Johann Nepomuk Schelble – Sein Leben, sein Wirken und seine Werke
1. Version vom 23. April 2023
Dissertation von Oskar Bormann, Frankfurt am Main 1926
Ich wurde am 25. August 1903 in Vaihingen bei Stuttgart geboren.
Ich besuchte die Elementarschule des Karlsgymnasiums in Heilbronn a. N. Da meine Eltern nach Höchst a. M. zogen, verließ ich diese Anstalt schon nach dem 2. Jahr und trat in die 3. Vorschulklasse der Höchster Realschule ein. Letztere besuchte ich bis zur Obersekundareife, erhielt einen Kaiserpreis und trat dann in die Sachsenhäuser Oberrealschule in Frankfurt a. M. über. Dort erwarb ich Ostern 1921 das Reifezeugnis und bezog darauf zum Studium der Musikwissenschaft die Universität in Frankfurt a. M. Im Sommersemester 1923 war ich an der Tübinger Universität immatrikuliert und darauf wieder Studierender der Frankfurter Universität bis zu meiner Exmatrikulation nach dem Wintersemester 1924/25. An den Universitäten hörte ich Vorlesungen aus dem Gebiete der Philosophie, der Germanistik und der Musikwissenschaft bei den Herren Professoren: Dr. Cornelius, Dr. Hasse, Dr. Schultz und Dr. Bauer. Daneben trieb ich ferner praktische Musik-studien, hauptsächlich an Dr. Hochs- Konservatorium in Frankfurt.
Auf Grund der vorliegenden Arbeit, erwarb ich am 1. Juli 1926 an der Universität in Frankfurt am Main den Doktorgrad.
Vorwort.
Meine Arbeit über Johann Nepomuk Schelble, deren Anregung ich Herrn Professor Dr. Bauer verdanke, verfolgt den Zweck einer eingehenden und umfassenden Würdigung eines Mannes, dessen Name auch heute noch hervorgehoben werden muß, wenn von jener gewaltigen Bewegung am Anfang des vorigen Jahrhunderts – der Bachrenaissance um 1829 die Rede ist. Wohl ist schon viel über Schelble geschrieben worden, jedoch sind diese Schriften meist nur “Erinnerungs- und Gedenkblätter”, die wohl manchen Aufschluß über Schelbles Persönlichkeit und Wirken geben, ohne aber kritisch Stellung zu nehmen und aufzuzeigen, was uns nun Schelble eigentlich bedeutet, was von seiner Tätigkeit für immer der Musikgeschichte angehören wird. Es ist daher schon oft bedauert worden, daß sich noch niemand gefunden hat, der Schelble einer gründlichen Biographie würdigte. (Gollmick in seiner Autobiographie; Professor Dr. M. Friedländer an mich usf.)
Leider ist seit dem Tode Schelbles schon zu lange Zeit vergangen, als daß ich noch für alle meine Angaben auf die ersten Quellen hätte zurückgehen können. Es dürfte aber kaum noch in Betracht Kommendes existieren, das ich hier in meiner Arbeit nicht berücksichtigt hätte (vgl. Literaturverzeichnis und Anmerkungen). Auch Schelbles Kompositionen und die Quellen für seine Lehrmethode konnte ich bis auf ganz Weniges zusammenbringen und daraus ein Bild seiner Tätigkeit auf diesen Gebieten gewinnen.
Allen Denen, deren Unterstützung ich bei meiner Forschung in Anspruch nehmen mußte, sei an dieser Stelle mein aufrichtigster Dank ausgesprochen.
Besonders verpflichtet bin ich meinem verehrten Lehrer. Herrn Professor Dr. Bauer für seine vielfache Förderung; ferner Herrn Professor Dr. Schering, der mir das von ihm in Leipzig aufgefundene handschriftliche Material gütigst überließ, sowie Herrn Professor Dr. Müller in Frankfurt, der mir bei der Durchsicht des Archivs des Frankfurter Cäcilienvereins in stets liebenswürdiger Weise behilflich war, mir auch das von ihm gesammelte Material zur Geschichte des Cäcilienvereins (Manuskript) freundlichst zur Verfügung stellte und durch seine Tätigkeit als Bibliothekar des Cäcilienvereins mir schätzenswerte Vorarbeit geleistet hatte.
Die Gliederung meiner Arbeit ist aus dem Inhaltsverzeichnis ersichtlich.
Einleitung.
(Bibliographisches)
Die wichtigsten, der uns vorliegenden biographischen Aufsätze über Johann Nepomuk Schelble sind:
- Weismann, Joh.: J. N. Schelble, Direktor des Cäcilienvereins in Frankfurt, Frankfurt 1838.
- Ein Aufsatz von Lucian Reich in seinen „Wanderblüten aus dem Gedenkbuch eines Malers”: „J. N. Schelble”
- Ein Aufsatz von W. Oppel-Chrysander in der allgemeinen musikalischen Zeitung in Leipzig, III. Jahrgang, 1868.
- Biographie in Form eines Briefes des Franz Xaver Gleichauf an Lucian Reich in Hüfingen vom 28. 12. 1853; dieselbe befindet sich als Manuskript im Archiv des Cäcilienvereins.
Die kleine Schrift von Weis mann (Nr. 1) ist die Quelle fast aller späteren biographischen Artikel in Lexicis und anderer biographischer Aufsätze. (F. J. Fetis: Biographie universelle; Mendel-Reißmann; Grove; Allgemein deutsche Biographie; Nekrolog der Zeitschrift Cäcilia Band XX, Heft 79; Festschriften des Cäcilien-vereins; Leipziger allgemeine musikalische Zeitung 1839 u. 1868.) Diese erste kurze Biographie scheint also bekannt gewesen zu sein, obgleich sie nicht im Buchhandel erschienen ist.
J. Weismann (1804- 80),1) der als Professor in Frankfurt wirkte, war eines der frühesten Mitglieder des Cäcilienvereins und kannte daher Schelble genau; seine Schrift ist, wie meine Nachprüfungen ergaben, durchaus zuverlässig.
Der Aufsatz Lucian Reichs2) (Nr. 2) baut sich auf der Biographie von Xaver Gleichauf (Nr. 4) auf, die Reich zum Teil wörtlich benützt, im Ganzen aber erheblich erweitert.3) Ich habe in meiner Arbeit in den Fällen, in denen Reich Gleichauf wörtlich zitiert, immer die ursprüngliche Quelle angegeben.
Der Maler und Schriftsteller Lucian Reich (1817-1900) war ein Neffe Schelbles. Franz Xaver Gleichauf (1801-1856) der Musiker war und in Frankfurt lebte, war ebenfalls mit Schelble verwandt (Vetter).
Der Aufsatz von Oppel-Chrysander ist in seinem ersten Teile (W. Oppel) Abschrift von Weismann (Nr. 1); im zweiten Teile aber (Chrysander) kritische Stellungnahme zum Lehrer und Dirigenten Schelble, auf die ich in meiner Arbeit näher eingehen mußte.
Ich habe versucht, für alle meine Angaben die ersten Quellen ausfindig zu machen; diese fließen aber, besonders für die erste Lebzeit Schelbles, recht dürftig; es mußten öfters Weismann und Reich 4) zur Hilfe herangezogen werden, auch decken sich verschiedene Ergebnisse meiner Forschungen mit den genannten Autoren; in diesen Fällen habe ich immer die erste Quelle angegeben. Ausdrücklich sei hier noch darauf hingewiesen, daß ich nicht auf alle Irrtümer oder hypothetischen Behauptungen der überaus zahlreichen „Schriften” (Zeitungsaufsätze, Nekrologe usf.) über Schelble eingehen durfte, wenn ich nicht den Anmerkungenapparat ins Uebertriebne steigern wollte. Der Text meiner Arbeit gibt in allen solchen Fällen die Berichtigung.
1) Der lebende Komponist Julius Weismann ist ein Enkel des Obigen.
2) Auch dieser Aufsatz wurde Quelle für spätere (Bad. Biogr. v. Weech; Festschrift des Cäcilien-Vereins).
3) Auf Grund der Briefe Schelbles an seine Eltern in Hüfingen.
4) Diese beiden Schriften sind nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden (Archiv des Cäcilien-Vereins; Frankfurter Stadtbibliothek; Fürstliches Archiv in Donaueschingen; Landesbibliothek Karlsruhe.)
A. Schelbles Leben und sein Wirken als Dirigent des Cäcilienvereins.
1. Vorfahren. 5
Johann Nepomuk Schelble entstammt einer uralten Familie in Hüfingen, einem Städtchen der „Baar”, im badischen Schwarzwald gelegen. Verschiedene Variationen des Familiennamens treten uns entgegen: Schälble, Schälblin, Schelblin, Schelble. Schälblin 6) dürfte der ursprüngliche Name gewesen sein, der sich durch dialektisch – schwäbische Umbildung der Endung allmählich in Schelble verwandelte. Das Geschlecht der Schelble ist schon im 17. und 18. Jahrhundert in der „Baar” häufig” 7) ; nicht nur Hüfingen auch Villingen und Donaueschingen 8) weisen den Namen auf.
Schon von Samuel Schelle ab, der 1590 in Hüfingen geboren wurde, läßt sich der Stammbaum stetig verfolgen. Die Schelble in Hüfingen sind meist Amts- oder Kanzleidiener; doch scheint die Musik von jeher in der Familie heimisch gewesen zu sein. Es wird uns berichtet 9), daß der Großvater unseres Schelble, Franz Xaver, mit Vorliebe Musik betrieb. Der Großvater und auch der Vater Johann Nepomuks widmeten sich neben ihrem Kanzleidienst beim Fürstlich- Fürstenbergschen Justizamt dem Gewerbe der Faßmalerei; beide wirkten auch in der Kirche als Violinspieler mit. 10)
Franz Josef Schelble 11) (1762-1835), so hieß der Vater Johann Nepomuks, wandte sich dann von der Faßmalerei dem Schuldienst zu; er nahm Unterricht in Donaueschingen, auch in Orgel- und Klavierspiel. Der Mangel einer Singstimme bewog ihn dann, dieser Laufbahn zu entsagen. Er beschäftigte sich noch einige Zeit mit Instrumentenbau (Klaviere in einfacher Bauart), einer Liebhaberei, die er auch später noch weiter betrieb, und die ihm den Namen „Klavierlemacher” eintrug. Eine gesicherte Stellung erlangte er erst 1790, als er „Zuchtmeister” wurde; 1806 wird er Korrektionshausverwalter. Er war mit Katharina Götz, der Tochter eines reichen Bauern, verheiratet; dieselbe war musikalisch und besaß eine hübsche Stimme. So ist denn der musikalische Sinn, der sich seit altersher in der Familie nachweisen ließ, besonders auch bei den Eltern unsres Schelble ausgeprägt. Johann Nepomuk war von 14 Kindern der einzige Sohn.12) In den anderen Linien der Familie begegnen uns noch zahlreiche Künstler: die Linie, die von Lucian Reich (1788-1866), dem Schwager Schelbles ausgeht, weist besonders viele Maler und Bildhauer auf, Frz. Xaver Gleichauf war ein sehr angesehener Musiker und Komponist in Frankfurt; auch die Linie Engesser ist reich an Musikern. In Hüfingen ist die Familie der Schelble ausgestorben: dort leben noch die Seitenlinien Nober und Reich.
Das hervorragendste Glied dieser weitverzweigten Künstlerfamilie, Johann Nepomuk Schelle, soll uns nun weiter beschäftigen.
5) Herr Dr. Barth in Donaueschingen besorgte mir gütigst einen Auszug aus einem von Kanzleirat Anton Schelble in Donaueschingen aufgestellten Stammbaum. Außerdem befindet sich im Archiv des Cäcilien-Vereins ein Stammbaum von Professor Engesser, Karlsruhe unterzeichnet, der bis ins 20. Jahrhuntert geführt ist. Es würde über den Rahmen meiner Arbeit hinausgehen, wollte ich ihr aus diesen beiden Quellen einen vollständigen Stammbaum Schelbles beifügen: ich beschränke mich auf die Vorfahren Schelbles: einen Auszug aus der späteren Entwicklungsgeschichte der Familie gibt der Anhang der Arbeit von C. H. Müller: „Frankfurt a. Main und der deutsche Männergesang 1813 -71″, Frankfurt 1925.
6) L. Reich („Wanderblüten”) ist auch der Ansicht, ohne sie zu begründen.
7) Nach Notizen aus den Standesbüchern in Hüfingen, die ich der Güte des Herrn Dekan Schatz daselbst verdanke.
8) Es dürfte also die enderwärts gehegte Vermutung, daß Anton Schelble, der Famulus „Antor” des Josef Viktor v. Scheffel in Donaueschingen, ein Mitglied der Familie ist, richtig sein.
9) Lucian Reich: „Blätter aus meinem Gedenkbuch” S. 89 in den Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar in Donaueschingen, Band IX., 1896; hier heißt es irrtümlich Ur großvater.
10) So berichtet Lucian Reich in dem schon erwähnten Aufsatz in seinen „Wanderblüten“; auch die folgenden Daten sind, wenn nicht anders angegeben, dort entnommen.
11) Von ihm befindet sich eine Gipsbüste von Professor Zwerger in den Fürstl. Fürstenbergschen Sammlungen in Donaueschingen; von derselben erhielt ich eine Aufnahme durch die Güte des Herrn Dr. Barth.
12) Bis auf 4 Schwestern starben alle schon in frühester Jugend; ich kann mir daher die Verwandtschaft, die Herr Professor Dr. med. Schelble (z. Zt. in Bremen lebend) zwischen sich und Joh. Nep. Schelble vorhanden glaubt, nicht erklären.
II. 1789–1807
Jugendzeit, seine Lehrer, seine Ausbildung,
1. Reise nach Stuttgart.
Johann Nepomuk Schelble 13) wurde am 16. Mai 1789 in Hüfingen 14) geboren. 15) Seine Mutter sang ihm die ersten Lieder vor, den Anfangsunterricht im Klavierspiel erhielt er von seinem Vater, 16) er selbst bewies schon in frühester Jugend besondere Vorliebe für Musik: so konnte es nicht fehlen, daß das Talent des Knaben rechtzeitig entwickelt wurde und seinen Weg fand. Kriegszeiten brachen herein. Durch einen österreichischen, klavierspielenden Feldpater lernte der 7jährige Knabe Mozart’sche Melodien kennen. Kaplan Eiselin wird bald sein erster Lehrer in Gesang. Durch die großen Fortschritte des Nepomuk eine Entmutigung seiner anderen Schüler befürchtend, entließ ihn der Kaplan aus seinem Unterricht mit dem Urteil, daß es ihm an Talent mangele. Er erhielt darauf Gesangsunterricht bei dem musikalisch dilettierenden Amtskanzlisten Schlosser, der ihn soweit förderte, daß er bei der Rückkehr des wegen Kriegsgefahr geflüchteten fürstlichen Hofes in Donaueschingen eine Begrüßungsarie mit Beifall singen konnte. 17)
Durch Schlosser erhielt der Knabe schließlich eine Freistelle als Chorknabe (1800) im Reichsstift Obermarchtal einem damals bedeutenden schwäbischen Kloster. War der Unterricht hier auch pedantisch, und daher wenig fruchtbringend, so empfing doch Schelble hier seine ersten tiefen Eindrücke von der Wirkung der Musik: die nächtlichen Psalmengesänge der Mönche mit dem Orgelspiel des berühmten „Kontrapunktisten” Sixt Bachmann blieben ihm unauslöschlich in der Erinnerung. 1803 endete der Aufenthalt in Obermarchtal mit der Säkularisierung der Klöster. Lucian Reich berichtet von einer außerordentlich heftigen Erkältung, die der Knabe sich bei der Rückkehr ins Elternhaus in einem offenen Fuhrwerk bei großer Kälte zugezogen hatte. Wahrscheinlich ist hier der Grund seiner immer wiederkehrenden und immer heftiger und gefährlicher werdenden Erkältungen zu suchen. Diese Erkältungen hinderten ihn später außerordentlich, nahmen allmählich chronische Form an und mögen schließlich mittelbar die Ursache seines durch Blutsturz erfolgten Todes geworden sein. 18)
Die erwähnte Neigung zur Indisposition und seine baldige Mutation führten ihn dem Klavierspiel zu; auch die Piccoloflöte soll er virtuos gespielt haben. Damals lernte Schelble in einer Zeitschrift einen Auszug aus Forkels „Ueber Bachs Leben und Kunstwerk” kennen, und schöpfte aus ihm die Kenntnis von Bachs Mechanik des Klavierspiels, die ihm fortan als Richtschnur für sein Studium diente. 19)
Dem Wunsche seiner Eltern gemäß bezog er bald das Gymnasium in Donaueschingen, setzte dort die in Marchtal begonnenen Sprachstudien fort und wurde außerdem Gesangsschüler des fürstlichen Kammersängers Weiß 20) der eine strenge, aber einseitige Methode gehabt haben soll 21) jedenfalls war dies der erste Unterricht, den er von einem künstlerisch gebildeten Lehrer erhielt. Wahrscheinlich hat Weiß ihn nicht nur in Gesang, sondern auch in anderen Zweigen der Tonkunst unterrichtet, soweit er es vermochte. 22) Der Unterricht war in Rücksicht auf spätere Verwendung in der „Hofmusik” unentgeltlich.23)
Die Lateinschulakten 24) im Fürstlich-Fürstenbergischen Archiv zu Donaueschingen berichten, daß Schelble 1804 „in suprema grammatica” war, und eine lobende Erwähnung erhielt. Dagegen scheint er im Endexamen 1804 nicht besonders gut aufgefallen zu sein; es heißt da in einer handschriftlichen Randbemerkung:
„Schelble. So dumm als Zapf und ebenso unfleißig als dumm” 1805 war er nicht mehr Schüler des „Gymnasium Fürstenbergicum ad fontes Danubii 25) Sicherlich hat er sich auch während seiner Gymnasialzeit eben mehr mit Musik als mit Grammatik beschäftigt und daher ist das obige Urteil mit der Betonung „unfleißig” leicht zu verstehen.
In Donaueschingen wurde zu jener Zeit die Musik, insbesondere das Theater von dem Fürstenbergischen Hofe außerordentlich gepflegt.26) Sowohl eigne als auch von auswärts herbeigerufene Künstler vermittelten dem Publikum in ausgezeichneten Aufführungen im Fürstlich-Fürstenbergischen Hoftheater Werke der dramatischen Kunst. Schelble wirkte sowohl als Sänger wie als Schauspieler, in Konzerten wie im Theater mit. Schon 1805 erwarb er sich als Sechzehnjähriger den Beifall des Fürsten gelegentlich einer Aufführung von Dalayrac’s ,Die beiden Savoyarden* 27) Die Eltern Schelbles schienen an seine künstlerische Berufung noch nicht recht zu glauben; der Vater wünschte jedenfalls, daß er einen praktischen und gesicherten Beruf ergreife und so trat er denn 1806 als Akzessist in das F. F. Hauptarchiv ein. Seinen Unterricht bei Weiß und seine musikalische Tätigkeit am Hofe behielt er jedoch bei. Diese Tätigkeit war bis zum September 1807 unentgeltlich, von Oktober ab erhielt er eine jährliche, widerrufliche Gratifikalion von 66 fl. und nahm die Stelle eines Hofkammerexpedilors ein. Die Tätigkeit im F. F. Archiv dauerte nicht lange: Schelbles Liebe für die Musik ließ sich nicht länger zurückhalten. Sein Talent strebte zu weiterer Betätigung und Ausbildung einem größeren Wirkungskreise und einem Meister zu, der es vollenden sollte.
Trotz größten Widerstandes 28) von Seiten seiner Eltern, die ihn am Archiv in Donaueschingen halten wollten, ließ sich der sonst überaus pietätvolle Sohn nicht von seinem schon längere Zeit gehegten Plane abbringen, zu weiterer Ausbildung zu Abt Vogler nach Darmstadt zu gehen. 29) Die Eltern gaben endlich nach; im Jahre 1807 verließ Schelble Hüfingen und wandte sich zunächst nach Stuttgart.
13) Der Name wird öfters falsch geschrieben: F. J. Fétis, Biographie universelle des musiciens Band 7 (1870) schreibt Schelble; Hofmeister (Kataloge Band VI S. 535) zeigt gar das Erscheinen seiner Singeübungen unter Schelble, J. M. (!) an.
14) In den Standesbüchern in Hüfingen findet sich nur der Taufeintrag (Mitteilung von Herrn Dekan Schatz, Hüfingen).
15) Herr Professor Revellio, Villingen, der das Hüfinger Stadtarchiv durchgearbeitet hat, versicherte mir, daß nichts auf Schelble Bezügliches dort zu finden sei.
16) Reich a. a. O., Weismann u. ff. Die Jugend Schelbles ist mit allen Anekdoten ausführlich bei Reich beschrieben; wo nicht anders angegeben, folge ich Reich.
17) Fr. X. Gleichauf, Briefbiographie Schelbles im Archiv des Cäcilien-Vereins.
18) Ed. Berndorfs Angabe in seinem „Neuen Universallexikon der Tonkunst”, Offenbach 1861 Band 3 (Artikel Schelble): „krankhafte Disposition der Gehirnnerven” scheint mir danach auf einem Irrtum zu beruhen.
19)Briefliche Biographie Schelbles von Fr. X. Gleichauf (Archiv des Cäcilien-Vereins); bei Reich a. a. O. heißt es irrtümlich: Zeitschrift Forkels. Die Anekdoten aus jener Zeit, die bei Reich zu finden sind, gehen auf Fr. X. Gleichauf (Briefbiographie) zurück.
20) J. B. Weiß war Schüler des berühmten Tenoristen Anton Raaff (Raff) (1713-97) in München.
21) Reich a. a. O.; Genaueres ist über diese Methode nicht zu ermitteln.
22) Nach Weißmann a. a. O. soll Schelble bei Weiß Gesang-, Klavier- und Kompositionsunterricht gehabt haben.
23) Nach einer Milteilung des Herrn Dr. Barth, Donaueschingen an mich.
24) Auszüge daraus verdanke ich Herrn Dr. Barth; derselbe hat mir auch in liebenswürdiger Weise das Wichtigster Barden Besson lakten Schelbles vom Jahre 1806 im F. F. Archiv excerpiert; darauf gründen sich obige Angaben.
25) Wenigstens wird er in der Klasse nicht mehr erwähnt.
26) Das Fürstlich Fürstenbergsche Hoftheater zu Donaueschingen 1775-1850. herausgegeben vom F. F. Archiv, Donaueschingen 1914; darin über Schelble S. 73 und im Personenregister.
27) Reich, a. a. O., S. 278.
28) Er droht sogar mit heimlicher Flucht aus dem Elternhause (vgl. Reich, S. 279).
29) Von dieser Absicht, zu Abt Vogler nach Darmstadt zu gehen, erfahren wir aus dem oben erwähnten 1. Brief aus Stuttgart; das ist auch die Quelle für Gleichauf, Weismann und Reich und die ihnen folgenden anderen biographischen Vorlagen. Der Rat, bei Vogler zu studieren, geht nach Reich von dem F. F. Hofrat und Leibarzt Rehmann in Donaueschingen aus.
III. 1807-1814
Stuttgart, Theater- und Lehrertätigkeit, Reise nach Wien.
Ueber diese seine erste Reise und über seinen Empfang in Stuttgart gibt ein Brief an seine Eltern vom 23. 12. 1807 Auskunft.30) Danach begleitete ihn sein Vater ein Stück Weges, der über Schönbrunn zunächst nach Hechingen führte; dort suchte er den ihm von Donaueschingen her bekannten „,F.-F. Musik- und Rittmeister” von Hampeln auf. In Stuttgart wandte er sich gleich nach seiner Ankunft an den Galeriedirektor Seele, 31) der ihn freundlich aufnahm und ihn zu J. B. Krebs 32) führte.
Krebs nun wurde für Schelbles weitere Ausbildung und für seine ganze Laufbahn ausschlaggebend. Da Schelble besonders Gesangsstudien, weniger aber Kompositionsstudien betreiben wollte, so riet ihm Krebs davon ab, bei Vogler Unterricht zu nehmen, da er diesen wohl für einen ausgezeichneten Theoretiker, nicht aber für einen ebensolchen Gesangslehrer hielt. 33) Er wies daher Schelble an den „vortrefflichen Harmonisten und beliebten Melodisten” Danzi, den er auch als Menschen außerordentlich schätzte; 34) bei diesem sollte Schelble die Kompositionskunst studieren. Krebs selbst übernahm die Prüfung der Stimme und verschaffte ihm. da dieselbe zu seiner Zufriedenheit ausfiel, Gelegenheit, sich vor dem König in einem Konzert hören zu lassen. Der König ließ ihm bald darauf eine Stelle am Theater anbieten. 35)
Schelble konnte sich nicht gleich entschließen, die Theaterlaufbahn einzuschlagen, nahm aber schließlich am 16. 2. 1808 die Stellung als königlicher Hof- und Opernsänger mit tausend Gulden Jahreshonorar an.36) Krebs wurde sein treuer Schutzpatron.
Schelble wohnte bei ihm, kam dort mit anderen Kunstjüngern zusanmen und stand unter dem wohltätigen Einfluß seiner klaren und edlen Persönlichkeit. Krebs wurde in seiner Begeisterung und Liebe für die Kunst ein Vorbild, das niemand besser widerspiegelte als Schelble selbst. Der ehemalige Plan, bei Abt Vogler in Darmstadt zu studieren, wurde aufgegeben.37)
Es steht nicht sicher fest, ob er in Stuttgart noch Gesangsunterricht genossen hat; wahrscheinlich war Krebs noch einige Zeit sein Lehrer. 38) Jedenfalls war seine Stimme bei seinem Weggang als Stuttgart (1814) noch nicht vollendet: er schreibt aus Wien noch von eifrigen Studien und von Verbesserung seines Gesanges.
Kompositionsunterricht nahm er vermutlich bei Danzi.39) Er studierte vor allen die Streichquartette und Streichquintette Mozarts, die er „sich in Partitur setzen ließ” 40) In dieser Zeit entstanden eine Reihe von Streichquartetten, seine Oper 41) „Graf Adalbert” und einige kleinere Klaviersachen. Damals verbreiteten sich die pädagogischen Ideen Pestalozzis in Süddeutschland. Ihre Anwendung auf das Gebiet der Musik war schon 1810 durch Nägelis Gesangschule gezeigt worden; überall wurden Schulen errichtet. die die Grundsätze des großen Schweizer Pädagogen verwerten sollten. Auch in Stuttgart wurde am 31. 12. 1811 ein Kunstinstitut 42) gegründet, um den Nachwuchs für das Orchester und das Theater nach Pestalozzischer Methode heranzubilden. Die besten Kräfte des Hoftheaters waren die Lehrer dieser Anstalt, die im Jahre 1818 wieder aufgelöst wurde. Schelble unterrichtete von Anfang des Jahres 1812 an bis zu seiner Abreise nach Wien in diesem Institut.
Die Leipziger Allgemeine Musikal, Zeitung bringt uns in Nr. 220 vom 13. 5. 1812 unter „Nachrichten aus Stuttgart” einen eingehenden Bericht 43) über das Institut und insbesondere über Schelbles Lehrtätigkeit, den ich wegen seiner Wichtigkeit als einzige Quelle im Anhang meiner Arbeit beigefügt habe. Die Stuttgarter Lehrmethode Schelbles ist durchaus von der Frankfurter Lehrmethode, die allgemein gemeint wird, wenn überhaupt von der „Schelble’schen Methode” gesprochen wird, zu unterscheiden.44) Jene war eine allgemeine Unterrichtsmethode in Pestalozzischem Geiste: sie sucht die melodische Kraft, die im Schüler vorhanden ist, durch Selbsttätigkeit des Schülers zu entwickeln; er muß gleich anfangs Melodien erfinden, und zwar solche, die den inneren, seelischen Anteil des Erfinders bezeugen, die er innerlich „anschaut”. Die Methode dagegen, die Schelble in Frankfurt verwandte die Schelble’sche Methode – war eine spezielle und diente zur Entwicklung des Gehörs. Ein gewisser Zusammenhang zwischen beiden ist insofern festzustellen, als Schelble auch in Frankfurt das Pestalozzische Entwicklungsprinzip beibehielt und die Schüler, um ihre Freude am Lernen zu erhöhen, kleine Phrasen und Melodien erfinden ließ. Genaueres über die weitere Entwicklung der Methode in Stuttgart wissen wir nicht.
Auch über seine Theaterlaufbahn läßt sich heute nicht mehr viel berichten. Die Theaterzettel45) verzeichnen sein erstes Auftreten am 14. 2. 1808 als Don Guzman in Mozarts “Don Gio-vanni” nun läßt sich sein Name bis zum 25. 11. 1813 feststellen: er singt Tenor- und Baritonrollen in Opern von Dalayrac, Mozart, Spontini, Winter, Paër, Weigl.18) Am 9. März 1814 wurde Schelble aus dem Hoftheater entlassen.47) Es mögen mancherlei Gründe gewesen sein, die Schelble veranlaßten, die Stadt zu verlassen:48) ein Ruf an das Wiener Hoftheater,49) der ihm innewohnende Drang nach weiterer Ausbildung und nicht zuletzt auch Streitigkeiten 50) mit der Gemahlin seines Freundes und Lehrers Krebs, die ihm den weiteren Aufenthalt in Stuttgart 51) verleideten.52) Man ließ ihn nur ungern von Stuttgart ziehen. 53)
30) Dieser Brief ist bei Reich a. a. O. S. 280-81 vollständig abgedruckt; ich habe daher hier auf eine Wiederholung desselben verzichtet. Das Original ist nur als Fragment erhalten.
31) Nach Reich waren die Eltern Schelbles und Seeles miteinander bekannt.
32) J. B. Krebs (1774-1851) war ein berühmter Tenorist; er studierte zuerst Theologie, dann Gesang bei Weiß. Als Sänger und Regisseur in Stuttgart tätig, schrieb er Lieder, Oratorien, verfaßte Operntexte und Uebersetzungen. Seine Stimme, die einen ungewöhnlichen Umfang besaß, wurde um die Wende des vorigen Jahrhunderts als Ideal hingestellt. (Vgl. Leipziger allgemeine musikal. Zeitung, 1806.)
33) Vogler war kurz vorher einige Zeit in Stuttgart gewesen; Krebs kannte ihn daher persönlich und nannte ihn, Schelble gegenüber, geizig und habsüchlig. Alle diese Angaben gründen sich auf den schon erwähnten Brief Schelbles nach Hüfingen.
34) Interessant ist diese zeitgenössische Hochschätzung Danzis; vgl. Reipschläger: „Schubaur, Poissl und Danzi als Komponisten” (Rostocker Dissert., 1911)
35) Nach Reich a. a. O. S. 283. Von hier ab fließen die Quellen schon etwas reichlicher. Genannt seien vor allem die 39 Familienbriefe Schelbles, die ich von Frl. Reich in Hüfingen zur Einsicht erhielt. Allerdings sind die meisten in der Frankfurter Zeit geschrieben; vgl. Anhang über den Nachlaß Schelbles. Reich scheint in diese Briefe Einsicht gehabt zu haben.
36) Wie mir aus den Akten des württembergischen Staatsarchivs mitgeteilt wurde, lautete der Kontrakt vom 16. 2. 1808 auf 3 Jahre und wurde am 27. 6. 1811 unter gleichen Bedingungen erneuert. Ueber die Verhandlungen wegen des Vertrags vgl. Reich, S. 283.
37) Grove: „Dictionary of music and musicians”, Vol. 4, London 1908 irrt also, wenn er schreibt: „he [Schelle] spent some time with Vogler and then with Krebs”. Dieser Artikel ist überhaupt sehr ungenau in seinen Angaben.
38) Fr. X. Gleichauf a. a. O.
39) Sicheres ist nirgends über seine Lehrer in Stuttgart zu finden, es dürfte aber keinem Zweifel unterliegen, daß er von 1807-12 bei Krebs und Danzi Schüler war.
40) Fr. X. Gleichauf a. a. O.
41) Die Oper hatte bei ihrer Aufführung in Stuttgart keinen Erfolg, vgl. R. Krauß: Das Stuttgarter Hoftheater, Stuttgart 1908, In der Allgemeinen Deutschen Biogr. (Artikel Schelble von Robert Eitner) ist irrtümlicherweise Wien als Entstehungsort der Oper angegeben.
42) Vgl. R. Krauß: Das Stuttgarter Hoftheater, S. 134.
43) Hier tritt uns Schelle zum 1. Mal öffentlich entgegen; von da ab wird sein Name häufiger in den Zeitungen genannt. Reich hat obigen Artikel (S. 284) kurz angezogen. Wenn es in dem Bericht (vgl. Anhang) heißt, daß Schelle nach Pestalozzischen und eignen (nicht Nägelischen) Grundsätzen unterrichtete, so unterliegt es für mich doch keinem Zweifel, daB Schelble die große Gesangschule von Pfeiffer-Nägeli gekannt und auch teilweise verwertet hat, zumal das Stuttgarter Institut unter den Subskribenten dieses Werkes zu finden ist.
44) Schon Schelbles Lehrer Krebs hat in dem Brief, den ich als Anhang VI meiner Arbeit milgab, diesen Unterschied erwähnt. (Vgl. Anhang.)
45) Die Theaterzettel des Hoftheaters Stuttgart (Stultgarter Hofbibliothek) sind von mir durchgesehen worden. Vorhanden sind sie von 1807-13, Jahrgang 1814 ist verbrannt (Theaterbrand 1901); 1815 war Schelble schon in Wien.
46) Er singt in Stuttgart (1808 14) wie auch in Wien (1814-16) die gleichen Rollen wie in Frankfurt (1816–19): ich verweise daher auf die Besprechung der Frankfurter Theaterzeit und den Anhang II.
47) Nach den Akten des württembergischen Staatsarchivs in Stuttgart. (Mitleilung der Direktion an mich.)
48) Ob Schelble in Stuttgart Beziehungen zu C. M. v. Weber (von 1807 bis 1810 in Stuttgart) hatte, konnte ich nicht feststellen.
49) Genaueres Datum seiner Abreise ist nicht mehr zu ermitteln. Da am 9. März 1814 sein Kontrakt mit dem Theater endete, so fällt der Zeitpunkt derselben zwischen 9. März und 9. Mai 1814, den Tag seines ersten Auftretens in Wien. Weismann a. a. O. S. 11 gibt irrtümlich 1813 als Reisejahr an. Ueber die Reise selbst ist nichts bekannt.
50) Reich a. a. O. S. 286.
51) Brief aus Stuttgart an seine Mutter, ohne Datum.
52) Als er in Wien Briefe aus Stuttgart erhält, schreibt er unter anderem nach Hause (22. 9. 1814): „ich meinerseits werde Krebs, dem ich viel verdanke, nie undankbar vergessen’. Auch Krebs selbst blieb weiterhin bei seiner Hochschätzung Schelbles: vgl. Anhang VI.
53) Die allgem, musikal. Zeitung in Leipzig vom 18. 5. 1814 berichtet von seinem Weggang nach Wien und rühmt seine Verdienste als Sänger und Lehrer.
IV. 1814- 1816
Wien, Preßburg, Wien, Berlin, Frankfurt.
Am 9. Mai 1814 trat Schelble als Lorendano in Paërs „,Camilla” zum ersten Mal am Hofoperntheater in Wien auf. Der Erfolg war kläglich: Schelble wurde ausgelacht.54) Nach diesem Mißerfolg ließ Schelble in mehrere Wiener Blätter einrücken, „daß er plötzlich vor der Vorstellung von einer Heiserkeit befallen worden sei und keineswegs Herr seiner Stimme war” und „daß dieser erste Versuch keineswegs als richtiger Maßstab in der Beurteilung über ihn als Sänger gelten könne” 54) Am 28. Juni spielte er den Baron Kronthal in der Oper „Der lustige Schuster” von Paër, wiederum mit gänzlichem Mißerfolg. „Nicht durch unzählige Läufer – besonders wenn diese noch ungleich, unrein und ohne Festigkeit vorgetragen werden – . läßt sich das hiesige Publikum bestechen. Herr Schelble befleißige sich zuerst, eine Scala von 8 Tönen mit voller Sicherheit sich anzueignen, Worte mit Gesang deutlich zu verbinden, dann, wenn sein Gesang die Herzen der Zuhörer berührt,
54) Leipziger allgem. musik. Zeitung vom 22. 7. 1814, „Nachricht aus Wien”.
Seite 18- 29 der Dissertation liegen leider nicht vor!
Schelble und der Cäcilienverein
(Der Gesangverein, Schelble als Dirigent. seine Stellung in Frankfurt, Liedertafel, die Aufführungen des Vereins, die Bach . bewegung, Schelbles Verhältnis zum Cäcilienverein bis zu seinem Tode)
Noch in Schelbles Theaterzeit 148) fällt jenes bedeutsamste Ereignis der Frankfurter Epoche, dessen Auswirkungen Schelbles Namen für immer in die Musikgeschichte eingereiht haben: die Gründung des Cäcilienvereins (24. 7. 1818), 149) dem Schelble bis zu seinem Tode seine ganze künstlerische Arbeitskraft, seine ganze Persönlichkeit widmete. Der Ursprung des Cäcilienvereins ist in den musikalischen Veranstaltungen, die Schelble in seiner Wohnung 150) abhielt, zu suchen; dort wurde vor allem Quartett gespielt 151) und gesungen.
Spohr trug hier – mit Schelble, Kastner und Just – seine sechs Männerquartelte vor, die er damals komponiert hatte, 152) Aus diesen ersten Anfängen, den Gesangsveranstaltungen bei Schelble, zu denen sich bald mehr und mehr Sänger und Sängerinnen einfanden, 153) erwuchs der Cäcilienverein. Die Tatsache, daß sich unter Jenen, die Schelble kraft seiner künstlerischen Persönlichkeit zu sich hinzog, auch Mitglieder des Düring ‘schen Gesangvereins befanden, darf nicht Anlaß werden, Schelble und seiner Tätigkeit unlautere Absichten zuzuschreiben, wie es Caroline Valentin in ihrem Aufsatz über Düring 154) getan hat. Gewiß war Dürings Gesangverein der erste in Frankfurt und als solcher der Ursprung aller späteren; aber Düring war nicht die Künstlerpersönlichkeit, die das je hätte durchführen können, was Schelble in kurzer Zeit mit dem Cäcilien-Verein infolge seiner künstlerischen Ueberlegenheit verwirklichte. 155) Immerhin kann Düring die Genugtuung beanspruchen, daß die Mitglieder seines Vereins später auch die Stützen des Cäcilien-Vereins wurden. 156)
Am 24. Juli 1818 konnte Schelble, der besonders von M. v. Willemer in seinen Bestrebungen unterstützt wurde, die erste Probe abhalten; am 28. Oktober fand das erste Konzert in seiner Wohnung statt. Ich will hier auf die einzelnen Daten der Geschichte des Cäcilien-Vereins nicht näher eingehen. Das Archiv des Cäcilien-Vereins und die gesamte auf ihn bezügliche Literatur habe ich durchgearbeitet; da jedoch alle bedeutenden Ergebnisse schon veröffentlicht sind, so verweise ich auf die beiden Festschriften des Vereins aus den Jahren 1868 und 1918.157) Aus einem Plan Schelbles, den Cäcilien- Verein mit der Kirche in Verbindung zu bringen, und ihn dadurch „städtisch” zu machen,scheint nichts geworden zu sein. Er berichtet aber darüber an seinen Schwager Reich: 158)„Ich habe vom hiesigen Consistorium den Auftrag erhalten, einen Plan zur Errichtung einer Kirchenmusik in der Katharinenkirche, der Hauptkirche der Lutheraner zu entwerfen, und die Stelle als Kapellmeister ist mir angetragen. Sie ist nicht einträglich, aber ich werde die Sache doch nicht von der Hand weisen; denn ich hoffe den Verein mit dieser Kirche in Zusammenhang zu bringen, und so würde dieses Institut ein städtisches und für immer fest begründet. 159) Das Verhältnis Schelbles zu seinem Verein, das zuerst nur ein sehr lockeres gewesen war, wurde im Jahre 1821 durch einen zehnjährigen Vertrag sichergestellt. Im gleichen Jahre begann der Verein, der nun etwa 100 Mitglieder zählte, seine regelmäßigen Abonnementskonzerte.
Ab hier verzichte ich auf die zahlreichen Fußnoten
Schelble war nun endlich an die Aufgabe herangetreten, für die er geschaffen war: als Dirigent eines ausgezeichneten Chores die Kunstwerke der großen Meister zu vermitteln. Er war theoretisch vollkommen geschult, ein ausgezeichneter Pianist, ein trefflicher Sänger, der seinem Verein stets durch Vorsingen die Interpretation klar machen konnte, er war vor allem Lehrer und ein Erzieher der Stimmen, und alle diese Eigenschaften vereinigten sich in einer von einem starken, klaren Willen beherrschten Führerpersönlichkeit, die durch ihre Begeisterung für die klassische Kunst alle mitreißen mußte, die mit ihr in Berührung kamen.
Ueber die Art und Weise, wie Schelble dirigierte, wird uns so gut wie nichts berichtet. Der Taktstock war von Spohr in Frankfurt eingeführt worden. Ob Schelble von dieser Neuerung Gebrauch gemacht hat, läßt sich nicht erweisen. Von seinem Zeitgenossen Ferdinand Hiller wird Schelble als „ein fester und feuriger Dirigent” bezeichnet. Moritz Hauptmann, an den nach dem Tode Schelbles ein Ruf zur Nachfolgerschaft ergangen war, schrieb an seinen Freund Wilh. Speyer in Frankfurt: „Von diesem Direktor, wie er sein soll, nun auf mich zurückzukommen, so bin ich leider genötigt, zu sagen, daß von den vorgenannten und gerühmten Qualitäten (Hauptmann hatte alle Vorzüge des Sängers, Pianisten und Dirigenten Schelble aufgezählt die notwendigsten mir fast gänzlich abgehen. Ich bin nicht Sänger, viel zu wenig fertiger Klavierspieler und messe mir in der Direktion nicht das geeignete Wesen, was ich als ein angebornes anerkennen muß, in hinlänglichem Grade zu, um ein würdiger Nachfolger Schelbles werden zu können.” Die Berichte der Zeitungen bestätigen uns das glänzende Zeugnis, das Hauptmann dem Dirigenten Schelble ausstellt:
Musik- und Tageszeitungen in Frankfurt kennen nur Lob und Bewunderung für die Leistungen des Cäcilienvereins und seines Leiters. Mit größter Sorgfalt und unermeßlicher Geduld arbeitete letzterer indessen an der Verbesserung der Stimmen im einzelnen wie in der Gesamtheit und konnte bald zur Aufführung größerer und schwierigerer Werke fortschreiten. Binnen kurzem wird der Frankfurter Cäcilien-Verein in den Konzertkritiken der Zelterschen Singakademie in Berlin an Fähigkeit und Leistung gleichgestellt, ja ihr sogar übergeordnet: er galt als der erste Oratorienverein in ganz Deutschland. Ohne auf die einzelnen Konzerte und die zahlreichen Kritiken der Tages- und Musikzeitungen einzugehen, verweise ich auf den Anhang, und werde hier nur die allgemeine künstlerische Tätigkeit des Instituts und deren Bedeutung insbesondere für die Bachbewegung be-trachten.
Schelble inaugurierte mit dem Cäcilien- Verein um 1820 einen Aufschwung im Musikleben der Stadt Frankfurt. Vergegenwärtigen wir uns die Lage von damals: Die Oper war durchaus noch nicht auf der späteren Höhe; wohl wurden Mozarts Opern oft auf-geführt, aber es wurde auch sehr viel Seichtes, nur der leichten Unterhaltung Dienendes gespielt. Das Orchester war wie fast immer in Frankfurt ausgezeichnet, jedoch klagen die Zeitungen über den Mangel an guten Sängern. Der Düringsche Verein machte nur wenig von sich reden. Da war es nun für das Musikleben der Stadt, für die Geschmacksverbesserung und für die Erhöhung der musikalischen Bildung des Frankfurter Publikums von nicht genug zu schätzender Bedeutung, daß Schelble mit seinem Dilettantenverein, dem die besten Kreise des Bürgertums angehörten, die Chorwerke eines Haydn, Mozart und Cherubini, und vor allem die Oratorien Händels zum ersten Mal in Frankfurt bekannt machte. Es ist daher keineswegs übertrieben, wenn F. Hiller von Schelble schreibt: „Wie viel Liebe und Bildung zur ernsten Tonkunst er seiner Zeit in Frankfurt verbreitete, ist garnicht zu sagen das Beste, was die schöne Mainstadt nach dieser Seite hin besitzt, stammt noch von ihm her.” Schelble wurde bald neben dem genialen Guhr der Führer des Frankfurter Musikwesens. Während aber der vielseitige Guhr außer seiner Theatertätigkeit noch zahlreiche Konzerte dirigierte, selbst als Solist auf mehreren Instrumenten hervortrat und bei keiner künstlerischen Veranstaltung fehlte, wirkte Schelble ausschließlich mit dem und durch den Cäcilien-Verein. Wie Zelter in Berlin, so gründete auch Schelble in Frankfurt aus dem Cäcilien- Verein heraus zur Pflege des guten Männergesanges die Frankfurter Liedertafel im Jahre 1826; dieselbe konnte sich aber wegen ihrer Exclusivität nicht lange halten und ging schon 1827 wieder ein. Es tauchen in den nächsten Jahren noch mehrere Liedertafeln auf, um aber alsbald wieder einzugehen; Zusammenhänge derselben mit Schelble und dem Cäcilien- Verein konnte ich bei meinen Forschungen nicht feststellen. Immerhin gab Schelble, als Gründer des ersten Männergesangvereins, den Anstoß dazu, diesen Zweig des Chorgesangs in Frankfurt heimisch zu machen,, und er wird daher mit Recht als der „Vater des Frankfurter Männergesangs” bezeichnet.
Wenden wir uns nun dem Cäcilien-Verein selbst zu und überblicken die Aufführungen desselben unter Schelbles Leitung, so zeigen sich uns deutlich zwei Perioden: bis zum Jahre 1829 werden die Werke Händels, von da ab diejenigen Bachs bevorzugt; doch finden wir in der ersten Periode schon Werke von Bach, wie in der zweiten noch solche von Händel. Neben diesen Pfeilern in dem musikalischen Entwicklungsgange des Vereins werden aber durchaus auch die bedeutendsten Zeitgenossen, Beethoven, Spohr, später Mendelssohn und Hauptmann gepflegt. Es ist also ganz ungerechtfertigt, wenn Chrysander in seinem Aufsatz über Schelble, dessen Programmen Einseitigkeit vorwirft. Händel trat zwar später hinter Bach zurück, wurde aber keineswegs ver-gessen; allerdings – darin hat Chrysander Recht – war Schelble insofern durchaus ein Kind seiner Zeit, als er das Klavier, den Continuo, nicht als integrierenden Bestandteil jener altklassischen Musik erkannte.
Deshalb ist ihm aber kein Vorwurf zu machen; es ist für uns heute viel wichtiger, daß Schelble jene Musik überhaupt aufführte; daß er, nachdem er Händel in Frankfurt eingeführt hatte, sich als einer der ersten wieder mit Bachs Werken beschäftigte.
Für die Bachbewegung wurden Schelbles Beziehungen zu Mendelssohn und Franz Hauser besonders wichtig. Hatte Mendelssohn in Berlin durch Zelter die erste Bekanntschaft mit Bachs Werken gemacht, als er in dessen Chor mitsang, so hatte Schelble sich aus eigner Initiative die Aufgabe gestellt, dieselben in Frankfurt aufzuführen und zwar zu einer Zeit, als die ganze Bachbewegung noch lange nicht im Gange war (etwa um 1825). Die Molette „Ich lasse Dich nicht”, die er schon im Jahre 1821 im Cäcilien-Verein singen ließ, ist allerdings nicht, wie die Aufführungsverzeichnisse des Cäcilien- Vereins angeben, von Joh. Seb. Bach, sondern von Joh. Cristoph Bach. 183)
Von der Matthäuspassion erhielt nun Schelble nicht durch Mendelssohn, sondern durch den berühmten Franz Hauser Kenntnis, der 1822 von Berlin nach Frankfurt an die Oper kam. Hauser besaß eine selbst angefertigte Abschrift der Partitur der Passion, die er in irgendeiner Weise auch Schelble übermittelte. 188) Schon in jener Zeit bildete sich Schelble aus dem Cäcilien- Verein heraus einen kleinen, aus besonders befähigten Sängern bestehenden Bachchor, mit dem er in seiner Wohnung den Meister zu studieren begann. Unterdessen hatte auch Mendelssohn die Partitur der Matthäuspassion durch Abschrift von Zelters Manuskript erhalten. Diese beiden Bestrebungen in Frankfurt und Berlin, Bachs Werke wieder zum Leben zu erwecken, laufen nun nebeneinander her, schöpfen auseinander Anregungen – Hauser dürfte dabei öfters den Vermittler gespielt haben und bleiben in gegenseitiger Beziehung. Das Jahr 1827 brachte hier wie dort die ersten Proben für die Aufführung der Passion; zunächst nur in kleinerem, besonders befähigten Kreise: Schelble überwand auf diese Weise den Widerstand, der sich im Verein gegen Bachs schwierige Polyphonie erhob; Mendelssohn machte es in Berlin nach dem Vorbild Schelbles ebenso.
In Frankfurt wurde das Jahr 1827 noch besonders bedeutsam durch die Beethoventotenfeier im Cäcilien- Verein mit der Aufführung des Sanctus und Benedictus aus dessen „Missa solemnis”. Das Jahr 1828 brachte den eigentlichen Beginn der Bachrenais-sance. Schelble hatte sich 1825 von der Nägelischen Partitur der H-moll-Messe Bachs eine Abschrift verschafft, er nahm dieses zweite Riesenwerk Bachs neben den Proben für die Matthäuspassion, in Angriff, führte 1828 das „Cedro” daraus auf und leitete damit die Bachbewegung energisch ein. Im folgenden Jahr fiel endlich die Entscheidung für das Wiederaufleben unseres größten Meisters: Am 11. März 1829 gelang es dem genialen Jugendeifer Felix Mendelssohns, Schelble mit der Aufführung der Matthäuspassion zuvorzukommen; es lag lediglich an äußeren Umständen, daß die Frankfurter Aufführung erst am 2. Mai des gleichen Jahres nachfolgte. In einem seiner Briefe nach Hüfingen beschrieb Schelble die Schwierigkeiten, die sich ihm entgegenstellten und das Unverständnis, mit dem man der Bachschen Musik begegnete. Daß die Aufführung eine ausgezeichnete war, dürfen wir den Kritiken ohne weiteres glauben, über die Art derselben war nicht mehr viel zu ermitteln.
Die ganze Passion wurde, wie in Berlin, mit Kürzungen aufgeführt; die Choralgesänge wurden durch Schülerstimmen verstärkt. Schelble wirkte nicht nur als Dirigent, sondern sang auch die Partien des Evangelisten und des Christus. Er arbeitete sich deren Recitative in den „normalen Recitativstil” um, allerdings nur „für sich und seinen eignen Gebrauch” Offenbar hat er sie nivelliert und dem „Parlando” angeglichen, was wohl auch Moser meint, wenn er sagt, daß Schelble „neue Evangelistenrecitative in Rossinischem Secco nachkomponierte, weil die echten als zu dramatisch erschreckten”. Ob Schelble in dem gleichen Irrtum befangen war wie M. Hauptmann, der die Bachschen Recitative völlig mißverstand, stelle ich dahin; es wäre immerhin möglich, daß er die Bearbeitung nur im Hinblick auf seinen eignen Vortrag, dem die ruhigere, weniger dramatische Linie besser und näher lag, vornahm.
Bis zu seinem Weggang von Frankfurt widmete sich Schelble nun mit rastlosem Eifer, mit Sorgfalt und Liebe der Pflege der Bachschen Vokalmusik, ja er versuchte auch dessen Instrumentalmusik zu berücksichtigen. Vor allem aber machte er die große Passion durch zahlreiche Aufführungen zum Eigentum des Vereins wie des Frankfurter Publikums und forderte dabei die Kritik der Frankfurter Blätter immer wieder zum Lob und zur Bewunderung dieses einzigartigen Kunstwerks wie auch seiner Interpretation heraus. Nach der Berliner Erstaufführung der Matthäuspassion wurden die Bestrebungen zur Wiedererweckung der Werke des Meisters noch lange nicht allgemein; es folgten nur wenige Städte dem Beispiel Frankfurts. Ich halte daher diese unermüdlichen Wiederholungen der Bachschen Passion, dieses intensive Eintreten Schelbles für unseren größten Meister am Anfange der ganzen Bewegung für besonders wichtig: Frankfurt blieb dadurch ein fester Stützpunkt der Bachrenaissance; es bleibt unverständlich, wie Chrysander diese Tatsache verkennen und Schelble Einseitigkeit vorwerfen konnte.
Kretzschmar berichtet uns, daß auch die Idee einer Bachgesellschaft von Schelble ausging; in einem Brief an Franz Hauser entwarf er einen Plan derselben, der allerdings erst lange nach dem Tode Schelbles seine Verwirklichung fand. Aus dem Gesagten geht Schelbles hervorragende Bedeutung für die Bachrenaissance, die bis heute keineswegs die verdiente Würdigung erfahren hat, klar hervor; er war einer der tatkräftigsten und begeistertsten Führer jener Bewegung am Anfang des vorigen Jahr-hunderts, die uns unseren Bach wiedergeschenkt hat.
Leider wurde Schelble allzufrüh seiner fruchtbaren Tätigkeit entrissen. Wie in Frankfurt überhaupt, wo sein musikalisches Urteil maßgebend war, so war er auch im engeren Kreise seines Vereins außerordentlich beliebt. Wir finden im Archiv desselben zahlreiche Gedichte, namentlich von Marianne v. Willemer und Weismann, die alle eine feinsinnige Verehrung für den Meister bekunden, und. ihn selbst oder seine Begeisterung für alle echte Kunst verherrlichen. Trotz alledem zogen sich die reichen „Garantisten” des Cäcilien-Vereins wegen eines lächerlich geringen Defizits im Jahre 1831, nach Ablauf des zehnjährigen Kontrakts, zurück, zu einer Zeit, als der Verein auf der Höhe seiner Leistungen angekommen war. Schelble beschämte diese „Frankfurter” indem er das Institut auf eignes Risiko fortsetzte. So änderte sich zwar an der Leistung und am Bestand des Cäcilien-Vereins nichts; da aber Schelble jetzt auch der gesamte ökonomische Teil des Direktoriums zur Last fiel, so machte sich bald bei seiner ohnehin nicht sonderlich starken Gesundheit die Ueberanstrengung bemerkbar. Anfangs des Jahres 1836 zwang ihn seine Erkrankung zur Aufgabe seiner Tätigkeit in Frankfurt, nachdem er sich schon 1835 öfters durch seinen Schüler Voigt in den Singeübungen hatte vertreten lassen müssen.
Dieser übernahm dann bis Juni, von da ab Felix Mendelssohn bis Ende Juli, darauf Ferdinand Hiller und schließlich Ferdinand Ries die Leitung des Vereins. Sie alle aber konnten dem Verein seinen „Gründer und Erhalter’ nicht ersetzen. Die Hoffnung, daß er zurückkehren werde, erfüllte sich nicht. Schelble starb, als er von einem Spaziergang in seinen Garten zurückkehren wollte, am Eingang desselben durch einen Blutsturz in den Armen seiner geliebten Gattin am 6. August 1837 abends um ½7 Uhr. Der Cäcilien-Verein hielt ihm am 26. August im Frankfurter Dom eine würdige Totenfeier.
Alles, was ich über Schelbles Nachlaß ermitteln konnte, habe ich im Anhang III meiner Arbeit zusammengestellt.
*Die Briefe werden zu einem späteren Zeitpunkt hier veröffentlicht. (der Rest der Dissertation ist sehr speziell und nur für Fachleute zu erschließen)
148) Es ist ganz unverständlich, wenn C. Gollmick (Autobiographie S. 90) schreibt: Seine (Schelbles) Phasen zwischen Theater, Museum und Cäcilien-Verein, worin Schelble vom Jahre 18 1 3 (sic!!)(1818) an fast gleichzeitig wirkte”. Schelble war nie gleichzeitig in diesen drei Instituten tätig; wohl aber in der Musikal. Akademie, dem Museum und dem Theater; vgl. darüber weiter oben (S. 24).
149) Als 11. Oratorienverein in Deutschland; die vor ihm gegründeten sind:
1. Singakademie Berlin (1791)
2. Singakademie Leipzig (1800)
3. Gesangverein Stettin (1800)
4. Musikverein Münster (1804)
5. Dreissig’s Singakademie in Dresden (1807)
6. Gesangverein Potsdam (1814)
7. Singakademie Bremen (1815)
8. Singakademie Chemnitz (1817)
9. Musikverein Schwäbisch-Hall (1817)
10. Musikverein Innsbruck (1818)
vgl. H. Kretzschmar: Chorgesang, Sängerchöre und Chorvereine S. 408 (in: „Sammlung musikal. Aufsätze” von Waldersee, 1879).
150) In den Akten „Urgeschichte* des Cäcilien-Vereins wird als 1. Wohnung Schelbles das „Bögnersche Haus” bei der Weißfrauenkirche, Eckhaus der Papageigasse, angegehen. In dem Frankfurter Staatskalender und Adreßbüchern jener Zeit fand ich keine Wohnungsangabe; dort findet sich erst im Jahrgang 1820 (Frankfurter Staatskalender S. 20) Schelbles Namen: er wohnte damals „Hinter der Schlimmen Mauer” [heutige Stiftstraße]; dann zog er in ein Haus am Domplatz (vgl. „Urgeschichte”) und schließlich in das Königswartersche Haus an der „Schönen Aussicht” [gegenüber der Stadthibliothek], wo er bis zu seinem Weggang aus Frankfurt wohnte. Schelble wurde in späteren Adreßbüchern (1834) immer als „fremd” geführt, d. h. er hatte sich das Bürgerrecht Frankfurts nie erworben.
151) Spohr, Baldenecker (auch Bürger), Engel und Hasemann; meist Sonntag-vormittag; vgl. „Urgeschichte’
152) Gollmick a. a. O. S. 90 : (op. 44).
153) Darunter vor allem natürlich Schüler Schelbles (siehe Gleichauf a. a. O.).
154) C. Valentin: Heinr. Düring, der Begründer des 1. Frankfurter Gesangvereins in Alt-Frankfurt, Vierteljahrsschrift für seine Geschichte und Kunst, Jahrgang V (1913). Die Verfasserin ist ungerecht gegen Schelble (vgl. S. 331) und verkennt dessen Charakter durchaus.
155) Daß die Tätigkeit des Düringschen Vereins nicht sehr bedeulend gewesen sein kann, geht aus der Bemerkung Gollmicks (a. a. O. S. 90 f) hervor: der Düringsche Verein schlafe.
156) Dürings Verein bestand noch eine Zeit lang neben dem Cäcilien- Verein und ging bald nach 1830 ein (C. Valentin a. a. O.); er gab noch Konzerte mit wenig gespielten Opern als Ergänzung zum Theater. Ueber Schelble und Düring vgl. auch das Urteil von Dr. H. Weismann in: „Der Frankfurter Liederkranz’ Festschrift zur Feier des 50: Stiftungsfestes, Frankfurt 1878
157) Dort ist auch die 1. Urkunde faksimiliert, ferner ein auf die Gründung des Vereins bezügliches Bild „Die neue Disputa” erklärt und im Anhang Literatur zur Geschichte des Vereins zusammengestellt (von Prof. Dr. C.H. Müller); siehe auch Reich und Weismann a. a. O.
158) Hüfinger Brief, ohne Datum, derselbe ist im Jahre 1821 geschrieben, da Schelle darin von dem in diesem Jahre geschlossenen Contract mit dem Cäcilien-Verein spricht.
Nachruf an Schelble.
Verfaßt von Dr. Heinrich Weismann, Frankfurt 1837.
(Dieser Nachruf ist auch in der Festschrift des Cäcilienvereins vom Jahr 1888 wiedergegeben.)
So ist er denn geschieden, unser Meister,
Entfloh’n der Erde enger Kerkerhaft;
Er, der Gewall’ge, der der Töne Geister
Entfesselt uns mit seltner Geisteskraft.
Ein Gott hat gnädig sein Geschick geordnet,
Ihn rasch entrückt der langen Leiden Schmerz;
Im Tempel der Natur hat er geendet,
Ihn trugen Blumenengel himmelwärts.
Verwaist steh’n wir mit unsern stummen Klagen,
Geschlossen ist der Tempel des Gesangs.
Sein mächt’ger Geist wars ja, der uns getragen
Zu jenen Höh’n des höchsten geist’gen Klangs.
Bachs Genius war durch Ihn lebendig worden,
Der Himmlische, verschollen fast und todt,
Und wieder tönt in mächtigen Akkorden
Des Lebensfürsten Sieg und Opfertod.
Er lehrt’ uns Töne, die zum Herzen drangen,
Weil sie vom Herzen kamen klar und rein;
Zu höh’rer, himmlischer Musik umschlangen
Uns seine Tön’ in herrlichem Verein.
Und wie sein Geist nur Edles konnte pflegen,
Ein strenger Priester seiner Königin,
So trat er auch im Leben uns entgegen,
Ein edler Mensch in Wort und Tat und Sinn.
O laßt des edeln Meisters Angedenken
das Band sein, das uns Alle fest umschlingt,
Es mög’ sein edler Geist uns ferner lenken,
Daß Fremdes nicht in seine Schöpfung dringt.
Der Geist lebt fort, wenn auch das Leben fliehet,
Er hat uns sterbend, was er schuf, vertraut:
Wir halten fest, was uns nach oben ziehet,
Von wo er segnend auf uns niederschaut.
Aus der digitalen Sammlung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe.