Villa Rustica in Deggenreuschen

Ruinenweg in Deggenreuschen
Ruinenweg in Deggenreuschen

In Akte über die Erstellung der Anlage am Rotrain ist viel von den römischen Altertümern die Rede. Allerdings wussten die Hüfinger damals noch nichts von der Villa Rusica, die Prof. Dr. Paul Revellio (aus einer Hüfinger Familie) 1913 ausgegraben hatte. Man kann aber sicher sein, dass Dr. Paul Revellio viel über die Anlage am Rotrain und auch das Deggenreuschen Elseli wusste. Die Hüfinger „Mutter Courage“ hatte hier Zuflucht gesucht, nachdem sie vor dem Württembergischen Militär während des „Hüfinger Blutbades“ am 15. Oktober 1632 geflüchtet war. Dort soll sie sogar das Badezimmers genutzt haben. Das Deggenreuschen Elseli ist heute noch im Wald und lacht von oben aus dem Bäumen die dummen Menschen aus.

Alles was an die Ausgrabungen von 1913 erinnert ist ein einsames Schild mit der Aufschrift „Ruinenweg“. Ich vermute, dass die Funde heute in Freiburg irgendwo in einem Archiv schlummern. Von der ausgegrabenen Villa ist nicht mehr viel zu sehen. Nicht mal ein Schild weist auf die Ruine hin.
Unten die Artikel von Prof. Dr. Paus Revellio hierzu, von denen ich am 29. September 2020 Teile veröffentlicht hatte.

Dr. Paul Revellio 1921(*1+2)

Im Jahre 1903 stießen Waldarbeiter beim Suchen nach Steinen am Südostrand des Deggenreuschenwaldes auf Mauerwerk. W Rieger stellte fest, daß es sich um die Trümmer einer villa rustica handeln müsse und legte auch bereis einen Raum der Anlage frei. Seine Grabungen wurden sehr erschwert durch den Hochwald, der den Platz der Villa damals bedeckte, und deshalb aufgegeben. Inzwischen ist der Wald gefällt und bald darauf der Platz von neuem bepflanzt worden, so daß, wenn jetzt die Untersuchung nicht vollständig durchgeführt wurde, in absehbarer Zeit ganz darauf verzichtet werden mußte. So hat denn der Gemeinderat der Stadt Hüfingen auf meine Anregung hin die nötigen Mittel für die Grabungen bereit gestellt. Diese fanden im August und September 1913 statt.

Vila rustica Hüfingen gezeichnet von Dr. Paul Revellio 1913 (2)
Vila rustica Hüfingen gezeichnet von Dr. Paul Revellio 1913 (2)

Auf halber Höhe eines sanften Hanges gelegen die Front nach Südosten gerichtet, so daß Morgen- und frühe Mittagssonne ungehindert Zutritt hatten, gewährte die Villa einen weiten Blick hinüber zur Länge und zum Wartenberg und war durch den überhängenden Hang doch geschützt gegen die kalten Nordwinde. Dazu ist in nächster Nähe eine Quelle.

Von Einzelfunden wäre zu erwähnen: 2 Fibeln, 6 Münzen: eine keltische, eine von Vespasian, zwei von Trajan, eine von Valerian dem jüngeren und eine des Tetricus , eine Schnalle, und Zierbleche aus Bronze, eine Kuhglocke, Türbänder aus Eisen, Schiebeschlüssel, Scherben von terra sigillata sowohl verzierte, wie unverzierte Ware und gewöhnliches Geschirr.

Dr. Paul Revellio 1921 (*2):

Um einen quadratischen Hof gruppieren sich Wohn- und Wirtschaftsräume. Die Schauseite des Gehöftes zeigt eine Querhalle flankiert von zwei Ecktürmen. Hier und an der sonnigen Süd- und Südwestseite liegen die Wohnräume, darunter meistens eine kleines Badezimmer mit Hypokaustenheizung.

Badezimmer der villa rustica.
Das Bild zeigt die unterste Lage der Heizkacheln, durch die die warme Luft des Kohlbodens in die Höhe steigt und die Wand erwärmt. Die Kacheln sind da, wo sie den Boden verlassen, durch einen Viertelrundstab gegen Beschädigungen geschützt und an ihrer Vorderseite geraut, damit der Wandstuck besser haftet.
(*2)

Dr. Paul Revellio 1921 (*2):

Wohnkeller der Hüfinger Villa
Wohnkeller der Hüfinger Villa

Nie fehlt der sorgfältig ausgemauerte Wohnkeller mit halbrunden Nischen und Lichtschacht und einem steinernen Tisch in der Mitte zur Aufstellung des besseren Geschirrs. Ein Blick auf die Villen von Hüfingen und Hausenvorwald zeigt, daß sie sich überdies ungefähr auch noch in der Größe entsprechen. Sie bedecken ein Quadrat von rund 100 römischen Fuß Seitenlänge und sie haben diese Eigenschaft gemeinsam mit einer gleich gebauten Villa von Alpnach-Dorf in der Schweiz, in der sich Stempel der 21. und 11. Legion gefunden haben. Es ist wohl nicht anders: Ein Baukommando der 11. Legion hat an diesen Villen gebaut und ihre Bewohner sind zumeist alte Veteranen, die hier eine Kriegerheimatstätte bekamen.

Dr. Paul Revellio 1921 (*1):

Die Entstehung der Anlage fällt in die Zeit bald nach dem Jahre 74 wohl sicher noch in das erste nachchristliche Jahrhundert.

Das Gebäude ist durch Feuer zerstört worden., wie der bei der Ausgrabung gefundene Brandschutt beweist. Ein glücklicher Fund belehrt uns auch über die Zeit der Zerstörung. Beim Ausräumen des Kellers fanden sich etwa 1 m über dem eigentlichen Kellerboden 2 römische Münzen und eine barbarische Nachahmung einer römischen Münze, die alle aus der Zeit 265-270 stammen.

Hier hatte sich vielleicht eine alamannische Horde vorübergehend gelagert und dabei diese Münzen verloren. Wie dem auch sei: die Villa war ums Jahr 270 n. Chr. eine Ruine, und das stimmt nur zu der allgemeinen Annahme, daß der Limes um das Jahr 260 von den Römern aufgegeben wurde.

Dr. Paul Revellio 1920 (*1):

Man hat beobachtet, wie gerade diese einfachen Bauten in regelmäßigen Abständen längs der Straße wiederkehren und hat daraus geschlossen, daß diese Bauten mit Staatshilfe errichtet und ausgedienten Legionären als Zivilversorgung überwiesen wurden, vielleicht gegen die Verpflichtung die Straße zu unterhalten und einen Teil des Ertrages ihrer Wirtschaft, man ist fast geneigt an den Zehnten zu denken (agri decumates), zur Verproviantierung der benachbarten Kastelle abzuliefern. Diese regelmäßige Anlage der Gehöfte längs der Straße stellt sich auch immer mehr für unsere Baar heraus. Kaum 2 km südöstlich von unserer Villa wurde im Jahre 1833 eine solche mit ähnlichem Grundriß auf dem Auenberg bei Hausenvorwald freigelegt, weitere 2 km nach Osten traten in unmittelbarer Nähe des Röhrlebachbrunnens römischer Mauerschutt, Tonscherben und eine Münze des Claudius zutage, sichere Zeugen einer Villa.

3 km weiter nach Westen konnte ich im Herbst 1913 am Fuße des Fürstenbergs am Südrand des Städtchens ein weiteres Gehöft auffinden. Ein Loch, das mir der Landwirt Jakob Gut auf seinem Grundstück auf meine Vermutungen hin machte, förderte sofort Bruchstücke von Leistenziegeln, Heizkacheln, Ziegelbeton, polierte Alabasterplätttchen zutage. Der Platz wurde vom Volk „Ziegelbühl“ genannt. In seiner unmittelbaren Nähe befindet sich eine Quelle. In den benachbarten Äckern ließen sich die Spuren von Nebengebäuden erkennen. https://hieronymus-online.de/villa-rustica-in-fuerstenberg/

Von Hüfingen bis Schwenningen ist nicht eine einzige mit Sicherheit nachgewiesen. Münz- und andere Funde fehlen auf dieser Strecke fast vollständig. Man wird sich bei der Suche vor allem von den Quellen führen lassen müssen, die sich bei Hüfingen als untrügliche Begleiter der ländlichen Gehöfte erwiesen haben.

So zahlreich wie bei Hüfingen werden wir sie nicht erwarten dürfen. Erfahrungsgemäß häufen sich diese Villen im Schutze und in der Umgebung der militärischen Stützpunkte.

Es ist eine Pflicht des Dankes, der Unterstützung und Förderung zu gedenken, die die Ausgrabungen durch den Gemeinderat der Stadt Hüfingen und vor allem durch den damaligen Bürgermeister Bausch erfahren haben.

Segment der sogenannten Peutingerkarte, einer mittelalterlichen Kopie einer römischen Straßenkarte des IV. Jahrhunderts. Oben ein Teil der Peutingerstraße von Vindonissa (Schweiz) über Brigobanne (Hüfingen) nach Samulocenis (Rottenburg). Silva marciana ist der Schwarzwald und der Kleckes in der Mitte ist der Bodensee. (https://tp-online.ku.de)
Segment der sogenannten Peutingerkarte, einer mittelalterlichen Kopie einer römischen Straßenkarte des IV. Jahrhunderts. Oben ein Teil der Peutingerstraße von Vindonissa (Schweiz) über Brigobanne (Hüfingen) nach Samulocenis (Rottenburg). Silva marciana ist der Schwarzwald und der Kleckes in der Mitte ist der Bodensee. (https://tp-online.ku.de)

Wer mehr über die Römerstraße wissen will, soll hier gucken:
https://hieronymus-online.de/brigobannis-roemerstrassen-und-peutingerkarte/

Hier ist das Deggenreuchen Elseli:
https://hieronymus-online.de/das-deggenreuschen-elseli/

Und hier über die Entstehung der Hüfinger die Anlage:
https://hieronymus-online.de/anlage-auf-dem-rotrain-1820-1845/


(*1) Ein römisches Bauernhaus im Deggenreuschenwald bei Hüfingen von Dr. Paul Revellio in den Schriften der Baar 14 (1920)
(*2) Die Römer in der Baar von Dr. Paul Revellio in der Badische Heimat 8 (1921)

Zum Gallustag

Am 16. Oktober werden die Kirchweihfeste in den Galluskirchen begangen.

Bauernregeln zum 16. Oktober

  • Bis St. Gallus müssen alle Früchte, die im Frühjahr Samen bringen sollen, aus dem Garten in den Keller.
  • Hedwig und St. Gall‘ machen das schöne Wetter all.
  • Wenn am Gallus Regen fällt, er bis Weihnachten anhält.
  • Mit St. Hedwig und St. Gall‘ schweigt der Vögel Sang und Schall.
  • Auf St. Gallus-Tag nichts mehr draußen bleiben mag.
  • Auf St. Gallen‘ Tag muss jeder Apfel in sein‘ Sack.
  • Auf St. Gall bleibt die Kuh im Stall.
  • Trockenheit am St. Gallus-Tag verkündet einen trockenen Sommer.
  • St. Gallen lässt Äpfel und Schnee fallen.
  • Ist St. Gallus nicht trocken, folgt ein Sommer mit nassen Socken.
  • Wenn Gallus kommt hau‘ ab den Kohl, er schmeckt im Winter trefflich wohl.
  • Gießt Gallus wie aus einem Fass, ist der nächste Sommer nass.

Zur Weihnachtszeit möchte ich gerne an den Bruder Martin aus dem Jahr 1853 erinnern. Dies nicht nur wegen der Weihnachtsgeschichte und dem Hüfinger Weihnachtslied von Kalliwoda, sondern auch wegen dem heiligen Gallus nach dem die Stadtkirche benannt ist und dessen Geschichte bei Bruder Martin wohl als Vorbild gedient hatte.

Über die Geschichte vom heiligen Gallus gibt es mehrere Bearbeitungen, da wir aber auch im Buch der Badische Bodensee auf den Reichenauer Mönch Walahfrid Strabo eingehen und dessen Fassung die weiteste Verbreitung hatte, gehe ich davon aus, dass Lucian Reich diese Fassung kannte.

Walahfrid von der Reichenau (deutsch Walachfried der Schieler) oder – wie er sich selbst auch nannte – Strabus, wurde 807 geboren und starb 849. Er war ein Benediktiner, Dichter, Botaniker, Diplomat und von 842 bis 849 Abt des Klosters Reichenau.

Der heilige Gallus

Gallus stammte angeblich aus Irland und kam im Gefolge des Wandermönchs Columban von Luxeuil auf den europäischen Kontinent.

Um 590 gründete der Abt Columban ein Kloster in Luxovium (Luxeuil-les-Bains) wo auch Gallus zu seinen Schülern zählte. Von Luxovium aus zogen die beiden um das Jahr 610 gemeinsam mit weiteren Mönchen nach Alemannien.*

Die Missionsreise führte die Gemeinschaft von Luxovium über die Römerstrassen nach Arbor Felix (Arbon) an den Bodensee.

Tabula Peutingeriana mit Arbor felix und Brigantio.
Der dicke Klecks ist der Lacus Brigantinus (Bodensee), oben sieht man Brigobanne.
Die ganze Peutingerkarte gibts es hier: https://tp-online.ku.de

Überall wo die Missionare hin kamen zerstörten sie Statuen einheimischer Gottheiten. Dadurch brachten sie die Einwohner gegen sich auf und die in Brigantio (Bregenz) begonnene Klostergründung misslang. Columban reiste 612 weiter nach Italien und Gallus blieb am Bodensee da er sich mit Columban nicht einig war. Im Gegensatz zu Columban konnte Gallus in alemannischer Sprache predigen und mit den Einheimischen kommunizieren. Gallus wurde von Columban wegen Ungehorsams exkommuniziert und durfte zu dessen Lebzeiten die Messe nicht lesen und nicht daran teilnehmen.

612 beschloss Gallus zusammen mit dem Diakon Hiltibod aus Arbor felix der in den Lacus Brigantinus mündenden Steinach zu folgen und zogen den Bach entlang in den Arboner Forst hinein und kamen an den Wasserfall bei der Mühleggschlucht. Hier stolperte Gallus und fiel in einen Dornbusch. Dies deutete er als göttliches Zeichen hier zu bleiben.

Ewiger Pfennig mit dem Kopfbild des heiligen Gallus

Fotos von Classical Numismatic Group, Inc. http://www.cngcoins.com, CC BY-SA 3.0 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/, via Wikimedia Commons

Foto: Andreas Praefcke, Public domain, via Wikimedia Commons
Foto: PaterMcFly Diskussion Beiträge 16:43, 24. Feb. 2008 (CET), CC BY-SA 3.0 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/, via Wikimedia Commons

Gallus gilt als Gründer des Klosters St. Gallen und ist Schutzpatron von St. Gallen.

Die Legende von Gallus und dem Bären

Jeder Heilige hat sein Attribut. So hatten wir bei der heiligen Verena den Krug und Kamm und beim heiligen Leonhard die Kette. Den heiligen Gallus erkennt man am Bären. Hier die Legende:

Da Gallus von Columban exkommuniziert war und zu dessen Lebzeiten die Messe nicht lesen durfte, lebte er vor der Klostergründung als Einsiedler mit Hiltibod in den Wäldern. Während Hiltibod schlief war Gallus noch wach, als plötzlich ein Bär auftauchte. Gallus liess sich nicht einschüchtern, auch dann nicht, als der Bär sich aufrichtete. Als er sah, dass der Bär einen Dorn in der Pfote hatte, entfernte er diesen. Dann befahl Gallus dem Bären im Namen des Herrn ein Stück Holz für das Feuer zu holen. Der Bär gehorchte und trug das Holz zum Feuer. Anschliessend gab Gallus dem Bären ein Brot. Hiltibod, der zugeschaut hatte, sagte zu Gallus: „Jetzt weiss ich, dass der Herr mit dir ist, wenn selbst die Tiere des Waldes deinem Wort gehorchen.“**

**Von dieser Geschichte gibt es mehrere Variationen und sogar eine Narrenzunft mit dem Namen Quellbären.

Mehr zum heiligen Gallus im Heiligenlexikon: https://www.heiligenlexikon.de/BiographienG/Gallus.html

St. Gallus mit Bär und Brot in der Stadtkirche St. Verena und St. Gallus.

Wie Bruder Martin einen Gesellschafter bekam, und wie ihm dieser das Leben rettete.

Bruder Martin
1853
Ein Hausbüchlein für die Jugend, von
Lucian Reich.
Mit Bildern von Heinrich Frank, Lucian Reich und Anderen,
nebst einer Musikbeilage von J. W. Kalliwoda.
Mit der Feder auf Stein gezeichnet von J. Nep. Heinemann.
Hüfingen, Steindruckerei von J. Nep. Heinemann.

Eines Tages ging Bruder Martin in den Wald, um dürres Holz zu holen, womit er Feuer in seiner Zelle machen wollte, weil die Witterung rau und unfreundlich zu werden begann. Eine ziemliche Strecke war er schon unter den hohen Tannen fortgewandelt, als plötzlich ein großer Bär aus dem Gebüsche brach und schnurstracks auf ihn zukam. – Der gute Mann erschrak nicht wenig, es stand ihm nichts zu Gebote, womit er sich wehren konnte, als etwa der Stock, auf den er sich im Gehen stützte. – Zu seiner Verwunderung jedoch gebärdete sich das Tier demütig und gar nicht unartig, wie sonst Bären tun. Es winselte kläglich und hinkte, indem es die vordere Tatze in die Höhe hob. Auf den verdutzten Waldbruder zu. Dieser merkte jedoch bald, wo es dem Tiere fehle. Er sah, dass in der aufgehobenen blutigen Tatze ein scharfer Dorn steckte. Es gelang ihm, den Splitter herauszuziehen, und da in der Nähe ein Bächlein floss, so wusch er sorgfältig die blutende Wunde und verband die mit feuchtem Moos und Waldgras.

Der Bär bezeigte sich dankbar, was sonst nicht Sache wilder Tiere ist. Er leckte seinem Arzte erkenntlich die Hand, brummte, als wolle er sich bedanken, und lief fort in das Dickicht.

Der Waldbruder ging wieder an sein Geschäft, und wollte eben sein Holzbündel schnüren, als er abermals im Gebüsch rauschte und der schnaubende Bär zum Zweiten Male zum Vorschein kam. Diesmal hielt er ein Kaninchen im Rachen, welches er im Walde erjagt hatte und jetzt seinem Wohltäter zu Füßen legte. Der fromme Bruder lächelte, dankte Gott für den Braten, legte das Thierlein oben auf den Bündel und schickte sich an, die Last auf die Schultern zu heben und nach Hause zu tragen. Aber siehe, der Bär suchte dieses zu verhindern, und gab durch Brummen und allerlei Bewegung zu verstehen, dass er dieses Geschäft verrichten wolle. Als Bruder Martin sah, dass der Bär sich durchaus nicht anders zufrieden geben wolle, legte er ihm die Bürde auf den zottigen Rücken, befestigte sie mit einem Strick, den er um den Leib des Tieres schlang, und trat in Gottes Namen mit seinem Begleiter den Heimweg an.

Das treue Tier war vor dieser Zeit so anhänglich, dass es nicht mehr von seinem Wohltäter weichen wollte. Der Waldbruder gab ihm den Namen Bläß und wies ihm ein eigenes Plätzlein in der Höhle an. Der neue Hausbewohner zeigte sich so gelehrig, dass er bald allerlei Geschäften verrichten konnte. – Jedesmal, wenn der Bruder in das Holz ging, so begleitete ihn Bläß und trug ihm wie ein fleißiger Knecht die Bürde heim: auch beim Hüten der Ziegen war er zu gebrauchen; er bewachte die Tiere wie ein Hund und trieb sie abends von selbst wieder in den Stall, und was das Beste bei alldem war Bläß sorgte selbst für seine Nahrung: jeden Morgen früh vor Tag begab er sich in den Wald, um zu jagen, und selten kehrte er zurück, ohne auch etwas von dem Fange, seinem Herrn zum Frühstück mitzubringen.

Einmal rettete sogar der Bär dem Waldbruder das Leben. – Ein verzweifelter Mensch, der nur von Raub und Diebstahl lebte, hielt sich seit einiger Zeit in den umliegenden Wäldern auf. Er hatte bei einer alten heidnischen Zigeunerin, welche sich mit Wahrsagen und anderem untrüglichen Künsten abgab und im Walde wohnte, bereitwillig Unterkunft gefunden. Dieses böse Weib aber war gegen den Bruder Martin feindselig gesinnt wegen seiner Frömmigkeit und Gottesfurcht, und weil er die Leute im Guten unterwies und vor Irrtümern zu bewahren strebte. Sie hatte ihrem Schützlinge, dem Räuber, vorgespiegelt, der Waldbruder besitze große Schätze und Wunderdinge, die er aus dem heiligen Lande mitgebracht habe: er sei im Besitze, suchte ihn das Weib glauben zu machen, eines Ringes mit einem köstlichen Karfunkelstein, welcher die Kraft habe, dass demjenigen, der ihn trage, das Geld in der Tasche nie ausgehe; auch ein Tischlein habe er, dem man nur die Worte: Tischlein deck dich! zurufen dürfe, um sogleich die ersten Leckerbissen und köstlichsten Weine darauf serviert zu sehen. – Dem abergläubischen, genugsüchtigen Menschen wässert sich schon im Voraus der Mund nach diesen Kostbarkeiten, und er beschloß, den frommen Bruder zu ermorden und ihm alles zu rauben.

In einer finsteren Nacht schlich er sich zur Klause des guten Mannes. Schwarze, im Winde vorüberziehende Wolken verdeckten das Licht des Mondes. Geräuschlos hatte der Bösewicht den Zaun am Eingang der Wohnung erstiegen, und sich stille durch die offene Türe, welche der Waldbruder zuzuriegeln vergessen, in die Zelle eingeschlichen. – In der Hand ein scharfes Beil, näherte er sich dem Orte, wo er, wie er wähnte, den Waldbruder laut schnarchen hörte. – Schon hob sich die mit dem Mordinstrumente bewaffnete Hand – da ertönte urplötzlich ein entsetzliches Brummen. – Eben tritt der Mond hinter den fliehenden Wolken hervor und wirft seine Strahlen durch die offene Tür der Hütte. – Welch ein Todesschrecken! – Eine furchtbare zottige Gestalt richtet sich vor dem entsetzten Räuber auf und schlägt ihn mit gewaltiger Tatze zu Boden. – Der entsetzte Bösewicht glaubt nicht anderes, als den leibhaftigen Satan vor sich zu haben: – Pardon! Schreit er heulend und zähneklappernd, Pardon, gnädiger Herr, verschont mich nur diesmal noch, ich will euch ja gern Seele und Leib verschreiben – und alles tun, was ihr wollt – nur schenkt mir das Leben. Bruder Martin, den dieser Lärm vom Schlaf erweckte, erstaunte nicht wenig, eine so seltsame Szene vor sich zu sehen. Der ergrimmte Bär war eben im Begriff, dem bebenden Räuber seinen Lohn zu geben, als der Bruder schnell von seinem Lager aufsprang, und dazwischen tretend, abwehrte. Der Bär ließ seinen Mann los und zog sich brummend zurück.

Der Waldbruder aber wendete sich zu dem zitternden, im Mondlicht auf dem Boden liegenden Menschen und fragte, was ihn hierher führe und was er wolle. Der zerknirschte Räuber gestand sogleich sein böses Vorhaben und bat, indem er die Knie des heiligen Mannes umfaßte, flehentlich um Verzeihung. – Bruder Martin, der die Gefahr, in welcher er geschwebt, überschaute, blickte gen Himmel und sprach mit den Worten des Psalmisten:

Herr! lehr‘ uns, unsere Tage zählen, * Dass unsre Herzen Weisheit lernen.
Ergieß‘ in uns der Gnadenfülle, * Und leit und stets auf Deinem Wegen.
Sey unser Schild und unsre Stärke, * Wenn Todesschrecken sich uns nahen.

Dann sprach er zu dem Räuber: Siehe, Unglücklicher, wie Gott die Absichten seiner Feinde zu nichte macht, und wie schwach ein böser Mensch ist; doch der Herr will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bessere und auf dem Wege der Tugend wandle!

Der Räuber bat unter Tränen wiederholt um Vergebung und legte auch über seine früheren Missetaten ein reumütiges Geständnis ab.

Bruder Martin, welcher sah, dass es dem Manne mit seinem Vorsatz, sich zu bekehren, ernst sei, behielt ihn einige Tage bei sich, um durch Unterricht und Ermahnungen redlich das Seinige zur gründlichen Besserung des Reuigen beizutragen. Er hatte gefunden, dass bei dem unglücklichen Menschen, der zwar dem Namen nach ein Christ war, mehr Unwissenheit und gänzliche Vernachlässigung seiner Erziehung obwallte, als ein böses von Grund aus verdorbenes Herz. Denn als er ihn zum erstenmal fragte: ob er auch etwas von dem Christkinde wisse, welches vom Himmel herabgekommen, die Menschen zu beseeligen? antwortete der verkommene Mensch ganz verwundert: was denn das für eine Geschichte sei? – davon habe er noch nichts gehört. – Der fromme Mann entsetzte sich über diese Verwilderung und erzählte ihm auf das Liebreichste die Geschichten aus der heiligen Schrift und ihre göttlichen Lehren.

Die Bemühungen des guten Bruders waren vom besten Erfolge begleitet; seine Worte fielen wie guter Same in ein frisch gepflügten Erdreich. Der väterlich gesinnte Mann veranlaßte in der Folge seinen Freund Christoph, dass er den Neubekehrten als Köhlerknecht in seine Dienste nahm, worüber der willige Mensch sehr erfreut war, weil er jetzt einsehen gelernt hatte, dass Müßiggang alles Übels Anfang, und der Weg zum Elend und zur Not sei.

Tod der Singschwäne

Was die wenigsten wissen, bei Hüfingen gab es mal große Bestände an Zugvögeln, darunter sogar eine Kolonie Singschwäne die jeden Herbst und Winter bei uns auf der Riedbaar anzutreffen war.

Tod der Singschwäne

Auszüge aus dem Buch von Eva Zeller 1983

Da nach Artikel 17 des Grundgesetzes in der Bundesrepubik Deutschland jedermann das Recht hat, sich einzeln oder gemeinschaftlich mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an Regierung, Verwaltung oder Volksvertretung zu wenden, wandte sich ein namhafter Zoologe (Prof. Dr. Günther Reichelt), nunmehr in der Eigenschaft eines Petenten, im Namen einer von ihm ins Leben gerufenen Aktionsgemeinschaft für Natur- und Umweltschutz schriftlich mit bald aktenordnerfüllenden Petitionen und, als auch das nichts fruchtete, demonstrativ mit einer Unterschriftensammlung von sage und schreibe fünftausend Namen samt Adressen an das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt seines Bundeslandes mit der schon nicht mehr dringlich, vielmehr inständig, ja beschwörend zu nennenden Bitte, eine, wie es wörtlich hieß, planfestgestellte Trasse einer zu bauenden Straße um des Himmels willen nicht durch ein Ried zu leiten – welches auf beigefügtem Lageplan deutlich schwarz gestrichelt eingetragen war und das nicht nur neuerdings nach §16 des Landschaftsschutzgesetzes besonderem Schutz unterstehe, sondern auch nach Umfang und Artenbestand als national bedeutsames Feuchtgebiet einzustufen sei, weil nämlich hier, und zwar im direkten Bereich der geplanten Trasse, die Brutgebiete hochseltener Vögel wie des Großen Brachvogels, der Saatgans, des Zwergtauchers, der Löffel-, Reiher-und Pfeifente, vor allem aber die Traditionsplätze zur Überwinterung der weltweit vom Aussterben bedrohten und auf der Roten Liste als gefährdet geführten Singschwäne lägen, deren Erlöschen mit dem Bau der Straße als besiegelt angesehen werden könne, denn Ersatzgelände in unmittelbarer Nähe stehe nicht zur Verfügung, und selbst wenn es zur Verfügung stünde, was die Singschwäne betreffe, die seien nachweislich seit Jahrhunderten auf die rätselhafteste Weise auf diesen Platz fixiert, mit vorzüglicher Hochachtung . .

Reiherenten auf der Brigach.

beigefügt wurden der durch die genannte Unterschriftensammlung bekräftigten Petition nicht nur ein Gutachten des Max-Planck-Institutes für Verhaltensphysiologie sowie diverse Bescheide international anerkannter Ornithologen, sondern auch stattlich vergrößerte Farbfotos, auf welchen man im Hintergrund den Zwiebelkirchturm des Dorfes erkennt, in dessen Nähe das Feuchtgebiet liegt, und im Vordergrund die Schwäne sitzen sieht, sieben Schwäne im eisblauen Schnee mit ihren äugenden, gemalten Augen und gelbschwarzen Schnäbeln; andere Aufnahmen zeigen sie fliegend vor einer Wintersonne mit zwei Nebensonnen, das Flugbild jedes einzelnen Schwanes mythisch noch immer, unerwartet mythisch schon wieder, weil es, wenn es im Augenblick des Flügelabschlags festgehalten wurde, an einen Starfighter oder an einen noch waghalsiger hinzielenden ferngesteuerten Flugkörper erinnert;

Singschwäne auf dem Bodensee.

der Petition wurde ferner beigelegt ein von Verkehrsexperten minuziös ausgearbeiteter Umplanungsplan, will sagen ein Alternativvorschlag, welcher die Wunschtrasse der Singschwäneliebhaber in einer neuen, das auch auf diesem Plan schwarz schraffierte Ried umgehenden Linienführung. zeigt, und zwar so, daß weder verkehrstechnische Verschlechterungen noch Mehrkosten sich ergäben;

belehrt durch den Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr, welcher die neugeplante Straße zwar für rechtlich unanfechtbar erklärte, andererseits aber den Verfechtern des in der Tat bedenkenswerten und wohlbegründeten Alternativvorschlags zu bedenken gab, daß ihre neue Straße sich viel zu weit der bebauten Ortsgrenze des Dorfes X näherte, so daß die Zumutbarkeitsgrenze der Lärmbelästigung bei weitem überschritten werden würde; kurz, ein Vergleich der festgestellten mit der Wunschtrasse ergebe aus der Sicht des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr aller Voraussicht nach erhebliche Konflikte mit Grundstückseignern; eine so umfassende nachträgliche Änderung der Planung würde zu hartnäckigstem Widerstand von Neubetroffenen führen, weswegen das Ministerium beantrage, daß der Petition nicht abgeholfen werden könne, zur gefälligen Kenntnisnahme aller Mitglieder des Petitionsausschusses Aktionsgemeinschaft Natur- und Umweltschutz…

woraufhin die unbelehrbaren Petenten, penetrant wie sie waren, sich auf juristische Spitzfindigkeiten verlegten, etwa in Frage stellten, ob eine Ortsgrenze, die ein Zementwerk aufweise und ein Gelände, auf dem zu Schrottpaketen geschnittene Autos gestapelt seien, als bewohnt angesehen werden könne; ob die Gleichstellung des Planfeststellungsverfahrens Bundesstraße mit derjenigen einer Landstraße gesetzlich vertretbar sei und ob das zuständige Fachministerium für Straßenbau und das für den Natur- und Landschaftsschutz sich nicht erneut ins Benehmen setzen müßten, um alle Gesichtspunkte der Aktionsgemeinschaft prüfen zu können,

womit sich ein gutes Jahr gewinnen ließ, in dessen Herbst die Schwäne kamen, wie sie immer gekommen sind, und das, obgleich sie hier nichts zu suchen haben, denn eigentlich hätten sie, wie ihre Artgenossen es seit Schwanengedenken gehalten haben, weiter bis an den wirtlichen Bodensee fliegen sollen; es muß da aber einmal ein Schwanenpaar mit den jungen Schwänen durch einen Sturm oder ein Gewitter zur Notlandung gezwungen worden sein, und das just zu der Zeit, in der allein den Jungtieren starr und unauslöschlich eingeprägt wird, wo ihres Bleibens ist, wenn in den nordischen Brutgebieten die Seen zufrieren;

dank einer Mühle friert ein Stück der Donau nie zu; oberhalb des Wehrs staut, verbreitert und beruhigt sich der Fluß, hier dürften die Schwäne einen russischen oder finnischen See wiedererkannt haben; unterhalb des Wehrs ist das Wasser gut durchwirbelt, so daß es auch in den kältesten Wintern nicht zur Eisbildung kommen kann; so, sagen die Experten, könnte das erste Überwintern der ersten, aus der Luft geworfenen Schwäne sehr wohl geglückt sein, nachts auf dem Wasser, tagsüber im Schnee; die Erfahrung, hier überleben zu können, ließ die erwachsengewordene Schwänegeneration im nächsten Jahr auch nicht mehr weiter südlich fliegen, und in unbeirrbarer Übereinkunft auch die übernächste nicht; nichts in der Welt konnte und kann den Vögeln mehr weismachen, es gebe etliche Flugkilometer weiter ein viel wärmeres Winterquartier;

es konnte dann noch ein Jahr hingebracht werden mit Entkräftungen des Einwandes seitens des Ministeriums für den Natur- und Landschaftsschutz, die planfestgestellte Trasse habe die Belange des Naturschutzes hinlänglich berücksichtigt, mittlerweile werde sogar ernsthaft angezweifelt, ob das behauptete Feuchtgebiet überhaupt noch bestehe, die seltenen Tierarten nicht längst ausgestorben seien infolge welcher widrigen Umstände auch immer; die Farbfotos mit dem Kirchturm am Horizont könnten genausogut Montagen sein und besagten überhaupt nichts; aus diesem Grunde und weil es sich bei den Petenten um seriöse, bekannte und zum Teil durchaus sehr angesehene Einzelpersonen und Vereinigungen handele, werde man dem Petitionsausschuß als auch allen mit der Sache befaßten Regierungsvertretern einen Termin für einen Lokalaugenschein vorschlagen…

dazu mußte der Winter abgewartet werden; Treffpunkt der Mitglieder des Petitionsausschusses Aktionsgemeinschaft Natur- und Umweltschutz und der Vertreter des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt, des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr, insbesondere des Fachressorts für Straßenbau und des Fachressorts für den Natur- und Landschaftsschutz, als auch des Bürgermeisters und seines Stellvertreters aus dem dem Feuchtgebiet angrenzenden Dorf war eine Ausflugsterrasse vor einem Ausflugsrestaurant, an deren ummauertem Rand ein verschneites Fernrohr mit Münzeinwurf stand;

Riedbaar bei Neudingen.

wenn sich der Nebel schon gehoben hätte, hätte jeder, der dazu aufgelegt gewesen wäre, für zwei Groschen das Streitobjekt aus der Vogelperspektive in Augenschein nehmen können; den Donaubogen, der die von bereiften, nahegerückten Wäldern umstandene Hochebene im Drittelkreis anschneidet, vom Wind säuberlich aufgeräumte Felder, an jedem Widerstand zusammengefegter Schnee, weiß nachgezogene Ackerfurchen mit schönen Haarnadelkurven an den Rainen, die schrägen Dächer der Mühle zwischen einer Pappelzeile; von dem verschneiten Autofriedhof nur einen Kran, aber klar umrissen und unverrückbar das Zementwerk; neben den Rechtecken der Hochöfen und stumpfen Kegeln der Silos und hinter den noch höheren Schlacken-bergen bescheiden der von den Farbfotos her bekannte Zwiebelturm;

die einzige Dame der Besichtigungsgesellschaft, eine Abgeordnete des Fachministeriums für den Natur- und Landschaftsschutz, bestieg in weißen Pelzstiefeln die Zementstufe vor dem Fernrohr, steckte zwei Groschen in den Geldschlitz, drückte ein Auge zu, das andere an die Linse, bewegte das Fernrohr hin und her, tastete nach der Justierungsschraube, in der Hoffnung, das vergrößerte, nur scheinbar nähergerückte Bild der Landschaft trotz des Nebels erkennen zu können, trat kopfschüttelnd und über sich selber lachend zurück und sagte, sie habe aber ein Maiskolbengerippe zu Gesicht bekommen und einen Sperling, der sich daran zu schaffen gemacht habe, pfiffig wie ein Clown habe der ausgesehen mit schwarzen Flecken auf den weißen Backen;

nachdem im Restaurant Tische für das Mittagessen reserviert worden waren, näherte man sich in sechs Autos dem womöglich gar nicht mehr vorhandenen Nässegebiet; während der kurzen Talfahrt legte die Dame, die das Maiskolbengerippe und den Sperling so angelegentlich betrachtet hatte, auf ihrem Rücksitz den Kopf so weit in den Nacken, daß sie die tiefhängenden Wolken und die unter ihnen schwimmenden Baumkronen als Abziehbilder auf der schrägen Heckscheibe kleben und sich wieder ablösen und wegdrehen sah;

der Gründer der Aktionsgemeinschaft Natur- und Umweltschutz schlug vor, auf einem Waldparkplatz zu parken und die letzten paar hundert Meter zu Fuß zurückzulegen, mit diesem Ansinnen überschreite er hoffentlich nicht die Zumutbarkeitsgrenze der Herrschaften; leider sei es überaus fraglich, ob auch nur ein einziger der auf diesen Lebensraum angewiesenen Vögel sich blicken lassen würde; für das Erscheinen der Schwäne könne er seine Hand auch nicht ins Feuer legen, die säßen in ihren Schneegruben, gerne an Maulwurfshügel angelehnt, und besonders die Jungen mit ihren blaugrau gesprenkelten Federn tarnten sich bis zur Unsichtbarkeit, nur die Sonne könne sie hervorlocken; es sei voreilig gewesen, das Mittagessen um Punkt dreizehn Uhr bestellt zu haben; ob die Herren von der Regierung sich vorstellen könnten, wieviel Geduld die Belauschung der Tiere gekostet habe, bis endlich die Aufnahmen gemacht werden konnten; sollten die Schwäne nicht geruhen, sich jetzt zu präsentieren, würde wohl als bewiesen gelten, daß die Fotos nur von der Oper der Landeshauptstadt entliehene und auf künstlichen Schnee gesetzte Schwanenattrappen zeigten, die sonst Lohengrins Schiff über die Bühne zögen oder als Schicksalsjungfrauen Schwanengestalt angenommen hätten, um den Menschen wahrzusagen, wie das Los ihnen fallen werde; und das wäre dann der Beweis für die immerwährende Gültigkeit der Legende von der Verwandlungsfähigkeit der Schwäne; diese hier seien solcher fabelhaften Fähigkeiten allerdings verlustig gegangen, sie könnten sich in nichts verwandeln, falls man ihnen ihre Lebensbedingungen entzöge, und was hülfe es ihnen, wenn sie den ganzen Bodensee gewönnen, ihre mitgeborene Erfahrung hieße sie dort nicht niedergehen, sondern eben nur hier an ihrem Donauufer, wo sie schon im nächsten Jahr nicht mehr werden bleiben können wegen der Bagger und Planierraupen und Erdtransporter und Walzen; ihr letzter Flug müsse nicht ausgedacht werden,

mit solchen und ähnlichen Reden hielt der Petent sich dicht neben oder hinter dem Bürgermeister des Zwiebelturmdorfes; falls nämlich allen Petitionen und Aberpetitionen nicht abgeholfen werden würde – womit zu rechnen war -, wollte der Petent versuchen, ein Äckerchen im Übernachtungsgebiet der Schwäne käuflich zu erwerben; als Grundstückseigentümer sähe er sich dann in die Lage versetzt, gegen den Bau der planfestgestellten Straße Einspruch zu erheben, weil es sich um gar keine Bundes-, sondern um eine Landstraße handelte; als Naturschützer befand er sich in ungleich ohnmächtigerer Lage, denn Schwäne sind nun einmal keine Personen, deren Rechte man einklagen könnte,

man kam nur langsam voran in den stillen, atemgebenden Wäldern, die der frisch gefallene Schnee schier unbetretbar erscheinen ließ, das Weiße, Leichte, Bauschige drückte noch nichts nieder, ließ selbst den Grashalm in einer gefrorenen Pfütze geschmückter aussehen, als etwas so Unscheinbarem zukommt; gut so, vielleicht würde der von Schneestaub und Nebel durchrieselte Wald dem Petenten zur Seite stehen, vielleicht würde bald auch die Sonne noch mitspielen, zart besetzte Brombeerranken durchleuchten und aus den bereiften Federkronen des Schierlings wer weiß was für Kostbarkeiten machen,

eine kurze Wegstrecke hoffte der Petent, es könnte eine Unschuld des Auges sich wiederherstellen bei den Besichtigern, auf die er so sehr angewiesen sein würde, falls die Schwäne sich zeigen sollten; beim Heraustreten der Gesellschaft aus dem Wald fuhr höchst zweckdienlich und lautstark ein Schwarm Schnatterenten aus schneetrockenem Gebüsch, aber was half’s, wo keiner sich auskannte mit dem
Federvieh,

Singschwan auf dem Bodensee.

ein dem Gelände durch den Schnee noch angepaßterer Weg führte ohne Spur in die weiße Übernachtungsfläche der Schwäne und weiter in Richtung Donau, deren Verlauf eine von Pappeln gestrichelte Nebelbank ahnen ließ; der verengte Himmel und das durch den Dunst gefilterte Licht machten einen Innenraum aus dem Ried, die es in Augenschein zu nehmen hatten, stapften im Gänsemarsch – angeführt vom Bürgermeister – einer in die Fußstapfen des Vordermanns, ihr Atem kam stoßweise sichtbar aus ihren Mündern,

vereinzelte Bäume, Sträucher, Schober steckten im Schneenebel, jeder herausragende Stein hatte einen Schneedeckel oder konnte auch ein sich tarnender Singschwan sein oder seine Attrappe, welcher kommende Generationen in die gläsernen Augen sehen und sie anstelle eines lateinischen Wortes noch Singschwäne nennen können; bei der indirekten Beleuchtung waren die Spuren des Hungers auf der gefrorenen Schneedecke nur im nächsten Gesichtskreis zu erkennen; die Dame in den Pelzstiefeln scherte aus der Reihe und beugte sich alle paar Schritte über eine vergessene Schrift, die sie in ihrer Kindheit einmal hatte entziffern können: den Keil des hoppelnden Hasen, die Blüte des schnürenden Fuchses und ganz leicht eingeritzt das Geläuf vieler Vögel,

das Unternehmen Ried wäre nichts als ein winterlicher Betriebsausflug geblieben, hätte die Sonne nicht binnen weniger Minuten aufgeräumt mit dem Halblicht und allen Verschwommenheiten; diese Herabkunft des Lichtes wäre schon starstechend genug gewesen, um die Inspizienten zum Staunen zu bringen; sie sollten nun aber auch der Schwäne ansichtig werden, denn vier der Schneeverwehungen erwiesen sich als solche; bewegungslos, als hätten sie sich selber etwas angetan mit ihren schwarzen Schnabelspirzen, saßen sie wie sich’s gehört auf den gestrichelten Linien, und die Beugung ihrer Hälse war durch keine Bewegung zu überbieten; starren Auges sahen sie den in breiter Front langsam Näherrückenden entgegen, den Menschentieren, die sich durch barbarische Fertigkeiten ausweisen und immer schuldunfähig zur Tatzeit sind;

vor deren Augen machten die schweren Vögel ein paar torkelnde Schritte, streckten die Hälse, spannten die Flügel weit aus und trieben flatternd die Luft unter sich; ihre Schatten schwebten über den Schnee; den halboffenen Mündern derer nach zu schließen, die den Davonfliegenden nachsahen, muß einer der Schwäne den hohen, langhinhallenden Schrei ausgestoßen haben, der ihm den Namen gegeben hat und dessen er nur in Todesnot mächtig ist; selber Klage erhebend, flogen die Schwäne ruhigen Flügelschlags hinter dem Zwiebelturm davon, als schwane ihnen, daß der siebente Landtag des Deutschen Bundeslandes, in dessen Machtbereich ihre Überlebensflächen lagen, auf seiner vierundfünfzigsten Sitzung beschließen werde, daß besagter Petition der Aktionsgemeinschaft Natur- und Umweltschutz nicht abgeholfen werden könne,

weil die planerischen Zielvorstellungen des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt im Benehmen mit dem Fachministerium für Straßenbau dem todsicher zu erwartenden Kraftfahrzeugbedarf besser entgegenkomme, weil die Gradiente der festgestellten Straße den Geländeformen harmonischer folgen und weniger zusammengehörige landwirtschaftliche Nutzflächen durchschneiden werde als die Wunschstraße der Petenten, und schließlich weil das Leistungsvermögen der festgestellten Trasse infolge günstigerer Steigungsverhältnisse um rund fünfzehn Prozent höher sein werde…

Soll nach den Singschwänen auch ausgerottet werden: Der Komoran.

Seit 1984 gibt es keine Singschwäne mehr auf der Riedbaar

Hier in Südbaden werden wir seit sehr langem von Holzköpfen regiert, deren einzige Tradition es ist, auf Kosten der nächste Generation sich ihre Taschen zu füllen. Die Holzköpfe des 7. Landtages sind inzwischen wohl alle tot.
Was haben sie uns hinterlassen als betonierte Erde?
Ein Haufen neuer Holzköpfe!

Aber auch die werden ihr erbeutetes Geld nicht ins Grab mitnehmen können.

Von Michel und Hieronymus, mach‘ ufs Weihnachtswetter Schluss

Der heilige Hieronymus von Stridon

Eigentlich Sophronius Eusebius Hieronymus von Stridon war Priester, Bibelübersetzer und Theologe, geboren im März 347 in Stridon, heute Štrigova in Kroatien und gestorben im September 420 in Betlehem.

Hieronymus wurde als Sohn wohlhabender christlicher Eltern geboren die ihn zum Studium nach Mailand und Rom schickten. Dort studierte er zuerst die Philosophen Cicero und Platon, bis ihm ein Engel im Traum erschien, ihm die Bücher aus der Hand nahm und ihn vor den himmlischen Richter führte. Der Richter sagte ihm:
„Du bist kein Christ, du bist Ciceronianer. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“
Daraufhin lies es sich 366 taufen.

Hieronymus setzte seine Studien in Trier fort, wo er das Klosterleben kennen lernte, dann in Aquileia, wo er sich dem asketischen Bund Chor der Seligen anschloss. Hieronymus verfügte über ein phänomenales Gedächtnis, war äußerst sprachbegabt und rhetorisch unschlagbar.

373 reiste er nach Antiochia (Antakya / Hatay), lernte dort Griechisch, wurde Schüler bei Apollinaris von Laodicea und lernte aus Werken des Origenes, die er später aber verleugnete und kritisierte. Anschließend lebte er bis 378 bei den Einsiedlern in der Wüste Chalkis bei Aleppo (Halab) in Syrien in Askese in einer Felsenhöhle.

Nach einem weiteren Traum legte Hieronymus das Gelübde ab, sich nicht länger an der heidnischen philosophischen Literatur zu orientieren.

Die Löwenlegende

Eine der bekanntesten Überlieferungen über Hieronymus ist die Löwenlegende, wegen der er oft mit diesem Tier auf Gemälden dargestellt wird: Als er Eremit war, sei ein hinkender Löwe in die Felsenhöhle gekommen und alle Mönche seien geflohen. Hieronymus aber fragte den Löwen, warum er zu ihnen gekommen sei. Das wilde Tier hob seine blutende, verletzte Pranke hoch. Hieronymus trug den Mönchen auf, Wasser zu bringen und die Wunde zu reinigen. Sie zogen einen Dorn aus der Löwenpranke und pflegten das Tier, bis die Wunde verheilt war. Der Löwe blieb bei den Mönchen und hütete die Weidetiere, während die Männer im Wald Holz sammelten. (Diese Geschichte erinnert stark an die vom Heiligen Gallus und die Geschichte von Bruder Martin mit dem Bären)
Eines Tages schlief der Löwe beim Hüten der Tiere ein und eine vorüberziehende Karawane stahl unbemerkt einen Esel. Beschuldigt, den Esel gefressen zu haben, musste nun der Löwe das Holz herbeitragen, bis er eines Tages die zurückkehrende Karawane mit dem Esel als Leittier erblickte. Der Löwe lief hin und brüllte so gewaltig, dass die Männer fast zu Tode erschraken. Voller Angst und Reue brachten sie den Esel zu Hieronymus zurück, der nahm die Karawanenleute freundlich auf und erhielt reichen Lohn für das Kloster.

Immer intensiver vertiefte Hieronymus sich nun in theologische Werke, machte Abschriften, verfasste Briefe und lernte Hebräisch. Nach wenigen Jahren ging Hieronymus zurück nach Antiochia. Dort wurde er 379 zum Priester geweiht. 382 kehrte Hieronymus über Konstantinopel (Istanbul) nach Rom zurück. Papst Damasus I. machte ihn zu seinem Sekretär und beauftragte ihn, die Bibel ins Lateinische zu übersetzen. Diese so genannte „Vulgata“ enthält Texte, die bis heute für die Katholische Kirche verbindlich sind – wenn auch inzwischen in der überarbeiteten Form der „Nova Vulgata“.

Hieronymus wurde in Rom auch als guter Seelsorger geschätzt, v. a. bei den Aristokratinnen, die sich zu einem asketischen Leben entschlossen hatten, unter ihnen Marcella sowie die adlige römische Witwe Paula und ihren Töchtern Blaesilla und Julia Eustochium, die ihm später ins Heilige Land folgten. Nach dem Tod seines Gönners, des Papstes Damasus im Jahr 384, wollten einige Anhänger ihn auf den Stuhl Petri wählen; andere, denen seine deutliche Kritik am Klerus missfiel und die ihn ob seiner Wirkung auf Frauen verleumdeten, verhinderten dies.

Davon enttäuscht und aufgrund der Vorwürfe, die man ihm nach dem Tod der Blaesilla machte, verließ Hieronymus im Jahr 385 Rom und reiste mit einer Gruppe von Frauen über Zypern, Antiochia und die Einsiedlerkolonie Nitria (Al Barnuji) nach Betlehem, wo er im Jahr 386 ankam und dann zusammen mit Paula aus deren Vermögen vier Klöster gründete: drei Nonnenklöster und eines für Mönche, dessen Leitung er übernahm.

35 Jahre lang wirkte Hieronymus zurückgezogen, aber mit intensiver schriftstellerischer Tätigkeit und wurde zu einem der bedeutendsten Theologen aller Zeiten. Er verfasste Bibelkommentare zu den Psalmen, den Propheten, zu Prediger (Kohelet), zum Evangelium des Matthäus, den Briefen an die Galater und die Epheser, an Titus und die Philipper sowie zur Offenbarung des Johannes, die wegen des reichen historisch-archäologischen Wissens geschätzt wurden, dazu exegetische Werke wie Liber interpretationis hebraicorum nominum, Buch zum Verständnis der hebräischen Namen und Liber quaestionum hebraicarum in Genesim, Buch der hebräischen Elemente in der Schöpfungsgeschichte, und vollendete die Übersetzung der Vulgata.

Er verfasste mehrere „Kampfschriften“ in denen sich Hieronymus als satirischer Polemiker betätigte, der seine Position verteidigt, ohne Argumente seiner Gegner wirklich ernst zu nehmen. Wegen dieser Auseinandersetzungen musste er sich zwei Jahre lang versteckt halten – kurz nach seiner Rückkehr nach Betlehem starb er am 30. September 420.

Hieronymus‚ Grab ist in der Krypta der Geburtskirche in Betlehem. Er blieb für das ganze Mittelalter die große Lehrautorität, besonders in Bibelfragen und für das asketische Klosterleben. Im 13. Jahrhundert wurden seine Gebeine nach Rom überführt in die Basilika Santa Maria Maggiore.

*Zusammenfassung aus katholisch.de und dem Ökumenischen Heiligenlexikon

Attribute sind Totenkopf und Löwe und als Einsiedler am Schreibpult mit Kardinalshut an der Wand hinter ihm.



Von Michel und Hieronymus, mach‘ aufs Weihnachtswetter Schluss
(Michaelstag 29. September, Hieronymus 30. September)

Der heilige Hieronymus nach Albrecht Dürer.
Diese unveröffentlichte Lithografie von Nepomuk Heinemann könnte die „Titelvignette“ von der 2. Auflage vom Buch Hieronymus sein.

Der heilige Hieronymus von Albrecht Dürer 1514.
Foto: Albrecht Dürer, Public domain, via Wikimedia Commons

aus Wikipedia zum Kupferstich von Albrecht Dürer:

„Der heilige Hieronymus sitzt ziemlich weit im Bildhintergrund an einem Schreibpult und arbeitet. Der Tisch ist ein für die Renaissance typischer Wangentisch. In einer Ecke des Tisches steht ein Kalvarienkreuz. Zieht man vom Kopf des Hieronymus über das Kreuz eine Linie, wird der Blick des Betrachters zum Totenschädel neben dem Fenster gelenkt und damit werden diese zwei Gegenstände – Tod und Auferstehung – miteinander in Verbindung gebracht. Eine abgebrannte Kerze auf dem Regal deutet auf das Lebensende hin, ebenso die Sanduhr, die an die verrinnende Zeit mahnt. Der Kirchenvater widmet sich hierbei nicht dem Werk der Heiligen Schrift (Bibel), in der vom gegen Gott ungehorsamen und damit todbringenden Adam bis zum „zweiten Adam“, nämlich Christus die Rede ist, der durch die Auferstehung den Tod besiegt hat und das Ewige Leben in Aussicht stellt. Die Frage bleibt für den Betrachter offen, ob er diese Erlösungstat annimmt. Es geht vielmehr um die Darstellung seiner Tätigkeit als Briefeschreiber, die zu den meistgelesenen Schriften im Spätmittelalter zählen.

Im Bildvordergrund befinden sich ein Löwe, traditionell ein Bestandteil der Ikonographie des Hieronymus, und ein schlummernder Hund. Beide sind Bestandteil der durch die Legenda aurea überlieferten Geschichten von Hieronymus. Dazu gehört auch die Legende vom büßenden Hieronymus, der den Schädel Adams unter dem Hügel von Golgatha im Heiligen Land vermuten lässt.

Das Bild ist voll von kleinen Gegenständen, die den Blick des Betrachters einfangen und auf Episoden aus dem Leben des Heiligen anspielen, etwa der von der Decke herabhängende Kürbis, der für einen theologischen Disput mit dem Kirchenvater Augustinus steht, wo sie sich in der Übersetzung von Jona 4,6-10 EU nicht einig sind, welche Pflanze, Kürbis oder Efeu, gemeint ist. Deshalb verfasst er hier einen Brief an jenen, um seine Sicht der Dinge klarzulegen.“

75 Jahre nach der Abstimmung für einen Südweststaat

Wahlergebnisse 1950

Südbaden nach dem Krieg

Am 24. September 1950 stimmten 60 % der Bevölkerung Südbadens für die Beibehaltung Badens. Gleich im Anschluß an die Abstimmung hatte Leo Wohleb erklärt, „der schwäbische Angriff auf Baden ist abgeschlagen„.

Allerdings wurde damals nicht gesehen, dass dies nur eine „Volksbefragung“ war und um das badische Volk hat sich Stuttgart noch nie sonderlich geschert.






Baden in die Schweiz eingliedern?

Am 10. November 2024 habe ich eine kurze, eher spöttische, Bemerkung von den Südbadischen Landsenioren in der Zeitung gelesen : „….schlug er mit mit einem Lächeln vor, Baden in die Schweiz einzugliedern…“. Dies war auf die Landkäufe in Südbaden von Schweizern bezogen – aber die Bemerkung hat doch einige Überlegungen in mir ausgelöst.

Wenn man es genau nimmt, so wurde Südbaden nach dem Krieg gegen seinen Willen von Stuttgart annektiert. Aber fangen wir früher an, bei den Schellenbergern. Diese stammten nämlich aus Liechtenstein:

Burg Schellenberg in Liechtenstein.

Nach den Schellenbergern wurde Hüfingen an das Haus Fürstenberg verkauft und gehörte sehr lange dem Fürstenhaus – obwohl immer wieder verschiedene plündernde Armeen durchzogen. Während der 1848er Revolution waren die Hüfinger Bürgerinnen und Bürger ganz vorne dabei und der Fürst flüchtete in die Schweiz. Nach Zuhilfenahme der Württemberger Armeen wurden die Aufständischen, soweit nicht rechtzeitig in die Schweiz und USA entfleucht, ermordet.

Also gehörte Hüfingen im Grunde seit der missglückten 1848er Revolution den Preussen und dem Deutschen Kaiser. Dies ist natürlich sehr verkürzt dargestellt und die Nazizeit lasse ich besser mal weg. (Da gibt es mal einen eigenen Artikel sobald ich Zeit habe.)

Heute wird Hüfingen von Stuttgart regiert und vom RP in Freiburg als Stadthalter verwaltet. Wir unterliegen also der Landkreisordnung von Baden-Württemberg, die den Bürgerinnen und Bürgern nur sehr wenig demokratische Rechte einräumt.

Deswegen hätte die Idee ein Schweizer Kanton zu werden doch einigen Charme. Wir hätten eine von uns gewählte Kantonsregierung und eine Regierungspräsidentin oder Regierungspräsident, anstatt eines von oben bestimmten Landrates. – Der Regierungspräsident wechselt in der Regel jährlich oder nach dem Anciennitätsprinzip (Anzahl Jahre in der Regierung). Dieses Amt wäre mit keinerlei anderen Privilegien und keinem anderen Sonderstatus verbunden als der Leitung der Regierungssitzungen.

Davon abgesehen würden die Schweizer uns auch besser verstehen, als die in Stuttgart.

De Südweschtstaat

1950 von Gottfried Schafbuch

S’rumoret zmol landuff, landab.
Min Nochber debret bsässe:
Jetzt, guck emol des Gschmier do aa,
d’Badenser sottes fresse.

Südweschtstaat schtoht do krottebroat,
Potzhageldunderwätter,
sott ech am End en Schwob no geä?
Ho sell, sell wär no nätter.

Wertschaftlech dei’s iis besser gau,
Minischter kennt mer spare.
Und s’badisch Ländle sei fer sech
en ganz verfahrne Karre!

Wie dear Borscht frech ischt mit sim Gschmuus!
Dem will ech d’Moaning sage.
Am liebschte dät jo schüttle ech
des Schwäbli fescht am Krage.

Worum wend d’Schwobe iis denn ha,
dont alli Schlech probiere?
Merkscht nit, sie wend e riiechi Bruut
gi Schtugart inni fiehre.

Sie wend de Rhii und d’Häfe haa,
de Wald und iisri Rübe.
De hoaße Quelle boazets au,
de Dubak no denäbe.

Nitt lang wurs gau, no dätet hie
im Rothuus Schwobe sitze
und i de Schuel e Schwäbli dät
zmol iisri Kinder fitze.

Glaub nu, iis ginges dräckig gnueg,
mier dierftet ninnt me sage.
Vum Muschterländli wäret d’Liit
… halt blos s’fifft Rad am Wage.

Wer des nit merkt, kennt d’Schwobe nitt,
die ‚Hoiligsblechliberger‘.
Ech glaub, wer nit fer Bade schtimmt,
der goschet nochher erger.

Wenn Wertteberg iis sacket ii,
dont d‘ Kind i spätre Ziite
im Kerchhof vu de Hoamettreu
uff isri Grabschtea diite.

Guet Nacht, schloof gsund, und moarn nitt z’frich.
Dues hinter d’Ohre schriibe:
Wear nitt im Hern vernaglet ischt,
will oafach BADISCH bliibe!

Briefe von Lucian Reich an seine Eltern und seinen Schwager 1853-1880

Bearbeitet, Original vom Sommer 2021

Lucian Reich aus Karlsruhe, 25. März 1853

Liebe Eltern!
Vor lauter Geschäften bin ich nicht dazu gekommen der lieben Mutter zum Namensfeste zu gratulieren, es soll deshalb noch nachträglich geschehen. Der lieben ? ebenfalls, ich habe ihr als Namenstagsgruß ein Exemplar Hieronymus hübsch einbinden lassen und werde es nächstens an sie abgehen lassen.
Unsere hiesigen Subscribenten sind mit dem Werke alle sehr zufrieden, man hört nur Günstiges darüber. Die Besprechung von Dr. J. Bader darüber in der Carlsruher Zeitung lege ich hier bei, sie ist besser als die Fiklerische in den Landblättern. Beim Fürsten bin ich sehr gut aufgenommen worden. – Es wird gut sein wenn Heinemann vielleicht nur von hundert zu hundert druckt daß wir recht bald wieder in (?) kommen. Der Zettel mit den Druckfehlern ist allerdings eine von Vogel unnötigen Sparsamkeiten,

übrigens unbedeutend, der Buchbinder muß eben das Blatt auf ein Papier aufziehen. Bei den nächsten Versendungen muß es auf ein ganzes Blatt gedruckt werden. Stotz hat in Neustadt Abonnenten: Marie
Hoffmayer, lieferungsweise.
Hübsch wartet sehnlichst auf den Giebel. Xaver wird einige Zeit hier verweilen müssen. Es wäre mir lieb wenn Heinemann vorerst keine der Bilder frisch zeichnen würde, um den Druck nicht aufzuhalten. Auch muß ich gestehen daß mir der Büchsenmacher welcher Kugel gießt, nicht unwerth ist. Die Bilder finden überhaupt bei jedermann den entschiedensten Anklang. Die Art der Ausführung zieht jedermann unwillkürlich an. In Frankfurt hat sich eine Buchhandlung zur Sammlung der Sache erboten. Überhaupt scheint mir daß die ganze Sache recht gut im Gang ist.
Indem ich Euch Alle tausend mal grüße
Euer Lucian
Carlsruhe, den 25. Mrz. 53
Xaver möge nicht vergessen die Büsten vom Fürsten und der Fürstin mit hierher zu bringen.

Lucian Reich aus Rastatt, 1. August 1856

Liebe Eltern!
Das Schuljahr neigt sich dem Ende zu, und ich freue mich wieder einige Wochen bei Euch sein zu können. Bevor ich nach Hüfingen komme, werde ich jedoch, des früher besprochenen Projekts wegen, an den See, in die Umgegend der Arhenberger reisen. Läßt sich etwas damit machen, so kann der Aufenthalt wohl 14 Tag bis 3 Wochen dauern. Ist der Stoff nicht ergiebig, so werde ich einen Ausflug nach Zürich machen und dann direkt nach Hüfingen kommen. Unsere Prüfungen am Lyceum beginnen dieses Jahr schon mit dem 13. und ich hoffe davon

dispensiert zu werden, weil ich doch nichts dabei zu thun habe. Ich hoffe Euch Alle gesund und wohl anzutreffen; daß dir lieber Vater die Brüder in Dürrheim so gute Dienste geleistet, hat mir Heinemann geschrieben.
Von Kreidel habe ich dieser Tage Nachricht bekommen, daß das Mainau-Werklein dem Regent vorgelegt worden sei. Kreidel ertheilt der Arbeit sehr große Lobsprüche und glaubt daß sie der Regent gewiß gebührend würdigen werde. Die vorige Woche traf auch ein Schreiben von Paris ein, worin gesagt wird, daß der Uhrenmarkt angekommen sei. So wie man hört, will das neuvermählte Paar etwa am 28. Sept. die Rundreise durchs Land antreten und auf der Mainau eine kleine Rast einlegen.

Indem ich Euch und Alle herzlich grüße
Euer dankbarer Sohn Lucian
Rastatt 1. Aug. 56
Die Ernte fällt hier sehr gut aus. Die Früchte sind von außerordentlicher Qualität und auch die Kartoffeln versprechen das Beste.

Lucian Reich aus Rastatt, 22. Mai 1857

Liebe Eltern!
Die Nachricht, welche mir Heinemann von dem dir lieber Vater zugestoßenen Unfall mitgetheilt, hat mich nicht wenig erschreckt, aber auch wiederum getröstet, da ich die Versicherung erhielt, die Verlezungen seien Gott sei Dank nicht gefährlich und im Verlauf weniger Tage so geheilt worden, daß du lieber Vater wieder deine täglichen Ausgänge machen kannst. Wir können alle dem Himmel nicht genug danken, daß der gefahrvolle Tag nicht zum wirklichen Unglückstag für uns geworden ist, was bei der Größe der

Gefahr, so leicht hätte der Fall sein können. Gott wolle uns vor ähnlichen Ereignissen gnädig bewahren. Ich kann mir denken, wie es die liebe Mutter und alle Familien-Angehörigen erschreckt haben wird.

Dem Heinemann werde ich nächstens schreiben. Wegen Xavers Angelegenheit in Baden konnte ich bis jezt noch nichts thun, da ich bei meinem kürzlichen Besuche dort den Fohr zufällig nicht angetroffen habe. Ich werde nächstens wieder einmal hinüber gehen.

Hier in Rastatt geht alles seinen gewohnten ruhigen Gang fort; vom Ministerium erhielt ich die Versicherung, daß mein Gehalt demnächst auf die normalen 600 fl gestellt werden solle.

Indem ich baldigen weiteren Nachrichten entgegen sehe, wie es dir lieber Vater ferner geht, grüße ich alle herzlich
Euer dankbarer Sohn Lucian
Rastatt, d. 21. Mai 1857

Lucian Reich aus Rastatt, 3. Mai 1858

Liebe Eltern!
Ich wollte bisher warten Euch Nachricht zu geben bis ich dem Heinemann zugleich hätte die Holzstöcklein für den ? ? mitschicken können. Dies kann aber erst im Laufe der nächsten Woche geschehen. Ich bin sehr begierig, wie es dir liebe Mutter geht, hoffentlich von Tag zu Tag besser. Den gleichen Tag, wie ich hierher kam hatte eine Nachbarsfrau, die viel zu meinen Hausleuten kommt das nämliche Unglück

nur war der Fall gefährlicher, weil der Knochen durch die Haut herausdrang. Sie mußte bis jetzt liegen, den Arm auf einem Kissen befestigt. Ich bin hier wieder in meine gewöhnliche Tätigkeit eingetretten. Von Freiburg höre ich daß die Zeichnungen zu den Glasfenstern sehr viel Beifall finden. Auf Xavers Großherzog ist man allenthalben sehr gespannt; er wird aber gut thun, wenn er selbst damit nach Carlsruhe geht. In Baden herrschen noch immer die Blattern und es geht niemand hin, der nicht

muß. Wenn ich nach Carlsruhe komme so werde ich den Schmuck für den Sepperle für seine getreue Pflege dort einkaufen. Bis dahin lebt alle wohl und benachrichtigt mich bald wie es der lieben Mutter geht. An Xavers Familie und Heinemann, Nober viele herzliche Grüße

von euerm dankbaren Sohn
Lucian
Rastatt, 3. Mai 1858

Lucian Reich um 1860
Dieser Brief ist nicht datiert, aus dem Inhalt geht aber hervor, daß er um 1860 geschrieben sein muß. Um 1860 war Franz Xaver mit der Ausführung des Großherzog-Leopold-Denkmals beschäftigt.

Liebe Eltern!
Zum morgigen Namensfeste gratuliere ich dir liebe Mutter herzlich, der Himmel möge uns dieses Fest noch vielmal ungetrübt feiern lassen. Wie ich heute von Heinemann höre wird die Base Martha, die leider keinen guten Winter gehabt hat, ? zu Euch hinauf kommen, sollte sie gerade bei Euch anwesend sein, so bitte ich sie herzlich zu grüßen.

In Herrn ? Angelegenheit bin ich immer noch derselben Ansicht, wie ich sie ihm umgehend mitgetheilt habe. Er soll sich auf ein auswärtiges Gutachten, wobei auch Männer vom eigenen Fach mitzusprechen haben, berufen, gegen ein willkürliches ? näher ? Verwerfung ? der Auffassung und der Motive, wodurch ja alle künstlerische Freiheit gerade zu ver? wäre bescheidenen Einspruch erheben.
Im Übrigen sich bei nochmaliger Bearbeitung streng an die Natur halten, was abgeschlossen von anderen Künstlern und ihren

Arbeiten der einzig richtige Weg ist, wobei auch nicht gesagt ist, daß man sich in Kleinlichkeiten verlieren soll. Sollte er Lust haben nach München zu gehen, so würde ich dort nur kleine Skizzen machen oder vielmehr in kleinen Skizzen von den jezigen Figuren beibehalten was man dort für gut findet.

Sollten in Betreff der Leopoldfigur Steine in den Weg zu werfen versucht werden, so würde ich mich entschieden auf das gegeben gutheißend Wort des Großherzogs und seines Bruders des Prinzen Wilhelm berufen,

Leopold I. Grossherzog von Baden von Xaver Reich in Konstanz
(Foto: user:joergens.mi, CC BY-SA 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0, via Wikimedia Commons)

und dem Großherzog zu bedenken geben, daß mit Zurücknahme dieses gegebenen Wortes ?? dein Ruf als Künstler gefährdet werde. Die Figur ist entschieden gut und wird später, wenn sich die Staubwolken verzogen haben, ihre Anerkennung finden.
Indem ich bitte der lieben Josephine im Garten zu gratulieren ebenso bei Nober auch bei Heinemanns meine Grüße auszurichten.
Euer dankbarer Sohn Lucian
Unsere diesjährigen Remunerationen sind für diejenigen, welche keine Dienstwohnung haben, um 50 reichlicher ausgefallen.

Lucian Reich aus Rastatt, 3. Januar 1861
Die 5. Tochter von Xaver Reich, Amalie, wurde am 25.12.1860 geboren und starb erst am 31.08.1955 in Hüfingen.

Liebe Eltern!
Zum neuen Jahr meine herzlichsten Glückwünsche; der Himmel wolle uns noch lange gesund und wohl beisammen erhalten. Ebenso wünsche ich dir lieber Vater zum Namensfeste Glück und Segen. Eine dritte Gratulation bitte ich in Xavers Familie gelangen zu lassen, wegen der glücklichen Ankunft des Christkindleins.
Über die Brunnenangelegenheit ist noch keine Bestimmung getroffen;

nur soviel wurde mir gesagt, daß die Kosten zur Figur durch freiwillige Beiträge gedeckt werden sollen. Vor einigen Tagen erhielt ich aus Württemberg eine Anfrage wegen 2 Cartons zu Kirchenfenstern.
Dieser Tage werdet Ihr ein Kistchen mit einigen Flaschen Markgräfler erhalten.
Indem ich alle Familienangehörige herzlich grüße und ihnen Glück zum Neujahr
wünsche
Euer dankbarer Sohn Lucian
Rastatt, 3. Jr. 61

Lucian Reich aus Rastatt, 18. März 1866
Eine Tochter von Xaver Reich war Marie Josefa Amalie Reich. Sie hat am 08.03.1866 den Karl Eschborn, FF Forstverwalter, geheiratet. Sowohl die Mutter von Lucian Reich als auch seine Nichte hießen also Josepha. (Vielen Dank an Markus Greif, der das Rätsel mit dem Eschborn’schen Haus entziffert hat)

Liebe Eltern!
Zum hl. Josephsfest meine herzlichsten Glückwünsche dir, liebe Mutter, so wie auch unsere Josepha’s im Garten und neugegründetem Eschborn’schen Hause.
Die frühe Ostern macht mir die Ferienreise zu Euch hinauf unthunlich. Mein Bild erfordert zur Vollendung noch recht gut den ganzen Monat, und da ich die Goldrahm dazu hierher bekomme, so werde ich es noch einige Tage im Schloß zur Ansicht aufstellen. Ich glaube, daß es sehr gut geworden ist. Nach diesem werde ich noch zwei kleinere Altarbilder für eine

Kirche in der Nähe von Ettlingen malen. Unterdessen wird der August herankommen, den ich dann wie gewöhnlich zur Hinaufreise benützen werde.
Xaver wird am besten thun, das Relief mit Oel- oder Schellack zu colorieren, denn auch in der großen Tonwaarenfabrik bei Koblenz geschieht mit Figuren, Vasen etc., die ins Freie kommen, das gleiche.
Indem ich Euch alle, ins besonders das junge Ehepaar, von dem ich gestern einen Brief erhalten, bestens grüße Euer dankbarer Sohn Lucian
Rastatt 18. Mrz. 66

Luzian Reich (07.01.1787 – 18.12.1866) und seine Ehefrau Maria Josefa Schelble (19.03.1788-12.11.1866). Die lieben Eltern starben kurz nacheinander vor Weihnachten 1866.
Foto von Johann Nepomuk Heinemann (dem lieben Schwager) etwa 1866.

Lucian Reich aus Rastatt an Johann Nepomuk Heinemann, 19. September 1880.
Margareta Stoffler aus Geisingen war die Frau von Lucian Reich und Mutter der einzigen Tochter Anna. Marie Heinemann war die einzige Tochter von „Lisette“ Reich (seine Schwester Elisabeth 15.12.1819-22.06.1871) und dem „lieben Schwager“ . https://hieronymus-online.de/hufinger-kunstlerkreis/

Lieber Schwager!
Das an Xaver und Dich gerichtete Schreiben wird Dir mitgeteilt worden sein.
Euch beiden, als den nächsten Angehörigen, wollte ich keine gedruckten Todesanzeigen zuschicken. Dir das tiefe Gefühl der Trauer über diese ? zu schildern, kann ich unterlassen, da du von dem gleichen Geschick betroffen worden und alles schmerzliche an dir selbst erfahren hast. Dieses Geschick hat ohnehin viel Gemeinsames, unsere gute unvergeßliche Margarete viel Ähnlichkeit mit der guten Lisette selig. Beide gleich anspruchslos u. verzichtend auf äußerlichen Lebensgenuß opferten sich ganz

den Ihrigen. Beiden war nur eine Tochter beschieden, auf die sich ihr ganzes Lebens? vereinigt hat. Und was uns selbst betrifft, so sind wir beide im Alter, wo man nur noch im Wohlergehen u. Glück der Kinder sein eigenes Finden kann.
Was nun meine gute Anna betrifft, so war sie an dem 10 monatlangen Krankenlager der Mutter fast über ihre Kräfte angestrengt, so daß sie jezt der Ruhe und Erholung dringend von nöthen hat. Wir haben eine Schwester der Verewigten bei uns, die einige Wochen bleiben. Anna hofft, Du werdest gestatten, daß deine Marie im Laufe des Winters auf Besuch zu uns kommt. Obwohl uns die Trauerzeit nunmehr Zurückgezogenheit auferlegt, so würden wir ihr den

Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen versuchen.
Mit herzlichen Grüßen auch von Anna Dein trauernder Schwager Lucian R.
Rastatt, 19. Sept. 80

Elisabeth (Lisette) Reich (1819 – 1871) am Spinnrad; Katharina Heinemann (1828 – 1900) mit Kind; J. Nepomuk Heinemann, genannt “Muckle” (1817 – 1902) mit Fes? Mütze; Lucian Reich (1817-1900) mit Pfeife; Rudolf (Vetter) Gleichauf (1826 – 1896) rechts unter der Uhr; Josef Heinemann (1825 – 1901) mit Buch. Zeichnung aus den Wanderblühten.

Lucian Reich aus Rastatt an Johann Nepomuk Heinemann, 24. Sept. 1880

Lieber Schwager!
Dein Schreiben mit der Versicherung, Deine Marie werde uns besuchen, war ein freundlicher Lichtstrahl im Dämmer unserer Traurigkeit. Anna meint wenn sie nur schon da wäre, damit sie ihr Herz gegen sie ausschütten könnte. Wie man aber den Kindern nicht alles zur gleichen Zeit gibt, sondern die Süßigkeiten vertheilt, damit sie lange daran haben, so bin ich der Meinung, solle man es auch mit Liebeswerken umgehen, u. glaube, daß Marie ihren Besuch auf eine Weile verschieben solle, bis die Schwägerin, die wir hier haben uns verlaßen hat. Es würde sonst der Fall eintreten, daß beide, sie und Marie, uns zur gleichen Zeit wieder allein lassen würden; und würden wir dann

Marie Heinemann

die schmerzliche Lücke, zumal Abends, doppelt fühlen. Bis dorthin werden wir, so hoffe ich, dann auch wieder in der Faßung u. Stimmung sein, Marie den Aufenthalt mehr angenehm zu machen. Anna, die in der Sorge u. Wiederinstandsetzung unseres Hauswesens, einen Ableiter gegen trübes Sinnen und Denken sucht, wird dann sich wohl auch wieder mehr ihren Freundinnen zu wenden, von welchen einige bei unserem Unglück sich treu bewährt haben. Auch ich werde mich mehr in’s Unvermeidliche fügen gelernt und wieder mehr Theilnehmend gegen Alles was mir Gutes und Liebes noch geblieben ist, erzeigen können. Abends gehe ich nicht mehr aus, u. werde nicht mehr ausgehen. Meist bin ich um 9 Uhr schon zu Bett, ebenso Anna und unsere Base. Es sind nun schon 8 Tage seit dem Hinscheiden unserer guten Mutter Margareth, so schnell

auch im Trübsinn die Zeit hingeht, so habe ich doch das Gefühl, als wäre sie uns schon seit Jahren entrißen.
Hätte ich nicht für Anna zu leben u. zu sorgen, so würde ich im Hinblick, daß auch meine Laufbahn naturgemäß keine allzulange mehr sein kann, mit Shakespeare im Hamlet ausrufen, „s’ist ein Ziel, auf’s innigste zu wünschen!“ – Doch genug hiervon. – Anna erwartet täglich ein Brieflein von Marie, die wir beide herzlich grüßen wie Euch alle
Euer trauender anhänglicher Schwager und Onkel
Lucian
Rastatt 24. Sept. 1880

*Transkription unter den Briefen ist das meiste von einer großen Unbekannten – mit einer Schreibmaschine getippte Seiten waren bei den Briefen dabei. Ist also nicht alles von mir.

Maria Josepha Heinemann Brunnen an der Hauptstrasse 52 mit Elisabeth Heinemann (Grießhaber) und ihrer Cousine Maria Heinemann (Nober). Maria Heinemann war die Tochter von J. Nepomuk Heinemann und Elisabeth Reich.
Brunnen an der Hauptstrasse 52 mit Elisabeth Heinemann (Grießhaber) und ihrer Cousine Maria Heinemann (Nober). Maria Heinemann war die Tochter von J. Nepomuk Heinemann und Elisabeth Reich.

Zum 150. Jubiläum der Figurengruppe – Die jungen Donau als Kind im Schoß der Mutter Baar von Xaver Reich

Zur Wiederaufstellung am neuen Donauzusammenfluss hielt der Leiter des FF-Archives, Dr. Jörg Martin, heute am 14. September 2025 eine Vortrag über die Mutter Baar und Xaver Reich.

Dr. Jörg Martin zur jungen Donau als Kind im Schoß der Mutter am 14. September 2025

Vielen Dank an Dr. Martin der heute so nebenbei auch die lange ungeklärte Frage, wo die Donauquelle nun sei, ein für allemal beantwortet hat.

Die Donauquelle gluckst vor Freude,
weil sie jetzt weiß wo es beginnt,
ein langer Weg, ein langes Leiden,
das jetzt nicht nur im Sand verrinnt.
Der Ruf tönt nun wie Donnerhall,
auch in den fernen Ländern.
Furtwanger beruhigt euch nun,
jetzt könnt ihr nichts mehr ändern.

F.Hucke (Haimaddischder)
https://hieronymus-online.de/donauquelle-folge-352/

Unten mehr über Xaver Reich und die Geschichte der „jungen Donau als Kind im Schoß der Mutter Baar“:

Aus dem Denkbuch von Lucian Reich:
 „Zu den bedeutendsten Aufträgen, die mein Bruder von Fürst Karl Egon III. erhalten hat, gehörte die Aufgabe, bei der Neueinfassung der Donauquelle im Schloßhofe auch diese mit einer Figur oder Gruppe zu charakterisieren. Statt wieder eine Nymphe, sagte mir Xaver, wolle er die junge Donau als Kind im Schooße der Baar in Vorschlag bringen. Dem Fürsten gefiel dieser die Heimat des Stromes so klar bezeichnende Gedanke; und der Beauftragte modellierte das Modell zu der Gruppe dann in München im Verkehr mit den Freunden Schwind und Schaller und auch mit Professor Widenmann.

Als die Donauquelle im Schloßhof 1875 von Adolf Weinbrenner neu gefaßt und umgruppiert wurde, gestaltete also Xaver Reich die Gruppe: „Die junge Donau als Kind im Schoß der Mutter Baar“. 1895 schuf der Künstler Adolf Heer eine neue Marmorgruppe die über die Einfassung der Donauquelle kam – die „Mutter Baar“ darstellend, wie sie ihrer „Tochter“, der jungen Donau, den Weg weist – diese ist heute noch an der Quellfassung.

1939 schenkte Fürst Max Egon die Figurengruppe mit der jungen Donau „als Kind im Schoß der Mutter Baar“ von Xaver Reich der Stadt Donaueschingen. Reichs Gruppe fand in den 1970er Jahren in der Nähe des Zusammenflusses von Brigach und Breg eine vorläufige Bleibe. Im Jahr 2021 wurde sie für die Umgestaltung des Zusammenflusses entfernt und harrte auf dem Gelände der Verbandskläranlage auf ihren neuen Platz auf dem die gestern am 9. April 2025 wieder aufgestellt wurde.


Xaver Reich

1. Version vom Juni 2022

Die Eltern: Luzian Reich und Josefa Schelble
Fotos von Johann Nepomuk Heinemann Anfang 1866

Franz Xaver Reich (1. August 1815 in Hüfingen – 8. Oktober 1881 in Hüfingen) war der ältere Bruder von Lucian und Elisabeth (Lisette).

Die Schelble waren ein Althüfinger Geschlecht. Der Urgroßvater, Franz Xaver (*28.08.1731) war Kunsthandwerker, und zugleich versah er, wie schon sein Vater, den Amtsdienerdienst.
Franz Xaver Schelble fertigte die Altäre in Meßkirch, Gutmadingen, Hausach, Löffingen und die mit Hilfe seines Schwiegersohnes und Geschäftsnachfolgers Johann Gleichauf die Seitenaltäre der Hüfinger Pfarrkirche. Johann Gleichauf (4.2.1764-23.03.1816) war mit Anna Maria Schelble (27.03.1760-27.12.1816) verheiratet.

Der Großvater Franz Joseph Donat Schelble (*17.02.1762-13.02.1835) war Korrektionshausverwalter und beschäftigte sich mit Uhrenmachen und beaufsichtigte die Römischen Ausgrabungen im Mühleschle und am Fuße des Hölensteins, wofür er vom fürstlichen Protektor mit einer goldenen Repetieruhr beschenkt wurde.

Alter Eingang vom Römerbad

Luzian Reich gründete in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Mal- und Zeichenschule in Hüfingen. Dort unterrichtete er unter anderen auch seine Söhne Lucian und Xaver, die Brüder Nepomuk und Josef Heinemann und auch Rudolf Gleichauf.

So schreibt Lucian Reich im Denkbuch: „Glückliche Zeit so ein Vakanztag, in dem man in der Stube am Zeichentisch sitzt, während es draußen stürmt und den Schnee wirbelnd durch die Gassen jagt, oder regnet, „was abe mag!” Und so saßen auch wir, mein Bruder Fr. Xaver und ich, mit („Muckle”) Joh. Nep. Heinemann (gleich mir im teuren Jahr 17 geboren) manche Stunde zusammen.

Xaver Reichs Geflügelhof

Aber praktisch, wie der Xaveri in allem war, wollte er bald auch mit seiner Kunstfertigkeit Geld verdienen. So z. B. hatte er einen ganzen Geflügelhof in Thon modelliert, der im Ofen des Hafners Härle gebaut und naturgetreu koloriert wurde.

Es war kurz vor dem Klausenmarkt, und die Herrlichkeit wurde einer vertrauten Käsehändlerin zum Verkauf übergeben. Aber so oft die kleinen Künstler am Tischlein der Frau vorbeistrichen, sahen sie die Schaar noch vollzählig.

Endlich – die meisten Krämer hatten bereits eingepackt – war sie vom Tischlein verschwunden und die Frau händigte den beiden – mit Abzug ihrer Prozente – das Geld hierfür ein. Um den kleinen Spekulanten die Unternehmungslust nicht zu benehmen, hatte die Mutter eine Base auf den Markt geschickt, den ganzen Kram einzukaufen was die Brüder natürlich erst viel später erfuhren.

Lucian Reich, Badische Fortbildungsschule. Nr. 7, 1900, S. 97 ff.

Nach der Förderung durch seinen Vater, kam Xaver Reich 1832 auf Empfehlung seines Onkels Johann Nepomuk Schelble an das Städelsche Institut. Durch seinen Onkel wurde er auch Mitglied in dessen Cäcilienverein.

Lucian Reich im Denkbuch: „Mein Bruder hatte sich für die Plastik entschieden. Formensinn und außerordentlich geschickte Hand befähigten ihn hierzu. Jeden Herbst kam Onkel Schelble zu Besuch in die Vaterstadt, und was wir von ihm vom Städel’schen Kunstinstitute hörten, ließ uns Frankfurt in ganz verklärtem Lichte erscheinen. Gegen Ende der 20ger Jahre war Zwerger, der Zögling Danneckers, aus Italien zurückgekommen.
In Hüfingen, bei seinem Schwager, Schloßverwalter Wehrle, vollendete er seinen „Hirtenknab” in Karrarischem Marmor. Von Schelble empfohlen, hatte er bald nachher eine Berufung an das Städel’sche Institut erhalten. Und nun erbot er sich, meinen Bruder als Schüler anzunehmen; und somit verließ dieser im Herbste 1832 mit Onkel und Tante die Vaterstadt, und im Jahr darauf fuhr auch ich mit ihnen der ersehnten freien Reichsstadt (Frankfurt) zu. Das Städel’sche Institut war gewissermaßen noch im Entstehen begriffen. Mein Bruder hatte seine Lehrzeit noch im alten Hause auf dem Roßmarkt begonnen, und der Umzug ins neue war kurz vor meiner Ankunft bewerkstelligt worden, so daß zehn oder zwölf Malerschüler, mit mir dem jüngsten, erstmaligen Besitz von den obern vier, in den Hof und Garten hinausgehenden, Ateliers nahmen. Es war eine gemischte Genossenschaft, die sich da zusammengefunden, ein Konglomerat verschiedenster Ausbildungsstufen und Richtungen, jeder mit einem andern Gegenstand beschäftigt.

Xaver Reich gezeichnet von
Nepomuk Heinemann 1838

Foto von Xaver Reich

Franz Xaver Reich
Lithografie seines Schwagers Johann Nepomuk Heinemann, 1848, Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS oIII 609.

Franz Xaver Reich
gezeichnet von Josef Heinemann

Lucian Reich schreibt viel über seinen Bruder im Denkbuch:
https://hieronymus-online.de/denkbuch-von-lucian-reich-1896/

Josefa Reich, geb. Elsässer (1823-1900)

Lucian Reich im Denkbuch: „Kamen wir Mittwoch abends aus dem Aktzeichnen, so nahmen wir den Weg an der Hauptwache vorbei zum Rauchschen Hause, in dessen Saal der Verein seine Proben abhielt. Xaver reihte sich dann jedesmal den Sängern an, während ich, oft der einzige Zuhörer, unter der Galerie Platz nahm. Während unsres drei-, resp. vierjährigen Aufenthaltes in der Mainstadt hatten wir, ohne bei befreundeten Familien eingeladen zu sein, selten einen Abend außer dem Hause zugebracht.

Blick aus einem Fenster des Hotels „Russischer Hof“

auf der Zeil nach Westen zur Hauptwache (William Henry Fox Talbot, 1846)
Kalotypie Notiz auf dem Abzug: „street at Frankfort, gloomy day, 32 minutes in camera“ Hinweis: Talbots Abzug ist höchstwahrscheinlich seitenverkehrt. Der 1891 abgerissene Russische Hof befand sich auf der Nordseite der Zeil, siehe dazu auch ein Foto von Mylius, die Katharinenkirche hingegen auf der Südseite. Die Zeil verläuft in ost-westlicher Richtung zur Hauptwache; es ist von der Zeil aus daher nicht möglich, die Katharinenkirche rechts (nördlich) vom Hauptwachengebäude sehen.
Foto: Wikipedia

Xaver Reich ging 1836 nach München und arbeitete in der Bildhauerwerkstatt von Ludwig Schaller, der Ludwig Schwanthaler bei der Ausschmückung der 1836 eröffneten Pinakothek unterstützte. Zwerger, Schaller und Schwanthaler waren Vertreter des klassizistischen Stils.

Vermutlich Johann Nepomuk Zwerger
(* 28. April 1796 in Donaueschingen; † 26. Juni 1868 in Cannstatt).
Deutscher Bildhauer und Hochschullehrer.
Hier 1829 gezeichnet von Luzian Reich senior.

Lucian Reich im Denkbuch: „Im Atelier Schallers hatte er (Xaver), obgleich im Steinarbeiten nicht geübt, resolut zu Hammer und Meißel gegriffen und nach Schallers Modell die Holbeinstatue für die Pinatothek in Stein ausgeführt. Im Lehrsaal Zwergers war er bis in die letztere Zeit der einzige Schüler gewesen, der sich ausschließlich der Plastik widmete. Zu den jüngern Fachgenossen, mit denen er jetzt verkehrte, zählte vor allen Hähnel (später Professor in Dresden). Entwürfe, die er mir von seiner Tätigkeit als Mitglied eines Komponiervereins zuschickte, ließen ein frisches, freudiges Schaffen erkennen. Jetzt, nach kurzem Verweilen in der Vaterstadt, hatte er das Glück, an Fürst Karl Egon zu Fürstenberg einen Mäcen zu finden. Der erste bedeutende Auftrag betraf die Donaugruppe für den fürstlichen Park, wozu er das Modell in München fertigen sollte.….

….Im Gesellschaftshause Frohsinn hatte er (Xaver) Atelier und Wohnung gemietet; und ein glücklicher Gedanke war es den Kunstheros Cornelius um einen Besuch zu bitten. Und er kam oft, der kleine große Mann mit dem Blicke des Adlers, und nicht nur mit Worten, auch mit genial hingeworfenen Bleistiftstrichen suchte er den jugendlichen Modelleur auf die Erfordernisse monumentaler Plastik ausmerksam zu machen. Wozu mir in Frankfurt die Anregung gefehlt, das tat ich jetzt wieder, indem ich ein Bild aus dem Leben malte. Hierauf begab auch ich mich ebenfalls nach München, wo ich im „Frohsinn, den auch Schaller und Bildhauer Eduard Wendelstädt, Sohn des Inspektors am Städelschen Institut, bezogen hatten, mich einquartierte. (Das bedeutendste Werk dieses talentbegabten, frühe verstorbenen Künstlers ist die Statue Karls des Großen auf der Mainbrücke zu Frankfurt.)“

Johann Nepomuk Schelble, der geliebte Onkel und Gönner starb viel zu früh am 06.08.1837.

Lucian Reich in den Wanderblühten: „Es war am 6. August des Jahres 1837, an einem Sonntag, als das Totenglöcklein der Stadtkirche üblicherweise den Einwohnern verkündete, dass ein Mensch aus ihrer Mitte geschieden sei. – Es war das Scheidezeichen für Johann Nepomuk Schelble. – Im Geleite der Seinigen hatte er denselben Tag einen Spaziergang auf ein entferntes Grundstück unternommen, als er zurückkehrend am Eingange seines Gartens von einem Blutsturz befallen wurde, der seinen Leben in den Armen seiner Gattin ein schmerzliches schnelles Ende machte.

Lucian Reich im Denkbuch: Unser Schaffen und Streben war im besten Zuge, als uns, wie ein Blitz aus heiterem Himmel — denn er hatte sich ja in anscheinender Besserung befunden — die Nachricht vom Tode Schelbles traf.

Wegen in des Todes kehrten die Brüder nach Hüfinger zurück, wo Xaver 1837 für Fürst Karl Egon II. zu Fürstenberg die monumentale Sandsteingruppe „Donau mit den Zuflüssen Brigach und Breg“ schuf, die ihn öffentlich bekannt machte.

Wilhelm August Rehmann, Leibarzt und Hofrat von Fürst Karl Egon II. zu Fürstenberg veranlasste, dass Xaver Reich eine Skizze modellieren konnte, welche die Donau mit ihren Zuflüsse Brigach und Breg zeigte. Karl Egon II. war vom Ergebnis begeistert und beauftragte Reich damit das Modell 1837 im großen Maßstab herzustellen. Im Schloss Hüfingen erhielt er von seinem Mäzen dann ein Atelier geräumt, um die Gruppe in Sandstein auszuführen. Die Sandsteingruppe wurde auf der „großen Insel im Schwanenweiher“ (heute: Pfaueninsel) im Schlosspark von Donaueschingen aufgestellt.

Danubiagruppe auf der Pfaueninsel (Postkarte 1906)

Durch Heinrich Hübsch ihn erhielt Xaver Reich vom badischen Großherzog Leopold den Auftrag, die Gruppe für das Giebelfeld der Trinkhalle Baden-Baden auszuführen, die Hübsch von 1839 bis 1842 errichtete.

Trinkhalle in Baden-Baden. Foto: Wikimedia

Durch ein Stipendium von Karl Egon II. wurde es Xaver Reich möglich, sich für einen zweijährigen Italienaufenthalt nach Rom zu begeben (1842/43). Dort freundete er sich mit dem aus Karlsruhe stammenden Bildhauer Christian Lotsch (1790–1873) an, der seit 1822 in Rom ansässig war.

Ostersonntagabend in Rom

Am nämlichen Abend (des Ostersonntags) ist Beleuchtung der Kuppel des Petersdomes. Das ganze Gebäude scheint zu glühen, man glaubt in einer Zauberwelt zu sein. Um ein Uhr in der Nacht wechselt auf einen Augenblick die Beleuchtung auf andern Punkten werden Pechkränze angezündet. Bei jeder Lampe ist ein Mann. Wer dies nicht gesehen hat, für den ist der Eindruck nicht zu beschreiben. Nach aller Aussagen soll auf der ganzen Welt nichts brillianteres stattfinden, selbst in Paris nicht. Die Lokalität ist hierzu äußerst günstig.

Das Schauspiel dauert ungefähr eine halbe Stunde in steter Abwechslung. Kanonen, welche dazwischen feuern, machen sich besonders schön. Zu Ende speit die ganze Engelsburg Feuer – man glaubt sich seines Lebens kaum sicher.«

Franz Xaver Reich, FFA, Tagebuchaufzeichnungen nach Wohl-lebe, J. L., Künstlermappe.

Aus dem Stadtlexikon Karlsruhe

Seine Wettbewerbsteilnahme für eine Kolossalskulptur „Handel und Schifffahrt“ auf dem Hauptportal des nach Plänen von Heinrich Hübsch realisierten Zollareals am Mannheimer Freihafen machte den Karlsruher Oberbaurat Ende der 1830er-Jahre auf Reich aufmerksam. In den folgenden zwei Jahrzehnten fertigte der Bildhauer für Hübschs wichtigste Bauwerke Bauplastiken an. Dazu gehören die Figurenreliefs am Hauptportal der neuen Gemäldegalerie (1837-1845; heute Staatliche Kunsthalle Karlsruhe), die unter anderen Albrecht Dürer, Hans Holbein den Jüngeren und Peter Vischer zeigen, das Giebelrelief der Trinkhalle in Baden-Baden (1839-1842; Entwurf und Gipsmodell von Johann Christian Lotsch) mit der Heilung der Kranken durch eine Quellnymphe, das Giebelrelief sowie die 20 lebensgroßen Figurenreliefs und 100 Medaillonköpfe mit Gestalten aus Oper und Drama am neuen Großherzoglichen Hoftheater (1851-1853; im Zweiten Weltkrieg zerstört) sowie die beiden Figurenpaare oberhalb der Eingänge in das Orangeriegebäude des Botanischen Gartens (1853-1857), welche Allegorien der vier Jahreszeiten darstellen. Beim Abräumen der Trümmer des Hoftheaters 1963 konnten viele der Medaillons und Figurenreliefs geborgen werden. Sie fanden zur Bundesgartenschau 1967 in und bei der im Wintergarten des Botanischen Gartens eingerichteten Badischen Weinstube eine neue Verwendung. Fünf der Medaillons wurden dem Heimatmuseum in Bad Dürrheim überlassen. 

Weitere Arbeiten von Reich in Karlsruhe sind das überlebensgroße realistische Standbild des badischen Staatsministers Georg Ludwig Winter (heute Beiertheimer Allee) sowie die Engelsfigur des Denkmals für die Opfer des Theaterbrandes (1847/48). Auch in Baden-Baden finden sich noch Werke von ihm, darunter die Statuen der Justitia (Schwert, Waage) und Lex (Gesetzesbuch, Schwörstab) am Hauptportal des 1842/43 nach Plänen von Friedrich Theodor Fischer erbauten Amtshauses (heute Ärztehaus).

https://stadtlexikon.karlsruhe.de/index.php/De:Lexikon:bio-1185

Lucian Reich schreibt am 25.März 1853 an seine Eltern: „Hübsch wartet sehnlichst auf den Giebel. Xaver wird einige Zeit hier verweilen müssen.

Das von Leopold beauftragte und 1848 aufgestellte Denkmal für die 63 Todesopfer die beim Brand des Karlsruher Hoftheaters am 28. Februar 1847 ums Leben gekommen waren, war der vorerst letzte Auftrag Reichs in Karlsruhe; er kehrte nach Hüfingen heim.

Familienleben

Am 28. August 1843 heiratete Xaver Reich in Kirchenhausen Josefa Elsässer (* 20. April 1823-19.11.1900).

Josefa Reich, geb. Elsässer (1823-1900)

Kinder von Xaver und Josefa Reich:

1. Berthold Lucian Joseph Reich geboren am 01.06.1844 in Karlsruhe. Hat angeblich später den Ölberg am Aufgang zu St. Johann von Donaueschingen geschaffen. Anna Reich schreibt in ihrem Brief 1876: „So, so dein Amerikaner Vetter, war ein solcher Herzeroberer, nun ich bin froh, daß ich ihn nicht kennen lernte„. Dies spricht dafür, dass es uneheliche Nachfahren gibt, von denen die Cousinen wussten. Ob Berthold in Amerika war, ist nicht bekannt. Anscheinend ist er aber erst 1925 gestorben, wie Vetter schreibt.

In der Chronik vom Vetter steht: „Der Sohn Bertold, im Juni 1854 in Karlsruhe geboren und am 24. Oktober 1925 gestorben, trat in die Fußstapfen seines Vaters und wurde ebenfalls Bildhauer.

Im Hüfinger Sippenbuch gibt es gleich gar keinen Berthold. Aber dass Berthold 1844 in Karlsruhe geboren wurde, macht mehr Sinn, da 1854 die Reichs in Hüfingen wohnten.

2. Erwina Amalia Josepha, geboren 05.08.1845 in Karlsruhe -?

3. Maria Josefa Amalia, geboren am 21.01.1848 in Hüfingen. Am 8.3.1866 heirat mit Karl Eschborn *9.7.1834, FF Forstverwalter. Lucian Reich 1866 in einem Brief an die Eltern: „Zum hl. Josephsfest meine herzlichsten Glückwünsche dir, liebe Mutter, so wie auch unsere Josepha’s im Garten und neugegründetem Eschborn’schen Hause.“
1 überlebendes Kind von dreien: Maria Josefa ( *1.6.1867-?)

4. Amalia Maria Anastasia geboren am 23.09.1850 in Hüfingen, gestorben am 22.10.1939 in Hüfingen

5. Klara Mathilde, geboren am 27.11.1852 in Hüfingen, verheiratet am 27.9.1877 mit Sigmund Gayer geboren in Unterliezheim am 23.03.1847, Forstverwalter Geisingen. Enkel Oberforstrat Erwin Gayer ?

6. Karl Guido geboren am 14.11.1858 in Hüfingen. Anna Reich schreibt ihrem Brief 1876: „Soso du sprachst mit meinem Herr Vetter Bodenhopser, Schubladenzieher, wenn du zu ihm kommst wieder, dann bitte ich dich um alles in der Welt, sage zu ihm er sei ein Erdslügner ein fauler Fisch, ein ein ein Spinnenbobelenhirn u. noch vieles Andere hast gehört dieses sagst zum hast’s gehört, er wird dann schon wissen warum u. was drum und dran hängt.“

Carl Guido heiratet eine Josephine (Sophia) Kirchler geboren am 15.12.1864 und beide wandern spätesten 1886 in die USA aus. Sophia Reich stirbt in New Jersey am 24.10.1926.

Census von 1900 New Jersey

Kinder:

Hermann, *13.05.1887 New Jersey – 1953 verheiratet mit Myrtis M Gifford (1893-1981)
Kind: Robert Hermann Rich (1930-1992). Kinder von Robert: Pamela Bennetsen, Brian Rich, Robert Rich.

Christian, 11.02.1989 New Jersey

George, 10.03.1890 New Jersey

William Alexander Reich, *9.04.1891 in New Jersey- 25.06.1941
Kinder: Margret Reich, William Reich, Ernest Reich, Ruth Clara (Reich) Prince 4.08.1918 in New York, NY-8.12.2002)

Catherine Katie ? (Reich) Smith, 8.09.1895-?
Tochter: Virginia Catherine (Smith) Macian 9.03.1920-30.05.2001 Plam Beach

Ernest George Reich, 6.06.1895 in Jersey City, 34.02.1967 in Leon County, Florida,
2 Kinder

Philip Reich, 2.09.1897 in Jersey

Michael Reich, ?

7. Amalia geboren am 25.12.1860-31.8.1955. Wird in den Briefen als „Christkindlein“ erwähnt: „Eine dritte Gratulation bitte ich in Xavers Familie gelangen zu lassen, wegen der glücklichen Ankunft des Christkindleins.

Fronleichnam in Portici

1842/43 war Xaver Reich in Pisa, Florenz und in Verona und begeisterte sich für die Tradition der Blumenteppiche.

Nach Vorbild aus Portici fertigte er in Hüfingen vor seinem Elternhaus den ersten Blumenteppich und legte so den Grundstein einer langen Tradition.

Film von Ernst Kramer in den späten 1920er

Franz Xaver Reich wohnte mit seiner Familie im ehemaligen Anwesen seines Onkels Johann Nepomuk Schelble an der Bräunlinger Straße.

In Hüfingen erweiterte er die Ziegelei, die er von seinem Vater übernommen hatte, um die Produktion von Terrakotten.

Tages-Neuigkeiten
1853

Donaueschingen, 15. Febr. Seit mehreren Wochen sah man die hiesigen Freunde der Kunst in das nahe Städtchen Hüfingen wandern, um im fürstlichen Schlosse in dem Atelier des Bildhauers X. Reich das nun bis zum Brennen des Thones vollendete Giebelfeld zu sehen, welches bestimmt ist, den Vorbau des neuen Theaters in Karlsruhe zu schmücken. Wir glauben dasselbe sowohl in der Erfindung, als in der Ausführung ein vollkommen gelungenes nennen zu dürfen. Die durch die bekannte Giebelform für die Komposition so sehr erschwerte Aufgabe wurde auf eine Weise gelöst, als wäre dem Genius des Künstlers die freie Bezwingung seiner Schwingen zu Gebote gestanden.

In der Mitte steht eine hohe weibliche Figur – die Poesie – und theilt nach beiden Seiten des Giebelfeldes den Kranz des Ruhmes aus; an ihre linke Seite lehnt sich der Liebesgott, ein kräftig gesunder Knabe mit Bogen und Pfeil. Die beiden Gruppen zur Linken und Rechten enthalten die Koryphäen der Dichtkunst und der Musik. Zur Linken ist die erste Figur Schiller, der seinem Nachbar und Freunde Goethe ein so eben geschriebenes Gedicht zur freundschaftlichen Prüfung überreicht. Die dritte, in der Ecke des Giebelfeldes ausgestreckte, mit dem Arme auf seinen Werken ruhende Gestalt ist Lessing; er ist in das Lesen eines Buches vertieft, um seine Verdienste nicht nur als schaffender, sondern auch als kritisch prüfender Geist anzuzeigen. Auf der rechten Seite des Feldes erblickt man zuerst den heiteren, liebenswürdigen Mozart mit der Violine in der Hand. Hinter ihm und von ihm abgewendet sitzt Beethoven ernst und düster mit Aufschreiben einer Komposition beschäftigt. In der Ecke der rechten Seite, der Gestalt Lessing’s auf der linken entsprechend, ruht Gluck mit seinem edlen, ritterlichen Kopfe rückwärts gegen Beethoven gewendet; eine griechische Leyer in seiner Hand mag den antiken Geschmack seiner Muse bedeuten.

Sämtliche Figuren sind edle, würdige Gestalten und den besten Vorbildern entsprechende, gelungene Porträts. Die ganze Gruppe ist lebendig und reich; die zwischen rechts und links herrschende Symmetrie, bedingt durch die architektonische Form, hat durchaus nichts Steifes oder Störendes. Wir halten dieses Werk des rühmlich bekannten Künstlers zwar für sein schwierigstes, aber auch für sein gelungenstes, und sind überzeugt, daß wir durch dieses Urtheil die Erwartungen Derjenigen, welche die andern Werke des bescheidenen Meisters, seinen Engel auf dem Friedhofe und die Marmor-figuren an der Akademie ec. zu Karlsruhe, kennen, nicht zu hoch spannen, wenn auch das Material dieser lezteren Skulpturen in dem Auge des Laien ein günstiges Vorurtheil erzeugt.

Möge nun dem Künstler bei dem Brennen dieser seiner größten Arbeit das Glück so günstig sein, als es seine Zuversicht erwartet. Die geringste Ungleichheit im Trocknen würde bei diesen Dimensionen ein Springen der Masse veranlassen und so das Produkt von langen Monaten und unermüdlichem Fleiß vernichten.

Donaueschinger Wochenblatt, Nr. 15 vom 22. Februar 1853

Franz Xaver Reichs Terrakotten überstanden großenteils die Bombennacht vom 27. September 1944, der auch das Hoftheater zum Opfer fiel. Der Landtag bewilligte seinerzeit eine hohe Summe zu ihrer Bergung. Bürgermeister Max Gilly gelang es im Jahre 1967, einige der geretteten Medaillons für Hüfingen zu erhalten.

Zu diesen Karlsruher Arbeiten kamen Aufträge zur Ausgestaltung der Orangerie, für die er die vier Jahreszeiten schuf, und der Gewächshäuser. Franz Xaver Reichs bekanntestes Medaillon aber wurde dasjenige des alemannischen Dichterfürsten Johann Peter Hebel auf dessen Grabstein in Schwetzingen.

Foto: Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Freiburg, W 134 Nr. 061263d

Foto: 3268zauber, Wikipedia 2009

In der Zwischenzeit führte der unermüdlich tätige Künstler, dem ein Atelier im Schloß zur Verfügung stand, ehrenvolle Aufträge des Fürstenhauses in Donaueschingen aus. So entstand der Jagdhumor zeigende Fries an der fürstlichen Gewehrkammer in Donaueschingen. Die Medaillons am gegenüberliegenden Karlsbau, die etwas trocken und kühl wirken, zeigen neben den Häuptern von Dürer, Peter Fischer, Thorwaldsen und Cornelius hauptsächlich Vertreter der Naturwissenschaften. Tiefer empfunden und persönlicher gestaltet sind die mythologische »Flora« am Giebel des Gewächshauses.

Der Engel auf der Elisabetheninsel, den Fürst Carl Egon II in Erinnerung an seine früh verstorbene Gemahlin Elisabeth aufstellen ließ, wurde nach einem Entwurf von Xaver Reich gegossen. Zu seinen Donaueschinger Arbeiten zählt auch das Turnierrelief an der Reithalle.

Die Inschrift auf der Vorderseite des Sockels lautet:
Der Gerechte ist auch in seinem Tode getrost. Sp. Salomon 14, 23
auf der Rückseite: „Karl Egon Fürst zu Fürstenberg seiner unvergeßlichen Frau Elisabeth, Prinzessin Reuß ä. L. zu Greiz. geb. 23. März 1824, gest. 7. Mai 1861“ .
Das Denkmal wurde nach einen Entwurf von Xaver Reich gegossen.


In der Terrakottenbrennerei schuf er den plastischen Schmuck für das Hoftheater Karlsruhe und den Fries für die fürstliche Gewehrkammer in Donaueschingen sowie die Medaillons am Sammlungsgebäude gegenüber. Im Auftrag des Erzbischöflichen Baumeisters Lukas Engesser fertigte er zusätzliche Werke für badische Kirchen.

Als nach dem Brand des Klosters Maria Hof bei Neudingen Fürst Karl Egon II. in den Jahren 1835-56 die Gruftkirche erbauen ließ, wurde Franz Xaver Reich mit der Ausschmückung beauftragt. Er modellierte die vier Engel aus Zinkguß auf den vier Nebentürmchen, die die Kuppel flankieren. Von ihm stammen ebenso die Madonna und die beiden Heiligenfiguren über der Portalwand wie die beiden Klosterfrauen über dem Portal. Ganz Raphael nachempfunden, dessen Werke Reich während seines Romaufenthaltes besonders stark beeindruckt hatten, ist das Verkündigungsrelief des Hauptaltars. Im Jahre 1870 entstanden die beiden Seitenaltäre, die wiederum eine Madonna und die acht Seligkeiten darstellen.

Neudingen

Foto mit dem Storch von
Wolf Hockenjos

In Hüfingen sind die Skulpturen des Karl Borromäus im Hof des Landesheimes und eine Madonna über dem Portal der Pfarrkirche aus Sandstein Zeugen des unermüdlichen Schaffens des Hüfinger Künstlers. Eine weitere Madonna schuf Franz Xaver Reich für das Portal des Konstanzer Münsters, und auf der Rheinbrücke standen die Statuen der Bischöfe Konrad (934-974) und Gebhard II. (979-995), die seit den dreißiger Jahren den Rheinsteig schmücken.

Landesheim 1950

Gebhard II.

In den Nischen auf der badischen Seite der zwischen 1858 und 1861 erbauten Rheinbrücke von Kehl standen die Figuren des » Vater Rhein« und der »Mutter Kinzig« von Hans Baur und Franz Xaver Reich. Als der östliche Teil der Brücke nach der Kriegserklärung vom 22. Juni 1870 von badischen Pionieren gesprengt wurde, stürzten auch die Statuen in den Rhein. Die Statue Reichs wurde später wieder gefunden und in Verbindung mit einem Brunnen als Kriegerdenkmal vor dem Rathaus von Kehl aufgestellt. Das Rathaus wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und nach dem Kriegsende nicht wieder aufgebaut. Die Kinzigstatue steht seit der Behebung geringer Schäden aber noch heute auf ihrem Platz.

Mutter Kinzig am Kriegerdenkmal 1870/71 in Kehl am Rhein.
Foto: Wikipedia 2010

Für den Erzguß der Porträtsbüste des Großherzogs Leopold erstellte Franz Xaver Reich im Auftrag der Stadt Baden-Baden das Modell. Gleichermaßen stammen von ihm die Modelle für die ehernen Standbilder des Abtes Martin Gerbert von St. Blasien in Bonndorf, die Bildnisse des Landgrafen Joachim und des Fürsten Karl Egon II. im Ornate eines Ritters vom Goldenen Vlies für den Monumentalbrunnen in Heiligenberg. Für die Heiligenberger Schloßkapelle modellierte er zusammen mit dem Bildhauer Sauer aus München den Kreuzweg, der, von der Millerschen Erzgießerei in München gegossen, in der Nagelfluwand am Weg zur Klause Egg eingelassen ist.

Madonna an Verena und Gallus von Xaver Reich

St. Peter und Paul in Bonndorf

Die Figurengruppe über dem Haupteingang vom Konstanzer Münster

Denkmal Abt Martin Gerbert von Xaver Reich aus dem Jahr 1856 im Bonndorfer Martinsgarten

Fürstenbrunnen in Heiligenberg von Xaver Reich

Leopold I. Grossherzog von Baden
von Xaver Reich

Bischof Konrad (934-974)
am Rheinsteig

Gebhard II. (979-995)
in Konstanz

Lucian Reich 1860 in einem Brief an die Eltern:Sollten in Betreff der Leopoldfigur Steine in den Weg zu werfen versucht werden, so würde ich mich entschieden auf das gegeben gutheißend Wort des Großherzogs und seines Bruders des Prinzen Wilhelm berufen, und dem Großherzog zu bedenken geben, daß mit Zurücknahme dieses gegebenen Wortes ?? dein Ruf als Künstler gefährdet werde. Die Figur ist entschieden gut und wird später, wenn sich die Staubwolken verzogen haben, ihre Anerkennung finden.
Indem ich bitte der lieben Josephine im Garten zu gratulieren ebenso bei Nober auch bei Heinemanns meine Grüße auszurichten.

Das Landhaus an der Bräunlinger Straße in dem
Johann Nepomuk Schelble und dann Xaver Reich mit Familie gewohnt hat.
Josephines Garten“ war vermutlich vor dem Haus,
wo heute noch die alten Bäume der Freunde der Natur stehen.

Zu den bedeutendsten Werken des Bildhauers zählt der Marmorengel am »Echo« in Baden-Baden, der vom Fürsten Karl Egon III. in Auftrag gegeben wurde.


Für das Denkmal seines Schwagers, des langjährigen verdienstvollen Donaueschinger Landtagsabgeordneten Kirsner, am Bahnhof, modellierte er dessen Büste, und für diejenigen des Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen wurde ihm die Goldene Medaille des Hofes zuerkannt. Für den Donaueschinger Friedhof hatte Franz Xaver Reich schon im Jahr 1843 einen eindrucksvollen Corpus für das zentrale Kreuz gemeißelt.

Als die Donauquelle im Schloßhof 1875 von Adolf Weinbrenner neu gefaßt und umgruppiert wurde, gestaltete Xaver Reich die Gruppe: „Die junge Donau als Kind im Schoß der Mutter Baar“. 1895 schuf der Künstler Adolf Heer eine neue Marmorgruppe die über die Einfassung der Donauquelle kam – die „Mutter Baar“ darstellend, wie sie ihrer „Tochter“, der jungen Donau, den Weg weist.

1939 schenkte Fürst Max Egon die Figurengruppe mit der jungen Donau „als Kind im Schoß der Mutter Baar“ von Xaver Reich der Stadt Donaueschingen. Reichs Gruppe fand in den 1970er Jahren in der Nähe des Zusammenflusses von Brigach und Breg eine vorläufige Bleibe. Im Jahr 2021 wurde sie für die Umgestaltung des Zusammenflusses entfernt. Seit der Umgestaltung ist sie noch nicht wieder aufgetaucht und der Südkurier verbreitet falsche Geschichten darüber.

Die junge Donau als Kind im Schoße der Mutter Baar.
Sandsteingruppe von Xaver Reich am Zusammenfluss von Brigach und Breg von 1875.
Die Sandsteingruppe wurde im Jahre 1939 der Stadt Donaueschingen geschenkt.

Aus dem Denkbuch von Lucian Reich: „Zu den bedeutendsten Aufträgen, die mein Bruder von Fürst Karl Egon III. erhalten hat, gehörte die Aufgabe, bei der Neueinfassung der Donauquelle im Schloßhofe auch diese mit einer Figur oder Gruppe zu charakterisieren. Statt wieder eine Nymphe, sagte mir Xaver, wolle er die junge Donau als Kind im Schooße der Baar in Vorschlag bringen. Dem Fürsten gefiel dieser die Heimat des Stromes so klar bezeichnende Gedanke; und der Beauftragte modellierte das Modell zu der Gruppe dann in München im Verkehr mit den Freunden Schwind und Schaller und auch mit Professor Widenmann.

Sein letztes erhaltenes Werk waren die Statuette zu einer Schlittschuhläuferin in moderner Tracht sowie eine Skizze zu einer Grablegung Christi. Er starb am 8. Oktober 1881 in Hüfingen.

Xaver Reich, Bildhauer
1. August 1815 – 8. Oktober 1881
Josepha Reich, geb. Elsässer
23. Aprlil 1823 – 19. November 1900

Quellen: Wikipedia, Chronik der Stadt Hüfingen von August Vetter 1984, Sippenbuch der Stadt Hüfingen, Briefe von Lucian Reich, Briefe von Anna Reich, Denkbuch von Lucian Reich, Fotos von Wikimedia und privat.

Den Idioten haben wir rausgeholt

„Jo so wars, anne 1974″

„Die Schottischen Highlands“ mitten in Italien am Campo Imperatore , Gran Sasso

„Man sollte keine Geschichten erzählen, wenn man keine Bilder in sich trägt“. Unbekannter Erzähler

gelesen von Hubert Mauz am 22. Mai 2023

Jede Dekade hat seine Helden. Nach 1954, als Deutschland mit Fritz Walter, Toni Turek, Helmut Rahn und Horst Eckel Fussballweltmeister wurde, wurden Pausenhofbildler dieser Heroen gehandelt. Nach 1960 wollte jeder so schnell wetzen wie Armin Harry. Zumindest Im Schwarzwald und Bayern war nach unserem Jörgle Thoma Skispringen und Langlauf angesagt. Dass Fussball unkaputtbar ist, bewiesen dann Uns Uwe, Beckenbauer, Katsche Schwarzenbeck, Stan Libuda und Sepp Maier.

Genauso war es in den unsäglichen 40-er Jahren. Der Schulunterricht begann oft mit den neusten Fronthelden- und Schlachtberichten der Nazipropaganda. Ohne Helden lässt sich die Jugend nur schwer gehirnwaschen. Und so war es nach dem September 1943. Bilder von jungen, kruppstahlharten, windhundschnellen und lederzähen Jungmännern wurden in Alben neben Karten des Grossdeutschen Reiches mit Schlachtplänen mit Mehlpapp sorgfältig einegklebt und mit Sütterlinschrift ausgemalt.

90 Wehrmachts- Fallschirmjäger und 17 SS Leibstandarte Soldaten befreiten den von den eigenen Faschisten gefangen Duce, Benito Musselini.
Im Gebirgshotel „Duca di Abruzzi“ mit Seilbahnstation auf dem Campo Imperatore unterhalb des Gran Sasso fand die folgende Geschichte statt.
Zufällig war ein unbefangener Nachgeborener verblüfft Zeuge der sehr seltenen und hier ungewöhnlichen Nachkriegsbewältigungen oder Verstummungen von zwei echten Beteiligten. Protagonist und Zuschauer.

„ Ja, den Idioten haben wir herausgeholt “

Wie ein Jungmann mit der Gnade der späten Geburt mitten in ein Heldenepos gerät.

Bauunternehmer- Büro 1974 in einem grossen Verwaltungsgebäude auf der Baar:

Fast jeden Morgen steht er in unserem Büro und fragt ob er wegen unseren abgeschickten Abschlagszahlungen oder Rechnungen bei den Auftraggebern schon anrufen könne. Es ist der sorgenbeladene Geldeintreiber, der Finanzkaufmann einer großen Baufirma in der Region. Nachdem er uns wieder mal gebetsmühlenartig sein Leid über anstehende Lohnzahlungen, Gehälter, Rechnungen, Finanzamtsforderungen, Krankenkassen und Bankzinszahlungen vorjammert gibt’s dann immer noch ein kleines Schwätzle mit dem leutseeligen, freundlichen Schwaben. Dem Jungingenieur sitzt ein alter Hase der Branche gegenüber und ein Jungvolk Protagonist. Noch nie hat er von seiner Prägung während der Schulzeit und seinen Jungvolkerfahrungen gesprochen. Aber heute platzt es geradezu aus ihm heraus: „ Herr …„B“, sind sie eigentlich der Sohn von General ….„B“ ? Der, der als Fallschirmjäger am Grand Sasso dabei war ?“ So direkt und unverblümt fragt er den sonst sehr jovialen, freundlichen Geldeintreiber der Firma. Der antwortet ungewohnt schroff und abrupt: „Ja, den Idioten haben wir herausgeholt“, und er verlässt zum ersten mal grußlos und schnell das Zimmer. Einige Sekunden herrscht eine beklemmende, knisternde Stille. Der alte Hase aus dem Wald atmet tief durch und seufzt: „ Ich haans doch beigott gwisst, siter paar Monet triebt mich selt um. Siner Vadder sieht ihm wie us em Gsiecht gschnitte gliich. G.D. , der alte Hase hat wieder mal in den Büchern und seinen Alben rumgeblättert und auf seine Träume und Albträume aufgepasst. Wie so oft in letzter Zeit. Der Jungspund aber versteht natürlich kein Wort, spürt nur eine prickelnde Anspannung. Allmählich hat G.D. , der lebenserfahrene Mentor, sein Nervenkostüm und die Fassung wieder im Griff und spürt die fragenden Blicke des Jungkollegen.
Und nun beginnt er bedächtig zu erzählen:

Hochalmwiesen

am Campo Imperatore

„Jeden Tag wurden wir von dem strengen, stramm linientreuen kriegsverletzten Lehrer über den heroischen Kriegsverlauf unterrichtet. Über die Heldentaten für Führer, Volk und Vaterland. Die neuesten Heldentaten für das Tausendjährige Reich erklärte er uns anhand von Generalstabskarten. Wir kannten Europas Zonen, von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt. Dienstgrade, Ritterkreuzträger, Schlachten, Waffen waren uns geläufig. Wir mussten nach der Schule nicht erst an die Gemeindeanschlagtafeln um den Kriegsverlauf einzusehen. Wir waren aus erster Hand systemkonform informiert. Noch heute bekomme ich Gänsehaut als am 13.September 1943 die Tür mit Hitlergruss aufgerissen wurde und unserer Einpeitscher und Chefpropagandist zackig brüllend verkündete: „ Unsere rumreichen Fallschirmjäger unter Mithilfe der Waffen SS Leibstandarte haben unter Kurt Student und Otto Skorzeny den Duce auf dem Campo Imperatore am Grand Sasso befreit“. Allgemeines Gebrüll und tosendes „Heil Hitler“ erschütterten die ganze Schule. Der Nazi Scharfmacher entrollte eine Italienkarte mit dem alpinen Abruzzen Gebirge. Erd- und Völkerkunde direkt und hautnah. Tage später, als die Propaganda Maschinerie auf Hochtouren lief und alle Einzelheiten mehr oder weniger wahrheitsgetreu unters ruhmreiche Deutsche Volk gebracht wurde, wurden auch wir gründlichst gehirngewaschen. Natürlich verlief die Befreiung des von den eigenen Faschisten im Hotel „Duca di Abruzzi“ auf dem „Campo Imperatore“ nicht nur minutiös wie von General Kurt Student geplant und ausgeführt sondern teutonisch generalstabsmässig. Da die SS bei dieser Aktion nicht fehlen durfte, half ein kleiner SS – Trupp unter Otto Skorzeni mit. Von einem Flugplatz bei Rom wurden 90 Fallschirmjäger in Lastensegler gepackt und zum Campo Imperatore von Motorflugzeugen geschleppt. Die 17 Waffen SS- Männer unter Skorzeni in einem weiteren Schlepp- Lastensegler. Darunter der windhundschnelle, Kruppstahl harte und lederzähe Sohn des schwäbischen Generals „B“.

(Übrigens wurden viele Flügel dieser Lastensegler , die aus Holz und Leinenstof waren, in den Donau- Flugzeugwerken Donaueschingen gefertigt. In den von den Nazis requirierten Produktionsstätten der Bürstenfabrik Erich Locherer, Josefstr. Siehe auch Buch „ Bruuchener kaini Bierschte“ von Hubert Mauz über die Bürstengeschichte von Donaueschingen)

In Assergi an der Seilbahn- Talstation bei Aquila wurden die Wachen von Bodentruppen ausgeschaltet, die Telefonleitung zum Berghotel gekappt und die Wachmannschaft am Hotel kampflos gekapert. Nach dem Ausklinken der Lastensegler landeten die Segler auf der von Steinen befreiten Almwiese vor dem Alpinhotel „Duca di Abruzzi“. Ein Leichtflugzeug ein „Fieseler Storch“ landete ebenfalls dort. Nach 10 Minuten wurde der Duce aus dem Gebäude geführt und in den wartenden, bereitstehenden „Fieseler Storch“ gepackt. Obwohl mit dem beleibten Duce das Startgewicht schon am Limit war, schlug die ganz große Stunde des grosspurigen Aufschneiders Skorzeni. Auch er zwängte sich entgegen jeder Absprache noch in den fliegenden Besenstiel „Fieseler Storch“ und drängte sich dadurch nachhaltig in die Geschichtsbücher und in die zweifelhaften Heldenanalen des 3. Reiches. Durch das Überladen hob der fliegende Besenstiel erst in aller letzter Sekunde und auf den allerletzten Metern noch geradeso hangabwärts ab. Fast wäre durch die Aufdringlichkeit vom Angeber Skorzeni der Heldentraum und das Heldenepos auf dem felsigen Almweiden noch unrühmlich zerschellt. Dann wäre der Aufschneider Skorzeni everybodis Depp gewesen und nicht everybodys daarling und der ruhmreiche, verehrte Vorzeigenazi geworden. Der Ex- Duce Mussolini wurde via München und Wien ins Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ zu Hitler geflogen und von ihm wieder reaktiviert.“

Im Auftrag des Fieseler Flugzeugbau Kassel, Archiv der Gerhard-Fieseler-Stiftung
CC BY-SA 3.0 DE https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en, via Wikimedia Commons

Fi 156 (Fiesler Storch) während der Befreiung Benito Mussolinis vom Gran Sasso.

Foto: Toni Schneiders: Gran Sasso, Befreiung von Mussolini.- Benito Mussolini im startbereiten Flugzeug Fieseler Fi 156 „Storch“ (Kennung SJ+LL); Fs AOK, Bundesarchiv_Bild_101I-567-1503C-04,Gran_Sasso,_Fieseler_Fi_156»Storch«

Zwar hatte ich in Alpinzeitschriften von Skihochtouren im Mai im Hochgebirge der Abruzzen gelesen. Dort soll man , einmalig in ganz Europa, am Morgen noch Skifahren, und am Mittag in der kühlen Adria plantschen können. Dabei wurde auch die Mussolini Geschichte knapp gestreift. Aber nun bekam ich so vom Mentor G.D. die wahre und die ganze Geschichte erzählt.

Beim nächsten Besuch des Geldeintreibers „B“ kam es zu einem sehr streng vertraulichen Gespräch. Auch dem Eleven wurde strengstes Stillschweigen abverlangt, was der bis heute, nachdem beide Hauptpersonen nicht mehr leben, 45 Jahre lang absolut eingehalten hat. Da diese Episode jedoch auch ein Zeitzeugnis der 1975 Jahre, aber auch der 1940 Jahre ist, genaugenommen vor 80 Jahren, glaube ich, dass es nun erlaubt , wenn nicht sogar eine Verpflichtung ist, darüber zu berichten.

Die erste bohrende Frage von „B“ an G.D. war, wie er auf die Vermutung gekommen sei, dass er dabei gewesen sei. Das hat G.D. so erklärt:

„Von unserem Propagandisten Lehrer wurden wir detailliert unterrichtet. Kern war die Heldenverehrung der beteiligten Soldaten, insbesondere der 17 SS Leibstandarte Elite Soldaten. Von jedem wurden die Vita und die Wehrausweis – Fotos gezeigt und zur verpflichtenden Album- Aufbewahrung übergeben. In den kommenden Wochen wurden immer wieder die Daten und die Heldentaten dieser „schnellen, harten, zähen“ Elitesoldaten abgefragt. Wir kannten Herkunft, Mutter, Vater, Ausbildung, Auszeichnungen genau. Wehe , wenn die Heldendaten aus dem Zettelkasten nicht wie aus der Pistole geschossen kam. Dagegen war die Fussballheldenverehrung der WM – Bern 1954 mit den Fussballgöttern Rahn, Toni Turek, Fritz Walter und Horst Eckel ein Kinderspiel. So wurde auch ihr Vater mit dem glorreichen Sohn auch bildlich mit einbezogen. Und genau dieses Bild des General „B“ mit der frappierenden Ähnlichkeit mit ihnen ist mir wieder mal in die Hände gefallen, zusammen mit der Liste der 17 Gran Sasso Soldaten. Lange hab ich mit mir und der für sie vielleicht unangenehmen Fragestellung an Sie gerungen.“

Finanzkaufmann „B“ hat dann noch ganz persönlich und mit verhohlenem Stolz ziemlich ausführlich diese Mussolini Befreiung aus seiner ganz persönlichen, aktiven Sicht geschildert. Zum ersten mal, sagte er, würde er das an Fremde preisgeben. Nachdem noch mal absolutes Stillschweigen vereinbart wurde, rumorte es noch lange, genaugenommen bis heute, bei dem Eleven. Auch war der Informationshunger des alten Hasen gestillt. Nicht ganz ohne Genugtuung wurde der ehemalige Hitlerjunge so ein naher, intimer Zeitzeuge dieses geschichtsträchtigen Ereignisses.

Nie mehr wurde später darüber gesprochen, was ein merkwürdiges, aber gängiges, übliches Merkmal dieser Nachkriegsjahre war.

Jo, so wars,

Corne Grande / Gand Sasso in den Abruzzen

Johann Nepomuk Schelble – Sein Leben, sein Wirken und seine Werke

1. Version vom 23. April 2023

Dissertation von Oskar Bormann, Frankfurt am Main 1926

Vermutlich Oskar Bormann um 1926.
Foto: Netzfund

Ich wurde am 25. August 1903 in Vaihingen bei Stuttgart geboren.
Ich besuchte die Elementarschule des Karlsgymnasiums in Heilbronn a. N. Da meine Eltern nach Höchst a. M. zogen, verließ ich diese Anstalt schon nach dem 2. Jahr und trat in die 3. Vorschulklasse der Höchster Realschule ein. Letztere besuchte ich bis zur Obersekundareife, erhielt einen Kaiserpreis und trat dann in die Sachsenhäuser Oberrealschule in Frankfurt a. M. über. Dort erwarb ich Ostern 1921 das Reifezeugnis und bezog darauf zum Studium der Musikwissenschaft die Universität in Frankfurt a. M. Im Sommersemester 1923 war ich an der Tübinger Universität immatrikuliert und darauf wieder Studierender der Frankfurter Universität bis zu meiner Exmatrikulation nach dem Wintersemester 1924/25. An den Universitäten hörte ich Vorlesungen aus dem Gebiete der Philosophie, der Germanistik und der Musikwissenschaft bei den Herren Professoren: Dr. Cornelius, Dr. Hasse, Dr. Schultz und Dr. Bauer. Daneben trieb ich ferner praktische Musik-studien, hauptsächlich an Dr. Hochs- Konservatorium in Frankfurt.

Auf Grund der vorliegenden Arbeit, erwarb ich am 1. Juli 1926 an der Universität in Frankfurt am Main den Doktorgrad.

Vorwort.

Meine Arbeit über Johann Nepomuk Schelble, deren Anregung ich Herrn Professor Dr. Bauer verdanke, verfolgt den Zweck einer eingehenden und umfassenden Würdigung eines Mannes, dessen Name auch heute noch hervorgehoben werden muß, wenn von jener gewaltigen Bewegung am Anfang des vorigen Jahrhunderts – der Bachrenaissance um 1829 die Rede ist. Wohl ist schon viel über Schelble geschrieben worden, jedoch sind diese Schriften meist nur „Erinnerungs- und Gedenkblätter“, die wohl manchen Aufschluß über Schelbles Persönlichkeit und Wirken geben, ohne aber kritisch Stellung zu nehmen und aufzuzeigen, was uns nun Schelble eigentlich bedeutet, was von seiner Tätigkeit für immer der Musikgeschichte angehören wird. Es ist daher schon oft bedauert worden, daß sich noch niemand gefunden hat, der Schelble einer gründlichen Biographie würdigte. (Gollmick in seiner Autobiographie; Professor Dr. M. Friedländer an mich usf.)

Leider ist seit dem Tode Schelbles schon zu lange Zeit vergangen, als daß ich noch für alle meine Angaben auf die ersten Quellen hätte zurückgehen können. Es dürfte aber kaum noch in Betracht Kommendes existieren, das ich hier in meiner Arbeit nicht berücksichtigt hätte (vgl. Literaturverzeichnis und Anmerkungen). Auch Schelbles Kompositionen und die Quellen für seine Lehrmethode konnte ich bis auf ganz Weniges zusammenbringen und daraus ein Bild seiner Tätigkeit auf diesen Gebieten gewinnen.

Allen Denen, deren Unterstützung ich bei meiner Forschung in Anspruch nehmen mußte, sei an dieser Stelle mein aufrichtigster Dank ausgesprochen.

Besonders verpflichtet bin ich meinem verehrten Lehrer. Herrn Professor Dr. Bauer für seine vielfache Förderung; ferner Herrn Professor Dr. Schering, der mir das von ihm in Leipzig aufgefundene handschriftliche Material gütigst überließ, sowie Herrn Professor Dr. Müller in Frankfurt, der mir bei der Durchsicht des Archivs des Frankfurter Cäcilienvereins in stets liebenswürdiger Weise behilflich war, mir auch das von ihm gesammelte Material zur Geschichte des Cäcilienvereins (Manuskript) freundlichst zur Verfügung stellte und durch seine Tätigkeit als Bibliothekar des Cäcilienvereins mir schätzenswerte Vorarbeit geleistet hatte.

Die Gliederung meiner Arbeit ist aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich.

(Siehe auch: Wanderblühten – Johann Nepomuk Schelble)

Einleitung.

(Bibliographisches)

Die wichtigsten, der uns vorliegenden biographischen Aufsätze über Johann Nepomuk Schelble sind:

  1. Weismann, Joh.: J. N. Schelble, Direktor des Cäcilienvereins in Frankfurt, Frankfurt 1838.
  2. Ein Aufsatz von Lucian Reich in seinen „Wanderblüten aus dem Gedenkbuch eines Malers“: „J. N. Schelble“
  3. Ein Aufsatz von W. Oppel-Chrysander in der allgemeinen musikalischen Zeitung in Leipzig, III. Jahrgang, 1868.
  4. Biographie in Form eines Briefes des Franz Xaver Gleichauf an Lucian Reich in Hüfingen vom 28. 12. 1853; dieselbe befindet sich als Manuskript im Archiv des Cäcilienvereins.

Die kleine Schrift von Weis mann (Nr. 1) ist die Quelle fast aller späteren biographischen Artikel in Lexicis und anderer biographischer Aufsätze. (F. J. Fetis: Biographie universelle; Mendel-Reißmann; Grove; Allgemein deutsche Biographie; Nekrolog der Zeitschrift Cäcilia Band XX, Heft 79; Festschriften des Cäcilien-vereins; Leipziger allgemeine musikalische Zeitung 1839 u. 1868.) Diese erste kurze Biographie scheint also bekannt gewesen zu sein, obgleich sie nicht im Buchhandel erschienen ist.

J. Weismann (1804- 80),1) der als Professor in Frankfurt wirkte, war eines der frühesten Mitglieder des Cäcilienvereins und kannte daher Schelble genau; seine Schrift ist, wie meine Nachprüfungen ergaben, durchaus zuverlässig.

Der Aufsatz Lucian Reichs2) (Nr. 2) baut sich auf der Biographie von Xaver Gleichauf (Nr. 4) auf, die Reich zum Teil wörtlich benützt, im Ganzen aber erheblich erweitert.3) Ich habe in meiner Arbeit in den Fällen, in denen Reich Gleichauf wörtlich zitiert, immer die ursprüngliche Quelle angegeben.

Der Maler und Schriftsteller Lucian Reich (1817-1900) war ein Neffe Schelbles. Franz Xaver Gleichauf (1801-1856) der Musiker war und in Frankfurt lebte, war ebenfalls mit Schelble verwandt (Vetter).

Der Aufsatz von Oppel-Chrysander ist in seinem ersten Teile (W. Oppel) Abschrift von Weismann (Nr. 1); im zweiten Teile aber (Chrysander) kritische Stellungnahme zum Lehrer und Dirigenten Schelble, auf die ich in meiner Arbeit näher eingehen mußte.

Ich habe versucht, für alle meine Angaben die ersten Quellen ausfindig zu machen; diese fließen aber, besonders für die erste Lebzeit Schelbles, recht dürftig; es mußten öfters Weismann und Reich 4) zur Hilfe herangezogen werden, auch decken sich verschiedene Ergebnisse meiner Forschungen mit den genannten Autoren; in diesen Fällen habe ich immer die erste Quelle angegeben. Ausdrücklich sei hier noch darauf hingewiesen, daß ich nicht auf alle Irrtümer oder hypothetischen Behauptungen der überaus zahlreichen „Schriften“ (Zeitungsaufsätze, Nekrologe usf.) über Schelble eingehen durfte, wenn ich nicht den Anmerkungenapparat ins Uebertriebne steigern wollte. Der Text meiner Arbeit gibt in allen solchen Fällen die Berichtigung.


1) Der lebende Komponist Julius Weismann ist ein Enkel des Obigen.
2) Auch dieser Aufsatz wurde Quelle für spätere (Bad. Biogr. v. Weech; Festschrift des Cäcilien-Vereins).
3) Auf Grund der Briefe Schelbles an seine Eltern in Hüfingen.
4) Diese beiden Schriften sind nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden (Archiv des Cäcilien-Vereins; Frankfurter Stadtbibliothek; Fürstliches Archiv in Donaueschingen; Landesbibliothek Karlsruhe.)

Katharina Götz – Schelble. Die Mutter von Johann Nepomuk

A. Schelbles Leben und sein Wirken als Dirigent des Cäcilienvereins.

1. Vorfahren. 5

Johann Nepomuk Schelble entstammt einer uralten Familie in Hüfingen, einem Städtchen der „Baar“, im badischen Schwarzwald gelegen. Verschiedene Variationen des Familiennamens treten uns entgegen: Schälble, Schälblin, Schelblin, Schelble. Schälblin 6) dürfte der ursprüngliche Name gewesen sein, der sich durch dialektisch – schwäbische Umbildung der Endung allmählich in Schelble verwandelte. Das Geschlecht der Schelble ist schon im 17. und 18. Jahrhundert in der „Baar“ häufig“ 7) ; nicht nur Hüfingen auch Villingen und Donaueschingen 8) weisen den Namen auf.

Schon von Samuel Schelle ab, der 1590 in Hüfingen geboren wurde, läßt sich der Stammbaum stetig verfolgen. Die Schelble in Hüfingen sind meist Amts- oder Kanzleidiener; doch scheint die Musik von jeher in der Familie heimisch gewesen zu sein. Es wird uns berichtet 9), daß der Großvater unseres Schelble, Franz Xaver, mit Vorliebe Musik betrieb. Der Großvater und auch der Vater Johann Nepomuks widmeten sich neben ihrem Kanzleidienst beim Fürstlich- Fürstenbergschen Justizamt dem Gewerbe der Faßmalerei; beide wirkten auch in der Kirche als Violinspieler mit. 10)

Franz Josef Schelble 11) (1762-1835), so hieß der Vater Johann Nepomuks, wandte sich dann von der Faßmalerei dem Schuldienst zu; er nahm Unterricht in Donaueschingen, auch in Orgel- und Klavierspiel. Der Mangel einer Singstimme bewog ihn dann, dieser Laufbahn zu entsagen. Er beschäftigte sich noch einige Zeit mit Instrumentenbau (Klaviere in einfacher Bauart), einer Liebhaberei, die er auch später noch weiter betrieb, und die ihm den Namen „Klavierlemacher“ eintrug. Eine gesicherte Stellung erlangte er erst 1790, als er „Zuchtmeister“ wurde; 1806 wird er Korrektionshausverwalter. Er war mit Katharina Götz, der Tochter eines reichen Bauern, verheiratet; dieselbe war musikalisch und besaß eine hübsche Stimme. So ist denn der musikalische Sinn, der sich seit altersher in der Familie nachweisen ließ, besonders auch bei den Eltern unsres Schelble ausgeprägt. Johann Nepomuk war von 14 Kindern der einzige Sohn.12) In den anderen Linien der Familie begegnen uns noch zahlreiche Künstler: die Linie, die von Lucian Reich (1788-1866), dem Schwager Schelbles ausgeht, weist besonders viele Maler und Bildhauer auf, Frz. Xaver Gleichauf war ein sehr angesehener Musiker und Komponist in Frankfurt; auch die Linie Engesser ist reich an Musikern. In Hüfingen ist die Familie der Schelble ausgestorben: dort leben noch die Seitenlinien Nober und Reich.

Das hervorragendste Glied dieser weitverzweigten Künstlerfamilie, Johann Nepomuk Schelle, soll uns nun weiter beschäftigen.


5) Herr Dr. Barth in Donaueschingen besorgte mir gütigst einen Auszug aus einem von Kanzleirat Anton Schelble in Donaueschingen aufgestellten Stammbaum. Außerdem befindet sich im Archiv des Cäcilien-Vereins ein Stammbaum von Professor Engesser, Karlsruhe unterzeichnet, der bis ins 20. Jahrhuntert geführt ist. Es würde über den Rahmen meiner Arbeit hinausgehen, wollte ich ihr aus diesen beiden Quellen einen vollständigen Stammbaum Schelbles beifügen: ich beschränke mich auf die Vorfahren Schelbles: einen Auszug aus der späteren Entwicklungsgeschichte der Familie gibt der Anhang der Arbeit von C. H. Müller: „Frankfurt a. Main und der deutsche Männergesang 1813 -71″, Frankfurt 1925.
6) L. Reich („Wanderblüten“) ist auch der Ansicht, ohne sie zu begründen.
7) Nach Notizen aus den Standesbüchern in Hüfingen, die ich der Güte des Herrn Dekan Schatz daselbst verdanke.
8) Es dürfte also die enderwärts gehegte Vermutung, daß Anton Schelble, der Famulus „Antor“ des Josef Viktor v. Scheffel in Donaueschingen, ein Mitglied der Familie ist, richtig sein.
9) Lucian Reich: „Blätter aus meinem Gedenkbuch“ S. 89 in den Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar in Donaueschingen, Band IX., 1896; hier heißt es irrtümlich Ur großvater.
10) So berichtet Lucian Reich in dem schon erwähnten Aufsatz in seinen „Wanderblüten„; auch die folgenden Daten sind, wenn nicht anders angegeben, dort entnommen.
11) Von ihm befindet sich eine Gipsbüste von Professor Zwerger in den Fürstl. Fürstenbergschen Sammlungen in Donaueschingen; von derselben erhielt ich eine Aufnahme durch die Güte des Herrn Dr. Barth.
12) Bis auf 4 Schwestern starben alle schon in frühester Jugend; ich kann mir daher die Verwandtschaft, die Herr Professor Dr. med. Schelble (z. Zt. in Bremen lebend) zwischen sich und Joh. Nep. Schelble vorhanden glaubt, nicht erklären.

Luzian Reich (Schwager) und Maria Josefa Schelble (Schwester)
Fotos von Johann Nepomuk Heinemann etwa 1865

II. 1789–1807
Jugendzeit, seine Lehrer, seine Ausbildung,
1. Reise nach Stuttgart.

Johann Nepomuk Schelble 13) wurde am 16. Mai 1789 in Hüfingen 14) geboren. 15) Seine Mutter sang ihm die ersten Lieder vor, den Anfangsunterricht im Klavierspiel erhielt er von seinem Vater, 16) er selbst bewies schon in frühester Jugend besondere Vorliebe für Musik: so konnte es nicht fehlen, daß das Talent des Knaben rechtzeitig entwickelt wurde und seinen Weg fand. Kriegszeiten brachen herein. Durch einen österreichischen, klavierspielenden Feldpater lernte der 7jährige Knabe Mozart’sche Melodien kennen. Kaplan Eiselin wird bald sein erster Lehrer in Gesang. Durch die großen Fortschritte des Nepomuk eine Entmutigung seiner anderen Schüler befürchtend, entließ ihn der Kaplan aus seinem Unterricht mit dem Urteil, daß es ihm an Talent mangele. Er erhielt darauf Gesangsunterricht bei dem musikalisch dilettierenden Amtskanzlisten Schlosser, der ihn soweit förderte, daß er bei der Rückkehr des wegen Kriegsgefahr geflüchteten fürstlichen Hofes in Donaueschingen eine Begrüßungsarie mit Beifall singen konnte. 17)

Durch Schlosser erhielt der Knabe schließlich eine Freistelle als Chorknabe (1800) im Reichsstift Obermarchtal einem damals bedeutenden schwäbischen Kloster. War der Unterricht hier auch pedantisch, und daher wenig fruchtbringend, so empfing doch Schelble hier seine ersten tiefen Eindrücke von der Wirkung der Musik: die nächtlichen Psalmengesänge der Mönche mit dem Orgelspiel des berühmten „Kontrapunktisten“ Sixt Bachmann blieben ihm unauslöschlich in der Erinnerung. 1803 endete der Aufenthalt in Obermarchtal mit der Säkularisierung der Klöster. Lucian Reich berichtet von einer außerordentlich heftigen Erkältung, die der Knabe sich bei der Rückkehr ins Elternhaus in einem offenen Fuhrwerk bei großer Kälte zugezogen hatte. Wahrscheinlich ist hier der Grund seiner immer wiederkehrenden und immer heftiger und gefährlicher werdenden Erkältungen zu suchen. Diese Erkältungen hinderten ihn später außerordentlich, nahmen allmählich chronische Form an und mögen schließlich mittelbar die Ursache seines durch Blutsturz erfolgten Todes geworden sein. 18)

Die erwähnte Neigung zur Indisposition und seine baldige Mutation führten ihn dem Klavierspiel zu; auch die Piccoloflöte soll er virtuos gespielt haben. Damals lernte Schelble in einer Zeitschrift einen Auszug aus Forkels „Ueber Bachs Leben und Kunstwerk“ kennen, und schöpfte aus ihm die Kenntnis von Bachs Mechanik des Klavierspiels, die ihm fortan als Richtschnur für sein Studium diente. 19)

Dem Wunsche seiner Eltern gemäß bezog er bald das Gymnasium in Donaueschingen, setzte dort die in Marchtal begonnenen Sprachstudien fort und wurde außerdem Gesangsschüler des fürstlichen Kammersängers Weiß 20) der eine strenge, aber einseitige Methode gehabt haben soll 21) jedenfalls war dies der erste Unterricht, den er von einem künstlerisch gebildeten Lehrer erhielt. Wahrscheinlich hat Weiß ihn nicht nur in Gesang, sondern auch in anderen Zweigen der Tonkunst unterrichtet, soweit er es vermochte. 22) Der Unterricht war in Rücksicht auf spätere Verwendung in der „Hofmusik“ unentgeltlich.23)

Die Lateinschulakten 24) im Fürstlich-Fürstenbergischen Archiv zu Donaueschingen berichten, daß Schelble 1804 „in suprema grammatica“ war, und eine lobende Erwähnung erhielt. Dagegen scheint er im Endexamen 1804 nicht besonders gut aufgefallen zu sein; es heißt da in einer handschriftlichen Randbemerkung:

Schelble. So dumm als Zapf und ebenso unfleißig als dumm“ 1805 war er nicht mehr Schüler des „Gymnasium Fürstenbergicum ad fontes Danubii 25) Sicherlich hat er sich auch während seiner Gymnasialzeit eben mehr mit Musik als mit Grammatik beschäftigt und daher ist das obige Urteil mit der Betonung „unfleißig“ leicht zu verstehen.

In Donaueschingen wurde zu jener Zeit die Musik, insbesondere das Theater von dem Fürstenbergischen Hofe außerordentlich gepflegt.26) Sowohl eigne als auch von auswärts herbeigerufene Künstler vermittelten dem Publikum in ausgezeichneten Aufführungen im Fürstlich-Fürstenbergischen Hoftheater Werke der dramatischen Kunst. Schelble wirkte sowohl als Sänger wie als Schauspieler, in Konzerten wie im Theater mit. Schon 1805 erwarb er sich als Sechzehnjähriger den Beifall des Fürsten gelegentlich einer Aufführung von Dalayrac’s ,Die beiden Savoyarden* 27) Die Eltern Schelbles schienen an seine künstlerische Berufung noch nicht recht zu glauben; der Vater wünschte jedenfalls, daß er einen praktischen und gesicherten Beruf ergreife und so trat er denn 1806 als Akzessist in das F. F. Hauptarchiv ein. Seinen Unterricht bei Weiß und seine musikalische Tätigkeit am Hofe behielt er jedoch bei. Diese Tätigkeit war bis zum September 1807 unentgeltlich, von Oktober ab erhielt er eine jährliche, widerrufliche Gratifikalion von 66 fl. und nahm die Stelle eines Hofkammerexpedilors ein. Die Tätigkeit im F. F. Archiv dauerte nicht lange: Schelbles Liebe für die Musik ließ sich nicht länger zurückhalten. Sein Talent strebte zu weiterer Betätigung und Ausbildung einem größeren Wirkungskreise und einem Meister zu, der es vollenden sollte.

Trotz größten Widerstandes 28) von Seiten seiner Eltern, die ihn am Archiv in Donaueschingen halten wollten, ließ sich der sonst überaus pietätvolle Sohn nicht von seinem schon längere Zeit gehegten Plane abbringen, zu weiterer Ausbildung zu Abt Vogler nach Darmstadt zu gehen. 29) Die Eltern gaben endlich nach; im Jahre 1807 verließ Schelble Hüfingen und wandte sich zunächst nach Stuttgart.



13) Der Name wird öfters falsch geschrieben: F. J. Fétis, Biographie universelle des musiciens Band 7 (1870) schreibt Schelble; Hofmeister (Kataloge Band VI S. 535) zeigt gar das Erscheinen seiner Singeübungen unter Schelble, J. M. (!) an.
14) In den Standesbüchern in Hüfingen findet sich nur der Taufeintrag (Mitteilung von Herrn Dekan Schatz, Hüfingen).
15) Herr Professor Revellio, Villingen, der das Hüfinger Stadtarchiv durchgearbeitet hat, versicherte mir, daß nichts auf Schelble Bezügliches dort zu finden sei.
16) Reich a. a. O., Weismann u. ff. Die Jugend Schelbles ist mit allen Anekdoten ausführlich bei Reich beschrieben; wo nicht anders angegeben, folge ich Reich.
17) Fr. X. Gleichauf, Briefbiographie Schelbles im Archiv des Cäcilien-Vereins.
18) Ed. Berndorfs Angabe in seinem „Neuen Universallexikon der Tonkunst“, Offenbach 1861 Band 3 (Artikel Schelble): „krankhafte Disposition der Gehirnnerven“ scheint mir danach auf einem Irrtum zu beruhen.
19)Briefliche Biographie Schelbles von Fr. X. Gleichauf (Archiv des Cäcilien-Vereins); bei Reich a. a. O. heißt es irrtümlich: Zeitschrift Forkels. Die Anekdoten aus jener Zeit, die bei Reich zu finden sind, gehen auf Fr. X. Gleichauf (Briefbiographie) zurück.
20) J. B. Weiß war Schüler des berühmten Tenoristen Anton Raaff (Raff) (1713-97) in München.
21) Reich a. a. O.; Genaueres ist über diese Methode nicht zu ermitteln.
22) Nach Weißmann a. a. O. soll Schelble bei Weiß Gesang-, Klavier- und Kompositionsunterricht gehabt haben.
23) Nach einer Milteilung des Herrn Dr. Barth, Donaueschingen an mich.
24) Auszüge daraus verdanke ich Herrn Dr. Barth; derselbe hat mir auch in liebenswürdiger Weise das Wichtigster Barden Besson lakten Schelbles vom Jahre 1806 im F. F. Archiv excerpiert; darauf gründen sich obige Angaben.
25) Wenigstens wird er in der Klasse nicht mehr erwähnt.
26) Das Fürstlich Fürstenbergsche Hoftheater zu Donaueschingen 1775-1850. herausgegeben vom F. F. Archiv, Donaueschingen 1914; darin über Schelble S. 73 und im Personenregister.
27) Reich, a. a. O., S. 278.
28) Er droht sogar mit heimlicher Flucht aus dem Elternhause (vgl. Reich, S. 279).
29) Von dieser Absicht, zu Abt Vogler nach Darmstadt zu gehen, erfahren wir aus dem oben erwähnten 1. Brief aus Stuttgart; das ist auch die Quelle für Gleichauf, Weismann und Reich und die ihnen folgenden anderen biographischen Vorlagen. Der Rat, bei Vogler zu studieren, geht nach Reich von dem F. F. Hofrat und Leibarzt Rehmann in Donaueschingen aus.

Hoftheater Donaueschingen

III. 1807-1814
Stuttgart, Theater- und Lehrertätigkeit, Reise nach Wien.

Ueber diese seine erste Reise und über seinen Empfang in Stuttgart gibt ein Brief an seine Eltern vom 23. 12. 1807 Auskunft.30) Danach begleitete ihn sein Vater ein Stück Weges, der über Schönbrunn zunächst nach Hechingen führte; dort suchte er den ihm von Donaueschingen her bekannten „,F.-F. Musik- und Rittmeister“ von Hampeln auf. In Stuttgart wandte er sich gleich nach seiner Ankunft an den Galeriedirektor Seele, 31) der ihn freundlich aufnahm und ihn zu J. B. Krebs 32) führte.

Krebs nun wurde für Schelbles weitere Ausbildung und für seine ganze Laufbahn ausschlaggebend. Da Schelble besonders Gesangsstudien, weniger aber Kompositionsstudien betreiben wollte, so riet ihm Krebs davon ab, bei Vogler Unterricht zu nehmen, da er diesen wohl für einen ausgezeichneten Theoretiker, nicht aber für einen ebensolchen Gesangslehrer hielt. 33) Er wies daher Schelble an den „vortrefflichen Harmonisten und beliebten Melodisten“ Danzi, den er auch als Menschen außerordentlich schätzte; 34) bei diesem sollte Schelble die Kompositionskunst studieren. Krebs selbst übernahm die Prüfung der Stimme und verschaffte ihm. da dieselbe zu seiner Zufriedenheit ausfiel, Gelegenheit, sich vor dem König in einem Konzert hören zu lassen. Der König ließ ihm bald darauf eine Stelle am Theater anbieten. 35)

Schelble konnte sich nicht gleich entschließen, die Theaterlaufbahn einzuschlagen, nahm aber schließlich am 16. 2. 1808 die Stellung als königlicher Hof- und Opernsänger mit tausend Gulden Jahreshonorar an.36) Krebs wurde sein treuer Schutzpatron.

Schelble wohnte bei ihm, kam dort mit anderen Kunstjüngern zusanmen und stand unter dem wohltätigen Einfluß seiner klaren und edlen Persönlichkeit. Krebs wurde in seiner Begeisterung und Liebe für die Kunst ein Vorbild, das niemand besser widerspiegelte als Schelble selbst. Der ehemalige Plan, bei Abt Vogler in Darmstadt zu studieren, wurde aufgegeben.37)

Es steht nicht sicher fest, ob er in Stuttgart noch Gesangsunterricht genossen hat; wahrscheinlich war Krebs noch einige Zeit sein Lehrer. 38) Jedenfalls war seine Stimme bei seinem Weggang als Stuttgart (1814) noch nicht vollendet: er schreibt aus Wien noch von eifrigen Studien und von Verbesserung seines Gesanges.

Kompositionsunterricht nahm er vermutlich bei Danzi.39) Er studierte vor allen die Streichquartette und Streichquintette Mozarts, die er „sich in Partitur setzen ließ“ 40) In dieser Zeit entstanden eine Reihe von Streichquartetten, seine Oper 41) „Graf Adalbert“ und einige kleinere Klaviersachen. Damals verbreiteten sich die pädagogischen Ideen Pestalozzis in Süddeutschland. Ihre Anwendung auf das Gebiet der Musik war schon 1810 durch Nägelis Gesangschule gezeigt worden; überall wurden Schulen errichtet. die die Grundsätze des großen Schweizer Pädagogen verwerten sollten. Auch in Stuttgart wurde am 31. 12. 1811 ein Kunstinstitut 42) gegründet, um den Nachwuchs für das Orchester und das Theater nach Pestalozzischer Methode heranzubilden. Die besten Kräfte des Hoftheaters waren die Lehrer dieser Anstalt, die im Jahre 1818 wieder aufgelöst wurde. Schelble unterrichtete von Anfang des Jahres 1812 an bis zu seiner Abreise nach Wien in diesem Institut.

Die Leipziger Allgemeine Musikal, Zeitung bringt uns in Nr. 220 vom 13. 5. 1812 unter „Nachrichten aus Stuttgart“ einen eingehenden Bericht 43) über das Institut und insbesondere über Schelbles Lehrtätigkeit, den ich wegen seiner Wichtigkeit als einzige Quelle im Anhang meiner Arbeit beigefügt habe. Die Stuttgarter Lehrmethode Schelbles ist durchaus von der Frankfurter Lehrmethode, die allgemein gemeint wird, wenn überhaupt von der „Schelble’schen Methode“ gesprochen wird, zu unterscheiden.44) Jene war eine allgemeine Unterrichtsmethode in Pestalozzischem Geiste: sie sucht die melodische Kraft, die im Schüler vorhanden ist, durch Selbsttätigkeit des Schülers zu entwickeln; er muß gleich anfangs Melodien erfinden, und zwar solche, die den inneren, seelischen Anteil des Erfinders bezeugen, die er innerlich „anschaut“. Die Methode dagegen, die Schelble in Frankfurt verwandte die Schelble’sche Methode – war eine spezielle und diente zur Entwicklung des Gehörs. Ein gewisser Zusammenhang zwischen beiden ist insofern festzustellen, als Schelble auch in Frankfurt das Pestalozzische Entwicklungsprinzip beibehielt und die Schüler, um ihre Freude am Lernen zu erhöhen, kleine Phrasen und Melodien erfinden ließ. Genaueres über die weitere Entwicklung der Methode in Stuttgart wissen wir nicht.

Auch über seine Theaterlaufbahn läßt sich heute nicht mehr viel berichten. Die Theaterzettel45) verzeichnen sein erstes Auftreten am 14. 2. 1808 als Don Guzman in Mozarts „Don Gio-vanni“ nun läßt sich sein Name bis zum 25. 11. 1813 feststellen: er singt Tenor- und Baritonrollen in Opern von Dalayrac, Mozart, Spontini, Winter, Paër, Weigl.18) Am 9. März 1814 wurde Schelble aus dem Hoftheater entlassen.47) Es mögen mancherlei Gründe gewesen sein, die Schelble veranlaßten, die Stadt zu verlassen:48) ein Ruf an das Wiener Hoftheater,49) der ihm innewohnende Drang nach weiterer Ausbildung und nicht zuletzt auch Streitigkeiten 50) mit der Gemahlin seines Freundes und Lehrers Krebs, die ihm den weiteren Aufenthalt in Stuttgart 51) verleideten.52) Man ließ ihn nur ungern von Stuttgart ziehen. 53)


30) Dieser Brief ist bei Reich a. a. O. S. 280-81 vollständig abgedruckt; ich habe daher hier auf eine Wiederholung desselben verzichtet. Das Original ist nur als Fragment erhalten.
31) Nach Reich waren die Eltern Schelbles und Seeles miteinander bekannt.
32) J. B. Krebs (1774-1851) war ein berühmter Tenorist; er studierte zuerst Theologie, dann Gesang bei Weiß. Als Sänger und Regisseur in Stuttgart tätig, schrieb er Lieder, Oratorien, verfaßte Operntexte und Uebersetzungen. Seine Stimme, die einen ungewöhnlichen Umfang besaß, wurde um die Wende des vorigen Jahrhunderts als Ideal hingestellt. (Vgl. Leipziger allgemeine musikal. Zeitung, 1806.)
33) Vogler war kurz vorher einige Zeit in Stuttgart gewesen; Krebs kannte ihn daher persönlich und nannte ihn, Schelble gegenüber, geizig und habsüchlig. Alle diese Angaben gründen sich auf den schon erwähnten Brief Schelbles nach Hüfingen.
34) Interessant ist diese zeitgenössische Hochschätzung Danzis; vgl. Reipschläger: „Schubaur, Poissl und Danzi als Komponisten“ (Rostocker Dissert., 1911)
35) Nach Reich a. a. O. S. 283. Von hier ab fließen die Quellen schon etwas reichlicher. Genannt seien vor allem die 39 Familienbriefe Schelbles, die ich von Frl. Reich in Hüfingen zur Einsicht erhielt. Allerdings sind die meisten in der Frankfurter Zeit geschrieben; vgl. Anhang über den Nachlaß Schelbles. Reich scheint in diese Briefe Einsicht gehabt zu haben.
36) Wie mir aus den Akten des württembergischen Staatsarchivs mitgeteilt wurde, lautete der Kontrakt vom 16. 2. 1808 auf 3 Jahre und wurde am 27. 6. 1811 unter gleichen Bedingungen erneuert. Ueber die Verhandlungen wegen des Vertrags vgl. Reich, S. 283.
37) Grove: „Dictionary of music and musicians“, Vol. 4, London 1908 irrt also, wenn er schreibt: „he [Schelle] spent some time with Vogler and then with Krebs“. Dieser Artikel ist überhaupt sehr ungenau in seinen Angaben.
38) Fr. X. Gleichauf a. a. O.
39) Sicheres ist nirgends über seine Lehrer in Stuttgart zu finden, es dürfte aber keinem Zweifel unterliegen, daß er von 1807-12 bei Krebs und Danzi Schüler war.
40) Fr. X. Gleichauf a. a. O.
41) Die Oper hatte bei ihrer Aufführung in Stuttgart keinen Erfolg, vgl. R. Krauß: Das Stuttgarter Hoftheater, Stuttgart 1908, In der Allgemeinen Deutschen Biogr. (Artikel Schelble von Robert Eitner) ist irrtümlicherweise Wien als Entstehungsort der Oper angegeben.
42) Vgl. R. Krauß: Das Stuttgarter Hoftheater, S. 134.
43) Hier tritt uns Schelle zum 1. Mal öffentlich entgegen; von da ab wird sein Name häufiger in den Zeitungen genannt. Reich hat obigen Artikel (S. 284) kurz angezogen. Wenn es in dem Bericht (vgl. Anhang) heißt, daß Schelle nach Pestalozzischen und eignen (nicht Nägelischen) Grundsätzen unterrichtete, so unterliegt es für mich doch keinem Zweifel, daB Schelble die große Gesangschule von Pfeiffer-Nägeli gekannt und auch teilweise verwertet hat, zumal das Stuttgarter Institut unter den Subskribenten dieses Werkes zu finden ist.
44) Schon Schelbles Lehrer Krebs hat in dem Brief, den ich als Anhang VI meiner Arbeit milgab, diesen Unterschied erwähnt. (Vgl. Anhang.)
45) Die Theaterzettel des Hoftheaters Stuttgart (Stultgarter Hofbibliothek) sind von mir durchgesehen worden. Vorhanden sind sie von 1807-13, Jahrgang 1814 ist verbrannt (Theaterbrand 1901); 1815 war Schelble schon in Wien.
46) Er singt in Stuttgart (1808 14) wie auch in Wien (1814-16) die gleichen Rollen wie in Frankfurt (1816–19): ich verweise daher auf die Besprechung der Frankfurter Theaterzeit und den Anhang II.
47) Nach den Akten des württembergischen Staatsarchivs in Stuttgart. (Mitleilung der Direktion an mich.)
48) Ob Schelble in Stuttgart Beziehungen zu C. M. v. Weber (von 1807 bis 1810 in Stuttgart) hatte, konnte ich nicht feststellen.
49) Genaueres Datum seiner Abreise ist nicht mehr zu ermitteln. Da am 9. März 1814 sein Kontrakt mit dem Theater endete, so fällt der Zeitpunkt derselben zwischen 9. März und 9. Mai 1814, den Tag seines ersten Auftretens in Wien. Weismann a. a. O. S. 11 gibt irrtümlich 1813 als Reisejahr an. Ueber die Reise selbst ist nichts bekannt.
50) Reich a. a. O. S. 286.
51) Brief aus Stuttgart an seine Mutter, ohne Datum.
52) Als er in Wien Briefe aus Stuttgart erhält, schreibt er unter anderem nach Hause (22. 9. 1814): „ich meinerseits werde Krebs, dem ich viel verdanke, nie undankbar vergessen‘. Auch Krebs selbst blieb weiterhin bei seiner Hochschätzung Schelbles: vgl. Anhang VI.
53) Die allgem, musikal. Zeitung in Leipzig vom 18. 5. 1814 berichtet von seinem Weggang nach Wien und rühmt seine Verdienste als Sänger und Lehrer.

J.N. Schelble, Lithografie von Heinrich Ott. Foto: Frankfurt am Main: Stadt- und Univ.-Bibliothek

IV. 1814- 1816
Wien, Preßburg, Wien, Berlin, Frankfurt.

Am 9. Mai 1814 trat Schelble als Lorendano in Paërs „,Camilla“ zum ersten Mal am Hofoperntheater in Wien auf. Der Erfolg war kläglich: Schelble wurde ausgelacht.54) Nach diesem Mißerfolg ließ Schelble in mehrere Wiener Blätter einrücken, „daß er plötzlich vor der Vorstellung von einer Heiserkeit befallen worden sei und keineswegs Herr seiner Stimme war“ und „daß dieser erste Versuch keineswegs als richtiger Maßstab in der Beurteilung über ihn als Sänger gelten könne“ 54) Am 28. Juni spielte er den Baron Kronthal in der Oper „Der lustige Schuster“ von Paër, wiederum mit gänzlichem Mißerfolg. „Nicht durch unzählige Läufer – besonders wenn diese noch ungleich, unrein und ohne Festigkeit vorgetragen werden – . läßt sich das hiesige Publikum bestechen. Herr Schelble befleißige sich zuerst, eine Scala von 8 Tönen mit voller Sicherheit sich anzueignen, Worte mit Gesang deutlich zu verbinden, dann, wenn sein Gesang die Herzen der Zuhörer berührt,

54) Leipziger allgem. musik. Zeitung vom 22. 7. 1814, „Nachricht aus Wien“.

Seite 18- 29 der Dissertation liegen leider nicht vor!

Schelble und der Cäcilienverein

(Der Gesangverein, Schelble als Dirigent. seine Stellung in Frankfurt, Liedertafel, die Aufführungen des Vereins, die Bach . bewegung, Schelbles Verhältnis zum Cäcilienverein bis zu seinem Tode)

Noch in Schelbles Theaterzeit 148) fällt jenes bedeutsamste Ereignis der Frankfurter Epoche, dessen Auswirkungen Schelbles Namen für immer in die Musikgeschichte eingereiht haben: die Gründung des Cäcilienvereins (24. 7. 1818), 149) dem Schelble bis zu seinem Tode seine ganze künstlerische Arbeitskraft, seine ganze Persönlichkeit widmete. Der Ursprung des Cäcilienvereins ist in den musikalischen Veranstaltungen, die Schelble in seiner Wohnung 150) abhielt, zu suchen; dort wurde vor allem Quartett gespielt 151) und gesungen.

Spohr trug hier – mit Schelble, Kastner und Just – seine sechs Männerquartelte vor, die er damals komponiert hatte, 152) Aus diesen ersten Anfängen, den Gesangsveranstaltungen bei Schelble, zu denen sich bald mehr und mehr Sänger und Sängerinnen einfanden, 153) erwuchs der Cäcilienverein. Die Tatsache, daß sich unter Jenen, die Schelble kraft seiner künstlerischen Persönlichkeit zu sich hinzog, auch Mitglieder des Düring ’schen Gesangvereins befanden, darf nicht Anlaß werden, Schelble und seiner Tätigkeit unlautere Absichten zuzuschreiben, wie es Caroline Valentin in ihrem Aufsatz über Düring 154) getan hat. Gewiß war Dürings Gesangverein der erste in Frankfurt und als solcher der Ursprung aller späteren; aber Düring war nicht die Künstlerpersönlichkeit, die das je hätte durchführen können, was Schelble in kurzer Zeit mit dem Cäcilien-Verein infolge seiner künstlerischen Ueberlegenheit verwirklichte. 155) Immerhin kann Düring die Genugtuung beanspruchen, daß die Mitglieder seines Vereins später auch die Stützen des Cäcilien-Vereins wurden. 156)

Am 24. Juli 1818 konnte Schelble, der besonders von M. v. Willemer in seinen Bestrebungen unterstützt wurde, die erste Probe abhalten; am 28. Oktober fand das erste Konzert in seiner Wohnung statt. Ich will hier auf die einzelnen Daten der Geschichte des Cäcilien-Vereins nicht näher eingehen. Das Archiv des Cäcilien-Vereins und die gesamte auf ihn bezügliche Literatur habe ich durchgearbeitet; da jedoch alle bedeutenden Ergebnisse schon veröffentlicht sind, so verweise ich auf die beiden Festschriften des Vereins aus den Jahren 1868 und 1918.157) Aus einem Plan Schelbles, den Cäcilien- Verein mit der Kirche in Verbindung zu bringen, und ihn dadurch „städtisch“ zu machen,scheint nichts geworden zu sein. Er berichtet aber darüber an seinen Schwager Reich: 158)„Ich habe vom hiesigen Consistorium den Auftrag erhalten, einen Plan zur Errichtung einer Kirchenmusik in der Katharinenkirche, der Hauptkirche der Lutheraner zu entwerfen, und die Stelle als Kapellmeister ist mir angetragen. Sie ist nicht einträglich, aber ich werde die Sache doch nicht von der Hand weisen; denn ich hoffe den Verein mit dieser Kirche in Zusammenhang zu bringen, und so würde dieses Institut ein städtisches und für immer fest begründet. 159) Das Verhältnis Schelbles zu seinem Verein, das zuerst nur ein sehr lockeres gewesen war, wurde im Jahre 1821 durch einen zehnjährigen Vertrag sichergestellt. Im gleichen Jahre begann der Verein, der nun etwa 100 Mitglieder zählte, seine regelmäßigen Abonnementskonzerte.

Ab hier verzichte ich auf die zahlreichen Fußnoten

Schelble war nun endlich an die Aufgabe herangetreten, für die er geschaffen war: als Dirigent eines ausgezeichneten Chores die Kunstwerke der großen Meister zu vermitteln. Er war theoretisch vollkommen geschult, ein ausgezeichneter Pianist, ein trefflicher Sänger, der seinem Verein stets durch Vorsingen die Interpretation klar machen konnte, er war vor allem Lehrer und ein Erzieher der Stimmen, und alle diese Eigenschaften vereinigten sich in einer von einem starken, klaren Willen beherrschten Führerpersönlichkeit, die durch ihre Begeisterung für die klassische Kunst alle mitreißen mußte, die mit ihr in Berührung kamen.

Ueber die Art und Weise, wie Schelble dirigierte, wird uns so gut wie nichts berichtet. Der Taktstock war von Spohr in Frankfurt eingeführt worden. Ob Schelble von dieser Neuerung Gebrauch gemacht hat, läßt sich nicht erweisen. Von seinem Zeitgenossen Ferdinand Hiller wird Schelble als „ein fester und feuriger Dirigent“ bezeichnet. Moritz Hauptmann, an den nach dem Tode Schelbles ein Ruf zur Nachfolgerschaft ergangen war, schrieb an seinen Freund Wilh. Speyer in Frankfurt: „Von diesem Direktor, wie er sein soll, nun auf mich zurückzukommen, so bin ich leider genötigt, zu sagen, daß von den vorgenannten und gerühmten Qualitäten (Hauptmann hatte alle Vorzüge des Sängers, Pianisten und Dirigenten Schelble aufgezählt die notwendigsten mir fast gänzlich abgehen. Ich bin nicht Sänger, viel zu wenig fertiger Klavierspieler und messe mir in der Direktion nicht das geeignete Wesen, was ich als ein angebornes anerkennen muß, in hinlänglichem Grade zu, um ein würdiger Nachfolger Schelbles werden zu können.“ Die Berichte der Zeitungen bestätigen uns das glänzende Zeugnis, das Hauptmann dem Dirigenten Schelble ausstellt:

Musik- und Tageszeitungen in Frankfurt kennen nur Lob und Bewunderung für die Leistungen des Cäcilienvereins und seines Leiters. Mit größter Sorgfalt und unermeßlicher Geduld arbeitete letzterer indessen an der Verbesserung der Stimmen im einzelnen wie in der Gesamtheit und konnte bald zur Aufführung größerer und schwierigerer Werke fortschreiten. Binnen kurzem wird der Frankfurter Cäcilien-Verein in den Konzertkritiken der Zelterschen Singakademie in Berlin an Fähigkeit und Leistung gleichgestellt, ja ihr sogar übergeordnet: er galt als der erste Oratorienverein in ganz Deutschland. Ohne auf die einzelnen Konzerte und die zahlreichen Kritiken der Tages- und Musikzeitungen einzugehen, verweise ich auf den Anhang, und werde hier nur die allgemeine künstlerische Tätigkeit des Instituts und deren Bedeutung insbesondere für die Bachbewegung be-trachten.

Schelble inaugurierte mit dem Cäcilien- Verein um 1820 einen Aufschwung im Musikleben der Stadt Frankfurt. Vergegenwärtigen wir uns die Lage von damals: Die Oper war durchaus noch nicht auf der späteren Höhe; wohl wurden Mozarts Opern oft auf-geführt, aber es wurde auch sehr viel Seichtes, nur der leichten Unterhaltung Dienendes gespielt. Das Orchester war wie fast immer in Frankfurt ausgezeichnet, jedoch klagen die Zeitungen über den Mangel an guten Sängern. Der Düringsche Verein machte nur wenig von sich reden. Da war es nun für das Musikleben der Stadt, für die Geschmacksverbesserung und für die Erhöhung der musikalischen Bildung des Frankfurter Publikums von nicht genug zu schätzender Bedeutung, daß Schelble mit seinem Dilettantenverein, dem die besten Kreise des Bürgertums angehörten, die Chorwerke eines Haydn, Mozart und Cherubini, und vor allem die Oratorien Händels zum ersten Mal in Frankfurt bekannt machte. Es ist daher keineswegs übertrieben, wenn F. Hiller von Schelble schreibt: „Wie viel Liebe und Bildung zur ernsten Tonkunst er seiner Zeit in Frankfurt verbreitete, ist garnicht zu sagen das Beste, was die schöne Mainstadt nach dieser Seite hin besitzt, stammt noch von ihm her.“ Schelble wurde bald neben dem genialen Guhr der Führer des Frankfurter Musikwesens. Während aber der vielseitige Guhr außer seiner Theatertätigkeit noch zahlreiche Konzerte dirigierte, selbst als Solist auf mehreren Instrumenten hervortrat und bei keiner künstlerischen Veranstaltung fehlte, wirkte Schelble ausschließlich mit dem und durch den Cäcilien-Verein. Wie Zelter in Berlin, so gründete auch Schelble in Frankfurt aus dem Cäcilien- Verein heraus zur Pflege des guten Männergesanges die Frankfurter Liedertafel im Jahre 1826; dieselbe konnte sich aber wegen ihrer Exclusivität nicht lange halten und ging schon 1827 wieder ein. Es tauchen in den nächsten Jahren noch mehrere Liedertafeln auf, um aber alsbald wieder einzugehen; Zusammenhänge derselben mit Schelble und dem Cäcilien- Verein konnte ich bei meinen Forschungen nicht feststellen. Immerhin gab Schelble, als Gründer des ersten Männergesangvereins, den Anstoß dazu, diesen Zweig des Chorgesangs in Frankfurt heimisch zu machen,, und er wird daher mit Recht als der „Vater des Frankfurter Männergesangs“ bezeichnet.

Wenden wir uns nun dem Cäcilien-Verein selbst zu und überblicken die Aufführungen desselben unter Schelbles Leitung, so zeigen sich uns deutlich zwei Perioden: bis zum Jahre 1829 werden die Werke Händels, von da ab diejenigen Bachs bevorzugt; doch finden wir in der ersten Periode schon Werke von Bach, wie in der zweiten noch solche von Händel. Neben diesen Pfeilern in dem musikalischen Entwicklungsgange des Vereins werden aber durchaus auch die bedeutendsten Zeitgenossen, Beethoven, Spohr, später Mendelssohn und Hauptmann gepflegt. Es ist also ganz ungerechtfertigt, wenn Chrysander in seinem Aufsatz über Schelble, dessen Programmen Einseitigkeit vorwirft. Händel trat zwar später hinter Bach zurück, wurde aber keineswegs ver-gessen; allerdings – darin hat Chrysander Recht – war Schelble insofern durchaus ein Kind seiner Zeit, als er das Klavier, den Continuo, nicht als integrierenden Bestandteil jener altklassischen Musik erkannte.

Deshalb ist ihm aber kein Vorwurf zu machen; es ist für uns heute viel wichtiger, daß Schelble jene Musik überhaupt aufführte; daß er, nachdem er Händel in Frankfurt eingeführt hatte, sich als einer der ersten wieder mit Bachs Werken beschäftigte.

Für die Bachbewegung wurden Schelbles Beziehungen zu Mendelssohn und Franz Hauser besonders wichtig. Hatte Mendelssohn in Berlin durch Zelter die erste Bekanntschaft mit Bachs Werken gemacht, als er in dessen Chor mitsang, so hatte Schelble sich aus eigner Initiative die Aufgabe gestellt, dieselben in Frankfurt aufzuführen und zwar zu einer Zeit, als die ganze Bachbewegung noch lange nicht im Gange war (etwa um 1825). Die Molette „Ich lasse Dich nicht“, die er schon im Jahre 1821 im Cäcilien-Verein singen ließ, ist allerdings nicht, wie die Aufführungsverzeichnisse des Cäcilien- Vereins angeben, von Joh. Seb. Bach, sondern von Joh. Cristoph Bach. 183)

Von der Matthäuspassion erhielt nun Schelble nicht durch Mendelssohn, sondern durch den berühmten Franz Hauser Kenntnis, der 1822 von Berlin nach Frankfurt an die Oper kam. Hauser besaß eine selbst angefertigte Abschrift der Partitur der Passion, die er in irgendeiner Weise auch Schelble übermittelte. 188) Schon in jener Zeit bildete sich Schelble aus dem Cäcilien- Verein heraus einen kleinen, aus besonders befähigten Sängern bestehenden Bachchor, mit dem er in seiner Wohnung den Meister zu studieren begann. Unterdessen hatte auch Mendelssohn die Partitur der Matthäuspassion durch Abschrift von Zelters Manuskript erhalten. Diese beiden Bestrebungen in Frankfurt und Berlin, Bachs Werke wieder zum Leben zu erwecken, laufen nun nebeneinander her, schöpfen auseinander Anregungen – Hauser dürfte dabei öfters den Vermittler gespielt haben und bleiben in gegenseitiger Beziehung. Das Jahr 1827 brachte hier wie dort die ersten Proben für die Aufführung der Passion; zunächst nur in kleinerem, besonders befähigten Kreise: Schelble überwand auf diese Weise den Widerstand, der sich im Verein gegen Bachs schwierige Polyphonie erhob; Mendelssohn machte es in Berlin nach dem Vorbild Schelbles ebenso.

In Frankfurt wurde das Jahr 1827 noch besonders bedeutsam durch die Beethoventotenfeier im Cäcilien- Verein mit der Aufführung des Sanctus und Benedictus aus dessen „Missa solemnis“. Das Jahr 1828 brachte den eigentlichen Beginn der Bachrenais-sance. Schelble hatte sich 1825 von der Nägelischen Partitur der H-moll-Messe Bachs eine Abschrift verschafft, er nahm dieses zweite Riesenwerk Bachs neben den Proben für die Matthäuspassion, in Angriff, führte 1828 das „Cedro“ daraus auf und leitete damit die Bachbewegung energisch ein. Im folgenden Jahr fiel endlich die Entscheidung für das Wiederaufleben unseres größten Meisters: Am 11. März 1829 gelang es dem genialen Jugendeifer Felix Mendelssohns, Schelble mit der Aufführung der Matthäuspassion zuvorzukommen; es lag lediglich an äußeren Umständen, daß die Frankfurter Aufführung erst am 2. Mai des gleichen Jahres nachfolgte. In einem seiner Briefe nach Hüfingen beschrieb Schelble die Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellten und das Unverständnis, mit dem man der Bachschen Musik begegnete. Daß die Aufführung eine ausgezeichnete war, dürfen wir den Kritiken ohne weiteres glauben, über die Art derselben war nicht mehr viel zu ermitteln.

Die ganze Passion wurde, wie in Berlin, mit Kürzungen aufgeführt; die Choralgesänge wurden durch Schülerstimmen verstärkt. Schelble wirkte nicht nur als Dirigent, sondern sang auch die Partien des Evangelisten und des Christus. Er arbeitete sich deren Recitative in den „normalen Recitativstil“ um, allerdings nur „für sich und seinen eignen Gebrauch“ Offenbar hat er sie nivelliert und dem „Parlando“ angeglichen, was wohl auch Moser meint, wenn er sagt, daß Schelble „neue Evangelistenrecitative in Rossinischem Secco nachkomponierte, weil die echten als zu dramatisch erschreckten“. Ob Schelble in dem gleichen Irrtum befangen war wie M. Hauptmann, der die Bachschen Recitative völlig mißverstand, stelle ich dahin; es wäre immerhin möglich, daß er die Bearbeitung nur im Hinblick auf seinen eignen Vortrag, dem die ruhigere, weniger dramatische Linie besser und näher lag, vornahm.

Bis zu seinem Weggang von Frankfurt widmete sich Schelble nun mit rastlosem Eifer, mit Sorgfalt und Liebe der Pflege der Bachschen Vokalmusik, ja er versuchte auch dessen Instrumentalmusik zu berücksichtigen. Vor allem aber machte er die große Passion durch zahlreiche Aufführungen zum Eigentum des Vereins wie des Frankfurter Publikums und forderte dabei die Kritik der Frankfurter Blätter immer wieder zum Lob und zur Bewunderung dieses einzigartigen Kunstwerks wie auch seiner Interpretation heraus. Nach der Berliner Erstaufführung der Matthäuspassion wurden die Bestrebungen zur Wiedererweckung der Werke des Meisters noch lange nicht allgemein; es folgten nur wenige Städte dem Beispiel Frankfurts. Ich halte daher diese unermüdlichen Wiederholungen der Bachschen Passion, dieses intensive Eintreten Schelbles für unseren größten Meister am Anfange der ganzen Bewegung für besonders wichtig: Frankfurt blieb dadurch ein fester Stützpunkt der Bachrenaissance; es bleibt unverständlich, wie Chrysander diese Tatsache verkennen und Schelble Einseitigkeit vorwerfen konnte.

Kretzschmar berichtet uns, daß auch die Idee einer Bachgesellschaft von Schelble ausging; in einem Brief an Franz Hauser entwarf er einen Plan derselben, der allerdings erst lange nach dem Tode Schelbles seine Verwirklichung fand. Aus dem Gesagten geht Schelbles hervorragende Bedeutung für die Bachrenaissance, die bis heute keineswegs die verdiente Würdigung erfahren hat, klar hervor; er war einer der tatkräftigsten und begeistertsten Führer jener Bewegung am Anfang des vorigen Jahr-hunderts, die uns unseren Bach wiedergeschenkt hat.

Leider wurde Schelble allzufrüh seiner fruchtbaren Tätigkeit entrissen. Wie in Frankfurt überhaupt, wo sein musikalisches Urteil maßgebend war, so war er auch im engeren Kreise seines Vereins außerordentlich beliebt. Wir finden im Archiv desselben zahlreiche Gedichte, namentlich von Marianne v. Willemer und Weismann, die alle eine feinsinnige Verehrung für den Meister bekunden, und. ihn selbst oder seine Begeisterung für alle echte Kunst verherrlichen. Trotz alledem zogen sich die reichen „Garantisten“ des Cäcilien-Vereins wegen eines lächerlich geringen Defizits im Jahre 1831, nach Ablauf des zehnjährigen Kontrakts, zurück, zu einer Zeit, als der Verein auf der Höhe seiner Leistungen angekommen war. Schelble beschämte diese „Frankfurter“ indem er das Institut auf eignes Risiko fortsetzte. So änderte sich zwar an der Leistung und am Bestand des Cäcilien-Vereins nichts; da aber Schelble jetzt auch der gesamte ökonomische Teil des Direktoriums zur Last fiel, so machte sich bald bei seiner ohnehin nicht sonderlich starken Gesundheit die Ueberanstrengung bemerkbar. Anfangs des Jahres 1836 zwang ihn seine Erkrankung zur Aufgabe seiner Tätigkeit in Frankfurt, nachdem er sich schon 1835 öfters durch seinen Schüler Voigt in den Singeübungen hatte vertreten lassen müssen.

Dieser übernahm dann bis Juni, von da ab Felix Mendelssohn bis Ende Juli, darauf Ferdinand Hiller und schließlich Ferdinand Ries die Leitung des Vereins. Sie alle aber konnten dem Verein seinen „Gründer und Erhalter‘ nicht ersetzen. Die Hoffnung, daß er zurückkehren werde, erfüllte sich nicht. Schelble starb, als er von einem Spaziergang in seinen Garten zurückkehren wollte, am Eingang desselben durch einen Blutsturz in den Armen seiner geliebten Gattin am 6. August 1837 abends um ½7 Uhr. Der Cäcilien-Verein hielt ihm am 26. August im Frankfurter Dom eine würdige Totenfeier.

Alles, was ich über Schelbles Nachlaß ermitteln konnte, habe ich im Anhang III meiner Arbeit zusammengestellt.

*Die Briefe werden zu einem späteren Zeitpunkt hier veröffentlicht. (der Rest der Dissertation ist sehr speziell und nur für Fachleute zu erschließen)


148) Es ist ganz unverständlich, wenn C. Gollmick (Autobiographie S. 90) schreibt: Seine (Schelbles) Phasen zwischen Theater, Museum und Cäcilien-Verein, worin Schelble vom Jahre 18 1 3 (sic!!)(1818) an fast gleichzeitig wirkte“. Schelble war nie gleichzeitig in diesen drei Instituten tätig; wohl aber in der Musikal. Akademie, dem Museum und dem Theater; vgl. darüber weiter oben (S. 24).

149) Als 11. Oratorienverein in Deutschland; die vor ihm gegründeten sind:
1. Singakademie Berlin (1791)
2. Singakademie Leipzig (1800)
3. Gesangverein Stettin (1800)
4. Musikverein Münster (1804)
5. Dreissig’s Singakademie in Dresden (1807)
6. Gesangverein Potsdam (1814)
7. Singakademie Bremen (1815)
8. Singakademie Chemnitz (1817)
9. Musikverein Schwäbisch-Hall (1817)
10. Musikverein Innsbruck (1818)
vgl. H. Kretzschmar: Chorgesang, Sängerchöre und Chorvereine S. 408 (in: „Sammlung musikal. Aufsätze“ von Waldersee, 1879).

150) In den Akten „Urgeschichte* des Cäcilien-Vereins wird als 1. Wohnung Schelbles das „Bögnersche Haus“ bei der Weißfrauenkirche, Eckhaus der Papageigasse, angegehen. In dem Frankfurter Staatskalender und Adreßbüchern jener Zeit fand ich keine Wohnungsangabe; dort findet sich erst im Jahrgang 1820 (Frankfurter Staatskalender S. 20) Schelbles Namen: er wohnte damals „Hinter der Schlimmen Mauer“ [heutige Stiftstraße]; dann zog er in ein Haus am Domplatz (vgl. „Urgeschichte“) und schließlich in das Königswartersche Haus an der „Schönen Aussicht“ [gegenüber der Stadthibliothek], wo er bis zu seinem Weggang aus Frankfurt wohnte. Schelble wurde in späteren Adreßbüchern (1834) immer als „fremd“ geführt, d. h. er hatte sich das Bürgerrecht Frankfurts nie erworben.

151) Spohr, Baldenecker (auch Bürger), Engel und Hasemann; meist Sonntag-vormittag; vgl. „Urgeschichte‘

152) Gollmick a. a. O. S. 90 : (op. 44).

153) Darunter vor allem natürlich Schüler Schelbles (siehe Gleichauf a. a. O.).

154) C. Valentin: Heinr. Düring, der Begründer des 1. Frankfurter Gesangvereins in Alt-Frankfurt, Vierteljahrsschrift für seine Geschichte und Kunst, Jahrgang V (1913). Die Verfasserin ist ungerecht gegen Schelble (vgl. S. 331) und verkennt dessen Charakter durchaus.

155) Daß die Tätigkeit des Düringschen Vereins nicht sehr bedeulend gewesen sein kann, geht aus der Bemerkung Gollmicks (a. a. O. S. 90 f) hervor: der Düringsche Verein schlafe.

156) Dürings Verein bestand noch eine Zeit lang neben dem Cäcilien- Verein und ging bald nach 1830 ein (C. Valentin a. a. O.); er gab noch Konzerte mit wenig gespielten Opern als Ergänzung zum Theater. Ueber Schelble und Düring vgl. auch das Urteil von Dr. H. Weismann in: „Der Frankfurter Liederkranz‘ Festschrift zur Feier des 50: Stiftungsfestes, Frankfurt 1878

157) Dort ist auch die 1. Urkunde faksimiliert, ferner ein auf die Gründung des Vereins bezügliches Bild „Die neue Disputa“ erklärt und im Anhang Literatur zur Geschichte des Vereins zusammengestellt (von Prof. Dr. C.H. Müller); siehe auch Reich und Weismann a. a. O.

158) Hüfinger Brief, ohne Datum, derselbe ist im Jahre 1821 geschrieben, da Schelle darin von dem in diesem Jahre geschlossenen Contract mit dem Cäcilien-Verein spricht.


Nachruf an Schelble.

Verfaßt von Dr. Heinrich Weismann, Frankfurt 1837.
(Dieser Nachruf ist auch in der Festschrift des Cäcilienvereins vom Jahr 1888 wiedergegeben.)

So ist er denn geschieden, unser Meister,
Entfloh’n der Erde enger Kerkerhaft;
Er, der Gewall’ge, der der Töne Geister
Entfesselt uns mit seltner Geisteskraft.
Ein Gott hat gnädig sein Geschick geordnet,
Ihn rasch entrückt der langen Leiden Schmerz;
Im Tempel der Natur hat er geendet,
Ihn trugen Blumenengel himmelwärts.

Verwaist steh’n wir mit unsern stummen Klagen,
Geschlossen ist der Tempel des Gesangs.
Sein mächt’ger Geist wars ja, der uns getragen
Zu jenen Höh’n des höchsten geist’gen Klangs.
Bachs Genius war durch Ihn lebendig worden,
Der Himmlische, verschollen fast und todt,
Und wieder tönt in mächtigen Akkorden
Des Lebensfürsten Sieg und Opfertod.

Er lehrt‘ uns Töne, die zum Herzen drangen,
Weil sie vom Herzen kamen klar und rein;
Zu höh’rer, himmlischer Musik umschlangen
Uns seine Tön‘ in herrlichem Verein.
Und wie sein Geist nur Edles konnte pflegen,
Ein strenger Priester seiner Königin,
So trat er auch im Leben uns entgegen,
Ein edler Mensch in Wort und Tat und Sinn.

O laßt des edeln Meisters Angedenken
das Band sein, das uns Alle fest umschlingt,
Es mög‘ sein edler Geist uns ferner lenken,
Daß Fremdes nicht in seine Schöpfung dringt.
Der Geist lebt fort, wenn auch das Leben fliehet,
Er hat uns sterbend, was er schuf, vertraut:
Wir halten fest, was uns nach oben ziehet,
Von wo er segnend auf uns niederschaut.

Aus der digitalen Sammlung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe.