in Richtung Allmendshofen ausgedehnten Anlage des Schlossparks strebten auch die fürstenbergischen Beamten in das Donaueschinger Umland. Das augenfälligste Zeugnis für den Willen der Beamtenschaft, zusammen mit den Fürstenbergern das Residenzumfeld zu gestalten, dürfte das von Leopold von Lassolaye errichtete Schlösschen auf dem Wartenberg gewesen sein. Weniger exponiert war das Anwesen des Majors von Koller an der Josefstraße (der spätere „Karlshof“, Josefstr. 12). Unmittelbar unterhalb Kleisers Gartenhaus entstand mit der Villa des Hofkammerrats Joseph Ignaz Fischer ein Landgut, dessen freie Lage in der Flusslandschaft nach wie vor bezaubert (heute Getränke Biedermann, Friedrich-Ebert-Str. 31). Diesen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstandenen Bauten ist das Gartenhaus Joseph Kleisers beizustellen.
Als Baujahr des Kleiser’schen Gartenhauses gibt ein undatiertes Verzeichnis der Häuser in der Donaueschinger Josefstraße das Jahr 1809 an.*7 Nach außen hatte der 49-jährige Kleiser – aus einfachsten Verhältnissen in Urach (Stadt Vöhrenbach) stammend – damals den Höhepunkt seiner Karriere als fürstenbergischer Beamter erreicht.*8 Seit 1801 zum Präsidenten der fürstlichen Regierung und Kammer berufen, oblag ihm nicht nur die Leitung der fürstenbergischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit, sondern er nahm auch die außenpolitische Vertretung Fürstenbergs wahr, die in der napoleonischen Umbruchszeit mit der Mediatisierung des Fürstentums zugunsten vor allem des neu entstandenen Großherzogtums Baden mehr als schwierig war. 1804, nach dem Tod des Fürsten Karl Joachim zu Fürstenberg, der Kleiser 1796 in den Adelsstand erhoben hatte, rückte dessen Großneffe Karl Egon zu Fürstenberg aus der böhmischen Linie der Familie in der Herrschaft nach. Der erst 5-jährige Knabe wurde der Vormundschaft eines entfernten Onkels, des Landgrafen Joachim zu Fürstenberg unterstellt, der seinerseits Kleiser zu seinem Untervormund ernannte mit umfassender Vollmacht für alle Amtsgeschäfte. Bei der häufigen Abwesenheit des Landgrafen war Kleiser damit in den Jahren 1804 und 1805 der fast unbeschränkte Herrscher über das fürstenbergische Staatswesen. Beim Übergang des Fürstentums an das neu gebildete Großherzogtum Baden wurde Kleiser in der Vormundschaft 1806 ausdrücklich bestätigt. Als mit der Einführung des Code Napoleon 1809 die Stellung der Mutter des Fürsten, Elisabeth zu Fürstenberg, geb. Prinzessin von Thurn und Taxis, rechtlich gestärkt wurde, erhielt Kleiser das Amt eines „Gegenvormunds“. Glücklich war er darüber nicht, denn Fürstin Elisabeth gedachte keineswegs, ihn in irgendeiner Weise einzubinden. Kleisers Versuche, sich an der Erziehung des jungen Fürsten zu beteiligen, wies sie vielmehr schroff zurück.*9 Freilich war das Verhältnis zwischen der Fürstin und Kleiser schon zuvor gestört, weil Elisabeth die Ergebnisse von Kleisers außenpolitischen Missionen als ungenügend empfand – wie sie später selbst auf dem Wiener Kongress erfahren musste, wohl zu Unrecht, denn von den Gewinnern des napoleonischen Umbruchs irgendwelche Zugeständnisse für das fürstenbergische Staatswesen zu erreichen, stellte sich weitgehend als Unmöglichkeit heraus. Als sich Kleiser nach der Übernahme der fürstenbergischen Gerichtsbarkeit durch Baden im Jahr 1813 die Möglichkeit eines Wechsels in den badischen Beamtendienst eröffnete, ergriff er diese Gelegenheit, und die Fürstin ließ ihn ziehen. Den Wegzug von Donaueschingen begriff Kleiser, der auch im badischen Staatsdienst als Richter in Meersburg und als Kreisdirektor in Konstanz hohe Positionen erlangte, als endgültigen Abschied von der heimatlichen Baar.
Das Wappen des 1796 geadelten Kleisers über dem Wiesenplan, Zeichnung ohne Jahr. FFA Donaueschingen, Karten, Kasten I/2/138 c.
So kam es 1814 zum Verkauf des Gartenhauses an den Schützenwirt Franz Joseph Ganter.*10 Ebenso verkaufte Kleiser an Ganter eine große Wiese unterhalb des „Belvedere“, die er einige Jahre zuvor hatte kartieren lassen (heute Teil des Schlossparks, Flst.-Nr. 4779, Allmendshofen).*11 Kleisers herausragender Stellung war es wohl geschuldet, dass der Vermesser das einfache Kärtchen ungewöhnlich prächtig ausschmückte. Der Lageplan der Wiese erhielt eine mehr als den doppelten Platz einnehmende, üppige Scheinarchitektur als Rahmen, die von Putten und Kleisers Adelswappen bekrönt wurde. Zu einem späteren Zeitpunkt (nach dem Bau 1809?) wurde auf den Plan noch ein Blatt aufgeklebt, das das Gartenhaus zeigt und damit Kleiser zuordnet.*12 Danach lag unterhalb des Häuschens ein über zwei Zufahrtswege von Norden und Süden zu erreichender Vorplatz; Fußgänger kamen über zwei im Dreieck angelegte Spazierwege auf die Höhe. Die Wege über die damals völlig freie Wiese waren mit Alleebäumen gesäumt. In Richtung Westen auf den Hang zu, wo das Gebäude keine Fenster besaß, war offensichtlich als Wetterschutz eine dichte Hecke angelegt. Unterhalb des Vorplatzes befand sich ein vielleicht von Findlingen eingefasstes Halbrondell, möglicherweise, wie Loddenkemper und Sumser vermuten,*13 eine Grotte.
Schützenwirt Ganter muss das Gelände – man denke an die Tapete von 1837 – für eigene Gesellschaften genutzt haben. Der offensichtlich rege Betrieb machte so viel Aufsehen, dass die Flur im Volksmund nunmehr die Bezeichnung „Schützenberg“ erhielt, während zu Kleisers Zeiten die Bezeichnung noch „Linsenhalde“ gelautet hatte.*14 Aus dem neuen Flurnamen „Schützenberg“ folgte die Bezeichnung „Schützenhäusle“ für das Gartenhaus. Dagegen kann ein Zusammenhang des neuen Flurnamens mit einer Betätigung von Schützengesellschaften nicht belegt werden.*15
Grundriss des „Belvedere“ mit Parkanlage, aufgeklebt auf dem Lageplan der Kleiser’schen Wiese, ohne Jahr.
Rechts unten das Gasthaus „Schwanen“ (Friedrich-Ebert-Str. 18) und das Haus Friedrich-Ebert-Str. 22. FFA Donaueschingen, Karten, Kasten I/2/138 c.
In jener Zeit, in den 1830er Jahren, entstand auch die einzige erhaltene Ansicht des Häuschens.*16 Die Aquatinta bietet eine Südansicht der Residenzstadt Donaueschingen, deren Kennzeichen das Schloss und die Stadtkirche sind (dargestellt ohne das 1829 abgerissene alte Pfarrhaus). Hinter den fürstenbergischen Verwaltungsgebäuden an der Haldenstraße in der Bildmitte (Neuer Bau, Kammer/ Hofbibliothek und Archiv) ist der Turm der 1837 abgerissenen St.-Lorenz-Kapelle zu erkennen (heute Rathaus). Im Vordergrund links sieht man das „Belvedere“ mit dem Zufahrtsweg und dem zu erahnenden Fußpfad. Am Hang verläuft die Landstraße von Allmendshofen nach Donaueschingen. Der Künstler – Egid Federle aus Stühlingen (1810–1876) – stand offenbar im heute durch die Bahnlinie nach Neustadt gekappten Allmendshofener Quellenweg, der damals noch eine Querverbindung zur Landstraße mit Brücke über den Brunnenbach besaß. Im weiteren Verlauf des Brunnenbachs ist die lange, quer zum Tal stehende Mauer zu erkennen, mit der Hofrat Fischer sein Anwesen umgeben hatte und die bis heute erhalten ist (Friedrich-Ebert-Str. 31). Pferde, Menschengruppen und eine Kutsche vermitteln Maßstab und Perspektive der Ansicht.
Aus Ganters Erbe – der erfolgreiche Schützenwirt erreichte das beachtliche Alter von 86 Jahren *17– gelangte das Grundstück über dessen Tochter 1888 an den Allmendshofener Landwirt Joseph Faller.*18 Dieser begann, als Donaueschingen sich immer mehr in Richtung Allmendshofen ausdehnte, in den 1890er Jahren mit der Abtrennung von Baugrundstücken entlang der Straße, die auch seine Besitznachfolger fortsetzten.*19 Aber auch nun stand das Gelände noch für die Sommerfeste des Männergesangvereins Allmendshofen zur Verfügung, bis diese in den 1980er Jahren auf den bequemer gelegenen Festplatz verlegt wurden.*20 Die ehemals freie Lage des „Belvedere“ ist heute nicht mehr zu erkennen, zumal die schon 2005 von Monika Loddenkemper geforderte Auslichtung nicht erfolgte, sondern das Grundstück nach wie vor mit hohen Bäumen und Buschwerk bestanden ist, die einen freien Blick in die Landschaft kaum zulassen.
Stadtansicht von Donaueschingen, links das Belvedere, Aquatinta von Egid Federle, 1830er Jahre. Im Vordergrund der Brunnenbach, in der Mitte die langgezogene Mauer des Landguts Fischer (heute Getränke Biedermann), rechts das Residenzviertel. FFA Donaueschingen, Grafik 368, zum Druck vgl. http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1877763.
Die 2009 mit namhafter Unterstützung der Denkmalstiftung Baden-Württemberg abgeschlossene Sanierung durch den Überlinger Architekten Bruno Siegelin gab dem Raum zwar seinen Charakter wieder, brachte jedoch im Gegensatz zu den von der Stadtverwaltung und dem Landesdenkmalamt aus Kostengründen abgelehnten Entwürfen Sumsers *21 keine neue Nutzungsperspektive für das Gebäude. In den ersten Jahren nach der Restaurierung fanden in dem Gebäude Trauungen statt; auch gab Martina Wiemer Bildvorträge zur Donaueschinger Stadtgeschichte. Obwohl die umgebende Grünanlage sehr gepflegt wirkt, scheint das „Belvedere“ jedoch mittlerweile in seinen tiefen Dornröschenschlaf zurückgesunken zu sein.
*1 Sumser, Belvedere. *2 Loddenkemper, Vergessenes Gartenhäuschen, S. 25; Sumser, Belvedere, S. 10. *3 Loddenkemper, Vergessenes Gartenhäuschen, S. 26; Sumser, Belvedere, S. 10. *4 Bea, Fast vergessenes Gartenhäuschen. *5 Detaillierte Beschreibung des Gebäudes bei Sumser, Belvedere, S. 12–19. *6 Loddenkemper, Vergessenes Gartenhäuschen, S. 26; Sumser, Belvedere, S. 7. *7 Fürstlich Fürstenbergisches Archiv (künftig: FFA) Donaueschingen, OB 21, Vol. II, Hüfingen, Untermappe Donaueschingen. *8 Das Folgende nach den autobiographischen Angaben im Nachlass Kleisers im GLA Karlsruhe, Nachlässe, Kleiser. Ergänzend: FFA Donaueschingen, Personalakte 2434; Bader/Platen, Das große Palatinat des Hauses Fürstenberg, Allensbach 1954, S. 132–134. *9 So in GLA Karlsruhe, Nachlässe, Kleiser 14, Brief Elisabeths von 1812. *10 Grundbuchzentralarchiv (im Folgenden: GBZA) Kornwestheim, Güterbuch Allmendshofen, Bd. V, Nr. 101, Nachtrag des Kaufvertrags von 1814 im Güterbuch von 1857. *11 FFA Donaueschingen, Karten I/II/138 c. Die Datierung der Karte auf das Jahr 1803 durch Loddenkemper und Sumser beruht auf einer wohl vom FFA Donaueschingen verursachten Fehlinterpretation einer beiliegenden Karte. *12 Ebd. *13 Loddenkemper, Gartenhäuschen, S. 25; Sumser, Belvedere, S. 11. *14 So im genannten Kaufvertrag von 1814. *15 Sumser, Belvedere, S. 7–8. *16 FFA Donaueschingen, Grafik 368. Woher Loddenkemper und Sumser die Datierung der Aquatinta auf das Jahr 1827 bezogen (Loddenkemper, Gartenhäuschen, S. 25; Sumser, Belvedere, S. 8), ist nicht klar. Der Druck stammt aus dem Werk „Malerische Reise von Freiburg im Breisgau durch das Höllenthal und Donaueschingen nach Schaffhausen“, das ohne Jahr bei Bleuler in Schaffhausen erschien (online: http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1877753). Die Datierung kann daher nach bisheriger Kenntnis nur mit Hilfe der dargestellten Gebäude festgestellt werden. Die signierte, jedoch nicht datierte Vorzeichnung Federles hat sich ebenfalls erhalten: FFA Donaueschingen, Zeichnung 760. Das Exemplar des Drucks im FFA Donaueschingen ist merkwürdigerweise nicht wie beim Karlsruher Exemplar deutsch und französisch, sondern englisch beschriftet. *17 Gestorben am 26. April 1865: Sterbebuch der kath. Pfarrgemeinde Donaueschingen. *18 GBZA Kornwestheim, Güterbuch Allmendshofen, Bd. XI, Nr. 112. *19 GBZA Kornwestheim, Lagerbuch Allmendshofen, Flst.-Nr. 188 (4188 neu). Die Reihenfolge der Abtrennungen lässt sich den heutigen Teilnummern der Flur 4188 entnehmen. *20 Sumser, Belvedere, S. 7. *21 Sumser, Belvedere, S. 20–24. Unnötig polemisch der Text im Mitteilungsblatt der Denkmalstiftung Baden- Württemberg, Belvedere in Donaueschingen.
„Belvedere“ Donaueschingen, Südseite mit einem und Ostseite mit zwei Fenstern, darunter der Kellereingang,
Oktober 2025. Foto: FFA Donaueschingen.
Literatur:
Bea, Josef: Ein fast vergessenes Gartenhäuschen auf dem Schützenberg bei Donaueschingen, in: Die Gemeinde (BWGZ) 2009, Heft 2, S. 79–80
Denkmalstiftung Baden-Württemberg (Hrsg.): Belvedere in Donaueschingen: Rettung eines „Kleinods“, in: Denkmalstiftung Baden-Württemberg 2009 Heft 2, S. 1–2 (Beilage zu Denkmalpflege in Baden-Württemberg 38, 2009, Heft 2)
Loddenkemper, Monika: Ein vergessenes Gartenhäuschen auf dem Schützenberg bei Donaueschingen, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 34, 2005, S. 25–28 (https://doi.org/10.11588/nbdpfbw.2005.1.12211)
Sumser, Hermann: Das „Belvedere auf dem Schützenberg“ in Donaueschingen, in: Schriften des Vereins für Ge- schichte und Naturgeschichte der Baar 50, 2007, S. 5–28 (https://doi.org/10.57962/regionalia-17404)
Federles Vorzeichnung gibt das „Belvedere“ noch etwas exakter wieder als der Druck. FFS Donaueschingen,
Zeichnung 760.
Lageplan des „Guth des Schützenwirth Ganter“ und des „Guth des Hofrath Fischer“ am Brunnenbach, 1819. FFA Donaueschingen, Karten,
Kasten I/1/64c.
In der badischen Gemeindeordnung vom Jahre 1921 wurde die Bezeichnung Stadt von einer Einwohnerzahl über 15.000 Personen abhängig gemacht. Damit verloren fast alle Baarstädte ausser Villingen die Bezeichnung „Stadt“. Bis 1935 gelang es lediglich Donaueschingen und Furtwangen seine Stadtrechte zurück zu erhalten. *
Am 31. Juli 1951 beantragte Hüfingen beim Ministerium des Innern des Landes Südbaden in Freiburg die Wiederverleihung des Stadtrechts.
Die Stadt Hüfingen kann auf eine ebenso reiche geschichtliche Vergangenheit zurückschauen wie die andern mittelalterlichen Städte der Baar. Die ältesten Spuren einer Besiedlung der Gemarkung gehen in die Urnengräberzeit (etwa 1000-800 V.Chr.) zurück, wo schon am Galgenberg eine kleine Siedlung bestand. Derselbe Galgenberg sah dann in den Jahren 40-74 n.Chr. ein römisches Kastell, das immer mehr erweitert und verstärkt , schließlich eine Besatzung von 1000 Mann faßte und dadurch zum ältesten Stützpunkt der Römer an der oberen Donau wurde. Von hier aus wurde einmal in den Jahren 73/74 n.Chr. Weltgeschichte gemacht. Zum ersten Mal wieder seit der Schlacht am Teutoburger Wald waren die Römer damals tiefer in das rechtsrheinische Gebiet vorgedrungen. Von Hüfingen aus setzten sie sich damals mit Erfolg in Bewegung, um den südlichen Schwarzwald südlich der Linie Offenburg-Tuttlingen in das römische Reich einzugliedern.
Im Anschluß an eine kleine alamannische Siedlung des 6. Jahr. n. Chr. haben im Anfang des 13. Jarh. die Herren von Hüfingen, wohl die Nachkommen der Gründer der alamannischen Siedlung, die kleine Burgstadt in der Hinterstadt errichtet und damit den ersten Schritt zur Erhebung des Dorfes Hüfingen zur Stadt getan. Diese kleine Burgstadt wurde dann von den Herren von Blumberg erweitert, ausgebaut und zum Mittelpunkt ihres ausgedehnten Besitzes in der Baar gemacht. Sie sind die eigentlichen Gründer der Stadt Hüfingen. Bereits im Interregnum hatte sich Johann von Blumberg im Schutze der Befestigung einen Markt errichtet, den ihm dann Rudolf von Habsburg schon 1274 bestätigte. 1292 erscheint zum ersten Mal ein Schultheiß und 1320 die Bürger der Stadt. 1353 erhielt der Stadtherr das Recht, einen Jahrmarkt abzuhalten. 1510 zählte man bereits deren sechs. Mit der Verleihung des Blutbannes der hohen Gerichtsbarkeit im Jahre 1364 hatte Hüfingen alle jene Vorrechte erhalten, durch die sich im Mittelalter die Stadt von dem Dorfe unterschied. Hüfingen war damit im Rechtssinn des Mittelalters eine volle Stadt geworden.
Die militärische Bedeutung wurde zum ersten Mal offenkundig, als das Haus Habsburg sich im Jahre 1362 in der Feste das Öffnungsrecht in Kriegszeiten für alle Zeiten sicherte. Die Lage an den Durchgangswegen aus der Schweiz und dem Breisgau verschaffte der Stadt erneute Bedeutung in den großen Kriegen der beginnenden Neuzeit. Schon im Schweizerkrieg wurde sie Sammelplatz der Reichstruppen. Besonderen Wert aber legten die Bauern auf den Besitzt der Stadt. Sie brauchten für ihre Züge einen Waffenplatz und einen Ort, wo sie sich ungestört versammeln konnten. Nach zwei vergeblichen Versuchen sie zu überrumpeln, erzwangen die Bauern die Übergabe der Stadt im Frühjahr 1525.
Schon vorher, im Jahre 1452 gab der damalige Stadtherr Berthold von Schellenberg der Stadt ihr Recht. In die Form eines Weistums gefaßt, ,, gibt uns dieses Stadtrecht eingehende Auskunft über die Rechts- und Wirtschaftsverhältnisse in der damaligen Stadt. Es wurde 1558 noch einmal revidiert, wobei die Herrenrechte erweitert wurden.
Schwer hatte die Stadt im Dreißigjährigen Krieg zu leiden. Zwei Ereignisse sind es, die bis heute in der Erinnerung des Volkes nachzittern: der Hexenprozeß gegen Tinctorius und dessen Gattin (1631/32) und das furchtbare Blutbad, das der württembergische Obert Rau am 15. Oktober 1632 in dem Städtchen anrichtete.
Von neuem blühte die Stadt erst wieder auf, als sie im 18. Jahrh. der Sitz eines fürstenbergischen Oberamts wurde. In jenen Tagen hat auch das geistige Leben durch Beamtenschaft und Hof einen gewissen Anreiz bekommen. Die schmiedeeisernen Wirtshausschilder und die Oberlichtgitter des Spitals und Knabenheims Maria Hof und die schön geschnitzten Kirchentüren, beides Werke von Hüfinger Meistern, zeugen von einer gewissen Blüte des Kunsthandwerks.
Es ist der Boden, auf dem am Anfang des 19. Jahrh. Männer erwachsen sind wie der Musiker Johann Nepomuk Schelble, der vielseitige Anreger Luzian Reich Vater und seine Beiden Söhne Xaver Reich, der Bildhauer , und der Kunstmaler und Volksschriftsteller Luzian, der Maler Rudolf Gleichauf, der Kunstmaler Josef Heinemann, Männer, die den Ruhm des Städtchens über die engen Grenzen der Heimat hinaustrugen.
Ein reich differenziertes Handwerk zeigen schon die Steuerlisten des 18. Jahrh. Schon infolge ihrer günstigen Verkehrslage war die Stadt Jahrhunderte lang die Marktstätte für die landwirtschaftliche Umgebung. Dieses Handwerkertum hat sich in Verbindung mit dem Handel auch im 19. Jahrhundert weiter gehalten und entwickelt. Dazu kam inmitten fruchtbaren Ackergeländes eine ertragreiche Landwirtschaft, wie sie von allem Anfang so bezeichnend ist für diese mittelalterlichen Ackerbürgerstädte. Sie setzte das alte Gemeinwesen instand, all die vielen Krisen und Katastrophen der Vergangenheit verhältnismäßig rasch und leicht zu überwinden.
Ein tüchtiges Gewerbe, eine leistungsfähige Landwirtschaft und eine bedeutende kulturelle Leistung in der Vergangenheit sind die Befähigungsnachweise, die das uralte Gemeinwesen beibringt, wenn es sich um den ihm zu Unrecht genommenen Titel einer Stadt von neuem bewirbt.
Antrag von Bürgermeister Richard Fischer am 31. Juli 1951 beim Ministerium des Innern des Landes Südbaden in Freiburg für die Wiederverleihung des Stadtrechts.
Mit Erlass des Badischen Ministeriums des Innern vom 3. September 1951 Nr. 30218 erhielt das Landratsamt Donaueschingen die Mitteilung, dass der Gemeinde Hüfingen gemäß § 9 Abs. 2 der Badischen Gemeindeordnung vom 23.09.1948 die Bezeichnung „Stadt“ verliehen werde. Am 28. Oktober 1951 überreichte Innenminister Schüly die Urkunde im Beisein des Staatspräsidenten Leo Wohlleb feierlich.*
Leo Wohleb Foto von Wikipedia
Auch Bräulingen , Blumberg und Fürstenberg bekamen die Stadtrechte zurück. Fürstenberg gab die Stadtrechte allerdings bei der Eingemeindung am 1. Januar 1972 nach Hüfingen wieder auf.
Festakt zur Wiederverleihung des Stadtrechts.
* Nach der Hüfinger Chronik von August Vetter 1984 und Wikipedia.
Donaueschingens berühmtester Sohn, Anselm Kiefer, ein Weltstar unter den Malern der Gegenwart, scheint sich schwer zu tun mit seiner Geburtsstadt: Kurz vor Kriegsende (am 8. März 1945) hier geboren und fünf Jahre lang bei seinen Großeltern aufgewachsen, lässt er sich bislang nicht erweichen, sich zur Baar zu bekennen – so sehr die Stadt seit Jahrzehnten darum buhlt und mit ihm zu flirten bemüht ist. Zuletzt im Juli 2022 hatte ihn eine Donaueschinger Delegation in seinem Pariser Atelier aufgesucht, wie der Südkurier berichtete. Doch zu recht viel mehr als zu einem Pressefoto zusammen mit dem gefeierten Künstler scheint es wieder nicht gereicht zu haben.
Wie gut, dass da an Weihnachten nicht nur Wim Wenders seinen Film über Anselm Kiefer („Ein Maler wie kein anderer“) in die Kinos brachte, sondern dass auch das neue Buch von Karl Ove Knausgård auf dem Gabentisch lag, des vielfach preisgekrönten norwegischen Weltstars unter den Literaten. Sein Titel: Der Wald und der Fluss. Über Anselm Kiefer und seine Kunst (Luchterhand-Verl.). Dem Maler mit seinen ebenso großflächigen wie düsteren Werken war der norwegische Schriftsteller seit Jahren schon auf der Fährte – in der Hoffnung, dessen Kunst und Persönlichkeit zu ergründen. Er hatte ihn bereits in seinen Ateliers in Paris wie in Barjac in den Cevennen besucht, war ihm zu mehreren Ausstellungen gefolgt und schließlich auch zu dessen Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Albert-Ludwig-Universität nach Freiburg gereist, wo Kiefer einst Jura studiert hatte. Da lag es nah, dass man bei dieser Gelegenheit auch noch der Einladung des Donaueschinger Fürstenhauses nachkam und in schwarzer Mercedes-Limousine (weil der Hubschrauberflug wegen des Nebels nicht möglich war) durch den winterlichen Schwarzwald auf die Baar fuhr. Schon früh glaubte Knausgård erkannt zu haben, dass der (Schwarz-)Wald und der Fluss (die Donau) aus Kiefers Donaueschinger Kindheit neben der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bis heute in seine monströsen Kunstwerke hineinwirken.
Zum nachmittäglichen Kaffee fand man sich im Schloss ein, wo die fürstliche Familie sich lebhaft um die prominenten Gäste bemühte, ja man bot dem berühmtesten Sohn der Stadt sogar Gelände (60 Hektar) für ein weiters Atelier an, zu jenem in Barjac (50 Hektar) und zur Werkshalle in Paris hinzu. Nach der Schlossführung und vor dem Besuch der Sammlungen besichtigte man selbstverständlich auch die Donauquelle. Als Vierundzwanzigjähriger hatte Kiefer sie in Karlsruhe auf der Vorderseite seines Ausschnittsbuchs gestaltet, berichtet Karl Ove Knausgårdd: Im Buch gab es dann Fotos von einer alten, mit Wasser gefüllten Badewanne, eines alten, schnurzigen Spülbeckens voller Wasser, vermutlich aus seiner eigenen Wohnung.
Entsprang die Donau tatsächlich hier?
Der große deutsche Dichter Hölderlin hatte über die Donau geschrieben, er nannte den Fluss bei seinem uralten Namen Ister und ließ ihn in die griechische Mythologie strömen. Heidegger hatte eine Vorlesungsreihe über das Gedicht und den Fluss gehalten, 1942, als die Nacht im Menschlichen am tiefsten und er selbst nicht ohne Anteil daran war.
Die schwarze Wasserfläche da unten reflektierte wabernd den Himmel über uns. Kiefer sagte nichts über die Bedeutung der Quelle, weder über die mythologische, die historische oder künstlerische, noch über die persönliche, und ein paar Minuten später verließen wir das Schlossgelände und gingen die Hügel zum Museum hinauf.
Dort wunderte sich der Schriftsteller über all die „Hirschköpfe mit großen Geweihen“ und über „ein langes schmales Fresko mit Jagdszenen, auf dem die Menschen und die Tiere, die sie töteten, eng ineinander verschlungen waren“. Und so lässt er Maximiliane die Sicht der Einheimischen erläutern: „Die Straße hinauf wurden die Tiere gesammelt, die man im Wald getötet hatte. Sie wurden abgebalgt, und da oben fand die Auktion statt. Damals waren Felle wichtig.“ Woraufhin Knausgård sich fragt, wie es möglich war, in einen solchen Zustand zu geraten, in dem sich alles darum drehte, Leben enden zu lassen, in dem sämtliche Gedanken und Grenzen aufhören. Das muss der Grund gewesen sein, dass die vielen Tierbilder, Tierstatuen, Hirschköpfe und Jagdszenen, die ich an diesem Tag gesehen hatte, mich mit einem vagen Gefühl von etwas Unheimlichem erfüllten, dachte ich. Das war der Wald.
Nach dem Besuch der Sammlungen („einer Art Raritätenkabinett“), aus dem von Christian auch noch allerlei Mitbringsel für Kiefer abgezweigt wurden, spazierte man an der Brigach entlang durch den Park, wo man sich von der Fürstenfamilie verabschiedete – so herzlich, dass Knausgård sich zur Frage an Kiefer veranlasst sieht: : „Haben Sie wirklich Lust, wieder hierher zu ziehen?“ Was dieser jedoch entschieden verneint, wo er hier doch nur die Fürstenfamilie kenne, während er in Paris Philosophen, Dichtern und Kollegen begegne.
Doch dann wird es doch noch heiter, ja, intim:
Der viele Kaffee, den ich im Schloss getrunken hatte, führte dazu, dass ich auf dieToilette musste, und als wir unsren Weg zu dem Tor am andern Ende des Parks fortsetzten, überlegte ich, ob es möglich wäre, hinter eines der Gebüsche zu gehen und zu pinkeln, verwarf den Gedanken jedoch, als ich die Situation vor mir sah. Kiefer und Forelli [die Managerin], wie sie herumstanden und auf mich warteten, ein wenig verlegen angesichts der plätschernden Geräusche, die von mir zu ihnen drangen, und vielleicht auch peinlich berührt über das Unhöfliche der Aktion.
Doch dann verließ Kiefer plötzlich den Weg und ging über die schneebedeckte Erde, wo er hinter einem Strauch verschwand, so dass ich ihm erleichtert folgen und mich hinter einen anderen stellen konnte.
Wie zwei Hunde kamen wir eine Minute später hinter unseren Büschen hervor, wo die Schneedecke nun von gelben Löchern perforiert war, stapften durch den Schnee zum Weg zurück und schlüpften wieder in unsere Rollen.
Zuguterletzt erreichte man auch noch, vorbei am Bahnhof (Kiefer lachend: „Man sollte nicht meinen, dass das ein Bahnhof ist!“), das Haus, klein und anonym, weiß gestrichen und viereckig, in dem der Maler seine Kindheit verbracht hatte: Es sah aus wie irgendein beliebiges Haus aus den fünfziger Jahren in einer beliebigen europäischen Stadt.
Dann beeilte man sich, zum Donaueschinger Flughafen zu gelangen, stieg in den dort auf sie wartenden noblen Jet, um bei Sonnenuntergang in Paris zu landen. Noch am nämlichen Abend hatte Kiefer mit seinen polnischen Arbeitern „eine große Skulptur für das Rockefeller Center anzufertigen“, sieben Meter breit, weshalb sie sehr sorgfältig konstruiert werden müsse. „Ein Modell, das halb so groß ist, habe ich bereits fertiggestellt.“ Kein Wunder, dass der Künstler, wie er bekannte, nach einem neuen Atelier suchte, das einen Kilometer lang sein solle. Seine Begierde nach Raum schien unersättlich zu sein. Seine Begierde zu arbeiten ebenso.
Ob da DER WALD UND DER FLUSS, der Schwarzwald und die Donau, noch eine tragende Rolle dabei spielen werden?
Der Artikel unten wurde in der Zeitschrift >Der Gesellschaft der Beförderung der Geschicht- Alterthums- und Volkskunde< im Jahr 1872 vom Archivrat Franck aus Donaueschingen veröffentlicht.
Archivrat Franck erläutert sehr eindrücklich die korrupte Justiz und Machtlosigkeit der Fürsten während des Dreißigjährigen Krieges. So ist Franck 240 Jahre später sichtlich empört über die mörderische Rechtsprechung und auch über die Dummheit und den Hass auf alles Fremde der Hüfinger. So meint er: „Wen mahnt es aber nicht an höhere Strafe und Gerechtigkeit, wenn er sich erinnert, daß über die Hüfinger Blutmenschen selbst schon am 15. Oktober 1632 das fürchterliche Blutbad durch die Würtemberger hereinbrach?“
„Nicht zu vergessen ist aber bei aller Verurteilung der stupiden Hüfinger, dass diese Justiz keineswegs eine Spezialität gewissenloser Hüfinger war. Zu der Zeit war der Hexenglaube, vor allem durch jahrhundertelange Propaganda der katholischen Kirche so im Denken der Menschen verankert, daß es nicht Ungewöhliches war wenn „Hexen“ für Unglück und scheinbar Unerklärliches verantwortlich gemacht wurden.
Dieses „Sündenbock-Denken“ bẹwirkte, daß bis spät ins 18. Jahrhundert in Europa zehntausende Frauen und auch einige Männer von verhetzten Fanatikern verbrannt wurden. Die Zeit, um die es hier geht, war zudem eine besondere – die Bevölkerung hatte auch auf der Baar im Zuge des Dreißigjährigen Krieges unter Hungersnöten, Pestepidemien und den Greueltaten feindlicher Heere furchtbar zu leiden. Wundergläubigkeit jeder Art ist zu allen Krisen-und Umbruchszeiten besonders stark, so auch damals. Dazu kommt, daß die Menschen gelernt hatten, daß es ziemlich einfach war, jemanden wegen Hexerei zu verleumden, daß ein Entrinnen vor dem Scheiterhaufen fast unmöglich war.“
Wir sollten bei aller Greuel vor den Zuständen damals, nicht vergessen, auch unser Verhalten zu hinterfragen. Achten wir das Leben? Was ist heute illegal, was legal?
Der Hexenprozeß gegen den Fürstenberischen Registrator Obervorteiverweser und Notar Mathias Tinctorius und Consorten zu Hüfingen.
Ein Sittenbild aus den 1630er Jahren von Archivrath Franck in Donaueschingen
1872
* Text von Archivrat Franck in Schwarz, meine Bemerkungen in blau
Über die Hexenprozesse ist eine umfangreiche Literatur vorhanden, welche nicht nur die Wirkungen der Prozedur auf die Angaben der Angeklagten, (zum Beispiel durch den malleus maleficarum* als Verhörsdirektorium und die Tortur als hier wenig beschränktes Überführungsmittel), sondern auch die davon ganz unabhängigen psychologischen und kulturgeschichtlichen Quellen des in fast allen seinen Details gleichmäßig überallhin verbreiteten Hexenglaubens gründlich erforscht hat. Gleichzeitig sind derselben auch alle Hebel, welche menschliche Verworfenheit zur Ausbeutung dieses Aberglaubens und der gegen ihn gekehrten gefährlichen Inquisitionswaffe für ihre Zwecke benutzte, nicht entgangen, so dass über die Sache im allgemeinen wenig Neues mehr zu sagen bleiben wird.
Dagegen werden immerhin die Vorgänge interessant sein, welche durch das Zusammentreffen eigentümlicher lokaler oder persönlicher Züge eine besondere Bedeutung erhalten. Und diese Art erscheint uns der in der Überschrift bezeichnete Fall, in welchem ein tüchtiger und einsichtsvoller Justizbeamter zu Hüfingen, der bis zu einer Emeute * anschwellenden, aber von langeher durch Einschüchterungen Einzelner aufgestachelten Feindschaft seiner untergebenen Bürgerschaft zum Opfer fiel. Traurig illustriert wird dieses Sittenbild durch die damals zu Hüfingen herrschende sittliche Verkommenheit und maßlose Stupidität, deren „Mißverständnisse“ stündlich das Leben jeden Einwohners in Gefahr bringen konnten, sowie die Gleichgültigkeit und Zweideutigkeit, mit welcher die damaligen Beamten einen der ihrigen, der Wut des Pöbels preis gaben. Andere beiläufige Betrachtungen verschiedenster Art wird jeder Leser sich außerdem selbst bilden können.
*émeute = französisch Aufruhr
§1.
Im Jahr 1631 war Matthias Färber von Kitzigen, genannt Tinctorius, zu Hüfingen in der Baar als gräflich fürstenbergischer Registrator und Obervogteiverweser sowie kaiserlicher öffentlicher Notar ansässig. Tinctorius war ein schon bejahrter Mann, der nach einem mühselig bewegtem Leben menschlicher Berechnung nach in seiner jetzigen Stellung ein ruhiges und geehrtes Alter als Preis seiner mit vielen Anstrengungen und Kämpfen erworbenen Kenntnisse und der damit seinen Herren geleisteten Dienste erwarten durfte. Er berichtete (1631) selbst von sich, dass er, in Kitzingen geboren und protestantisch erzogen, mit 16 Jahren nach Ansbach zu einem Dr. Auer gekommen und dort auch in der markgräflich brandenburgischen Kanzlei verwendet worden sei, wie sein auf Pergament erteilter Abschied auswies.
Dann habe er während drei Jahren bei den Lizentiaten Jakob Erhard zu Speyer sowie in der (Kammer) Gerichtsschreiberei sich Praxis erworben, bis ihn der Bruder seiner verstorbenen Mutter, Wolfgang Bomhardt, Notar des Geistlichen Gerichts zu Mainz, einige Zeit zu sich genommen. „Hernach“ sei er zuerst zum katholischen Glauben übergetreten und habe dann 13 Jahre lang am kaiserlichen Hof (als notarius publius ?) praktiziert und in dieser Zeit geheiratet. Nun hätte aber ihn und seine Frau Jakobäa Schülin aus Zell-Harmersbach Missgeschick und Krankheiten dermaßen verfolgt, dass er mit ihr, (die noch in Hüfingen („alhie“) für lepros* und mit der er (1631) nun 28 Jahre verheiratet war) nach Loretto und Rom gewallfahrt sei und dann für sich allein noch eine Pilgerschaft nach Santiago unternommen habe.
*das Adjektiv lepros hatte die Bedeutung »rau«, »schuppig«, »schorfig«
1) Bis hierher hat T. keine Jahreszahl angegeben, es ist aber ungewiss, wann und von wo die Wallfahrten stattfanden, auch wo seine Frau während seiner Pilgerschaft in St. Jago* war, sowie, wo er sie kennengelernt hatte? Für seine Verwandten in Mainz war die Heirat 1615 noch eine Neuigkeit, wahrscheinlich lebte die Notarin während der spanischen Pilgerreise ihres Mannes in Zell am Harmersbach.
* St. Jago ist Santiago de Compostela – das Ziel vom Jakobusweg. In Hüfingen ist schon seit dem Mittelalter ein Abzweig zum Jakobusweg. Jakobus ist der Heilige von Hüfingen. In früheren Zeiten gab es in Hüfingen viele Pilger. Ein Pilger auf dem Weg war deshalb ein Jakobsbruder.
Jakobusbrunnen
rechts; Bildstock zu Ehren des Stadtpatrons St. Jakobus von Bernhard Wintermantel 1987
Auf der Heimfahrt von diesem Gnadenort kann nun Tinctorius im Winter 1614 nach Heidenhofen in der Baar und übernahm dort auf Vorschlag des Dekans und weil er wohl von Mitteln ziemlich entblößt war, die Schule zu Atzheim (Haseu), die er auch in den Wintern 1615 bis 16 118 noch fort versah, nachdem ihm bereits im Frühjahr 1615 der Rentmeister zu Donaueschingen als Gehilfen beschäftigt und er nun Pfingsten 1618, dort sogar von den gesamten Grafen von Fürstenberg die Stelle eines Registrators und Landgerichtsschreiber erlangt hatte.
Im Jahr 1619 erhob er zu Mainz persönlich sein Erbteil von W. Bomhardt, das seine dortigen Verwandten sich angeeignet hatten, weil sie ihn angeblich für tot hielten. Zwei Jahre später dankt Tinctorius dem Grafen Bratislaus I. von Fürstenberg-Möhringen, Reichshofrathspräsidenten für einen Urlaub, den ihm derselbe ad recuperandam plenariam restaurationen pristinae sanitatis ad Thermas Piperinas (Pfeffers) gewährt habe, wofür er den Grafen mit seiner gleichzeitig nach Einsiedeln vorhabenen Wallfahrt fleißig im Gebet bedanken wollte.
Wratislaw I. Graf von Fürstenberg (* 31. Januar 1584 in Prag; † 10. Juli 1631 in Wien) Foto: Franz Christoph Khevenhiller, Wikipedia
Aber bald danach klagt er über Wohnungsnot und Mangel an Brennholz in Donaueschingen, und im Jahr 1622 finden wir ihn dann als Registrator und Notar in Hüfingen, auf dem Gebiet der Grafen Bratislaus I., wo ihm vom Oberamtmann Fringl zu Haslach eine Remuneration von 200 fl. als recompens des von ihm bisher in der Gemeinschaft, sowohl in der Registratur als auch anderen negotiis, gebrauchten Fleißes in Aussicht gestellt, und er der besonderen Gnade der Herrschaften versichert wird. Vor allem nahm sich seiner Graf Bratislaus I. an, in dessen Kanzlei er gerne anerkannte Vieles gelernte zu haben, und der ihn am 26. November 1628, auf Grund des kaiserlichen Palatinatsprivilegs, mit einem Wappenbrief, begnadigte, welcher Tinctorius, „in den Stand und Grad der Lehen- und Wappengenossen erhob.“
Übrigens war sein Verhältnis zu dem genannten gräflichen Hause Fürstenberg ein ziemlich verwickeltes, da er nicht nur der Möhringer Nebenlinie, sondern auch der ganzen Heiligenberger Hauptlinie und den Söhnen des Grafen Christoph II. und der. Kinzigthaler Hauptlinie verpflichtet war, welche letztere zeitweise wegen Teilung ihrer Lande mit Graf Bratislaus I. im Streit lagen. Aus diesem Grunde sah sich zum Beispiel Tinctorius im Dezember 1628 auf Verlangen des Grafen Bratislaus II. von Meßkirch genötigt, gerade seinen besonderen Gönner, dem von ihm als Geschäftsmann bewunderten Grafen Bratislaus I. den Dienst zu kündigen, wenn ihm nicht gestattet sei, seinem gesammten Herrn gleichmäßig zu dienen und das gemeinsame Archiv und die Landschreiberei, welche beide sich nicht separieren ließen, zugleich zu versehen. Diese Skrupel sollte dann wohl der Wappenbrief und jedenfalls am 19. Juli 1629 ein Rescript des Kaisers beschwichtigen, der Tinctorius ausdrücklich die Erlaubnis gab, nicht nur den Grafen insgesamt, sondern auch dem Grafen Bratislaus I. insbesondere wie seither in dem streitigen Geschäft zu dienen. Dass er fortwährend als ein bewährter und tüchtiger Mann bei diesen seinen Herren in großem Ansehen stand, werden auch für die Zeit der Katastrophe, die so unvermutet über ihn hereinbrach, unten zu erwähnende Dokumente beweisen.
Dass einen so geschätzten Mann eine von unten angezettelte Intrige nicht nur stürzen, sondern sogar dem Henker überliefern konnte, erscheint jedoch vielleicht nicht mehr so unerwartet, wenn man aus den Akten einige scheinbar unbedeutende Umstände zusammenhält, die bei den damaligen Sitten und Anschauungen allerdings eine geschickte Hand zu einer gefährlichen Waffe machen konnte.
Tinctorius hatte nämlich (wie er ausdrücklich bemerkt) zu Hüfingen nicht nur von vornherein die dem Baarer angeborene Missgunst gegen die Fremden gegen sich, sondern auch persönliche und örtliche Interessen in Menge verletzt. Schon im Jahr 1619 hatte ein Zufall auf der Mainzer Reise ihm eine Familienfeindschaft zu Geisingen geschaffen, die ihn bis Hüfingen verfolgte, dann wollte man 1626 zu Mundelfingen und anderwärts in der Baar ihn als Anstifter einer höheren Belastung der gildpflichtigen Erblehenbauern ansehen und auch für sonstige lästige Neuerungen ihn allein verantwortlich machen. Überall, wo er im Dienst Missbräuchen entgegentrat, schuf er sich natürlich ebenfalls Feinde, sei es in dem Meister Hans, Scharfrichter zu Donaueschingen, dem er die Zeche bei seiner blutigen Arbeit in Hüfingen beschnitt1*, sei es in dem herrschaftlichen Gefälleerheber2* Ribola zu Hüfingen, der sich mit des Tinctorius Geheiß bei den Steuerpflichtigen fälschlich entschuldigen wollte, welche er aus eigenem Antrieb mit Pfändungen verfolgte. Und endlich bedurfte es in Hüfingen nur sehr wenig, um die ganze Freundschaft eines dortigen Erbgesessenen 3* als Meute gegen sich aufzubringen, welche nur eine günstige Gelegenheit abwartete, um ihr Opfer zu hetzen und wo möglich zu zerreißen. Wir werden im Nachfolgenden überall Erscheinungen finden, welche das Gesagte bestätigen und uns bereits genannte Personen ins Gedächtnis zurückrufen werden.
1* Der Hüfinger Galgen befand sich auf der Höhe des „Hölensteins“, den Luzian Reich senior angekauft und teilweise kultiviert hatte. In einer finstern Dezembernacht im Jahre 1829 hatte Luzian Reich und sein Freund, Bürgermeister Burkhard die Pfeiler umgestürzt und die schweren steinernen Kugeln, mit denen sie geziert waren, den felsigen Abhang hinunter rollen lassen. Ein Gepolter, das der alten Großmutter im nahen „Henkerhaus” wie Geistergetös vorgekommen sei. (Lucian Reich im Denkbuch)
Ausschnitt aus Karte von Hüfingen aus 1662 von Martin Menradt mit Seemühle und Galgen.
Foto: Dr. Jörg Martin (FF Archivar)
2* Ein Gefälleerheber war vermutlich der Pachteintreiber.
3* Erbgesessene sind vermutlich Untertan die da geboren wurden und nicht zugewandert sind.
§ 2.
Als am 5. Juni 1631 die Räte und Beamten der gemeinschaftlichen Regierung der Landgrafschaft Fürstenberg zufällig in Geschäften zu Hüfingen versammelt waren und gleichzeitig Schultheiß und Rat im Stadtgericht daselbst saßen, entstand plötzlich ein Auflauf, weil ein gewisser Hans Franz (Welsch-Hans genannt), sich in einem Anfall von Tobsucht vom Bett erhoben und im Hemd mit einem Prügel auf der Straße allerlei Drohungen und Unfug getrieben hatte, bis er glücklich bewältigt und verwahrt werden konnte. Bei dieser Gelegenheit schrie nun die Frau des Kranken, ihr Mann sei von dem Notar Tinctorius und dessen Frau durch einen Trunk vergiftet, was den zusammenlaufenden Haufen so sehr erhitzte, dass er zuerst den Notar und seine Frau in deren Haus überfiel und mit Tod und Mißhandlung bedrohte, dann aber in die Ratsstube drang und vom Rat eine Deputation an die Beamten verlangte, um obrigkeitliche Hilfe und Assistenz.
Diese wurde entsendet und bat zunächst um Verwahrung und Pflege des Rasenden, dann aber auch um Untersuchung gegen die Notarin, welche im Verdacht stehe, mit dem Trunk den Ausbruch eines Gefangenen befördert zu haben, denn Welschans zu bewachen hatte und „sonsten ohnedaß von den gemeinen Mann für eine Zauberin gehalten werde.“ Sie sei besonders vom Nachrichter zu Donaueschingen, Meister Hans, öfter in nüchternem als trunkenen Zustand als eine Hexe ausgerufen worden, und die ganze Stadt Hüfingen stehe in der Umgegend im schlimmsten Ruf, als könne man dort gut stehlen und freveln, weil die Justiz nicht recht gehandhabt werde und die Hälfte der Einwohner nichts „werth sei“.
Dieser schlimme Ruf der Stadt werde nicht nachlassen, bis die Obrigkeit dermalen an bewußten, verdächtigen Orten einen Angriff tue, und die liebe Justitia besser als bisher administriert werde, denn ein Rat und ganze Bürgerschaft zu Hüfingen gebe ihrer starken Beschreiuung keine andere Ursache, als das liederliche, übel bestellte, gar zu langsame Prozessieren in peinlichen und Malefizsachen. Dadurch seien verschiedene Skandalosa, namentlich aber die Flucht des von Welschhans bewachten Verbrechers möglich geworden, und derjenigen, der in solcher Sache das Direktorium geführt, (Tinctorius) werde dies schwer vor Gott und der Herrschaft zu verantworten haben. Sie bäten um Abhilfe, stünden aber, wenn diese versagt würde, für nichts.
Inzwischen war jedoch auch Tinctorius in der Versammlung der Beamten erschienen und brachte durch seine Gegenvorstellung so viel fertig, dass der Rat von seiner zurzeit noch unbefugten Vorhaben und Intent abgemahnt und zur Ruhe verwiesen wurde. Dagegen wurde auf den anderen Tag eine große Gemeindeversammlung anberaumt, worin (auf Verlangen des Notars selbst), Erhebungen über den Ruf der Notarin gemacht und dann darüber, wie über die anderen Beschwerden der Gemeinde an Graf Bratislaus I. berichtet werden solle, der entsprechend verfügen werde.
Anderntags stand sich die Gemeinde wirklich auf dem Rathaus vor den Beamten ein erwählte in Job Groß und Mathäus Schaffbücher zwei Fürsprecher, um sich über dem Aufruhr zu rechtfertigen und ihren Verdacht gegen die Notarin zu begründen. Diese beriefen sich in letzter Beziehung auf die Angaben des Wälsch-Hans und seiner Frau und baten die am Zusammenlauf beteiligten Bürger einzeln zu vernehmen, was sofort geschah. Es ergab sich hierbei, dass die Notarin bei den Hüfingern allweil sie zu Hüfingen gewesen, für ein böses Weib gehalten worden, wegen ihrer seltsamen Zeremonien, Reden und Gebärde. Sonst aber keine wirkliche Tat gegen sie vorliege.1)
1) Sie kam, wie folglich gezeigt werden wird, schon einfach durch ihren ausländischen Sprachgebrauch in Verwicklung. Allein sie beging doch auch sonstige Extravaganzen. Christoph Groß beschuldigte sie wenigstens, sie habe. Sich mehrmals in sein Haus geschlichen und sei dort am Keller auf der Steige kniend, als ob sie beten wolle, befunden worden, ohne dass sie ihre Absicht genügend erklären konnte.
Am meisten hatte sie Meister Hans der Scharfrichter seit einigen Wochen verschrien angeblich weil sie ihn geschimpft, indem sie ihn „Meister Hämmerlin“ genannt. Er legte nämlich diesen Namen als gleichbedeutend mit Teufel aus, während die Notarin damit nur den im Kinzigtal geläufigen Ausdruck für Nachrichter gebraucht haben wolle. Meister Hans hatte dann zuerst zur Bedingung erklärt, solange sie den Ausdruck Hämmerlin (Teufel) gegen ihn nicht abbitte, erkläre er auch sie für eine Hexe; allmählich aber hatte er sich nicht entblödet, sie unbedingt dafür vor Vielen, an allen Orten zu erklären und beizufügen, wenn Ihr der Notar helfe, so sei der auch ein Hexenmeister. Das hatte in der Menge Wurzel gefasst, zumal das Gerücht ging, in ihrer Heimat sei die Notarin sechs Mal als Hexe angezeigt worden (und sich schließlich ergab, dass wenigstens eine ihrer Schwestern als solche dort verbrannt worden war).
Den größten Schaden jedoch hatte sich die arme Frau jedenfalls durch ihre Gutmütigkeit und ihren schlechten Wein zugezogen. Sowohl der Stadtknecht, dem sie einst zur Ermutigung bei einem gefährlichen Amtsgeschäft ein Glas gereicht, als auch Welschhans, der sich den von ihr für seinen Gefangenen bestimmten Wein angeeignet hatte, wollte davon die schlimmsten (wiewohl zum Teil höchst natürliche) Folgen gespürt haben, und diese hatten gerade den ganzen Auflauf veranlasst! Wie gedankenlos übrigens die Menge in ihrer Feindseligkeit war, ergibt sich schon daraus, dass mit dem für den Gefangenen bestimmten Wein doch wohl nichts gegen die Wächter beabsichtigt sein konnte und dass der toll gewordene Welschehans zwar den meisten Wein, neben ihm aber auch ein anderer Wächter und der Gefangene davon ohne Schaden getrunken hatten!
Mit der Weinzusendung an sich verhielt es sich höchst einfach. Der Gefangene war im Verdacht gewesen, dem Krämer Christoph Groß Waren gestohlen zu haben, leugnete aber und genoss bezüglich der Haft manche Vergünstigungen, weil seine Freundschaft, voran der Stabhalter Ribolla, ihn überhaupt nicht für genugsam graviert erklärte, nun in strengere Haft zu kommen und deshalb unter heftigen Angriffen gegen Tinctorius als Obervogteiverwalter, dessen Verwahrung auf dem Rathaus durchgesetzt hatte. Nachdem der Gefangene jedoch von da mehrmals nachts ausgegangen und ersichtlich Vorkehrungen zur Flucht mit seinem Barvermögen getroffen, war er der Aufsicht zweier Wächter im Schloss übergeben und im Eisen gelegt, auch endlich peinlich befragt (torquirt*) worden.
* Unter einer Torquierung versteht man die irreguläre Verdrehung einer anatomischen Struktur. Im damaligen Kontext eine gewalttätige Befragung.
An den Tag nun (1. Juni), wo Letzteres geschehen, hatte ihm die Notarin (wohl aus Mitleid, vielleicht aber auch aus Rücksicht gegen seine Freundschaft) einen Stärkungstrunk nebst tröstlichem Zuspruch, dass seine Sache nicht gar so schlimm stehe, geschickt, und der Gefangene hatte ihn ohne Schaden gekostet, ebenso wie der zweite Wächter. Nur Welschhans, der dabei für zwei getrunken, klagte damals, dass der Wein ihm „das Eingeweide umgedreht“ und die Wächter, die offenbar den Gefangenen auf Anstiften Ribolas und seiner Freundschaft in der Nacht entweichen ließen, suchten hernach dieses den Wirkungen eines magischen Trankes Schuld zu geben. Nicht nur der Pöbel schenkte ihnen Glauben, sondern Ribola’s und seiner Freundschaft in der Nacht entweichen ließen, suchten hernach dieses den Wirkungen eines magischen Trankes Schuld zu geben.
Nicht nur der Pöbel schenkte ihnen Glauben, sondern Ribola und Konsorten hatten auch noch die Keckheit, den Notar für die durch sie erzwungene, schlechte Bewachung vor der Herrschaft und Gemeinde verantwortlich und seine unglückliche Frau als Anstifterin der Flucht namhaft zu machen!
Das Alles legte Tinctorius klärlichst in einer an den Grafen Bratislaaus I. am 14. Juni 1631 gerichtlichen Relation über die Entweichung des Gefangenen mit siegreichen Gründen dar, während er gleichzeitig in einer weiteren Schrift die passiones ineulpabiles M. Tinctorii notarii ac conjugis tristissimae dem Grafen beweglich darstellte und um dessen Schutz bat. Es geht daraus zwar hervor, dass die Notarin vorläufig nicht weiter amtlich belästigt wurde, dass aber die Lage des Notars und seiner Frau darum doch eine sehr bedenkliche geworden war. Er sagt:
„Mein leidiger Kummer wird auch umb so viel gemehrt, daß meine blutdürftige Widersacher mich und mein Weib allhier in der ganzen Landgrafschaft also verschreit haben, daß man auf mein unschuldiges Weib, wenn sie aus dem Haus in die Kirchen oder Garten geht, gleichsam mit Fingern deutet und diejenigen Weiber, so uns gern schaffen, abstellig macht, auch da meine Magd die Wahrheit saget, man’s nicht glauben will. Halten ihre heimliche conspirationes und inquisitiones wider mich und mein Weib, damit sie ihre Müthlein genugsam an uns erkühlen, uns in Schand und Spott bringen und womöglich in einem Löffel ertränken können.“
Zum Schluss bittet Tinctorius um Einsicht, der über seine Frau zu Hüfingen und Zell am Hamersbach gemachten Erhebungen zur Widerlegung und um Zuziehung des Dr. Meerleins von Rottweil oder eines anderen Juristen bei ferneren Untersuchungsverhandlungen.
In dieser, wie in mehreren folgenden Vorstellungen bezeichnet Tinctorius den Stabhalter Ribola und den Krämer Groß ganz ausdrücklich als die Anstifter und Hetzer gegen ihn und schildert seinen Gesundheitszustand und den seiner Frau als durch die Angst und Sorgen im höchsten Grad angegriffen.
Da er keine Kenntnis von den erhobenen Protokollen erhielt, so wusste er nicht einmal, dass Ribola am 24. Juni sogar aus Geisingen den Ulrich Hockelmann herbeigeschafft hatte, um durch denselben selbst von der 1619er Mainzer Reise her gegen den Notar Verdachtsgründe wachzurufen. Groß und Ribula, früher Todfeinde, hatten sich in dem Hass gegen den Notar versöhnt. Infolgedessen war letzterer gewiss ein Zauberer.
Am 30. Juni bittet Tinctorius um Enthebung von dem Obervogt Dienst, zu dem er eigentlich nicht qualifiziert und den er auch nicht mehr versehen könne, weil ihm die Hüfinger den Gehorsam zu verweigern gedroht hätten.
Was die Beamten, nämlich der Oberjägermeister Junker Hans Ulrich von Ramswag zu Bräunlingen, der Landvogt Junker H.G. Egloff von Zell zu Immendingen und der Rentmeister Quirin Heitzmann, inzwischen an den Grafen Bratislaus I. nach Wien berichtet, findet sich in den Akten nicht. Nur so viel erhellt aus einer Vorstellung des Heizmann an den Grafen, dass eine regelrechte Prozedur gegen das (Hexen-) „Ungeziefer“ beantragt war und dass Heitzmann die Anmutung, die Obervogtei zu übernehmen, zurückweist. „Kann und weiß in diesen also Weitläufigen ohne Ihre Excellenz nit zu dienen, in maßen mir zuletzt das Bad auszutragen und die Klett‘ im Bart zu werden zugeeignet wird, dann es fallen Sachen, für die mir ohne Ihrere Landgräflichen Exzellenz gnädigsten Befehl zu verantworten nicht getraue.“ „Man solle ihn bei seinen gewohnten Geschäften lassen, „darauf ich allbereits ins dritte Jahr die Wahrheit an den Tag zu bringen Ihrer Exzellenz Ankunft erwarte.“
Gegenseitiges Misstrauen, Unsicherheit im Behandlung so schwere Delikte ohne die (im Fürstenbergischen übliche) Zuzuziehung von Rechtsgelehrten oder Erhebung rechtlicher Gutachten scheint die Beamten untätig gemacht zu haben, während Ribola und Konsorten in ihren Aufwiegelungen und Einschüchterungen (deren die Klageschriften des Tinctorius voll sind) immer kecker wurden. Alles erwartete unter solchen Umständen mit Spannung die Befehle des Grafen Bratislaus I. von Wien, statt dieser aber traf Ende Juli die Nachricht ein, dass der Graf am 10. Juli gestorben sei!
§3.
Bis zu dieser Zeit hatte sich die Wut der Hüfinger nicht zurückhalten lassen. Die Ehrenrettung der Stadt durch eine gründliche Hexenbrennerei, zu welcher am 6. Juni das Signal gegeben worden, hatte bereits am 2. Juli begonnen, und wenn sich die Prozedur auch nicht sofort am ersten Tag direkt gegen die Notarin wandte, so hatte man diese bei allen Schritten doch beständig im Auge. Am 2. Juli wurde eine alte, als Hexe verrufene Bettlerin Anna Beckin ihr Amt geführt, weil man sie, nach dem, neben der Notarin die anderen „Hexen“ mit bedrohendem Auflauf (?) vom 6. Juni für fluchtverdächtig hielt, zuerst „gütlich und dann peinlich befragt“ und dadurch noch an demselben und folgenden Tage zum Geständnis des Bündnisses und der Buhlschaft mit dem Teufel, der Teilnahme an Hexentänzen und vieler Schädigungen von Menschen und Tieren durch Zauberei gebracht. Durch die Frage nach Gespielinnen und denjenigen, die sie auf den Hexentänzen gesehen, wurde dann successiv Agathe Flammin, Anna Bennerin, genannt die Messerschmiedtin, und Anna die Sattlerin in die Untersuchung gezogen, und auch diese innerhalb drei Tagen und je in zwei Verhören (4. 5. und 7. Juli) zu ähnlichen Geständnissen wie des „Becken Weiblin“ gebracht.
Am 10. Juli fand das Schlußverhör und die Konfrontation dieser vier Unglücklichen statt und waren diese damit zum Scheiterhaufen reif.
In ihren ebenso monotonen, wie unsinnigen Bekenntnissen hatten sie als Bekannte von den Hexentänzen her die Katharina Höfelin von Hausen vor Wald, die Anna Kressin (Mathäus Schaafbüchers, des oben genannten Volksvertreters Frau) den Notar, seine Frau und die Witwe Sabina von Schellenberg, geborene v. Freiberg, die Magdalena Löwin, geborene Hütlin und die Anna Stößlin, geborene Gebhard von Hüfingen genannt. Von diesen wurden die beiden Ersten am 11. und 15. Juli, die Notarin am 18. und 20. peinlich befragt und ebenfalls zum vollen Geständnis dessen, was man hören wollte, durch die Tortur gebracht. So waren dann innerhalb wenigen Tagen sieben Frauen zum Tode verfallen, und die Langsamkeit der Justiz in Hüfingen gründlich beseitigt.
Epitaph Burkhard VI. von Schellenberg in St. Verena und Gallus.
1620 wurde Hüfingen an das Geschlecht der Fürstenberg verkauft.
Sabina war wohl die Witwe einer der Söhne von Arbogsts von Schellenberg
Epitaph Arbogasts von Schellenberg in St. Verena und Gallus. Arbogast I. von Schellenberg starb am 23. August 1605 und wurde in der Hüfinger Pfarrkirche beigesetzt. Er hatte aus erster Ehe elf Kinder: Es waren Burkard VI., Katharina, Anna, Konrad VI., Arbogast II., Walpurga, zwei Söhne namens Georg, Wolf (Wolfgang), Heinrich II. und Hans III.
Die Frage, wie es gelang, die „Hexen“ zum Bekenntnis gerade der Schäden zu bringen, deren man sie angeklagt hatte, und gerade die Leute als „Gespielinnen“ anzugeben, welche man suchte, kann aus den den Akten nicht gelöst werden, da die Verhörprotokolle sehr lakonisch und die Fragestücke nicht artikuliert sind. Wenn man jedoch bedenkt, dass die Angeklagten selbst vollständig über das, was man ihnen und anderen nachsagte, unterrichtet sein konnten und waren, zumal bei einer mehrere Tage sichtbar wachsenden Aufregung, so kann diese Beobachtung nicht erstaunen machen, wenn man noch die Nachhülfe der Suggestivfragen des malleus maleficarum und die Absicht hinzunimmt, durch Angabe Vornehmer sich eine, diesen gleiche, mildere Behandlung zu sichern. Daher denn auch das stete Verlangen der Verurteilten, nur mit den Vornehmen sterben zu sollen.
Aus den Angaben der Angeklagten heben wir, als einzig interessant, die Punkte hervor, die auf tieferliegende, alte Wurzeln des Hexenglaubens hindeuten, wie z.B. die Auswahl der Hexentanzplätze, die Gebräuche beim Sabbath, die Geistertiere, die Namen der Buhlteufel u.s.w.
Im Übrigen sind die Geständnisse auch hier ein Gemisch von unmöglich Geschehenem oder selbst nur Gewolltem, von schmutzigen Phantasien oder längst begangenen Ruchlosigkeiten, wie sie in allen Hexenprotokollen vorkommen, und höchstens das auffällig, dass hier beständig von Zechen und Betrunkensein der Frauen jeden Alters und Standes die Rede ist.
Neben verschiedenen bewohnten Räumen in Hüfingen, werden als Hexentanzplätze der Heuberg (auf der Alp, bekanntlich der schwäbische Blocksberg), der Schussen, Eschingerberg, der Wolfsgarten bei Villingen und der Negelsee (bei Pfohren ?) genannt und sagt dabei die Beckin ausdrücklich, der Heuberg sei der älteste, der Wolfsgarten der neuere und der Neglesee der neueste Tanzplatz (Letzterer zuerst seit 4-5 Jahren).
* Eschingerberg ist der Schellenberg. „Schussen“ und „Schossen“ ist der Schosen.
Als Transportmittel dahin werden außer Stöcken und Gabeln Katzen, Böcke, Schaaf, Hund, Hahn („Guler“), Hase, Fuchs oder sonst ein rotes Tier genannt. Bei den Hexenfesten wird viel gegessen, getrunken, getanzt und schließlich gebuhlt. Die vornehmeren Gäste sondern sich von den geringeren, sitzen oben an und sind stattlich heraus geputzt, (Niemand nackt, wie sonst oft), die armen Hexen müssen beim Tanz das Licht halten, die Tische decken x.x. und befaßt man sich sonst nicht viel mit ihnen. Von ihren teuflischen Liebhabern bekommen sie bei dem geringsten Widerspruch Schläge, die von ihnen empfangenen Geldgeschenke verwandeln sich in Roßkot oder Scherben. Die Teufel selbst erscheinen als Bauern, Ackerknechte, Schmiedgesellen (nicht als Jäger wie sonst) und heißen Federlin, Gräslin, Meister Hämmerlin u.s.w.
Ihre Hexen trinken sich in deren Namen Gesundheiten zu. Die Speisen zum Hexensabbath, z.B. Wein, sind nicht bloss zauberische, sondern werden oft gestohlen, was jedoch zuweilen mißlingt, es fehlen darunter Brot und Salz. Der Zauberschaden wird an Tieren und Menschen mittelst Berührung in des Teufels Namen verübt, Wetter und Hagel werden entweder durch Ausschütten von Flüssigkeiten, die der Teufel bringt, oder durch von ihm verteilte Körner (Samen von Farrenkraut, ähnlich dem Kümmel, Erbsen xxx), welche handvollweise ausgestreut werden, gemacht. Schneckenschaden entsteht durch eine Handvoll Schnecken. Gegenmittel gegen Zauber sind nach den Zeugenaussagen Weihungen, oft heben die Unholdinnen ihren Zauber selbst dadurch auf, dass sie einen Sagen in den 3 höchsten Namen sprechen, überhaupt stehen sie in Augenblicken, wo ihnen der Teufel nicht direkt zusetzt, nach ihrer Meinung mit dem Himmel auf einem erträglichen Fuß. Anfälle von Reue läßt dieser jedoch, sogar trotzt Beichte und Kommunion, den Teufel wieder ungestört durch Schläge und Drohungen beseitigen. (Welche Begriffsverwirrung und welcher Mangel alles religiösen Bewusstseins!). Eine Hexe, welche einer Kuh die Milch genommen, wird dadurch gepeinigt und erkennt, dass man die noch vorhandene Milch siedet, mit einem Gärtlein aus den Palmen in den höchsten Namen schlägt und dann ins Feuer laufen läßt.
Die sechs mit der Notarin eingezogenen Weiber, rohe und dabei offenbar tiefgesunkene Naturen, hatten den Qualen der Folter nur wenige moralische Kraft entgegenzusetzten, es erstaunt daher bei ihnen weit weniger, als bei der Notarin, dass sie so schnell erlagen und die ekelhaftesten Bekenntnisse gegen sich selbst und andere ablegten. Dass die Notarin sogar sich im 2. Verhör verleiten ließ, auf ihren Mann auszusagen, ist jedenfalls eine höchstbedauerliche Erscheinung menschlicher Schwäche, welche dem Armen, der sich für seine Frau so wacker gewehrt hatte, den härtesten Schlag versetzte. Ob ihn ihrer größere Standhaftigkeit gerettet hätte, kann übrigens sehr in Frage gezogen werden, besonders da er, wiewohl nach langem Widerstand, sich doch endlich selbst aufgab!
Als Probe der übrigen Protokolle mag hier dasjenige der Notarin Platz finden, bei dem wohl Vieles zwischen den Zeilen zu suchen ist und auffällt, dass es so ganz und gar nicht auf die Dinge zurückkommt, wegen deren die Notarin eigentlich verfolgt wurde. Ihre Bekenntnisse sind im Ganzen ziemlich farblos nach der gewöhnlichen Verführungsschablone, doch fällt es auf, dass sie ihren angeblichen ersten Fall nicht mehr durch Überlistung und Drohung zu entschuldigen sucht, sondern sogar das gemeinste Motiv dafür angibt, während mehrere ihrer Gespielen darin eine Spur von Scham zeigten.
Das Protokoll lautet wörtlich, jedoch mit modernen Orthographie:
„Actum Hifingen, den 18. Juli anno 1634. Sub dato ist Frau Jacobe, Herrn Mathia Tinctorii, not. publ. zu H. Hausfrauen ab dem Rathaus in Thurn geführet und im Beisein der edel gestrengen, edel hochgelehrten, ehrenwerten und hochgeachten x.H.U. v. Rambschwag, Herrn Dr. Werlin, des kaiserl. Hofgerichts zu Rottweil Advokaten, D. Heitzmanns Rentmeisters zu H., Michael Rothen Schultheissen daselbst, durch den Schafrichter von Villingen an die Tortur geschlagen und examiniert worden. Sie hat bekannt, wie folgt:
Erstlich als sie von Donaueschingen allhero nach Hifingen gezogen, habe ihr Mann zu D. die Letzte getrunken, hernach uf H. zugegangen, ihr Mann hervorgeloffen und gesagt, er ihr das Thor aufhalten wolle. Interim der böse Geist in Gestalt als hätte er Zottelkleider an zu ihr kommen, sie um Beschlafung angeredet, mit Versprechung, er ihr Gelds genug geben wolle (!) habe ihm eingewilliget, die Vermischung mit ihm verbracht, auch hernach von ihm, als sie vermeint, Geld empfangen, es wären aber nur Hafenscherben gewesen. Mit Vermeldung, er über 3 Tage wieder zu ihr kommen wolle, müßte alsdann Gott und alle Heiligen verleugnen und sein werden, welches sie ihm versagt, dahero übel von ihm geschlagen worden.
Darnach sei selbiger böse Geist über 3 Tage zu ihr im Hof in das obere Schloß (zu H.) in voriger Gestalt kommen, ihren zugemuthet, Gott und alle Heilige verleugnen solle, zuvor aber sie beschlafen, der Verleugnung sie sich aber geweigert und die Mutter Gottes angerufen, darum sie abermal übel von dem bösen Geist geshlagen worden. Dies habe er solang mit ihren getrieben, bis sie endlich Gott und alle Heiligen verleugnet. Hernach hab‘ er ihr viele unterschiedliche mal zugemuthet, die Früchte, Vieh und Anderes zu verderben.
Item es wäre 4 Jahre, habe der böse Geist, der sich „Gräslin“ genannt, sie in Wolfsgarten zu einem Tanz auf einer Katze geführt, habe damalen Niemand gekannt; hab‘ neben ihren banalen unbekannten Gespielen zu Brennlingen in einem Keller Wein holen sollen. Dieweil aber der Keller zu wohl gesegnet gewesen, haben sie daselbst kein Wein bekommen können, darum sie abermal übel geschlagen worden. Item am nächst verschienenen Ostermarkt sei ihr Teufel abermals zu ihr kommen und zugemuthet, upp Schossen zu gehen, daselbst einen Hagel über die Früchte anzurichten, so alle in Grund verderben sollen. Seien daselbst ungefähr etlich fromme Leut vorübergegangen und da sie Wetter besorgt, gute Wort unser Herrgott wölle die Frücht behüten gesat, davon die Geblüht an den Bäumen verderbt worden.
Item bald hernach sei sie mit ihren der Gefangenen Gespielschaft nachts in die alte Ludergasse zu einem Tanz gefahren, habe zwar ihren Willen auf den Eschingerberg gehabt, aber sich endlich unter einander räthig geworden, ihren Muth in gemelter Ludergaß zu verbringen. Deßgleichen unlängst zuvor sei sie mit gemelter dr Gefangenen Gespielschaft in dem obern Schloß bei einem Tanz gewesen.
Actum 20. July Sonntags uf Margaretha. 1)
1) Wahrscheinlich hatte man die Deliquentin am 18. auf der Folter dermaßen zugerichtet, daß man ihr einen Tag Erholung gönnen mußte, dafür „arbeitete“ man am Sonntag!
Bekennt die Notarissin, daß ihr Mann mit ihren Allzeit aller Orten, allda sie gewesen, zu den Hexentänzen gefahren, vermeint, er uf einem Geißbock gesessen sei und er, ihr Mann, das Hexenwerk vor ihr konten habe, sie es aber lange nicht gewußt. Item ihr teuflischer Buhl Gräslin hab ihr vielfältig zugemuthet, Leut und Vieh zu lähmen, habe sie es niemahlen thun wollen, sondern sich ehender selbst gelähmt. Derwegen jedesmal übel von ihme mit Streichen tractirt worden, hab ihr selbsten durch Baden wieder geholfen. Damit ihr Aussage thut sie bescließen!
Die Protokolle der 7 inhaftierten Frauen wurden sofort dem Dr. Johann Werlin, Syndicus zu Rottweil zugeschickt und dieser sprach am 22. Juli auf Grund „der so gut als peinlichen Bekenntnisse“ (ungesäumt und ohne die mindeste Erörterung der Fehler und Lücken der Untersuchung, welche selbst einem Hexengläubigen, doch nur aufmerksamen Juristen in die Augen springen mußten) sein Gutachten dahin aus, dass dieselben mit dem Schwert zu richten und ihre Leichen zu Asche zu verbrennen seien. Über die damalige Praxis sagt Werlin, ar. 109 der Carolina verdamme zwar nur die Zauberer, welche Anderen (Personen oder Sachen) Schaden zugefügt, zum Tod durch’s Feuer, und wolle sonst die Zauberer nur nach „Gelegenheit der Sach“ gestraft wissen, weshalb manche Gelehrten in letzterem Fall gar nicht auf Todesstrafe erkennten. 1)
1) Am Ende des Jahrhunderts hatte diese mildere Doctrin gesiegt und in solchen Fällen nur Auspeitschung erkannt. Dr. Werlin war, wie aus den Akten hervorgeht, ein junger Rigorist, der sich deer härteren Coctrin kurzweg anschloß und damit einer schärferen Unterscheidung der einzelnen Reate überhob!
Die gemeine Praxis erkenne auch hier auf den Tod, werwandele aber, außer bei besonders hartnäckigen unbußfertigen Sündern, die Feuerstrafe stets in eine mildere Todesart, indem sie die Zauberer, welche dem Teufelsbund absagten und reum+thig zu Gott zurückkehrten, entweder erdrosseln oder enthaupten, und denn nur ihre Körper verbrennen ließe. „Sintemal eine christliche und gottliebende Obrigkeit sich zu besorgen hat, es möchten etliche von solchen Malificanten, so sie alle lebendig verbrennt würden, aus Verbitterung oder Kleinmüthigkeit, in gröbere Sünd und Verzweiflung gerathen und von einem Feuer in das Andere (dafür der gütige Gott sein möge) wandern.“
So verschieden daher auch die bekannten Vergehen der 7 Personen seien, indem mehrere eigentlich keine Schädigung durch ihre Zaubereien gestanden, so erkenne er doch für Alle auf die gleiche Strafe!
Das Gutachten wurde noch am gleichen Tag nach Hüfingen geliefert, dort am 23. durch Junker Landvogt, Junker Ramswag, Rentmeister Heitzmann und den Schaffner von Möhringen am Morgen das Blutgericht gehalten, und dann alle 7 Hexen, nach Werlin’s Antrag, mit dem Schwert hingerichtet.
Vor Hegnung des Blutgerichts soll dem Notar und der Frau v. Schellenberg freigestellt worden sein, die Deliquentinnen, die auf sie ausgesagt, sich gegenüberzustellen, allein Beide sollen es abgelehnt haben, was übrigens mit den eigenen Erklärungen des Notars in seiner Beschwerde gegen die Untersuchung nicht zutrifft. Jene Weiber waren dann nochmals vor der Hinrichtung verwarnt worden, ihre Seelen mit falschen Angaben nicht zu belasten, allein Alle, (selbst die Notarin) hatten erklärt, sie blieben bei dem Gesagten, hätten darauf schon gebeichtet und comunieirt und wollten nun darauf sterben. Vermerkt wird im Bericht an den Grafen vom 26. Juli, dass die sechs anderen Hexen keine Rede und Antwort in das Recht hätten geben, auch nicht sterben wollen, die Notarin werden dann auch, wie sie, torquirt, worauf hin sich diese wohl accomodirt und begehrt, mit ihnen gerichtet zu werden. Die Notarin habe eine halbe Stunde lang gebeichtet und sei so christlich gestorben, „daß wenig gefehlt, sie den Priestern zugesprochen hätte.“
§4.
Tinctorius hatte sich ausbald nachem seine Frau eingezogen worden, und ehe er noch von deren Geständnissen wußte, in das gräfliche Hinterschloß geflüchtet und hatte dasselbe nicht wieder zu verlassen gewagt; wohl weniger weil ihn das „Gewissen drückte“ wie D. Heitzmann im Bericht vom 26. Juli gutherzig meint, als weil er im Burgfrieden ein Asyl zu finden hoffte, bis zur allseitig erwarteten Verfügung oder Ankunft des Grafen.
Der Notar hatte sich in der Registratur eingerichtet und ließ sich in einem anderen Zimmer von seiner Magd kochen, auch alle seine Habseligkeiten ins Schloß bringen. D. Heitzmann berichtet von seinem schweren Kummer und fügt bei:
„Ich rede es ihm aus, so gut ich kann, will ihm zur Verhütung besorgenden Unheils meinen Bruder zugeben, der interim besser die Registratur im Kopf verfassen könnte, sonsten könne T. ausreißen oder aus Kleimuth ihm selbst den Tod, zuvor in den Schriften schrecklichen Schaden zufügen, oder das Schloß gar in Barnd stecken, dann man wohl sieht, der Teufel nichts Gutes anstiftet.“
Schon längst vor Einziehung der Notarin (am 18. Juli), hatte der Notar in einem von Ribola nachher unterschlagenen) Bericht an den Grafen weitere jämmerliche Schilderungen seiner Gemütsstimmung und der seiner Frau, ihrer Isolierung gleich Verpesteten gemacht und selbst die Befürchtung von Lebensnachstellungen ausgesprochen. Letzteres bestätigt so ziemich das Schreiben der Junker Egloff und Rambswag vom 10. Juli, worin sie den (gerade an diesem Tage verstorbenen) Grafen Bratislaus I. dringend um Befehl bitten, weil die längere Verzögerung des Angriffs gegen den Notar und sein Weib „starken Unwesen causire,*“ indem dieselben zu sehr gravirt seien.
* causire= franz. cause = Ursache – also verursachen
Als nun die Notarin am 23. Juli ihrem Schicksal verfallen und ihm von oben genannten Blutrichtern die Nachricht von ihrer Aussage zugleich mit der ihrer Hinrichtung gebracht worden, konnte auch er wohl an seiner Rettung verzweifeln. Er wandte sich daher in einem letzten Schreiben am 23. Juli nochmals um Gerechtigkeit an seinen, sonst so gnädigen, (jetzt leider, ohne daß er es wußte, für immer verstummten) Herrn, wie folgt:
„Dieser Stunden seind Junker Landvogt, Junker Ramschwag, Rentmeister und Schaffner in die Kanzlei, darin ich mich aufhalte, kommen und (Gott dem Allmächtigen, als dem wahren und gerechten Gott, Erkundigern aller Herzen, allen Gottesheiligen und Ew. Landgr. Excellenz sey es mit innigem Seufzer geklagt) mir com commiseratione angezeigt, daß ic nicht allein von den Eingezogenen, sondern auch von meinem eingenen Weib für ein Hexenmann angeben worden sei und weil man sie uf heut instificiren werde, müsse man vernehmen, ob sie mich wieder entschlagen werden.
1) Es scheint das weiniger ein Erbieten der Confroniation als eine Hinweisung auf den oben erwähnten, einseitigen Schlußvorhalt gewesen zu sein.
Nun begehre ich nicht mehr danu der lieben Wahrheit und Gerechtigkeit, dabei will ich mich auch finden lassen, will auch Alles leiden, was Gottes gnädiger Will ist und bekenne rotunde, daß ich, solang ich meinem Weib cohabitiert, das Geringste von ihr nicht verspürt hab, ja sie so unschuldig gehalten, daß ich für sie hätte wollen in das Ferner gehen. Also wenig ich von ihr sagen kann, sowenig sie und die andern Weiber, welche ich außer der Messerschmiedin nicht kenne, mit Wahrheit das Geringste von mir sagen können. Ew. Landgr. Excellenz sein meine tägliche und nächtliche labores, und daß ich überflüssig mit der Feder zu tanzen hab, wohl bewußt!
Und kann wohl sein, maßen ich etliche historias erzählen hören, daß der böse Feind, in Gestalt eines Menschen die Leut arglistig zu verblenden practicirt, darauf dann auch mein und andere Weiber sterben können, daß sie vermeinen möchten, ich sei es gewesen. Doch weiß ich mich dieses Lasters (Gott Lob und Dank) unschuldig, denn wann ich dergleichen Gesell wäre, wollt ich mir zu leben nicht wünschen, wie ich dann meinem Weib dergleichen Lehr auch geben.
Ich befiehl die Sach Gott dem Allmächtigen, als dem wahren und gerechten Gott, und EW. Excellenz mich als einen alten, betragten Diener zu Landgräfl. Gnaden. – Hüfingen im Schreck, 23. Juli 1631″
Da er längst fühlen mochte, daß er mehr von der himmlischen als irdischen Barmherzigkeit zu hoffen habe, so errichtete er am 26. Juli sein Testament, worin er vrschiedenen Klöstern in der Nachbarschaft und den Kirchen, Kapellen und Stiftungen zu Hüfingen namhafte Vermächtnisse zu seinem, und seines Weibes Seelenheil aussetzte. Neben vielen Messen, wünschte er auch mehrere Wallfahrten, (womöglich nach St. Jago), für die er Summen aussetzte.
Doch sollte er noch immer einige Zeit in seinem Asyl unangegriffen bleiben, weil selbst Werlin am 25. Juli geraten hatte, die Procedur mit ihm und der von Schellenberg bis auf den Befehl des (damals noch im Leben geglaubten) Landgrafen ausgesetzt zu lassen, obgleich juristisch ihre Inquisition und Inhaftnahme längst gerechtfertigt sei, „Gestalt aus vielen Ursachen Ihrer Excellenz an des Notarii Person hoch und viel gelegen.“ Erst mit der Nachricht von dem Tode des Grafen Bratislaus I. scheint man ihn im hinterem Schloß, wohin er sich geflüchtet, in förmliche, jedoch gelinde Haft gebracht zu haben. Wenigstens liegt ein Brief Heitzmanns an Tinctorius vom 16. August vor, worin auf eine Tags vorher gehabte Unterredung in Gegenwart der Wächter hingewiesen und die ungehinderte Einhändigung des Briefes, der Vertrauliches enthält, vorausgesetzt wurde. Heizmann sagt darin, er sei Sonntag (10. August) nach Immendingen beschieden gewesen, wo ihn und den Landvogt der Graf Bratislaus II. über die Sache des Notars mit Bedauern befragt und sie dem Grafen das Rechtfertigungs-Schreiben des Tinctorius übergeben, worauf jener den Notar zu trösten und ihm sein gnädiges Mitleiden anzuzeigen befohlen, auch daß er sich gedulden möge, bis der Graf nach Hüfingen komme. „Inerim aber soll Tinctorius, weil der Herr ohnedieß Langeweit, was Ihre Gnaden sich wegen allbereit tragender Vormundschaft zu versehen, ufs Papier bringen, was alles für Rechtfertigungen (Processe) an einem und andern Ort, auch worauf der Herr (T.) vermein dawider zu procediren und man dagegen am Besten fundirt sey, angeben x.“
Alles natürlich zur Abwehr der „Langweile“ und zum Lob des falschen Biedermanns Heitzmann bei der neuen Herrschaft, für welche derselbe die Wissenschaft des Notars und Registrators noch schnell recht nutzbar machen wollte. – Seitdem wir oben gesehen, wie Heitzmann nur „tröstete“, um den Bedrohten sicher zu machen, „nicht ausreisen zu lassen“, und daß er für dessen Stelle bereits einen Bruder in petto hatte, kann über seine Falschheit kein Zweifel mehr sein, selbst wenn das Folgende nicht noch weitere Belege dafür lieferte!
Daß auch Tinctorius den Rentmeister so beurteilte, ergibt der weitere Inhalt des Briefes, worin auf eine Scene zwischen Beiden vom vorigen Tag hingewiesen wird und Heitzmann sich über Vorwürfe beklagt, die ihm Tinctorius trotz seiner „Freundschaft“ („vielleicht aus Bekümmerniß oder teils aus Weinfruchte“) gemacht. Der Schluß des Briefs verspricht dem Notar alles Gute, wenn er das Verlangte tue, wodurch er sich wieder eine so gnädige Herrschaft erwerben könne, wie er leider eine (in Graf Bratislaus I.) verloren.
Die auffallend rasche Hinrichtung der Notarin entschuldigt Heitzmann endlich damit, dass die Junker gerne damit gezögert, dass jene aber selbst ausdrücklich begehrt mit den Anderen „gerichtet“ zu werden und man dies Begehren nicht abschlagen können, „sondern sie also in einem guten Eifer selig sterben lassen, nun ferner daraus folgender Kleinmütigkeit vorzukommen.“
Nach diesem süßen Schreiben würde es erstaunen machen, den Notar schon am 22. August ein Eisen geschlagen und aus dem Schloß in den Turm gebracht zu sehen, wenn wir die versteckten Absichten des Heitzmann nicht bereits aus dem Bericht vom 26. Juli erkannt hätten und wenn uns ferner nicht in einem Briefe des Chr. Gotz an seinen Bundesgenossen Ribola folgende Stelle begegnete:
„Für das Andere hat man Schreiben funden hinter dem Muckenfeistlin (Spitzinamen, dem eine Hexe dem Tinctorius gegeben), wie er die gräflichen Gemüter dieß löbl. Hauses Fürstenberg hinter einander gebracht.“ Es war also auch bei der neuen Herrschaft direkt gegen den Gefangenen gearbeitet und dabei die oben berührte, vom Kaiser genehmigte Doppelstellung in gehässiger Weise ausgebeutet worden.
Am 23. Aufugs 1631 stand nun in Gegenwart des Junkers Ramschwag, des Dr. Werlin, des Rentmeisters Heitzmann (!) und des Schultheißen Roth von Hüfingen das erst peinliche Verhör mit Tinctorius statt. Zu diesem Zweck war ein Extract der gegen ihn von den 7 hingerichteten Weibspersonen abgelegten Geständnisse gemacht worden und als er darauf nicht sofort bekennen wollte, beschäftigte man sich an jenem Morgen damit, ihn siebenmal, „doch Alles eodem tempore et una quasi hora“ an der Streckenfolter aufzuziehen. Tinctorius bekannte trotzdem Nichts, so oft er auch bat ihn herabzulassen, um sich zu besinnen, denn Jedsmal sagte er dann, daß er vor Schmerzen „weder Anfang, Mittel noch End wüßte“ Das Siebentemal bar er um Ruhe bis Nachmittag, um sich besser zu „erinnern“, was ihm ex commiseratione zugelassen wurde.
Am Nachmittag bekennt der Notar dann im wesentlichen Folgendes:
Anno 1617, als er zu Astheim die Schule versehen, sei ihm auf dem Heimweg von dem Jahrmarkt zu Villingen, wo er sich mit Wein ziemlich angefüllt, ein junges Mensch in Gestalt einer schönen Jungfrau begegnet und habe ihn zu Buhlschaft eingeladen, er habe dem entsprochen und sei dann nach Hause. Dort sei ihm dasselbe Mädchen wieder erschienen, habe sich ihm als Teufel zu erkennen gegeben, Schmidlin genannt , und gedroht, ihm den Hals umzudrehen, wenn er nicht Gott abschwöre und sich ihm ergebe. Tinctoruis haben dem entsprochen, worauf die Erscheinung in ihrer wahren Gestalt von ihm gewichen, nachher aber vielmals ( auf Hexentänzen oder sonst) in Mädchengestalt mit ihm Buhlschaft getrieben habe. Auf den Hexentänzen erinnere er sich Niemand, als seine Frau, die Frau v. Schellenberg und Magdalene Hütlin (Daniel Löwes Frau) erkannt zu haben, da er als ein Ortsfremder weniger Leute persönlich kenne. So oft er zum Hexentanz habe fahren sollen, habe ihm seine Teufelsgeliebte ein Stecklein, darauf zu sitzen und mitzufahren, gegeben, es sei reichlich gegessen und getrunken worden, aber kein Brot und Salz dagewesen. Sein Buhlgeist habe oft und vielfach von ihm verlangt, Zauberschaden zu tun, allein er habe es nicht getan und sei dafür so sehr geschlagen worden, dass er an Gesischt und Gehör Schaden gelitten.
Nachdem der Notar an diesem Samstag Nachmittag Zeit zu Sammlung bis Montag bewilligt worden, bekannt er an diesem 25. August weiter:
Als der dem Welschhans entwichene Gefangene im Kerker gewesen, habe sein „Buhlschmidlin“ ihm ein Pulver gegeben und verlangt, es solle dasselbe jenem in einem Trunk überschicken. Es sei dies geschehen, ohne dass ihm die beabsichtigte und dann an Welschhans eingetretene Wirkung vorher angegeben worden.
Auf der Maizer Reise 1619 habe er einen Mann aus Geisingen, zugenannt der Siebenfinger, mitgenommen, weil er ziemlich viel Geld in Maiz zu erheben gehabt. Unterwegs sei „sein Schmidlin“ ihm erschienen und habe ihn geheißen, dem Manne ein weißes Pulver einzugeben, davon solle Siebenfinger von Sinnen kommen. Das sei Alles geschehen und „der Siebenfinger“ ganz corrumpirt worden, bis ihm endlich zu Geisingen wieder geholfen worden.
Mit „seinem Schmidlin“ habe er unzähligemal Buhlerei getrieben, aber nur das Erstemal sei es mit natürlichen Dinen zugegangen.
Auf die Tänze wäre er „aus Geheiß seines Buhlen“ sehr oft mit seinem Weibe gefahren (sic!); wie er vermeine, er auf einem schwarzen, sie auf einem weißen Bock. Im oberen Schloß erinnere er sich zweimal mit der v. Schellenberg und Magdalena Löwin (Hütlin) getanzt zu haben.
Schließlich bittet der Delinquent um Gottes Willen ihm ferner nichts „anzumassen“ (zuzumuten) und ihm noch einige Zeit zur Besinnung zu lassen. Auch nach dieser Bedenkzeit beteuert er höchlich, nichts mehr zu wissen.-
Der Inhalt des Protokolls erklärt sich, nach demjenigen was wir bereits wissen auf den ersten Blick von selbst, wenn wir darüber sogar keinerlei Erklärung des Gefolterten selbst hätten und zeigt namentlich, dass die Furcht vor ferneren Folterqualen Tinctorius am Nachmittag bewogen hatte, sich lieber selbst, als Anderen zu widersprechen.
Nach dem gewöhnlichen Verlauf der Hexenprozesse war mit obigen Geständnissen nun der Zweck der Inquisition erreicht und Tinctorius hätte, nach Hegung des Blutgerichts, sofort hingerichtet werden können. Letzeres gscha wenigstens schon am 30. August mit der Magdalena Löwin und Anna Stötzlin, welche sei dem 25. August ebenfalls auf Grund der Aussagen der hingerichteten Weiber, die Tinctorius hinsichtlich der Löwin allerdings bestätigt hatte, eingezogen und, nachdem sie fürchterlich torquirt worden 1), geständig geworden waren.
1) Die bezeichneten Aufzeichnungen in den Akten sind grauenhaft naiv und beweisen, dass besonders gegen die Löwin förmlich mit der Folter gewütet wurde, wenn sie nur dem geringsten Detail, das man bestätigt sehen wollte, widersprach.
Es scheint nach mehreren Aktenstücken, dass der dem Notar gewordenen Aufschub zunächst darin seinen Grund hatte, dass er begonnen, die ihm von Heitzmann angesonnenen Geschäftsauskünfte und Gutachten abzugeben. Dann aber auch, dass unter seinen Richtern Meinungsverschiedenheiten über die ihm zuzuerkennende Strafe bestanden, wobei die rechtsungelehrten Junker von Ramswag und v. Egloff die mildere Ansicht gegen Werlin vertreten zu haben scheinen.
§ 5.
Vom 25. August 1631 bis 10. Mai 1632 lebte Tinctorius fortan noch unter dem Schwert des Gesetzes in steter Todesangst und gerade diese so lange fortgesetzte, schreckliche Lage ist es, die unsere (durch seine Angaben gegen Unschuldige etwas verringerte) Teilnahme wieder mächtig in Anspruch nimmt, weil er nach einger Zeit Fassung genug errang, nun seine „Geständnisse“ zu widerrufen und die Gründe für diesen Widerruf eigenhändig in die Akten niederzulegen.
Am 3. Dezember 1631 nämlich wurden durch den Landvogt Johann Georg von Egloff dem Gericht zwei eigenhändige Schriften des Notar, den Widerruf seine Geständnisse und dessen Motivierung enthaltend, sowie ein Begleitschreiben an Egloff überreicht, worin dieselben quasi als eine Beichte dem alten, „nunmehr gleichkam täglich einen Tritt in seine Ruhestätte thuenden“ Landvort übergeben werden und um Intercession bei der gräflichen Familie gebeten wird.
Der Wiederruf enthält, neben einer allgemeinen Negation des früher Gesagten, die Erklärung, Tinctorius wolle sich der damit auf sein Gewissen geladenen Lügen entledigen, bevor er eichte und vommunicire. Dann fährt er fort:
„Hab‘ ich das Leben verwirkt, begehr ich nicht länger zu leben, will gern sterben (ohnaugesehen, daß ich dem Landgräfl. Haus um ettlich tausend Gulden hätte noch Nutz sein können). Scheue weder die weltliche Schand, noch den Tod, weil ich verhoffe, der Seelen Seligkeit zu erlangen.
Wollen aber Ihre Gn. ad dies vitae mich in ein Stüblein verschaffen und mein noch geringes Leben mit wahrer Reu und Leid büßen lassen, so erkenne ich’s für eine große Gnade.“
Die Motivierung des Widerrufs mag hier wörtlich ihren Platz finden, da sie über das Ganze ein schreckliches Licht verbreitet, welches selbst in das Dunkel der Bekanntnisse der dem Notar voran in den Tod gejagten Weiber hinabschauen läßt. Dem Juristen war es hier glücklicher Weise noch ermöglicht auszusprechen, was Tausende, die nach den Akten stumpf und stumm in den Sod gingen, nur nicht zu unserem Gehör bringen konnten und gerade als ein solches, mit tausend Zungen redendes Blutzeugnis eines Gemarterten ist das Schriftstück für die Kulturgeschichte so wichtig!
Erstlich ist mir per Hr. Tr. Werlein vorgehalten worden; ich hette dem Gefangenen und außgerißenn Leonhard Stahelen einen Trunckh geschickt, so mir als einem Ambtman nicht gebührl hette, von welchem Trnunckh der eine Wächter, genant Welschhans, unbesint worden were, daher es mit sochem Trnuckh nicht rech zugehn könte, und müßt was zauberisch darein gethan worden sein, so ich bekennen soll.
Am andern, so were auch einer, genant der Sibenfingerer von Geisingen, vor Jahren mit mir zu Meinz gewesen und ein erb helfen hollen, welcher ebenmäßig unbesint heimgeführt worden wäre.
Drittens hetten etliche justificierte Weiber, und sondelich mein eigen Weib, mich für ein Hexenmann angegeben massen er mir deren Aussag vorgelesen und vermeldet, daß sie außertügkenlich gesagt, sie hetten mich nicht aus Feindschaft angeben, hetten auch darauf gebeicht, communiciert, und wären darauff gestorben.
Ob und wiewol ich mich darauff mit Warheit verantwort und entschuldigt, und daß so viel erstens des Wächters Trunk belangt, seie es damit also hergegangen, demnach Leonhard Stahleten, als er an einem Sambstag wegen eines im Schloß gestolenen Tuchs zimlich scharpf torquiert worden, nicht bekennen wollen, und gesagt, daß er mir und dem Rentenmeister sagen wolle, auch gesagt, er müsse bethenen, der Mann, der im das Tuch gebracht, hette gesagt, er hette das Tuch nicht recht her, daran man aber nicht haben, sonder weiters torquiert worden, Hr. Dr. Pascha aber sein Rathschlag dahin gegen, daß man modum torquendie gebrauchen soll, habe ich (weillen er dazumahl zimlich torquiert worden) gerathen, mit der Tortur bis uff den Montag inzuhalten. Sontags habe ich ime ein Trnuck, so wenig mehr dann ein vier Mäßlin aus meiner Kanten, darauf ich getruncken, ex commiseratione geschickt und sagen lassen, daß er sich nicht also martern, sondern die Wahrheith bekannen solle. Dafs nur er, Leonhard, aufsgerissen und der Wächter, dem der Trunckh nicht vermeint, unbesinnt worden sein soll, ist selzam zu vernehmen. Hierbei, und soviel den Wächter belangt, zumercken, daß als er dem Gefangenen Leonhard Stahlelen zu einem Wächter ertens verordnet, ihm ausdrücklich verboten worden, niemand zu ihm zu lassen, diesem aber zu entgehen, hat er nicht allein seine Freund, und wer es begert, zue ime gelassen, sondern noch sogar uff die Nacht vergünt in das Wirtshaus zu gehen und zu trinken. Auch als eines Mahls in der Nacht, da der Wächter ime wider vom Rathaus in das Wirtshaus zu gehen erlaubt, er aber zu lang ausgewesen, daß Geschrei gangen der Leonhand sey ausgerissen, er aber hernach wieder kommen, und den seiner Dirn zu Breulingen gewesen, da er dann nächtlicher weil beede Hiffingerische und Breunlingerische Mauern durch brochen, hat man, damit man sich seines ausreißens verischert, befohlen, ihne in Eisen zu schliessen, so geschehen. Er ist aber diesem Wächter wiedermals und sogar aufs den entzen ausgerissen, zu ihro excellenz verraist, unfs die Amtleut verklagt, als handeln wir parteilich, mit unterthäniger Bitt, ihme und seinem Gegentheil wie auch seine Zeugen durch unparteienische verhören zulassen. Worauf dann erfolgt, daß ich mich der Sachen nicht mehr annehmen und solches durch unperteheische Verrichten lassen, dazu aber der Stahel und seine Freundschaft nicht haben verstehen wollen, und obwohl Herr Dr. Dankwart meinetwegen bei der Tortur zu sein, ich gebeten, er mir es auch schiftlich verheissen, ist er doch wegen anderen Geschäften davon verhindert worden, hab also den Stadtschreiber dazu ziehen müssen.
Aus diesem iezerzelten dann zu denken, weillen der Gefangene Leonhard Stahel, wie oben notiert, zweimal ausgerissen und als er das Dritten und letzemal ausgerissen deer eine Wächter, so anheimbß gewesen, und wie er wieder kommen ihme Welschenhanssen vor dem Sachel stehen gefunden, her hacher er Wächter geschlafen und in sochem der Stahel ausgerissen, ob nicht vielbesagter Welschans dem Stahel darvon geholfen, und damit er in des Stahels vestigia nicht stehen dörfte, sich der undefinigkeit fälschlichen angenommen mit Vorwand, er hette es vom Trunk. Warben sonderlichen in Obacht zu haben, daß ihme durch den Scherer mit natürlichen Arzenimitteln balden wieder geholfen worden, und weillen man sagt, wan einem Maß durch Zauberei begenet, ihm durch Arzneimittel nicht zu helfen seie, quaeritur, ob dieser Wächter ein ehrlicher Gesell deme zu glauben, lasse ich alle unpaßionierte erkennen.
Was es mit des Siebenfinges zu Geisingen losen Schelmen von meinen rachgierigen Feinden herfür gesuchte Unbefünenheith für ein Beschaffenheit gehabt, deme auchmit natürlichen Arzeimitteln geholfen worden, hab ich vor elf Jahren dem dazumal hochlobl. Amt der ganzen landgrafschaft Fürstenberg und in dieser meiner tribulation und affiction Hr. Dr. Werlein übergeben, darauf ich mich nochmals und uff derselben Beilagen referiert; hette Siebenfinger seine Sach dazumal hinaus zu bringen gewusst er würde nicht bisher gewartet haben. Daß ich gewart, ist ursach daß nichts an ihme zu erlangen gewesen. – man mag wohl erachten, ich hab niemands vertrauts, als diesen schönen Gesellen bei mir gehabt, hab uff 800 fl. Geld und Geldswert erblichen erhebt. Wie hab ich ihm denn einen vergifteten Trunk geben können, daß ich ihne mit schwerem Unkostenvon Mainz bis nach Geisingen also unbesint uf 34 Meilen fürhen laßen müssen? – refferiere mich nachmahlen, was ich dieses losen Gesellen halben schriftlichen übergeben.
Ob nun dieser bei seinem Eid maßen mir vorgehalten worden von Sachen, die sich in Zeit, da er seinen Verstand nicht gehabt, zugetragen haben sollen, deponieren und fragen kann, auch in rechten für kräftig zu passteren, laß ich alle unpaßionierte erkennen. Worauf dann erscheint Maß für zwei schöne Zeug man wider mich gestelt, und ob sie omni exceptione maiores, wie solche talibus casibus erfordert werden, auch ihre depositiones luce meridiana clariores.
Soviel nun drittens betreffen tut, daß man mir vorgehalten und vorgelesen, es hetten etliche justifficierte Weiber und sonderlich mein eigenes Weib uf mich bekennt, und daß solches nicht aus Feindschaft geschehe, hetten auch darauf gebeicht, communiciert und wären darauf gestorben, muß ichs, wie unschuldig ich mich weiß, geschehn lassen, daß diese armen Weiber erst an ihrem letzten End ihre Seelen beschwerdt haben sollten. Weilen ich aber so viel sicherlicher weiß, daß diese Weiber, ja mein armes Weib, mich vor ihrem End wieder entschlagen, also was sie wieder mich fälschlich ausgesagt, revociert und mit Beschwerniss ihrer Seelen meiner Person halben nicht gestorben, ich auch in meiner Verstrigkung von Junker Rambschwag selbsten verstanden die Meßerschmidin were mir feindlich, daß ich ihre Tochter alhier nicht habe leiden wollen, als mögen es diejenige gegen Gott verantworten, die ihre Seelen erst mit solchem beschwert und mir fälschlichen vorgehalten, daß starke indicia, daß die WEiber uf mich bekannt und darauf gestorben, und darum, wan ich nicht gütlich bekennen tue, man anderst mit mir bekennen werde, so ich, Geott sei es geklagt, geschehen lassen müsse.
1) Nach diesen noch vorhandenen Ausführungen de anno 1619 war Hockelmann, gen. Siebenfinger, ein unverschämter verlogener Frevler und Säufer, welcher sich am Rhein durch übermäßigen Weingenuss offenbar das delirium tremens zugezogen hatt.
Christo meinem Herrn gereuen Erlöser und Seeligmacher haben die Juden die falsche Zeug unter das Geflücht gestelt, ich armer Sünder bin weder gegen dem erhvergessenen Wächter noch loßen Schelmen dem Siebenfinger weniger den Weibern confrontirt worden, nd daher ihre falsche Kundschaft wahr, was darf man dann diese Unwahrheit erst per torturam von mir erpresen, un erst meine arme Seel in das Vrderben zu bringen begehren, bin ich uberwiesen so seie es, martert mich nit Leugner, binuf solches willig zu sterben.
(1) Ohn angesehen man mich nun etlich Mal gepeinigt und von der Erden aufgezogen, ich mich auch jedesmal mit meiner wahrhaften Unschuld entschuldiget, so hat es doch nichts helfen wollen, sondern die Junckherrn und Herren haben mir vorgehalten, sie hetten Befel, weilen ich genugsam uberwießen, von mir mit der Tortur nit aufzusetzen, bis ich bekenne, dergleichen veneficus einer sein.
(2) Es hett der Obervogt oder Amtmann zu Waldkirch erst auch nicht bekennen wollen, doch letzlichen bekannt, daß er einer seie.
(3) Ja man hat mir durch den Stadtknecht sagen lassen, woher ich nicht bekennen werde, so wolle man mich nach der Haut strecken.
Dieweil ich dann gesehen und gespürt die große Ungnad und Feindschaft, so fast von weniglichen gegen mir Unschuldigen getragen und daß keine Gnad zu erlangen, ja man auch von allen Orten Lügen zugetragen, damit der Passion recht mit mir gespielt werde, ich auch noch einmal lieber mir das Haupt abnehmen, dann also torquieren lassen wollte, welches torquieren ich noch bis dato in meinen Glidern empfinde, als hab ich mich umb solcher und der getroeten Marter Willen, für ei, Gott sey es geklagt, bekennet und mir eingebildet, weilen Gott der Allmächtig mein Unschuld weiss, mein Leben also wiliglichen zu Buß meiner aus menschlicher Blödigkeit von Jugend auf begangener Sünden darzugeben, tröstlicher Hoffnung, Gott der Allmächtige der werde aus seiner großen Barmherzigkeit sich meiner erbarmen und meiner armen Seel die ewige Ruhe verleihen.
Daß ich nun bekennt, ich seie verführt worden, wie ich von Villingen nach Aatzheim gangen, daran hab ich mich aus empfundener Marter selber angelogen, und habe ich diesem Angeben den Schein, damit manch glaube, daher geben, weilen die Messerschmidin ausgesagt, ich sei bei dem Tanz, als ich noch zu Astzheim gewohnt, gewesen; habe auch nur fälschlichen, daß sich der Teufel Schmidle genannt haben soll, uns was ich mehr bekennt mich angelogen. Man hette mich billich gegen den falschen Zeugen und justificierten Weibern confrontieren und nicht erst noch ihrem Tod mich so geschwind darauf torquieren sollen.
Ob nicht auch die justificierten Weiber (bekannt), man einer nachts seine Kleider auf dem Tisch liegen lasse, so habe der böse Geist Gewalt sich in dieselbe zu verkleiden, daß werden die Junckern und Herrn examinatores wissen. Mir hat man gesagt, sie sollen es bekannt haben, sonsten weiß ichs nicht.
Dr. Werlein hat mir vorgehalten, ich hete mein Lebenlang nicht gelesen, daß Gott der Almächig den Teufel vrhängt habe, in eines Menschen Gestalt bei solchem Tanz zu erscheinen, darauf antworte ich, ob nicht Got jemals vrhent habe, daß der böse GEist zu mancher in Gestalt ihres Buolen kommen, sie gschlafen, und also verführt worden sei? Wie dann solches vielen auch meines Weibs Schwester begegnet.
Daß ich geschrieben, es möchte dem Leonhard gemeucht Salz in den Trunck getan worden wein, hab ich solches von meinem armen Weib, dern Seelen Gott gnade, welche zu mir gesagt, als sie der Kapuziner von Engen zur Beichte gehört, hette er sie gefagt, ob kein Geweicht Salz in Trunckh were gethan worden, den von demselben werden die Menschen maß Hirnlos, hat nun mein armes Weib mich angelogen, hab ich auch gelogen.
Daß ich vom weißen Pülverlein bekannt, hab ich nachgebett, wie mir Dr. Werlein vorgebett. Einmal ist mit solchem Trungk anderst nicht zugangen als oben vermeldt.
Daß ich die Frau von Schellenberg und Magdalena Löwin fälschichen angegeben, ist mir von Grund meines Herzen leid. Hab zweimal um Gottes und des jüngsten Gerichts Willen gebetten, man soll mich nicht frangen, weg bei dem Tanz gewesen und daß darum gebetten, weil ich selber bei keinem gewesen also niemand anzeigen können, und unrecht tun wollen. Dieweilen ich abe die angedrohte und vor Augen stehende Tortur gefürchtet, und von anderen gehört, daß sie von den justifficierten Weibern angeben Morden seien, als hab ich sie uf solches angeben, und mein Gewissen und arme Seel leider damit beschwert. Es hat der ehebrecherische Stadtschreiber Stark an mich gesetzt und vermeint, mehr anzugeben, ich hab aber meine arme Seel in dem beschwert befunden, und hette ich mehr angeben müssen, so hette ich des Großen Weib angeben, weilen man mir gesagt, sie were von den ustifficierten Weibern auch angeben worden.
Daß ich so Tag als Nacht tam fideliter geschrieben und gedient, dardurch ich mein Gehör und Gesicht, und nicht, wie ich fälschlichen gesagt, vom Teuffel schlagen verloren, auch mas ich concipiert, habe ich die Gnad von Gott dem Allmächtigen, deme ich drum höchlichen zu danken gehabt, habe vermeint, wann ich dem landgräfl. Haus Fürstenberg aus einem Rappen einen Dukaten machen können, ich were es schuldig gewesen, so sorglich habe ich mir alle Sachen angelegen sein lassen.
Und die weilen ich dieses Lasters unschuldig, als hatt man wol zuerachten, was man fir falsche Zeugen wider mich gestellet, und daß ich weder Wetter gemacht, noch Vieh umgebracht. – Sollte man mich nun weiters torquieren, so befihle ich es dem lieben Gott, protestier hiermit expressissime, da ich was wider mein Gewissen aus Marter bekennen sollte, ich meine arme Seel darmit nicht beschweren sondern diejenige verantworten lassen wolle, die mich dazu genöthigt. –
Und solches bin ich anzuzeigen verursacht, weilen ich daß, so ich fälschlich bekennt, nicht zu beichten und darauf zu communicieren gewusst, sondern mein arme Seel noch mehr beschwert hete.
Erfreue mich daß Gott waist, ich ihne niemlas verleugnet habe, in dessen Hand ich dann mein arme Seel befehlen tue.
Matth. Tinct.
Und was erreichte Tinctorius damit? – Wir sehen es zunächst auf der Aussenseite der bezüglichen Schriftstücke von des Notars eigener Hand:
Seufzentliches Anflehen und Bitten.
Daß ich zu Erlangung länger Lebens in dieser aus sondern Ängsten und des Fleisches Verführung geschriebener Revocation die Unwahrheit geschrieben, bezug‘ ich mit dieser meiner eigner Hand, umb Gottes unendlicher Barmherzigkeit Willen um gnädige Verzeihung und Gnade bittend.
Matthias Tinctorius.
und dann in dem am 10. Mai 1632 gegen ihn gesprochenen Urteil, welches ihn zum wirklichen Feuertode verdammte. Wenn trotzdem auf dem Gnadenweg auch ihm nur Enthauptung und nachträgliche Verbrennung der Leiche an jenem Tag zu Teil wurde, so muße dies sicher zuerst mit jenen fürchterlichen Zeilen erkauft werden!
Was dem rückfälligen und dann zum Zweitenmal zu „Wahrheit“ bekehrten Hexenmeister vom 2. Dezember bis zum Exekutionstag noch das Leben fristete, liegt im Dunkel. An welchen Wechselfällen und Rücksichten aber sein Leben hing, darübere wollen wir zum Schluß noch seinen „Freund“ Heitzmann hören, um denselben zugleich auch sich selbst das Urteil sprechen zu lassen. Derselbe schreibt am 2. Januar 1632 an den Grafen Bratislaus II. zu Meßkirch, als Vormundschaftsregent:
„Bei diesen gefährlichen Läufen wär‘ gar gut gewesen, daß man sowohl mit dem Tinctorius, als berührter Magd (einer Kindsmörderin) um etlicher Ursachen willen Malefiz hälte und sie fort thäte (d.h. köpfte). Dann für das Erst mit soviel Wächter ein groß Kosten, auch das Malefiz mit ringeren Kosten mit zwei Personen hindurchzubringen, dann Herr Dr. Werlin nit rathen will, daß man die Magd länger haben soll. Thut man selbige dann allein hinweg, so geht der Kosten über gnädige Herrschaft, weil sie nichts vermag, im Übrigen müsste Tinctorius sie zu Gast halten. Für’s ander möcht‘ uns wohl ein groß Spott mit ihme Tinctorius widerfahren, da wir (fremdes Kriegs-) Volk überkommen sollten. Dann da er durch sie ledig gemacht würde, er noch selzame Händel anfangen wird, massen er vor den Offischen Soldaten nit sicher gewesen. Es seind etliche, zwar ohne mein Wissen, zu ihm hinaufgeloffen fürs Zimmer, als nun die Wächter selbige nicht hinein lassen wollen, sondern die Stube versperrt, haben sie die Kette, daran er geschmidt, welche durch einen Pfosten hinaus auf den Saal uf der Stube geht, in die Hand genommen, daran gezogen, daß ime die Füß über sich gegen der Bühne (Decke) gegangen, sprechend: „Was machet Du alter Hexenmeister drinnen?“ –
Ehre der einsichstsvolleren und gerechten Herrschaft, die solche Ratschläge, offenbar wie hier, mit Ernst von sich zu weisen verstanden hat! – Wen mahnt es aber nicht an höhere Strafe und Gerechtigkeit, wenn er sich erinnert, daß über die Hüfinger Blutmenschen selbst schon am 15. Oktober 1632 das fürchterliche Blutbad durch die Würtemberger hereinbrach?*
* Das Hüfinger Blutbad von 1632 im 30 jährigen Krieg wird an anderer Stelle erzählt.
§6.
Die Reihe der Opfer, welche uns diese traurige Erzählung anzeigte, ist übrigens noch nicht voll; wir schwiegen seither von der Edelfrau Sabine v. Schellenberg, die bereits mit dem Ehepaar Tinctorius der Gerechtigkeit verfallen schien. Nun verkünden wir mit Freuden, daß wenigstens diese „gute Alte“ den Justizmorden entging, obschon wir zufügen müssen, daß in ihrer Persönlichkeit schlechterdings nichts lag, was ihr diesen Vorzug vor ihren „Gespielinnen“ verdient hätte. Nicht aus Rücksicht für einen alten Namen, sondern für die Frauen überhaupt, wollen wir ihre Charakteristik unterdrücken, deren wenigst dürstere Seite einen ungewöhnlichen Durst und damit zusammenhängende Zustände enthüllen würde.
Diese „Eldelfrau“ befand sich seit August 1631 allerdigs in Hausarest, allein durch die Bemühungen ihrer Verwandten bei Kaiser und Reich wurde jedes voreilige Torquiren nicht nur gefährlich gemacht, sondern am 13. Oktober 1631 war auch ein Kammergerichtsmandat ausgebracht worden welches die Prozedur genauestens vorschrieb. Danach wurde dann im Wesentlichen langsam weiter procediert und Sabina v. Schellenberg im Anfang Dezember 1631 ohne Tortur vernommen. Aus diesem Grunde fehlen wohl auch noch im Anfang 1632 so sehr alle erheblichen Untersuchungsergebnisse, daß im Februar 1632 ein Gutachten der Freiburger Universität noch immer die peinliche Frage nicht zuließ. Als zudem inzwischen das Gericht der Grafen von Fürstenberg (aus erheblichen, jedoch nur äußeren Gründen) von der Angeschuldigten recusiert und sich namentlich auf die Reichsunmittelbarkeit derselben berufen worden war, und von einem Rechtsgelehrten im Auftrag der gräflichen Herrschaft ein Gutachten über die früheren Proceduren und das weiter Thunliche abgegeben worden, welches große Bedenken gegen den Erfolg zeigt, so war man wohl froh, die Sache einschlafen lassen zu können.
Die damaligen Krigsläufe, die ja schon die Besorgniß einer Berfeiung des Tinctiorius hervorgerufen hatten und besonders das Blutbad im Oktober, halfen dazu unmittelbar, und so konnte der Oberamtmann Riescher am 15. November 1632 an den Obervogt zu Hüfingen über die in unbekannten Ort Entwichene schreiben:
„Die gute Alte ist nunmehr auf freiem Fuß und vermutlich so närrisch nit, daß sie sich nacher Hüfingen zu stellen oder durch Andere stellen zu lassen, großes Verlangen habe. Also wird man sich mit den Nürnbergern müssen patientieren!“
Landtafel der Baar von 1620 von Hiffingen mit Schützenhaus und Stadtkirche. Die überdimensionale Nikolauskapelle stand etwa da, wo die Stadtapotheke war und der Garten vom Museum war der Friedhof. Merkwürdigerweise fehlen die beiden Schlösser. Willkürlich ist die Bebauung innerhalb der Stadt gestaltet. Weniger Sorgfalt als in der » Bräunlinger Mappa« wurde auf den Breglauf, die Wege und die topographisch richtige Lage der St. Leonhardskapelle und des Scharfrichterhauses (zwischen Kapelle und Wegkreuz) gelegt, das westlich der Dögginger Straße erbaut war.
Auch aus dem Jahre 1620 stammt die „Bräunlinger mappa“. Sie enthält auch den westlichen Teil der Gemarkung Hüfingen, die allerdings ungenau gezeichnet ist. Besonders ins Auge fällt ein Wegkreuz etwa auf dem Platz der nachmaligen Lorettokapelle.
Karte von Martin Menradt etwa 1662. Die Seemühle ist durch den Dreißigjährigen Krieg ohne Dach.
Treffpunkt ist unter dem Friedhofsbaldachim mit den Glasfensteroberlichter vom BaaremerKünstler Kiss. Schon jetzt verbreitete sich eine spirituelle Atmosphäre unter den Besuchern. Martina Wiemer erntet wie immer, wenn sie von den Donaueschinger Jüdischen Mitbürgern erzählt, bei der Einleitung schon Betroffenheit. Am Grab von Willi Storch, dem einzigen Jüdischen Grabstein auf der Baar, zum Gedenken an einen polnischen, 17 jährigen Jungen, wird es dann ganz still. Als Arbeitssklave in die Ortenau verschleppt, gelingt ihm die Flucht im Hochschwarzwald zusammen mit seinem älteren Bruder bei einem der berüchtigten Todesmärsche von Offenburg mit Ziel Bodensee. Viele Vernichtungsarten und Tötungsarten waren den Teilnehmern schon zu Ohren gekommen. Aber dass diese ausgemergelten, geschundenen Männer und Jungen dort ertränkt werden sollten, das senkt sich bleischwer sehr tief ins menschliche Fühlen. Wochenlange Irrungen bei Nacht, Kälte und Hunger enden erst, als diese Fluchtgruppe von den Französischen Befreiern gefunden werden. Das erste Mal seit ihrer Kindheit erfahren sie wieder Menschlichkeit, berichtet später der überlebende Bruder. Willi überlebt die Torturen nicht. Er stirbt an Fleckfieber im Lazarett Donaueschingen und wird auf dem Stadtfriedhof beerdigt.
Ganz nach altem jüdischem Brauch werden noch einige Steine auf seinem Grabstein abgelegt und dann geht es an den Hochrhein, nach Gailingen.
Martina Wiemer am Grab von Willi Storch (28. Januar 1928 – 21. Mai 1945) in Donaueschingen.
Nachdem das Nerven- und Gefühlsköstüm wieder einigermaßen zusammengerafft und gefaltet ist, betreten wir den Jüdischen Friedhof in Gailingen. Dort empfängt uns H. Krooss, ein Hamburger der in Schaffhausen gearbeitet hat und nun in Gailingen lebt. Er betreut kenntnisreich und einfühlsam den Jüdischen Friedhof in Gailingen. Dort empfängt uns H. Krooss, ein Hamburger der in Schaffhausen gearbeitet hat und nun in Gailingen lebt. Er betreut kenntnisreich und einfühlsam den Jüdischen Friedhof und das Gedenkmuseum an die Jüdische Gemeinde des Ortes und die Schicksale der großen Jüdischen Gemeinde Gailingen, Randegg, Worblingen und dem Hegau, zu der auch die jüdischen Bürger von Donaueschingen gehörten. Abraham Guggenheim aus der Wasserstrasse / Zeppelinstrasse wurde dort auf dem mystischen Friedhof, auf dem alle Gräber gegen Osten , gegen Jerusalem, zeigen, in Würde bestattet. Noch nach Jüdischem Brauch und Ritus und vor dem folgenden, grossen Grauen.
Ungefähr 250 anderen Juden aus diesem Jüdischen Sprengel widerfuhren dagegen unsägliche Torturen, Demütigungen und bestialische Grausamkeiten auf ihrem Leidensweg meist über Gurs nach Auschwitz oder Treblinka. Fabrikatorischer Massenmord und Vernichtung haben Unmenschen an Menschen, beispiellos in der Geschichte, an Frauen, Kindern, Männern und Gebrechlichen mit einer unfassbaren Gefühlskälte und Unmenschlichkeit verübt.
Die Gräber auf dem pietätvollen Friedhof erzählen noch die Geschichte der friedvollen, kultivierten jüdischen Gemeinde vom Hochrhein und dem Hegau. Einzig der Gedenkstein aus Basalt aus dem Jahr 1948 weist auf die beispiellose Menschheitsschande hin. Dort treffen sich jährlich die Juden, die das Erinnern und die Vernichtung ihrer Kultusgemeinde am Hochrhein mühsam aushalten, aus der ganzen Welt und die Nachkommen der weit verstreuten Nachfahren der Gailinger jüdischen aber auch christlichen Gemeinde zum Gedenken.
Da wird es schwer die wunderbare Landschaft dort am Rhein bei Gailingen, Dissenhofen und Büsingen zu bestaunen. Der bedächtigte Herr Kroos empfängt uns dann noch im Museum für die Jüdische Geschichte von Gailingen und überlässt uns dem Besinnen bei der Betrachtung der gelungenen Dokumentation. Die einfühlsame Darstellung und Beschreibung mit Bild und Text bringt einem die Lebenswelt dieser lebendigen Gemeinschaft subtil näher. Nur ganz wenige bedrückende Hinweise regen zur Erschütterung an.
Da ist die Familie, die in gutem Glauben, dass ihre beiden Kinder, 5 und 10 Jahre, ein paar Tage später wie die Eltern auch über die Dissenhofer, überdachte Eichenbrücke in die Schweiz dürfen, um dann gemeinsam die genau vorbereitete Flucht nach Palästina antreten zu können. Tage später wird den Kindern der Durchgang verwehrt. Der jüngere stirbt in einem Heim. Die Eltern tragen ein lebenslanges, gewaltiges Trauma in ihrer Zuflucht Israel durchs Leben. Oder der christliche Feuerwehrkommandant, der verhindert, dass eine Familie dem Pogrom zum Opfer fällt. Oder der Nachbar, der unter Todesverachtung religiöse Kultgegenstände und die Thorarolle im Garten vergräbt. Beschwerden wegen des im Hegau legendären fasnachtsähnlichen Festreiben der Jüdischen Gemeinde werden vom christlichen Kirchengemeinderat als harmlos und brauchtumsgerecht abgeschmettert. Nur eine einzige Konzentrationsbaracke ist zu sehen, keine Gräuelbilder und lebende Leichname. Gutes Museum dieser Art kommt ohne Ermahnungen, ohne den Zeigefinger aus. Allerdings muss man sich auch darauf einlassen, mental und emotional.
19.9.1948 aufgestelltes Denkmal für die 1940 nach Gurs deportierten Gailinger Juden.“לברוך עולם „Zum ewigen Gedenken an die Gailinger Juden welche am 22. Oktober 1940 deportiert und in den Konzentrationslagern ums Leben gebracht wurden“
Wenn man beim Ausgang glaubt, man sei dieser Geschichte zunächst entronnen, erfordert die Stehle am gegenüberliegenden Synagogenplatz mit den fast 300 israelitischen Namen der Vernichteten aus dem Jüdischen Sprengel, noch mal eine Herausforderung und große innere Stärke.
Den Gailinger Jüdinnen und Juden, die am 22.10.1940 ins Lager Gurs und später in die deutschen Vernichtungslager des Ostens deportiert wurden, zum ewigen Gedenken und den Lebenden zur Mahnung. In der langen Nacht der Schoa von Menschen am Menschen getan.
Das Buch habe ich hier 2021 veröffentlicht. Allerdings veraltet auch eine Webpage ziemlich schnell und die nächsten Monate möchte ich die einzelnen Kapitel aktualisieren. Deswegen werde ich jedes aktuelle Kapitel wieder nach vorne kramen. Das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift hatte ich damals vorgelesen, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise. Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript in schwarz.
„Es bildet ein Talent sich in der Stille, Sich ein Charakter in dem Strom der Welt.“
Johann Wolfgang von Goethe in Torquato Tasso
Gleichzeitige Menschen haben, wie eine aufmerksame Vergleichung zeigt, nicht selten auffallende Ähnlichkeit in der Art und Weise ihres Bildungsganges. Und es ist dies sehr natürlich; bilden ja doch Zeit und Umstände, so zu sagen das Klima, in welchem die Pflanzen aufwachsen und sich entfalten.
Unter die Landsleute, welche sich ehrenvoll und tüchtig hervorgetan, dürfen wir mit Recht die Musiker Conradin Kreutzer, Krebs und Schelble zählen. In ungefähr äußerlich gleich beschränkten Verhältnissen geboren, führte sie allein ihr Talent und Streben auf die Bahn, auf welcher sie (jeder in seiner eigenen Weise) für ihre Zeit Bedeutendes leisteten. – Wie bei ihrem Landsmann Seele, sind es die Orte Donaueschingen, Stuttgart und Wien, die bei Schilderung jenes Lebens und Wirkens vorzugsweise genannt werden müssen. Krebs, 1774 in Überauchen bei Villingen geboren, besuchte fast gleichzeitig mit Seele die Schule zu Donaueschingen, wo er nebenbei Gesangsunterricht nahm, und später am Hofe zu Stuttgart als tüchtig gebildeter Sänger und Theoretiker einen passenden Wirkungskreis fand. –
Kreutzer, ein (1782) geborener Mößkircher, kam, wie Schelble nach Marchthal, schon frühe in das Kloster Zwiefalten, wo er gründlichen musikalischen Unterricht genoss, und nachdem er einige Zeit in Wien sich aufgehalten, in Stuttgart und Donaueschingen die Stelle eines Kapellmeisters begleitete, sowie später in Wien die Direktorsstelle bei der Oper an der Josephstädter Bühne und am Burgtheater.
Was die Lebensgeschichte Schelble’s anbetrifft, so glaube ich dieselbe etwas ausführlicher geben zu müssen, zumal verschiedene hinterlassene Briefschaften, sowie Mündliches und Schriftliches von Freunden* die (eigene nahe Verwandtschaft mit eingerechnet) mich in den Stand setzen, einen biographischen Versuch mit einigem Glück bewerkstelligen zu können. * Schätzenswerthe Beiträge verdanke ich dem Musiker und Schüler Schelble’s, Franz Xaver Gleichauf in Frankfurt; so wie ich auch dem Urtheile dieses gründlich gebildeten Musikers in Betreff Schelble’s musikalischer Leistungen treuchlich gefolgt bin.
Lebensgeschichten im allgemeinen sind jedoch immerhin Bruchstücke; denn wie Vieles verschlingt nicht unmittelbar die Woge der Zeit, und wie bald ist die Stelle, wo wir gelebt und gewirkt haben, überwachsen von dem üppigen Grün nachkommender Geschlechter, die oft kaum mehr wissen, wer von den Vorfahren das Bäumlein gepflanzt und gepflegt hat, dessen Schatten oder Frucht sie genießen. Bleibt ja doch gewöhnlich gerade das prunk- und anspruchlosere, darum aber vielleicht um so gesegnetere Wirken ungenannt, weil es verschmäht hat, in den Vordergrund sich zu stellen und von der Welt Beifall und Lohn zu heischen.
„Schelble’s künstlerische Leistungen aber verdient unsere volle Beachtung, nicht nur deshalb, weil sie als schöne Erinnerung festgehalten zu werden verdienen, sondern, was noch mehr ist, weil sie als Vorbild für unsere und künftige Zeiten gelten dürfen. Sein ganzes Wirken und Streben erinnert recht eigentlich daran, dass die Kunst ein Göttliches im Menschen ist, welches zu erhalten und zu pflegen des wahren Künstlers hoher Beruf sein müßte!“
Nach dieser kurzen Vorbetrachtung wollen wir nun den Lebensgang des Meisters in möglichster Treue zu schildern versuchen.
Es ist eine, durch viele Beispiele bestätigte Wahrnehmung, dass ein Talent, gleichwie das Samenkorn, zum Keimen einer Anregung bedarf, einer Umgebung, wo es seine erste, wenn auch zuweilen spärliche Nahrung zieht. Dieser Satz auf die vorliegende Lebensgeschichte angewendet, möchte es fast scheinen, als werde auf dem Lande, oder was das Nämliche ist, in kleinen Landstädten, zumal in jenen unruhigen Kriegszeiten, wenig künstlerisch Anregendes vorhanden gewesen sein. Bei näherer Betrachtung jedoch dürfte sich ergeben, dass jener Boden in dieser Beziehung so ungünstig nicht gewesen, als wir auf den ersten Blick glauben möchten.
Um von der Musik allein zu reden, war es diese Kunst ganz besonders, dies bis herab in’s Kleine überall ihre Liebhaber und Pfleger fand. Der Umstand, dass in den damaligen Klöstern und ihren Unterrichtsanstalten vorzugsweise Musik getrieben wurde, mag wohl das Meiste hierzu beigetragen haben; denn selten kam ein Studierter von dort zurück, ohne wenigstens einige musikalische Bildung ins praktische Leben mitzubringen; daher nicht leicht ein kleines Städtlein gefunden wurde, wo nicht geistliche und weltliche Beamte in mancherlei Weise bei Kirchenmusiken, oder bei Unterrichte der Jugend sich thätig gezeigt hätten. Auch bei den Schullehrern wurde hauptsächlich nur auf musikalische Befähigung gesehen; eine gute Singstimme bei einiger Fertigkeit im Lesen und Schreiben genügte oft allein schon bei Bewerbungen um eine Stelle, den Ausschlag zu geben. „Vorsersamst“, hieß es gewöhnlich in der Dienstausschreibung, „solle er (der Schulmeister) eines gesitteten Lebenswandels sein, gut schreiben, lesen und rechnen, die Orgel schlagen, geigen und Baßsingen, auch wo möglich die blasenden Instrumente behandeln können.“
Zu allem diesen hatte das bürgerliche Leben noch mehr konservative Zähigkeit. Ein Gewerbe, eine Fertigkeit oder Kunst erbten sich nicht selten von dem Vater auf den Sohn durch mehrere Generationen fort. War zum Beispiel der Großvater Zeug- oder Schuhmacher ein fertiger Geiger, so war es gewiss nicht minder auch der Sohn und der Enkel. Und so konnte es kommen, dass in einem lange heimischen Fache zuweilen ein Talent hervortrat, welches über das Gewöhnliche hinausging.
Ein weitere Anregung und Förderung für strebende Jüngere war, um von unserer Gegend allein zu sprechen, stets auch der fürstlich fürstenbergische Hof. – In der Zeit, von der hier die Rede ist, war es insbesondere die Fürstin Maria Antonie, welche durch Pflege der schönen Künste ein heiteres, genussreiches Leben um sich schuf. Unter ihrem Mäcenate war in Donaueschingen ein Hoftheater erbaut worden, wo durch eigene, so wie aus der Ferne herberufene Kräfte viele jener Zeit entsproßte Meisterwerke dramatischer Kunst zur Aufführung kamen. Vor allem war die ewig schönen Produkte des heiteren, lebensfrischen Mozart, welche mit Sorgfalt und Liebe einstudiert, auf der neuen Bühne gegeben wurden; und der Eindruck, den diese Leistungen auf die größten Teil des Publikums hervorbrachten, mußte umso größer sein, je weniger man gewohnt war, je etwas derartiges hören und zu sehen. Vergünstigt durch die damaligen tiefen Friedenszeiten hatte die Kunst in ihrem gemeinsamen Aufschwung noch etwas Jugendliches, Frisches, was selbst durch die nachfolgenden Kriegswetter nicht ganz verkümmert werden konnte.
Man wird nun gerne zugeben, dass all dieses ein Element gebildet habe, worin eine junge Pflanze einige Nahrung und einigen Halt finden mochte. – Von diesen allgemeinen Umrissen zum Einzelnen übergehend, finden wir die Vorälteren Schelble’s* seit frühesten Zeiten als Bürger des fürstenbergischen Städtlein Hüfingen. Der Großvater, sowie der Urgroßvater trieben das kunstverwandte Handwerk der Faßmalerei, ein Gewerbe, welches heutzutage teilweise unsere Vergolder ausüben. Nebenbei versahren diese Männer noch den Kanzleidienst beim dortigen fürstlichen Justizamte, und als Lieblingsbeschäftigung trieben sie Musik. Stets fanden sie sich unter denen, welche in der Pfarrkirche des Ortes als leidliche Dilettanten mitwirkten und zwar als Violinspieler. *Die ältere Schreibweise des Namens Schelblin.
Dieser letztere Fertigkeit war auch ein Erbschaft des Vaters unseres Schelble. Das Kunstgewerbe, die Faßmalerei, wiewohl er von Jugend auf darin unterrichtet war, behagte eben nicht sonderlich. Sein Sinn ging mehr auf Musik, Mechanik und Rechenkünste. Weil aber alles dieses, ohne bestimmten Zweck getrieben, wenig geeignet schien, eine sichere Existenz zu gewähren, so hatte der junge Mann sich entschlossen, Schullehrer zu werden. Er nahm deshalb Unterricht bei dem Normallehrer und Musikpräzeptor Käfer in Donaueschingen, wo er sich nebst Schulwissenschaftlichen Anweisung im Orgel- und Klavierspiel erhielt. Der gänzliche Mangel einer Singstimme jedoch, ohne welche er nie auf bessere Plätze Anspruch gehabt hätte, war es, was den Kandidaten bewog, dem Lehrfache zu entsagen, und sich wieder dem angestammten Haus- und Familiengeschäfte zuzuwenden.
Zur selben Zeit war in dem Städtlein ein Kaplan, Namens Reeser, welcher als Gesanglehrer und Direktor der Kirchenmusik sehr in Ansehen stand. Eine seiner Schülerinnen, die Chorsängerin Katharina Götz, die Tochter eines bemittelten Bauern, zeichnete sich durch eine hübsche Stimme so vorteilhaft aus, dass man ihr von verschiedenen Seiten rieth, in’s Kloster zu gehen, wo damals diese Eigenschaft als Empfehlung gelten konnte. Durch die Erzählung und das Zureden Verwandter und Freunde für das klösterliche Leben im Voraus eingenommen, hatte das 15-jährige Mädchen endlich den Entschluss gefasst, der Welt zu entsagen und in einem nahen Kloster Amtenhausen sich aufnehmen zu lassen. Ein Gleiches wollte eine ihrer Freundinnen thun.
Unter Glück- und Segenswünschen der Ältern hatten die beiden Jungfrauen voll Zuversicht ihre Wanderung dorthin angetreten, um sich vorläufig einer Probezeit und Prüfung im Gesang zu unterziehen, von derem Erfolge ihre Aufnahme in das geistliche Stift abhängig gemacht worden war.
Alles ging nach Wunsch, und die beiden Mädchen wurden mit den besten Versprechungen aus dem Kloster entlassen, nachdem man ihnen den Tag bestimmt hatte, an welchen sie sich wieder anmelden sollten. – Sei es, dass die Abgeschiedenheit, der Zwang und der Ernst des klösterlichen Aufenthaltes auf die jugendlichen, noch von keiner bitteren Erfahrung getäuschten Gemüter ungünstigen Eindruck gemacht, oder dass ihr Entschluss sein ursprünglicher gewesen – genug, die Beiden wandelten schweigend heimwärts; und als sie aus dem engen Tale herausgekommen, in die sommerhelle Landschaft, wo überall im Felde fleißige Hände sich regten und die glänzender Welle die junge Donau floss, während hundertfältige Jubelstimmen aus den grünen Buchenwälder riefen – da wurde es den Himmelsbräuten sonderbar zu Mut. „Katharina““ unterbrach die Eine das bisherige Schweigen, „nicht wahr, wir gehen nicht in’s Kloster!“ Und die Andere, als wäre eine schwere Last von ihrem Herzen, stimmte lebhaft und entschieden bei.
Ohne sich umzusehen, wie sie später noch oft erzählten, hatten die Mädchen den Weg zurückgelegt und als sie heim gekommen, wußten sie den Ihrigen viel von der Abenteuer und dem baaren Gelde zu erzählen, was man als notwendiges Erfordernis zum Eintritt in das Kloster ihnen zur Bedingung gemacht habe.
Unterdessen hatten die Umstände den ehemaligen Schulamtskandidaten Franz Joseph Schelble auf eine Bahn geführt, die mehr seiner angeborenen Neigung zu entsprechen schien. Der junge Mann war nämlich öfters als geübter Klavierstimmer in’s Schloss nach Donaueschingen gerufen worden, wo er manches Neue im Fache des verbesserten Instrumentenbaus sah und hörte, was bei ihm Nachahmung erweckte. Durch natürliches Geschick und eigenes Nachdenken gelang es ihm in kurzer Zeit, Klaviere nach der damals einfachen Bauart herzustellen. Eines dieser Instrumente kam der Fürstin Antonie zu Gesicht, und die hohe Frau schenkte der vaterländischen Arbeit so viel Beifall, dass sie das Werk ankaufte und den Verfertiger ermunterte, auf dem betretenen Weg weiter zu schreiten. Diese und ähnliche Erfolge bewogen den strebsamer Mann seine Versuche zum förmlichen Geschäfte auszudehnen, welches ihm dereinst die Mittel zur Gründung eines eigenen Hausstandes darbieten solle. Dieser Gedanke mochte wohl vor Allem eine Neigung eingegeben haben, welche der Jüngling der hübschen Chorsängerin Katharina Götz zugewendet hatte – ein Verhältniß, welches im Jahr 1787 glücklich zur Heirat gedieh. Die jungen Eheleute bezogen ein eigenes, aus ihren wenigen zusammengebrachten Vermögen erbautes Haus, wo am 16. Mai des Jahres 1789 unser Johann Nepomuk, das zweite Kind ihre Ehe, das Licht der Welt erblickte.
Um dieselbe Zeit war der Dienst eines Verwalters oder Vorstehers des fürstenbergischen Zuchthauses zu Hüfingen in Erledigung gekommen. – Unter dieser Zahl der Bewerber gehörte auch der Instrumentenmacher Franz Josef Schelble. Die Herren Regierungsräte hatten bereits in einer Sitzung einem ihrer Vergünstigten die Stimme gegeben, als der regierende Fürst Joseph Wenzel mit den Worten: „Der Klaviermacher muss die Stelle haben!“ dareinfuhr und der Debatte ein Ende machte.
Auf diese Weise hatte der junge Ehemann einen neuen Wirkungskreis erhalten, der ihn jedoch nicht hinderte, seiner angeborenen Neigung zum mechanischen Arbeiten volles Genüge zu tun. Neben der Verwaltungskanzlei (es wurde damals noch nicht so viel geschrieben und gesandelt wie heut zu Tage) ward bald eine Werkstätte eingerichtet, wo in freien Stunden der Verwalter mit einigen Gesellen dem Klavier und Orgelbau oblag, und dazwischen hinein wohl auch einmal in astronomischen und anderen Uhrwerken sich versuchte. – Das Interesse an diesen Arbeiten war groß, jedenfalls größer als der pekuniäre Vorteil, den sie brachten. Konnte ja doch bei dem erfinderischen Geiste des lebhaften Mannes nicht methodisch durchgeführt werden, nebstdem dass das Amt eines Vorstehers der Strafanstalt bei äußerst kleinem Hilfspersonal seine meiste Zeit in Anspruch nehmen mußte.
Der kleine Sohn zeigte schon im zarten Alter eine unverkennbare Liebe zur Musik. – Das elterliche Haus war zur selben Zeit der Sammelplatz verschiedener Beamten und befreundeten Bürger der kleinen Amtsstadt, wovon die meisten als Lieblingsbeschäftigung etwas Musik trieben und in dem Hause öfters ihre Proben und Übungen abhielten. Es konnte wohl nicht fehlen, dass auch der kleine Johann Nepomuk einige Unterweisung in dieser Kunst erhielt, und zwar durch seinen Vater im Klavierspielen, während andererseits die Mutter und ehemalige Chorsängerin dem Kinde gern ihre Lieder vorsang.
Unter solchen Beschäftigungen waren die Kriegszeiten hereingebrochen, und das geräumige Zuchthaus zu Hüfingen war zu einem österreichischen Spital eingerichtet. Unter den längere Zeit dort Einquartierten befand sich auch ein kaiserlicher Feldpater, welcher auf dem Klaviere nicht geringe Fertigkeit besaß, und mit Vorliebe mozartlische Melodien vortrug. Das Spiel dieses Mannes machte solchen Eindruck auf den 7-jährigen Knaben, dass er oft sagte: Wenn es einmal so weit gebracht haben werde, wie der Herr Feldpater, so wolle er zufrieden sein.
Gleichzeitig mit den Anfangsgründen auf dem Klavier erhielt der Kleine auch Unterricht im Singen, in welcher Kunst Kaplan Eiselin, ein Nachfolger Reeser’s, sein erster Lehrer war. Bei diesem Manne von etwas reizbarem Temperamente hatte jedoch der Schüler wenig gute Stunden. Abgesehen davon, dass der Unterricht nach sehr pedantischer Methode gegeben wurde, hatten die Zöglinge von dem ungeduldigen Wesen ihres Instruktors gar manche Unannehmlichkeiten zu erdulden. So wie es zum Beispiel für den aufmerksamen Beobachter gewisse Zeichen in der Luft gibt, woraus die bevorstehenden Erscheinungen der Atmosphäre zu erraten sind, ähnlich so kommen die Kinder schon aus dem Äußeren des geistlichen Herrn den Humor und die Stimmung ihres Lehrers prophezeien. War nämlich in der Morgenstunde seine Garderobe wohlgeordnet, die Hasrtour glatt und das Zopflein sorgfältig gewickelt, so durfte man mit Gewissheit einen wolkenfreien Tag verhoffen; zeigte sich aber das Gegenteil, so wußten die Untergebenen, dass es heute nicht ohne Sturm und Unwetter abgehen werde.
Der sanftmütige Knabe Schelble stand aber noch im besonderen Ungunst des Lehrers, denn je mehr Fortschritte der talentvolle Kleine machte, desto mehr glaubte jener eine Entmutigung seiner übrigen, meist älteren Schüler daraus erwachsen zu sehen. Die Ungnade des Instruktors ging zuletzt in offene Vernachlässigung über, die bald damit endete, dass der Schüler unter dem Vorwande, es gebreche ihm am Talent, ganz von dem Unterricht ausgeschlossen wurde. Ein Freund des Schelble’schen Hauses und nicht ungeschickter Organist und Klavierspieler, der Amtskanzlist Schlosser, nahm sich jedoch des Ausgewiesenen an, und setzte den musikalischen Unterricht mit ihm fort. Der Zögling machte seinem Lehrer alle Ehre, und nicht lange so wurde der Kleine ausersehen, bei einer Festvorstellung, welche der Rückkehr des, wegen Kriegsunruhen geflüchteten fürstlichen Hofes galt, im Hoftheater zu Donaueschingen die Begrüßungsarie zu singen. Der kindliche Versuch fand beifällige Beachtung, und der Fürst Karl Joachim belohnte den kleinen Sänger mit einem Goldstücke.
Schmeichelhaft und gerechtfertigt durch diese Erfolge, machte jetzt Freund Schlosser den Ältern den Antrag: dem Sohne zu seinem Freiplatz im Kloster Obermarchtal, wo er einen Freund hatte, verhelfen zu wollen. Das Anerbieten wurde dankbar angenommen, und die nötigen Schritte wurden getan und der Knabe erhielt die Zulassung.
Jenes geistliche Reichsstift war seinerzeit eines der bedeutendsten Klöster des schwäbischen Oberlandes; seine weitläufigen, nahe der Donau gelegenen Gebäulichkeiten beherbergten ausgedehnte Unterrichtsanstalten. Vater Ulrich Braig, Direktor der Chormusik, war der Freund, an welchen Schlosser seinen Schützling empfohlen hatte. Und wahrlich es bedurfte eines väterlichen Freundes und Führers, sollte der 11-jährige Chorknabe in dieser ungewohnten, großen Umgebung nicht mutlos und kleinmütig werden. – In musikalischer Beziehung jedoch fand der Schüler nicht, was er erhofft hatte. Der Unterricht, in einer geistlos pedantischen Methode gegeben, konnte ihn nur wenig frommen. Doch sollte das jugendlich empfängliche Gemüt auch hier nicht ganz leer ausgehen; wenn nämlich die Mönche nachts im Chore der hehren Klosterkirche sich versammelten, um begleitet von dem herrlichen Orgelspiel des damals berühmten Contrapunktisten Sirt Bachmann, die Psalmen anzustimmen, da sei es, nach Schelble’s eigenem Zeugnisse, diese Musik gewesen, welche einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf ihn gemacht habe.
Ein freudiges Ereignis war dem Chorknaben der Besuch seiner älteren Schwester, die mit einem alten Diener der Hüfinger Strafanstalt und dessen Weibe, welche in der Nähe zu Hause war, die Reise nach Marchthal gemacht hatte. Der Alte brachte seinem kleinen Liebling zum Willkomm einen buntfarbigen Spielball, den eine in Zuchthause sitzende Vaganten eigens zu diesem Zwecke hatte fertigen müssen. – Da konnte wohl das Sprichwort Anwendung finden: Es ist ein kleines worüber sich Kinder freuen!
Der Aufenthalt in dem Stifte war nur von kurzer Dauer; denn schon nach zwei Jahren zog die allgemein ausgesprochene Sävularition der Reichsklöster auch diesem Institute seine Auflösung zu, und Schelble war genötigt, wiederum ins Vaterhaus zurückzukehren.
Es war zur Winterszeit und außerordentlich kalt; der mit Winterkleidern nicht hinlänglich versorgte Sängerknabe erkältete sich auf dem offenen Fuhrwerke, welches ihn mit einem jüngeren Landsmann in die Heimat bringen sollte, dermaßen, dass er bei seiner Ankunft, eher noch das entfernt liegende elterliche Haus erreichen konnte, bei einem Onkel unter- und zu Bette gebracht werden mußte.
Sein Verweilen im Heimathause fiel in die Epoche, wo seine Stimme zu wechseln begann, weshalb alle Muße allein nur auf das Klavierspielen verwendet wurde. – Eines Tages spielte Schelble für sich allein mehrere Klavierstücke durch, als er plötzlich durch den Zuruf: „Bravo – aber im Bass geht es zu stark“, unterbrochen und überrascht wurde. Es war ein alter fürstenbergischer Soldat, welcher zum offenen Fenster herein (das Zimmer lag zu ebener Erde) den Spieler belauschte und also kritisiert hatte.
Schelble, über die sonderbare Bemerkung betroffen, fand nach einigem Nachdenken, dass der alte Kriegsmann mit seinem Tadel ganz Unrecht nicht habe, und verwendete, wie er später erzählte, seitdem mehr Aufmerksamkeit auf das Spiel der linken Hand.
Um diese Zeit las der junge, sich selbst überlassene Musiker zufällig einen Auszug einer damals erscheinenden Zeitschrift von Forckel: „Über Sebastian Bach’s Leben und Kunstwerke“, worin unter Anderem auseinander gesetzt ward, nach welchen Grundsätzen Bach die Mechanik des Klavierspiels angewendet und geübt habe. Schelble bekannte, dass ihm diese Andeutungen von nun an als goldene Regel gegolten, die er bei seinem ferneren Studium zur Richtschnur genommen habe.
Als humoristische Beigabe zu dieser ernsteren Beschäftigung mochte wohl der Jüngling seine Tätigkeit bei der städtischen Musikbande betrachten, welches Korps den Zweck hatte, bei kirchlichen Festen und Aufzüge verschönert mitzuwirken. Als Mitglied dieser geziemend uniformierten Truppe hatte Schelble die Ehre, das Picolo zu spielen, auf welchem Instrumente der junge Mann bedeutend Virtuosität besessen haben soll.
Bei all diesem Treiben jedoch war nicht wohl abzusehen, wie Musik allein ihrem Jünger eine solide haltbare Existenz für die Zukunft schaffen werde. Den Ältern wenigstens erschien die Kunst ein allzu unsicherer Boden, weshalb sie den Entschluss faßten, den Sohn das Gymnasium in Donaueschingen besuchen zu lassen, wo er die in Marchtal angefangenen Sprach- und auch anderen Studien fortsetzen und nebenher bei dem fürstlichen Kammersänger und Expeditor Weiß, der ein Schüler des berühmten Raff in München war, Unterricht in Gesang nehmen sollte.
Seine Stimme hatte sich unterdessen wieder gehoben und er suchte sie nach der strengen, wenn auch etwas einseitigen Methode dieses Lehrers eifrig auszubilden. Es war dies der erste gründliche Unterricht der ihm zuteil wurde, und hatte nicht wenig Einfluss auf die erste Richtung, welche Schelble fortan hielt. – Der Aufenthalt in Donaueschingen gab dem talentvollen Schüler öfters Gelegenheit, bei Hofmusiken und Konzerten, so wie auch im Hoftheater sich hören zu lassen. Und hier war er es, wo dem 16-jährigen Sänger einst bei der Aufführung der Oper: „die beiden Savoiarden“, eine anmutige, zarte Huldigung zuteil wurde, und zwar von Seiten einer durch Vorzüge des Geistes und Herzens gleich ausgezeichneten jugendlichen Fürstentochter, die, einen passenden Augenblick wahrnehmend, dem Sänger nach geendigtem Spiele das seidene Tuch zuwarf, welches ihr in der Rolle eines Savojardenknaben zur Augenbinde gedient.
Je mehr aber der Jüngling in seiner Kunst sich hervortat und Beifall gewann, desto eifriger ließ sich der Vater angelegen sein, dem Musenfache einen praktischen soliden Boden unterzubereiten. Er hatte deshalb Schritte gethan, seinem Sohne eine Stelle im fürstlichen Hauptarchive zu Donaueschingen zu verschaffen, und schon war eine provisorische Anstellung mit einem kleinen jährlichen Gehalte verwilligt, als Schelble erklärte, unter jeder Bedingung seinem ursprünglichen Berufe getreu bleiben zu wollen, und durch nichts sich binden zu lassen, was ihn von der einmal beschrittenen Bahn ablenken könne. Ja er stellte sogar den Eltern ein heimliches Entweichen aus der Heimat in Aussicht, wenn es ihm nicht gelingen solle, auf gütlichem Wege abzukommen. Denn längst schon hatte er seinen Blick weiter gerichtet, nach einem Orte, wo ihm eine höhere Stufe musikalischer Bildung werden konnte.
Er hatte den Plan gefasst, nach Darmstadt zu gehen, wo damals der berühmte Abbé Vogler lebte. Teilnehmende Freunde unter diesen besonders der fürstliche Hofrat und Leibarzt Rehman und seine Gattin, hatten ihm dazu geraten. Er wollte den Weg über Hechingen nehmen, wo einer seiner früheren Gönner, der ehemals fürstenbergische Musik- und Rittermeister von Hampeln, an der Hofkapelle angestellt war. Von dort gedachte er Stuttgart zu besuchen, wo ihm die Landsleute Krebs der Kammersänger und der Galeriedirektor Seele nützlich sein konnten. –
An Ersteren wies ihn ein Empfehlungsbrief von seinem Lehrer Weiß, obwohl dieser den talentvollen jungen Mann lieber bei sich behalten hätte, und ihm deshalb bereits ein kleines Gehalt als Sänger in Donaueschingen ausgemittelt hatte. Bei Seele konnte die Bekanntschaft der beiderseitigen Eltern als Anlass des Besuches gelten.
Also ausgerüstet verließ Scheble im Jahre 1807 Donaueschingen und die Vaterstadt. Über die Reise und seine Ankunft in Stuttgart berichtet ein vorhandener Brief, den wir hier einschalten wollen.
Conradin Kreutzer
22. November 1780 in der Thalmühle bei Meßkirch im Fürstentum Fürstenberg – 14. Dezember 1849 in Riga.
Conradin Kreutzer von Auguste Hüssener Quelle: gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France
Johann Baptist Krebs
Brustporträt des jungen Opernsängers Johann Baptist Krebs gefertigt durch Friedrich Fleischmann aus Nürnberg in Kupfer auf Papier. Abbildung: Porträtsammlung Friedrich Nicolas Manskopf der Universitätsbibliothek der Johann-Wolfgang-Goethe- Universität Frankfurt am Main.
Über Johann Baptist Krebs (12. April 1774 – 15. September 1851) gibt es von Josef Vogt in den Schriften der Baar Band 63 (2020) den Artikel: Vom Taglöhnersohn aus Überauchen zum Opernstar und Logenmeister in Stuttgart:
Begegnung mit Johann Nepomuk Schelble aus Hüfingen Als Johann Nepomuk Schelble am 16. Mai 1789 in Hüfingen geboren wurde, war Johann Baptist Krebs bereits 15 Jahre alt und hatte schon regen Kontakt nach Donaueschingen. Möglicherweise waren es zwei Umstände, die den Hüfinger Schelble und den aus Überauchen stammenden Krebs zusammenführten. Wie Krebs wurde auch Schelble durch den Donaueschinger Hofmusiker Franz Xaver Weiß geformt und hatte seine ersten Auftritte am dortigen Hoftheater. Als er im Alter von 18 Jahren durch die Vermittlung des in Hüfingen aufgewachsenen, beim Herzog und späteren König Friedrich I. als Hofmaler tätigen Johann Baptist Seele(1774–1814) 1807 nach Stuttgart kam, begegnete er dem zu dieser Zeit schon über 10 Jahre an der dortigen königlichen Oper tätigen Krebs. Offensichtlich verstanden sich die beiden von der Baar stammenden Musiker auf Anhieb. Krebs arrangierte ein Vorsingen vor dem König, der Schelble daraufhin sogleich als Hofsänger einstellte. Obwohl Schelble nur sieben Jahre in Stuttgart weilte, bevor er 1814 nach Wien weiterzog, entwickelte sich zwischen Krebs und Schelble eine fruchtbare Zusammenarbeit. So wissen wir, dass Schelble eine wichtige Aufgabe in dem von Krebs 1811 gegründete Musikinstitut am Waisenhaus übernahm, in dem er nach den Grundsätzen des Reformpädagogen Pestalozzi Jungen und Mädchen für den Einsatz an der Hofoper im Musizieren, Tanz und Schau- spiel unterrichtete. Erhalten aus der künstlerischen Zusammenarbeit von Krebs und Schelble ist uns die am 2. Februar 1813 in Stuttgart uraufgeführte Oper in drei Akten „Graf Adelbert“, zu der Krebs das Libretto und Schelble die Musik geschrieben hat.
Das alte Königliche Hoftheater in Stuttgart Stich von Ernst Friedrich Grünewald und William John Cooke nach einer Zeichnung von Friedrich Keller um 1840 Landesbildstelle Stuttgart. Foto: Wikimedia
Katharina Götz
Katharina Schelble geb. Götz (01.11.1760-04.04.1847), war die Mutter von Johann Nepomuk Schelble (16. Mai 1789 – 7. August 1837) und Maria Josefa Reich (18. März 1788 -12. November 1866).
Katharina Schelble geb. Götz (01.11.1760-04.04.1847) gemalt von Luzian Reich (senior), ihrem Schwiegersohn im Jahre 1829.
Die jungen Eheleute bezogen ein eigenes aus ihrem wenigen zusammengebrachten Vermögen erbautes Haus, wo am 16. Mai des Jahres 1789 unser Johann Nepomuk, das zweite Kind ihrer Ehe, das Licht der Welt erblickte.
Franz Joseph Schelble
Franz Joseph Donat Schelble (17.02.1762-13.02.1835) wird hier von Lucian Reich als Instrumentenbauer bezeichnet. Er hatte zusammen mit Katharina Götz 14 Kinder.
Maria Antonia Anna von Hohenzollern-Hechingen
10. November 1760 – 25. Juli 1797.
Maria Antonia von Hohenzollern-Hechingen, Fürstin zu Fürstenberg, im Jagdkostüm und mit Gewehr. Gemälde vom FF Hofmaler Franz Joseph Weiß (*15.02.1735 Hüfingen – 14.06.1790 Donaueschingen)
Hoftheater
Das Hoftheater in Donaueschingen war ein Theater der Fürsten zu Fürstenberg, das 1774 in der ehemaligen Reitschule errichtet wurde und am 28. April 1850 abbrannte und daraufhin nicht wieder aufgebaut wurde. Bis dahin wurden Schauspiele und Opern aufgeführt, unter anderem unter der Leitung der Hofkapellmeister Conradin Kreutzer und Johann Wenzel Kalliwoda. (Zu den Anfängen einer „Donaueschinger Musik“ von Hugo Siefert in den Schriften der Baar 69 (2016))
Hoftheater in der ehemaligen Reitschule DonaueschingenFotos: Netzfund
Der Fürst Joseph Wenzel Johann Nepomuk starb am 2. Juni 1783 in Donaueschingen. Sein Sohn war Joseph Maria Benedikt Karl Fürst zu Fürstenberg (9. Januar 1758 – 24. Juni 1796), verheiratet mit Maria Antonia Anna von Hohenzollern-Hechingen. Von daher muss der damals „regierende Fürst“ Joseph Maria gewesen sein.
Porträt des Joseph Maria Benedikt von Fürstenberg Foto: Unidentified painter, Public domain, via Wikimedia Commons
Wie sein Vater, Joseph Wenzel, war auch Joseph Maria ein Musikliebhaber – er selbst wird als „talentvoller Klavierspieler“ und seine Ehefrau, Maria Antonie, als „ausgezeichnete Sopranistin“ geschildert. Das Fürstenpaar pflegte die vom Vater angeknüpfte Beziehung zu Vater und Sohn Mozart. 1784 wurde die bisherige Hofreitschule in Donaueschingen zu einem Hoftheater mit über 500 Plätzen umgebaut, wo auch Mozart-Opern aufgeführt wurden. (nach Wikipedia)
Zucht- und Arbeitshaus Hüfingen
Nach dem Kreistagsbericht vom 25.Juli 1715 sollte das Donaueschinger Zucht- und Arbeitshaus zur Aufnahme von mindestens 300 Personen dienen; auch “arme Kinder und Waisen, alte unkräftige Leute, Tolle und Irrsinnige sollten Aufnahme finden, dagegen nicht eigentlich Zigeuner, die den Venetianern ad triremes zu überlassen waren”. (*)
Nach 9-jährige Bauzeit wurde am 7. Oktober 1758 der Bau und die Einrichtung fertig und am 16. Mai 1759 ergeht ein Erlaß an sämtliche Oberämter mit der Anfrage, ob Züchtlinge oder Kinder einzuweisen seien. Am 23. Januar 1790 wurde Franz Joseph Schelble Zuchtmeister. Er war der letzte fürstenbergische Zuchthausverwalter und wurde 1808 in badischen Dienst übernommen. (*)
Am 27. Juli 1809 wurde das Zuchthaus in ein Korrektionshaus umgewandelt und zum Korrektionshausverwalter wurde Zuchtmeister Schelble ernannt.
Alle nach badischen Kriminalgesetzten Verurteilten wurden nach Freiburg abtransportiert. Das Korrektionshaus wurde 1828 aufgehoben. Schelble starb mit 78 Jahren am 13. Februar 1835 und seine Ehefrau Katharina geb. Götz am 4. April 1847 mit 87 Jahren. (*)
1850 diente das Gebäude eine Zeitlang als Kaserne, 1853 als Fürsorgeerziehungsanstalt, die nach dem in der Nacht vom 22./23. März 1853 abgebrannten Kloster in Neudingen den Namen Mariahof führt und seither katholische schulpflichtige Knaben beherbergte.
Postkarten aus der Sammlung Dieter Friedt, Hüfingen
Das Bauwerk wurde 1972 abgerissen.
*Aus den Schriften der Baar 17 (1928), Dr. F. Wangener: Aus der Geschichte des Zucht- und Arbeitshauses in Hüfingen
Johann Nepomuk Schelble
Johann Nepomuk Schelble (16.05.1789-06.08.1837) hatte also 12 jünger Geschwister und eine ältere Schwester, Maria Josefa (19.03.1788-12.11.1866). Maria Josefa heiratete Luzian Reich (senior) und war die Mutter von Lucian Reich (der Jüngere). Lucian Reich und Johann Nepomuk Schelbe waren also Neffe und Onkel.
Im Jahre 1800 trat Johann Schelble als Chorknabe in das Kloster Marchtal ein wo er wissenschaftlichen und musikalischen Unterricht erhielt. Als das Kloster 1803 aufgehoben wurde, kehrte er zu seiner Familie nach Hüfingen zurück. In der Stadtmusik Hüfingen spiele er Piccoloflöte und besuchte die Schule in Donaueschingen, wo er an dem kunstliebenden Fürsten von Fürstenberg einen Beschützer fand.
Fahnenmarsch mit Piccoloflöte von 1819. Datei erstellt durch Loris Gerber, Public domain, via Wikimedia Commons
Édouard Manet „Der Pfeifer“ von 1866 Foto: Édouard Manet, Public domain, via Wikimedia Commons
Johann Nepomuk Schelble Quelle: gallica.bnf.fr / Bibliothèque nationale de France
Also ausgerüstet verließ Schelble im Jahr 1807 Donaueschingen und die Vaterstadt. Über die Reise und seine Ankunft in Stuttgart berichtet ein vorhandener Brief, den wir hier einschalten wollen.
Erfahrungsbericht von Peter Albert vom 7. November 2021. Fotos: Herbert Jaag
Sofort wurden bei mir Erinnerungen geweckt, als ich kürzlich zwei alte Fotos aus der Zeit der Gemeindereform vor fast 50 Jahren in die Hände bekam.
Von 1971 bis 1973 fand in Baden-Württemberg die Gemeinde- und Kreisreform statt. Unter dem bis heute umstrittenen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, sollten die Kommunen und Kreise des Landes fit für die zukünftigen Aufgaben gemacht werden. Gleichzeitig war der Plan, die ehemaligen Länder Baden, Hohenzollern und Württemberg besser miteinander zu verschmelzen. Inwieweit diese großen Ziele überall im Ländle gelangen, bleibt fraglich.
Beispielsweise kann man über die Neugestaltung des Landkreises Schwarzwald- Baar geteilter Meinung sein. Der Teufel sitzt leider wie so oft im Detail. So haben beispielsweise die beiden Stadtteile Villingen und Schwenningen bis heute unterschiedliche Telefon-Vorwahlnummern.
Für mich wäre es sinnhafter gewesen, wenn die Baar nicht mit großen Teilen des Schwarzwaldes verschmolzen worden wäre, und als eigenständige Raumschaft mit historischem Hintergrund sowohl im ehemals badischen und württembergischen Landesteil neu entstanden wäre. So hätte beispielsweise die alte Baarstadt Löffingen viel besser in einen Baarkreis gepasst. Sicherlich war auch der alte Landkreis Donaueschingen mit seiner über 50 km Ost-West Ausdehnung ein unnatürliches Gebilde, aber bei der Neugestaltung des Landkreises Schwarzwald-Baar wurde seinerzeit eine historische Chance verpasst.
In den frühen 70er Jahren war von der Landesregierung auch angedacht worden, dass viele Gemeinden und Städte ihre Selbständigkeit verlieren sollten – darunter auch die Stadt Hüfingen. Die hohe Politik in Stuttgart hatte sich in Gutsherrenmanier in den Kopf gesetzt, Donaueschingen für den Verlust des Kreissitzes dadurch zu entschädigen, dass Hüfingen kurzerhand einverleibt werden könne. Doch leider hatten die großkopfenden Landeshauptstädtler die Rechnung ohne den Wirt – die Hüfinger-Bürger*innen – gemacht.
Auch an der Hüfinger Fasnet wurde das Thema „Hüfingen bleibt selbständig“ behandelt.
Lukas Riedlinger im Gasthaus Löwen.
Doch von Anfang an:
Das Vorhaben. Hüfingen der ehemaligen Kreisstadt Donaueschingen zuzuschlagen, stieß in der alten Baarstadt, die 500 Jahre Residenz und Amtsstadt war, auf breiteste Ablehnung. Umgehend wurden Gegenmaßnahmen seitens der Hüfinger Bürgerschaft ergriffen. Man erinnerte sich auch gleich wieder an den verunglückten Versuch der Donaueschinger Nazis in der Zeit des Dritten Reichs Hüfingen wie kurz zuvor Allmendshofen zwangseinzugemeinden. Im Nazi-deutschland war der handstreichlerische Versuch seitens Donaueschingen kläglich gescheitert!
Die Gerüchteküche brodelt!
Auch die Gerüchteküche in Hüfingen brodelte anfangs der 70er-Jahre heftig, da in Donaueschingen Bürgermeisterwahlen anstanden und Robert Schrempp altershalber nicht mehr antreten wollte. Hüfingens Bürgermeister Max Gilly, so dass Gerücht, spielte mit dem Gedanken, sich um die Stelle der neu entstehenden großen Kreisstadt Donaueschingen zu bewerben und deshalb die geplante Eingemeindung nicht genügend zu bekämpfen.
Auch die Bürger*innen von Hüfingen wurden zum drohenden Verlust der Selbständigkeit des Städtles befragt. Das Votum viel mehr als eindeutig aus!
Bei einer Wahlbeteiligung von 92,4% stimmten 97% der Wahlberechtigten für die Selbständigkeit.
Auch eine Kundgebung vor dem Rathaus am 24. März 1973 bildete die Bürgermeinung klar ab.
Autos entlang der Straße zum Kurhaus mit verdutzten Bad Dürrheimer Bürger*innen.
Auf nach Bad Dürrheim!
Die wohl interessanteste und ausschlaggebendste Aktion war aber die selbstbewusste Demonstration Hüfinger-Bürger*innen in Bad Dürrheim kurz vor der erwähnten Kundgebung in Hüfingen selbst. Was sich da am 17. März 1973 in der kleinen Kurstadt und vorher auf der alten B 27 abspielte war schon bühnenreif. An diesem Tag fand in „der guten Stube“ der Kurstadt, dem Kurhaus, eine Mitgliederversammlung der CDU statt. Das alles beherrschende Thema war die anstehende umstrittene Kreis- und Gemeindereform. Hauptredner war der damalige Staatssekretär im Innenministerium und spätere Ministerpräsident Erwin Teufel, der von seinem Ressortchef Innenminister Karl Schiess beauftragt wurde, den CDU Mitglieder*innen das Projekt schmackhaft zu machen.
Schiess, auch durch seinen Erlass (Schiess-Erlass) bekannt, hatte die Überprüfung aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue angeordnet.
Eigentlich hätte er es besser wissen müssen, da er den alten Kreis Donaueschingen sehr gut kannte.
Mit „Beckmesserischer Verbissenheit“ versuchte sein Staatssekretär Teufel die CDU Mitglieder*innen von der Sinnhaftigkeit der einschneidenden Reform zu überzeugen. Die Anwesenden wurden von der spontanen Hüfinger-Demonstration völlig überrascht, die sich spontan Einlass in den Kursaal verschaffte.
Der abgebildete Traktor mit Frontlader neben dem Polizeiauto gehörte meinem Vater Adolf Albert.
Im jugendlichen Alter zum ersten Mal an einer Demonstration.
Für mich als 14-jährigen Jugendlichen war das ein einprägsames Erlebnis, das mir bis heute in bester Erinnerung geblieben ist. Leider konnte ich damals die Zusammenhänge und den politischen Hintergrund noch nicht richtig einschätzen.
In einem kürzlich geführten Gespräch mit dem ehemaligen Kreisvorsitzenden der CDU – Klaus Panther -, an welchen mich der bestens bekannte Bad Dürrheimer Hansjörg Häfele verwiesen hatte, wurde mir die Tragweite bewusster.
Mein späterer Lehrherr, Zimmermeister Lukas Riedlinger, bildete die Speerspitze der Aktion im und um das Kurhaus herum. Als Gemeinderat und Kreisrat des alten Landkreises Donaueschingen prallte er am Rednerpult mit Erwin Teufel sprichwörtlich zusammen. Die beiden lieferten sich einen rhetorischen Schlagabtausch, in dessen Verlauf Erwin Teufel immer wütender wurde. Klaus Panther musste Teufel mit dem Satz „Menschenskinder, so geht das doch nicht“ – zur Ordnung rufen.
„Lukas Riedlinger hat Hüfingen gerettet“ und „der Riedlinger hat sich nichts gefallen lassen und hat das mit der Demonstration geschickt ausgenutzt“ – so die Aussage von Panther. Damit hatte niemand mehr so richtig gerechnet.
Von meinem späteren Lehrmeister Lukas Riedlinger habe ich in Sachen Demokratieverständnis noch so einiges gelernt.
Er bleibt nicht nur mir in guter Erinnerung.
Ich würde mich sehr freuen, wenn sich auf diesen Artikel hin noch weitere Zeitzeugen melden.
Erste Version war am 21. April 2022 jetzt ergänzt mit vielen neuen Fotos!
In der Hüfinger Chronik von August Vetter aus dem Jahre 1984 wird öfters eine Autobiografie von Lucian Reich erwähnt. Diese gibt es bei den Schriften der Baar aus dem Jahre 1896.
Die Schriften der Baar werden auf den Seiten des Baarvereins zur Verfügung gestellt.
In den Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar und der angrenzenden Landesteile in Donaueschingen stand 1896: Der Ausschuß hat diese „Blätter“ des geehrten Verfassers gern veröffentlicht und ist überzeugt, daß sie nicht nur von seinen engeren Landsleuten gern werden gelesen, sondern auch allein schon wegen der vielen darin vorkommenden in der Literatur und Kunst bekannten Persönlichkeiten weitere Kreise interessieren werden.
Aus den Schriften der Baar von 1896 zum Denkbuch von Lucian Reich.
Unten findet sich die Transkription von Transkribus und von mir in kursiv mit Bildern ergänzt. Bitte Fehler in den Kommentaren melden!
Blätter aus meinem Denkbuch.
Von Lucian Reich.
Die Großeltern — denn mit diesen muß ein richtiges biographisches Denkbuch beginnen — väterlicherseits sind mir nur aus frühester Jugend im Gedächtnis. Wir Kinder kamen nicht so oft mit ihnen zusammen.
Eltern von Xaver, Lucian und Elisabeth: Luzian Reich und Josefa Schelble. Großeltern: Mathias Reich und Anastasia Buckin (Bad Dürrheim). Franz Josef Schelble und Katharina Götz (Hüfingen).
Die Fahrt von Hüfingen nach Dürrheim war eine beschwerliche. Von Donaueschingen aus führte nur ein schlecht unterhaltener Karrenweg am Weiherhaus und seinem riesigen Schlagbaum, wo Weg- und Brückengeld erhoben wurde, vorbei durch die einsamen, von der Stillen Musel durchzogenen Weiherwiesen.
Karte von Martin Menradt etwa 1662 Fotos: Dr. Jörg Martin FF Archiv
Landkarte der Baar 1620
Die Weiherwiese war früher ein gigantischer fürstlicher Fischweiher nördlich von Donaueschingen am Römerweg.
Wie der Großvater Mathias, der ältere, daher nach altem Herkommen nicht erbberechtigte Sohn eines Hofbauern, durch den Machtspruch des Komturs von Hintersheim zum „zweiunddreißigsten Bürger“ der „geschlossenen“ Gemeinde Dürrheim auf- und angenommen wurde, habe ich im „Hieronymus“ eingeflochten. Dürrheim war dazumal noch ein stilles Dorf, dessen Bewohner sich fast ausschließlich mit Feldbau beschäftigten. So anfänglich auch der Großvater.
„Von einem ledig verstorbenen Bruder hatte er etliche Jauchert eigentümliches Feld geerbt und nebenbei ödeliegende Plätze auf der Gemarkung gepachtet und urbar gemacht; aber nie länger als auf 6 Jahre sich gebunden „weil er wohl wußte“ heißt es in den väterlichen Aufzeichnungen, „daß Neubruch nach Verfluß dieser Zeit im Ertrag nachläßt“. Durch Fleiß und Umsicht hatte er’s zu einer geachteten Stellung in der Gemeinde gebracht. Oft berieten sich die Ortsvorgesetzten mit ihm über Kulturen und Verbesserungen. „Zwischen der Feldarbeit, namentlich über Winter, drechselte er Kunkeln, Spinnrädlein, Häspel u. dgl. Ein alter Bildschnitzer und Faßmaler, der mit seiner ledigen Tochter von Ort zu Ort zog und Heiligenbilder verkaufte, übernachtete oft bei uns im Haus: und dieser veranlaßte den Vater sich ebenfalls mit solchen Arbeiten zu befassen. Und so schnitzte er Kirchenleuchter, Fahnenknöpfe, Wirtsschilde und Kirchhofkreuze, welch letztere Arbeit eine andauernde und ziemlich einträgliche war.“
Beim Flachs brechen.
Spinnerin.
Der Hänslehof im Jahr 1967. Foto: WDR Digit/overland
„Die Mutter war Hebamme (Anastasia Buckinvom Hänslehof), da sie ein sehr gutes Examen bestanden, mit der Befugnis, aderlassen, schröpfen und eine kleine Hausapotheke halten zu dürfen. Kein Krankes war im Ort, das nicht zuerst bei ihr Hilfe gesucht hätte. Nebstdem war sie eine geschickte Näherin, die nicht nur gewöhnliche Schneiderarbeit, auch zur Bauerntracht gehörige Stickereien und Kirchenparamente zu fertigen verstand und eine bedeutende Kundsame hatte.“ „Und ich, was soll ich über mein Tun und Treiben sagen? Ich war eben ein vergratner Bauernbub; die landwirtschaftlichen Geschäfte konnte ich zwar alle und wurde auch streng dazu angehalten, aber sie gewährten mir keine Aussicht selbständig zu werden. An eine Verheiratung oder Versorgung, wie man es nannte, durfte ich nicht denken. Wie und wann ich angefangen zu malen, d. h. anzustreichen, und zu schnitzen, weiß ich nicht zu sagen, ich wurde eben darin erzogen.“
„Der vielfältige, oft wochenlange Aufenthalt im Villinger Benediktinerkloster, wo der Bruder meiner Mutter den Dienst des Konventdieners und Klosterschneiders versah, hatte mich, da ich auch Vorlesungen über Physik und Mathematik besuchen durfte, bald so weit gebracht, daß ich einen Schritt weiter tun konnte als der Vater. Doch blieb alles ohne eigentlichen Zusammenhang. „
„Pinsel und Meißel wechselten täglich mit dem Pflug, der Sense und der Holzaxt. Und dabei hieß es immer, der Salber hat auch gar keine Lust zum Feldgeschäft!“ „Das sagten aber nur meine beiden Geschwister, die Eltern dachten anders, besonders die Mutter, die meinte, ich könnte es doch zu etwas Rechtem bringen. Also machte ich immer zu, schnitzte Küchengerätschaften, Lichtstöcke, Fahnenstangen und Grabkreuze in Menge, malte Motivtafeln dem Dutzend nach, flickte Heiligenbilder und Hausaltärchen oder strichBrautfahrten an, ging wieder eine zeitlang ins Kloster, porträtierte die alten Herrn und ließ mich loben oder auslachen, je nachdem.“
„Die Patres konnten mich alle recht gut leiden. Einmal sollte ich nach ihrem Willen zu einem Uhrenschildmaler in Furtwangen in die Lehre gehen, ein andermal wollten sie mich in einer Kattunfabrik in St. Gallen als Musterzeichner unterbringen; schon hatte ich den Paß und alles nötige bereit; aber es wurde nichts daraus, was dem Vater recht war „denn“ sagte er „wenn der Bue geht, bin ich ohne Hilf und kann nichts mehr machen“.
Kattun ist dichtes Baumwoll-Gewebe in Leinwandbindung. Über die Kattunfabrik Hösli in St. Gallen gibt es nur diesen Eintrag oben.
Bei der Sekundiz des Prälaten1804 (50-jähriges Priesterjubiläum), welcher der Bischof und andere hohen Herrn anwohnten, sollte auf dem Klostertheater die neue Oper, die 7 Makkabäischen Brüder, gegeben werden. Zur Herstellung der Dekorationen war der Maler Sandhas (später Hofmaler in Darmstadt) berufen worden. Diesem machte ich den Farbenreiber und durfte wohl auch selbst mit Hand anlegen; und auf diese Weise lernte ich manches von der Malerkunst.“ Und daß der Gehilfe etwas von dem praktischen Meister gelernt, beweisen die in Oel gemalten Bildnisse seiner Eltern in ihrer ehrbaren altbaarischen Tracht.
Ansicht des Garteneingangs hinter dem Schloss Darmstadt. Josef Sandhaas wurde als 15. Kind des Schmiedes Josef Fidel Sandhaas am 31. Mai 1784 geboren. Josef Sandhaas erhielt seine Ausbildung als Maler bei dem Kunstmaler Joseph Anton Morath in Stühlingen und begann seine Laufbahn als Klostermaler im Benediktinerkloster in Villingen. nach Josef Sandhaas, Public domain, via Wikimedia Commons
Geboren im J. 1786 (Lucian Reich 7. Januar 1787 in Bad Dürrheim – 18. Dezember 1866 in Hüfingen) mit unverkennbaren Anlagen würde er’s ohne Zweifel zum tüchtigen Künstler gebracht haben. Allein es waren Kriegszeiten, und nachdem das Kloster aufgehoben war, fand der junge Mann keine Stütze mehr. Denn die Kunst, in welcher ihn der Pfarrer daheim heran ziehen wollte, hatte mit der bildenden nichts gemein. Ein leidenschaftlicher Nimrod, nahm dieser seinen Schüler häufig mit hinaus, und zwar so lange, bis ihnen von herumstreifenden Franzosen die Gewehre abgenommen wurden.
נִמְרוֹד – Nimrod wird im Hebräischen von der Wurzel מרד mrd, deutsch‚ sich widersetzen, rebellieren abgeleitet. Nimrod gilt gewöhnlich als derjenige, der den Bau des Turmes von Babel anregte, ein Sinnbild dafür, dass die Selbstüberschätzung des Menschen gegenüber Gott zum Niedergang führt. Bild: König Nimrod nimmt die Huldigungen der Steinmetze entgegen. Detail des Turmbau zu Babel von Pieter Bruegel d. Ä., 1563. Nach Pieter Brueghel the Elder, Public domain, via Wikimedia Commons
Endlich wandte er sich dem Schulfache zu. Nachdem er die Vorbereitungen an der Normalschule in Villingen beendet und bei Schulvisitator Pfarrer Flad in Urach (1810) das vorschriftsgemäße Examen mit bester Note bestanden — obgleich er in der Musik sich nicht ausgebildet hatte —, erhielt er den Dienst in Bubenbach. „Zum Einstand“, schreibt er, „hatte mir der Vater 6 Viertel Frucht mitgegeben, die ich alsbald zum Müller schickte“. „Muß es Brod gei (geben)?“ fragte dieser. „Ja, sagte ich, wußte aber nicht, daß auf dem Wald der Müller insgemein auch Bäcker ist. Nach einigen Tagen erhielt ich circa 30 Laib Brod, die ich, wollte ich sie nicht schimmlig werden lassen, unter die Armen verteilte.“
Schon nach anderthalb Jahren wurde er auf die Oberlehrerstelle in Hüfingen befördert; denn als Beförderung, und zwar in doppelter Beziehung, mußte es angesehen werden, weil er kein geborener Fürstenberger war. Als er sich seinem neuen Bestimmungsorte näherte, trugen sie just den letzten Freiherrn von Schellenberg, den Sprossen eines weiland um Kaiser und Reich vielfach verdienten Geschlechtes, zum Thor hinaus nach dem Friedhof St. Leonhard. Und dem gänzlich verarmten Manne sollte der neue Lehrer dann bald nachher eine Gedenktafel in die Stadtkirche fertigen.
Luzian Reich senior und seine Ehefrau Maria Josefa Schelble. Fotos von Johann Nepomuk Heinemann etwa 1865.
Die Schelble waren ein Althüfinger Geschlecht. Der Urgroßvater, Franz Xaver (*28.08.1731) war Kunsthandwerker, und zugleich versah er, wie schon sein Vater, den Amtsdienerdienst, und daß er in ersterem Fache — im Marmorieren, Vergolden und Gravieren in Grund Tüchtiges zu leisten verstand, bezeugen (oder bezeugten) die Altäre in Meßkirch, Gutmadingen, Hausach, Löffingen und die mit Hilfe seines im Hause erzogenen Schwiegersohnes und Geschäftsnachfolgers Joh. Gleichauf gefertigten Seitenaltäre der Hüfinger Pfarrkirche.
Johann Gleichauf (4.2.1764-23.03.1816) war mit Anna Maria Schelble (27.03.1760-27.12.1816) verheiratet.Ein Enkel war Rudolf Gleichauf.
Alter Eingang vom Römerbad
Mit Vorliebe trieb er Musik, sowie auch sein Sohn Franz Joseph, mein Großvater. (Franz Joseph Donat Schelble *17.02.1762-13.02.1835). Im Laufe der 20iger Jahre als Korrektionshausverwalter in den Ruhestand versetzt, beschäftigte sich dieser mit Uhrenmachen für Leute, die für Reparaturen nichts ausgeben wollten oder konnten, beaufsichtigte die Römischen Ausgrabungen (im Volksmunde Schatzgräberei genannt) im Mühleschle und am Fuße des Hölensteins, wofür er vom fürstlichen Protektor mit einer goldenen Repetieruhr beschenkt wurde, verfertigte uns Enkeln Schlittschuhe und Schlagnetze zum Vogelfang, und an hohen Festtagen spielte er in der Kirche die Orgel, und der „Leuenbaschi“ (Löwenwirt) sagte dann: „I ha’s bim erschte Griff scho gmerkt, daß es nit de Prezepter Thäddä ischt!“ Dieser, der pensionierte Präzeptor Thaddäus Bader, war nämlich stets noch Organist.
Aquatinta von W. Scheuchzer und G.L. von Kreß sc. Verlag J. Velten in Karlsruhe etwa 1825
Gerne hätte ich das Bild eines alten Schullehrers mit dessen eigenen Worten weiter ausgemalt, allein die väterlichen Aufzeichnungen reichen nicht so weit. Nur das kann ich sagen, daß er in der Schule nicht hinter der Zeit zurückblieb, den Unterricht in der Naturlehre z. B. gab er nach eigenen Heften, die in Frage und Antwort bestehend, abschriftlich viele Jahre im Gebrauch geblieben sind. Ebenso die Geographie, für welche er einen großen Globus eigens zum Schulgebrauch angefertigt hatte. Auch eine Zeichen- und eine Abendschule wurde alsbald eingeführt, in welch letzterer er freiwilligen Schülern der oberen Klasse Unterricht in verschiedenen fürs praktische Leben notwendigen Fächern gab.
Luzian Reich gründete in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Mal- und Zeichenschule in Hüfingen. Dort unterrichtete er neben seinen Söhnen Lucian und Xaver die Brüder Nepomuk und Josef Heinemann und Rudolf Gleichauf.
Madonna von Reich senior
Während manche Schulstuben trostlos kahl Arrestlokalen glichen, sahen wir die unsrige mit etlichen alten Oelbildern und einer Reihe großer Kupferstiche behängt. Bei der schmalen, größtentheils in Naturalien (Mühlfrucht) bestehenden Besoldung war der Vater auf Nebenverdienst angewiesen. Aus seiner alsbald eröffneten Werkstatt gingen dann hauptsächlich kirchliche Arbeiten und Grabdenkmäler hervor. Zschokke, dem diese Arbeiten auf dem Friedhof zu Hüfingen auffielen, spricht sich in einem Reisebericht lobend darüber aus.
Johann Heinrich Daniel Zschokke (* 22. März 1771 in Magdeburg; † 27. Juni 1848 in Aarau), war ein deutscher Schriftsteller und Pädagoge. Bild aus Wikipedia Sammlung Stadtmuseum Aarau, 2005.09.05.S306.: Ludwig Albert von Montmorillon: Heinrich Zschokke, 1817
Die Steinhauerarbeit bei letzteren besorgte ihm der gut geschulte Maurermeister Homburger, während er Ornamente und Figuren oft mit Zuhilfenahme der Natur, frei aus dem Stein heraus meißelte.
Epitaph auf dem Friedhof aus der Werkstatt Reich (1815).
Bei Altären war Schreinermeister Grieshaber sein Gehilfe, so bei dem nach einem Entwurfe von Galeriedirektor Seele in farbigem Wutachalabaster ausgeführten, einfach schönen Hauptaltar in der Pfarrkirche, dessen in Lindenholz geschnitzte, die ewige Anbetung symbolisch darstellende Cherubim zu beiden Seiten des Tabernakels von beachtenswertem Können zeugen. Er zeichnete hübsch in einer von ihm eigens ausgebildeten „Oeltuschmanier“ und erhielt auch einmal einen Antrag von Herder in Freiburg, in dessen Kunstanstalt einzutreten, wozu er sich aber nicht entschließen konnte.
Fahnenbilder von Reich senior mit Verena und Gallus Foto: Chronik von August Vetter 1984
Wie die meisten Kinder hatte man auch uns, namentlich mich kleinen ungeduldigen Schreihals, am besten mit Erzählen einer „Gschicht“ zum Schweigen bringen können. Dies wußte und verstand unsre Kindsmagd recht gut. Die „Annmarei“ Welch hübsch Geschichten wußte sie — nur ihre eigene, so tragische Geschichte erzählte sie uns Kindern nie. Sie hatte einst Todesangst auszustehen gehabt auf dem Schafott. Als junges, kinderloses Weib beschuldigt und geständig, ihren ungeliebten Mann, mit dem sie in beständigem Unfrieden gelebt, mit einem Stoß vom Heuboden herabgestürzt und seinen Tod verschuldet zu haben, sollte sie im Fürstlich Fürstenbergischen Amtsorte Hüfingen mit dem Schwert hingerichtet werden. Schon war der Stab über sie gebrochen, schon saß sie auf dem Stuhl, als das weiße Tuch geschwenkt und Gnade! gerufen wurde.
Nach mehrjährigem Aufenthalt im Zuchthaus dahier wurde sie ganz begnadigt. Von Natur gutmütig, ehrlich, aber sanguinisch, leicht erregbaren Temperamentes, hatte sie das Vertrauen unsrer Großeltern zu erwerben gewußt; und da sie als große Kinderfreundin sich gezeigt, so nahmen unsre Eltern keinen Anstand, sie nach ihrer Entlassung aus der Strafanstalt als Kindswärterin zu sich ins Haus zu nehmen. Oft kam sie mit der Mutter darüber zu sprechen, wie ihr zu Mut gewesen, auf dem Weg hinaus zum Hexenplatz, der alten Richtstätte, wie sie jedoch vom Gnadenruf und was hierauf mit ihr geschehen, nichts mehr gehört und wahrgenommen habe. — Längst wieder zu ihren geachteten, in guten Verhältnissen lebenden Angehörigen zurückgekehrt, besuchte sie uns manchmal noch, so an meinem ersten Kommuniontag.
Und als ich nach Jahren von Frankfurt zurückgekommen war, machte ich ihr bei Gelegenheit eines Ausfluges ins Donauthal einen Besuch in ihrem kleinen Stüblein, worüber sie sich kindisch freute, und sich’s nicht nehmen ließ, mir mit einem Kaffee aufzuwarten.
Glückliche Zeit so ein Vakanztag, in dem man in der Stube am Zeichentisch sitzt, während es draußen stürmt und den Schnee wirbelnd durch die Gassen jagt, oder regnet, „was abe mag!“ Und so saßen auch wir, mein Bruder Fr. Xaver und ich, mit („Muckle“) Joh. Nep. Heinemann (gleich mir im teuren Jahr 17 geboren) manche Stunde zusammen.
Elisabeth (Lisette) Reich (1819 – 1871) am Spinnrad; Katharina Heinemann (1828 – 1900) mit Kind; J. Nepomuk Heinemann „Muckle“ (1817 – 1902) mit Fes (Mütze) ; Lucian Reich (1817-1900) mit Pfeife; Rudolf (Vetter) Gleichauf (1826 – 1896) rechts unter der Uhr; Josef Heinemann (1825 – 1901) mit Buch. Bild aus den Wanderblühten
An Vorlagen fehlte es uns nicht, wir fanden sie in des Vaters wohlgefüllten Mappen, zum Teil noch von den in alle Welt zerstreuten Sammlungen des aufgehobenen Benediktinerstiftes in Villingen; und zeitgemäß vermehrt wurden diese immer durch Einkäufe beim „Bilderhändler„, einem Italiener, der alljährlich beim „Meister“, wie er den Vater nannte, ansprach. Es waren dies meistens größere nach der Natur lithographierte Blätter, Blumen und Früchte, ebenso lehrreich wie anmutend zum Nachzeichnen.
Unter des Vaters alten Kupferstichen befanden sich verschiedene Radierungen von Waterloo und andern Niederländern, die wir Zeichenschüler mit Rabenfedern kopierten. Einst fehlte es uns an solchen. Und in frühester Morgenstunde machte ich mich auf zum hochgelegenen „Hasenwäldle„, wo immer Raben nisteten.
Dort angekommen gewahrte ich eine Kesselflickerbande, die unter den Tannen übernachtet hatte. Um sie her lagen Säcke, anscheinend Fruchtsäcke, aus welchen, als ich näher gekommen, allerdings Früchte schlüpften, aber in Gestalt von schwarzhaarigen Sprößlingen in paradiesischem Zustand. Sie bettelten den Ankömmling sogleich an, waren aber an den Unrechten gekommen, denn dessen Taschen waren so leer wie nunmehr ihre Säcke, in denen sie auf so praktische Art ihre Nachtruhe gehalten. Man konnte sie damals noch häufig treffen, diese Enterbten ohne Altersversorgung und Unterstützungswohnsitz. Jetzt sind sie verschwunden, um andern Platz zu machen, mit welchen die Polizei nicht so leicht fertig werden wird, wie mit jenen.
Die Landfahrer haben Lucian Reich auch mehrfach im Hieronymus beschäftigt.
Von dieser, der alten Polizei und Rechtspflege, ragte noch manches in unsre Jugendtage hinein. Das Rathaus zierte noch immer der altehrwürdige Pranger, eine über Mannshöhe angebrachte Steinplatte mit einer an der Wand befestigten Kette, welche ein eisernes Halsband trug. Jetzt diente der Stein nur noch uns Buben zu lustigen Turn- und Kletterübungen. Ein noch höheres Symbol alter Jurisdiktion sahen wir Kinder nicht mehr.
Den Galgen, der sich auf der Höhe des „Hölensteins„“, den der Vater angekauft und teilweise kultiviert hatte, erhoben. In einer finstern Dezembernacht hatte er und sein Freund, Bürgermeister Burkhard die Pfeiler umgestürzt und die schweren steinernen Kugeln, mit denen sie geziert waren, den felsigen Abhang hinunter rollen lassen ein Gepolter, das der alten Großmutter im nahen „Henkerhaus“ wie Geistergetös vorgekommen sei.
Karte Hüfingen aus 1664 von Martin Menradt mit Seemühle und Galgen.
rechts: Bräunlinger mappa von 1620 mit Seemühle und Galgen
Fotos: Dr. Jörg Martin, Fürstlich Fürstenbergisches Archiv Donaueschingen
Bürgermeister 1826–1831: Josef Burkhard 1831–1837: Johann Baptist Neukum 1837–1840: Fidel Ganter 1840–1848: Josef Hug 1848–1849: Jakob Häfele 1849–1852: Johannes Neukum 1852–1854: Matthias Fischerkeller 1854–1863: Johannes Ev. Neukum 1863–1887: Jakob Bausch 1887–1899: Julius Faller 1899–1908: Wilhelm Krausbeck
Bürgermeister von Hüfingen 1826 bis 1908
Ein Stück berechtigter Eigentümlichkeiten waren stets auch noch die Holländischen Werber. Voran der Offizier im grün verblaßten Uniformsfrack mit einem Tambour, hinterher ein paar Dutzend in Kneipen und auf Straßen aufgegabelter Subjekte, die einem Maler treffliche Modelle geliefert hätten zu Falstaffs rühmlichst bekannter Rekrutenaushebung, so zogen sie von der Schweiz her, unter Trommelschlag, noch oft durchs Städtlein, Von der vaterländischen Soldadeska dagegen sahen wir Kinder nichts mehr; wir kannten sie nur aus den Erzählungen unserer Eltern, jene Fürstenbergischen Grenadiere, die in der Wachtstube des Zuchthauses an ihren an der Brust befestigten eisernen Haken so fleißig Strümpfe gestrickt, wenn es aber gegolten, sich auch als Männer gezeigt hatten, die das Herz am rechten Fleck haben, so anno sechsundneunzig beim Rheinübergang der Franzosen bei Kehl, wo die Fürstenbergische Grenadierkompagnie unter ihrem jugendlichen Hauptmann, Landgraf Joseph von Fürstenberg, die Wolfsschanze mit größter Bravour verteidigt und erst sich ergeben hatte, nachdem der Graben mit Leichen angefüllt und alle Aussicht auf Succurs verschwunden war.
Wir junges Volk hatten unsre eigenen Spielplätze und Spiele, von welchen die meisten sehr alten Ursprungs sein mochten; alle aber beruhten mehr oder minder auf körperlicher Gewandtheit, raschem Handeln und Erfassen gewisser Vorteile, womit es einer dem andern, oder eine Partei es der gegnerischen zuvorthun wollte. Solche Bubenspiele waren: Haberfassen, Bruckspringen, Eckballen (Ballen als Verbum — in Geisingen „Ballen uf Ecken“, Eck-Standort des Werfenden), Hurnaußen, Geißhüten, Messerspicken, „Haas, Haas us em Busch! Wolf, Wolf dräut!“ u. a. Auch das Bogen und das Armbrustschießen mit selbst gefertigtem Bogen und Pfeil und Scheibe, hinter welcher bei jedem Treffer ein gemalter Hanswurst sich erhob, gehörte dazu. Spiele, an welchen sich jüngere Knaben und Mädchen gemeinsam beteiligten, waren unter andern: Das Farbenausteilen, oder „Wie viel streckt de Bock Hörner us?“
Mädchenspiele: Das Steindechseln, bei welchem es sich um gewandtes Auffangen zu gleicher Zeit in die Höhe geworfener Steinchen handelte; dann „Ringli, Ringli, goldes Kindli, schou an Himmel und lach nit!“ — oder: „do liit en tode Ma, mer zündet im e Kürzli a“. — Oder „B’halt’s wohl uf, b’halt’s wohl uf, ’s ist Silber und Gold!“ — Dann der Schleierfuchs: „Ihr Kinder kommt!“ — „Wir fürchten uns.“ — „Was fürchtet ihr?“ „Hinter’m Busch!“ „den Schleierfuchs.“ „Wo ist er denn?“ — u. s. w.
Die meisten dieser Spiele werden selten oder gar nicht mehr gespielt, am allerwenigsten aber draus im Freien. Frau Kultur hat auch darin Wandel geschaffen, indem sie auf alle ehemals sich selbst überlassenen Plätze gebieterisch ihre Hand gelegt hat. Uns dagegen war es nicht verwehrt, im Frühling und Herbst uns auf der „Stadtwies“ oder in der Allee (eine mit Bäumen bepflanzte herrschaftliche Grasfläche beim Schloß) oder auf dem städtischen „Angel“ (Anger) als Jäger und Wild, Räuber und Hatschiere, kämpfende Ritter und Knappen umher zu tummeln, im Wolfbühl oder am Hölenstein eine Meisenhütte zu errichten, Palmenreis zu holen, im Frührot eines ahnungsvoll verschleierten Herbstmorgens mit Klebruten und Lockvogel auszuziehen, im Feld ein Wurzelfeuer anzufachen, Erdäpfel in der Glut zu braten und nebenher Cigarren, d. h. dürre Hanfstängel zu rauchen. — Das Feld- und Waldleben, der freie Verkehr mit der Natur, hat aber für das jugendliche Gemüt weit mehr anregendes als die abstrakte Schul- und Buchgelehrsamkeit.
Wolfsbühl
Früh schon hatten wir mit Schießgewehren umgehen gelernt; so daß ich nicht wüßte, wann uns der Vater oder der Großvater zum erstenmal auf die städtische Schießstatt mit genommen hätte. — Nicht über 12 Jahre alt hatte ich das Glück, bei einem Freischießen zu Donaueschingen mit einem Zentrumschuß im „Schnapper“ das Beste, 10 Pfund Kaffee, zu gewinnen. Obgleich zur Zeit Niemand den Resten des alten Kunstgewerbes Beachtung schenkte, hatte der Vater doch schon die Bedeutung derselben erkannt. So hatte er unter anderm in Villingen viele alte Ofenkacheln oder Modeln und Formen zu solchen erworben: Wappen, Figuren, Ornamente, zum Teil noch aus der Werkstatt des geschätzten Hafnermeisters Hans Kraut.
Habsburgische Wappentafel vom Kaufhaus, Irdenware, von Hans Kraut, 1574, Franziskanermuseum Villingen, Inv. 11859
Eine andere, nicht minder wertvolle Acquisition war von ihm in Geisingen gemacht worden, aus dem Nachlasse des in hohem Alter dort verstorbenen Hofbildhauers Brunner, der, nebenbei ein eifriger Sammler, seine Studien in München gemacht hatte. Die Villinger Modeln und Formen gossen wir in Gips, oder druckten sie in Ton aus, was uns auf den Gedanken brachte, ähnliche Sachen, gebrannt und farbig bemalt und glasiert, herstellen zu wollen. Die Versuche, die wir beim „Hafner Härle“ machten, fielen aber nicht befriedigend aus. Statt wie er die Farben mit dem Hörnlein dick aufzutragen, versuchten wir geschickte Zeichenschüler es mit dem Pinsel, fanden aber nach dem Brennen im offenen Feuer unsre so sorgfältig kolorierten und schattierten Tiere und Landschaften samt und sonders vom Grunde verschwunden.
Auf die Stürme der Napoleonischen Eroberungskriege war eine weder durch konfessionelle noch politische Gegensätze und Vereine zerklüftete Friedensperiode gekommen. Unter dem Schutze der auf Leipzigs blutgetränkten Ebenen geschlossenen „Heiligen Allianz“ glaubte man Kriege auf unabsehbare Zeiten zur Unmöglichkeit geworden. Männiglich war bemüht, sich wieder behaglicher einzurichten, zu bauen und zu verschönern und des Geschaffenen sich zu freuen.
„Die Ruhe im Tempel der Natur besänftiget die Stürme des Gemüts“ wie die Inschrift an der „Johannishütte“ in den gemeinsam von Bürgern und Beamten geschaffenen „Anlagen“ im nahen Tannengewälde des „Rotenraines“ lautete, konnte als Motto für die 20ger Jahre gelten. Es war recht eigentlich die Zeit der Gartenhäuschen, Ruhebänke und idyllischen Plätzchen, verbunden mit Freundschaft und Geselligkeit.
Hand in Hand damit gingen Kulturen und Verbesserungen. Landwirtschaftliche Vereine wurden ins Leben gerufen, Baumschulen angelegt und die Schüler der obern Klasse angehalten, in Hausgärten junge Stämmchen zu pflanzen und sie durch propfen und okulieren zu veredeln. Zugleich waren die Wege mit Bäumen besetzt und von Privaten größere Obstbaumpflanzungen angelegt worden.
Noch weiter gingHandelsmann Jakob Curta, indem er auf der wasserlosen Höhe von Schosen eine Kolonie gründen wollte, drei Wohnhäuser und ein Kirchlein erbaute, die Ansiedlung aber nicht Schosen, sondern Rotlauben nannte.
Doch bald, schon zu Anfang der 30ger Jahre, zuckte Wetterleuchten am politischen Horizont auf. Es war der Wiederschein von der Julirevolution und der Erhebung der enthusiastisch besungenen und begrüßten Polen. Und auch in der Ständekammer machte sich eine gewittrige Luft bemerklich. Die Landtagsblätter wurden jetzt eifriger gelesen als früher das landwirtschaftliche Vereinsblatt. Oft zog sie unser Hauslehrer Engesser während der Unterrichtsstunde aus der Tasche und hielt uns eine Vorlesung, wie Rotteck, Welcker oder Vater Itzstein diesem und jenem Minister in der Kammer so freimütig aufgetrumpft habe, was uns immer kurzweiliger vorkommen wollte als das, was wir von Anacharsis und Telemaque, Sesostris oder Solon auswendig zu lernen hatten.
Ein kürzlich unter alten Papieren gefundenes Blatt väterlicher Kunstfertigkeit vergegenwärtigt mir wieder lebhaft die Stimmung jener Tage — ein Entwurf zu einem silbernen Ehrenbecher für den gefeierten Volksabgeordneten von Rotteck. Im Jahr 1630 wurde das Landgericht der Baar von Geisingen nach Hüfingen verlegt und damit der Grund zum spätern Oberamt gelegt.
Bis in die letztverflossenen dreißiger Jahre hinein besaß aber die Amtsstadt noch keine Postablage, obgleich täglich Postkärren und Eilwägen durchfuhren. Jeden Tag wanderte der „Bot“ mit seinem ledernen Felleisen nach Donaueschingen, und nachmittags trug er oder einer seiner Buben Briefe und Pakete aus. Aufgegeben wurden solche in seiner Wohnung in der Hinterstadt, wo er oder eines der Seinigen den etwa verlangten Frankaturvermerk mit Rötel gewissenhaft der Adresse beifügte.
Ein Felleisen ist ein lederner Rucksack, der früher von Handwerksgesellen auf Wanderschaft getragen wurde.
Postbote mit Felleisen (Paris musée de la poste etwa 1850)
Felleisen im Franziskanermuseum in Villingen
Mit Zeitungen brauchte sich der Bot nicht übermäßig abzuschleppen. Es kamen wenige, meines Wissens nur ein Frankfurter Journal, eine Freiburger Zeitung und etliche Exemplare „Schaffhauser Kourier“ hieher. Ein erstes illustriertes Blatt war das „Karlsruher Unterhaltungsblatt„, aus dessen, uns von den Söhnen des Oberamtmanns Schwab geliehenen Heften ich manches hübsch lithographierte Blatt sorgfältig abzeichnete.
Aus jenen Tagen datiert auch die hiesige Apotheke, die als Filiale der Kirsner’schen Hofapotheke in Donaueschingen in einem Privathaus eröffnet wurde, während wohl beständig schon ein Amtschirurg, ein Physikus (Baur) aber erst seit Mitte der zwanziger Jahre sich hier befand. Einen bemerkenswerten Fortschritt hatte das Jahr dreißig gebracht, eine ständige Straßenbeleuchtung, die jedoch – wie noch heute — lediglich nur der Hauptstraße vom Schloß bis zur Pfarrkirche zugut kommen sollte.
In den vorherigen finstern Zeiten hatte man sich mit tragbaren Laternen behelfen müssen, die jetzt auffallenderweise fast gänzlich verschwunden sind, obgleich es wenn der Vollmond nicht just ein Einsehen hat — in den Gassen der Hinterstadt und dem Süßen Winkel immer noch dunkel genug ist. Anno fünfundzwanzig wurde das „untere Thor„, bis dahin eine Behausung Ortsarmer, abgetragen und die „Fürst Karlsstraße“ gegen Donaueschingen zu angelegt. Vordem stand außer dem „Bettelhäusle„, dem Siechenhaus, und der aus der Hinterstadt anher verlegten Bierwirtschaft zur Lägel kein Haus daselbst.
Das untere Tor zu Hüfingen abgebrochen im Jahre 1829 gemalt von Karl von Schneider 1909
Lägel 1928
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die kleine Stadt war das fürstliche Schloß mit seinem schönen Garten und den Kunst- und Naturmerkwürdigkeiten im „Kabinet“. Was es da zu betrachten und zu bewundern gab, machte auf mich einen lebendigeren und nachhaltigeren Eindruck, als das, was wir bald nachher von Sammlungen, wissenschaftlich geordnet, klassifiziert und katalogisiert, zu sehen bekamen.
Und dasselbe möchte ich auch von andern Jugenderinnerungen sagen, z. B. von den Schlittenfahrten, welche die Herrschaften oft an schönen Wintertagen hieher machten, in den phantastisch gestalteten Schlitten aus der Zeit des Rokoko: Diana mit dem Hirsch, Neptun das Walroß lenkend, Löwen und anderes Gebilde zeigend. Abends sahen wir das Schloß dann erleuchtet, im Saale gegen den Hof zu ertönte Musik zu improvisierten Tänzen, und die bei Fackelschein bewerkstelligte Rückfahrt ließ uns den Zug erst recht im romantisch märchenhaften Lichte erscheinen. Der gewöhnliche sog. Wurstschlitten hatte im Gegensatze zum „Kasten= oder Chaisenschlitten“ nur einen schmalen gepolsterten und freien Sitz. Einen solchen besassen auch wir, geziert mit einem von der Hand des Vaters geschnitzten und vergoldeten Drachen.
Ob die jetzige Generation vergnügter, zufriedener lebt als die frühere? Wenn wir zur Beantwortung dieser Frage die in so üppigem Flor stehenden Vereinsfeste und Zusammenkünfte zum Maßstab nehmen, müssen wir sie bejahen — jedoch hinzufügen, daß es auch in frühern Tagen — abgesehen von kirchlichen Festen nicht an gemeinsamen Veranstaltungen und Festlichkeiten gefehlt hat; nur hatten diese mehr eigenartiges Gepräge und stets auch einen Anhauch von Poesie, indem sie auch der Schuljugend eine Beteiligung gestatteten.
„Und wieder ist die Baar Fruchtbar wie sie war!“ sangen die Schulkinder in einem von Bürgermeister und Major des Bürgermilitärs, Burkhard, gedichteten Liede bei Einbringen des ersten festlich bekränzten Garbenwagens im Jahr 1817. An ein anderes schönes Fest wurden wir Schüler noch lange durch die Inschrift an der „Schulkanzel“ gemahnt: „Wer Gesetz, Ordnung, Tugend und Religion liebt und zur Richtschnur nimmt, der ist weise, der ist frei„. Aus der Antwort Karl Friedrichs auf die Danksagung des Landes bei Aufhebung der Leibeigenschaft.
Die Kanzel hatte nämlich beim Karl Friedrichjubiläum zum Piedestal eines vom Vater gemalten lebensgroßen Brustbildes des Gefeierten gedient, welches von der Schuljugend bekränzt den Mittelpunkt der Festlichkeit gebildet hatte. Die Lieder, welche beim Empfange des neuvermählten fürstlichen Paares Karl Egon und Amalie zu Fürstenberg (1818) von welchem Tag noch lange gesprochen wurde, und im Jahre dreißig bei der Landesbereisung des Großherzogs Leopold und der Großherzogin Sophie vom Hüfinger Bürgermilitär unter Gleichaufs Direktion im Schloßhofe zu Donaueschingen gesungen wurden, waren aus Burkhards Feder geflossen. (Ebenso die meisten zur Zeit üblichen Nachtwächterrufe). Und viel Hübsches und Sinniges wurde bei den Festlichkeiten stets auch in dekorativer Hinsicht geleistet und zwar ohne großen Kostenaufwand. Die Vorbereitungen hiezu fanden gewöhnlich in der großen leerstehenden Schloßkirche statt, im Flügel gegen das Stadttor hin.
Elisabeth (Lisette) Reich 1819-1871
Von jeher wurde in der Amtsstadt viel musiziert und gesungen. Es gab Kirchenchor-Mitglieder, die bis in ihr spätestes Alter als Violinspieler oder als Sänger mitwirkten. So z. B. der Amtmann Reichlin; dieser sang noch bei den musizierten Messen, nachdem er nicht nur die Stimme, sondern längst auch alle Zähne verloren hatte. Wie die Mutter und ihre Schwestern, Magdalena, Elisabeth und Katharine zu den Sängerinnen zählten, so that auch unsre Schwester Lisette mit ihrer klangvollen Sopranstimme lange Zeit Dienste auf dem „Chor“.
Hoftheater in der ehemaligen Reitschule Donaueschingen
Fotos: Baarverein
Das Hoftheater in Donaueschingen war ein Theater der Fürsten zu Fürstenberg, das 1774 in der ehemaligen Reitschule errichtet wurde und am 28. April 1850 abbrannte und daraufhin nicht wieder aufgebaut wurde. Bis dahin wurden Schauspiele und Opern aufgeführt, unter anderem unter der Leitung der Hofkapellmeister Conradin Kreutzer und Johann Wenzel Kalliwoda. (Zu den Anfängen einer „Donaueschinger Musik“ von Hugo Siefert in den Schriften der Baar 69 (2016))
Auch wir Brüder mußten mitsingen bei den Messen, die Onkel Seyferle, zur Zeit Unterlehrer, mit den Schülern einübte. Außerdem wurde mir die Auszeichnung, mit Seyferle und einem seiner auswärtigen Zöglinge als Altist und Chorist in der Oper „Cristine“ von Kalliwoda, in der Doppelrolle als Bauernjunge und königlicher Page, auf dem Hoftheater in Donaueschingen auftreten zu dürfen. Nach jeder der etlich und dreißig Proben im Museum (Post) hatten wir zwei Altisten jedesmal eine Halbe Braunbier mit einer Portion Schweizerkäs zu konsumieren beim Hofschmied (Fürstenbergerhof), wo unter’m Vorsitze des Hofapothekers Kirsner sen. und seines Adjutanten Bäsele immer große Redeschlachten geliefert wurden zwischen Russen und Türken, die zur selben Zeit weit hinten in der Türkei aufeinander schlugen.
Katharina Schelble geb. Götz (01.11.1760-04.04.1847) gemalt von Luzian Reich (senior) ihrem Schwiegersohn im Jahre 1829 . Sie ist die Mutter von dem Musiker Johann Nepomuk Schelble und die Großmutter von Elisabeth Heinemann geb. Reich und Lucian Reich dem Jüngeren.
Onkel Seyferle war mit Elisabeth Schelble verheiratet, einer Schwester von Josepha
Die 14 Kinder von Katharina Götz
Die wichtigsten Proben waren uns aber die Hauptproben mit dem wirkungsvollen Finale am „Offiziantentische“ im Schlosse, wo wir Choristen bei Wildpret und einem Trunke aus dem Schloßkeller zeigen konnten, wie sicher wir auch da im Treffen seien. Ernsthafter als Gesang beschäftigte uns Brüder das Klavierspiel, in welchem uns Vetter Franz Joseph Gleichauf, Amtsaktuar und ebenso eifriger wie uneigennütziger Chorregent und Kapellmeister des Bürgermilitärs, Unterricht gab.
Franz Josef Gleichauf (6.12.1796-19.07.1869) war mit Maria Catharina Federle (22.07.1797-07.08.1869) verheirate und der Sohn von Johann Gleichauf (4.2.1764-23.03.1816) und Anna Maria Schelble (27.03.1760-27.12.1816).
Xaver bildete sich weiter darin aus, und noch in spätern Jahren fand er in den Werken Mozart’s, Bach’s und Beethoven’s Erholung und Genuß. Jeden Winter wurde beim Schnurren der Spinnräder und dem Schein eines Oelämpeleins des Vaters Büchersammlung durchgelesen. Für einen Schullehrer damaliger Zeit war sie reichhaltig genug. Gellert, Hebel und Winkelmann (in der Donaueschinger Ausgabe) waren mit ihren sämtlichen, Göthe, Schiller, Klopstock, Wieland mit einzelnen Werken vertreten, dabei Sulzers Theorie der schönen Künste, Weißes Kinderfreund, Kampes Robinson, Reisebeschreibungen nebst dem Brockhaus’schen Konversationslexikon fast ausnahmslos Geschenke vonOnkel Schelbleund dem frühern Stadtpfarrer Reislin; denn Bücher kaufte der Vater selten. Das erste klassische Werk, das ich von meinen ersparten 10 Kreuzern auf dem Jahrmarkt erwarb, war Tyll Eulenspiegel, den ich, weil mir die groben Holzschnitte darin nicht gefielen, zu illustrieren unternahm.
Xaver Reich 1838 gezeichnet von J. Nepomuk Heinemann.
Zuweilen machten wir unter väterlicher Leitung Fußtouren, unter andern einmal nach Freiburg, wo es das erste war, das Münster zu besichtigen, obgleich uns, müde und abgespannt, der vorläufige Besuch einer Gastwirtschaft erwünschter gewesen wäre. Und daher kam es, daß uns, insbesondere mir, der von zahllosen krächzenden Krähen umschwärmte altersgraue Bau mit dem ahnungsvollen Dämmerlichte seines Innern den erwarteten überwältigenden Eindruck nicht machte; obgleich wir das treffende Urteil eines Hüfinger Kunstrichters nicht hätten unterschreiben mögen, der auf die Frage des Vaters: „Nun, Sie haben das Freiburger Münster gesehen? Nicht wahr, der Turm ist ein wahres Wunderwerk!“ den klassischen Ausspruch that: „Nun ja, er ist kunstreich! Aber ich muß Ihnen offen gestehen, der hiesige Kirchturm gefällt mir besser, er ist einfacher!“
Ein andermal wanderten wir über Schleitheim, woher der Vater die Steine zu seinen Grabdenkmälern bezog, nach Schaffhausen. Kurz vorher hatte ich den Rheinfall nach einer Lithographie Welle für Welle in Kreidemanier gezeichnet. Und nun trat mir das Naturspiel in seinem Stürzen und Ueberstürzen, Tosen und Schäumen um so überraschender entgegen.
Einen ähnlichen und doch wieder grundverschiedenen Eindruck machte auf uns der Hohentwiel, den wir über die Ausläufer des hohen Randen hinwandernd im abendlichen Dämmer am östlichen Horizont vor uns auftauchen sahen. Der Hohentwiel! Wie viel hatten wir als Kinder nicht schon von ihm gehört! Trug doch ein ehmaliger Turm in der „Hinterstadt“ diesen Namen. Und der „alt Franz“ unser Taglöhner, dem ich so manches „Budeli Brends zNüni“ zugetragen, und der „Vetter Kupferschmied“ waren von denen, die auf Gemeindekosten ringsum aufgeboten worden, das für unbezwinglich gehaltene Hegaubollwerk zu sprengen und demolieren.
Karten von Hüfingen aus 1664 von Martin Menradt. Foto: Dr. Jörg Martin, Fürstlich Fürstenbergisches Archiv Donaueschingen
In der Hinterstadt im Bereich der herrschaftlichen Burg stand einst ein mächtiger Bergfried, der „Stock im Graben” oder wegen seiner Stärke auch „Hohentwiel” genannt wurde. Dieser Wohnturm diente in Belagerungszeiten als Zufluchtsort für die Burginsassen. Er war der am schwierigsten einzunehmende Bauteil der Burg.Auf dem Gemälde von Menrad ist dieser Turm zu sehen, allerdings in bereits zerstörtem Zustand. Eine weitere Abbildung des Bergfrieds soll das alte Stadtwappen sein:Das Hüfinger Stadtsiegel zeigt heute einen schmächtigen Thorthurm, in dem des 15. Jahrhunderts aber erscheint an dessen Stelle ein mit Buckelquadern an den Ecken verstärkter, wehrhafter Bergfried, der von der Seite her aufgenommen ist. Selbstredend steht dieses Wappenbild mit der Stadt im Zusammenhange; es ist nichts anderes als die Abbildung des obengenannten Stocks im Graben oder Hohentwiel’s, der in der Tat beim Anblicke der Stadt, solange er stand, das Augenfälligste, sozusagen das Wahrzeichen von Hüfingen gewesen ist und deshalb zum Wappenzeichen der Stadt vorzüglich geeignet war.
Hüfingen – Führer durch eine alte Stadt von Beatrice Scherzer und Hermann Sumser 1996
Diese die Französische Gewaltherrschaft bezeichnende Anordnung kam den Gemeinden teuer genug zu stehen. Geisingen z. B. traf es 400 fl. und nicht weniger Hüfingen, und so verhältnismäßig alle Orte.
Von frühester Jugend an wußte ich nicht anders, als daß ich Maler werden wollte, obgleich ich eine alte Base sagen hörte, kein Maler werde alt, von wegen den giftigen Farben. Mein Bruder hatte sich für die Plastik entschieden. Formensinn und außerordentlich geschickte Hand befähigten ihn hiezu. Jeden Herbst kam Onkel Schelble zu Besuch in die Vaterstadt, und was wir von ihm vom Städel’schen Kunstinstitute hörten, ließ uns Frankfurt in ganz verklärtem Lichte erscheinen. Gegen Ende der 20ger Jahre war Zwerger, der Zögling Danneckers, aus Italien zurückgekommen.
Vermutlich Johann Nepomuk Zwerger (* 28. April 1796 in Donaueschingen; † 26. Juni 1868 in Cannstatt) war ein deutscher Bildhauer und Hochschullehrer. Hier 1829 gezeichnet von Reich senior.
In Hüfingen, bei seinem Schwager, Schloßverwalter Wehrle, vollendete er seinen „Hirtenknab“ in Karrarischem Marmor. Von Schelble empfohlen, hatte er bald nachher eine Berufung an das Städel’sche Institut erhalten. Und nun erbot er sich, meinen Bruder als Schüler anzunehmen; und somit verließ dieser im Herbste 1832 mit Onkel und Tante die Vaterstadt, und im Jahr darauf fuhr auch ich mit ihnen der ersehnten freien Reichsstadt (Frankfurt) zu. Das Städel’sche Institut war gewissermaßen noch im Entstehen begriffen. Mein Bruder hatte seine Lehrzeit noch im alten Hause auf dem Roßmarkt begonnen, und der Umzug ins neue war kurz vor meiner Ankunft bewerkstelligt worden, so daß zehn oder zwölf Malerschüler, mit mir dem jüngsten, erstmaligen Besitz von den obern vier, in den Hof und Garten hinausgehenden, Ateliers nahmen. Es war eine gemischte Genossenschaft, die sich da zusammengefunden, ein Konglomerat verschiedenster Ausbildungsstufen und Richtungen, jeder mit einem andern Gegenstand beschäftigt.
Settegast, der am weitesten vorangeschrittene Zögling Direktor Veit’s, malte eine hl. Barbara für eine Kirche am Unterrhein, Becker aus Bornheim kopierte religiöse Bilder aus der Galerie, die von Inspektor Wendelstädt anstandslos in die Ateliers gegeben wurden, Bauer von Sachsenhausen, ursprünglich Lithograph, zeichnete für eine Kunsthandlung Veit’s Achillesschild auf Stein, Kaufmann von Kreuznach, das adrette Kerlchen mit Vollbart, Barett und hübschem Tenor, den er später auch im Cäcilienverein verwertete, skizzierte nach Spindlers, damals mit Begeisterung gelesenem „Jude“, während Weidenbusch, das ominöse Genie, einen großen Karton zeichnete: Prometheus von Cyklopen an den Felsen geschmiedet, und ebenso zeigte er uns Blätter aus seinem „Cid“, den er, wie Cornelius den Faust, im Stich erscheinen lassen wollte. Ich hatte verschiedene Zeichnungen von daheim mitgebracht: eine figurenreiche Fastnachtsscene mit äpfelauswerfenden Hanseln, plaudernde Nachbarn auf dem Hausbänklein, und was sich mir sonst in der Wirklichkeit zeigen wollte. In der jetzigen Umgebung hörte ich aber von Originalität der Komposition, neuen Gedanken und Motiven. Wie hätten gegen all das meine schlichten Baarerkinder aufkommen können! Also griff auch ich zur Kohle und komponierte und fixierte Zeichnungen höhern Stils.
Der „lange Tag“ in der Synagoge in Rödelheim bei Frankfurt. Reich senior 1833.
Professor Hessemer’s Gunst genoß ich nicht lange, weil ich seinen trockenen geometrischen Vorlesungen und dem geometrischen Zeichnen nur wenig Geschmack abgewinnen konnte, was er bald heraus gefühlt haben mochte. Dessen ungeachtet suchte er dem saumseligen Schüler manchmal wieder einen beherzigenswerten Wink zu geben. So z. B. begegnete ich ihm einmal mit einem neuen Skizzenbuche in der Hand im Gange zu unsern Arbeitszimmern. „Sie haben da“, hielt er mich an, „ein neues Skizzenbuch! Zeichnen Sie jedes Blatt so, als sollte es zu einem bleibenden Zwecke dienen.“ Ich befolgte die gute Lehre, so gut es gehen wollte. Meinem Bruder war dies Suchen und Haschen nach neuen Stoffen und Motiven, das Skizzieren und Komponieren — womit damals manch vielversprechendes Talent seine beste Kraft und Zeit verlor — erspart geblieben. Sein Lernen und Schaffen war zunächst aufs Notwendigste, auf die jeder Kunstausübung unentbehrliche Technik gerichtet. Und diese konnte er sich unter Zwergers Leitung, dessen Lehrsaal sonst ausschließlich angehende Kunsthandwerker, Stuccatore, Gelbgießer, Bautechniker u. a., die sich im Modellieren und Formen üben wollten, besuchten, völlig aneignen. Dabei zeichnete er charakteristisch mit leichter Hand in Veits Manier, und seine Entwürfe trugen, um ein Wort Binders zu gebrauchen, „das Gepräge anmutiger Erfindung.“ Veit ließ bei der Wahl des Sujets und deren Ausführung Jeden frei gewähren. Nur zuweilen entschlüpfte ihm eine Bemerkung, aus der wir seine Ansicht entnehmen konnten. So z. B. hatte ein Schüler, der ein Bild à la Düsseldorf zu malen begonnen, verschiedene, von einem Freunde geliehene Studien von oder nach Lessing an seine Staffelei geheftet, als Veit herzu kam und in seiner lakonisch treffenden Art hinwarf: „Lassen Sie doch die Natur da weg — es ist ja doch keine!“ Er war zur Zeit mit seinem großen Freskobilde „die Einführung des Christentums“ beschäftigt. Wir Schüler kamen selten in diese Räume, der Meister schaffte bei verschlossener Thüre.
Als ich einst Sonntags frühe die Treppe zu unsern Zimmern hinan stürmte, begegnete ich Veit an der Thür seines Ateliers: „Nun, Lucian“, fragte er, „haben Sie denn auch schon die Messe besucht?“ Da es just Meßzeit war und ich glaubte, er meine diese, sagte ich, daß ich mich um diese wenig kümmere. Ich sei im Begriff, einen gestern angefangenen Studienkopf fertig zu malen. — „Gut“, versetzte er mit mildem Ernste, der ihn so sehr charakterisierte, „aber man soll Gott mehr dienen, als den Menschen“. Zu sehr mit seinen eigenen, geistvoll durchdachten Schöpfungen beschäftigt fand Veit wenig Zeit, sich mit eigentlichem Unterrichte abzugeben. Dann war seine Art zu malen, das Kolorit gleichsam seelisch zu vertiefen, dem Anfänger nicht leicht beizubringen.
Schelble war der Ansicht, es könne einem Meister wie Veit nicht zugemutet werden, seine Zeit mit Unterricht geben zu zerstückeln. Und als Binder nach Frankfurt gekommen, bewog er seinen Freund Passavant, Mitglied der Administration, für dessen Anstellung einzutreten. Binder, den auch Veit sehr hochschätzte, war ein korrekter Zeichner, vorzüglicher Kolorist und guter Lehrer. Er kam von München, wo er mit Heß in der Allerheiligenkapelle thätig gewesen. In Frankfurt hatte er sich mit Glück dem Bildnisfache zugewandt. Seine Anstellung war jedoch keine definitive. Nicht einmal ein Atelier war ihm im Institute eingeräumt worden. Die Administration war, Passavant ausgenommen, eine zu engherzige, in allem mehr Hemmschuh als Förderung. Mitunter kam Besuch, namentlich von Düsseldorf her, als bedeutendster der genial veranlagte Alfred Rethel, welcher, obgleich er sich mit seinen „Rheinsagen“ bereits einen Namen gemacht, sich in anspruchslosester Weise bei uns einführte.
Als der Vater, einer Einladung Schelbles folgend, einmal in die Mainstadt kam, wollte es ihm bei uns Malerschülern scheinen, als kämen wir vor lauter Studien nach Gips und an Freund Gliedermann nie zum Beginnen, und vor vielem Untermalen und Aendern nie zum Fertigmachen eines Bildes. Und gewiß, der Umstand, daß früher der Lehrling in der Werkstatt des Meisters diesem sogleich behilflich sein mußte, brauchbare Arbeit herzustellen, hat nicht wenig beigetragen, jenen bald möglichst zum praktischen Manne zu machen.
Ich hatte eine Zeichnung nach Goethes „Totentanz“ entworfen , die ich, da ja jeder seinen Mißgriff machen muß, später in Oel malte. -Zu welcher später Herm. Kurz eine launige Geschichte fürs, Familienbuch geschrieben.
Weil aber der Vater fürs Märchen- und Sagenhafte sich nicht interessierte, oder ihm wenigstens doch eine gewisse Bedeutung unterlegen wollte, nahm er’s so, als gehöre der Laken dem Türmer und dichtete hiezu:
Thor! Wie magst du dich vor mir auf Turmund Bergeshöhen flüchten! Ich komme nicht, dich zu vernichten. Halt Stand! Nicht dich, Nur dein Gewand Will ich!
In angenehmster Erinnerung ist mir das Haus Philipp Passavant, wohin wir Institutsschüler unsre Schritte oft lenkten, um seine Kunstsammlung zu bewundern. Mit größter Bereitwilligkeit führte uns dann, Mamsell Passavant, seine anspruchslose Schwester, die ihm, dem unverehlichten unabhängigen Manne, die Haushaltung besorgte, in das Zimmer, dessen Wände Overbecks schöner Karton „der Verkauf Josephs“ — sein Oelbildchen, die „Auferweckung des Lazarus“ eine Perle damaliger ideal-realistischer Kunstrichtung, ferner eine große Landschaft von Meister Koch in Rom, Zeichnungen von Fellner, K. Fohr u. A. schmückten. Auch ein geschnitztes Kruzifix von der Hand unsres Vaters fanden wir in Gesellschaft dieser Meister.
Der Aufenthalt im Schelbleschen Hause, Eck der Schönen Aussicht, der Stadtbibliothek gegenüber, gehört zu meinen nachhaltigsten und liebsten Erinnerungen. Noch oft leiten meine Gedanken mich in das Zimmerchen mit dem Ausblick auf den zu jeder Tageszeit von Fischernachen belebten Strom und auf die Brücke, über welche jeden Mittag die Musik des im Deutschen Hause liegenden Oesterreichischen Regimentes mit Mannschaft auf die Hauptwache zog.
Das Schelblesche Haus war ein gastfreundliches; selten verlief ein Abend ohne Besuch. Zu den intimsten Freunden des Hauses zählten Chr. Eberhard und seine Frau, ebenso Schnyder von Wartensee, der heitere breitschultrige Mann im grauen Stußfrack, stets bereit, die Unterhaltung mit einem, in seiner Schwiezerischen Mundart vorgebrachten Scherz zu würzen. Zu den anhänglichsten Freunden des Hauses gehörten auch H. Weismann, F. Hauser und Philipp Passavant, Mitbegründer des Cäcilienvereins.
Aus frühester Zeit datierte das Freundschaftsverhältnis mit Geh. Rat von Willemer und dessen Frau, der bekannten geistreichen Freundin Goethes. Sie, welche mit enthusiastischer Liebe Schelbles Ideen teilte, hatte, auch als Sängerin, tätig mitgewirkt bei Gründung des Cäcilienvereins. (Festrede des Appellations-Gerichtsrats Dr. Echard beim 50 jährigen Jubiläum des Cäcilienvereins. Druck und Verlag von Mahlau und Waldschmitt 1868.)
Kamen wir Mittwoch abends aus dem Aktzeichnen, so nahmen wir den Weg an der Hauptwache vorbei zum Rauchschen Hause, in dessen Saal der Verein seine Proben abhielt. Xaver reihte sich dann jedesmal den Sängern an, während ich, oft der einzige Zuhörer, unter der Galerie Platz nahm. Während unsres drei-, resp. vierjährigen Aufenthaltes in der Mainstadt hatten wir, ohne bei befreundeten Familien eingeladen zu sein, selten einen Abend außer dem Hause zugebracht.
Blick aus einem Fenster des Hotels „Russischer Hof“ auf der Zeil nach Westen zur Hauptwache (William Henry Fox Talbot, 1846) Kalotypie Notiz auf dem Abzug: „street at Frankfort, gloomy day, 32 minutes in camera“ Hinweis: Talbots Abzug ist höchstwahrscheinlich seitenverkehrt. Der 1891 abgerissene Russische Hof befand sich auf der Nordseite der Zeil, siehe dazu auch ein Foto von Mylius, die Katharinenkirche hingegen auf der Südseite. Die Zeil verläuft in ost-westlicher Richtung zur Hauptwache; es ist von der Zeil aus daher nicht möglich, die Katharinenkirche rechts (nördlich) vom Hauptwachengebäude sehen. Foto: William Henry Fox Talbot (1800–1877), Public domain, via Wikimedia Commons
Onkel Schelble war der Ansicht, es sei für uns die Zeit des Lernens und Studierens, womit das urgermanische Kneipen mit nachfolgendem obligaten Katzenjammer nicht stimmen wolle. Auch er ging abends selten zu einem Glase Bier, und nur ins „Stift-, wohin auch Freund Eberhard, Beit, Binder, der Landschaftsmaler Thomas, zuweilen auch Zwerger u. A. kamen. Von Haus hatten wir unsre Grammatiken und Lesebücher mitgenommen, nach dem Willen der Tante auch wieder Unterricht im Französischen genommen, zuletzt aber die alte und neue Gelehrsamkeit in die Judengasse getragen und an einen Trödler verschächert. Das Durchwandeln dieser engen dunkeln Gasse, mit ihren hunderterlei Seilschaften in und vor den Häusern, altpatriarchalischen Gestalten und Trachten hätte vorzügliche Studien geboten zu Bildern a la Rembrandt, einem Altertümler aber Gelegenheit zu wohlfeilen antiquarischen Einkäufen, die heutzutage ein ansehnliches Kapital repräsentieren würden.
Im Schelble’schen Hause wurde, außer den gewöhnlichen Unterrichtsstunden, selten musiziert. Als Mendelssohn einmal auf Besuch gekommen, hatten wir Gelegenheit gehabt, seine Meisterschaft im Orgelspiel zu bewundern, in der Paulskirche, wo er vor einem engern Kreise Eingeladener Bachsche Fugen exekutierte. Nach Hause gekommen, empfing ihn das Schelblesche Dienstmädchen, ein unverfälschtes Kind vom Lande, mit einer Empfehlung von Frau von Knüppel (v. Schlegel, der Mutter Veits – Dorothea Friederile von Schlegel, Tochter Moses Mendelssohns, geb. 24. Okt. 1763 zu Berlin, gest. 3. Aug. 1839 zu Frankfurt a. M.; heiratete 1779 den Bankier Simon Veit, trennte sich von ihm und ließ sich mit Friedrich v. Schlegel trauen, nach dessen Tode sie 1830 nach Frankfurt Übersiedelte. ) und sie lasse ihn abends zum Tee bitten.
Felix Mendelssohn-Bartholdy: Präludium und Fuge für Klavier D-Dur op. 35 Nr. 2 Aus: https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/musikstueck-der-woche/article-swr-16198.html
Wollten wir uns wiedermal von Althüfingen unterhalten, so suchten wir unsere Landsleute, Vetter Xaver Gleichauf (vielleicht ein Bruder von Rudolf Gleichauf 29.07.1826, ein Sohn vom Amtsaktuar Franz Josef Gleichauf?) und Math. Tröndle auf, beide Schüler (auch eifrige und begabte Zeichenschüler) unsres Vaters. Ersterer hatte sich bei Schelble zum Musiker ausgebildet, Tröndle schon in Hüfingen zum Steinmetzen — dauernd jetzt beschäftigt in der Werkstatt des Bauunternehmers Rust. Doch war ihm da wenig Gelegenheit geboten, sein ganzes können zu bethätigen, indem bei Neubauten das Ornamentale, Friese, Gesimse rc. fast ausnahmslos in Gips hergestellt wurde. Es war die Nachwirkung der nüchternen oder Empirezeit, wo auch bei Zimmereinrichtungen, Möbeln rc. der Hobel ausschließlicher Faktor war.
Matthäus Tröndle (23.10.1803-?) Steinhauer in Frankfurt am Main war mit Johanna Susanna Pracht aus Frankfurt verheiratet (22.12.1830 Heirat in Hüfingen) und hatte 10 Kinder.
Zwei andre aus der vaterstädtischen Zeichenakademie hervorgegangene Künstler waren der Maler Auer und sein etwas jüngerer Landsmann Durler. Ersterer, der Sohn des Hirschwirts in Hüfingen, hatte sich bei Seele in Stuttgart zum Porträtmaler ausbilden wollen, sich jedoch der strengen Zucht des Meisters frühe schon entzogen, wie sein Landsmann Zwerger, damals im Atelier Danneckers beschäftigt, zu erzählen wußte: Eines Tages war der Freund zu ihm gekommen mit dem Gesuch, ihm doch seinen neuen Frack zu leihen zu einer Fahrt nach Ludwigsburg, wo er einer Hinrichtung beiwohnen wolle. Zwerger entsprach seiner Bitte, hat aber ihn — den neuen Frack — nie mehr zu sehen bekommen.
Der Hirschen 1976 Hirschwirt Auer: Augustin Auer (1770 Tengen-1837) und Magdalena Fritschi (1762-1832) hatten 9 Kinder. Darunter der Portraitmaler Franz Josef Auer (04.05.1796-08.11.1832).
Franz Josef Durler (*12.04.1806 Lehrer in Neuhausen bei Engen und Gewerbelehrer in Rastatt) hatte mit Anna Maria Haller (*04.10.1800) drei Kinder: Josef Durler (1829-14.04.1867 Bildhauer in Wiesbaden) und Max Durler (1831-07.06.1858 Litograph in Mühlhausen bei Wiesloch)
Nach Jahren war der leichtlebige Künstler (Franz Josef Auer) kränklich in die Vaterstadt zurückgekehrt, wo da und dort in einer Stube noch lange ein von seiner Hand gemaltes Miniaturporträt zu sehen war. Von Durler (Franz Josef Durler) hörte ich in Rastatt noch oft erzählen, wo er als erstmaliger Gewerbeschullehrer in gutem Andenken stand. Von seiner Kunstbetätigung zeugten lithographierte Stadt-Ansichten und Zeichnungen nach Stichen alter Meister, die er unter Freunden auszuspielen pflegte. Ein Gönner von ihm war der Geistliche Rat, Professor Grieshaber, in dessen Auftrag er unter anderm auch das Plafondgemälde der Schloßkirche zu Rastatt in Tuschmanier kopierte. In die Windsbraut 1848/49 hineingerissen, endete er als Flüchtling beim Untergang des Schiffes, das ihn nach dem Land der Freiheit hätte bringen sollen.
Diesen Stich von Rastatt habe ich auf den Seiten der Stadt gefunden. Josef Durler müsste aber 1866 schon tot gewesen sein. Foto: Stadtarchiv Rastatt
In das vielseitige, nach außen hin aber wenig bewegte Leben unseres Frankfurter Aufenthaltes tönten bald auch schrille Mißklänge politischer Geschehnisse. Mit dem Rufe auf der Straße: Die Liberalen stürmen die Hauptwache waren eines Abends die Bewohner der freien Stadt aus ihrer Ruhe und Behaglichkeit geschreckt worden. Es galt, wie bekannt, zunächst den Sitzen der Herrn in der Eschenheimer Gasse. Das über die festgenommenen studentischen Tollköpfe verhängte, jahrelange heimliche Gerichtsverfahren, von dem nur zuweilen ein Schein gleich dem einer Blendlaterne in die Oeffentlichkeit drang, war nichts weniger als geeignet, die bundestägliche Justiz populär zu machen. Und als eines Morgens — wir befanden uns just auf dem Wege zum Städelschen Institut — einer dem andern in den Straßen zurief: Sie sind durch heut nacht! und die Leute in Gruppen vor der Konstablerwache standen und zu den Käfigen hinauf schauten, an welchen die Stricke, an denen sie sich herabgelassen, noch zu sehen waren, und es hieß, draus im Weiher beim Bethmannschen Garten habe man die Fußstapfen der Flüchtlinge entdeckt — da war unter der nach hunderten zählenden Menge gewiß nicht Einer, der ihnen nicht von Herzen glückliche Reise gewünscht hätte.
Zu den Freunden des Schelbleschen Hauses gehörte Bunsen, Vorstand eines vielbesuchten Erziehungsinstitutes, wohin Xaver und ich zuweilen kamen, um im Speisesaal die Cornelianischen Nibelungen in Betracht zu nehmen, oder mit den Zöglingen und ihren Lehrern einen Ausflug zu machen. Bunsen, ein Liberaler der alten Schule, der in seinem pädagogischen Bekehrungseifer dem Bilde glich, das Goethe in Dichtung und Wahrheit von seinem Freunde Basedow entwirft, hatte einige Jahre vorher bei einem Besuche des Schelbleschen Ehepaares in Hüfingen mit unserem Vater Freundschaft geschlossen und nachher ihm durch Frankfurter Damen, die gelegentlich einer Reise ins Berner Oberland Hüfingen berührten, als Beweis, daß nicht gefeiert wird, ein Päcklein politischer Flugschriften zur Verbreitung zugeschickt, womit sich der Vater, aller politischen Agitation abhold, aber nicht befassen möchte. Ein Bruder Bunsens war dann richtig auch einer der Hauptbeteiligten beim Krawall an der Hauptwache, dem es aber noch rechtzeitig gelang, sich aus dem Staub zu machen.
Zeitgenössischer Holzschnitt zum Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833 siehe Wikipedia
Zu Goethes -Dichtung und Wahrheit konnte uns die freie Reichsstadt noch ziemlich unverändert die Scenerie vergegenwärtigen. Das Exemplar kam aus der Bibliothek des Rats von Willemer und war mit einer Menge von Bleistiftvermerken bezeichnet. Bekanntlich schriftstellerte der Herr Rat selbst auch viel. Und man erzählte sich, wenn er wieder eine neue Auflage seiner unverkauften Werke veranstaltet, habe er’s seiner Frau mitgeteilt: Denke dir, liebe Marianne, wir haben schon wieder eine Auflage erlebt! Seine Schriften, meist humanistisch-pädagogischen Inhalts, hatten den Weg auch in des Vaters Bücherschrank gefunden. Ich erinnere mich indes nicht, daß sie viel gelesen worden wären. Abgesehen vom Städelschen Institute geschah in der Vaterstadt Goethes für bildende Kunst noch wenig. Die Saat, die König Ludwig ausgestreut, war, wie allerwärts außerhalb Münchens, eben erst im Reimen begriffen. Zwerger z. B. hatte während unsres Aufenthaltes am Main nicht einen Auftrag erhalten und zu seinem Hirtenknab, unstreitig sein bestes Werk, keinen Käufer gefunden. Er wanderte nach England.
Johann Jakob Willemer, seit 1816 von Willemer (* 29. März 1760 in Frankfurt am Main; † 19. Oktober 1838 ebenda) Wikipedia
Doch gab es immer einzelne Liebhaber, die, wie Städel und Passavant, ihren Mammon in löblicherer Weise anzulegen wußten, als in Papieren an der Börse. Ein solcher war meines Wissens auch Bankier Finger, Kassier des Kunstvereins, der sich eine wertvolle Sammlung alter Niederländer angelegt hatte. Ende fünfunddreißig war mein Bruder einer Einladung Schallers gefolgt, in dessen Atelier in München einzutreten. Gelegentlich einer Reise, die Onkel Schelble zur Kräftigung seiner angegriffenen Gesundheit nach Gastein unternommen, wobei wir ihn bis München begleiten durften, hatten wir Schaller, den Landsmann Binders, kennen gelernt. — Die Badekur hatte den erwarteten Erfolg nicht gehabt; im Sommer 1836 sah der gute Onkel sich genötigt, aller Tätigkeit zu entsagen und sich nach Hüfingen in sein von ihm mit so großem Interesse gegründetes Landgütchen zurückzuziehen.
Ich war so lange noch in Frankfurt geblieben, um das Fortschaffen der Möbel überwachen zu können. Felix Mendelssohn war gekommen, die interimistische Leitung des Cäcilienvereins zu übernehmen.
Nach einem mit den Freunden auf der Sachsenhäuser Warte gehaltenen Abschiedstrunk bestieg ich den Omnibus nach Darmstadt, um von dort — wie sich’s damals bei jungen Leuten von selbst verstand — zu Fuß weiter zu pilgern, den Heimatbergen zu. Heinemann war mir bis Böhrenbach entgegen gekommen. Von Zeit zu Zeit hatte er uns von seinem Kunftstreben Nachricht gegeben, als Probe einmal auch das Bildnis unsrer Schwester in der Schappeltracht der Baar gesendet. Anfänglich wollte er Schildmaler werden bei Dilger in Neustadt, einer der Werkstätten, in welchen sich im Lause der Zeit eine fire Technik ausgebildet hatte, die vollständig genügt hätte, den ebenso praktischen wie charakteristischen, hell lackierten und bemalten, „Schild“ der Schwarzwälderuhr artistisch weiter auszubilden.
Nach des Meisters baldigem Tode hatte sich Heinemann bei Keller in Donaueschingen dem lithographischen Fache zugewandt. Bei seinen Eltern in Hüfingen wohnend und jeden Tag den Weg hin und her machend und ausschließlich mit schriftlichen Arbeiten, Tabellen und Impressen beschäftigt, war es ihm nur in freien Stunden vergönnt, Porträts nach der Natur zu zeichnen – und wie viele und treffliche hat er auf Stein gezeichnet, unter andern eins von W. Rehmann und ein frühestes von Scheffel als Eyceist.
Bleistiftzeichunung Karl von Schneider (1847 – 1923) von Johann Nepomuk Heinemann
Im elterlichen Hause war unterdessen manche Wandlung eingetreten. Das rege Leben im obern Stock war zum Stillleben, der gute Großvater von seinem Tagewerk abberufen worden. Nur der Großmutter (Katharina Schelble geborene Götz) hatten die Jahre scheinbar nichts anzuhaben vermocht. Stets saß sie von Morgen bis Abend noch an der Kunkel. Am Sonntag vor dem Gottesdienst kam regelmäßig der Vetter Galli (Gallus Götz 21.10.1757-29.11.1840)- ihr Bruder, groß und hager, mit einem Gesicht, charalteristisch wie der beste Holzschnitt Dürers, um den Kaffee bei ihr einzunehmen. Und da sie selbst nicht mehr zur Kirche gehen und auch nicht mehr lesen konnte, mußte ihr immer Eins von uns das sonntägliche Evangelium vorlesen; denn aufrecht wie ihre Gestalt war ihr religiöses Bekenntnis, von dem sie kein Jota abging; aber keine Betschwester, die meint, mit dem fleißigen Kirchenbesuch seis abgetan. Kam je eine solche, ihr Nachteiliges von andern zu hinterbringen, so sagte sie: Ich will nichts hören, es hat jedes gnug vor der eignen Tür zu kehren! Eine Freude für sie war, wenn nachmittags der „Nepomuk und die Molly– (Johann Nepomuk Schelble und seine Frau) kamen. Aber auch sie waren immer viel in Anspruch genommen mit Einrichtung und Verbesserungen ihres Hauses und Gütchens. Die Großmutter stammte aus der Hofbauernfamilie Götz, deren Haus in der Vorderstadt noch ganz die mittelalterliche Bauart zeigte und auch eine allerdings trübselige geschichtliche Bedeutung hatte, insofern als die Scheuer der Hauptschauplatz war des gräuelvollen Blutbades vom Jahre 1632 beim Ueberfall der Stadt durch Württembergisches Kriegsvolk.
Katharina Schelble geb. Götz (01.11.1760-04.04.1847) gemalt von Reich senior ihrem Schwiegersohn im Jahre 1829. Sie ist die Mutter von dem Musiker Johann Nepomuk Schelble und die Großmutter von Elisabeth Heinemann geb. Reich und Lucian Reich und Xaver Reich.
Der Vater machte jetzt wenig Gebrauch mehr von seiner Kunstbegabung. Der Schlüssel zur Werkstatt hing oft wochenmonatelang unberührt am Nagel; und wenn ich ihn je einmal zur Hand nahm und hinab ging, schauten mich Cicero, Adonis, Hertules, Dacchus et Comp. — Bildhauer Brunner’schen Angedenkens — die ich vor meinem Abgang nach Frankfurt so schön auf Tonpapier gezeichnet — von ihren bestaubten Schäften herab wehmütig und verlassen an.
Kam der einst so kunsteifrige Besitzer aus der Schule heim, so nahmen ihn schon wieder andere Sorgen und Mühen außer dem Hause in Anspruch. Er hatte ein Gipslager auf der Gemarkung entdeckt und an der Breg eine Dunggipsmühle, und in Verbindung mit seinem tätigen Schwager Noberam „Kännerbach“ eine Wollespinnerei errichtet, wozu später noch an der Breg Cement- und Schwarzkali-Fabritation kam. Die Standesherrschaft wie auch der damalige Gemeinderat waren den Unternehmungen im wohlverstandenen Interesse der Allgemeinheit fordernd entgegen gekommen.
Alte Türe am Haus Nober mit dem Schaf als Wappen für die Wollspinnerei
Vaters Werkbank in der Wohnstube glich jetzt einer bunt durcheinander gewürfelten Mineraliensammlung, zu welcher die ganze Umgegend Beiträge geliefert hatte. Im Umgang mit Hofrat W. Rehmann und Oberforstinspektor Gebhard, sowie als aktives Mitglied des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte in Donaueschingen (Baarverein), hatte er sich geognostische Kenntnisse erworben, um welche ihn, wie Professor Fickler sich ausdrückte, mancher Professor hälte beneiden können. Nicht gleichen Schritt mit seinem Unternehmungseifer hielten aber die pekuniären Erfolge; das fortwährende Verbessern und Aendern der Werke nahm die beschränkten Mittel allzusehr in Anspruch; dazu kam noch der Betrieb durch fremde, nicht immer ganz zuverlässige Leute. — Und somit floß jetzt das Leben im elterlichen Hause nicht mehr in ruhigem geregeltem Gang dahin wie früher.
Haus Nober, Hauptstraße 5, etwa 1910
Aber auch die Amtsstadt zeigte die ehemalige Physiognomie nicht mehr so ganz. Der Zeitgeist hatte manchen Zug bereits verwischt oder verdrängt — wenn auch nicht in der Weise, wie der hinkende „Hafnerkaspar“ finden wollte: es habe kein Bürger mehr den richtigen bürgerlichen Gang, — ja wenn er Rock gesagt hätte, den dunkelblauen langen Tuchrock (von Spöttern Zehenklopfer genannt) mit umgelegtem Kragen und Knöpfen statt Hasten, wodurch sich der Handwerksmann vom Bauer unterschied. Auch der Bauer hielt nicht mehr so zäh am Alten fest. Nur die Bäurin schritt sonntags noch im vollen Staat mit weißlackiertem Strohhut, gesticktem Goller, Fürstecker und silbernem Gürtel zur Kirche, während vielleicht das Töchterlein den Tag kaum erwarten konnte, wo es sich die leichtere Modekleidung aneignen dürfte.
Den umgekehrten Fall, die Verwandlung eines ,Rockmeidli- in ein Juppemeidli, habe ich nur einmal dahier beobachtet. Vor wenig Jahrzehnten hätten die alten Wallfahrtskapellen mit ihren vielen Votivtafeln Gelegenheit geboten zu Trachtenstudien, aus welchen zu ersehen gewesen, wie manche jetzige Tracht nur noch ein Rest der alten ist. Gleich wie die Landestrachten mehr und mehr verschwinden, so wird von altem Herkommen, Sitten und Bräuchen, bald nicht viel mehr übrig sein.
Hat doch selbst Frau Fastnacht ihr eigenartiges Gewand zum Teil schon abgelegt, indem sie in Stadt und Dorf in Gestalt von allen möglichen Trauer-, Schau- und Lustspielen programigemäß über die Bretter geht. Daß trotzdem aber die humoristische Volksdichtung, die ihren Stoff dem alltäglichen Leben entnimmt, immer lustig noch die Pritsche schwingt, davon lieferte der diesjährige Karneval dahier einige recht gelungene Proben. Und auch der Hansel oder Heine-Narro hat stets noch sein Recht behauptet. — Ob er seit alter, d. h. mittelalterlicher Zeit, im Baargau schon heimatberechtigt, möchte schwer zu entscheiden sein. Die Chronisten melden meines Wissens nichts davon. Nur soviel ist anzunehmen, daß er, ähnlich dem Schem- oder Schönbartlaufen; immer nur in stadtbürgerlichen Kreisen, nie aber auf dem Lande, in einem Dorf oder Landsitz, sein Wesen getrieben habe. Aus sehr alter Zeit stammt seine Tracht. Denn schon im Parsival lesen wir, daß die besorgte Mutter dem Söhnlein ein bunt bemaltes Narrenkleid habe anfertigen lassen, um damit seine Herkunft zu verbergen. Auch die Kapuze mit dem Fuchsschwanz (doch ohne den in Villingen gebräuchlichen Halstragen, der viel jünger ist) beweist sein uraltes Herkommen; denn weniger die Metallschelle, die ja auch Vornehme an ihrer Kleidung trügen, als vielmehr die Zier Meister Reinecke’s war das Attribut des Schalksnarren, weshalb sie auch an der weiland Bühler Narrenchronik prangte.
Film von Ernst Kramer aus 1950
Der Hansel betrug sich übrigens nicht immer so harmlos und gefällig wie jetzt. Er war gefürchtet seiner bösen Zunge wegen und der rücksichtslosesten Lust am „Strälen„. Und wenn er, umtollt von einem Schwarm Gassenbuben, vor einem Hause Posto gefaßt, und diese das eingelernte Liedlein anstimmten, wurde oben das Fenster rasch zugemacht und das Vorhänglein zugezogen. Auf dem Speiszettel einer rechtschaffenen Fastnacht standen Leckerbissen vom hausgeschlachteten Säulein obenan. Erst am Aschermittwoch gab man dem Stockfisch, und allenfalls „gschlampeten“ Schnecken die Ehr. Abends fanden in den meisten Wirtschaften Fastenessen statt, an welchen sich in der Regel nur Eheleute beteiligten. Eingeleitet wurde die Fastnacht (sowie die Kirchweih) Sonntags mit einem Ball, dem nie ein Essen fehlen durfte, zu welchem eine Liste zirkulierte. Es hatte das Gute, daß, im Gegensatze zum gewöhnlichen Tanze, auch ältere und verheiratete Leute sich einfanden, wodurch der Abend mehr den Charakter des Familiären und Gemeinsamen erhielt.
Aktive und Passive mit statutengemäß bedingtem Zutritt gab es damals noch nicht, beim Cäcilienball nur insofern, als von Kirchenchor-Mitgliedern gut einstudierte hübsche gemischte Chöre und Lieder zum Vortrag gebracht wurden.
Auch Xaver war von München zurückgekommen. Im Atelier Schallers hatte er, obgleich im Steinarbeiten nicht geübt, resolut zu Hammer und Meißel gegriffen und nach Schallers Modell die Holbeinstatue für die Pinatothek in Stein ausgeführt. Im Lehrsaal Zwergers war er bis in die letztere Zeit der einzige Schüler gewesen, der sich ausschließlich der Plastik widmete. Zu den jüngern Fachgenossen, mit denen er jetzt verkehrte, zählte vor allen Hähnel (später Professor in Dresden). Entwürfe, die er mir von seiner Tätigkeit als Mitglied eines Komponiervereins zuschickte, ließen ein frisches, freudiges Schaffen erkennen. Jetzt, nach kurzem Verweilen in der Vaterstadt, hatte er das Glück, an Fürst Karl Egon zu Fürstenberg einen Mäcen zu finden. Der erste bedeutende Auftrag betraf die Donaugruppe für den fürstlichen Park, wozu er das Modell in München fertigen sollte.
Fürstenbrunnen in Heiligenberg von Xaver Reich
Die junge Donau als Kind im Schoße der Mutter Baar von Xaver Reich.
Im Gesellschaftshause Frohsinn hatte er Atelier und Wohnung gemietet; und ein glücklicher Gedanke war es den Kunstheros Cornelius um einen Besuch zu bitten. Und er kam oft, der kleine große Mann mit dem Blicke des Adlers, und nicht nur mit Worten, auch mit genial hingeworfenen Bleistiftstrichen suchte er den jugendlichen Modelleur auf die Erfordernisse monumentaler Plastik ausmerksam zu machen. Wozu mir in Frankfurt die Anregung gefehlt, das tat ich jetzt wieder, indem ich ein Bild aus dem Leben malte. Hierauf begab auch ich mich ebenfalls nach München, wo ich im „Frohsinn, den auch Schaller und Bildhauer Eduard Wendelstädt, Sohn des Inspektors am Städelschen Institut, bezogen hatten, mich einquartierte. (Das bedeutendste Werk dieses talentbegabten, frühe verstorbenen Künstlers ist die Statue Karls des Großen auf der Mainbrücke zu Frankfurt.)
Madonna an Verena und Gallus von Xaver Reich
Unser Schaffen und Streben war im besten Zuge, als uns, wie ein Blitz aus heiterem Himmel — denn er hatte sich ja in anscheinender Besserung befunden — die Nachricht vom Tode Schelbles traf. Es war ein neblig trüber Dezembertag, als wir, mit zwei Schweizer Fruchthändlern die einzigen Passagiere, von Lindau aus über den Bodensee hin fuhren.
Der fürstliche Protektor hatte meinem Bruder ein Atelier im Schloß zu Hüfingen herstellen lassen. Und es zeugt gewiß von seltener Zuversicht und Tatkraft, daß er die über 10 Fuß hohe Gruppe, von seinem getreuen, Seppele (Jos. Billinger), den er eigens dazu geschult, in Punkten gesetzt, eigenhändig in Stein ausführte. Während diese Arbeit mehr und mehr der Vollendung entgegen ging, zeichnete und malte ich viel nach der Natur im Freien. Und ist auch die kornreiche Hochebene für den gewöhnlichen Touristengeschmack keine eigentlich pittoreske, so ist sie doch nicht ohne idyllischen Reiz, namentlich für den, dem sie von der Heimatluft umweht entgegen tritt. Ein schöner frischer Juni- oder Julimorgen, zugebracht an den umbuschten Wiesenufern der Breg, im Tannenrauschen des Wolfbühls, oder unter den alten Föhren des Hölensteins, war an sich schon eine Studie.
Und darin besteht ja der Wert einer solchen Skizze, daß sie uns immer wieder vergegenwärtigt, was wir dabei gedacht, gehofft und geliebt und manches Beengende im Verkehr mit der Natur vergessen gaben. Ungleich mehr malerische Einzelheiten boten die nahen Schwarzwaldteile mit ihren Hütten und Höfen, Milchhäuslein und Brunnen, felsigen Schluchten und weltentlegenen Einsamkeiten und billigen was doch auch zur Schönheit einer Gegend gehört – billigen Wirtszechen.
Hotels gab es noch keine auf dem Wald. Schwarzwald war zu jener Zeit noch eine unbekannte, sozusagen noch nicht entdeckte Gegend. Es brauchte einer nicht gar weit her zu sein, um zu glauben, es wären da oben in den kaum ein paar Wochen des Jahres schneefreien Wäldern und Einöden häufig noch Bären und Wölfe anzutreffen. Der Strom müßigen Touristenvolkes war noch nicht hier, in die tannenumschlossenen grünen Täler und auf ihre luftfrischen Höhen gelenkt worden. Einen mobilen, skizzierenden und notierenden Kollegen getroffen zu haben, entsinne ich mich nicht, wohl aber einmal einen Gendarmen in einem Dorfe gegen Freiburg hin, der dem Skizzisten strengstens bedeutete, ohne polizeiliche Erlaubnis sei es im Lande niemanden gestattet, ein Haus oder einen Berg abzuzeichnen, und der just des Wegs daher wandelnde Ortsvorstand bestätigte es in seiner sabbatlichen Weinfeuchte.
Von Hüfingen aus hatte ich schon einmal die Badische Residenz und den Galeriedirektor Frommel besucht, der mir einen Auftrag gegeben, welcher aber nichts getragen hatte. Als ich jetzt wieder hinkam, wollte er mir nicht raten, in Karlsruhe zu bleiben. Unser Land ist klein und kein günstiges Terrain für Kunst sagte er, und riet mir, um ein Stipendium aus dem Fonds für Künste und Wissenschaften einzukommen und nach München zu gehen; er wolle das Gesuch unterstützen. Also strebte ich wohlgemüt wieder den Ufern der Isar zu, da mir das Stipendium richtig zukam. Es lagerte eine herbstlich angehauchte Atmosphäre über der Kunstwelt Isar-Athens. Von Cornelius hieß es, er beabsichtige die Baierische Metropole zu verlassen. Mit ihm und seinen unvergänglichen Schöpfungen schloß die unter dem großen Mäcen König Ludwig erblühte Kunstperiode ab, Es war ein Uebergang, aber kein tatsächlich ermutigender. Die neue Aera sollte ja erst später, aber nicht von Innen, von Paris und Belgien herkommen; statt des bisherigen Idealismus — Naturalismus bis zum nüchternsten Modellismus.
Ungeachtet dessen muß zugegeben werden, daß die frühere Zeit für die jüngere Generation nicht immer förderlich gewesen ist. Die von König Ludwig ins Leben gerufene deutsche Kunst war vorzugsweise eine monumentale, oder doch wenigstens dahin gerichtete. Aber wie viele, die Beruf und Neigung hiezu nicht in sich fühlten, oder wenn es der Fall gewesen, keine Aussicht hatten, ähnliche Aufträge zu erhalten, mußten auf halbem Wege stehen, d. h. zurückbleiben. Wie in Frankfurt war auch an der Akademie in München zur Ausbildung in Genremalerei keine Gelegenheit geboten. Beim akademischen Studium wurde zu viel Gewicht aufs Komponieren und (Karton-) Zeichnen gelegt und zu wenig aufs Malen und die koloristische Wirkung Bedacht genommen — daher verhältnismäßig wenige ein Staffeleibild malen lernten. Im übrigen war es noch ganz das alte, gemütliche München, der schwarze Adler der erste Gasthof mit einem Comfort, wie er heute kaum einem Gasthof dritten Ranges genügen würde. Das erste Cafe war das Dillmetz’sche, ein gutes auch das Melcher’sche und ein kleineres, aber nicht minder beliebtes, das von Fink, einem gebürtigen Donaueschinger, unweit der Frauenkirche. Wollte einer wiedermal mit einem Trunke süßer Bacchusgabe sich gütlich tun, so lenkte er seine Schritte dem von Künstlern vielbesuchten -Englischen Kaffeehaus zu; und sonntags früh konnte es vorkommen, daß man in Gesellschaft eines Freundes dem Englischen Garten zusteuerte, um bei einer Tasse Mokka, oder gar schon bei einer schäumenden Halben der dienenden Menschheit, Kellnern und Kellnerinnen, Ladendienern und Dienerinnen zuzuschauen, die auf offenem Podium zu den Rhythmen eines Strauß’schen oder Lanner’schen im Tanze sich wiegten. Abends aber saß man behäglich in der „Schießstatt“ beim Maßkrügel, ohne zu ahnen, wie bald sie vom Schienenstrang und seinem Bahnhof erfaßt und weggefegt werden sollte.
Es bestand dort ein zwangloser Künstlerstammtisch, an welchem ich, an Schaller mich anschließend, die rühmlichst bekannten Kupferstecher Merz, Thaeter, Gonzenbach, Hofmann und Schütz und die Maler Albert Zimmermann und Bruckmann kennen lernte. Zimmermann, der mir zuweilen von seinen Landschaftsstudien zum Kopieren gab, malte damals seine Jahreszeiten auf Kreidegrund, jede in Form und Farbe ein der Natur abgelauschtes Gedicht mit Staffagen aus der altgriechischen Welt. Aehnlich Treffliches glaubte ich in Rottmanns, von ebenso echtem Naturgefühl wie virtuoser Technik zeugenden Freiken unter den Arkaden zu finden.
Aergerlich war mir’s nur, eine derselben, die „Beroneserklause“ durch die an der Rückwand angebrachte Wasserleitung des Café Tombosi durchfeuchtet, und allmäligem Verderben ausgesetzt zu sehen. Da sich niemand darum kümmerte, wollte ich es tun durch einen kurzen Hinweis im Tagblatt. Freund Discher, Architett aus Pest, beförderte das lakonische Schriftstück in die Druckerei, und des andern Tages begab er sich zur Zeit, wo der kaum handgroße Residenzmoniteur ausgetragen wurde, als Gast ins betreffende Lokal, um sich am Verdrusse des Besitzers und seiner Stammphilister zu weiden. Item — es half, die Leitung mußte sogleich entfernt werden.
Den Mittagstisch im Stachus besuchten ebenfalls Künstler, die — meine Wenigkeit ausgenommen — sich bereits einen Namen gemacht: Schaller, Chr. Morgenstern, D. Fohr, Koch, Mitarbeiter Schraudolphs in der Pasilika, Mende, Architekt Kayser aus Frankfurt und mehrere Dänen; als Passanten der von einer Studienreise aus Tyrol zurückkehrende Landschafter Schirmer und die Dichter Klemens Brentano und Andersen, der vielgepriesene Märchenerzähler. Ersterer kam in Begleitung eines jungen Mannes, mit dem er sich, offenbar nicht im rosenfarbigsten Humor über die Münchner Kunst und ihren königlichen Protektor unterhielt. Andersen war gekommen, seine Landsleute zu besuchen.
Auch Emil Rehmann lernte ich da kennen, den Neffen und Nachfolger des fürstlich Fürstenbergischen Leibarztes Wilh. Rehmann, und diesem in allem so ähnlich, in vielseitig wissenschaftlichem Streben, wie in edler Selbstlosigkeit, die ihn nicht dazu gelangen ließ, sich Schätze anzuhäufen. Er war auf einer Ausbildungs-Reise begriffen. Der bestgelaunteste der Tafelrunde war allezeit Morgenstern, der, wie er mit so vielem Humor zu erzählen wußte, einstmals in seiner Vaterstadt Hamburg beinahe keine Wohnung gefunden hätte, weil ihm kein Eigentümer habe gestatten wollen, in einem der Zimmer die großen Fenstervorhänge zu beseitigen. Es konnte aber einem Musensohne ähnliches auch an der Isar passieren, z. B. in der Lerchenstraße, wohin ich eines Tages ging, ein ausgeschriebenes Zimmer in Augenschein zu nehmen, Eigentum eines altbürgerlichen Ehepärleins. Sie schloß auf, und er kam in Schlafrock und Pantoffeln aus dem Nebenzimmer gewatschelt. Beide konnten das Zimmer mit seinen Bequemlichkeiten nicht genug anpreisen. Nun es gefiel mir, und da der Preis ein mäßiger, sagte ich zu, nächster Tage schon einziehen zu wollen. „s is recht, bester Herr, schmunzelte der behäbige Herbergsvater, kam es nu. Sie wern mit allem zfrieden sein. — Das Licht ist gut, da am Fenster werde ich meine Staffelei hinstellen Staffel — ja, san’s denn e Molerz, stötterte er entsetzt heraus. Und „e Moler?- wiederholte sein Ehgespons in gleicher Tonart. — Versteht sich— „Na, do is es nir — das hättens uns glai sagen sollen. —Jesses na, do is es nir! ka Red dervol- fiel sie hitzig ein. Und als ich lachend ging, mit der Drohung, meine Sachen dennoch herbringen zu lassen, sie hätten mir ja’s Wort gegeben, schlossen und riegelten sie die Thüre vorsichtig hinter mir zu.
Mit Schütz war ich näher bekannt geworden. Er stach zur Zeit die Odyssee von Genelli, den er nebst Cornelius und Schwind vor allen hoch auf den Leuchter stellte. So wie Genelli in seiner Kunstrichtung dem veränderlichen Zeitgeschmacke nicht das geringste Zugeständnis machte, so waren auch die pekuniären Verhältnisse des genialen Mannes stets äußerst knappe, so daß es seiner Frau nicht selten am nötigsten Kleingeld gemangelt haben soll, den Wochenmarkt zu beschicken. „Was nützt das viele Schaffen“ schrieb er einmal seinem Freunde Schwind nach Karlsruhe, „es kauft’s ja doch niemand, muß ich immer nebenher denken. „
Auch Schütz würde sich bei einer minder strengen idealistischen Richtung besser gestellt, dafür aber bei seiner Bedürfnislosigkeit weniger innerliche Befriedigung gefunden haben. Er besuchte mich oft; und jedesmal freute ich mich, ihn in seinem grauen Flaus und vormärzlichen Cylinder die Straße daherkommen zu sehen. „Schwerenot!“ wunderte er sich einmal beim Eintreten — ich hatte just die Schublade meiner Kommode aufgezogen, etwas herauszunehmen — „was du einen Vorrat an Hemden hast!“. Es mochten etwa ein Dutzend gewesen sein, die mir die Mutter von ihrem selbstgesponnenen Linnen zurechtgemacht und mitgegeben hatte.
Gesellschaften, wo viel disputiert und peroriert wurde, liebte Schütz nicht. „Zum Henker“ sagte er, „kann man denn nicht beisammen sitzen und nur denken? Soll man sich immer an- und beschwatzen lassen?“
Ein Original ähnlich denkender Art war der der ältern Künstlergeneration angehörige rühmlichst bekannte Miniaturmaler Thugut Heinrich, dessen Bekanntschaft ich bei seinem Landsmann Schaller gemacht hatte. Man konnte mit ihm ein ganzes Stadtviertel durchwandern, ohne mehr als „ja“ oder „nein“ und „das versteht sich“ aus ihm herauszubringen. Als er einst beauftragt war, die Königin Therese en miniature zu malen, und die hohe Frau während der Sitzung, ihrer Gewohnheit gemäß, beständig mit Bonbons sich zu schaffen machte, platzte Heinrich endlich ungeduldig heraus: „Wenn Majestät immer essen, kann ich Sie ja nicht malen“ Bei der nächsten Sitzung sagte die Königin dann zu ihrer Hofdame: „Heute dürfen wir aber nicht essen, Herr Heinrich erlaubt es nicht„—
Obgleich er der Maler der hohen und höchsten Aristokratie war, hatte er doch wenig oder nichts von einem Hofmann an sich. „Dem Adelsstolz“ pflegte er zu sagen, „setze ich den Künstlerstolz entgegen“.
Mit Jäger, Gießmann und Strähuber, die unter Schnorrs Leitung dessen Nibelungen in der Residenz ausführten, bekannt geworden, beteiligte ich mich regelmäßig an ihren kegelabenden in einem Privatgarten. Der Meister selbst, auch Schaller und Marggraf, Sekretär der Akademie, kamen hin; und in ihrer Gesellschaft (Schnorr und Schaller ausgenommen) machte ich einen Ausflug mit nach Oberammergau, dem Passionsspiele beizuwohnen. Der Zulauf von Nah und Fern war damals schon so groß, daß wir unterwegs mit Nachtquartieren in Privathäusern, einmal auch mit einem gemeinsamen, in einem ländlichen Tanzsaal aufgeschichteten Nachtlager vorlieb nehmen mußten. Die Aufführung selbst, mit ihrer einfachen Bretterbühne, machte mir in ihren Hauptmomenten den Eindruck der erhabensten Tragödie.
Auf dem Heimwege halten sich Kaulbach und Halbreiter der Wandertruppe angeschlossen. Es war ein wunderbar verklärter Abend, als wir von Gesang und Zitherspiel begleitet, über den Starnbergersee hinfuhren. Gleich bei meiner Ankunft in München hatte ich mich Schnorr, dem interimistischen Leiter der Akademie, vorgestellt und teilte dann mit Schabet, mir von Frohsinnszeiten her schon befreundet, ein Zimmer im Seitenbau der Akademie.
Früher unter Cornelius in der Ludwigskirche beschäftigt, malte Schabet jetzt Kirchenbilder für Landgemeinden, die laut königlicher Verordnung alle an der Akademie gefertigt werden sollten. Ich hatte von Haus einen Cyklus von Entwürfen mitgebracht, die eine strenge akademische Stilisierung und Ausführung nicht erfordert hätten: Beim Corettobruder; Am Marktbrunnen; Im Klostergarten; Eine heimatliche Sage; Volkslied ec. — kam aber nicht dazu, einen derselben auf die Leinwand zu bringen. Und so nahm ich einen hl. Christophorus in Angriff, der jedoch — trotz seiner Körperstärke — dem Sturm der Zeit nicht standgehalten hat. Auf Zuspruch meiner Freunde war ich dem Kunstverein beigetreten. Es handelte sich just darum, bei den Vorstandswahlen dem überwiegenden Einfluß der Künstlergesellschaft „Stubenvoll“ entgegen zu treten.
Heinemann, der, auf eigene Kraft angewiesen, von Karlsruhe nach München gekommen und bei Hohe sogleich Beschäftigung gefunden, sagte mir, es habe sich ein jüngerer Maler bei diesem beklagt, daß er mit seinen Arbeiten bisher so wenig Beachtung beim Kunstverein gefunden, worauf Hohe erwidert habe: Werden Sie Mitglied des Stubenvoll, außerdem dürfen Sie nie auf Berücksichtigung rechnen.
Selbstbildnis von Johann Nepomuk Heinemann von 1840
Die Wahlen fielen aber nicht nach Wunsch der Opposition aus. Als ich eines Tages im Kunstvereinslokal vor einem raufende Hunde vorstellenden Bilde stand, hörte ich dicht hinter mir eine Stimme: Wyttenbach — so hieß der Maler — „der große Hundsfreund“. Ich schaute mich um — und erkannte den König. Rasch wollte ich auf die Seite treten, er aber bedeutete mir, zu bleiben. „Kunstschüler — woher“ fragte er. Aus dem Großherzogtum Baden. —„Da geht’s jetzt auch vorwärts mit der Kunst“ sagte er, „Hübsch ist ein tüchtiger Architekt“. Und in der That es ging vorwärts auf vaterländischem Boden. Schwind hatte den Auftrag erhalten, das Stiegenhaus des „Akademiebaues“ (Kunsthalle) in Karlsruhe mit Fresken zu schmücken. Gleichzeitig war auch mein Bruder nach Karlsruhe gerufen worden, um sich verschiedener, ihm vom Großherzog zugedächter monumentaler Aufgaben wegen mit Hübsch zu besprechen.
Er hatte den Weg über Freiburg genommen, wo er mit Schwind, der Einsicht vom Münster genommen, zusammen treffen wollte; auch ich hatte mich ihm angeschlossen. Schwind beabsichtigte seinen großen Karton, die Einweihung des Freiburger Münsters, in Wien zu zeichnen. Die Strecke Freiburg Konstanz wollte er zu Fuß zurücklegen, und ich sollte ihn begleiten. Und so wanderten wir unter wolkenlosestem, aber auch heißestem Julihimmel mit leichtem Gepäck dem Schwarzwald zu. Doch schon in Ebnet, wo wir Mittag gemacht, hielten wir in der Scheuer des Wirtshauses Siesta — Schwind füß schlummernd im abgesetzten Kasten einer alten Landkutsche — ich nebenan auf einem Hausen grünen Klees überlegend, wie ich ihn wohlbehalten hinauf über die Steig bringen würde. Er hatte sich das Höllental — den Hirschsprung mit seinem keck auf die Straße herabschauenden, raubritterlichen Falkenstein, ausgenommen wilder, grotesker vorgestellt. Weiterhin im Tal erblickten wir dann eines jener Bilder, die in ihrer Einfachheit und elegischen Lieblichkeit Sinn und Gemüt weit mehr ansprechen und fesseln als manche noch so hoch gepriesene Sehenswürdigkeit.
Vor einer ärmlichen Hütte, am Wege stand eine alte Frau mit einem nackten in ein Stück grober Sackleinwand gewickelten wunderhübschen Kindlein auf dem Arm. Vom vollen Sonnenlicht getroffen, war’s ein Anblick von überraschendster Wirkung. Schwind trat näher, und das Kind streckte lächelnd die Aermchen nach ihm aus. Er nahm’s auf den Arm. Das isch en arms Kindli, sagte die Frau. „Ich han’s numme us Barmherzigkeit zue mer gnomme. Sini Eltere sind doben uf em Berg im Feld. Kürzli hen sie’s Unglück gha, um ihri einzigi Gaiß zkumme. Und jetz hät des arm Weseli halt kei Milch meh Das arme Weselein!“ „Hätt gute Lust“, sagte Schwind, „i traget’s bis nach Wien nunter!“ — Dann trat er ein wenig auf die Seite, um mir zu sagen, er wolle der Frau so viel einhändigen, daß die Leute wieder eine Geiß kaufen könnten. Ich erbot mich, ebenfalls einen Beitrag hierzu zu leisten, meinte jedoch, es möchte die Frage sein, ob die Frau nicht versucht werden könnte, das Geld für sich zu behalten. Sicherer wäre es, wir machten uns frühmorgens von unserm beabsichtigten Nachtquartier im Sternen auf, wieder hieher, um das Geld den Eltern selbst zu geben. Es leuchtete ihm ein; und wir schieden. Als wir ausgeruhte Pilger aber des andern Tages im Sternen erwachten, strahlte die Sonne bereits hoch über alle Berge; und wir hätten den Weg hin und her nicht zurücklegen können, ohne zwischen hier und Hüfingen noch einmal zu nächtigen. Noch auf der Steig schaute Schwind mehrmals zurück, sich ärgernd, daß der Mensch doch so selten dazu komme, das Richtige und Rechte zu tun! Und auch mich wurmte es, durch meine Bedenken — falls die Frau ehrlich war — eine gute Tat verhindert zu haben.
Schwind halte im Schwarzwald Schatten erwartet. Nun begleitete uns aber die Sonne mit einer Sorgfalt, die selbst dem ausgedörrtesten Touristen von Profession Schweiß ausgepreßt haben würde. Von der staubigen Landstraße ablenkend, schlugen wir von Neustadt aus, die Wasserscheide von Rhein und Donau überschreitend, den Weg ins grüne Tal von Eisenbach und der Breg ein — hinaus nach Hüfingen, das Schwind mit den drei laufenden Brunnen in der Hauptstraße -Kleinaugsburg nannte. Da auch von hier aus nur wenig Schatten zu erwarten, ließ uns der Vater seine zwei Gäule einspannen und bis Engen kutschieren.
Von da gemächlich den Hegau durchwandernd, gelangten wir bei guter Tageszeit noch nach Singen, wo wir den Hohentwiel bestiegen und das in purpurnem Lichte des Abends sich vor uns öffnende Landschaftsgemälde bewunderten. Nachdem wir des andern Tages im Steinbock zu Konstanz noch eine Flasche Seezwölfer geleert, trennten wir uns am Hafen, wo der Dampfer bereits zur Abfahrt rüstete — auf Wiedersehen, nächstes Jahr in Karlsruhe.
Bevor Schwind dann nach Karlsruhe zurück ging, hatte er sich einige Zeit in München aufgehalten, wohin auch mein Bruder kam, der vom Großherzog Leopold den Auftrag erhalten, die Giebelgruppe für die Trinkhalle in Baden auszuführen, wozu er das Modell in kleinerm Maßstab in München fertigen wollte. Auch Schwind hatte bei seinem vorjährigen Besuche in Karlsruhe eine flüchtige Skizze dazu entworfen. Schwanthaler, der beide Entwürfe sah, gab dem meines Bruders entschieden den Vorzug, indem er sagte, der Bildhauer dürfe sich nie nach der Skizze eines Malers richten. Nach Erledigung seines Auftrages begab sich Xaver nach Rom und Schwind nach Karlsruhe, um seine Fresken in Angriff zu nehmen.
Gegen das Frühjahr hin schrieb er mir, es gebe im Akademiebau viel zu tun, ich solle mich reisefertig machen. Auch mein Bruder werde kommen, und wir könnten dann ein lustiges Leben zusammen führen. Die Badische Künstlergenossenschaft, die Professor Koopmann im Stiegenhaus des Akademiebaues raphaelisch in Form der Schule von Athen als Fresko hatte verewigen wollen, war noch keine sehr zahlreiche. Ohne eine dienstliche Stellung inne zu haben waren es nur Helmsdorf, Aug. von Bayer und der alte Nehrlich, der in der Galerie kopierte und nebenher philosophierte. Andere, wie Kirner und Grund, hatten versucht, sich festzusetzen, aber nicht lange ausgehalten. Das Kunstinteresse war fast ausschließlich auf den Kunstverein beschränkt, dem Frommel und Münzrat Kachel vorstanden.
Aufträge, wie die Fresken in der Bulacher Kirche von Dietrich, wurden als eine Seltenheit angesehen und besprochen. Großstadtluft wehte noch keine in der Residenz, dafür aber mehr erquickliche Hardtwaldlust. Hotels, luxuriös eingerichtete Restaurants und ähnliche Etablishements architektonisch überschmenglichen Stils suchte man vergeblich zwischen Durlach und Mühlburg. Das einzige Cafe war das familiäre Kappler’sche in der Lammstraße mit einem Zimmer ebner Erde, in welchem die beiden Töchter des Besitzers dem Gast und Hausfreund jederzeit ein Täßchen Mokka in Bereitschaft hielten. Später wurde das etwas komfortablere Däschner’sche eröffnet.
In Karlsruhe hatte ich mich bei der Familie Lorenz in der Bierbrauerei zum Pfau einquartiert, wohin dann auch Lukas Engesser, der mit der Leitung des Akademiebaues betraut war, zog. Unten im Nebenzimmer der Wirtschaft hatte sich ein Kreis gebildet, als dessen Präjes Prof. Guido Schreiber gelten konnte. Und wo Schreiber war, da herrschte Leben. Doch — mochte der Becher auch zuweilen überschäumen, die Unterhaltung gleich einem Pfauenrad in allen Farben spielen — nie kam es zum öden, handwerksmäßigen Kneipen. Schreiber, der Mann der exakten Wissenschaft, war von seltener Vielseitigkeit, wovon, nebst seinen Fachschriften, der Badische Wehrstand, die Malerische Perspektive, die Farbenlehre, sein Technisches Zeichnen, und besonders auch seine früheren Zeichnungen nach der Natur Zeugnis geben.
Zu gleicher Zeit machte ich die persönliche Bekanntschaft Joseph Baders, den ich längst schon aus seiner „Badenia“ und andern Schriften kannte, durch welche er sich das unläugbare Verdienst erworben, Sinn und Interesse für vaterländische Geschichte und Geschichten in den breitesten Kreisen angeregt und geweckt zu haben. Und dies erachtete er ja als seine eigentliche Lebensaufgabe. Ein Gelehrter ex professo wollte er nicht sein. Als ich einst sagte, unter den Griechischen und Römischen Klassikern (die ich verdeutscht in der bekannten Stuttgarter Ausgabe besaß) finde sich doch manch Unbedeutendes, lachte er und meinte: „Wenn’s nicht Griechisch oder Lateinisch wäre, würden unsre Gelehrten vieles gar nicht lesen“.
Badenia 1839 von Dr. Josef Bader
Im „innern Zirkel“ des Pfauen wurde gegen das Frühjahr hin der Plan zum feierlichen Empfange des Prinzen Karneval entworfen, wobei die Zopfmiliz, deren Hauptquartier im Gasthof zum Kreuz sich befand, paradieren sollte. Das Programm, von Lorenz kalligraphisch ausgeführt und illustriert, wurde sogleich höhern Orts zur Kenntnisnahme gebracht, ein Duplikat auch ins Palais am katholischen Kirchenplatz des Fürsten zu Fürstenberg befördert. Die Sitzungen im großen Saal des Bürger-Vereins waren glänzend und von Angehörigen verschiedener Stände besucht. Selbst Mitglieder der gleichzeitig tagenden II. Kammer, an welche eine offizielle Einladung ergangen, besassen Humor genug, in der Kappe einer Sitzung beizuwohnen.
Als Ehrengast erschien einmal auch Kapellmeister Kalliwoda. Bald nachher traf bei der Redaktion des „vielgeprüften Narrenspiegels ein Lied ein“ Von einem närrischen Zweispänner an der Donauquelle, das den „Schabernack“ der Censur humoristisch parodierte.
Es war bei der 25jährigen Gründungsfeier des Badischen Kunstvereins im Saale des Museums, wo Altvater Lewald, der mit seiner Europa nach der Hardtstadt übergesiedelt, mich mit einem kleinen, klug blickenden Manne im schwarzen Frack bekannt machte, dessen erste Frage lautete: „Haben Sie meine Schwarzwälder Dorfgeschichten schon gelesen?“ — Nein, aber viel rühmliches davon gehört. — „Die müssen Sie lesen.“
Europa, Chronik einer gebildeten Welt. Von August Lewald 1836
Nachher sagte Auerbach mir, er beabsichtige das Buch illustriert herauszugeben, wozu Lewald mich bestens empfohlen habe. Es wurde dann mehrmals darüber verhandelt, ohne daß es dazu gekommen wäre. Später zeichnete ich auf seinen Wunsch die Illustration zu seinem „Hebelschoppen“ in der Gartenlaube.
War es auch nicht gerade ein „lustiges, so war es doch ein reges produktives Leben, das sich hinter der Bretterverschalung des neuerstehenden Kunsttempels — von Pflastertretern Steinhaufen genannt — aufgetan. Wie in den obern Räumen gezeichnet und gemalt, so wurde in den untern modelliert und gemeißelt, denn auch Xaver hatte sich nach einjährigem Verweilen in der ewigen Stadt eingefunden, um zunächst seine Statuen, Bildhauerei und Malerei für die Altane des Portals in Marmor auszuführen. Einen Punkteur hatte er von München kommen lassen, auch einen Steinmeß fürs Ornamentale. Es war eine kleine Kolonie, zu welcher Geck und, wie bereits erwähnt, auch Lukas Engesser, des Meisters Hübsch bevorzugter Bauführer, gehörten. Nach Auerbachs Weggang hatte Herm. Kurz die Redaktion des von der Müllerschen Hofbuchhandlung verlegten Familienbuches übernommen.
Zu seinen Aufsätzen in demselben zeichnete ich Illustrationen, die Heinemann mit der Feder auf Stein übertrug. Mit Gemüt und poetischer Gestaltungsgabe verband kurz echten Humor, das so seltene Gewürz im deutschen Dichtergarten; wir waren oft mit ihm zusammen. Ich bin fest überzeugt sagte eines Abends Xaver, als wir politisierend bei einem Glase Bier sassen, daß Elsaß-Lothringen dereinst wieder zu Deutschland kommen wird.— „Ja, stimmte Kurz bei, der Zeiger an der Uhr geht zwar langsam, aber sicher wird’s einmal auch zum Schlagen kommen“.
Unsere mehrjährige Tätigkeit in der Kunsthalle war beendet. Wiederholt hatte der Großherzog sie in Betracht genommen und seine Befriedigung ausgesprochen. Da weitere Beschäftigung nicht in Aussicht, hatten die Kolonisten ihre Zelte abgebrochen und sich nach allen Richtungen hin entfernt. Schwind hatte vor seinem Weggange noch ein Oelbild zu malen begonnen — seinen „Rhein“ wobei er, wie er mir sagte, zeigen wollte, daß er imstande sei, ein großes Oelbild zu malen aber nicht wie so viele neuester Schule, die den menschlichen Körper behandelten , wie einen Baumstamm, lediglich nur zum Auffangen von Schatten, Lichtern und Reflexen. Meinen Bruder allein hielten kurze Zeit noch Aufträge von Münzrat Kachel und Baurat Fischer zurück. Ich aber nahm den Kurs wieder dem Quellengebiete der Donau zu, ebenso auch Heinemann.
In München, wo er bei Hohe Blätter für Hanfstängls Dresdener Galerie in Kreidemanier auf Stein zeichnete, hatte er von diesem den Antrag erhalten, unter vorteilhaften Bedingungen bei ihm in Dresden einzutreten, was Heinemann, der baldmöglichst selbständig werden wollte, ablehnte. Nun halte er sich in Hüfingen haushäblich niedergelassen und ein Geschäft eröffnet. (Er heiratete am 31.01.1854 Elisabeth Reich, die Schwester von Lucian). Schon einmal hatte ich, von Kurz veranlaßt, zu einem Genrebild aus der Baar den Text geschrieben und dieses Verfahren wollte ich jetzt wieder einschlagen. Die Skizzen und Notizen, die ich früher bei meinen Streifzügen durch die Baar und den Schwarzwald gesammelt, wollte ich, vervollständigt durch schriftliche Beiträge von der Hand des Vaters, zu einem Gesamtbilde vereinigen und mit Hilfe Heinemanns in Buchform herausgeben. Aber ein Verleger, der mit einem Vorschuß die Herausgabe ermöglicht hätte? —
Ich wendete mich an den fürstlichen Hofmarschall Baron von Pfaffenhofen, durch den ich kurz vorher veranlaßt worden war, von Karlsruhe aus eine Reise nach Heiligenberg zu machen und Skizzen zu einer dort geplanten Restaurierung zu entwerfen, die indes nicht zur Ausführung kam, und nun meinte Pfaffenhofen, der Fürst werde mir ,als Aequivalent für Heiligenberg gerne mit einem Vorschuß zu dem vaterländischen Unternehmen unter die Arme greifen.
Ich hatte Skizzen zu den Bildern vorgelegt und auch über den beabsichtigten Text mich ausgesprochen, und der allen Bestrebungen in Kunst und Wissenschaft förderlichst entgegen kommende Herr sprach sich anerkennend darüber aus. In unsrer nivellierenden, alles zersetzenden Zeit, sagte er wäre es doppelt verdienstlich, dem Volke das „Gute und Schöne“ was es noch besitze und eigen nenne, wirksam vor Augen zu stellen, wozu auch die alten Landestrachten zu rechnen seien.
In meiner Gegenwart gab mir der erlauchte Herr sodann, als „Landgraf in der Baar“ seine Zusage schriftlich. Meinem Bruder war indessen das Schloßatelier wie früher zur Verfügung gestellt worden, in welchem sich wieder eine vielseitige Tätigkeit enthaltete; denn es war nicht nur eine Bildhauer, auch eine Büchsenmacherwerkstatt war es, in welcher geschäfftet, pistoniert und einmal auch ein neuer Gußstahllauf mit Zügen versehen wurde.
Wie in Karlsruhe, wo wir der Schützengesellschaft beigetreten waren, beteiligten wir uns als aktive Mitglieder auch bei den hiesigen Gesellschaftsschießen. Viele Jahre hindurch versah Xaver dabei das Amt des Schützenmeisters, und es verdient registriert zu werden, daß er und Heinemann vor etlich und zwanzig Jahren zur Ueberzeugung gelangten, ein kleineres als das bisherige Kaliber habe nicht nur größere Rasanz, sondern auch größere Trefffähigkeit; und demgemäß beschafften sie sich Standrohre mit einem dem jetzigen beim Militär eingeführten Kaliber nahezu gleich kommenden. —
Die äußerst zweckmäßige Schießhalle verdankt die stets noch bestehende Gesellschaft der Munifizenz des letztverstorbenen Fürsten Karl Egon; früher Kegelhaus im hiesigen Schloßgarten überließ sie der erlauchte Herr auf Verwenden meines Bruders der Gesellschaft und wohnte dann als hochgefeierter Gastschütze der Einweihung selbst bei.
Wir, Heinemann und ich, waren noch mit Vorbereitungen, Tondruckproben rc. zu unserm Bildwerke beschäftigt, als das politische Dunst- und Wettergewölk des Jahres achtundvierzig bebröhlich am Horizont aufstieg. Und als es dann losging, die Sturmglocken und die Feuertrommeln ertönten und die Aufgebote mit Schießeisen, Spießen und Sensen in gleichem Schritt und Tritt durchs Städtlein marschierten hinüber zum Volksrate der bekannten Zehntausend auf dem Donaueschinger Marsfeld, vulgo Rübäcker, da hätte es ganz andere Bilder zu zeichnen gegeben, als die, welche wir unserm Werklein beigeben wollten, da hätte ich die schönsten Studien machen können zu dem Fries aus dem Bauernkrieg, den ich gezeichnet, und wozu Freund kurz ein markiges Gedicht geschrieben hatte.
Uhrenschild von Lucian Reich
Nachdem der Sturm sich gelegt, und man in Ruhe sich wieder den Künsten des Friedens zuwenden konnte, hatten wir, ehe wir unser angefangenes Werk fortsetzten, Musterblätter für Schwarzwälder Uhrenschildmaler herauszugeben begonnen, wozu auch Joseph Heinemann und Heinrich Frank Beiträge gaben. Als ich das erste Heft dem fürstlichen Protektor unterbreitete, sagte er, im Glauben, als wären wir mit unserm heimatlichen Hieronymuswerk auf unwegsamen Boden geraten: „Nun, ich lasse Ihnen das Geld auch zur Forderung dieses Unternehmens.“ Ich gab ihm jedoch das Wort, beide würden zu erwünschtem Ende geführt werden.
Josef Heinemann (1825 – 1901) Bleistiftzeichnung von seinem Bruder Johann Nepomuk Heinemann.
Im Jahr 52 hatte mich der Bau eines andern Kunsttempels wieder in die Residenz geführt, das Hoftheater, an und in welchem es Verschiedenes zu malen gab, wozu auch Joseph Heinemann und Gleichauf berufen wurden und auch mein Bruder mit seinen Terrakotten sich beteiligen sollte. — Neben diesen Arbeiten her besorgte ich die Korrekturen des Textes zu unserm Werklein. Obgleich das Buch, von Geßner in Kommissionsverlag genommen, binnen kurzem vergriffen, war das finanzielle Ergebnis weder für den Autor noch den Lithographen ein besonders ermutigendes.
Ziegelhütte und Terrakottenbrennerei Reich. Sie stand da, wo heute der Kofenweiher ist.
Nachdem ich mehrere Jahre später den mir vom verewigten Fürsten gewährten Vorschuß in, von der fürstlichen Domänenkanzlei festgesetzten Fristen zurückerstattet hatte, wollte sich in der Rechnung beinahe ein merkliches Defizit herausstellen.
Zu den bedeutendsten Aufträgen, die mein Bruder von Fürst Karl Egon III. erhalten hat, gehörte die Aufgabe, bei der Neueinfassung der Donauquelle im Schloßhofe auch diese mit einer Figur oder Gruppe zu charakterisieren. Statt wieder eine Nymphe, sagte mir Xaver, wolle er die junge Donau als Kind im Schooße der Baar in Vorschlag bringen. Dem Fürsten gefiel dieser die Heimat des Stromes so klar bezeichnende Gedanke; und der Beauftragte modellierte das Modell zu der Gruppe dann in München im Verkehr mit den Freunden Schwind und Schaller und auch mit Professor Widenmann.
Die junge Donau als Kind im Schoß der Mutter Baar von Xaver Reich aus 1875
Daß dem so mannigfach Beschäftigten, von dem Cornelius seiner Zeit gesagt, er zeige entschieden Begabung für monumentale Aufgaben, stets auch noch Hand und Sinn fürs Bildnisfach zu Gebote stehe, bewies er an der Porträtstatue des verewigten Fürsten am Portal des Schlosses Heiligenberg und an der Büste des Fürsten von Hohenzollern Sigmaringen, sowie an der seines Schwagers Ludwig Kirsner an dessen Denkmal in Donaueschingen.
Ich hatte gezögert, die mir (1855) vom Großh. Oberstudienrat angetragene Zeichenlehrerstelle am Lyceum zu Rastatt (um die ich mich in der sterilen Zeit unmittelbar nach 49 beworben) anzunehmen. Die Bundesfestung, in welcher ich (1850) einer standgerichtlichen Verhandlung als Entlastungszeuge angewohnt, wußte ich, stehe nichts weniger als im Rufe größer gesellschaftlicher Annehmlichkeiten und geistiger Regsamkeit. Zudem waren die Aussichten lichtere, vom Prinzregent Friedrich war mir eben erst der ehrende Auftrag geworden, die Mainau und den Badischen Bodensee zu beschreiben und zu illustrieren. Doch etwas Gewisses, mußte ich mir sagen, wäre auch in Anschlag zu bringen, also nahm ich an. Gegen ein mäßiges Entgelt war mir ein Zimmer im Mittelbau des Schlosses eingeräumt worden, in welchem ich größere, meist kirchliche Bilder malte. Doch vertrieben mich die Kriegsstürme immer wieder aus dem ruhigen, an so manche Sieges und Ruhmestat — aber auch an die Vergänglichkeit aller irdischen Macht und Herrlichkeit mahnenden Asyl.
Auf beschränktere Räumlichkeiten angewiesen, malte ich Landschaftliches, Genre und erlegtes Wild, dieses zum Teil für die Badener Neunklubverlosung, und auch für den human gesinnten Kunst- und Altertumsfreund Grafen Zeppelin-Aschhausen, der mich in antiquarisch-artistischen Angelegenheiten von Baden aus öfter besuchte.
Länger als ein Jahrzehnt stand ich mit Dr. Krönlein in Verbindung, der mich eingeladen hatte, für den „untern Stock“ der Karlsruher Zeitung feuilletonistische Beiträge zu liefern. Nicht selten war ich bei gesellschaftlichen Anlässen als Arrangeur und Regisseur in Anspruch genommen, auch schrieb ich ein und anderes dafür. Für mich selbst verfaßte ich etwelche Stücke, über welche mir ein Fachmann und Autor, den ich um sein Urteil gebeten hatte, schrieb, sie hätten etwas Apartes, wären nicht nach der Schablone, sondern nach der Natur gearbeitet, und es möchte jeder, dessen Urteil kein korrumpiertes, fühlen und wünschen, sie auf die Bretter gebracht zu sehen. Um dieses erreichen zu können, müßten die Stücke jedoch gedruckt an mehrere Bühnen zugleich versendet werden können — eine Ausgabe, welche mein Finanzministerium mir nicht gestatten wollte.
Aus der beschränkten von der Murg bespülten Sphäre heraus hatten mich in früheren Jahren stets auch wieder auf verschiedene Veranlassungen unternommene, größere Ausflüge geführt nach Nürnberg, Köln-Düsseldorf und wiederholt nach Frankfurt. Im Jahr 68 feierte der Cäcilienverein sein 50 jähriges Jubiläum, wozu ich vom Festkomitee eine Einladung erhalten hatte. Der wahrhaft würdigen Feier wohnten, nebst einer großen Anzahl musikalischer Persönlichkeiten ersten Ranges von nah und ferne, noch drei Mitglieder an, die vor 50 Jahren beim ersten Vereinskonzert in der Wohnung des Gründers mitgewirkt hatten. Das großartige Jubiläumstonzert mit den weihevollen Klängen und Chören der hohen A-moll Messe von Sebastian Bach (der Geigerkönig Joachim an der Spitze), das der vormittägigen akademischen Feier im Saalbau folgte, rief mir Erinnerungen wach an die Konzerte im „Weidenbuschsaal“ und was mit ihnen an Mühen, Sorgen und Opfern zusammenhing. —
Der zweite Teil der Feier des folgenden Tages war der geselligen Seite gewidmet — Bankett und Tanz. „Der große Saal“ heißt es in einem Festberichte, erstrahlte von Lichterfülle. Das Podium hatte sich in einen Garten von Grün und Blumen verwandelt, in dessen Mitte die plastische Kolossalfigur der heiligen Cäcilie thronte, die Hände segnend über die Büsten Schelble’s und Messer’s seines Schülers und Nachfolgers breitend“. Die Gesellschaft bot eine Fülle von Jugend und Schönheit, Würde und Verdienst, Wissen und Kunst und zugleich ein Konglomerat aller Kreise dieser Stadt. Den Reigen der offiziellen Toaste eröffnete Dr. Eckhard, der die Versammlung mit beredten Worten begrüßte und — als Dankopfer für die Toten — unter rauschendem Beifall der Versammlung sein Glas auf das Andenken Schelble’s leerte. Von den nachfolgenden Trinksprüchen war einer der bedeutendsten der von Vincenz Lachner, welcher im Namen seiner Brüder einen Toast erwidernd, sein Hoch der Stadt Frankfurt brachte, deren ächter Bürgergeist in anhaltender und treuer Arbeit mehr für das wahre Gedeihen und Blühen einer ernsten und sittlichen Kunst getan habe, als anderswo Spenden der Kronenträger und Höfe. Auf diesen Geistessieg des freien Bürgertums leerte der gefeierte Redner sein Glas.
Von alldem war ich jedoch nicht mehr Augen- und Ohrenzeuge. Für mich war die Feier mit dem Konzerte beendet. Nachdem ich mich schriftlich vom Vorstand des Vereins verabschiedet, dämpfte ich im frühesten Morgengrauen wieder dem Festungsgürtel zu — doch nicht ohne noch ein zweites schönes Erinnerungsblatt dem andern angereiht zu haben.
Einem innerlichen Triebe folgend hatte ich den Tag vor der Festlichkeit zu einem Ausfluge nach Mainz benützt, dem Altmeister Weit und der Familie seines Schwiegersohnes Settegast einen Besuch abzustatten. Ich fand den verehrten Meister körperlich und geistig rüstig, all sein Tun und Denken immer noch einer ernsten und sittlichen Kunst zugewandt. Wäre er jünger, versicherte er, würde ihn nichts abgehalten haben, dem Vereinsjubiläum ebenfalls anzuwohnen. Ich freute mich, einen alten Bekannten bei ihm anzutreffen, namens Hieronymus, den er auf seinem Tische liegen hatte und dem er viel Gutes nachsagte. Im Laufe des Gesprächs meinte er, er gehöre nun auch schon zu den hinterm Zeitfortschritt zurück gebliebenen. Ich aber war der Ansicht, es werde ihm dies dereinst sicherlich zum Verdienst angerechnet werden. Settegast begleitete mich in den Dom, wo er mit Ausführung der Wandbilder nach Weits Entwürfen beschäftigt war. Ich konnte mir nicht versagen, dieselben in photographischer Nachbildung von der Verlagshandlung nachkommen zu lassen. Ein liebes Blatt erhielt ich später noch von Settegast, eine eigenhändige Zeichnung aus dem Nachlasse Weits, die, über meinem Arbeitstisch hängend, mir immer wieder längst entschwundene Tage ins Gedächtnis ruft.
Der Gedenkstein für Günther Reichelt wurde eingeweiht
Ein Gedenkstein, wie er passender nicht sein könnte: Mit Ecken und Kanten, in seiner Aussage und Klarheit aber eindeutig! Der Gedenkstein für Prof. Dr. Günther Reichelt wurde am Freitag, 25. Oktober 2024, bei einer feierlichen Gedenkstunde im Reichelt-Biotop offiziell eingeweiht. Im Wuhrholz, beim Pfohrener Riedsee gelegen, begrüßte Dr. Hannah Miriam Jaag, Vorsitzende der Freunde der Natur Hüfingen, die über 30 Anwesenden. Darunter auch die beiden Töchter von Prof. Dr. Reichelt.
Einführung und Danksagung Dr. Hannah Miriam Jaag
Im Namen des Vereins übergab der Bürgermeister von Hüfingen, Patrick Haas, symbolisch den Stein an die Stadt Donaueschingen. Bürgermeister Severin Graf nahm das Geschenk gerne entgegen und fügte, an den Hüfinger Bürgermeister gerichtet, an:
„Du bist noch nicht einmal ganz die berühmten 100 Tage im Amt und kommst gleich mit solch bedeutenden Geschenken aus der Nachbarschaft zu uns. Das wissen wir besonders zu würdigen; das läßt auf eine gute Zusammenarbeit hoffen! Herzlichen Dank Dir ganz persönlich und vor allem auch den Freunden der Natur Hüfingen!“
Reden Bürgermeister Patrick Haas und Bürgermeister Severin Graf
Der ehemalige Oberbürgermeister von Donaueschingen, Thorsten Frei MdB, hat seine Erinnerung mit uns geteilt:
Rede von Thorsten Frei, MdB
Prof. Dr. Helmut Gehring, langjähriger Weggefährten von Prof. Dr. Günther Reichelt hat seine Erinnerungen mit uns geteilt:
Prof. Dr. Günther Reichelt war die treibende Kraft hinter der Entstehung der Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Schwarzwald-Baar-Heuberg e.V., des Vorgängervereins des heutigen BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.) Regionalverbands.
Durch seine Forschung und Publikationen hat er entscheidende Impulse für den Naturschutz in unserer Region gegeben und das Bewusstsein für ökologische Fragestellungen bei politischen Entscheidungsträger geschärft. Durch seinen großen Wissensschatz und seine umfassenden Kenntnisse über die Natur der Region war er stets eine anerkannte Autorität und sein Wort hatte Gewicht. Wir möchten an dieser Stelle an seinen Einsatz gegen die „Schwarzwald-Autobahn“, für die Etablierung einer geregelt Müllentsorgung und Wertstofftrennung, sowie für die Ausweisung und Entstehung zahlreicher Biotope und Naturschutzgebiete erinnern.
Sein Engagement für den Schutz bedrohter Arten und Lebensräume war beispielhaft und hat viele dazu motiviert, sich ebenfalls für die Natur einzusetzen. Er gab denen eine Stimme, die nicht selbst für sich sprechen konnten – den Tieren, den Pflanzen, unserer Natur, unserer Umwelt, unserer Heimat.
Sein selbstloser und unermüdlicher Einsatz für eine lebenswerte Zukunft imponieren noch heute und erfüllt uns mit großer Dankbarkeit. Wir freuen uns sehr über die Ehrung, die unserem Gründer durch die heutige Gedenksteineinweihung zu Teil wird und bedanken uns bei den Freunden der Natur Hüfingen, die seinen großen Leistungen und seinem bedeutenden Wirken in unserer Region Nachhall verleihen.
Ganz im Sinne von Günther Reichelt ließen die Freunde der Natur neben dem Gedenkstein ein Überwinterungshabitat für Reptilien und Amphibien errichten. Finanzielle Unterstützung für das gesamte Vorhaben erhielten sie dafür von der Sparkasse Schwarzwald-Baar, der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg, dem Steinmetz Udo Weisser, dem Bagger- und Forstbetrieb Heinrich Jägle und der Umweltgruppe Südbaar.
Dr. Hans Joachim Blech, Weggefährte und Gründungsmitglied der Freunde der Natur Hüfingen
In Memoriam Professor Günther Reichelt
Im Herbst 1975 zogen meine Frau und ich nach Donaueschingen Aasen und engagierten uns schnell in der evangelischen Kirchengemeinde Donaueschingen wie auch im Themenbereich Umweltschutz.
Die Kirchengemeinde Donaueschingen feierte 1976 Fastnacht im ehemaligen Pfarrhaus. Dort trafen wir unter anderem auf Günther Reichelt, ich im Kostüm der Waldschrats, Günther Reichelt als Mephisto im Sinne von Gustav Gründgens. Wir tanzten Freistiel bis in den Morgen.
Wir trafen uns wieder im Kirchengemeinderat, im Baarverein, bei Diskussionen mit dem Fürstenhaus um die Bibliothek des Baarvereins, bei Exkursionen z.B. mit Otti Willmanns, Freiburg, bei Pflegeeinsätzen, Pflanzungen, dem ersten Lehrpfad Hüfinger Orchideenwald im Deggenreuschen, bei Vorträgen Z.B. Höhlenmalereien ….usw. Man lernte sich natürlich auch privat etwas näher kennen. So stellte sich heraus: In seinem Geburtsort Schladen südlich von Braunschweig lebte eine Cousine meiner Frau, Ich selbst lebte nach dem Krieg seit 1950 bis 1967 in Göttingen, Die Universität war die Alma Mater sowohl für Günther Reichelt wie auch 15 Jahre später für mich.
Nun nochmal zu zwei Aktivtäten:
Waldsterben und saurer Regen war Anfang der 80iger Thema, Saurer Regen, radioaktiver Fallout von Tritium durch Fessenheim. Angeblich zu erkennen u.a. an abnormalen Stengeln vom Löwenzahn.
Gemeinsam haben Günther Reichelt und ich 1982 beim Land Baden Württemberg Widerspruch eingelegt gegen den „sogenannten Sicherheitsausbau“ des Donaueschinger Flughafens. Als alle Personen bei uns im Garten versammelt waren fing es an zu schneien und vom Vollgas des Flugzeuges auf der Startbahn war nichts mehr zu hören.
In dem Biotop, wo der Stein jetzt steht jahrelange Pflegemassnahmen und als Abfall Christbäume für Weihnachten.
Was bleibt ist die Erinnerung an einen Mentor und Vorbild mit immens viel Wissen. Wenn ich thematisch etwas wissen wollte hiess es z.B. Schriften der Baar Jahrgang 19xx, Seite von bis….
Von einer Idee zur Umsetzung
Hannah Miriam Jaag am 15.10.2024
Vor drei Jahren habe ich eine Idee entwickelt und seit dem sehr viele Anträge und E-Mails geschrieben. Die Idee war im Reichelt-Biotop Überwinterungshabitate und einen Gedenkstein an Prof. Dr. Günther Reichelt zu entwickeln.
Die Ersten die meine Idee gut fanden, war die Sparkasse Schwarzwald-Baar. Deswegen unten mein Beitrag vom November 2022 über den Vereinswettbewerb.
Inzwischen konnte die Idee umgesetzt werden. Finanziert und unterstützt von der Sparkasse-Schwarzwald Baar, der Stiftung Naturschutzfonds, der Umweltgruppe Südbaar, dem Bagger- und Forstbetrieb Heinrich Jägle, dem Steinmetz Udo Weisser und dem Naturschutzgroßprojekt Baar.
Begrüßung: Dr. Hannah Miriam Jaag, Vorsitzende Freunde der Natur Hüfingen Übergabe Gedenkstein Patrick Haas, Bürgermeister Stadt Hüfingen Severin Graf, Bürgermeister Stadt Donaueschingen Erinnerungen Thorsten Frei, MdB und Oberbürgermeister a.D. Stadt Donaueschingen Prof. Dr. Helmut Gehring, Weggefährte Dr. Hans Joachim Blech, Weggefährte und Gründungsmitglied der Freunde der Natur Hüfingen Schlusswort Thomas Kring, Projektleiter Naturschutzgroßprojekt Baar
Am 14. November fand die Preisverleihung des Vereinswettbewerbes der Sparkasse Schwarzwald-Baar statt. Die Stadt Donaueschingen war die große Gewinnerin! Herzlichen Glückwunsch an unsere Nachbarstadt für die tollen Vereine und auch ihren super Oberbürgermeister!
Nach Hüfingen gingen auch zwei Preise.
So ging Platz 4 des Votingpreises mit 6.000 Euro an die Musikkapelle Fürstenberg e.V.
Herzlichen Glückwunsch nach Fürstenberg!
Ein Jurypreis ging an die Freunde der Natur Hüfingen e.V. mit 2.500 Euro für das Überwinterungshabitat für Reptilien im Gedenken an Prof. Dr. Günther Reichelt .
Vielen Dank an die Sparkasse Schwarzwald-Baar für das wirklich gelungene Event!
Wenn die Donau auch nicht, wie ihr Bruder der Rhein, aus himmelanstrebenden Gletschern tobend und schäumend herabstürzt, so ist sie doch eine echte Tochter des Gebirges. Es ist bekannt, dass sie nicht erst bei Donaueschingen, wo man früher im Abfluss des fürstlichen Schloßbrunnens fälschlicherweise die Donauquelle suchte *), sondern in der Vereinigung der beiden, den Schwarzwaldhöfen (um 3000′ hoch) entstammten Schwesterbäche Brege und Brigach mit dem genannten Abfluss ihren Ursprung hat.
Donautempel
*) Die heutzutage auch im Volksmunde zu Gunsten der Brig und Breg bestrittene Berechtigung der Donauquelle im Schlosshof. („Brig und Breg bringen d’Donau z’weg“) zwar freilich seit dem römischen Schriftstellern, die den Tiberius in einem Tagesmarsche vom Bodensee zu den Donauquellen gelangen lassen, nicht nur, wie von jenem Österreicher, der die Röhre des Schloßbrunnens mit der Hand zu hielt und lachend ausrief: „Schauen’s, wie werden die Wiener sich wundern, wenn die Donau ausbleibt,“ sondern bis auf neueste Topografien herab anerkannt. Der Ursprung bot sich eben in den zahlreichen Quellen und dem großen Weiher bei Donaueschingen dem Anblick natürlicher dar, als in den zwei Bächen, die sich in den großen Wasserpfuhl, das sogenannte Ried bildete, ergossen.
Die Junge Donau im Sommer 2019
Kaum ihren Quellen entlaufen, verlässt sie in östlichem Laufe bald das Land ihrer Geburt, welches sie nur noch einmal auf einer kurzen Strecke bei dem Bergschlosse Wildenstein wiedersieht, und als ziemlich bedeutender Fluss bei Gutenstein ganz verlässt, um 381 Meilen weit durch Sigmaringen, Württemberg, Bayern, Österreich und die Türkei bis zu ihrer siebenfachen Mündung ins Schwarze Meer zu reisen.
Verfolgen wir rasch den Lauf des jungen Flusses, der in mancher Windung und oft weiter Ausdehnung, doch immer der Sonne entgegen (daher von den Alten „Sonnentrotzer“ genannt) munter über Stock und Stein hüpft.
Wir gehen aus von Donaueschingen, das einst durch Schenkung Kaiser Arnulfs (889) Besitzung des Klosters Reichenau, einen eigenen Lehnsadel hatte und nach dessen Aussterben (1488) an das Haus Fürstenberg überging. Um 1750 wurde die Residenz des um diese Zeit vereinigten Fürstentums hierher verlegt und das jetzige Schloss erbaut. Im schönen Schlossgarten bieten ein ansehnliches Gewächshaus, Parkanlagen mit trefflichen Baumschlag, in ihnen ein Denkstein, dem Dichter der Emilia Galotti von Fürst Carl gesetzt, eine Festsäule zur Erinnerung an die silberne Hochzeit des verstorbenen Fürsten Carl Egon, eine Bronzebüste des verstorbenen Arztes und Menschenfreundes Hofrat Rehmann, eine treffliche Sandsteingruppe – Donau, Brig und Breg – von Xaver Reich ausgeführt, sehenswerte Gegenstände.*).
*) Gasthöfe: Post, Schützen, Linde, Traube, Lamm, Hirsch.
Die junge Donau als Kind im Schoße der Mutter Baar. Sandsteingruppe von Franz Xaver Reich (1815–1881) am Zusammenfluss von Brigach und Breg in Donaueschingen im Jahr 2009.
Dr. Wilhelm Rehmann im Schloßpark
An Pfohren vorbei, wo am Flusse ein altes Schloss von Kaiser War, der bei Grafen Wolfgang von Fürstenberg hier einige Tage der Jagd oblag, scherzweise „Entenburg“ (Entenfang, nennt es jetzt der Volksmund) genannt, führt die Donau uns in süd-südöstliche Richtung nach Neudingen mit seiner kaiserlichen Pfalz, in welcher Kaiser Karl der Dicke 888 starb.*)
*) So nach der Geschichte. Der Volkssage und Dichtung aber (vergl. I.W. Scheffels trefflichen Roman „Ekkehard“ Frankf. 1855) „gefiel es, den letzteren Träger des Karoling’schen Weltreichen an einemstillen Ort zu entrücken und ihm eine Gerechtigkeit angedeihen zu lassen, die ihm die Mitlebenden versagten“ Das Volk hielt nämlich in Alemannien, lange an dem Glauben fest, daß der alte abgesetzte Kaiser gar nicht gestorben sei und noch, (wie früher und später manch ein anderer Held in irgend einer Höhle) in den Heidenlöchern am Ueberlinger See verborgen sitze, um zu rechter stunde wieder herauszutreten und die Zügel seines Reiche zu Händen zu nehmen.
Donaubrücke von Karl Merz
Entenburg
Auf ihr wurde gegen Ende des 13. Jahrhunderts das Dominikaner- (später Zisterzienser-) Nonnenkloster Mariahof gegründet und zur Grablege der Grafen von Fürstenberg bestimmt. Nach Aufhebung des Klosters Taubstummen-Anstalt, später Rettungshaus für verwahrloste Kinder, brannten die Gebäude 1850 ab. Auf ihrer Stätte wurde die jetzige Gruftkirche der Fürsten von Fürstenberg erbaut. Die Pfarrkirche hat vom alten Bau noch ein byzantinisches Portal aus dem 12. Jahrhundert
Sofort zwischen dem Fürstenberg (südlich) und Wartenberg nördlich hin nach Geisingen. Jener, schon im 11. Jahrhundert ein Besitztum des Zollerschen Hauses, kam im 12. an die Uracher und gab, bei der Erteilung dieses Hauses einem Zweige desselben den Namen. Das über die ganze Baar herniederschauende Schloss wurde im Bauernkriege überrumpelt. Im 30-jährigen Krieg zerstört, das Städtchen aber, das später auf der Höhe des Berges stand, brannte 1841 ab, worauf an dessen Einsattellung das jetzige Dorf erbaut wurde.
Der Wartenberg, ein hoher Basaltkegel, früher Sitz eines mächtigen Dynastenadels, von welchen ein Zweig das Hofrichteramt zu Rottweil verwaltete, bis er durch Mißheirat den Adel verlor, ging durch Erbe im 14. Jahrhundert an Fürstenberg über. Jetzt trägt er ein fürstlich Fürstenbergisches Lustschloss mit hübschem Park und reizender Aussicht über die ganze Baar bis zum Schwarzwald. In dem freundlichen Städtchen Geisingen verdienen die in der Friedhofskirche sich findenden Grabmäler der Grafen von Fürstenberg Geisinger-Linie, Beachtung.
Die Eremitage und der Englische Garten wurden 1783 von Fürst Joseph Maria Benedikt angelegt.
In nordöstlicher Richtung windet der Fluss sich nun nach dem alten Ort Immendingen. Hier in der Nähe der Möhringer Straße, Spuren einer untergegangenen germanischen Niederlassung im Grundmauern und Gräberfunden. Vom 12. Jahrhundert an im Besitz eines Lehnsadels, später in 2 Schlossgüter aufgeteilt, die durch verschiedener Herren Hände hindurch endlich an Fürstenberg kamen – ist der Ort jetzt durch ein Maschinenfabrik auch weiterhin bekannt. Bei dem Dorfe wird die Donau in großen Rissen teilweise vom Boden eingesogen und soll als Aachquelle im Hegau wieder zu Tage kommen, was neuerdings mehrmals gerichtliche Prozesse veranlasst hat.
Donauversickerung 18. Mai 2022
Unferen dem Städtchen Möhringen, das nur durch seine großen Schafmärkte, sowie als Heimat des am Hofe Karls VI. lebenden Mathematikers und Optikers Anton Braun und des früheren Mannheimer Galeriedirektors Zoll, von welchem ein erhebliches Gemälde in der Pfarrkirche sich befindet, nennenswert ist, verlässt die Donau das Großherzogtum Baden und betritt eine halbe Stunde südwestlich von Tuttlingen das Königreich Württemberg. Nachdem sie von Donaueschingen mit dem nicht unbedeutenden Gefälle von 137 Bar. Fuß eine Bahn von 12 Stunden zurückgelegt hat.
Anton Schlude (* 17. November 1808 in Hausen im Tal; † 4. Mai 1863 ebenda) war ein deutscher Natur- und Heimatdichter sowie Heimat- und Burgenforscher. https://de.wikipedia.org/wiki/Anton_Schlude
Wir verwenden Cookies, um unsere Website und unseren Service zu optimieren.
Funktional
Immer aktiv
Die technische Speicherung oder der Zugang ist unbedingt erforderlich für den rechtmäßigen Zweck, die Nutzung eines bestimmten Dienstes zu ermöglichen, der vom Teilnehmer oder Nutzer ausdrücklich gewünscht wird, oder für den alleinigen Zweck, die Übertragung einer Nachricht über ein elektronisches Kommunikationsnetz durchzuführen.
Vorlieben
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist für den rechtmäßigen Zweck der Speicherung von Präferenzen erforderlich, die nicht vom Abonnenten oder Benutzer angefordert wurden.
Statistiken
Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu statistischen Zwecken erfolgt.Die technische Speicherung oder der Zugriff, der ausschließlich zu anonymen statistischen Zwecken verwendet wird. Ohne eine Vorladung, die freiwillige Zustimmung deines Internetdienstanbieters oder zusätzliche Aufzeichnungen von Dritten können die zu diesem Zweck gespeicherten oder abgerufenen Informationen allein in der Regel nicht dazu verwendet werden, dich zu identifizieren.
Marketing
Die technische Speicherung oder der Zugriff ist erforderlich, um Nutzerprofile zu erstellen, um Werbung zu versenden oder um den Nutzer auf einer Website oder über mehrere Websites hinweg zu ähnlichen Marketingzwecken zu verfolgen.