Der Hüfinger Künstlerkreis

aktualisierte Version, Original war am 07. Juli 2020

Als früher Vertreter der Hüfinger Künstlertradition gilt Johann Baptist Seele (27. Juni 1774 in Meßkirch – 27. August 1814 in Stuttgart). Sein Vater Franz Xaver Seele diente ab 1776 in Hüfingen als Unteroffizier im fürstenbergischen Kreiskontingent. Johann Baptist Seele stieg bis zum Hofmaler des württembergischen Königs auf.

Johann Baptist Seele 1792

Johann Baptist Seele1800

Johann Baptist Seele 1810

Der eigentliche Künstlerkreis entstand um den Unternehmer Luzian Reich (7. Januar 1787 in Bad Dürrheim – 18. Dezember 1866 in Hüfingen), auch genannt „der Ältere“. Er selber zeichnete mit „Senior“.

Luzian Reich senior ein Selbstbildnis im Stadtmuseum Hüfingen

Selbstbildnis im Stadtmuseum

Luzian Reich und seine Ehefrau Maria Josefa Schelble
Fotos von Johann Nepomuk Heinemann Anfang 1866

Katharina Schelble geb. Götz (01.11.1760-04.04.1847) gemalt von Luzian Reich (senior) ihrem Schwiegersohn im Jahre 1829 .
Sie ist die Mutter von dem Musiker Johann Nepomuk Schelble und die Großmutter von Elisabeth Heinemann geb. Reich und Lucian Reich dem Jüngeren.

Eltern von Xaver, Lucian und Elisabeth: Luzian Reich und Josefa Schelble.
Großeltern: Mathias Reich und Anastasia Buckin (Bad Dürrheim).
Franz Josef Schelble und Katharina Götz (Hüfingen).

Josepha Schelble ein Gemälde von Luzian Reich senior im Stadtmuseum Hüfingen

Josefa Schelble (19.03.1788-12.11.1866) gemalt von ihrem Ehemann Luzian Reich senior.
Sie ist die Schwester von dem Musiker Johann Nepomuk Schelble und die Mutter von Xaver Reich, Elisabeth Heinemann geb. Reich und Lucian Reich dem Jüngeren.

Luzian Reich gründete in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Mal- und Zeichenschule in Hüfingen. Dort unterrichtete er neben seinen Söhnen Lucian und Franz Xaver die Brüder Nepomuk Heinemann, Josef Heinemann und Rudolf Gleichauf.

Madonna von Luzian Reich senior

Auch gründete Luzian Reich zusammen mit seinem Schwager Schelble den Verein Freunde der Natur.

Der Bruder von Maria Josefa Reich (18. März 1788 -12. November 1866) war Johann Nepomuk Schelble (16. Mai 1789 in Hüfingen – 7. August 1837 in Hüfingen), der Gründer des Cäcilienvereins in Frankfurt a. Main.

Johann Nepomuk Schelble (1789 -1837)
Zeichnung von unbekannt.

Im Jahre 1800 trat Johann Schelble als Chorknabe in das Kloster Marchtal ein wo er wissenschaftlichen und musikalischen Unterricht erhielt. Als das Kloster 1803 aufgehoben wurde, kehrte er zu seiner Familie nach Hüfingen zurück. In der Stadtmusik Hüfingen spiele er Piccoloflöte und besuchte die Schule in Donaueschingen, wo er an dem kunstliebenden Fürsten von Fürstenberg einen Beschützer fand. 

In Hüfingen erwarb Schelble 1824 ein „Landgütchen“, das er sein „Ruhetal“ nannte. Mit 48 Jahren starb Schelble in den Armen seiner Frau am Eingang seines Hüfinger Hauses an der Bräunlinger Straße.

Foto von Karl Schweizer 1980

„Man kann kaum glauben, wie viel ein einziger Mensch, der was will, auf alle andern wirken kann; S. steht dort ganz allein…Er hat sich einen sehr bedeutenden Wirkungskreis geschaffen und die Leute im eigentlichsten Sinne weiter gebracht …“

Felix Mendelssohn Bartholdy in einem Brief an Carl Friedrich Zelter

Der Sohn von Luzian Reich senior war Lucian Reich junior (26. Februar 1817 in Hüfingen – 2. Juli 1900 in Hüfingen).

Lucian Reich senior etwa 1860
(Foto: Nepomuk Heinemann)

Briefe von Lucian Reich an seine Eltern und seinen Schwager 1853-1880

Lucian Reich junior (26. Februar 1817 – 2. Juli 1900)
Lithographie von Johann Nepomuk Heinemann

Lucian Reich hat aus Geldnot erst am 8. August 1874 Margareta Stoffler (1825-1880) aus Geisingen geheiratet; die Tochter Anna Reich war deswegen unehelich und ihre Daten sind nicht bekannt. Anna Reich kam mit ihrem Vater später wieder nach Hüfingen und pflegte ihn bis zu seinem Tod am 2. Juli 1900. Danach heiratete sie einen verwitweten Landwirt in Neudingen und zog seine (8 ?) Kinder groß. Sie selber hatte nie eigene Kinder und starb hoch betagt in der Neudinger Mühle.

Maria Josepha Heinemann Brunnen an der Hauptstrasse 52 mit Elisabeth Heinemann (Grießhaber) und ihrer Cousine Maria Heinemann (Nober). Maria Heinemann war die Tochter von J. Nepomuk Heinemann und Elisabeth Reich.

Briefe der Anna Reich an ihre Cousine Marie Heinemann 1875-1881

Lucian Reich wirkte jahrzehntelang als Zeichenlehrer am damaligen Großherzoglichen Lyceum in Rastatt. Einen Namen machte er sich vor allem durch seine heimatkundlichen Bücher und seine Illustrationen.

Elisabeth (Lisette) Reich (1819 – 1871) am Spinnrad; Katharina Heinemann (1828 – 1900) mit Kind;
J. Nepomuk Heinemann, genannt „Muckle“ (1817 – 1902) mit Fes (Das Tragen eines Fes war im Biedermeier ein Zeichen der Gemütlichkeit);
Lucian Reich (1817-1900) mit Pfeife; Rudolf Gleichauf (1826 – 1896) rechts unter der Uhr;
Josef Heinemann (1825 – 1901) mit Buch. Zeichnung aus den Wanderblühten.

Das bekannteste von Reich geschriebene und illustrierte Buch trägt den Titel „Hieronymus. Lebensbilder aus der Baar und dem Schwarzwalde

Die Tochter von Luzian Reich senior war Elisabeth Reich (15. Dezember 1819 – 24. Juni 1871). Sie heiratete am 31. Januar 1854 einen Schüler ihres Vaters, Johann Nepomuk Heinemann (30.05.1817 – 22.02.1902).

Elisabeth (Lisette) Reich 1819-1871

Allegorie der Donauquelle von J.N. Heinemann

Selbstportrait von Nepomuk Heinemann

Heinemann begann eine Lehre als Uhrschild-Maler in Neustadt. Danach lernte er in Donaueschingen die Technik der Lithographie. Wie alle Hüfinger Künstler hielt er sich in den folgenden Jahren, wie sein Bruder Joseph, zu Studienzwecken in München auf.

Die Eröffnung einer eigenen Druckerei in Hüfingen wurde ihm auf Intervention des Fürstenhauses genehmigt. Mit Entwürfen von Reich, seines Bruders Joseph Heinemann und von Heinrich Frank begann er das Buchprojekt Hieronymus – Lebensbilder aus der Baar und dem Schwarzwalde.

Bleistiftzeichnung Karl von Schneider (1847 – 1923) von Johann Nepomuk Heinemann

Johann Nepomuk Heinemann war einer der ersten Fotografen im Land. Auch das Fürstenhaus Fürstenberg in Donaueschingen zählte zu seinen Kunden. Dieses Geschäft blühte in den 1860er Jahren auf und zahlreiche Portraits von Zeitgenossen entstanden in seinem Studio.

So auch Amélie Karoline Gasparine Leopoldine Henriette Luise Elisabeth Franziska Maximiliane Fürstenberg. Geboren am 25.05.1848 Schaffhausen und verstoben am 08.03.1918 in Baden-Baden. Tochter von Karl Egon II Fürst zu Fürstenberg (1820-1892).



Die Tochter von Nepomuk Heinemann und Lisette Reich war Maria Josepha Heinemann („Marie“ 23. Dezember 1857 – 19. Mai 1948) die am 19. September 1881 den Kaufmann Karl Nober (Haus Nober Hauptstr. 5) geheiratet hat.


Marie Heinemann (1857 – 1948)

Marie und Kätherli
(Katharina Heinemann 30.04.1828-27.01.1900. Kätherli war die Schwester von Nepomuk und Josef Heinemann)
Fotos von Nepomuk Heinemann etwa 1868

Selbstbildnis von Johann Nepomuk Heinemann von 1840


Ein weiterer Sohn von Luzian Reich senior war Franz Xaver Reich (1. August 1815 in Hüfingen – 8. Oktober 1881 in Hüfingen).
Nach initialer Förderung durch seinen Vater, kam Xaver Reich 1832 auf Empfehlung seines Onkels Johann Nepomuk Schelble an das Städelsche Institut. Durch seinen Onkel wurde er auch Mitglied in dessen Cäcilienverein.

Xaver Reich
gezeichnet von Nepomuk Heinemann 1838

Foto von Xaver Reich im Stadtmuseum

Franz Xaver Reich
gezeichnet von Josef Heinemann

Lucian Reich schreibt viel über seinen Bruder im Denkbuch: https://hieronymus-online.de/denkbuch-von-lucian-reich-1896/

Josefa Reich, geb. Elsässer (1823-1900)

Wilhelm August Rehmann, Leibarzt von Fürst Karl Egon II. zu Fürstenberg veranlasste, dass Reich eine Skizze modellieren konnte, welche die Donau mit ihren Zuflüsse Brigach und Breg zeigte. Karl Egon II. war vom Ergebnis begeistert und beauftragte Reich damit das Modell 1837 im großen Maßstab herzustellen. Im Schloss Hüfingen erhielt er von seinem Mäzen dann ein Atelier geräumt, um die Gruppe in Sandstein auszuführen. Die Sandsteingruppe wurde auf der „großen Insel im Schwanenweiher“ (heute: Pfaueninsel) im Schlosspark von Donaueschingen aufgestellt.

Danubiagruppe auf der Pfaueninsel (Postkarte 1906)

Nach Vollendung der Arbeit machte sich Xaver Reich 1842 zu einer Romreise auf. Aufenthalte in Pisa, Florenz und in Verona begeisterten ihn für die Tradition der Blumenteppiche.

Nach Vorbild aus Portici fertigte er in Hüfingen vor seinem Elternhaus den ersten Blumenteppich und legte so den Grundstein einer langen Tradition.

Film von Ernst Kramer in den späten 1920er

Franz Xaver Reich wohnte mit seiner Familie im ehemaligen Anwesen seines Onkels Johann Nepomuk Schelble an der Bräunlinger Straße. In Hüfingen hatte er die Ziegelei seines Vaters übernommen und zu einer Terrakottenbrennerei umgewandelt. In ihr brannte er plastischen Schmuck. (aus dem Denkbuch von Lucian Reich)

Ziegelhütte und Terrakottenbrennerei Reich.
Sie stand da, wo heute der Kofenweiher ist.

Der Engel auf der Elisabetheninsel, den Fürst Carl Egon II in Erinnerung an seine früh verstorbene Gemahlin Elisabeth aufstellen ließ, wurde nach einem Entwurf von Xaver Reich gegossen. Zu seinen Donaueschinger Arbeiten zählt auch das Turnierrelief an der Reithalle.

Die Inschrift auf der Vorderseite des Sockels lautet:
„Der Gerechte ist auch in seinem Tode getrost. Sp. Salomon 14, 23“ auf der Rückseite: „Karl Egon Fürst zu Fürstenberg seiner unvergeßlichen Frau Elisabeth, Prinzessin Reuß ä. L. zu Greiz. geb. 23. März 1824, gest. 7. Mai 1861“.
Das Denkmal wurde nach einen Entwurf von Xaver Reich gegossen.

Als die Donauquelle im Schloßhof neu gefaßt und umgruppiert wurde, gestaltete Xaver Reich die Gruppe: „Die junge Donau als Kind im Schoß der Mutter Baar“. Sie musste allerdings in den siebziger Jahren der Marmorgruppe des Vöhrenbacher Bildhauers Adolf Heer weichen, die heute noch die von Adolf Weinbrenner geschaffene Quellfassung schmückt. Reichs Gruppe fand in der Nähe des Zusammenflusses von Brigach und Breg eine vorläufige Bleibe und wurde 2025 am neu gestalteten Donauzusammenfluss wieder aufgestellt.

Die junge Donau als Kind im Schoße der Mutter Baar von Xaver Reich von 1875.
Sandsteingruppe am alten Zusammenfluss von Brigach und Breg in Donaueschingen.
Foto aus dem Jahr 1980.


Briefe von Lucian Reich an seine Eltern und seinen Schwager 1853-1880

Ein weiters Mitglied des Hüfinger Künsterkreises war Rudolf Gleichauf (29. Juli 1826 in Hüfingen – 15. Oktober 1896 in Karlsruhe). Gleichauf erhielt ein Stipendium des Fürsten Karl Egon II. zu Fürstenberg an der Münchner Akademie bei Schnorr von Carolsfeld.

Rudolf Gleichauf
29. Juli 1826 in Hüfingen – 15. Oktober 1896 in Karlsruhe

Außer zahlreichen Wandgemälden hat Gleichauf im Auftrag des badischen Hofs und der badischen Regierung zwischen 1862 und 1869 zahlreiche Aquarellbilder und eine Vielzahl von Kostümstudien geschaffen, die sich in der Badischen Landessammlung erhalten haben und für ein „umfängliches badisches Trachtenwerk“ geplant waren, das jedoch nicht vollendet wurde.

Unten Allegorische Darstellungen der Fakultäten für Theologie, Philosophie, Jurisprudenz und Medizin für die Universtität Heidelberg von Rudolf Gleichauf.

Theologie

Philosophie

Jurisprudenz

Medizin

Die zwei Bronzereliefs des Bildhauer Johannes Hirt auf dem Grabstein von Adolf Heer und Rudolf Gleichauf befinden sich auf dem Hüfinger Friedhof.

Adolf Heer Bildhauer geboren 13. September 1819 gestorben 29. März 1898

Grab Adolf Heer und Rudolf Gleichauf


Eine Schwester von Rudolf Gleichauf war mit dem Künstler Josef Heinemann (27.12.1825 – 02.04.1901) einem Bruder von Johann Nepomuk Heinemann, verheiratet.

Josef Heinemann (1825 – 1901)
Bleistiftzeichnung von seinem Bruder Johann Nepomuk Heinemann.

Marie Heinemann (1857 – 1948)
Gemalt von ihrem Taufpaten Josef Heinemann.

Auch Josef Heinemann studierte wie sein Schwager Gleichauf an der Münchner Akademie bei Julius Schnorr von Carolsfeld.

Jacob schenkt Joseph einen bunten Rock (1850)
Die selten dargestellte Szene der Josephsgeschichte des Alten Testaments entstand im Umfeld von Bibel-Illustrationen. Heinemann arbeitete an verschiedenen Editionen sogenannter Bilder-Bibeln mit.

Bildnis der Ida Müller, verh. Maier (1841)
Heinemann porträtiert die 20-jährige Blumen- und Stillebenmalerin als „Tochter aus gutem Hause“. Die noch ungleiche anatomische Exaktheit von ausdrucksstarkem Gesicht und summarischer Hand zeigt, dass es sich um ein Jugendwerk des 18-jährigen Zeichners handelt.



Mehr Fotos und Infos zum Hüfinger Künstlerkreis gibt es auch auf der Seite des Stadtmuseums:

Das Altarbild von Seele in St. Verena und Gallus

Da ich gestern Abend wieder das Altarbild von Seele bewundernd durfte, hier noch mal die Geschichte seiner Entstehung:

Originalbeitrag vom 18. Oktober 2022

Johann Baptist Seele 1810



Gottfried Schafbuch schreibt 1972 in Mii Boor – Mii Hoamet:

Das Altarbild in der Stadtkirche zu Hüfingen

In der Morgenfrühe des 4. Juni 1812, am Donnerstag nach dem Fronleichnamsfest, fuhr durch das untere Stadttor eine vollbesetzte Kutsche Donaueschingen zu. Stolzer Rosselenker auf dem Bock war der hiesige Josef Neukum, der den ehrenvollen Auftrag hatte, den württembergischen Galeriedirektor und Hofmaler Johann Baptist von Seele und seine beiden Kinder durch die Baar nach Stuttgart, in ihre Heimat, zu führen. Viel Ehre war dem Künstler im gastlichen Hüfingen, wo er bereits eine Woche weilte, zuteil geworden, und reich beschenkt kehrte er nun wieder in die königliche Residenz zurück.
J. B. von Seele, der von neidischen Kollegen als „Husaren- und Dragonermaler” angefeindet wurde, hatte aus Liebe für die Bewohner der Stadt Hüfingen, in der er die ersten Jahre seiner Jugendzeit zugebracht, ein Gemälde von 14 Schuh (4,20 m) Länge und 8 Schuh (2,20 m) Breite gemalt, vorstellend den am Kreuz hangenden Christus, darunter die Mutter Maria, den Jünger Johannes und die büßende Magdalena.

Einige Werke von Johann Baptist Seele am württembergischen Hof.
Für eine Beschreibung, bitte auf die Abbildung klicken.

In der am 30. Mai 1812 niedergeschriebenen Schenkungsurkunde hat v. Seele ausdrücklich bestimmt, „daß dieses Bild zwar in der Hüfinger Pfarrkirche vor dem Hochaltar aufgemacht, allein nie Eigentum der Kirche werde, sondern den wirklichen Inwohnern Hüfingens, ihren Erben und Nachkommen, solang sie dahier wohnen, als eine Schenkung zugehören solle, worüber sie aber nie anderst als zur öffentlichen Aufstellung in der Pfarrkirche zu verfügen haben; viel weniger soll, was immer für eine Behörde, weder unter dem Titel als Patron der Kirche, weder als Oberpflegschaft der Kirchenfabrik, weder als Obervormund der Gemeinde, noch aus was immer für einem Grunde oder Vorgeben, über dieses Bild zu verfügen berechtigt sein, weil sonst in solch einem Falle dem Stifter, dessen Erben und Nachkommen das Wiederzueignungsrecht auf dieses Bild gegen Erstattung der empfangenen Auslagen und kleinen Erkenntlichkeiten zu ewigen Zeiten zustehen solle“.

Der damalige Bürgermeister Stuckle fügte der Schenkungsurkunde noch den Vermerk bei:


Diese großmütige Schenkung nehmen die hiesigen Inwohner, nämlich die heute dahier zum weit größten Teil versammelte Bürgerschaft, dann die gesamte Beamtung und Klerisei von hier für sich, ihren Erben und Nachkommen durch den hier unterzeichneten Stadtrat mit innigstem Danke und mit der feierlichen Versicherung an, daß nie ein anderer, als der oben bestimmte Gebrauch von diesem vürtrefflichen Bilde gemacht werden solle.

Urkundlich nachstehender Fertigung

So geschehen zu Hüfingen, Samstag, den 30. Mai 1812.

Bürgermeister Stuckle, Fritschi, Stadtrechner, Marx Sulzmann, Joseph Burkhard, Jakob Kuttruff.” Auf die Rückseite des Altarbildes wurde folgender Hinweis aufgeleimt: „Dieses Gemälde, Christus am Kreuze vorstellend, hat der königlich württembergische Galeriedirektor von Seele aus Stuttgart der Bürgerschaft in Hüfingen geschenkt; worüber die in dem städtischen Archiv Hüfingen verwahrte Schenkungsurkunde vom 30. Mai 1812 das nähere ausweist.

Die Rahme um das Bild hat die Bürgerschaft in Hüfingen und deren Vergoldung die Durchlauchtigste verwittibte Fürstin Elisabeth zu Fürstenberg, geborene Fürstin von Thurn und Taxis aus dem Ihrigen, zu Bezeugung Höchstihrer Zufriedenheit mit den Hüfngischen Bürgern bezahlt im Jahre 1812. Stuckle, Bürgermeister.

Die Rahme wurde vom Schreiner Johann Bausch dahier, der Strahlenaufsatz vom Hofbildhauer Ignaz Brunner von Geisingen verfertigt und vom Faßmaler, Amtsdiener Johann Gleichauf von hier vergoldet.
Gleichauf, Amtsaktuar.”


Den Akten ist noch ein vergilbtes Blatt beigeheftet, auf dem 164 hiesige Bürger unterschriftlich den Stadtrat bevollmächtigten, die Schenkung des Altarblatts von Herrn Galeriedirektor v. Seele annehmen zu dürfen.
Warum diese eigenartige Bürgerbefragung und Vollmachtserteilung, ein so wertvolles Geschenk annehmen zu dürfen?
In einem Schreiben an den Stadtrat vom 27. November 1826, also 14 Jahre nach der Ausstellung der Schenkungsurkunde, berichtet Stuckle:


Löblicher Stadtrat! Noch immer hatte ich die beiliegende Schenkungsurkunde für unser Altarblatt von unserm seligen, vaterländischen Künstler, dem Königlich Württembergischen Galeriedirektor von Seele bei Handen. Diese Urkunde war bei mir sehr gut aufgehoben, und wenn ich auch unter dieser Zeit gestorben wäre, so hätte man solche bei der Apertur (Sichtung) meiner eigenen Schriften gefunden.
Die Ursachen warum ich diese selbst nicht in das städtische Archiv getan, oder später in dasselbe tun ließ, sind folgende:

  1. hatte dieses Altarbild, oder vielmehr meine Person das Unglück, von einer damaligen städtischen Deputation wegen des Kostens, den diese in der Rechnung pro 1812/13 gefunden und bemängelt haben, angefochten, und bis ans Kreisdirektorio verfolgt zu wer-den, und mir von dieser Stelle aus, dieses Bild, ohngeachtet der Schenkungsurkunde als mein Eigentum mit dem zuerkannt wurde, daß ich der Stadt die Unkosten wieder ersetzen soll, jedoch wurde diese Resolution später wieder aufgehoben, und ich und der gekreuzigte Heiland wieder mit Friede gelassen.
  2. hatten sich die Stürme des Krieges von außen und von innen – bis anno 1821 – aufs Neue gezeigt, so daß ich diese Urkunde in dieser Gärungsperiode ebenfalls nicht auf das Rathaus deponieren wollte. Die letztere Zeit bis anher scheint wieder allmählig ruhig zu werden und die Sonne heller und klarer zu scheinen, weswegen ich nun dem löblichen Stadtrat diese Urkunde mit der Bitte übersende diese gehörigen Orts wohl zu verwahren. Bei dieser befinden sich noch:
    a) Die Bevollmächtigung des Stadtrats zur Annahme der Schenkung von Seiten der Bürgerschaft vom 31. Mai 1812.
    b) eine Abschrift des Briefes von der Fürstin Elisabetha vom Juni 1812. Dann
    c) ein Danksagungsschreiben des verstorbenen Gefällverwalters Wölfle vom 5. September 1814 und
    d) die Bemerkung, welche auf der Rückseite des Christusbildes geschrieben ist.

Eines löblichen Stadtrats
ergebenster
Stuckle, Altbürgermeister”.


Nun ist das Rätsel um die Unterschriftensammlung bei den 164 Hüfinger Bürgern gelöst.

Die Schenkung des Altarbildes v. Seele hat hier keine wahre und echte Freude aufkommen lassen, weil sie eben keine wirkliche Schenkung war.

Die Stadtrechnung vom Jahre 1812/13 klärt das Zurückbehalten der Schenkungsurkunde und das eigenartige Verhalten des Bürgermeisters Stuckle mit nüchternen Zahlen auf.

Stadtrechner Fritschi schrieb auf Seite 53 ff. der genannten Rechnung:

Wegen dem von Herrn Galeriedirektor von Seele zu Stuttgart der hiesigen Stadt zum Geschenk gemachten Altarblatt haben sich folgende Auslagen ergeben: Herrn Galeriedirektor Ersatz für gehabte Aus-lagen, Reisekosten, Präsent usw.

429,09 Gulden

von Seele forderte von der Stadt:

Für den Ankauf der grundierten Leinwand, 15′ hoch und 9′ breit34.— fl.
Für Modelle zu allen vier Figuren, als
Christus10 Tage à 1 fl. 30 x15.00 fl.
Maria2 Tage2 fl. 45 x 5.30 fl.
Johannes3 Tage1 fl. 30 x 4.30 fl.
Magdalena4 Tage2 fl. 45 x 11.— 1.
Ein Farbenreiber22 Tageà 36 x 13.12 fl.
½ Loth Ultramarina 28 fl. 14.— fl.
1 Loth feiner Lack6.— fl.
Die übrigen niederen Kostenrechnungen,
Farbe, Ol und Firniß, alles zusammen
13.46 fl.
Ein Gerüst machen lassen um das Modell
des Christus aufzustellen1.36 fl.
Nägel, 400 Stück à 8 Kreuzer—.32 f.
In Tuttlingen mit einem Fuhrwerk das Christusbild samt Blindrahmen abholen lassen10.- fl.

Gehabte Auslagen von Seele
135 fl. 6 x

Johann Gleichauf wegen Vergoldung der Rahmen




188.— f.
Demselben — dito — dem Altarblatt12.— fl.
Dem Hofbildhauer Brunner in Geisingen für die Rahme des Altarblatts23.— fl.
Dem Schreiner Bausch hier für Arbeit an dieser Rahme23.30 fl.
Summa:
675.39 fl.

In den Beilagen 222 bis 226 zur hiesigen Stadtrechnung pro Georgy 1812/13 ist diese Summe von 675.39 Gulden peinlichst aufgeschlüsselt. Ihre Nüchternheit steht allerdings im Gegensatz zu den fröhlichen Tagen, die Galeriedirektor von Seele mit seinem vertrauten Anhang bei seinem Aufenthalt hier erlebte. Eine Rechnung vom 1. Juni 1812, die Bürgermeister Stuckle von der Stadtkasse begleichen ließ, zeigt, daß weder von Seele, noch sein Onkel, Gefällverwalter Wölfle, noch der „Amtsbürgermeister” freigebig aus der eigenen Tasche waren.

Die Rechnung (Beilage 222/1812/13) lautet:

Den 1. Juni 1812 wurde mit Herrn Galeriedirektor von Seele und dessen Kinder samt Herrn Gefällverwalter Wölfle und Jungfer Hauserin und ich, der Bürgermeister Stuckle, auf der Post zu Geisingen und Wartenberg verzehrt samt 2 Kutscher und 4 Pferde zusammen 8 Personen:

a) 6 Personen Mittagessenà 40 Kr. tut4.— Gulden
b) 4½ Maß Weinà 40 x tut3.— Gulden
c) Brot-.30 Gulden
d) Kaffee, 8 Tassenà 12 x tut1.36 Gulden
e) Kutscher und Pferdetut2.49 Gulden
11.55 Gulden
Auf dem Wartenberg—.48 Gulden
Den 3. Juni mit Herrn Gefällverwalter Wölfle, als wir die Chaisen bestellten im Schützen zu Donaueschingen—.36 Gulden
Den 4. Juni, bei der Abreise des Herrn Direktors im Schützen zu Donaueschingen noch verzehrt3.— Gulden
Summa16.19 Gulden
Wegen dem Fuhrwerk auf Geisingen mit Herrn
Direktor von Seele und Familie vom 1. Juni,
2 Pferde und 2 Chaisen für ein Tag 3,20 fl. und Gebühr —,30

3.50 Gulden
Ebenfalls an Joseph Neukum für das Fuhrwerk mit Herrn Direktor v. Seele und Kindern nach Stukart (Stuttgart)
33.— Gulden

Sehr aufschlußreich ist die

„Specifikation über die Auslagen wegen dem großen Altarblatt, welches der Herr Galeriedirektor von Seele aus Stuttgart verfertigte und der hiesigen Bürgerschaft laut Schenkungsurkunde vom 30. Mai 1812 übergeben hat.

An Auslagen welche Herr von Seele gehabt:

Laut spezifiziertem Conto dem Herrn Direktor wieder ersetzet samt Transport des Christusbildes von Stuttgart hierher 163,42 Gulden

Auf Reisekosten:

Dem Herrn Direktor die Reisekosten von Stuttgart hierher bezahlt57,30
Dto. denselben wieder durch den Joseph Neukum nach Stuttgart führen lassen33,0090,30 Gulden
Auf Honorarien usw.:
Des Herrn Direktor Frau als Präsent dessen zwei Kinder
110,—
44,00
auf dem Wartenberg, zu Geisingen und im Schützen mit Herrn Direktor zehrt16,19170,19 Gulden
Dem Joseph Neukum für zwei Chaisen und Pferde3,50 Gulden
Trinkgeld zu Geisingen und zu Donaueschingen—.48 Gulden
Summa:429,09 Gulden

Dieser Aufstellung ist noch der Vermerk beigefügt: „Daß jene Auslagen, welche unter obigem begriffen und nicht mit Scheinen belegt sind, in meiner Gegenwart richtig geschehen seien, das kann ich als Onkel des Direktors von Seele als Augenzeug bestätigen, welches hiermit geschiehet.

Hüfingen, den 9. Juny 1812.

Baarischer und Stühlingischer
Amts Kastenverwalter
Wölflin”

In den gehabten Auslagen von 429,09 Gulden sind noch Lieferungen und Arbeiten des Hofbildhauers F. J. Göppel aus Stuttgart enthalten, der „auf Bestellung Sr. Hochwohlgeboren Herrn Galeriedirektor von Seele, eine Blindrahme von Bettseide, mit Kreuz und Schließen zu einem Altarblatt gemacht

14/6° hoch und 8/6° breit14,30 Gulden
eine Überrahme3,48 Gulden
eine Walze 8′, 9″ lang 10″ dick, um die Malerei darauf zu rollen4,30 Gulden
eine Uberkiste 8′, 11″ lang 1′ 7″ im Quadrat samt Verpackung und Nägel5,48 Gulden
28,36 Gulden

Im Namen des F. J. Göppel, Hofbildhauer bescheinigt den Empfang der obigen 28 fl. 36 x

Galeriedirektor von Seele
Ritter des Civil Verd. Ordens.”

Die Verärgerung über die verausgabten 675 Gulden für das Altarbild, die ein Siebtel der ganzen Jahreseinnahmen der Stadt Hüfingen waren, wurde auch am Fürstlichen Hofe in Donaueschingen bekannt. Schon am 16. Juni 1812 schrieb die verwitwete Elisabeth, Fürstin zu Fürstenberg, geb. Fürstin von Thurn und Taxis, an Hofrat und Oberamtmann Bauer:

Fürstin Elisabeth zu Fürstenberg, geb. Prinzessin von Thurn und Taxis, Witwe des Fürsten Karl Aloys (um 1800)
Elisabeth Fürstin zu Fürstenberg, 1797 Foto eines Gemäldes von J.B. Seele
„Ausschnitt aus Bader“. Alle Fotos von Wikimedia

„Ich habe vernommen, daß die Stadt Hüfingen durch die Unkosten, welche die Vergoldung der Rahme des Gemäldes erfordert, wodurch unser vaterländischer Künstler Seele die dortige Pfarrkirche geziert hat, in einige Verlegenheit versetzt worden ist. Recht gern ergreif ich diese Gelegenheit, der Stadt Hüfingen dadurch einen Beweis meines Wohlwollens zu geben, daß ich diese Zahlung übernehme, ich ersuche dahero mir den Uberschlag derselben zu dem Ende chestens zuzuschicken, damit ich den Betrag auf meine eigene Kasse sogleich anweisen kann.”

Über den damaligen Wert des Gulden bzw. des Geldes mögen folgende Zahlen als Vergleich betrachtet werden:

Die Gesamteinnahmen der Stadt betrugen4906 Gulden
Die Gesamtausgaben 1812/13 betrugen3996 Gulden
Der Lehrer bezog an barem Geld
von der Stadt im Jahre 1812/13: 90 Gulden
vom Schulfond Donaueschingen: 12 Gulden
102 Gulden
Bürgermeistergehalt 1812/13130 Gulden
Gehalt des Stadtrechners und des Ratschreibers je150 Gulden
Die Stadt kaufte in Behla
1 Wucherrind, zweijährig für
54 Gulden
in Waldhausen einen Farren82 Gulden
von Valentin Haller hier
1 Wucherrind, einjährig
26 Gulden
von Nachrichter Seidel hier
45 Bund Stroh
3.44 fl.
Gulden = 60 Kreuzer, 4 Kreuzer 1 Batzen,
Kreuzer = 1 Groschen, ein preuß. Taler – 1 fl. 45 x)

Daß eine verarmte Bürgerschaft, der immer und immer wieder zugeflüstert wurde, daß die Stadt gezwungen sei, bei einigen reichen Schwarzwaldbauern und bei Juden in der Schweiz Geld zu pumpen, ob dieses vermeintlichen Geschenkes nicht entzückt war, ist begreiflich. Verständlich ist auch, daß Bürgermeister Stuckle aufgrund des Entscheids des Kreisdirektoriums, das Altarbild gegen Erstattung der Kosten für sich zu beanspruchen, kein Interesse hatte. Die Verheimlichung dieses Bescheids und all der übrigen Schriftstücke in dieser damals leidigen Angelegenheit sprechen dafür, daß er ängstlich besorgt war, nur noch in der Flüstersprache diese heikle Sache in vertrautem Kreise zu erwähnen.

Karl von Österreich-Teschen (Porträt von Johann Baptist Seele, 1800, Heeresgeschichtliches Museum in Wien)

Daß die damaligen Zeiten trüb- und armselig waren, beweist der Inhalt des folgenden Briefes des Fürsten zu Fürstenberg an Erzherzog Karl von Oesterreich:

Traurig ist der Zustand meiner Untertanen, und ebenso traurige Empfindungen erregt dessen Anblick. Ew. Königliche Hoheit kennen ihn durch eigene Ansicht und Betrachtung und kennen somit das grenzenlose Elend, welches über die Grafschaft Baar verbreitet ist.
Mitleidenswert und kläglich ist die Lage meiner Untertanen und schmerzlich meine eigene, weil es mir selbst an Mitteln gebricht, zu helfen und zu unterstützen und weil meine Vorräte erschöpft sind. Mit Bedauern muß ich das traurige Geständnis machen, daß auch meine Kräfte zur Unterstützung der Untertanen geschwächt sind. Nur die Not und die wirkliche Unmöglichkeit der vollen Leistung, von der ich durch die von meinen Amtern vorgenommene Hausdurchsuchung leider nur zu sehr überzeugt bin und sein muß, konnten mich bewegen, an Ew. Königl. Hoheit bittliche Vorstellungen gelangen zu lassen.”

Joseph von Auffenberg (1798–1857)
Digitalisat BLB Karlsruhe

Der Fürstliche Geheimrat Freiherr von Auffenberg richtete zur gleichen Zeit an die Kabinettskanzlei des Erzherzogs eine Denkschrift und führte darin u.a. aus:

„Wenn die Kräfte eines Landes auf 20 Jahre vorweggenommen sind, wenn seine Bewohner aus Mangel an Futter ihr Vieh abschlachten, wenn die bereits in die Erde gelegten Kartoffeln herausgegraben und ohne einen Bissen Brot dazu im Drange des Hungers verzehrt werden, wenn die einquartierten Soldaten mit dem Quartiergeber ihr Kommißbrot teilen, weil sie diese verhungern sehen, und die herrschaftlichen Fruchtkästen und Scheunen, die bisher einzige Aushilfe der aufeinandergefolgten Requisitionen, der Armut und den notleidenden Menschen preisgegeben werden müssen, so verdient dieses Land (die Baar) in jeder Beziehung das Mitleid und die Teilnahme des rechtschaffenen Mannes.”

Es zeugt von großem Taktgefühl und Anstand der Hüfinger, daß auch nicht mit einem Worte der geniale Künstler Johann Baptist von Seele angegriffen wurde. Lucian Reich erwähnt in seiner Abhandlung über das Kunstschaffen seines Vaters, des alten Lehrers Reich, daß er den Hüfinger Hochaltar in der Stadtkirche nach dem Entwurf des Galeriedirektors von Seele in farbigem Wutachalabaster ausführte; eine Arbeit, die jedenfalls wegen der besseren Sicht auf das Altarbild notwendig war.

Unbegreiflicherveise wurde bei der 1910 erfolgten Renovation unserer Stadtkirche, bei der Erstellung des Hochaltars, hierauf leider keine Rücksicht genommen.

Am 27. August 1814 ist von Seele, erst 40 Jahre alt, in Stuttgart an einem Herzschlag gestorben. Gleich nach Bekanntwerden seines Heimgangs gedachten die Hüfinger in rührender Weise des hervorragenden Künstlers, sie ließen ihm ein Seelenamt halten.

Onkel Wölflin dankte dafür dem wohllöblichen Stadtrat: „Sie haben meinem kürzlich verstorbenen Neffen, dem Königlich Württembergischen Galeriedirektor und Hofmaler von Seele, aus Liebe und Dankbarkeit für das vor zwei Jahren der hiesigen Bürgerschaft gemalte Christusbild, welches selbe als Altarblatt in die hiesige Pfarrkirche aufstellte, ein Seelenamt mit der gesamten Priesterschaft angeordnet, und heute dahier feierlich abhalten lassen.
Diese dankbare Liebe und Achtung für den Seligen hat mich außerordentlich gefreut und tief gerührt. Ich danke also hiermit dem wohllöblichen Stadtrat herzlich dafür, und wünsche im Stand zu sein, demselben und der ganzen Bürgerschaft meine Dankbarkeit tätig beweisen zu können.

Ich bin mit wahrer Hochachtung eines wohllöblichen Stadtrats ergebenster Wölflin.

Hüfingen, den 5. September 1814.”

Man schrieb das Jahr 1846. Wieder war das Altarbild Gegenstand von Beratungen und Verhandlungen.

Am 9. Juni 1846 erhielt der Stadtrat folgenden Brief:

„Das Pfarramt wird darauf dringen, daß noch diesen Sommer die Reparation in und an der Pfarrkirche geschehe, bei dieser Gelegenheit sollte vorgenommen werden die Reinigung des Kirchen- und Kunstblattes von Seele, als höchst notwendig.
Schon am 26. April ds. Js. hat der Stiftungsvorstand Beratung gehalten und Anstand genommen, weil das Kunstblatt eigentlich Eigentum der Stadtgemeinde ist und auf welche Unkosten die Reinigung geschehen soll.
Der Stiftungsvorstand will da nicht vorgreifen, und der löbliche Gemeinderat wolle anher berichten, was in Obigem geschehen und einberichtet werden soll.

Stiftungsvorstand: Hufschmid, Stadtpfarrer.”

Am 14. Juli 1846 berichtete Bürgermeister Hug dem Stiftungsvorstand, daß die Kosten für die Reinigung des Altarblattes auf den Kirchenfond übernommen werden möchten.
Stadtpfarrer Hufschmid gab sich jedoch mit diesem ablehnenden Bescheid nicht zufrieden. Am 21. September 1846 wurde folgende Vereinbarung beschlossen:

„Revers. Die Restauration des auf dem Hochaltar in der hiesigen Pfarrkirche befindlichen Seeleschen Altarbildes betreffend. Wird nach dem hohen Erlaß Großh. Seekreis-Regierung vom 11. September ds. Js. Nr. 20045 durch den unterzeichneten Stiftungsvorstand, Gemeinderat und Bürgerausschuß als Vertreter der Kirchspielsgemeinde gegenwärtiger Revers mit dem ausgestellt, daß sie die Bezahlung dieser Reinigungskosten nur als guttatsweise Leistung des Kirchenfondes annehmen, und darauf nie eine Verbindlichkeit desselben gründen wollen.

Zu Urkunde dessen

Stiftungsvorstand. Gemeinderat und Bürgerausschuß

Unterschriften.”

Und nun, im selben Jahre 1846, wird dem Altarbild in der Stadtkirche endlich die ihm gebührende Würdigung als Kunstwerk zuteil.

Oberamtmann Eckhard in Engen, ein ehemals guter Bekannter des so jung dahingeschiedenen Hofmalers von Seele, bot der Stadt Hüfingen das Selbstbildnis des Künstlers als Geschenk an. Oberamt-mann J. C. F. Eckhard schrieb am 1. Dezember 1846 an das „Wohllobliche Stadtpfarramt und Bürgermeisteramt Hüfingen:

Seit mehr als dreißig Jahren besitze ich ein sehr gutes Gemälde, von dem in Stuttgart verlebten Königl. Württembergischen Galeriedirektor Seele, der ein guter Bekannter von mir war, in Ol auf Leinwand gemalt.

Es ist sein eigenes Portrait in jugendlichen Zügen, ein Brustbild in Lebensgröße. Die Tafel, ohne den Rahmen, hat eine Höhe von 22, und eine Breite von 18 Bad. Zollen. Der Rahmen ist von hartem Holze, mit Goldverzierung. Die Beschränktheit meines Raums in der Wohnung, und die Beschaffenheit ihrer Gelasse, nötigen mich, seit längerer Zeit einen ziemlichen Teil meiner Tableaux unaufgehängt zu lassen, und versagen mir leider auch insbesondere das Vergnügen, das gedachte Bild als Zimmerzierde verwenden zu können.

Seele war meines Wissens ein geborener Hüfinger und der liberale Stifter des vortrefflichen Altarblattes in die vaterörtliche Pfarrkirche, eines Werkes seines schöpferischen Geistes und seiner ausgezeichneten künstlerischen Führung des Pinsels, eines Werkes, dessen Anblick die Bewunderung der Kenner und Nichtkenner erregt – Sollte dem Bildnisse des genialen Künstlers nicht auch ein schickliches Plätzchen in der Stadt vergönnt sein, wo erstmals er das Tageslicht sah, und wo in des Tempels heiliger Halle noch heute eines seiner klassischen Gebilde weilt, – Zeuge seiner Kunst und seiner Pietät?…Und wäre sohin unter den gegebenen Beziehungen dessen doreitigen Besitz nicht wünschenswert? –

In diesen Betrachtungen erlaube ich mir, der Person oder der Corporation, welcher das Altarbild verehrt wurde, das fragliche Bildnis als ein geringes Zeichen meiner Hochschätzung anmit – in Schenkungsweise – anzubieten.

Wenn sie diese kleine wohlgemeinte Gabe genehmigen, so belieben Sie Jemanden hier zu benennen, welchem ich das Gemälde zur Überschickung einhändigen kann; andernfalls sehe ich kurzer gefälligen Außerung entgegen.”

Schon am 11. Dezember 1846 gaben Stadtpfarrer Hufschmid und Bürgermeister Hug in einem gemeinsamen Schreiben dem „Wohlgeborenen, hochzuverehrenden Herrn Oberamtmann Eckhard in Engen” nachstehende überschwängliche Antwort:

Ihr verehrtes Schreiben vom 1. ds. Mts. hat uns ganz überrascht und mit Freude und Dank kommen wir demselben durch gegenseitige Antwort entgegen.

Galeriedirektor von Seele ist geborener Hüfinger und hat seiner Vaterstadt Hüfingen, oder ihrer Bürgerschaft, das in hiesiger Pfarrkirche aufgehängte Altarblatt, Christus am Kreuz, mit der ausdrücklichen Bedingung geschenkt, daß dasselbe nirgends anders, als nur in hiesiger Pfarrkirche verwendet werden dürfe. Darüber haben wir eine Schenkungsurkunde und dabei eine von Seele selbst geschriebene Biographie, in welcher der Künstler selbst den Anfang und die Ausbildung seiner Kunst bezeichnet. Sowohl jene als diese sind im Gemeindearchiv deponiert, von Seeles Altarblatt hängt etwa seit 1812 in hiesiger Pfarrkirche, als eine Zierde der hiesigen Gegend, als ein Kunstwerk, welches europäischen Ruhm hat. Aus Sorgfalt sahen wir uns veranlaßt, das Altarblatt mit Genehmigung der hohen Regierung durch einen von derselben bestimmten Maler vor einigen Monaten reinigen zu lassen. Vierzig Jahre mögen vorübergehen, bis diese Arbeit wieder notwendig wird und wir werden auch in Hinsicht des Lichtes noch mehr tun, um das Kunstblatt unseres Künstlers in unserem freundlichen Tempel noch mehr zu heben, wohl wissend, daß Wenige von Bildung unsere Stadt passieren, ohne nicht auch dasselbe in unserer Kirche bewundert zu haben.

In Erwägung des Angeführten ist es uns eine freudenvolle Überraschung, in Zukunft nicht nur das Kunstblatt von Seele, sondern auch sein eigenes Portrait zu besitzen, das Sie, hochzuverehrender Herr Oberamtmann, an unsere Stadt, oder an ihre Bürgerschaft, schenkungsweise abzutreten die große Güte haben.

Im Namen derselben nehmen wir mit Freude und Dank das werte Geschenk aus Ihren Händen uns bleibend zur dankbaren Erinnerung an Ihr ausgezeichnetes Wohlwollen. Wir haben bereits demselben den Platz im Gemeindezimmer des hiesigen Rathauses bestimmt; v. Seeles Kunstblatt als Eigentum der Bürgerschaft hat den ersten Platz in der Pfarrkirche und v. Seeles Potrait soll den ersten Platz im Gemeindzimmer haben, eines soll an das andere und zugleich an die verehrten Gaben erinnern. Ihr verehrtes Schreiben wird von Seeles Schenkungsurkunde und Biographie angeschlossen. Hochzuverehren-dem Herrn Oberamtsmann stellen wir nun die gehorsamste Bitte, von Seeles Portrait an Herrn Bezirksamtmann Ganter zu verabfolgen, welcher den Transport hierher weiter besorgen wird.
Wir wiederholen nochmals unsern Dank und versichern unsere ausgezeichnete Verehrung und Hochachtung.”

Es war fürwahr ein prächtiges Weihnachtsgeschenk, das der selbstlose Oberamtmann Eckhard den Hüfingern verehrte. Bürgermeister Hug und Ratschreiber Ambros schrieben nun auf die Schenkungsurkunde des Altarbildes den Zusatz: „Am 1. Dezember 1846 wurde uns durch Herrn Oberamtmann J. C.F. Eckard in Engen das Bildnis des Stifters des in obiger Urkunde bezeichneten Altarblattes J. B. von Seele als Schenkung verehrt und am Sonntag, 27. Dezember 1846, dasselbe im Rathaussaale aufgehängt, der versammelten Bürgerschaft das erhaltene Schreiben von Herrn Oberamtmann Eckard, die Wohl-demselben hierauf erteilte Antwort und sodann die Schenkungsurkunde des Altarblatts verlesen.

Auf der Rückseite des der Stadt geschenkten Portraits von Seele schrieb Eckhard:

Bildnis des Malers und nachherigen könig. Württemberg. Galleriedirectors
J. von Seele von Hüfingen
von ihm selbst gemalt.

Ein Geschenk an die Stadt- und Kirchengemeinde Hüfingen als ein kleines Zeichen seiner besonderen Hochachtung von den Großh. Bad. Oberamtmann J. C. F. Eckhard zu Engen; in der Kindheit Bewohner des Fürstlichen Schlosses zu Hüfingen und damahls oft Gespiele des Knaben Johann Baptist Seele.

1846″

Die Schrecknisse des Krieges 1939/1945 sind nicht spurlos an der hiesigen Stadtkirche vorbeigegangen. Sämtliche Kirchenfenster, dabei leider auch die mit den Glasmalereien des in München verstorbenen Hüfinger Künstlers Fridolin Heinemann (1859-1926), gingen in Scherben. Das Altarbild aber blieb heil und unversehrt.

Das künstlerische Schaffen von von Seeles wurde immer wieder von Kunstkennern hervorragend gewürdigt. In der württembergischen Kunstgeschichte ist von Seele als Schlachtenmaler in die Reihe der Großen gestellt. Sein Werk: „Die schwäbische Reiterattacke”, das er im Jahre 1810 vollendete, gehöre zu den allerbesten Kriegsbildern, welche die neue deutsche Malerei überhaupt hervorgebracht habe; es sei eine Leistung ersten Ranges.

Daß dem Hofmaler von Seele das künstlerische Schaffen von Soldaten- und Schlachtenbildern eher lag, als das mit religiösen Motiven, dürfte wohl keine Frage sein.

Wir Hüfinger, die wir das Hochaltarbild vom ersten Augenblick des Betrachtens an als Selbstverständlichkeit gewohnt sind, sollen und wollen nicht vergessen, daß ein großer Meister der Farben und des Pinsels uns dieses so wertvolle Bild malte, und daß Johann Baptist von Seele von wahrhafter Liebe zu seinem traulichen Städtchen Hüfingen und zu unseren Vorfahren durchdrungen war.

Zum 100. Gedenktage der Schenkung des Altarbildes im Jahre 1912, brachte das Donaueschinger Wochenblatt folgenden Bericht aus Hüfingen:

Hundert Jahre sind es, seitdem unser Gotteshaus mit einem hervorragenden Kunstwerke, das weit über die Grenzen des Bezirk bekannt ist und die Bewunderung der Kenner erregt, geschmückt wurde. Dieses Kunstwerk ist eine Schöpfung des Königl. Württbg. Hofmalers und Galeriedirektors Joh. Bapt. von Seele in Stuttgart, (Ritter des Königl. Verdienstordens), der in Meßkirch das Licht der Welt erblickte und seine ersten Jugendjahre in der Amtsstadt Hüfingen zugebracht hat.

Nach der im städtischen Archive verwahrten Schenkungsurkunde vom 30. Mai 1812 hat der geniale Künstler und edle Spender aus Liebe für die Bewohner der Stadt Hüfingen dieses Gemälde, darstellend den am Kreuze hängenden Christus und unter demselben die Gottesmutter Maria, den Jünger Johannes und die büllende Magdalena mit der ausdrücklichen Bestimmung gefertigt, daß das Bild zwar in der Pfarrkirche dahier über dem Hochaltar aufgemacht, allein nie ein Eigentum der Kirche oder der Kirchenfabrik werden, sondern den wirklichen Inwohnern Hüfingens, ihren Erben und Nachkommen solange sie dahier wohnen als eine Schenkung zugehören solle. Die Rahme um das Bild, das 14 Schuh Länge und 8 Schuh Breite mißt, wurde von Schreinermeister Johann Bausch dahier und der Strahlenaufsatz von Hofbildhauer Ignatz Brunner von Geisingen für Rechnung der hiesigen Bürgerschaft angefertigt. Die Vergoldung hat der Faßmaler und Amtsdiener Johann Gleichauf von hier ausgeführt. Dieselbe wurde von der Durchlauchtigsten verwitweten Fürstin Elisabeth zu Fürstenberg geborene Fürstin von Thurn und Taxis, zur Bezeugung höchst Ihrer Zufriedenheit mit den Hüfinger Bürgern bezahlt.
Im Jahre 1846 ist die Stadt Hüfingen von J.C.F. Eckhard, Oberamtmann in Engen, abermals erfreut und beehrt worden durch die Schenkung eines in Ol auf Leinwand gemalten Bildes. Es ist ein eigenes Portrait des Galeriedirektors von Seele in jugendlichen Zügen, ein Brustbild in Lebensgröße. Dieses sowie ein eigenhändig geschriebener Lebenslauf von Seele ist im Rathaus hier in sorgfältiger Verwahrung.”

Die Lebensgeschichte von Seele, die als eine Kostbarkeit betrachtet werden kann, wurde von seinem Onkel, Gefällverwalter Wölfle, in Hüfingen niedergeschrieben und wird mit der Schenkungsurkunde des Altarbildes im hiesigen Rathaus sorgfältigst aufbewahrt. Der Hüfinger Maler und Schriftsteller Lucian Reich (1817-1900) hat sie in seinem 1855 erschienenen Buch „Wanderblüten” ungekürzt wieder-gegeben.

Im „Ekkhart Jahrbuch für das Badner Land 1968″ des Vereins Badische Heimat, Freiburg/Brsg., wurde die Seele’sche Biographie ebenfalls im vollen Wortlaut mit etlichen Illustrationen und dem Selbstbildnis von Seele gebracht.
Wissenswert sind nun wohl auch die kurzen Angaben zu den einzelnen Personen, die im Zusammenhang mit Seele und seinem Altarbild standen.
Johann Baptist Seele wurde am 27. Juni 1774 zu Meßkirch (also nicht in Hüfingen) als Sohn des Franz Xaver Seele, Fürstl. Fürstbg. Soldat, und der Maria Anna Wölfin geboren. Schon als zweijähriges Kind kam er nach Hüfingen und verbrachte hier seine Jugendzeit bis 1789, wo er „Ende des September unter tausend Tränen und Segnungen der Mutter das väterliche Haus verließ”. Auf dem Titelblatt der Lebensbeschreibung steht, daß der „Königlich Württembergische Hofmahler und Gallerie Director zu Stuttgart, von Seele, zum Denkmal das Altarblatt Christus am Kreuz seinem zweiten Vaterort Hüfingen unentgeltlich gemahlt hat 1812” .

Väterlicherseits stammte die Familie Seele ja ursprünglich aus Italien und hieß Francelli la Salle bei Aosta. Daraus wurde dann la Sale, Sele, bis zu Seele. Das sehr lebhafte Temperament des Künstlers erklärt sich dann auch ganz gut aus solch romanischem Bluteinschlag.

Johannes Wölflin, der Onkel Seeles, war Großh. Badischer Gefällverwalter, geboren am 21. Juli 1751 zu Hüfingen und starb hier am 6. Oktober 1821. Seine Eltern waren: Joh. Bapt. Wölflin, Soldat, und Maria Barbara Zinsmayer.

Der Jugendfreund Seeles, J.C.F. Eckhard, Großh. Bad. Oberamtmann zu Engen war sehr wahrscheinlich ein Sohn des Fürstl. Fürstbg. Forstinspektors Jakob Eckhard aus Geisingen und der Maria Josefa geb. Haiz. Jakob Eckhard starb hier am 22. September 1846, 81 Jahre alt.

Franz Xaver Stuckle, geboren um 1769, war von Beruf Uhrmacher und in erster Ehe mit Maria Ursula Rhein, († 1805, 32 Jahre alt) in zweiter Ehe aber mit Barbara Maus aus Tengen verheiratet, die 1854 in Schaffhausen starb.
Aus der ersten Ehe gingen sechs und aus seiner zweiten Ehe zwölf Kinder hervor. Trotz dieser 18 Nachkommen ist das Geschlecht in Hüfingen ausgestorben. Schultheiß Stuckle starb hier am 19. August 1849.

Johann Gleichauf, Faßmaler (Vergolder) und Amtsdiener, geboren am 4. Februar 1764 verheiratete sich mit Anna Maria Schelble (1760-1800), aus deren Sippe später der berühmte Wiener Hofsänger und nachherige Direktor des Cäcilienvereins in Frankfurt am Main, Johann Nepomuk Schelble (1789-1837) hervorging.

Die Eheleute Gleichauf waren die Großeltern des Hüfinger Historien-und Trachtenmalers Rudolf Gleichauf (1826-1896).

Die Künstlerfamilien Schelble – Reich – Gleichauf und Heinemann waren allesamt miteinander verschwistert und verschwägert. In mehreren Veröffentlichungen, Kunstbesprechungen und Lebensbeschreibungen wurde und wird ihrer immer wieder rühmend und ehrend gedacht.

Möge ihr großes und so wertvolles Erbe, das Gedenken an diese „Hüfinger Künstlerkolonie”, vorab in ihrer von ihnen so geliebten Baarheimat, stets wachgehalten werden.

Gottfried Schafbuch im Jahr 1972

Moreaus Rückzug
Plünderung

Hieronymus Kapitel 19

“Drunter ischs und drüber gange was me cha sage. Menge brave Ma hets nime chönne prästiere, het si Sach verlohren und Hunger glitten und bettlet.
>Johann Peter Hebel

Moreaus Rückzug – Plünderung

Für den Augenblick war das Unwetter vorübergezogen, ohne in dieser Gegend größeren Schaden anzurichten; doch bald sollte es, von einem Gegenwind zurückgetrieben, nur um so heftiger sich entladen.

Mit dem Anfang des Oktober hatte der französische General Moreau auf seinem, wohl über die Gebühr gepriesenen Rückzuge die Höhen des Schwarzwaldes und den Paß des Höllentales wiederzugewinnen vermocht und den Schauplatz unserer Erzählung mit seinen Scharen überschwemmt.

Bereits, als es kundbar geworden, wie Erzherzog Karl die zweite feindliche Armee nach dem Main zurückgeworfen habe, und wie die fränkischen Bauern den fliehenden Franzosen mitgespielt, da machte das Vaterlandsgefühl sich geltend, überall, wo ein Feind auf deutschem Boden zu sehen gewesen. In dem diesseitigen Teile des Bistums Speyer hatte der bewaffnete Volksaufstand seinen Anfang genommen, sich rasch über den Odenwald und herauf über die Ortenau verbreitet. Aber selbst in jenem Teile des Schwarzwaldes, welcher noch in Feindes Hand war, suchte man die verborgenen Waffen wieder hervor. Wo man den Franzosen einen Schaden, einen Abbruch tun konnte, geschah es. Nachzügler, einzeln reisende Kriegsbeamte wurden überfallen und auf die Seite geschafft.

An den Heerstraßen hatten verwegene Rotten Hinterhalte angelegt, von wo sie kleinere feindliche Abteilungen versprengten, oft gar überwältigten.

Gefangene wurden bei solchen Gelegenheiten keine gemacht, das begreift man. Allerdings ließen die Franzosen solche Dinge nicht ungeahndet, wo sie es vermochten, allein man darf wohl annehmen, daß nur die Furcht, den Aufstand allgemein zu machen, sie von greulicher Wiedervergeltung abhielt.

Im Kirchtal unter andern hatte der Kuhhirt einige verwegene Gesellen um sich versammelt und lag mit diesen an der Landstraße auf der Lauer. Da sahen sie einen feindlichen Gepäckzug herannahen, nur von wenigen Bewaffneten begleitet. Die Disposition zum Angriff war bald gemacht; als der Zug nahe genug herangekommen, sprangen die Kameraden rasch aus ihrem Versteck, wirbelten mit den Füßen den Staub der Landstraße hoch in die Höhe, der Hirte feuerte dabei zwei Pistolenschüsse ab, und die erschreckten Feinde, wahrscheinlich junge Leute, nahmen eiligst die Flucht, den Wegelagerern das Gepäck als Kriegsbeute überlassend. Doch nicht lange nach dem Streich erscheint eine französische Kolonne in dem Tale, dort die Auslieferung der Übeltäter zu verlangen oder den Ort niederzubrennen. Jene aber hatten sich bereits in die Berge salviert, und der französische General war menschlich genug, nur sechs Häuser in Asche legen zu lassen. – Auch in Hausen vor Wald war ähnliches geschehen, und das Dorf wurde drei Tage lang der Plünderung preisgegeben.

In Hausen vor Wald haben wohl auch Hirten Franzosen überfallen, was genau passiert ist, schreibt Lucian Reich nicht. Auf jeden Fall wurde als Strafe Hausen vor Wald drei Tage lang Plünderungen peisgegeben. Dass danach wohl nicht mehr viel übrig sein konnte, ist wohl klar.

Und wieder fürchtete man in der Baar eine Schlacht. – Schon standen die Armeen einander gegenüber, als die Franzosen ihre Stellungen aufgaben und den Rückzug über den Schwarzwald fortsetzten. Der Feuerschein des brennenden Dorfes Röthenbach, wo vorher einige Franzosen umgebracht worden waren, und die flammende Pfarrkirche samt Schulhaus in Neustadt bezeichneten ihren Weg.

Unsern Hieronymus faßte der Strudel im Hause der Großeltern, welche im Jahr vorher kurz nacheinander aus dieser Zeitlichkeit geschieden waren und für welche eben jetzt der Gedächtnisgottesdienst gehalten werden sollte.

Zweiter Koalitionskrieg
Der Zweite Koalitionskrieg (1798/99–1801/02) wurde von einer Allianz um Russland, Österreich und Großbritannien gegen das im Ersten Koalitionskrieg erfolgreiche revolutionäre Frankreich geführt.

Auf dem Walde war in diesem Jahr vom Kriege wenig zu verspüren gewesen; kein Feind hatte noch die Gegend um Laubhausen betreten; und daß Moreau schon wieder auf dem Rückzug sich befinde, davon hatte man dort nur gerüchtweise sagen gehört. Also war Vater Mathias in die Amtsstadt gekommen, um seinen Sohn zur Gedächtnisfeier abzuholen.

Der 29-jährige Jean-Victor Moreau (1792)
Foto: Wikipedia

Der Gottesdienst im Dorfe war noch ungestört vorübergegangen. Gegen Mittag, als die Leute gruppenweise vor ihren Häusern standen, mehr stumm und erwartungsvoll als beratend, erscholl es plötzlich: „Sie kommen“, und wirklich sah man bald darauf am „Kapf“ (einer Waldecke) Bajonette blitzen. Eine Abteilung Franzosen hatte dort Halt gemacht.

Das Kapf bei Villingen ist gegenüber vom Kirnacher Bahnhöfle und eine alte Wallanlage des keltischen Siedlungsareals.

In demselben Augenblick krächzt eine heisere Weiberstimme: „Sie kummet, sie kummet, d‘ Vetterli kummet! Jetzt ist den arme Leute g’holfe!“ – Es war das alte halbverrückte Duningerannele, welches in wahnsinniger Lust also durch das Dorf rannte.

Über das Duningerannele läßt sich in der Villinger Geschichte leider nichts mehr finden. Anscheinend aber war sie den Ideen der französischen Revolution nicht abgeneigt.

Da tut sich der krumme Davidle, der Viehdoktor und Teufelsbanner hervor, die Leute zu beruhigen: er könne Französisch, behauptete er, und wolle hinausziehen, zu parlamentieren.

Der krumme Davidle, der Viehdoktor und Teufelsbanner ist auch in den Tiefen der Geschichte verschollen.

Man ließ ihn gewähren. Da band der Patriot ein weißes Taschentuch an einen Stock und zog mit dieser Friedensfahne hinaus zu den Franzosen.

Wer sich genauer für die Wirren der Koalitionskriege interessiert, sei auf die Seite des Geschichts- und Heimatvereins Villingen verwiesen: Villingen im Zeitalter der Französischen Revolution(1770-1815) von Michael Tocha.

Nach etwa einer Viertelstunde ängstlichen Harrens kehrte der Parlamentär wieder zurück, von weitem schon schreiend: „Viktoria – sie sage, sie tun uns nüt – wenn wir ihne nur g’nug z‘ essen und z‘ trinke nausbringe.« So leichten Kaufes loszukommen, hatte man nicht vermutet, und alles beeilte sich, Schinken, ganze Speckseiten, geräuchertes Fleisch, Wein und Branntwein herbeizuschaffen, auf Karren zu laden und dies Mittagsmahl den fremden Gästen zuzuführen, welche dasselbe auch ohne viel Komplimentierens entgegennahmen. Die Leute, welche hinausfuhren, waren nicht wenig erstaunt, solch einen bunten, zerrissenen und zerlumpten Haufen zu sehen wie diese Neufranken, obwohl sie bei ihrem ersten Auftreten schon abenteuerlich genug ausgesehen hatten.

Alle Orte von Ulm bis Schwenningen, wo der Haufe durchgezogen war, mußten ihm Tribut gezollt haben. Neben einem Soldaten im französischen Casquet sah man einen andern im schwäbischen Nebelspalter, der hatte einen Weiberrock umgetan, jener einen Ratsherrenmantel. Hier lief einer barfuß, dort ein anderer in Pantoffeln. Hier einer im weißen Chorhemd, dort ein anderer im blauen Fuhrmannskittel. Dieser trug gestreifte Pantalons, jener gelbe Lederhosen. Man sah, hier herrschte Freiheit, aber wenig Gleichheit.

Mit „französische Casquet“ ist vielleicht ein Casque, ein Helm, gemeint.

CASQUE À CHENILLE DE CHASSEURS À CHEVAL MODELE 1791
Internetfund

Was mit einem schwäbischen Nebelspalter gemeint ist, würde mich auch sehr interessieren!

Die Lebensmittel waren kaum an ihre Herren gelangt, als wieder, wie des Morgens schon, ein eisiger Regen einfiel und die Kolonne ihren Marsch nach dem Dorf fortsetzte. – Welch ein vortrefflicher Unterhändler der krumme Davidle gewesen, zeigte sich alsobald; denn als die Franzosen kaum an den ersten Häusern angekommen waren, ging der Spektakel los.

Eine ergötzliche Jagd auf Gänse und Enten war das erste. Wo aber solch fette Bissen auf den Gassen zu finden, muß offenbar in den Häusern noch weit Köstlicheres vorhanden sein. – In dieser Voraussetzung statteten die Neufranken ihren deutschen Brüdern schon in den Nachbarhäusern überraschende Besuche ab. Bald darauf sah man einen mit einem Ballen Leinwand wieder auf die Straße stürzen, die andern gleich einer bellenden Meute hinter ihm drein, jeder bemüht, ein Stück des Ballens herunterzusäbeln und als schützenden Mantel umzuhängen. – Das alles war jedoch, wie gesagt, nur ein Vorspiel, denn bald schien es, als brenne das ganze Dorf, und die behenden Franzosen seien nur gekommen, um auszutragen, was nicht niet- und nagelfest. Da wurden verborgene Schätze gehoben ohne Wünschelrute und Christoffelgebet; Übergaben bewerkstelligt ohne Notar; Truhen wurden geleert, volle Beutel eingesteckst, ohne Empfangsbescheinigung. Manch Schweinchen wurde geschlachtet und zerstückt, ohne vorher gebrüht worden zu sein.

Internetfund mit französischen Uniformen um 1790

Krieg den Palästen, Friede den Hütten!“ war das neue Losungswort – aber in Ermangelung von Palästen mußten eben die Hütten herhalten.

Mathias und Hieronymus hatten sich während dieses Sturmes in dem großelterlichen Häuslein gehalten, und wunderbarerweise war es gerade diese kleine Wohnung, welche verschont geblieben.

Nachdem die wilden Wasser verlaufen, suchten Vater und Sohn wieder den Heimweg. Überall auf ihrem Wege erblickten sie Spuren des wüsten Zuges, und ihre bange Spannung, wie es zu Hause ergangen sein möchte, mußte mit jedem Schritte wachsen. Hie und da begegneten den Wanderern einzelne oder kleine Truppen von Nachzüglern, die jedoch nicht alle den heimischen Herd zu sehen das Glück hatten. Gerade das aber war für den alten Mathias ein Grund vermehrter Besorgnis, denn bereits vom Tage an, wo die Franzosen gegen das Kinzigtal gekommen, war der Stoffel unsichtbar geworden; und bald da, bald dort hatte man einen erschossen gefunden, dafür aber war auch da und dort ein Hof niedergebrannt worden. Doch erwiesen sich diese Besorgnisse glücklicherweise als unbegründet. Der Feind hatte sich auf dem Rückzug keine Zeit genommen, dem entlegenen Laubhauserhof Besuche abzustatten.

Der Feldzug war beendigt und der jugendliche Held Erzherzog Karl zu Freiburg als Befreier des Vaterlandes im Triumphe eingezogen. Nur von Kehl her, welches unter dem Oberbefehl des Fürsten Alois von Fürstenberg beschossen wurde, dröhnte noch das Brummen der schweren Stücke.

Erzherzog Carl Ludwig Johann Joseph Laurentius von Österreich, Herzog von Teschen, (* 5. September 1771 in Florenz; † 30. April 1847 in Wien) aus dem Haus Habsburg-Lothringen war ein österreichischer Feldherr…. Die Zurückdrängung der französischen Rhein-Mosel Armee unter General Moreau über den Rhein nach der Schlacht bei Emmendingen verschafften Karl große Popularität in Deutschland.

aus Wikipedia

Karl von Österreich-Teschen
(Porträt von Johann Baptist Seele, 1800, Heeresgeschichtliches Museum in Wien)

In einem gesegneten Lande aber sind die Wunden des Krieges bald verharscht; der altgewohnte Zustand kehrt wieder. Das Erlebte gibt Stoff zum traulichen Gespräch, und der wieder unbefangene Blick findet aus den Szenen des Schreckens und der Bedrängnis Züge von Humor und Originalität heraus. – So erzählte man sich in Hüfingen lange unter Lachen, wie es dem Vetter Galli ergangen. In dem allgemeinen Durcheinander hatte es ihn zum Verwalter getrieben, ohne daß er recht wußte, was er eigentlich wolle. Unterwegs trifft er auf einen Neufranken, dem sogleich des Vetters neue Bundschuhe in die Augen stechen; der Soldat erlaubt sich, dem Vetter das Schuhwerk auszuziehen, und wirft ihm dafür seine durchgetretenen Stiefel hin. Kaum im Anziehen begriffen, kommt ein anderer Kriegsmann in Pantoffeln daher, und sogleich setzt es einen neuen Tausch ab. Also leicht beschuht zieht der Galli weiter, da begegnet ihm ein Dritter, welcher gar keine Fußbekleidung umzutauschen hatte und welcher den Galli mit der jenem Volke eigenen Höflichkeit nötigt, seine Visite beim Verwalter in Socken abzustatten.

Interessanter für unsere Leser dürfte die Geschichte sein vom Sturm auf das Stöckle, dem Gefängnisturm im süßen Winkel.

Das Stöckle, der Gefängnisturm im süßen Winkel wurde etwa 1840 abgerissen.

In diesen wohlverwahrten Ort hatte man zu Anfang der Kriegsunruhen einige Sträflinge aus dem Zuchthause verbracht, darunter den Langen Hans und seine Tochter Schön Rösel. Das Vagantenmädchen, seiner bekannten Unschuld zu viel vertrauend, hatte sich aus dem Überrhein wieder herübergewagt und war endlich der ungalanten Polizei in die Hände geraten.

Als im Städtlein das Lärmen der plündernden Franzosen bis zu dem Turme gedrungen, machte sich die schöne Heimatlose an das Gitterfenster und sang eines ihrer Lieder, daß es weit durch die Gassen schallte:

„Ei schöner guter Tag!
Ei tausend gute Nacht!
Ein Fischfänger möcht ich sein
Bei der Nacht.
Die Fische fängt man in dem Teich
Im Sommer wie im Winter gleich,
Bei der Nacht!
Bei der Nacht, da fische ich!“

Ein Trupp angetrunkener Franzmänner, welcher die Gasse entlanggezogen, hörte das Lied und erschaute auch alsbald die schöne Sängerin. Als diese aber (sie hatte im Elsaß einige französische Brocken aufgefaßt) den Franzosen ihr „bon jour citoyens“ zugerufen, ging der Tanz los. „Vive la liberté!“ schrie der eine, „vive la bohémienne!“ ein anderer, und die Freiheitsmänner machten sich unter rasendem Beifallsgeschrei sämtlicher Gefangenen kühn daran, einen zweiten Sturm auf die Bastille in dem Städtchen der Baar aufzuführen.

Die gesamte Obrigkeit des Ortes, der Amtsrat, der Schultheiß, die Bettelvögte und was sonst noch zur vollziehenden Gewalt des Städtleins gehörte, waren unterdessen herbeigekommen und suchten, wiewohl vergeblich, den Auflauf zu beschwören; die Franzosen wollten nichts davon verstehen, daß es sich hier um malfaiteurs handle. Man mußte endlich unterhandeln und zuletzt sich dazu verstehen, wenigstens Schön Rösel freizugeben. Im Triumphe ward die reizende Beute durch die Gasse getragen, und sie war auch wirklich ihren Befreiern als belle cantinière auf ihren weiteren Zügen über den Rhein gefolgt.

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