Zwangsarbeit in Hüfingen von 1943-1945

Zwangsarbeit in Hüfingen von 1943-1945

11. Oktober 2023 0 Von Hubert Mauz

Originalartikel vom Winter 2019


Der klare Blick des jungen holländischen Zwangsarbeiters Bart Heyning auf die Baar der Jahre 1943-45

„ Hartes Brot zu essen, ist hart,
Gar kein Brot zu essen, ist noch viel härter.”

Reinhard May.

Aus dem Tagebuch eines „Nicht- arisierbaren“, dem sie „sein Land geschunden haben“.

Hüfingen im Rückspiegel:

Rathausgalerie Hüfingen 26.11.2019:

Buchvorstellung von Dr. Rüdiger Schell, Julie Heyning- van Maanen (Frau des Neffen von Bart Heyning) und Bart Heyning Junior (Neffe von Bart Heyning).

Nachdem Dr. Rüdiger Schell das Tagebuch des holländischen Zwangsarbeiters Bart Heyning vorgestellt hat, übergab er das Wort an Frau Julie Heyning. Sichtlich bewegt, was sie auch äußerte, nahm sie die Besucher mit auf eine kleine Zeitreise in das Jahr 1943, wie sie sagte. Schon dieses Eintauchen in eine sehr persönliche Familiengeschichte machte die lobenswerte Anreise der beiden Holländer zu einem zeitlosen aber auch erschütternden Erlebnis. Was zunächst in Delft in Holland sehr banal anfing, wurde zu einem Lebensdrama von Onkel Bart Heyning, zu seiner lebenslang schwelenden „Banalität des Bösen“.

Im idyllischen Universitäts- Grachten- Porzellan und Kunstststädtchen Delft sitzen junge Technik Studenten zusammen und feiern den Semesterabschluss. Es klingelt, es wird geöffnet und herein kommen zwei Polizisten. Dieses Öffnen öffnet das Tor zu einer Schreckenswelt. Wer den feinen, satirischen Humor der Holländer kennt, zumal einige Glas Jenever die Stimmung sicher gehoben haben dürfte, kann sich leicht vorstellen, dass das Gespräch zumindest mit dem einen Gendarm ziemlich locker und entspannt von statten ging. Die beiden Polities bemängelten, dass die Studenten ihren Festraum nach der allgemeinen Anordnung nicht verdunkelt haben. In heiterer Stimmung und mit Witz wurde der Rüge folgegeleistet. Einen zweiten, dann sehr fatalen Fehler hatten die gebildeten, stolzen Holländer jedoch gemacht. Dem unerbittlicheren, verbiesterten Gendarm ist ein Buch auf dem Tisch mit dem Titel „ Widerstand „ aufgefallen. Das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Am Morgen des fröhlichen Abschiedes reisten die Studenten nach Hause. Nur Bart wartete auf seinen Kommilitonen Piit, der sich vertrödelt hat. Der dritte schicksalhafte Fehler. Kurz bevor sie das Haus verließen wurden sie verhaftet und ins Konzentrationslager Vught bei d` Hertogenbosch gebracht. („Bosch“ nennen umgangssprachlich die Holländer diese Stadt)

Ab hier kann man das Schicksal von Bart Heyning im Buch von Dr. Rüdiger Schell, Julie Heyning und dem Tagebucherzähler, dem Zwangsarbeiter Bart Heyning nachspüren und auch nachfühlen. Dieser unglaubliche schicksalsträchtige Abend und Morgen in Delft bewegt und erschüttert nachhaltig und deutlich fühlbar Frau Julie Heyning heute noch. Wenn wir einen Teil dieser Erschütterung aus der Lektüre des Buches mitnehmen, darüber reflektieren und mit Mitbürgern, mit jungen Leuten und Schülern sprechen, hat dieses Buchprojekt seinen Sinn erfüllt.

Im anschließenden Gespräch mit der klugen und charmanten Julie Heyning, einer Psychologin, fragte ich nach Repressalien gegenüber den ca. 400 000 zurückgekehrten holländischen Zwangsarbeitern in die Heimat. Denn mit großem Misstrauen wurden diese verschleppten Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen , insbesondere in den vermeintlich arisierbaren Ländern wie Holland, Dänemark und Norwegen, als vermeintliche Kollaborateure lange Jahre behandelt und verunglimpft. Ja, auch Bart Heyning der Rückkehrer sei von diesem versteckten Vorwurf einige Zeit betroffen gewesen. Seinem Vater jedoch, der im Konzentrationslager Dachau gelitten hat, nahm man die Rolle des Opfers vorbehaltlos ab. Auch diese Aspekte der Rückkehr von Zwangsarbeit, Gefangenschaft, Gastarbeit und echter Kollaboration in allen europäischen Ländern blieb lange ein unbewältigtes, vielfaches Drama.

Bucheindruck:

Es gibt Bücher die in keinem Bücherschrank auf der Baar fehlen sollten. Für mich ist es seit diesem Sommer ein Buch, mein Buch des Jahres, das Tagebuch des Holländers Bart Heyning über seine Zwangsarbeiterjahre von 1943 bis 1945 in Hüfingen auf der Baar. Es ist aber auch das Buch von Rüdiger Schell, einem unermüdlichen Aufklärer. Er hat mit dem sicheren Instinkt des geübten Historikers den einmaligen Wert dieses klugen Tagebuches eines jungen 23 jährigen, erstaunlich gebildeten und kultivierten Holländers erkannt und gehoben. Rüdiger Schells treffende Fußnoten helfen, den Gesamtzusammenhang noch besser zu verstehen. Die Fährte zu diesem Tagebuchschatz jedoch hat eine Nichte von Bart Heyning, Julie Heyning, gelegt. Sie wollte nach der bewegenden Lektüre des Tagebuch- Kellerfundes ihres Onkels Bart und dem anschließenden digitalen Speicherfund von Rüdiger Schells Buch im Internet „Reichsarbeitsdienstlager Hüfingen“ von 2014 „einfach nur aufklären“ wie sie sagte. Es ist ihr trefflich und sehr verdienstvoll bestens gelungen.

Bereits 1943 wurde Vater Cornelis Heyning von den Nazis verhaftet und nach Dachau deportiert. Ähnliches widerfuhr mindestens weiteren 400 000 Holländern. Sowohl Norweger, Dänen als auch Holländer hielten die Nazis wegen ihren meist blonden Mähnen und anderen vermeintlich untrüglichen arischen Merkmale nach dem größenwahnsinnigen Endsieg für gut arisierbar. Aus diesem Grund bekamen diese Volksgruppen als erbeutete Zwangsarbeiter in Deutschland, ganz im Gegensatz zu slawische, romanischen und französischen Gefangenen, einen erstaunlichen, an liberalen Freigang erinnernden, Sonderstatus. Mit diesem für diese Zwangsarbeiter eher zweifelhaften Privileg, dennoch wussten sie es sehr zu schätzen und zu nutzen, konnten sie das Leben auf der Baar aus einer ganz anderen Perspektive betrachten und bewerten. Auch auf der Baar rückte der Krieg in diesen Jahren immer näher. Nicht nur mental durch ständige leidvolle Gefallenen Meldungen, durch Nazi Repressalien und Lebensmittelknappheit, sondern nun auch real als Bombardierungen und Jagdbomberüberflüge.

Vom „ Mont Schell“, wie Bart Heyning den Schellenberg nannte (Nomen est Omen, ausgerechnet sein Tagebuchbeförderer, der namensverwandte R. Schell, sollte sein Tagebuch entdecken), genossen die Niederländer zunächst an klaren Tagen die Baarlandschaft und das Sehnsuchtsland Schweizer Alpen. Aber bald erschütterten die Bombentage in Donaueschingen, Bräunlingen, Hüfingen und Wolterdingen die gesamte Baar und die Holländer beobachteten dies mit Grauen. Über die pulverisierenden Infernos in Freiburg, Pforzheim, Friedrichshafen und anderen Städten waren sie bestens informiert. Auch über den Frontverlauf, die Vorgänge in der Heimat und die politische Weltlage waren sie erstaunlich gut auf dem Laufenden. Woher sie das alles ziemlich genau wussten, darüber hat der kluge Bart Heyning entweder gar nichts aufgeschrieben oder in einer Art Chriffre, so daß es bei einer eventuellen Auffindung der Aufzeichnungen kaum oder nicht verfänglich war.

So katalogisierte er die zahlreichen Baaremer Bekannten mit dem Synonym „ Falsch „ für Nazi und „ Richtig “ für Regime- Ablehner. Erstaunt liest man, dass die Sägewerkszwangsarbeiter, diese Holländergruppe, nach Villingen, Blumberg, beim charmant- witzigen Bart Heyning süffisant „ Montefiore“ genannt, fahren konnten. Obwohl es dort in der völlig übervölkerten Bergwerkstadt, in einem Schmelztigel vieler Nationen, überhaupt nicht nach Blumen duftete und die dort zwangsarbeitenden Holländer die geschundetste, die geplagteste Niederländergruppe im Südwesten war. Auch nach Freiburg, Hausach, Hornberg, Neustadt fuhren sie öfter. Ein Holländer brachte es sogar fertig, eine Liebschaft mit einer Elsässerin in Strassburg alle 14 Tage illegal zu kultivieren, ohne dass er jemals in die Fänge von Reichsbahnpolizisten kam. Kam den Holländern bei solchen Eskapaden die blonden Haare und das arische Aussehen zu pass, weil sie bei derartigen Ausflügen meist unbehelligt blieben? Ein anderer bandelte in Villingen mit einer „ Falschen „ an, was ihm das Brandmahl des Verräters bei seinen dafür verständnislosen holländischen Kollegen einbrachte. Und ganz im Gegensatz zu slawischen Zwangarbeitern, die bei derartigen lebensbedrohlichen Abenteuern entdeckt wurden, mussten diese so ein Verhältnis meist sogar mit dem Leben bezahlen. Daran kann man auch den Wahn erkennen, zu glauben, dass geknechtete, aber stolze Völker so ganz nebenher arisierbar seien und die Untermenschen das immer blieben, was sie seien. Nämlich ausrottbar oder inhuman nutzbar und verwertbar.

Sogar krankenversichert waren sie, diese vermeintlich Arisierbaren. Und deshalb kommt auch plötzlich und unerwartet ein Onkel von mir ins Spiel, der in der Familie als Filou, als Schürzenjäger und als Spieler galt. Die Ahnung bestätigte sich: In Bart Heynings Karteikästchen steckte er bei den „ Falschen „. Ganz im Gegensatz zu einer fürsorglichen Krankenpflegerin im Krankenhaus Bräunlingen und einem dortigen absolut tadellosen, hippokratisch agierenden Arzt. Wie Bart Heyning, bildungs- und fremdsprachenhungrig , an Literatur, sogar aus der Unibibliothek Freiburg kam, das kommt nicht ganz klar aus den Aufzeichnungen hervor, zeigt aber die gewisse Freizügigkeit der Holländer im Zwangsarbeiterlager Hüfingen und auch ihren Bildungshunger.

Auch das Ende der Gefangenschaft, dieser ganz persönliche, lebenslange Albtraum, mit zaghaften, missglückten Fluchtversuchen in die Schweiz, zeigt nochmals die Befindlichkeit seiner Situation aber auch die der Bevölkerung im südlichen Grenzgebiet. Plastisch, schelmisch bis dramatisch schildert dieser „Kanitverstan“ diese Jahre. Auch den kurzen Kontakt mit den befristeten, deshalb sehr großzügigen, gönnerhaften Gastgebern der durchreisenden, abreisenden Zwangsarbeiter, den benachbarten Schweizern, schildert er treffend.

Bart Heyning hat uns Baaremer aus der Sicht eines Außenstehenden, aber im doppelten Sinn , zutiefst Betroffenen , aus dem Leben und den Erfahrungen eines Gequälten, ein Tagebuch ohne militärhistorische Belehrung und Erläuterung und mit wenig Geschichtswertung hinterlassen. Deshalb ist es auch so authentisch. Im Spiegel, den er uns ziemlich sachlich, klar, aber auch schonungsvoll vorhält, können wir uns und den Zustand, den er widerspiegelt sehr genau betrachten.

Warum er nie mehr auf die Baar, in die „Sierra Nera“, wie er den Schwarzwald nennt, gekommen ist, obwohl er ein gebildeter, erfolgreicher, sprachgewandter und aufgeklärter Familienmensch, Cosmopolit, Demokrat, und Europäer war, ist vielleicht nur aus dieser markanten Aussage abzulauschen:

20 % waren Verantwortliche, das enthebt aber die Übrigen 80% nicht, ihrer ebenso grossen Verantwortung gerecht zu werden und etwas dagegen zu tun „ .

Und in seinem erschütterndem, bitteren Poem von Seite 73:

Sie haben mein Land geschunden, meine Freiheit geraubt,
die Städte und Dörfer ausgebeutet,
seine Nahrung geraubt und verschlungen“ .

So dürfte es tatsächlich gewesen sein und deshalb sollte es unbedingt in die Geschichtsstunden und die Literatur der Schulen, der Haushalte, der Medien und Bibliotheken auf der Baar aufgenommen und gelesen werden.