Weißtannen-Vitalität

Schon seit langer Zeit schreibt man viel und fortwährend über das allmählich immer mehr und mehr sichtbar werdende Verschwinden der Weißtanne von unseren Bergen. Auch gibt sich zu ihr eine gewisse weitverbreitete Sympathie kund, welche an die Wehmut beim Scheiden eines geliebten Freunds erinnert. (K. Gebhardt, Freiburg 1842)

An Sympathien für die Weißtanne hat es – o Tannenbaum! – nie gefehlt, schon gar nicht in der Forstpartie. Allerdings hält sich bis heute das Narrativ, sie sei überempfindlich wie eine Mimose. Allein schon die Tatsache, dass sie in Deutschland nur mehr auf ca. zehn Prozent ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets vorkommt, spricht wahrlich nicht für Vitalität und Widerstandskraft. Spätestens das „Tannensterben“ hat ihrem Ruf den Rest gegeben. „Ist die Weißtanne eine sterbende Baumart?“, so fragten sich 1979 Baden-Württembergs Forstleute anlässlich einer Fachtagung. Der Wiener Waldbauprofessor Hannes Mayer, einer der besten Tannenkenner, wies in seinem Beitrag darauf hin, dass das „Tannensterben“ schon seit dem 16. Jahrhundert bekannt sei. Es handle sich dabei alles in allem um eine „Komplexwirkung verschiedenster vitalitätsmindernder Faktoren“. Freilich würden diese nicht zum Totalausfall der Tanne führen, „wenn nicht anthropogene Schadfaktoren wie überhöhte Immissionen dazukommen.“ In den Medien schlug die Geburtsstunde des neuen Schockbegriffs „Waldsterben“. Für die Politik sollte es bald höchste Zeit werden, im Kampf gegen den sauren Regen der Automobilindustrie den Katalysator vorzuschreiben, die TA-Luft zu verschärfen und per Großfeuerungsanlagen-Verordnung die Entschwefelung der den Fabrikschloten entweichenden Emissionen voranzutreiben.


„Der Schwarzwald stirbt“, so lautete 1984 die Weihnachtsbotschaft des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL, als Titelbild dient ein halbseits entnadelter Tannenbaum vor winterlicher Schwarzwaldidylle. Gegen Ende des Jahrtausends war in den Medien dann freilich bald nur noch vom „sogenannten Waldsterben“ die Rede, ehe auch dieses – ausgerechnet im „Jahrhundertsommer 2003“ – von der grünen Umweltministerin Renate Künast offiziell für beendet erklärt worden war. Doch nach einer Serie sich steigernder Hitze- und Trockenjahre tauchte das Phänomen als „Waldsterben 2.0“ plötzlich wieder aus der Versenkung auf: Dürre- und Borkenkäferschäden, die Häufung der Waldbrände sowie eine verheerende Flutkatastrophe sorgten dafür, dass der Verursacher, der Klimawandel, fortan nicht mehr aus den Schlagzeilen verschwinden sollte.

Als Fotograf mit einem Faible für Baum und Wald lechzt man bei all den Hiobsbotschaften förmlich nach Motiven abseits der Katastrophenszenarien, und so entstand im Jahr 2011 beiläufig auch das Foto einer ungemein langschäftigen, allem Anschein nach kerngesunden Weißtanne. Angetroffen hatte ich sie auf einem Streifzug durch Wutachschlucht unweit der überdachten Stallegger Brücke, über die einst der Fernhandelsweg vom Neckar zum Hochrhein führte. Eigentlich war ich nur im Begriff, mich unter den dortigen Tannenriesen nach einer Ersatzkandidatin umzusehen für die zwar prominente, doch leider seit Jahren kränkelnde Stallegger Tanne, auf welche am Wanderweg eine Hinweistafel aufmerksam machte mit ihren famosen Daten: Höhe 52 m, Volumen 34 Erntefestmeter, Umfang in Brusthöhe 4,52 m, Alter ca. 280 Jahre. Ob für ihren angeschlagenen Gesundheitszustand wohl der Klimawandel verantwortlich war – oder war ihr Siechtum eher dem Greisenalter geschuldet?

Was Alter, Umfang und Stammvolumen anbetraf, so würde mein Ersatzbaum natürlich noch längst nicht mithalten können, doch die Baumhöhe, immerhin, dürfte bereits an die 50 m heranreichen, so schien es mir vom Gegenhang beim Betrachten seines langen vollholzigen (walzenförmigen) Schaftes mit der dicht benadelten runden Kuppelkrone oben drauf; in ihr entdeckte ich mit dem Fernglas einen aufwärts gebogenen Kandelaberast, Indiz für einen früh verheilten Wipfelbruch. Ansonsten aber schien mir mein Baum, fern aller „anthropogenen Schadfaktoren“ und deren Komplexwirkung (H. Mayer), der Inbegriff einer makellosen und vor Gesundheit strotzenden Weißtanne zu sein.

Tanne 2011
Tanne 2015

Doch was war das für eine Enttäuschung, als ich mich vier Jahre später, im März 2015, wieder der Stallegger Brücke näherte, um nach der Tanne Ausschau zu halten! Denn ein Sturm (oder war es gar die Windhose eines Tornados?) hatte sie inzwischen brutal geköpft, sodass von der stolzen Krone am Stamm nur wenige grüne Wasserreißer (Klebäste) verblieben waren! War das nun das Aus für meine Tanne? Zwar war mir das phänomenale Ausheilungsvermögen der Weißtannen von zahlreichen frappierenden Beispielen durchaus vertraut, doch hier schien Hopfen und Malz verloren.

Im Sommer 2019, nach abermals vier Jahren, zog es mich erneut in die Schlucht: Was mochte aus meinem Motiv geworden sein? Sieh einer an, es gab sie noch, die Tanne – und sie war eben im Begriff, sich eine neue Krone zuzulegen. Zuoberst an der Bruchstelle schob sich tatsächlich ein neuer Leittrieb in die Höhe und die spärlichen Wasserreißer hatten sich auf wundersame Weise buschig vermehrt. Der staunenswerte Vorgang verdiente es, weiter verfolgt zu werden.

Tanne 2019
Tanne 2020

Zum Winterauftakt, am 8. Dezember 2020, war ein weiterer Besuch angesagt. Lag es am Neuschnee, dass sich der Wipfel erneut verändert zu haben schien: Knapp unterhalb der Bruchstelle, die sich wieder deutlicher abzeichnete, schoben sich nun sogar drei Leittriebe in die Höhe als gelte es neuerdings, da oben Christbäume zu züchten – an Saft und Kraft fehlte es der neuen Krone ganz offensichtlich nicht.

Mein vorerst letztes Foto stammt vom 5. November 2022, dem Vorabend der jüngsten Weltklimakonferenz. Und wieder hatte sich das Kronenbild der Tanne verändert: Nun sieht es ganz so aus, als hätten die Leittriebe sich im Wettbewerb um die Führungsrolle gegenseitig hoch getrieben, derweil ein paar flechtengraue Seitenäste vorzeitig ausgeschieden sind. Doch alles in allem bietet sich das Bild eines wohlgeratenen jugendlichen Tannenbaums, der sich da jetzt, seitlich leicht versetzt, auf dem weit über hundertjährigen Stamm breit gemacht hat. Dem Fotografen erwuchs so im Verlauf nur eines knappen Jahrzehnts ein neues Sinnbild für Vitalität, auch ein Hilfsmittel gegen das Verzagen angesichts all der Krisen, ein für sich selbst sprechendes Musterbeispiel für das Zauberwort im Zeichen des Klimawandels: für Resilienz.

Klar, dass nun auch noch ein Krankenbesuch bei der Stallegger Tanne anstand: Sie ist inzwischen vollends abgestorben, reckt ihre morschen kahlen Äste in die Luft, derweil die Rinde am Stamm bereits abzublättern beginnt und zwei prächtige Fruchtkörper des seltenen Stachelbartpilzes aus ihm hervorwachsen. Tannen pflegen lotrecht zu sterben und ihr Totholz ist voller Leben – das Hinweisschild mit ihren stolzen Daten wurde vorsorglich entfernt, damit andächtige, gar trauernde Tannenfreunde nicht unnötig lang im Gefahrenbereich verharren. Von „Wehmut beim Scheiden eines geliebten Freunds“ (K. Gebhardt), vom „Tannensterben“, jener „Komplexwirkung verschiedenster vitalitätsmindernder Faktoren“ (H. Mayer) ist in der Wutachschlucht derzeit wenig zu spüren.

Weißtannen-Vitalität 2022

Anmerkungen zur Vitalität der Weißtanne
Nachtrag:

Im zu Ende gehenden Oktober 2025, nach einer regenreichen Woche, zog es mich wieder mal hinab zur Stallegger Brücke, unter der die Wutach diesmal prächtig schäumend hindurchrauschte. Dass die bei meinem Besuch vor drei Jahren bereits sterbenskranke Stallegger Tanne hart oberhalb des vielbegangenen Wanderwegs inzwischen aus Verkehrssicherungsgründen hat gefällt werden müssen, das hatte man vor Jahresfrist schon der Presse entnehmen können. An der Schnittfläche des gewaltigen Strunks gedeiht noch immer die Tannenglucke, während darunter eine blitzblanke Informationstafel der Naturschutzverwaltung nun an den Baum und seinen Riesenwuchs erinnert, dazu an den heutigen Nutzungsverzicht in Naturschutzgebieten wie an den einstigen Raubbau inklusive der Flößerei. Bis zum Bau der Eisenbahnen und der forstwirtschaftlichen Wegeerschließung war es auf der Wutach (anders als es die Abbildung auf der Tafel suggeriert) bei der blockweisen Holztrift geblieben, nachdem die Wolfacher Schiffergesellschaft, die den wilden Fluss für die stammweise Flößerei herzurichten versucht hatte, damit 1847 kläglich gescheitert ist bei einem Gesamtschaden von 200.000 Gulden.

Überrest der Stallegger Tanne (mit Gluckepilz)
Überrest der Stallegger Tanne (mit Gluckepilz)
Infotafel zum Angedenken
Infotafel zum Angedenken

Gänzlich unbeeinflusst von der Nutzungsgeschichte der Schlucht hat sich indessen der neue Wipfel meiner im Jahr 2015 vom Sturm geköpften (und zuletzt vor drei Jahren fotografisch dokumentierten) „Ersatztanne“ weiterentwickelt. Und wenn ihre Ersatzkrone ungestört so weiterwächst, wird man der Tanne den Stammbruch wohl bald nicht mehr anmerken können, so perfekt ist sie schon jetzt wieder geformt – nach gerade mal einem Jahrzehnt. Und selbst wenn es erneut zu einem Missgeschick kommen sollte, so hat sie bereits vorgesorgt: In ca. fünf Metern Höhe hat sich am Stamm aus einem Klebast ein grün benadeltes Bajonett gebildet, sodass sie auch einen weiteren Stammbruch überleben könnte. Nein, auch Weißtannen wachsen nicht in den Himmel, ihre Vitalität ist dennoch wahrhaft staunenswert!

Nur das von Rehen heillos verbissene Tännchen am Standort des Fotografen (knapp oberhalb der Wegböschung der einstigen hier die Wutach querenden Postverbindung zwischen Neckar und Hochrhein) hat es mit seinem Gipfeltrieb noch immer nicht über die Äserhöhe hinausgeschafft. Ob im Klimawandel zur Erhaltung des „Schwarzwälder Charakterbaums“ nicht vielleicht doch nebst den Jägern auch die großen Beutegreifer Luchs und Wolf wieder ihren Beitrag leisten sollten?

Grünes Bajonett am Stamm meiner „Ersatztanne“
Grünes Bajonett am Stamm meiner „Ersatztanne“
10 Jahre nach dem Stammbruch
10 Jahre nach dem Stammbruch

Gigantismus

In Brandenburg bauen sie das größte Windrad der Welt. Es könnte die Energiewende im wahrsten Sinne des Wortes auf eine neue Stufe heben – wenn denn alles gut geht. (Süddeutsche Zeitung v. 22. 10. 2025)

In der Lausitz, inmitten eines Waldgebiets, entsteht derzeit ein Riesenwindrad. Mit seiner maximalen Rotorhöhe von 365 Metern soll es das zweithöchste Bauwerk Deutschlands werden, rangierend gleich hinter dem Berliner Fernsehturm. In solcher Höhe lasse sich mehr und gleichmäßiger Wind ernten, so das Kalkül, ähnlich wie auf See. Derlei Höhenwindräder ließen sich, so sieht es der SZ-Journalist nach seinem Baustellenbesuch, in bestehende Windparks integrieren und „im windschwächeren Bayern oder Baden-Württemberg“ einsetzen. „Für die Energiewende“, so der Chef der Baugesellschaft, „kann das der totale Gamechanger werden“: Tausende Riesenwindanlagen erträumt er sich für Deutschland, wenn es denn klappen sollte mit dem Lausitzer Prototypen auf seiner gewaltigen Fundamentplatte mitsamt zwölf Meter langen Pfählen darunter.

Windrad auf der Länge
Windradzwerg der Nullerjahre auf der Längewiese

Was für eine Perspektive für die ohnehin schon von Nah- und Fernwirkung vorhandener und geplanter Windparks bereits bedrohten Kultur- wie Erholungslandschaften! Wie hat man sich da bloß den Schwarzwald in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts vorzustellen? Oder die Schwäbische Alb? Oder die Länge? Was, wenn einer der Riesen, trotz aller Ingenieurskunst, unter einer Orkanböe zu wanken beginnt und umstürzt? Wenn aus der beschädigten Gondel SF6, das gefährliche Schwefelhexafluorid, austritt, ein vieltausendmal schädlicher wirkendes Treibhausgas als CO2? Wie hat man sich überhaupt den ökologischen Fußabdruck solcher Betonriesen vorzustellen – und das in einem Industrieland mit Vorbildfunktion, das – weltweit einzigartig – Tempolimits auf Autobahnen seinen Bürgern noch immer nicht zumuten mag, selbst wenn durch die Begrenzung auf 120 Kilometer pro Stunde (nach einer Studie des Umweltbundesamtes) jährlich 6,7 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden könnten? Und wo doch die Zementindustrie zu den allergrößten CO2-Schleudern zählt, klimaschädlicher als der gesamte Luftverkehr?

Foto von einem Windrad noch ohne Rotoren
Demnächst doppelt so hoch!

Wie es ausschaut, lässt sich mit Riesenwindrädern der Teufel mit dem Beelzebub austreiben – mit ihrem Nutzen fürs Weltklima wie mit ihrer Wirkung aufs Landschaftsbild. Fast will da Freude aufkommen, dass man die heimatliche Welt noch unversehrter hat erleben dürfen.

Demnächst zehnmal so hoch wie das Windrad auf dem Auenberg !

Streicheleinheiten für den Klimaschutz

Der Landrat rät dem Unbequemen,
Die Sache nicht mehr aufzunehmen.
Es wollen Presse auch und Funk
Sich nicht mehr mischen in den Stunk
Der Mensch steigt von den Barrikaden – 
Er ist zum Richtfest eingeladen.

Eugen Roth: Ermüdung (1948)

Nun ist es soweit: Die Betontürme stehen und können, wenn auch noch ohne Rotoren obendrauf, stolz der Öffentlichkeit präsentiert werden. „Hunderte Neugierige kommen zum Tag der offenen Tür beim Windpark Länge“ berichtet der Schwarzwälder Bote am 1. Oktober 2025 unter der Überschrift „So sieht es im Windradturm aus“. Für den Vorstand der Betreibergesellschaft sei die Veranstaltung „ein Volltreffer“ gewesen. Eine nicht enden wollende Menschenschlange habe sich vor dem Turm eingefunden, „um einen Blick ins Innere des Bauwerks zu ergattern“. Neben dessen Türe präsentieren sich plakativ die Betreibergesellschaft und ihre Kommanditisten, daneben sind (wie in Eiszeithöhlen) Abdrucke farbiger Hände zu bestaunen. Wie sollen die bloß gedeutet werden? Sind´s überschwängliche Sympathiebekundungen oder sollten sich hier schon Windkraftgegner mit abwehrendem Geschmier verewigt haben?

Der Turm vom Windpark Länge unten mit der Infotafel: Der Windpark Länge besteht aus 6 modernen Windkraftanlagen Nordex N-163. Betreibergesellschaft ist die Solarcomplex GmbH Windpark Länge.

Der Blick ins Turminnere dürfte die Besucher auch etwas abgelenkt haben vom Staunen über das Ausmaß der Baustelle rundherum wie über den gewöhnungsbedürftigen Umgang mit dem herbstlich verfärbtem Wald, und dies gedanklich mal sechs: an allen sechs Standorten – inklusive der  inzwischen auf über Kreisstraßenbreite ausgebauten Zufahrtswege mit ihren für den Transport von Kränen und Rotorflügeln üppig erweiterten, vom Gehölz geräumten Radien.

Nicht etwa nur ins Turminnere, sondern buchstäblich in die Röhre schauen unterdessen die Gegner von der hiesigen Bürgerinitiative, die sich mit Gutachten, Petitionen und Verwaltungsgerichtsverfahren so energisch gegen das Projekt gewehrt hatten. Die Beanspruchung des Längewalds, so spendet ihnen der Chef der Betreiberfirma zur Feier des „Tages des offenen Bauwerks“ Trost, erfordere ja doch nur einen „relativ geringen Flächenverbrauch“, vergleiche man ihn mit dem Braunkohleabbau in der Lausitz. Ist damit jetzt alles gesagt zu den Fragen einer Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in ein bisher gänzlich unzerschnittenes und unvorbelastetes, ökologisch hochwertiges Waldgebiet und dem erhofften Nutzen für den Klimaschutz?

Neue Akzente im herbstlich verfärbten Längewald

Für den erwarteten Besucherandrang am „Tag des offenen Bauwerks“ hatte man eine stattliche Zahl von blauen Dixi-Klos herbei geschafft und sogar einen Partyservice engagiert, um es an nichts fehlen zu lassen „trotz schwieriger Anfahrt und eines mehrere hundert Meter langen Fußmarsches“. Als ob man sich nach über 12 Jahren kontroverser Diskussion um den Windpark nicht auch mal etwas spendabel zeigen dürfte. „An Stehtischen und auf Sitzgelegenheiten“, so beschreibt der Schwarzwälder Bote die Stimmung, „ging es beim Publikum im geselligen Beisammensein zumeist um die Notwendigkeit erneuerter Energien, insbesondere der Windenergie. Doch auch Bedenken gab es.“

Noch sind es ja nur sechs solcher Türme geworden, wo es ursprünglich ja elf  werden sollten, bevor die im Blumberger Teil der Länge agierende Betreiberfirma Insolvenz angemeldet hatte. Doch nach den Plänen des Regionalverbands Schwarzwald-Baar-Heuberg bleibt die gesamte Länge Vorranggebiet, sodass die Blumberger wie auch die Geisinger ja wohl noch nacharbeiten müssen. Ade Längewald – wird die Badische Alb vollends zum Albtraum? 

Natur – Wald – Reh: ein Lehrstück 


Es lässt sich trefflich werben mit dem Dreiklang Natur – Wald – Reh, auch in der Schwarzwälder Gastronomie. Wo ihm doch unsere ungeteilte Sympathie gehört. Ganz besonders angesprochen fühlen sich davon die Gäste der Geroldsauer Mühle, des im Schwarzwaldstil ganz aus hellem Weißtannenholz neu errichteten Gasthauses unweit von Baden-Baden – am Tor zum Schwarzwald.

Werbung mit Reh
Werbung mit Reh

Wie kann einer da bloß den Forstleuten glauben, die im sanftäugigen Bambi (silberne Exemplare sind in der Bäderstadt unlängst erst als populäre Medienpreise verliehen worden) vorrangig den „Waldschädling“ erblicken, gar den Verursacher des „Waldsterbens von unten“, mithin einen heiklen Gegenspieler für den im Zeichen des Klimawandels so unabdingbaren Waldumbau hin zu mehr Resilienz? Die notwendige Reduzierung überhöhter Rehwildbestände sollte da vielleicht doch besser geräuschlos und unter Ausschluss der Öffentlichkeit erfolgen. Womöglich ist das Wald-Wild-Problem auch schuld daran, dass man auf der Speisekarte der Geroldsauer Mühle den Rehbraten vergeblich sucht. Ob aber die Wirtsleute, erst recht ob die Gäste wohl je einen Gedanken daran verschwendet haben, dass mit dem Angebot und Verzehr von heimischem Wildbret ja auch ein Beitrag geleistet werden kann zur Wiederverbreitung der vielerorts verlorengegangenen Baumart Weißtanne?

Unstrittig ist, dass die Tanne mit am stärksten leidet unter allzu vielen Rehen, ja, dass der „Schwarzwälder Charakterbaum“ sein Überleben in der Vergangenheit zumeist einem rehwildarmen Ausnahmezustand zu verdanken hatte: Etwa jenen der ungebremsten „Franzosenjagd“ in den Nachkriegsjahren oder den in den Wirren der 1848er Revolution, als die aufständischen Bauern sich nicht nur das Ende der Jagdfron erkämpft hatten, sondern kurzzeitig auch „freie Büchse“ genossen, vom Adel beschimpft als „Vernichtungskrieg gegen das Wild“. Inzwischen setzt man freilich mehr denn je auf die Weißtanne, wo doch die Fichte in der Klimakrise auszufallen droht, was allenthalben zur Intensivierung der jagdlichen Bemühungen zwingt. Und es schließen sich derzeit weitere Frage an: ob nicht auch die natürlichen Regulatoren von Pflanzenfressern wieder besser ins Spiel gebracht werden sollten, der Winter sowie die Fressfeinde Luchs und Wolf. Auch ob denn die Winterfütterung des Rehwilds überhaupt noch zu verantworten ist im klimagestressten Wald und der immer milderen Winter? Doch leere und zerfallende Futterraufen sind, zumal in winterlichen Notzeiten, dem Image der Jäger als Heger des Wilds wahrlich nicht zuträglich.

Doch die Bauwirtschaft setzt wieder mehr denn je auf den CO2-neutralen Baustoff Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Wo Tannenjugend aber erfolgreich durchstarten soll, um im künftigen (stabileren und widerstandfähigeren) Bergmischwald wieder ausreichend vertreten zu sein und um trotz des Ausfalls der Fichten weiterhin wertvolles Bauholz liefern zu können, muss demnach effizient gejagt werden. Und auch Schutzmaßnahmen gegen Wildverbiss werden oft unerlässlich sein – mag das Jagdgesetz (in Baden-Württemberg das Jagd- und Wildtiermanagementgesetz JWMG) noch so fordern, dass der Wildbestand so einreguliert werden muss, dass die Hauptbaumarten sich ohne Schutz ansamen und heranwachsen können.

Vom Rehwild verbissene junge Tanne
Vom Rehwild verbissene junge Tanne
Tanne mit Verbissschutz
Verbissschutz

Ein besonders unschuldiges Anschauungsbeispiel für das (oft so konfliktträchtige) Zusammenspiel von Wald, Wild und Jagd hat der Fotograf im Spätjahr 2020 im Wald der Gemeinde Brigachtal im Schwarzwald-Baar-Kreis festgehalten: Ein offenbar ebenso tier- wie kinderlieb gesonnener  Zeitgenosse (sollte es sich gar um den örtlich zuständigen Jagdpächter gehandelt haben?) hatte in Wegnähe eigens für junge Waldbesucher eine Futterkrippe gebastelt und mit einer hölzernen Rehfamilie umstellt. Hockten da nicht auch noch ein Auerhahn oder ein Waldkauz auf dem Krippendach? Sogar Tannenjugend, noch etwas schütter zwar, hatte sich bereits eingefunden, die Gipfelknospen – sieh einer an! – sorgfältig mit blauen Klammern vor Verbiss geschützt.

Hölzernes Ensemble, entdeckt und festgehalten im Spätjahr 2020
Hölzernes Ensemble, entdeckt und festgehalten im Spätjahr 2020

Fünf Jahre nach seiner Entdeckung, im Sommer 2025, zeigt sich das nämliche Ensemble dem Fotografen zwar merklich gealtert und ramponiert, auch ist die Krippe am Kippen und die hölzernen Rehskulpturen samt Kauz und Auerhahn scheinen in Auflösung begriffen zu sein. Doch frohwüchsig und unbeschädigt zeigen sich die Weißtännchen rundherum. Was zeigt, dass die Umwandlung des von Fichten dominierten Altbestands in einen Mischwald offensichtlich Fortschritte macht: Wild und Wald befinden sich in Balance – was für ein mustergültiges Lehrstück!

Dasselbe Motiv im Jahr 2025 mit frohwüchsiger Tannenjugend
Dasselbe Motiv im Jahr 2025 mit frohwüchsiger Tannenjugend

Starke Eschen – ein Nachruf?


Um die Baumart Esche steht es nicht gut. In ganz Europa grassiert das Eschentriebsterben, verursacht von einem aus Fernost eingeschleppten Pilz mit dem so possierlichen Namen Falsches Weißes Stengelbecherchen. Vielerorts hat man sie schon aufgegeben, zumal längs von Wegen und Straßen, wo Gefahr droht von herab brechenden Ästen, gar von umstürzenden Baumleichen. Für unsere Waldökosysteme, aber auch für die gesamte Kulturlandschaft wäre es nach dem Ulmensterben, das ja ebenfalls durch einen invasiven Pilz ausgelöst worden war, ein weiterer schlimmer Verlust, der weit über den holzwirtschaftlichen Nutzen hinausreicht. Auch wenn der Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad der Esche in der Öffentlichkeit nie an die Prominenz kapitaler Eichen- und Lindengestalten herangereicht hat. Und das, obwohl sie in der germanischen Mythologie ja schon den Weltenbaum Yggdrasil gestellt hatte, den Schutz- und Schicksalsbaum und Sitz der Götter.

Hofesche am Burgbacherhof (2016)

Der Schutz von Bäumen als Naturdenkmäler war erstmals im anbrechenden 20. Jahrhundert so richtig in Gang gekommen. Was einherging mit der Dokumentation und Veröffentlichung besonders „bemerkungswerter“ Exemplare in „Baumbüchern“. In Preußen und Hessen, in Elsass-Lothringen, im Großherzogtum Baden wie im Königtum Württemberg erschienen sie zumeist reich bebildert, um so auf die oft genug durch die Industrialisierung, auch durch die Intensivierung von Forst- und Landwirtschaft bedrohten Schätze aufmerksam zu machen. Es fällt dabei auf, dass sowohl in Württemberg wie auch in Baden die Baumart Esche deutlich unterrepräsentiert war im Vergleich zu den weitaus spektakuläreren Eichen, Linden und Tannenriesen. Im von Forstassessor Otto Feucht 1911 im Auftrag der Königlich württembergischen Forstdirektion verfassten Schwäbischen Baumbuch*1 wird seltsamerweise unter all den aufgeführten Baumveteranen nur eine einzige Esche erwähnt: Und die stand nicht in freier Natur, sondern im Schlosspark von Friedrichshafen und war eine Sonderform der Baumart: „Ziemlich unerkannt bleibt ein starkes Exemplar unserer heimischen Esche (Umfang 2,33 m)…, dessen Blätter durchweg nicht gefiedert, sondern einfach-eiförmig gesägt sind.“ Diese Spielart der Esche (var. monophyllos) finde sich in Württemberg wild vor allem im Stromberggebiet. Mehr wusste er über die Eschen, über die Gewöhnliche mit gefiederten Blättern wie über die Einblättrige, nicht zu berichten.

Ludwig Klein, Großherzoglich badischer Geheimer Hofrat und ord. Botanikprofessor, Leiter des Botanischen Instituts wie des Botanischen Gartens der TH Karlsruhe, veröffentlichte 1908 Bemerkenswerte Bäume im Großherzogtum Baden*2, in dem er der Esche ein ganzes Kapitel widmete. Leider gelang ihm nur ein einziges Foto der Baumart; es zeigt unmittelbar neben einem Haus in Rötenbach ein noch recht schmächtiges Exemplar mit ausgedehnten Überwallungen einer früheren Brandbeschädigung. Lebhaft beklagt der Autor, dass Eschen in den Auewaldungen zwar eine Baumhöhe von bis 45 m erreichen können, doch seien außergewöhnliche Bäume hier leider nicht mehr zu finden, „da die Esche wie andere wertvolle Nutzhölzer längst hiebsreif zu sein pflegt, ehe sie außergewöhnliche Stärke erreicht hat.“ 

Umso erfolgreicher ist er im höheren Schwarzwald auf seiner Suche nach im Freistand erwachsenen Eschen, zumeist Hofeschen. „Die schönste Esche, die mir im Schwarzwalde (erst im Spätsommer 1907) bekannt wurde, ein wahres Prachtexemplar des freiständigen Baumes, steht, 25 m hoch (!), im Grasgarten des Hierahofes, etwa 20 Minuten südöstlich von Saig, in einer Meereshöhe von 945 m. Der Stamm von 4,88 m Umfang teilt sich schon in 3 m Höhe in drei mächtige stammähnliche Äste, die sich ihrerseits in insgesamt 15 starke und sehr lange Äste aufteilen.“ Das Alter des Baums schätzte Klein auf mindestens 200 – 250 Jahre. Derart starke Gebirgseschen seien im Schwarzwald sonst nirgends mehr zu finden. Klar, dass auch der Botanikprofessor in seinem Eschenkapitel deren „einfachblättrige Spielart“ erwähnt, die er – leider ebenfalls ohne fotografischen Beleg – im äußersten Norden des badischen Stiefels verortet. Dass sich mit dieser Unterart ein Jahrhundert später die vage Hoffnung verbinden würde, sie könnte womöglich resistenter sein gegen eine die Baumart europaweit bedrohende Seuche aus Fernost namens Eschentriebsterben, konnte der Botanikprofessor Ludwig Klein freilich noch nicht ahnen.

Esche am Hierahof 1977…
…und 2016

Dass auch ich vor knapp einem halben Jahrhundert auf der Fährte von Ludwig Klein mit großen Erwartungen den Hierahof ansteuern sollte, entsprang einer beruflichen Pflichtübung. Denn von meinem obersten Dienstherrn, dem Stuttgarter Forstminister, hatte ich den Auftrag erhalten, nachzuprüfen und zu dokumentieren, was denn von den „Prachtexemplaren“ der Baumbücher der Jahrhundertwende eigentlich die zwei Weltkriege überlebt hatte und noch auffindbar war. Aus der Recherche entstand 1978 mein Bildtextband Begegnung mit Bäumen*3, und darin beschrieb ich den Hofbaum, belegt durch ein Schwarzweißfoto mitsamt Personenstaffage zur Vermittlung der Stärke des Stammes,  frei weg als „unstreitig schönste und gewaltigste Esche des Landes“. Sie hatte seit Ludwig Kleins Besuch vor abermals siebzig Jahren nochmals kräftig an Umfang zugelegt: „Nun misst sie 6,40 Meter“, hielt ich fest, „was einen Durchmesserzuwachs von 64 Zentimetern ergibt! Die Krone des Baumes ist voll und gesund. Doch während die Altbäuerin ein wenig gedankenverloren an der dem Hof zugewandten Seite des Stammanlaufs mit der Heugabel tief in Hohlräumen und morschem Holz herumstochert, erzählt sie uns von einer denkwürdigen Begebenheit, die für den Baum Folgen haben sollte: Am Vorabend ihrer Hochzeit vor nun schon fünfzig Jahren hat der Nachbarssohn – Gott hab ihn selig – hier eine Sprengladung entzündet. War´s Scherz, war´s Kummer: der Anfang vom Ende des stolzen Baumes war vorgezeichnet.“ 

Doch auch weitere vierzig Jahre später, im Winter 2016, war die Esche noch immer nicht am Ende, wie ich mich vergewisserte, auch wenn im Land bereits das Eschentriebsterben wütete. Offenbar hatte sie die Wunde der Sprengladung besser überwallt, als von der Altbäuerin damals befürchtet. Dennoch hatten sich inzwischen Baumchirurgen der Krone angenommen, hatten sie mit einem Stahlseil verspannt und auch einige vermorschende Äste gekappt. 

Auch im jüngsten, 2022 erschienenen Baumbuch Baumschätze Baden-Württembergs*4 wird sie noch beschrieben und in grün belaubtem Zustand fotografiert. „Die früher einmal riesige Krone“, schränkt der Verfasser, Jürgen Blümle, allerdings ein, „ist heute sehr stark reduziert, denn der alte Hofbaum kämpft ums Überleben.“ Doch er kann jetzt auch auf ein Deutsches Baumarchiv verweisen, dem der Baum, bei einem geschätzten Alter von 300 – 350 Jahren, als älteste Esche Deutschlands gilt.

Zu Lebzeiten Ludwig Kleins befand sich die allerstärkste lebende Esche Badens allerdings nicht im Hochschwarzwald, sondern im F.F. Schlossgarten zu Donaueschingen. Er scheint sie selbst nicht vor Ort aufgesucht und bewundert zu haben, sondern musste dazu als Gewährsmann den Gartenbaudirektor Berndt zitieren: „Der etwa 250 – 300 Jahre alte, knorrige Baum hat 1,25 m über dem Boden einen Stammumfang von rund 5 m. Über dieser Höhe sind stark ausladende Wülste und über diesen beginnt die Teilung in verschiedene baumstarke Äste, zwischen und über denen eine Holzgalerie eingebaut ist.“ 1922, anlässlich der ersten Donaueschinger Musiktage, inspirierte der Baum den Komponisten Richard Strauß dazu, am Serenadenabend auf der beleuchteten Altane Mozarts Kleine Nachtmusik spielen zu lassen; seitdem trug der Baum den Namen „Richard-Strauß-Esche“. Letztmals wurde sie 1949 beschrieben, nun mit einem Stammumfang von 11,79 m. Mit seiner asphaltierten Empore, die über eine gewundene Treppe bestiegen werden konnte, soll der Baum mit seiner altersgrauen furchigen Rinde mehr und mehr einem Elefanten geglichen haben, weshalb er im Volksmund zuletzt auch schlicht „Elefantenbaum“ genannt wurde. Seine sterblichen Überreste sollen in den frühen 1960er Jahren aus Verkehrssicherungsgründen endgültig beseitigt worden sein.

Eine Kleine Nachtmusik auf der Richard-Strauß-Esche im F.F. Schlosspark 1921

Auch an weiteren beeindruckend starken und höchst vitalen Eschen sollte es im Quellenlandkreis (mit seinen zahlreichen Orts- und Bachnamen, in denen an die Baumart erinnert wird wie Escheck, Eschbach, Ober- oder Niedereschach und selbst in Donau-eschingen) aber auch weiterhin nicht fehlen*5, ob im Unterhölzer Wald oder auf dem Wartenberg. Im Spätfrostklima der Baar kommt ihnen zupass, dass sie im Frühjahr erst sehr spät auszutreiben pflegen. Die unstreitig prächtigste Hofesche mit einem Brusthöhenumfang von 6, 30 steht bislang hart an der Hocheinfahrt des Burgbacherhofs am Brogen auf Gemarkung Buchenberg. Wie alle Hofeschen dürfte auch sie einst „geschneitelt“, das Eschenlaub vor allem in Notzeiten als Viehfutter verwendet worden sein – eine uralte Nutzungsform, die bis in die Bronzezeit zurückreicht.

Doch seit dem 3. November 2023 scheint auch ihr Schicksal besiegelt zu sein: der Hof ist einem Brand zum Opfer gefallen. Weit über die Hälfte der gewaltigen Eschenkrone ist dabei so massiv beschädigt worden, dass ein neuerliches Austreiben kaum mehr vorstellbar ist – selbst bei dieser für ihre Überlebensfähigkeit durch immer neue Stockausschläge und Überwallungen, auch durch ihre tiefe Verwurzelung so unverwüstlichen Baumart. Oder sollte etwa Ludwig Kleins Beispiel von jener Esche aus Rötenbach, die ihre Brandverletzungen einfach überwallt hatte, am Ende doch noch einen Hoffnungsfunken weiterglimmen lassen? Die Brandruine auf dem Brogen mit der versengten Esche neben der Hofeinfahrt – ein Fanal auch für ihr Schicksal in ganz Europa?

Wird die Hofesche den Brand überleben?
Burgbacherhof am 4. 11. 2023
Esche am 27. 10. 2024
Esche am 27. 10. 2024
Esche am 11. Juli 2025
und am 11. Juli 2025


Am Ende ist wohl doch kein Nachruf fällig: Der Burgbacherhof ist wiedererstanden und seine Esche scheint überlebt zu haben. Oder wird sie das Eschentriebsterben doch noch einholen?


 *1Schwäbisches Baumbuch. Hsg. Kgl. Württ. Forstdirektion. Verl. von Strecker & Schröder, Stuttgart 1011.
*2 Klein, L.: Bemerkenswerte Bäume im Großherzogtum Baden. Heidelberg 1908.
*3 Hockenjos, W.: Begegnung mit Bäumen. DRW-Verl. Stuttgart 1978.
*4 Blümle, J.: Baumschätze. Oertel & Spörer Verlags GmbH Reutlingen, 2. aktualisierte Aufl. 2023.
*5 Hockenjos, W.: Die Esche – eine verlorene Baumart? In: Schwarzwald-Baar Jahrbuch 2017 S. 254 ff.

Das Ende der Max-Eiche

Was mag wohl dazu geführt haben, dass eine mehrhundertjährige Eiche mit einem Mal umfällt – ohne nennenswertes Sturmgeschehen und ohne Schneelast? Wo uns die Eiche (Quercus robur) doch als Inbegriff von Robustheit und Standfestigkeit gilt. Nun hat es also auch die Max-Eiche getroffen, wie der Schwarzwälder Bote am 27. September berichtet, die Max Prinz zu Fürstenberg (1896 – 1959) geweihte Starkeiche am Südrand der Königswiese; ihr Wurzelbereich sei „total verfault“ gewesen. Auf die Prominenz dieser Eiche hatte bis vor etlichen Jahren ein am Stamm befestigtes hölzernes Halbrelief mit den Lebensdaten  des Prinzen und mit dem heiligen Maximilian (samt Bischofsstab und Schwert) hingewiesen. Es war freilich nicht entwendet worden (wie fälschlicherweise im Buch Unterhölzer. Liebeserklärung an einen alten Wald erwähnt wird), vielmehr hatte es ein aufmerksamer Waldbesucher am Stammfuß aufgelesen und in den FF-Sammlungen abgeliefert.

Max-Eiche (noch mit hölzernem Halbrelief)
Max-Eiche (noch mit hölzernem Halbrelief)

Eichen wurzeln bekanntlich besonders tief, weshalb die Baumart auch als vergleichsweise widerstandsfähig gegen Trockenheit gilt. Dem Stress der Hitzejahre 2018 bis 2023 scheinen manche jedoch nicht gewachsen gewesen zu sein, speziell auf den zu Stein verbackenen Tonlehm-Standorten des Braunjuras, weshalb es an der Königswiese nicht nur die Max-Eiche getroffen hat: Auch eine zweite Alteiche, diesmal am Nordrand der Königswiese, war ohne Vorankündigung im Spätjahr 2023 einfach umgekippt; auch ihre Wurzeln waren großteils verfault; nichts in ihrer Krone, kein Dürrast und auch kein Baumschwamm hatte auf eine Schwächung hingedeutet. Vieles erscheint daher noch immer rätselhaft an ihrem plötzlichen Ende. Doch fraglos wäre es ein schlimmer Verlust für die Region, wenn es um die prachtvollen Gestalten des Unterhölzers, aus diesem „Zauberreich wie aus Grimms Märchen mit uralten knorrigen Eichen und Buchen“ (K. Kwasnitschka), im Zuge des Klimawandels bald vollends geschehen wäre. „HL Maximilian“, so las es sich auf der hölzernen Tafel zum Andenken an Max Prinz zu Fürstenberg, „bitt für uns“.

Abgefaulte Eichenwurzeln am Nordrand der Königswiese
Abgefaulte Eichenwurzeln am Nordrand der Königswiese

Kadaververjüngung: eine fotografische Begleitung

überarbeiteter Artikel, Original vom 1. März 2022

Was für ein unfeiner, hässlicher Fachausdruck: Kadaververjüngung – wie wär´s stattdessen mit Totholz- oder Moderholzverjüngung? Gemeint ist die speziell von Fichten bevorzugte Art, sich auf vermoderndem Holz anzusamen. Was einerseits zwar mit dem Risiko unzureichender Wasser- und Nährstoffversorgung behaftet ist, für die Verbreitung aber auch Vorteile verspricht: In erhöhter Position lassen sich allfällige Keimungsprobleme auf vergrasten oder allzu steinigen und verdichteten Waldböden besser aussitzen und auch dem Wildverbiss besser trotzen – in naturnahen Bergfichtenwäldern ein verbreitetes Erfolgsrezept. Aber durchaus nicht nur dort: Als ich in den Jahren 2011 – 2018 den Stoff sammelte für meinen Bildtextband Unterhölzer. Liebeserklärung an einen alten Wald (2018), traf ich in diesem frühen Naturschutzgebiet, dem einstigen Wildpark der Fürsten zu Fürstenberg, auf eine Vielzahl von faszinierenden Beispielen, wie Fichtenjugend auf den Trümmern uralter Eichen und Buchen, ob stehend oder liegend, ihr passendes Keimbett gefunden hatte – und sich nun beeilte, den Laubwald zu unterwandern. 

Gelungene Kadaververjüngung auf einem vermorschenden Buchenstamm

Bei meinen zahlreichen Begängen mit geschulterter Nikon (von denen ich nur selten ganz ohne Ausbeute nachhause kam) hatte unweit des Waldeingangs schon bald ein Stumpen meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt: Offenbar war hier vor Jahren eine starke Fichte auf nicht eben fachmännische Weise fast in Brusthöhe umgesägt worden. Oder hatte sie vielleicht der Sturm entwurzelt, und man hatte sie sicherheitshalber etwas höher am Stamm vom Wurzelteller getrennt, ehe der wieder zurück geklappt war? Im Mulm der allmählich bemoosten und vermodernden Schnittfläche hatten sich jedenfalls drei Fichtlein eingefunden. Die schienen hier prächtig zu gedeihen, wurden sie doch nicht, wie andernorts ihre „bodenbürtigen“ Altersgenossen, von den allzu vielen Damwild-Äsern vernascht und zurechtgestutzt.

Erstmals im Jahr 2011 hatte ich das kleine Idyll entdeckt und fotografiert. Ließ sich denn ein anschaulicheres Bild dafür finden, wie Jugend erfolgreich auf den Schultern der Elterngeneration Fuß fasst, um dann durchstarten zu können? Ich beschloss, das so symbolträchtige Ensemble mit der Kamera weiter zu begleiten, war ich doch neugierig geworden, ob die Fichten es wirklich schaffen würden auf ihrem hohen Klotz. Würden die zarten Würzelchen aus ihm ausreichend Nährstoffe und Wasser beziehen, um zu überleben? Und würden sie, kräftiger geworden, rasch genug den Waldboden erreichen, ehe der Stumpen vollends verrottet wäre? Würden daraus dann womöglich mangrovenartige Stelzenwurzler entstehen, wie sie bisweilen ja auch in extensiv bewirtschaften Bergfichtenwäldern zu bewundern sind?

Der Stumpen, entdeckt im Sommer 2011.

Wenig verändert im November 2013

Im Winter 2015 ist erstmals ein Stück herausgebrochen. War der Schwarzspecht am Werk?

Im Sommer 2016 hat sich der Prozess fortgesetzt…

… erst recht bis zum Februar 2017, doch scheint es den jungen Fichten noch immer an nichts zu fehlen auf ihrem Hochsitz.

Lebensrettende Verwurzelung (Stand 2017)

Doch im Spätjahr 2020 ist eine der Fichten bereits abgestorben – der Stumpen zerfällt derweil weiter.

Die kleine Idylle zeigte sich dem Fotografen später in ziemlich desolater Verfassung. Die Fichten sind seitlich weggekippt, und nur die kräftigste ist noch grün benadelt. Ihr als einziger war es bereits 2017 gelungen, mit einer ihrer Wurzeln den rettenden Waldboden zu erreichen, und nun kämpft sie ums Überleben:

Im Februar 2021 wird es bedrohlich für die Fichten.

Ein Jahr später, am 23. Februar 2022, ist es vollends um den Stumpen geschehen.

Nach 12 Jahren trotz Hitzerekorden doch noch die Kurve gekriegt? (Stand 19. 9. 2023)

Ihr Stämmchen beginnt, sich vorsichtig bereits nach oben zu krümmen, und sollte sie es nächstens tatsächlich wieder in die Lotrechte geschafft haben, wird aus ihr wohl ein (in den Augen des Waldbesitzers und Verwerters) ziemlich missgestalteter, säbelwüchsiger Baum werden. Im Wirtschaftswald wäre Derlei wohl alsbald auszumustern, denn das Wirtschaftsziel sieht nun einmal kerzengerade, astarme und möglichst wertholztaugliche Stämme vor. Ob er im Naturschutzgebiet Unterhölzer zu tolerieren sein wird und alt werden darf? Dann, immerhin, hätte sich die Kadaververjüngung für ihn schließlich doch noch ausgezahlt. 

Am 26. November 2024

Am 8. September 2025.
Die letzte überlebende Jungfichte ist noch immer grün benadelt, doch ihre Verwurzelung ist leider wohl doch nicht ausreichend. Bin gespannt, ob sie überleben wird.

Der vorerst letzte Besuch bei meinem Motiv fand am 8. September 2025 statt, das Datum ist digital verbürgt auf dem Foto. Es zeigt den weiter fortschreitenden Zerfall des Stumpens, die letzte Überlebende der drei jungen Fichten hat offensichtlich überstanden: die Benadelung zeigt sich grün und das Stämmchen krümmt sich noch deutlich nach oben. Schade: man müsste die Begleitung mit der Kamera (die nun wohl doch keine Sterbebegleitung war) eigentlich noch über ein paar Jahrzehnte fortsetzen dürfen. Wer weiß – womöglich startet die Überlebende hier ja soeben ihre Karriere als Harfenfichte. Gerade so, wie sie sich vereinzelt noch in den Baumbüchern finden lassen, die um die vorletzte Jahrhundertwende Mode geworden waren: als Naturdenkmal mit horizontalem Erdstamm und mehreren lotrechten Wipfeln – ein neues Schmuckstück für das Naturschutzgebiet Unterhölzer.

Harfenfichte aus Ludwig Klein: Bemerkenswerte Bäume im Großherzogtum Bade. (1908)

Vom 22. September 2023: Freudig gestimmt und voller Zuversicht treffe ich nach diesem jüngsten Waldbesuch zuhause ein – und schalte wie gewohnt die Mittagsnachrichten ein: Als Topmeldung wird diesmal ein Angriff aserbaidschanischer Truppen auf die im kaukasischen Bergkarabach lebenden Armenier serviert. Strategisch geschickt, heißt es, wo doch Armeniens bisherige (russische) Schutzmacht noch immer durch ihre „Spezialoperation“ in der Ukraine abgelenkt wird – in einem Krieg, der in Putins Reich bei Strafe noch immer nicht als solcher bezeichnet werden darf. Egal: Kriegstote,  gleich welcher Seite und in welchem Verwesungszustand als Kadaver zu bezeichnen, verbietet die Pietät. 

Verzichten wir jetzt endlich doch auch im Fachjargon der Förster auf  Kadaver, belassen wir es im Wald – der schlimmen Assoziationen wegen – beim wundersamen Phänomen der Moderholzverjüngung

Mit Anselm und Karl Ove im Park

Originalversion war am 2. Januar 2024

Donaueschingens berühmtester Sohn, Anselm Kiefer, ein Weltstar unter den Malern der Gegenwart, scheint sich schwer zu tun mit seiner Geburtsstadt: Kurz vor Kriegsende (am 8. März 1945) hier geboren und fünf Jahre lang bei seinen Großeltern aufgewachsen, lässt er sich bislang nicht erweichen, sich zur Baar zu bekennen – so sehr die Stadt seit Jahrzehnten darum buhlt und mit ihm zu flirten bemüht ist. Zuletzt im Juli 2022 hatte ihn eine Donaueschinger Delegation in seinem Pariser Atelier aufgesucht, wie der Südkurier berichtete. Doch zu recht viel mehr als zu einem Pressefoto zusammen mit dem gefeierten Künstler scheint es wieder nicht gereicht zu haben.

Wie gut, dass da an Weihnachten nicht nur Wim Wenders seinen Film über Anselm Kiefer („Ein Maler wie kein anderer“) in die Kinos brachte, sondern dass auch das neue Buch von Karl Ove Knausgård auf dem Gabentisch lag, des vielfach preisgekrönten norwegischen Weltstars unter den Literaten. Sein Titel: Der Wald und der Fluss. Über Anselm Kiefer und seine Kunst (Luchterhand-Verl.). Dem Maler mit seinen ebenso großflächigen wie düsteren Werken war der norwegische Schriftsteller seit Jahren schon auf der Fährte – in der Hoffnung, dessen Kunst und Persönlichkeit zu ergründen. Er hatte ihn bereits in seinen Ateliers in Paris wie in Barjac in den Cevennen besucht, war ihm zu mehreren Ausstellungen gefolgt und schließlich auch zu dessen Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Albert-Ludwig-Universität nach Freiburg gereist, wo Kiefer einst Jura studiert hatte. Da lag es nah, dass man bei dieser Gelegenheit auch noch der Einladung des Donaueschinger Fürstenhauses nachkam und in schwarzer Mercedes-Limousine (weil der Hubschrauberflug wegen des Nebels nicht möglich war) durch den winterlichen Schwarzwald auf die Baar fuhr. Schon früh glaubte Knausgård erkannt zu haben, dass der (Schwarz-)Wald und der Fluss (die Donau) aus Kiefers Donaueschinger Kindheit neben der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bis heute in seine monströsen Kunstwerke hineinwirken. 

Zum nachmittäglichen Kaffee fand man sich im Schloss ein, wo die fürstliche Familie sich lebhaft um die prominenten Gäste bemühte, ja man bot dem berühmtesten Sohn der Stadt sogar Gelände (60 Hektar) für ein weiters Atelier an, zu jenem in Barjac (50 Hektar) und zur Werkshalle in Paris hinzu. Nach der Schlossführung und vor dem Besuch der Sammlungen besichtigte man selbstverständlich auch die Donauquelle. Als Vierundzwanzigjähriger hatte Kiefer sie in Karlsruhe auf der Vorderseite seines Ausschnittsbuchs gestaltet, berichtet Karl Ove Knausgårdd: Im Buch gab es dann Fotos von einer alten, mit Wasser gefüllten Badewanne, eines alten, schnurzigen Spülbeckens voller Wasser, vermutlich aus seiner eigenen Wohnung.


Entsprang die Donau tatsächlich hier?

Der große deutsche Dichter Hölderlin hatte über die Donau geschrieben, er nannte den Fluss bei seinem uralten Namen Ister und ließ ihn in die griechische Mythologie strömen. Heidegger hatte eine Vorlesungsreihe über das Gedicht und den Fluss gehalten, 1942, als die Nacht im Menschlichen am tiefsten und er selbst nicht ohne Anteil daran war.

Die schwarze Wasserfläche da unten reflektierte wabernd den Himmel über uns. Kiefer sagte nichts über die Bedeutung der Quelle, weder über die mythologische, die historische oder künstlerische, noch über die persönliche, und ein paar Minuten später verließen wir das Schlossgelände und gingen die Hügel zum Museum hinauf.


Dort wunderte sich der Schriftsteller über all die „Hirschköpfe mit großen Geweihen“ und über „ein langes schmales Fresko mit Jagdszenen, auf dem die Menschen und die Tiere, die sie töteten, eng ineinander verschlungen waren“. Und so lässt er Maximiliane die Sicht der Einheimischen erläutern: „Die Straße hinauf wurden die Tiere gesammelt, die man im Wald getötet hatte. Sie wurden abgebalgt, und da oben fand die Auktion statt. Damals waren Felle wichtig.“ Woraufhin Knausgård sich fragt, wie es möglich war, in einen solchen Zustand zu geraten, in dem sich alles darum drehte, Leben enden zu lassen, in dem sämtliche Gedanken und Grenzen aufhören. Das muss der Grund gewesen sein, dass die vielen Tierbilder, Tierstatuen, Hirschköpfe und Jagdszenen, die ich an diesem Tag gesehen hatte, mich mit einem vagen Gefühl von etwas Unheimlichem erfüllten, dachte ich. Das war der Wald.

Nach dem Besuch der Sammlungen („einer Art Raritätenkabinett“), aus dem von Christian auch noch allerlei Mitbringsel für Kiefer abgezweigt wurden, spazierte man an der Brigach entlang durch den Park, wo man sich von der Fürstenfamilie verabschiedete – so herzlich, dass Knausgård sich zur Frage an Kiefer veranlasst sieht: : „Haben Sie wirklich Lust, wieder hierher zu ziehen?“ Was dieser jedoch entschieden verneint, wo er hier doch nur die Fürstenfamilie kenne, während er in Paris Philosophen, Dichtern und Kollegen begegne.


Doch dann wird es doch noch heiter, ja, intim: 

Der viele Kaffee, den ich im Schloss getrunken hatte, führte dazu, dass ich auf die Toilette musste, und als wir unsren Weg zu dem Tor am andern Ende des Parks fortsetzten, überlegte ich, ob es möglich wäre, hinter eines der Gebüsche zu gehen und zu pinkeln, verwarf den Gedanken jedoch, als ich die Situation vor mir sah. Kiefer und Forelli [die Managerin], wie sie herumstanden und auf mich warteten, ein wenig verlegen angesichts der plätschernden Geräusche, die von mir zu ihnen drangen, und vielleicht auch peinlich berührt über das Unhöfliche der Aktion.

Doch dann verließ Kiefer plötzlich den Weg und ging über die schneebedeckte Erde, wo er hinter einem Strauch verschwand, so dass ich ihm erleichtert folgen und mich hinter einen anderen stellen konnte.

Wie zwei Hunde kamen wir eine Minute später hinter unseren Büschen hervor, wo die Schneedecke nun von gelben Löchern perforiert war, stapften durch den Schnee zum Weg zurück und schlüpften wieder in unsere Rollen.

Zuguterletzt erreichte man auch noch, vorbei am Bahnhof (Kiefer lachend: „Man sollte nicht meinen, dass das ein Bahnhof ist!“), das Haus, klein und anonym, weiß gestrichen und viereckig, in dem der Maler seine Kindheit verbracht hatte: Es sah aus wie irgendein beliebiges Haus aus den fünfziger Jahren in einer beliebigen europäischen Stadt.

Dann beeilte man sich, zum Donaueschinger Flughafen zu gelangen, stieg in den dort auf sie wartenden noblen Jet, um bei Sonnenuntergang in Paris zu landen. Noch am nämlichen Abend hatte Kiefer mit seinen polnischen Arbeitern „eine große Skulptur für das Rockefeller Center anzufertigen“, sieben Meter breit, weshalb sie sehr sorgfältig konstruiert werden müsse. „Ein Modell, das halb so groß ist, habe ich bereits fertiggestellt.“ Kein Wunder, dass der Künstler, wie er bekannte, nach einem neuen Atelier suchte, das einen Kilometer lang sein solle. Seine Begierde nach Raum schien unersättlich zu sein. Seine Begierde zu arbeiten ebenso.

Ob da DER WALD UND DER FLUSS, der Schwarzwald und die Donau, noch eine tragende Rolle dabei spielen werden?

Kriegstüchtiges Erscheinungsbild


Aber das Heer war mehr als das Heer: Es war der marschierende Wald.
(Elias Canetti: Masse und Macht, Hamburg 1960)

Ein Baumstumpf über Weinbergen


Es war nicht erst die Militärparade zum 80. Jahrestag des Weltkriegsendes auf dem Pekinger Tiananmen-Platz, dem so berüchtigten „Platz des Himmlischen Friedens“, die mich das obige Foto erneut hervorholen und staunend betrachten ließ. Schon beim ersten Durchblättern der AFZ-DerWald vom 02. 08. 2025 bin ich darüber ins Stolpern geraten. Stammt es doch aus einem Beitrag über erfolgreichen naturnahen Waldbau, verfasst von Martin Beck unter dem Titel Zukunft aus Tradition – Freiherr von Fürstenberg´sche Forstverwaltung. Die bewirtschaftet, so verrät schon der Untertitel, seit einem Jahrhundert zwei ausgedehnte Waldreviere im Sauerland: „Inmitten klimatischer Herausforderungen und ökologischer Ansprüche verfolgt Lucas Freiherr von Fürstenberg einen klaren Kurs: naturnah, unternehmerisch, innovativ – mit Blick auf Generationen.“ Die Bildunterschrift des Fotos lautet: „Nach Kyrill wurden unter anderem Douglasien im Weitverband 3×10 m gepflanzt. Außerdem wird auf Naturverjüngung gesetzt.“

Doch wie soll das bloß zusammenpassen: die grob gerasterte Großfläche einer Douglasien-Monokultur, in meiner von Putins und Netanyahus Kriegen verdorbenen Vorstellungswelt einer auf Kommando Stillgestanden! gestoppten Militärparade nicht unähnlich, dazu im Bildvordergrund der wie von Granaten zerfetzte Fichtenstrunk und beides konnotiert mit dem Begriff „Naturverjüngung“? Wie hat man sich die im Sauerland bloß vorzustellen? Und wie reagieren die Sauerländer wohl auf derlei Wald- und Landschaftsbilder?

„Zwischen Altbeständen, Kalamitätsflächen und klimaresilienten Mischwäldern“, so fährt Martin Beck lobend fort, liege der Weg, den Lucas Freiherr von Fürstenberg konsequent gehe: „Der studierte Kaufmann, heute engagierter Forstmann und ANW-Mitglied, führt den traditionsreichen Familienbetrieb in dritter Generation – mit unternehmerischem Gespür und forstlichem Sachverstand.“ Für den Quereinsteiger, der sich mit Leidenschaft nicht nur im Betrieb und in der regionalen Forstwirtschaft, sondern auch in der ANW engagiere, sei die naturnahe Waldwirtschaft nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll, wobei er einen sehr nüchternen Ansatz und in der ANW vor allem auch die Eigentümerinteressen verfolge. Der Betrieb sei häufig Gastgeber von Exkursionen aus der ANW und von Hochschulen. Sogar mit der Weißtanne, dem ANW-Lieblingsbaum, mit heimischen wie mit rumänischen Herkünften, werde experimentiert, wovon im Beitrag das Foto eines 10jährigen Tannenhorstes unter einem Fichten-Altholz Zeugnis ablegt.

Damit die Ökonomie stimmt, müssen freilich doch auch noch ein paar weitere Geschäftsmodelle erprobt werden: „Windkraft im Anlauf – mühsam, aber notwenig“, so überschreibt der Autor (der sich im Nachspann dem Leser vorstellt als selbstständiger Unternehmensberater und -sanierer, als Aufsichtsrat und Vorsitzender von gemeinnützigen Organisationen, als Hochschullehrer mit eigenem Waldbesitz in Baden-Württemberg und Thüringen) eine der verheißungsvollsten Bemühungen des Betriebs: Gemeinsam mit Projektierern werde seit Jahren der Einstieg in die Nutzung von Windkraft vorbereitet, was allerdings ein mühsamer Prozess mit vielen Hindernissen sei, die nicht alle nachvollziehbar seien. Jetzt aber scheine das Projekt zum Laufen zu kommen. Windgeneigte Standorte gäbe es in den beiden Revieren jedenfalls genügend, soweit dem der Regionalplan nicht entgegensteht.

Oder soll damit womöglich auch noch Gegenwind aus einer ganz anderen Ecke gemeint sein: ausgerechnet vom prominentesten Sauerländer, dem mit Sitz in Berlin, der vor lauter Staatsschulden die Windenergie nur halbherzig zu fördern bereit zu sein scheint?

Kurz: Naturnähe, gar den von der ANW seit einem halben Jahrhundert so vehement propagierten naturgemäßen Dauerwaldbetrieb habe ich mir irgendwie anders vorgestellt. Auch wenn ich diesbezüglich im Donaueschinger Ruhestand – im Dunstkreis des fichtenlastigen (mit seinen Maschinengassen im 20 Meter-Abstand im Drohnenbild gleichfalls grob gerastert erscheinenden) Fürstlich fürstenbergischen Großprivatwalds – nicht übermäßig verwöhnt werde. Ob Freiherr oder Fürst: Könnte es sein, dass ich da seit der „Zeitenwende“ etwas verpasst habe – dass jetzt auch der nach ANW-Kriterien bewirtschaftete Wald „kriegstüchtig“ erscheinen darf? Dass auch noch so großflächig strammstehende Monokulturen anstandslos als naturnah deklariert werden dürfen? Elias Canetti hat es anno 1960 mit seinem „marschierenden Wald“ wohl doch schon auf den Punkt gebracht.

Zivilisatorischer Fortschritt oder Krampf?

Der Fischbacher Mohren

Es ging spazieren vor dem Tor
Ein kohlpechrabenschwarzer Mohr…

Wilhelm Busch: Die Geschichte von den schwarzen Buben. In: Der Struwwelpeter. 1844. Verl. Literarische Anstalt Rütten & Loening, Frankfurt am Main 1917.

Keine deutsche Nachrichtensendung, keine Tageszeitung durfte gegen Ende des Sommerlochs 2025 auf diese Meldung verzichten: Die Berliner Straße und U-Bahnstation Mohrenstraße wurde nach langjährigen Auseinandersetzungen in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt; zuletzt war damit sogar das Berliner Oberverwaltungsgericht noch auf Trab gehalten worden. Es wirke dies wie eine krampfhafte historische Verrenkung, meinte dazu etwa die Süddeutsche Zeitung (v. 25. August 2025), wo doch der Namensgeber, erster afrodeutscher Akademiker (1756 – 1784), der in Halle und Jena Philosophie gelehrt hatte, so gut wie nichts mit Berlin zu tun habe. Zuvor schon hatten Aktivisten mit Pinsel, Farbe oder Aufklebern aus der Mohren- eine Möhrenstraße gemacht.

Foto: Internet rbb24

Ob jetzt auch die deutschlandweit über einhundert im Netz aufgeführten Mohrenapotheken umbenannt werden müssen – soweit man sich dort nicht schon längst um einen neuen Namen bemüht hat? Zumal, wenn überm Eingang womöglich noch halbnackte dunkelhäutige Figuren getanzt haben, im Blätterrock oder in Pluderhosen und mit Speeren bewaffnet. Die abendländische Medizin habe halt einst viel vom Wissen der arabischen Besatzer Spaniens profitiert, so lautet ein akademischer Erklärungsversuch.

Nahegelegt wird neuerdings ja auch Melchior, dem Schwarzafrikaner unter den drei Königen, sich fortan das Gesicht nicht mehr zu schwärzen? K+M+B sind sich mittlerweile zum Verwechseln ähnlich, wenn sie um Dreikönig herum ihre Runde machen. Was soll´s, wo doch auch Winnetou zwar noch Apache, doch kein Indianer mehr sein darf. Muss nächstens auch der Name Moritz getilgt werden, der doch wohl von Mauritius abstammt, dem dunkelhäutigen Schutzheiligen der Infanterie, der Messer- und Waffenschmiede? Muss demnach auch Wilhelm Buschs Max und Moritz – Eine Bubengeschichte in sieben Streichen von 1865 überarbeitet werden? People of Color, mögen ihre Bezeichnungen auch seit Jahrhunderten eingedeutscht sein und jedweder rassistischen Untertöne unverdächtig erscheinen, sollen es künftig besser haben bei uns – so die Devise.

Und was passiert mit den (in Süddeutschland gar nicht so seltenen) Gasthäusern zum Mohren? Wie waren sie denn überhaupt zu diesem inzwischen als spätkolonialistisch und rassistisch gedeuteten Namen gekommen? Nehmen wir uns dazu den Mohren in Fischbach vor, in der Teilgemeinde von Niedereschach, einen der bekanntesten Gasthöfe im Hintervillinger Raum, nebst dem Sinkinger Taubenmarkt bis unlängst noch der wichtigste Anziehungspunkt. Noch gibt es ihn, leider jedoch mit stark reduzierter Küche, und nach Schließungen aufgrund einer Insolvenz bekommt man immerhin noch sein Bier am Stammtisch, sofern nicht gerade Betriebsferien herrschen. Sollte der gastronomische Niedergang womöglich nicht nur mit den branchenüblichen Personalproblemen, sondern auch mit der neuempfundenen Anstößigkeit des Wirtshausnamens zu tun haben?

Der Fischbacher Mohren

Ein solcher Verdacht hat bereits vor Jahren (am 4. 10. 2022) einen Journalisten der Schwäbischen Zeitung inspiriert, geäußert in seinem Beitrag aus Anlass der Wiedereröffnung des Hauses:

Die Herkunft des Namens „Zum Mohren“, der aktuell bekanntlich nicht unumstritten ist, den manche als rassistisch ansehen und deshalb ablehnen, kann nicht eindeutig belegt werden. Eine andere, gleichnamige Gaststätte in Hechingen etwa, änderte im August ihren Namen.
Forschungen sollen jedoch ergeben haben, dass es Unterkünfte mit diesem Namen fast nur entlang der alten Römerstraße Via Claudia Augusta gab und gibt. Fürsten und ihre dunkelhäutigen Bediensteten sowie allerlei Pilger reisten häufig über diese wichtige Handelsstraße, die Süddeutschland und Italien verband, und kehrten in sogenannten Hospizen ein. Man vermutet, dass der Name „Zum Mohren“ von diesen Gästen stammt.

Eine recht abenteuerliche These, wo Fischbach doch wohl nie an einer „wichtigen Handelsstraße“ aus Römerzeiten lag, auch wenn unweit des Dorfs immerhin die Grundmauern einer villa rustica und die Ruine eines Römerbads ausgegraben wurden. Sollten etwa auch hier „dunkelhäutige Bedienstete“ mitgemischt haben?

Villa rustica bei Fischbach-Sinkingen

mit restauriertem Römerbad   

Freilich bietet sich auch eine sehr viel näher liegende Erklärung an: Man denke an die im Süddeutschen weit verbreiteten Wirtshausnamen zum Ochsen oder zum Hirschen. Denn im bäuerlichen Schwarzwald hieß das weibliche Hausschwein, die Muttersau, seltsamerweise Mohr – wer oder was wollte einen Schwarzwälder also daran hindern, seinen Gasthof zum Mohren zu nennen, wo sich da dem Gast doch sogleich die Assoziationen Schweinebraten oder -schnitzel aufdrängten, so wie bei der Konkurrenz Ochsenmaulsalat oder Hirschragout?

Doch was helfen derlei Erklärungsversuche, wenn die Menschheit immer vehementer dazu neigt, historisch Gewachsenes umzudeuten und  umzudeklarieren. Hoffen wir zugunsten der Fischbacher wie der gesamten Region, dass der vormals so berühmte Landgasthof zum Mohren auch unter seinem alteingeführten Namen nicht vollends schließen muss.

In Wilhelm Buschs Struwwelpeter werden die drei vorlauten Buben, die den Schwarzen zu verspotten wagten, vom Nikolaus zur Strafe ins Tintenfass getaucht. Rassismus jedenfalls scheint dem Dichter damals fern gelegen zu haben. Übertreiben wir´s da heute nicht doch ein bisschen – vor lauter political correctness

Du siehst sie hier, wie schwarz sie sind,
Viel schwärzer als das Mohrenkind!
Der Mohr voraus im Sonnenschein,
Die Tintenbuben hinterdrein;
Und hätten sie nicht so gelacht,
Hätt‘ Niklas sie nicht schwarz gemacht.