Wanderblühten – Johann Nepomuk Schelble

Wanderblühten – Johann Nepomuk Schelble

7. August 2024 0 Von Hannah Miriam Jaag

Die Wanderblühten sind seit Herbst 2022 auf dem Hieronymus-online und werden seit da immer mal wieder überarbeitet

Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise.

Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript in schwarz.
In blau sind unten noch Erklärungen und Fotos dabei.

Theuerste Eltern

Kaum hatte ich meinen ersten Brief in Hechingen der Post übergeben, als ich einen von Euch, lieber Vater, erhielt, woraus ich erfah, dass ihr bei Eurer Rückkehr meine liebe Mutter und Geschwister gesund und wohl angetroffen habt. Ich befinde mich, einen fatalen Schnupfen abgerechnet, wohl. In Hechingen, fand ich für notwendig, Euren Rat zu befolgen und mir ein warmes Unterwamms zu kaufen. Herr von Hampeln besorgte mir bei einem Juden den Einkauf. Durch diese und andere Ausgaben wurde meine Kasse etwas geschwächt und es schien mir räthlich, elf Gulden gegen eine Quittung aufzunehmen. Für Fräulein Mina von Hampeln kaufte ich zugleich ein kleines, modern gesticktes Halstuch und für mich ein Paar Handschuhe.

Mittwoch früh um fünf reiste ich mit dem Hechinger Boten weiter; es war sehr kalt und ich würde es jetzt bereut haben, meine Einkäufe nicht gemacht zu haben. Zwei Stunden vor Stuttgart blieb ich mit dem Boten übernachtet. Dieselbe Kost und das Nachtlager wie im Schönbrunn fand ich hier nicht, es war Alles so ziemlich das Gegenteil. Morgens ging es früh wieder auf den Weg, und wir kamen um sieben Uhr hier in Stuttgart an.

Ich kleidete mich folglich um, und ließ mir die Wohnung des Herrn Galeriedirektor Seele zeigen, den ich jedoch nicht zu Hause traf. Man führte mich auf die Akademie, wo er sein Arbeitszimmer hat. Er nahm mich sehr gütig auf, und wollte mir sogleich, weil der König gerade abwesend ist, die Residenz zeigen, wurde aber durch Geschäfte abgehalten. Er führte mich hierauf zu den Herrn Krebs, den wir krank im Bette antrafen. Seele setzte ihn von meinem Entschlusse in Kenntnis und bat ihn freundlich, er möchte sich doch meiner annehmen und mir in allem mit Rat und Tat beistehen, worauf er sich empfahl. Ich reichte Herrn Krebs meine Briefe, und er überlas zuerst den seines Onkels Wölfle, sodann das Schreiben des Herrn Weiß. Nachdem er gelesen hatte, sagte er: „Ja! – wenn ich Ihnen raten soll wie ein Vater, so rate ich Ihnen, anders als die Rehmännin und all Die, welche Sie bestimmen, bei Vogler singen zu lernen.“

Nachdem fragte er mich noch über Manches; besann sich hierauf lange ohne etwas zu sagen, dann hub an: „Entweder sie verlegen sich auf die Komposition allein, um einst als Kompositeur aufzutreten, oder Sie müssen sich dem Gesange ausschließlich widmen, um als guter Sänger später eine Anstellung finden zu können. Beides zugleich werden sie entweder erst nach langer Zeit und mit vielem Geldaufwand, oder am Ende gar nicht erreichen.“ Ich sagte ihm, dass ich auf das Studium des Gesanges mein Hauptaugenmerk gerichtet habe. „Und Sie wollen zu Abbé Vogler, um singen zu lernen?“ „Ja!, war meine Antwort. „Lieber Freund“, sagte er, „dieser Plan mag wohl gemeint sein, aber Sie werden Ihren Endzweck durchaus nicht erreichen, ich kenne Abbé Vogler so gut wie ich meinen besten Freund kenne; er war vor zwei Monaten hier und ich hatte täglich Gelegenheit, sowohl seinen musikalischen wie sittlichen Charakter genau kennen zu lernen. Er besitzt eine gründliche Theorie der Musik überhaupt, er weiß wie man Anfängern im Gesange die Scala doctieret, aber wahre Sänger vermag er doch keine zu bilden; sie würden nach seiner Methode alle chromatischen und enharmonischen Gesänge treffen, und zuletzt doch ein gefühlsloser Sänger sein, der außer dem Kontrapunkt und einigen Kirchenkompositionen singen zu können, kein anderes Verdienst besäße, als sogar die sangbarsten Sachen steif vorzutragen. Geiz ist seine Hauptleidenschaft, welche aber von einer krankhaften Überspannung herrühren mag; denn er glaubt immer dereinst noch von Hunger und Armut zu Grunde gehen zu müssen, wie er mir oft selbst klagte; er würde Sie deshalb seiner allzu großen Habsucht aufopfern.“ Dann, bemerkte er noch, meine Fortschritte im Gesang würden bei ihm sehr langsam sein. Um die Komposition zu lernen, wolle er mir Danzi raten, der, ihn als vortrefflichen Harmonisten nicht zu erwähnen, einer der jetzt beliebtesten Melodien sei; er verbinde mit seiner Kunst eine seltene Menschenliebe, auf welche etwas zu bauen wäre; um aber als Sänger einst mein Glück zu finden, rate er mir, da ihm Weiß schreibe, ich hätte eine Schule noch einige Jahre notwendig, wieder zu ihm zurückzukehren. –

Ich sagte, dass ich beinahe zwei Jahre sein Schüler gewesen sei, und während dieser Zeit die Vorteile zur Stimmbildung mir so ziemlich eigen gemacht habe; meine Stimme sei freilich noch nicht ganz gebildet, ich hoffe jedoch, durch eigenes Studium sie zu vervollkommnen. Herr Krebs sagte hierauf, er wolle mich prüfen, finde er, dass ich schon ziemlich vorwärts gekommen sei, so wolle er auf einen anderen guten Rat denken, ich müße also am nächsten Freitag singen, und er wollte mehrere Kunstverständige dazu einladen, damit er ein unparteiliches Urteil höre.“


Soweit der Brief; das Ende desselben liegt nicht mehr vor, und kann somit das Ergebnis der Probe nur noch der Hauptsache nach mitgeteilt werden.

Schelble sang wirklich an dem bezeichneten Abend, und zwar so sehr zur Zufriedenheit seines Gönners und der übrigen Herren, dass ihm Ersterer Gelegenheit verschaffte, in einem Konzerte vor dem König sich hören zu lassen. Der jugendliche Sänger erntete Beifall, und am andern Tag wurde ihm durch Dr. Jalobi, dem königlichen Leibarzt, zu wissen gethan, dass ihm der König eine Anstellung als Sänger am Theater biete, und er beauftragt sei zu fragen, unter welchen Bedingungen er zu bleiben gesonnen wäre.

Schelble, dem die Theaterlaufbahn nicht sein vorgestreckten Ziel war, konnte sich nicht sogleich entschließen und würde wohl das Anerbieten ohne das Zureden seiner Freunde abgelehnt haben. Bei einer zweiten Unterredung mit dem königlichen Leibarzt äußerte er: ob 500 Gulden wohl zu viel sein möchten? „Das ist zu wenig, lieber Freund“, versetzte der wohlmeinende Arzt, „damit reichen Sie hier nicht aus, verlangen Sie keck tausend, ich will, wenn es Ihnen recht ist, die Sache also dem König vortragen.“

Schelble erhielt demnach die Anstellung unter den verabredeten Bedingungen als königlicher Hof- und Opernsänger, und Krebs interessierte sich bald mit großer Vorliebe für den enthusiastisch strebenden Jüngling. Das Krebs’sche Haus, in welchem von nun an Schelble wohnte, war seiner Zeit der Sammelplatz jüngerer Männer vom Musikfache, welche zum Theil nach ihrer Kosttisch daselbst hatten. Der Hausherr war ein jener tüchtigen anregenden Naturen, die wie zum Vorbild und Mentor Jüngerer geschaffen sind. Eine gründliche Bildung und schönes Talent machten ihn zum Künstler im besten Sinne des Wortes, während die Liebe und der Eifer, womit er Alles, was sich auf die Kunst bezog, erfaßte und betrieb, nicht ohne bedeutenden Einfluss auf seine Umgebung bleiben konnte. Zudem war Stuttgart dazumal der Ort manch regen Strebens, und der Hof wusste Leben um sich zu verbreiten, indem er jüngere Talente, welche über das Gewöhnliche sich erhoben, hegte und förderte.

Die pestalozzi’schen Erziehungsgrundsätze beschäftigten zur selben Zeit mächtig die Geister. Ihre Anwendung auf den musikalischen Unterricht lag nahe, und schon durch Nägeli ward der Gedanke hierzu angeregt. Auch Krebs hatte diese Idee aufgefaßt und sie bei der seiner Zeit neu errichteten Musikschule am städtischen Waisenhause zu verwirklichen gesucht. Schelble, welcher an dieser Anstalt durch die Verwendung seines Freundes eine weitere Anstellung erhalten, ging darin schon weiter, indem er seine Schüler selbst Melodien erfinden und sogar mehrstimmige Sätze ausarbeiten ließ. Zum Behufe zweckmäßiger Treff- und Leseübungen aber schrieb er eine Menge, zum Theil contrapunktisch gearbeiteter Übungsstücke*.
*Ein Bericht in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ vom Jahr 1812 erwähnt Schelble’s mit besonderer Auszeichnung. Es heißt darin unter Anderem: „Wenn er auch nicht schon früher eine Geschicklichkeit als Lehrer in einem Privatinstitut bewiesen hätte, so würden die Fortschritte seiner Schüler zeugen müssen, dass er die Sache aus dem rechten, ja vielleicht einzig wahren Gesichtspunkte betrachtet.“

Bei dieser vielfachen Thätigkeit vergaß jedoch Schelble keineswegs das Höherliegende. Mit Eifer begann er das Studium der Komposition, und welch tiefe Kenntnisse er sich hierin erworben, beweisen am besten seine Kompositionen selbst, wobei er vorzüglich Mozart zu seinem Vorbild nahm, und sich dessen Form und Wesen dadurch anzueignen suchte, dass er die Werke dieses unvergleichlichen Meisters fleißig studierte. Zu solchem Zwecke ließ er sich unter Anderem dessen sämmtliche Streichquartette und Quintette in Partitur setzen. Nebst verschiedenen Quartetten schrieb Schelble damals auch eine Oper „Graf Adalbert„, zu welcher Krebs den Text gedichtet hatte. All dies seine Geisteswerke zeigten nach dem Urteile kundiger Richter, nicht nur eine glückliche Erfindungsgabe, sondern sind auch in Form, Harmonie und Stimmführung durchaus gelungen zu nennen.

Vorübergehend mag hier eines vorherrschen des Zuges in dem Charakter des trefflichen Mannes gedacht werden: die stets unwandelbare Anhänglichkeit an die Seinigen, verbunden mit der Sorge, nicht nur diesen, sondern auch allen Nahestehenden nützlich und förderlich zu sein. – Daher kam es auch, dass er zwei seiner jüngeren Schwestern (von 14 Geschwistern hatten nur fünf das reife Alter erreicht) zu sich nach Stuttgart berief, wo sie unter strenger Aufsicht des Krebs’schen Familie einer künstlerische Bildung teilhaftig werden sollten. – Doch, zu ihrem Glück vielleicht, führte sie das Schicksal nach kurzem Aufenthalte in der Residenz wieder in heimatlichen Verhältnissen zu, worin sie in später gegründeten Familienkreisen eine angemessenere Bestimmung finden sollten.

Es läßt sich denken, wie erfreut die Eltern über das Wohlergehen des Sohnes waren. Auch der alte Lehrer Eiselin, der Freund des Hauses, der längst schon wieder mit seinem ehemals so falsch beurteilten Schüler sich ausgesöhnt hatte, kam in Begleitung der Eltern nach Stuttgart, um sich persönlich von den Fortschritten und dem Wohlergehen des 20-jährigen Hofsängers zu überzeugen.

Bis zum Jahre 1814 blieb Schaible in Stuttgart. Der Drang nach höherer Ausbildung verlangte ihn, die dortigen Verhältnisse aufzugeben und einem Rufe an das Wiener Hoftheater zu folgen. Nach des Künstlers eigenem Urtheile erreichte sein Gesang zu jener Zeit noch keineswegs die Höhe, welche seinem Ideale entsprach. Daher es auch kommen mag, dass sein erstes Auftreten in der Kaiserstadt ohne sonderliche Beachtung blieb, wozu jedoch eine anhaltende Heiserkeit des Sängers, die zuweilen wie ein düsterer Flor seine Stimmung überzog, mit eingerechnet werden muss.

“ Am 20. Juni (1814)“, schrieb er seinen Eltern, „bin ich im „lustigen Schuster“ von Paer aufgetreten. Ich habe Euch in meinem letzten Briefe über mein erstes Début geschrieben, demzufolge Ihr Euch leicht denken konntet, dass das Publikum nicht mit den besten Erwartungen von meinem Talente als Sänger ins Theater ging, weil der größte Teil desselben meiner vormaligen Heiserkeit keinen Glauben beimessen wollte. Demungeachtet gefiel mir Leistung; ich hatte freilich alle Künstler, die mich in der Probe hörten, für mich, was hier viel wert ist. Das ganze Orchesterpersonal sprach von mir überaus günstig. Den Tag nach dieser Oper ließ mich Graf Palsi rufen, um die Unterhandlungen, welche (da mir inzwischen vom auswärtigen Direktionen vorteilhafte Anträge gemacht worden) noch immer nicht beendet waren, in’s Reine zu bringen. Ein Advokat, namens Schreivogel, dem Balsi sie das ganze Geschäft aufgetragen hatte, sollte mit mir contrahieren. Wir waren einig bis auf die Reiseentschädigung, welche mir schon in Stuttgart zugesichert worden war. Schreivogel sagte mir, dass nicht die jetzige Direktion, sondern die frühere interimistische unter Schwarzenberg diese Verbindlichkeiten eingegangen habe. Über diese Äußerung wurde ich ungehalten und verließ nach kurzem Wortwechsel das Zimmer mit der Versicherung: das Engagement gar nicht annehmen zu wollen. Ich ließ mir, wie früher bestimmt war, 150 Gulden als Honorar für die beiden Rollen, in welchen ich aufgetreten, ausbezahlen und hatte schon den Tag meiner Abreise bestimmt, als die Direktion mich fragen ließ, wie viel ich denn Reiseentschädigung verlange; worüber ich mich erklärte und wir endlich einig wurden. Ich wollte jedoch keinen längeren Kontrakt als auf ein Jahr eingehen. Mein Gehalt belaufe sich auf 2500 Gulden, nebst der Zusicherung, dass binnen Monatsfrist die Oper „Massinissa“, auf die Bühne gebracht werden solle. Ich habe euch schon in meinem vorigen Briefe geschrieben, dass ich entschlossen sei, die hiesigen Verbindungen aufzugeben. – Unterdessen habe ich die Sache überlegt. Jedermann weiß, dass Wien gegenwärtig einen Tenoristen sehr nöthig hat; Viele, theils in Stuttgart, theils an anderen Theatern, deren teilnehmende oder neidische Augen im jetzigen Augenblicke auf mich gerichtet sind, wissend, dass es mein Wunsch gewesen ist, in Wien zu bleiben. Wenn ich nun auch zehnmal der bin, der nach genauer Prüfung der hiesigen Verhältnisse nicht mehr wünscht, so würde es auch ein Bruch mit der Direktion nicht meinen Willen, sondern einer, meinem Renommé als Künstler nachteiligen Ursache zugeschrieben werden. Ich hielt es somit für Pflicht, gegen mich selbst, wenigstens ein Jahr hier mich zu verbinden, um nicht einen falschen Schein auf mich zu ziehen. Nach Umfluß dieser Zeit kann sich Manches geändert haben, und will ich reisen, so stehen mir, dem ehemaligen k.k. Hofopernsänger, die Pforten der deutschen Theater offen. Unterdessen werde ich meiner Stimme die letzte Politur geben, ja ich kann sagen, dass sie bereits jetzt schon wieder besser geworden ist. – Ich bin so gesund, liebe Eltern, dass ich Gott nicht genug danken kann für dieses herrliche Geschenk; auch lebe ich bei meinen fleißigen Studien in einer fortwährenden Ruhe mit mir selbst. Würde der Gedanke: wie geht es in meinen lieben Eltern, werden auch Sie im Geiste ihrer Kinder glücklich sein? mich nicht manchmal beunruhigen, weil ich so wäre meine jetzige Lage beneidenswert. Doch die Vorsehung, scheint es, habe, um uns vor Hochmut und anderem Bösen zu bewahren, es so eingerichtet, dass mit den schönsten beruhigendsten Freuden stets das Gegenteil im Vereine steht.“

Nach Ablauf der Verbindlichkeiten folgte Schelble einem Rufe nach Treßburg, wo er als Regisseur der Oper einige Zeit tätig war; später kehrt er wiederum nach Wien zurück, um allein nur seinem Studium und dem Verkehr mit großen Meistern zu leben. Wien war zu jener Zeit der Mittelpunkt musikalischer Bestrebungen in Deutschland, dazu kam noch der Congreß, der so viele berühmte Männer in die Kaiserstadt geführt hatte. Es konnte daher nicht fehlen, dass der junge Mann Gelegenheit fand, mit bedeutenden Künstlern in seinem Fache bekannt zu werden; unter diesen Weigel, Spohrs, Meyfeder, Kreutzer, Schuppanzig und vor Allem Beethoven.

Den Werken des Letzteren hatte Schelble bis dahin wenig Beachtung geschenkt., desto größer ward nun aber seine Verehrung, die er dem gewaltigen Meister zollte, als er mit dessen Schöpfung vertrauter geworden. Auch mit Händel’s großen Werken hatte Schelble hier zuerst Bekanntschaft gemacht. Alles dieses mußte natürlich von mächtiger Wirkung auf das selbstschaffende Talent des jungen Mannes sein. Wenn seine Kompositionen von dieser Zeit an auch nicht mehr sehr zahlreich sind, so zeigen sie aber dagegen einen bedeutend verfeinerten Geschmack und mehr Selbstständigkeit im Styl. Seine größeren Gesangswerke aus dieser Zeit sind auch besonders sehr gut instrumentiert.

Er hatte es sich damals zur Regel gemacht, die goldenen Stunden des Morgens in ungestörtem Fleiße dem Komponieren zu widmen, aber sich zu vertiefen in die mannigfaltigen Herrlichkeiten großer Meisterwerke.

Meine Geschäfte hier“, schreibt er in einem Brief, „gehen wie ich es wünsche. Ich habe nun Gelegenheit, so nach und nach zu zeigen, was an mir ist, und ich darf mir schmeicheln, dass ich fortwährend an Achtung als Künstler gewinne. So wurde zum Beispiel letzthin bei Spohr ein großes Quintett, welches ich hier schrieb, aufgeführt. Viele konnten sich nicht genug wundern, wie ein Sänger ein so durchgearbeitete thematisches Werk liefern könne. Es wurde von fünf großen Virtuosen gespielt und daher über meine Erwartung schön exekutiert. Soeben, während ich in meinem Zimmer sitze und schreibe, donnern die Kanonen und verkünden die Ankunft des Königs von Württemberg. In allen Straßen strömt es unaufhörlich von Menschen; einmal 100.000 Fremde zählt man schon, die auf Veranlassung der Festis aufgekommen sind. Ihr könnt euch das Leben und den Spektakel denken. – Ich habe gegenwärtig täglich Probe und bin daher viel beschäftigt. Von Stuttgart bekomme ich stets die freundschaftlichsten Briefe mit den herzlichsten Äußerungen, besonders dass ich wieder kommen solle; ob es von Herzen geht, weiß ich nicht. Ich meinerseits werde Krebs, dem ich viel zu verdanken habe, nie undankbar vergessen. – In Betreff meines jungen Freundes Weiß kann ich im Augenblicke unmöglich etwas tun. Ihr glaubt nicht, wie die Theaterverwaltung gegenwärtig derangiert ist. Das ganze Orchester am Burgtheater wurde entlassen, worunter Spohr, der erste Violinspieler Deutschlands, Gierowetz und eine Menge anderer Mitglieder des Theaterpersonals u.s.w.

Wenn wir bedenken, wie selten Schelble mit seinen eigenen Werken hervorgetreten, und wie wenig er sich deshalb als Komponist in der Welt einen Namen gemacht, möchte es fast scheinen, dass er mit seinem schönen Talente auf halbem Wege stehen geblieben sey; doch mag bedacht werden, dass er dieses Studium eigentlich mehr nur als Bildungsmittel denn als Zweck selbst benützte, wie denn auch diese Geistestätigkeit gewiss vor Allem es war, welche seinem Sinn und Gemüte jene Richtung zum Ernsten und Tiefen der Kunst verliehen, welche sein ganzes nachheriges Wirken so entschieden bezeichnet. Vielleicht aber war auch der Umgang und die begeisterte Verehrung, die er den klassischen Meisterwerken zollte, mit mit Ursache, warum er stets so gleichgültig gegen die Kinder seines eigenen Geistes war, die er bekanntlich eher zu verbergen als vorzuführen suchte.*
*Ich habe einmal von einem denkenden Manne die Bemerkung gehört: das Süddeutsche sei im Vergleiche zu seinem verständnig nüchternen Landsmann im Norden ein fahrlässiger Haushälter in Sachen des eigenen Talentes; dieser wisse durch die kluge Oekonomie oft kein Weniges zu allgemeiner Geltung zu bringen, während Jener auch bei ungleich größerer Begabung nicht selten freiwillig zurückstehe. Und wahrlich, wenn wir die Kunstgeschichte verschiedener Zweige durchgehen, so finden wir in dieser Behauptung etwas Richtiges.

Von Wien ging Schelble über Prag nach Berlin, wo die großartige edle Weise seines Gesanges viel Anerkennung fand, ohne dass es jedoch, wie er zu wünschen schien, zu einer Anstellung gekommen wäre. Als ihn Freunde aufforderten, weitere „geeignete Schritte“ deshalb zu tun, war seine Antwort: „Wenn sie mich hätten haben wollen, würden Sie schon gekommen sein.“

Es lag eben nicht in dem Charakter des Mannes, durch unwürdiges Gebaren sich sein besseres Selbst herabzusetzen und damit ein gewünschtes Ziel erreichen zu wollen.

Der kurze Aufenthalt in Berlin verschaffte indes unserem Künstler sehr interessante Bekanntschaften mit ausgezeichneten Männern, wie Zeltler und Andere; auch erhielt er genaue Einsicht in die durch Fesch gegründete Singakademie. – Welche Vorbedeutung für Schelble!

In Frankfurt am Main, wo der Sänger durch Vermittlung des Dichters Clemens Brentano, mit dem er in Berlin nahe befreundet geworden, zu Gastrollen erwartet ward, gefiel sein Gesang so sehr, dass sogleich eine Anstellung als erster Tenorist auf drei Jahre mit entsprechendem Gehalt erfolgte. Zwar wollten auch hier wie anderwärts Manche sein mangelhaftes Spiel tadeln; doch dürfte, wie Solche behaupten, die tiefer blicken, dieses im Allgemeinen nur von Rollen zu verstehen sein, welche seiner edlen Persönlichkeit entgegen waren. (Wie sehr würde nicht heut zu Tage das Publikum in dieser Beziehung über ihn zu klagen haben, da dieser Fall auf unseren Bühnen so häufig vorkommen müßte.) Wer Schelble in Lieblingsrollen, wie Titus, Seretus, Belmont, Joseph und Faust gesehen, wird obigem Urtheile von Herzen beipflichten. Die herrlichen Genüsse, welche seine Gesangsleistung boten, wurden leider durch einen rheumatisch-gichtiges Uebel, welches ihn befiehl, unterbrochen. Schelble, der früher völlig gesund war, maß die Ursache dieser Krankheit der Bauart des Frankfurter Theaters bei, indem, sobald der Vorhang aufging, durch die Dachöffnung eine merkliche Zugluft entstand. – Und wirklich nach des Künstlers Abgang vom Theater verlor sich gedachtes Übel sehr bald, und er genoss auf lange wie eine beste Gesundheit.

Während einer langwierigen Kur, die er zum Theil im Bade Soden brauchten, war sein Kontrakt abgelaufen und Schelble sehnte sich nicht, ihn wieder erneuert zu sehen. Sollte ihm doch der Vaterstadt Goethe’s auf andere Weise Zeit und Gelegenheit werden, sein reiches Talent zu entfalten. Freiwillig entsagte er einer ruhmvollen Theaterlaufbahn, um der Kunstrichtung zu folgen, welche seinem geläuterten, auf’s höchste gerichteten Sinn völlig entsprach.

Die erste Veranlassung zur Gründer seines später berühmt gewordenen Cäcilienvereins gab eine kleine Zahl befähigter Schüler und Schülerinnen des Gesanges, mit welchen Schelble in geselligen Zirkeln zuweilen ein oder mehrstimmige Gesangsstücke zur Aufführung brachte. Die geschmacks- und würdevolle Art, wie der Künstler diese Musiken leitete, konnte nicht verfehlen, auf die Teilnehmenden einen bedeutsamen Eindruck zu machen, und der Gedanke einer dauernden Vereinigung trat lebhaft hervor. In dieser Absicht versammelten sich die Freunde am 24. Juli 1818 und beschlossen nach kurzer Beratung, dass wöchentlich einmal und zwar Mittwoch Abends Gesangsübungen unter der Leitung Schelble’s stattfinden sollten.

Die Einrichtung dieser Gesellschaft war in erster Zeit sehr einfach und patriarchalisch, indem jedes Mitglied einen gewissen Beitrag zur Bestreitung der unvermeidlichen Ausgaben spendete und alles andere dem Meister überlassen blieb, in dessen Wohnung die Singübungen gehalten wurden. Als Hauptleitfaden diente der Grundsatz: Meisterwerke für Gesang aller Gattungen und Zeiten mit Sorgfalt einzuüben und sie in möglichst künstlerischer Vollendung auch öffentlich vorzutragen.

Man wird natürlich finden, dass zuerst nur kleinere Werke einstudiert werden konnten, um die Kräfte allmählich erstarken zu lassen, was jedoch schneller geschah, als man erwarten durfte. Bereits am 8. Oktober 1818 wurde von einem kleinen Zuhörerkreis die Zauberflöte von Mozart und am 22. November eine Kantate von Schelible mit 50 Mitgliedern des Vereins ausgeführt. Ohne einseitige Ausschließen folgte rasch hintereinander bedeutende Werke: Mozarts Requiem, Misericordias, mehrere Messen und Chöre beschäftigten den Verein um diese Zeit.

Am 21. Februar 1820 aber konnte schon Händels Alexanderfest mit Mozarts Instrumentation unter Mitwirkung des ganzen Theaterorchesters gegeben werden, während für die nächstfolgende Zeit Cherubins Requiem, Händels Empfindungen am Grabe Jesu, sowie Sebastian Bachs achtstimmige Motette: „Ich lass dich nicht!“ die Tätigkeit des Vereins in Anspruch nahmen.

Gegen Ende des Jahres 1821 zählte der Verein bereits 100 Mitglieder; die erste Probezeit war glücklich bestanden, und das allgemeine Zutrauen, welches Schelble und seine gute Sache sich erworben, ließ dem Geschaffenen eine gedeihliche Zukunft hoffen. Die Wohnung des Meisters genügte der stets wachsende Mitgliederzahl nicht mehr, und ein größeres Lokal mußte gemietet werden. Zugleich war man auch bemüht, dem jugendlichen Institute eine spätere Gestalt und Grundlage zu geben. Die reichen Mitglieder traten zusammen, um einen Ausschuss zu wählen, welcher fortan den ökonomischen Teil des Ganzen zu übernehmen sich verpflichteten, während zu des Vereins Sicherung und Bestehen mit Schelble ein Vertrag auf zehn Jahre abgeschlossen, und ihm ein ansehnliches Gehalt bestimmt ward.

Um dieselbe Zeit wurde der Meister auch von Außen eine sehr beachtenswerte Antrag gemacht, der, wenn er angenommen worden wäre, des Meisters Zukunft jedenfalls zeitlebens gesichert hätte; Schelble jedoch glaubte, im Hinblick auf die soeben eingegangenen Verbindlichkeiten, denselben ablehnen zu müssen.

Das Verbleiben in der größeren Stadt und eine mehr gesicherte Stellung daselbst mußte unserem Meister umso erwünschter sein, als das Geschick ihn eben erst mit Fräulein Molly Müller aus Königsberg bekannt gemacht, mit welcher er im Jahre 1822 ein eheliches Bündnis feierte.

Im Zusammenhang mit der neu gegründeten Organisation des Vereins begannen nun Abonnementskonzerte, welche am 12. Dezember mit Händels Oratorium „Judas Maccabäus“ glorreich eröffnet wurden. Bald folgten auch andere Werke dieses herrlichen Meisters, sowie von berühmten Musterwerken einzelne Sätze, zum Beispiel von Palestrina, Lotti, Durante, Marcello, vorzüglich aber die Schöpfung eines Mozart, Haydn, Beethoven, Cherubini und später zuweilen auch Mendelssohn. Bei solcher Vielheit und Abwechslung wird daher der Vorwurf allzu einseitig strenger Richtung wohl nur von solchen gemacht werden können, die in unterentwickelten Sinne und Geschmacklosigkeit geistlose Modewerke dem Besten an die Seite setzen und als passende Unterhaltung für sich in Anspruch nehmen möchten. Gerade darin lag aber Schelble’s großer Verdienst, dass er dem Trivialen und Schwächlichen niemals die mindeste Konzession machte, und dadurch seinen Verein auf die Stufe wahrhaft künstlerischer Vollkommenheit hob.

Ein Blick über die Gesamtleitung des Vereins lässt hauptsächlich zwei Hauptperioden unterscheiden; die erste bis zum Jahr 1828 füllen vorzugsweise Händel’s, die zweite Bach’s Werke.

Durch den bekannten Kunstphilosophen Nägeli, mit welchem Scheluble persönlich und nahe befreundet war, hat er unter anderem eine authentische Abschrift des Bach’schen H Moll Messe erhalten, nach dem Autographum, welches Nägeli nebst anderen Handschriften dieses großen Meisters besaß, während andererseits Mendelssohn es war, der dem Meister die erste Kunde von Sebastian Bach’s doppelchöriger Passion brachte, indem dieser jugendliche Künstler bei einem Besuche in Frankfurt für Scheluble mehrere Stellen aus dem Gedächtnisse aufschrieb, später aber von Berlin aus eine Abschrift der ganzen Partitur besorgen ließ.

Sehr große Sorgfalt verwendete Schäuble auf die Ausbildung des Chorgesanges, wobei er, um jede Übereilung zu verhüten, mit größter Umsicht zu Werke ging. Außer den gewöhnlichen Proben am Mittwoch wurden deshalb nicht selten Extra- oder Spezial-Proben für einzelne Stimmen, zum Beispiel des ganzen Soprans x. veranstaltet, wobei allein jene freien Feinheiten erreicht werden konnte, die einem Kunstwerk seine individuelle Vollendung geben. Aber auch dem Sologesang widmete Schäuble seine ganze Aufmerksamkeit, umso mehr, als es keine geringe Aufgabe ist, mit bloßen Musikliebhabern das zu erreichen, was streng genommen nur dem eigentlichen Künstler zugemutet werden darf. Seiner Ausdauer gelang es jedoch, mehrere Schülerinnen für diesen Zweig heranzubilden, deren vortreffliche Leistungen weit über den gewöhnlichen Dilettantismus hinausreichten.

Eine Sorge anderer Art war für ihn die Instrumentalbegleitung, indem er dahin strebte, jedes Werk mit den ihm eigenen Instrumenten ausführen zu lassen. Geraume Zeit waren die Konzerte, mit wenigen Ausnahmen, mit der einfachen, aber vortrefflichen Klavierbegleitung Schelbles ausgeführt worden. In der Folge, als die Zahl der Mitglieder bedeutend angewachsen, hatte er diese Begleitung durch einen Kontrabass zu kräftigen gesucht, und später einmal bearbeitete er Haydn’s Schöpfung und die Jahreszeiten für mehrere Klaviere, was, obgleich von schöner Wirkung, denn doch nicht ausreichen sollte und Schelble mit dem Gedanken umging, ein Instrumentalverein aus Liebhabern ins Leben zu rufen. – Ein Plan, der jedoch nie zur Ausführung kam. Es mußte deshalb Zuflucht zum Theaterorchester genommen werden, was freilich mit Kosten und Unannehmlichkeiten mannigfacher Art verbunden war, in dem diese Künstlerschaft vom Theater abhängig und daher nicht jederzeit zu Diensten sein konnte.

Unter solchen Verhältnissen hatte der Verein das Jahr 1828 erreicht. Nach 10-jähriger Mühe und Arbeit war es gelungen, den musikalischen Sinn bedeutend zu wecken und auf Großartiges, Aechtes hinzulenken. Freudig wurden die herrlichen Leistungen des Vereins anerkannt und auch die allseitige Teilnahme des Publikums fehlte nicht.

Jetzt glaubte Schelble einen Schritt weitergehen und den kühnen Plan fassen zu dürfen, die Werke des größten und tiefsinnigsten Tondichters, des Johann Sebastian Bach, zum Hauptstudium des Vereins zu erheben. Indem er den Verein dadurch das unbestreitbare Verdienst verlieh, welches dem Institute wohl die erste Stelle unter ähnlichen Deutschlands einräumte, konnte dem Meister vielleicht etwas allzu rasches Vorgehen nach dem vorgesteckten hohen Ziele zum Vorwurf gemacht werden, wenn wir bedenken, dass er sogleich zwei der größten Werke Bachs hintereinander vornahm. Doch Schelble’s genialistischer Kraft und Begeisterung war allen entgegenstehenden Schwierigkeiten gewachsen. Nach der ersten Aufführung der großen H Moll Messe schrieb er den Seinigen in der Heimat: „Es ist das erste Mal, dass von Sebastian Bach’s größeren Kompositionen eine in’s Leben getreten ist. Als ich im Vereine anfing, die aus der großen Messe gewählten Stücke einzuüben, fand ich große Hindernisse. Die meisten Sänger und Sängerinnen hatten ein Vorurteil gegen diese Komposition gefaßt. Die Schwierigkeiten schienen ihnen unüberwindlich. Selbst die besten, die es mit der Sache treulich hielten, baten mich, von meinem Vorhaben abzusehen. Ich beschwichtigte sie, so gut ich konnte, half ihrem Unvermögen durch stetes Erklären des Bach’schen Werkes auf, und siehe da, als dieses Werk aus dem Chaos heraustrat – (es klang fürchterlich in der ersten Probe) wurde es immer herrlicher und größer, und bei der ersten Orchesterprobe mußte Freund und Feind bekennen, in seinem Leben nie etwas Tieferes und Erhabener es gehört zu haben. – So siegte meine Liebe und Tätigkeit für das große Werk, welches die Kunstgeschichte aufzuweisen hat, über das Vorurteil des vorlauten Dilettantismus. – Die Aufführung war prachtvoll, an 200 Personen wirkten mit, ich hatte ein gutes Orchester: 18 Violinen, vier Violen, vier Violocelles, zwei Kontrabässe, nebst kompletter Harmonie mit Posaunen.“

Fast gleichzeitig wurde, zwar immer noch unter Mühe und Not, die doppelchörige Passion eingeübt. Als dieses merkwürdige Werk so weit gediehen war, dass es richtig verstanden werden konnte, da freute sich Jedermann über den Geistesreichtum, welcher durch Svhelble’s Bemühen erschlossen ward.

Die erste Aufführung fand am 2. Mai 1829 statt. Groß und mächtig war der Eindruck sowohl der originell charakteristischen Chöre, als auch der höchst ausdrucksvolle Rezitative und Arien voll wunderbarer Schönheit. Diese Aufführung war ganz besonders feierlich, indem Schelble den Vortrag der Rezitative des Evangelisten und Christus übernommen hatte, während etwa sechzig junge Mädchen aus der städtischen Musterschule die in dem Werke vorkommenden Choralmelodien sangen.

Der sonst so unwillkommene Bach war von nun an der Liebling des Vereins. Man überzeugte sich immer mehr, dass derselbe nicht bloß ein strenger Contrapunktist, sondern ein tiefer, feinfühlender Komponist sei.

Um aber all diese Früchte zur Reife gebracht zu sehen, hatte es eines Mannes bedurft wie Schelble vor Liebe und Hingebung für das vorgestreckte, hohe Ziel. Uneigennützigkeit hatte er in die besten Jahren seines Lebens geopfert und das Gute, was durch seine seltene Kraft und Ausdauer geschaffen war, durfte Frankfurt unbestritten zu einer seiner vorzüglichen Zierde rechnen. Umso unerwarteter muss es daher erscheinen, bald darauf eine bedenkliche Krise für das ferne Bestehen des Vereins eintreten zu sehen. Viele frühere Mitglieder waren unterdessen zurückgetreten, und eine Erneuerung des Contracts, wodurch allein der Meister und sein Institut ganz sichergestellt werden konnten, war nicht zu hoffen. In dieser unangenehme Lage entschloß sich Schelble im Jahr 1831 auf Zureden seiner Freunde, den Verein auf eigene Rechnung fortzuführen. Und wenn auch der innere Fortgang des Instituts durch alles dies nicht im Mindesten litt, so kann es doch schwerlich Frankfurt zum Lob gereichen, Schelble und seine Sache aufs Spiel gestellt zu haben.

Die größeren Konzerte wurden wie bisher mit Orchester gegeben; daneben aber fanden auch kleinere, nicht minder interessante Aufführungen im Lokal des Vereins statt, wobei manche bisher unbekannt gebliebene Gesang- und Instrumentalwerke zu Gehör gebracht wurden. Aus diesem möchte genugsam zu entnehmen sein, wie der Meister weder Mühe noch Opfer scheute, um den Ruhm und das Gedeihen des Vereins aufrecht zu erhalten.

Gleichen Schritte mit Schelble’s Tätigkeit als Direktor hielten seine Bemühungen im Gebiete des Unterrichts. Nachdem der von ihm gegründete Verein bereits die höchste Stufe erreicht hatte und ein glückliches häusliches Leben dem genügsamen Manne wenig äußerliche Wünsche übrig lassen mochten, da gerade ließ es sich Schelble, von einem wohlverdienten Ruhm keineswegs lässig gemacht, auf das eifrigste angelegt sein, immer mehr den Mängeln und Lücken der musikalischen Bildung nachzuspüren; umso mehr, als diese es waren, welche ihm bisher so manche Mühe und Kämpfe bereitet hatten. Als Grund des Übels wurde von ihm erkannt, dass die Meisten die Musikin zu vorgerücktem Alter erlernen, das heißt in einer Zeit, wo die eigentliche Epoche der Bildungsfähigkeit schon vorüber ist. Vielfältige Versuche, welche Schelble bei Kindern anstellte, überzeugten ihn, dass je früher der Unterricht beginne, desto erfreulichere Resultate zu erwarten sein; eine Wahrnehmung, auf welche er seine, (wenn auch nicht allgemein) bekannt und sogar berühmt gewordene Singmethode, oder richtiger Gehörsbildungsmethode für Kinder gründete.

Diese Unterrichtsweise geht dahin, bei Kindern im zarten Alter das musikalische Gehör oder den Tonsinn auf naturgemäß neue Art zu wecken und stufenweise bis zu möglicher Vollkommenheit auszubilden. Leider hat uns der Meister, außer einer „kurzen Anleitung zur musikalischen Elementarunterrichte“ keine ausführliche Theorie seiner Methode hinterlassen. Doch ist hinlängliches Material selbst komponierter Übungsstücke vorhanden, von dem ersten Anfange mit drei Tönen bis zum ganzen Umfange der C Dur Tonleiter, nebst Ausarbeitung des harmonischen Theils oder der Akkorde.

In der geschriebenen Anleitung sagt Schelble: „Manche glauben, es gebe Kinder, die kein musikalisches Gehör besitzen; ich selbst war der Meinung; denn es gibt Kinder, welche mit zehn oder elf Jahren Musik zu lernen anfangen, und es zeigt sich, dass sie kein Gehör haben; nicht einen Ton sind sie imstande aufzufassen. Solche Beispiele habe ich viele gehabt. Dieser Mangel findet sich jedoch bei keinem einzigen Kinde von 4 bis 5 Jahren, mit welchem auf obige Art verfahren wird; alle werden ohne Unterschied Ton und Melodie auffassen. – Die Kinder lernen nach derselben Methode Musik, ehe sie noch Anderes zu begreifen imstande sind; ja sie sollen mit dem Schwersten schon fertig sein, ehe sie Weiteres beginnen. Fangen sie im vierten Jahre bei einigermaßen günstigen Naturfähigkeiten an, so werden sie mit den 7. nicht nur jene Melodie der Dur- und Moll- Leiter richtig hören und notieren, sondern sie werden auch alle Dreiklänge und ihre Versetzungen, so wie alle Vierklänge mit letzteren sicher hören, was viele Tausende, die ihre ganze Lebenszeit mit Musik sich beschäftigen, nicht können.“

Ohnerachtet Schelble seine Lernmethode nur für den Umfang der C Dur Tonleiter auszuführen Zeit gefunden, kann der Lehrgang noch gewissermaßen als abgeschlossen betrachtet werden, weil die Anwendung der noch übrigen fünf Töne keine so große Schwierigkeiten hat, als auf den ersten Blick scheinen möchte. Wenn diese treffliche Methode bis jetzt auch immer nicht im allgemeinen bekannt geworden, so sie verdient, so mag es vielleicht in den Umstande liegen, dass sie eben mehr unmittelbar praktisch, als bloß nur theoretisch mitgeteilt werden will; jede Willkür und Voreiligkeit oder Schaden bringen und die gehofften Vorteile im Voraus vernichten würde.

Was den eigenen Bildungsgang unseres Künstlers betrifft, so muss es auffallen, dass er im ganzen wenig Unterricht genossen, während er selbst eine angeborene Neigung in sich trug, unterrichtend und belehrend auf seine Umgebung einzuwirken. Selbst als Theatersänger suchte Schelble nach Umständen, in diesem Sinne tätig zu sein, in denen er die Kollegen die sich ihm zu nähern verstanden, gewissermaßen als Schüler betrachtete. Denn nicht nur teilte er diesen seinen Erfahrungen und Ansichten über Gesang gerne mit, sondern er sang mit ihnen Szenen, Arien, ja selbst ganze Opern am Klavier durch. Und noch mögen manche dieser Sänger und Sängerinnen leben, die Schelble’s Andenken dankend feiern.

Schelble selbst war eigentlich zum Sänger geboren; wie denn überhaupt alles dabei von einer glücklichen körperlichen und geistigen Organisation abhängt. Bei Schelble fand diese Organisation in glücklicher Vereinigung statt. Nebst einer vortrefflichen psysischen Bildung dürfen wohl die Hauptpunkte, Verstand und Gemüth, nur selten in so richtigem Verhältnis, wie bei ihm, zu finden sein. Seine Stimme war von Natur mehr hoher Baß, als eigentlich Tenor; aber durch fleißiges Studium hatte er den bedeutenden Umfang vom tiefen C bis zum hohen G oder A der kleinen Oktave erlangt. Über diese Töne von seltener Biegsamkeit und Gleichmäßigkeit war der Sänger völlig Herr und Meister, während Kraft und Wortlaut sein herrliches Organ schmückten, das leise An- und Verklingen der Töne, wie nicht minder die große Fertigkeit, die schwersten Gänge, Läufe und einen vollendeten Triller zu singen, waren bewundernswert; doch muß bemerkt werden, dass Schelble von diesem Prunk nur höchst selten und in späteren Zeiten gar keinen öffentlichen Gebrauch machte, weil er seinen Geschmack weit mehr zusagte, dem einfachen, zugleich aber künstlerisch vollendeten Vortrag seine Meisterschaft zu zeigen. „Ich kenne“, sagt er in dieser Beziehung von sich „viele Sänger welche mit schöner Stimme als die meinige ist, begabt sind. Was ich aber zu haben glaube ist: dass ich jedes Gesangsstück nach seinem wahrem Charakter vorzutragen verstehe“. Und wahrlich wer ihn hörte, mußte bekennen, dass sich bei ihm eine Art des Gesanges geltend mache, wie man sie noch nicht gehört hatte.

Nachdem Schelble das Theater (mit der Rolle „Tancred“) auf immer verlassen, war seine ganze Wirksamkeit als Sänger ausschließlich dem Cäcilienvereine gewidmet, wo diese Tätigkeit gerade bedeutend wurde, indem er nicht nur als Sänger überhaupt einen mächtigen Einfluss auf diese Anstalt ausübte, sondern auch viele vorkommende Solo’s selbst übernahm und sie jederzeit zur großen Erbauung der lauschenden Zuhörer vorzutragen wußte.

Was von dem Meister als Sänger gesagt ist, kann in fast gleichem Maße auf ihn auch als Klavierspieler angewendet werden. Er spielte zwar, Gesangsbegleitung ausgenommen, nie öffentlich und wollte überhaupt als Spieler ex professo nicht angesehen werden, allein seine Art und der reine Geschmack, mit welchen er das Instrument behandelte, waren vortrefflich. Ein schöner, gleichmäßiger Anschlag, verbunden mit bedeutender Fertigkeit, welche jedoch nie in die Sphäre des Virtuosentums ging, bezeichneten sein durchdachtes und höchst anspruchsvolles Spiel ohne alle Affectionen und kleinliches Effektaschen, wobei allerdings der gebildete Sänger nicht zu verkennen war, in den er die Tasten gleichsam zum Singen brachte. Die Werke eines Mozart, Beethoven und Bach konnte man unmöglich schöner als von ihm vorgetragen hören.

Es wird wohl kaum der Versicherung bedürfen, dass bei einer Kunstrichtung wie die Schelble’sche war, alle Halbheitheit und Scheinstreben einen strengen Richter gefunden haben werde. Bezeichnend in dieser Hinsicht ist die Antwort, die er einst einem Kunstjünger gab, der ihn bescheiden um die Erlaubnis fragte, den Vereinsübungen manchmal beiwohnen zu dürfen. „Wenn Sie nur manchmal kommen wollen“, entgegnete Schelble, „so kann ich es Ihnen nicht erlauben, wollen Sie den Verein aber regelmäßig besuchen, so sind Sie mir jederzeit willkommen.“ Eine solche, auf nur das Innerste und Wahre gerichtete Gesinnung konnte natürlich auch nur wenig Behagen finden an sich vielfach verbildeten Zuständen unserer modernen Salon- und Modelebens. Obwohl ausgerüstet mit seltenen geselligen Talenten und auch einer durchaus bedeutsamen Persönlichkeit, suchte und fand er allein nur Erholung und Genuss im Geiste vertrauter Freunde.

Schon früh hatte er in seiner Vaterstadt, mit welcher noch Eltern und Geschwister lebten, ein kleines ländliches Besitztum erworben und hergerichtet, wo er alljährlich zur Sommerzeit sich aufzuhalten pflegte.

Hier, in der wohlbebauten Hochebene in der Nähe des Schwarzwaldes, verlebte der genügsame Manne an der Seite seiner würdigen Gattin die heiteren Stunden. „Wie glücklich bist du“, heißt es in einem Schreiben an seinen Schwager, welcher um die Zeit dort ein Stück Bergfeld zu kultivieren angefangen, „wie glücklich, dass du deinen Berg- und Baumgarten täglich sehen und besuchen kannst, während ich getrennt von einem meine liebsten Lebensgenüsse lebe, und auch noch von vielem Anderen. Kommen und gehen, mich freuen und betrüben, scheint mein Loos zu sein. Wir gehen oft spazieren und vergleichen hundertmal unsere Besitztum mit dem Gesehenen. – Es ist eben nicht der Garten allein, was mich fesselt, an dem hängt ein Ideal, also ein Ding, wovon das jetzige Leben sehr verschieden ist – und das ich vielleicht nie erreiche!“

Als Schelble hörte, dass in seiner Heimat die Straßen mit Bäumen bepflanzt werden sollen, schrieb er einem Freunde: „Hoch erfreut bin ich, dass endlich von Oben für die Verschönerung der Städtleins und der Gegend etwas getan wird. Möge die Sache mit Liebe und Strenge betrieben werden, das wünsche ich aus hundert Gründen tausendmal. Wissen möchte ich wohl, wann der erste Baum gesetzt wird, ich möchte diesen Tag feiern.

Wohl machte schon dazumal das Leben der größten Stadt von jenen bedrohlichen Vorzeichen der Bewegung und politischen Zwiespältigkeit, welche bald nachher den Frieden der Gesellschaft auf bedenkliche Weise zu stören drohten, Manches ahnen lassen.

Die Worte, welche Schelble aus Anlass der bekannten Frankfurter Unruhen anfangs der dreißiger Jahre brieflich anspricht, scheinen mir im Hinblick auf unsere nächste Vergangenheit etwas Prophetisches zu haben: „Wie auch die Ansicht und Empfindung eines jedes Einzelnen sein mag“, schreibt er, „Jeder fühlt sich auf seine Art höchst unangemessen berührt, und Zerwürfnis, Misstrauen und Feindschaft im Kleinen wie im Großen werden leider durch solche Ereignisse immer häufiger und somit das Leben trüber werden. Da ist es denn gut, wenn wir im kleineren Kreise einer erquicklichen Häuslichkeit uns einer Kunst oder Wissenschaft hinzugeben, das Glück haben.“

Und gewiss Schelbe’s reiches Gemüt und uneigennützig Strebende fand dieses Glück jederzeit in sich selbst und in dem Anteil und der Verehrung Aller, die mit ihm durch Beruf oder Freundschaftsverhältnisse in näherer oder entfernter Berührung kamen.

Auf’s lebhafteste und mit richtigem Sinn und Geschmack interessierte sich Schelble auch für alle Erscheinungen auf dem Gebiete der bildenden Kunst, ohne sich jedoch jenen leidigen sogenannten Kunstkennern beizählen zu wollen, die entweder in falsch verstandener Toleranz das Schlechte mit dem Guten gleichberechtigten, oder unfertigem Absprechen ihrer Meinung als gültigen Maßstab hurtig und flink und das Höchste und Vollkommenste unbedenklich anlegen möchten. Das Städel’sche Institut in seinem Anfang und Fortgang gab Gelegenheit genug, dem mit mehr als gewöhnlicher Liebhaberei gehegten Kunstinteresse Schelble’s einen Anhaltspunkt zu geben; sowie denn auch unter den in Frankfurt lebenden Künstlern mehrere waren, die zu seinen näheren Freunden zählten, mit welchen ein geselliges Verhältnis stets auf das Beste gepflogen ward.

Im Vorbeigehen mag hier noch erwähnt werden, wie der fein und gründlich gebildete Musiker sich mit Vorliebe für den Volksgesang interessierte. Es war ihm nicht zu geringfügig, bei Gelegenheit seines Sommeraufenthaltes in Vaterort zuweilen vorbeiziehende, singende Landleute, Schnitter und Schnitterinnen, zu sich in seinen Garten einzuladen, um an ihren Gesänge zu sich zu ergötzen. Ja, er schrieb sich manchmal diese Lieder auf, jedoch nicht um sie, wie es heutzutage geschieht, für den Salon oder die gebildete Welt zustutzen zu wollen.
*Es ist auffallend, dass da, wo (auf dem Lande) die, unserer Zeit so betriebenen Männergesangsvereine bestehen, der Volksgesang, diese gleichsam wildwachsende, aber frisch duftende Blüte auf dem Felde der Tonkunst, verschwindet. – Sonderbar, nachdem im 14. Jahrhundert die Meistersänger-Zunft entstanden war, hatte die Poesie bereits aufgehört. – Vielleicht dass einmal nach 50 Jahren ähnliche Betrachtungen auch über unsere Konservatorien, Akademien und zum Teil auch über die Universitäten angestellt werden.

Die Haupttätigkeit des Mannes aber war und blieb dem Vereine zugewendet. Die Zeit hatte zwischen ihm und einem herangeblühten Stamme der Mitglieder ein Band geschlungen, welches auf lange und glückliche Zukunft hoffen ließ; -allein das Schicksal hatte anderes beschlossen. Gegen das Jahr 1834 fing des Meisters Gesundheit an, schwankend zu werden; doch blieb Schelble noch immer in gewohnter Tätigkeit, bis gegen Ende des nächsten Jahres, wo sein Zustand bedenklicher wurde und er, zuerst auf kurze Zeit, dann auf immer dem Vereine entsagen mußte.

In peinlicher Untätigkeit wurde der Winter verbracht, und mit kommendem Frühjahr (1836) schied der Meister von Frankfurt nicht ohne ein Vorgefühl, dass er wohl für immer sein werde.

Im Bade Gastein hatte er vergeblich Heilung gesucht; ist so mächtig in die Heimat zu, wo er in der stärkenden Luft des Hochlandes Besserung hoffen durfte. – Und wirklich schien erneutes Leben noch einmal wiederkehren zu wollen – doch war es leider nur Täuschung – das Vollgefühl der Gesundheit kehrte nimmermehr wieder. Demungeachtet war er noch immer unausgesetzt thätig. Nebst der Sorge für die häusliche Einrichtung seiner kleinen Gartenwohnung beschäftigte ihn der Singunterricht der Kinder, die er um sich versammelt hatte; auch hier im Kleinen, wie früher im Großen, wollte er den Sinn und die Empfänglichkeit für das Schöne wecken und fördern. – Frohe Hoffnung gänzlicher Genesung beschlichen die Brust der Seinigen; um so unvorbereiteter traf sein plötzliches Dahinscheiden.

Es war am 6. August des Jahres 1837, an einem Sonntag, als das Totenglöcklein der Stadtkirche üblicherweise den Einwohnern verkündete, dass ein Mensch aus ihrer Mitte geschieden sei. – Es war das Scheidezeichen für Johann Nepomuk Schelble. – Im Geleite der Seinigen hatte er denselben Tag einen Spaziergang auf ein entferntes Grundstück unternommen, als er zurückkehrend am Eingange seines Gartens von einem Blutsturz befallen wurde, der seinen Leben in den Armen seiner Gattin ein schmerzliches schnelles Ende machte.

Ein Mitglied des Cäcilienvereins (Johannes Weismann) unternahm es, für die Freunde in kurzgefassten Zügen eine Schilderung des Lebens und Wirkens des Verewigten zu entwerfen. Und wohl darf er als die Denkweise Vieler betrachtet werden, wenn der Verehrer am Schlusse seines Nekrologs ausruft: „Fürwahr, ein ungewöhnlicher, ein großer Mensch ist mit ihm von der Erde geschieden; denn seine Aufgabe war eine große, und er hat sie im großen Sinn aufgefaßt und gelöst. Darum erkannte sich der Verein mit tiefem Schmerze verwaist, als er sich ihm die Überzeugung aufdrang, dass Schelble ihm unwiederbringlich entrissen sei. Darum ist es so natürlich, dass wir immer von Neuem an ihn erinnert werden, dass wir ihn immer wieder vor unserem Geistesauge erblicken, den Mann mit der großen Stirne, mit dem edelgebildeten Haupte, dem tiefblickenden Auge, wie er anspruchslos am Klavier saß und mit klarem, ruhigen Sinn die Tonwelt, das Ganze wie das Einzelne beherrschte“.

Noch besteht der von Schelble gegründete Cäcilienverein, ein lebendes Denkmal des Dahingeschiedenen. Und wenn auch der öftere Wechsel der Direktion nach Schelble der Sache nicht vorteilhaft sein konnte, und daher Manches vom ursprünglichen Geiste verloren gegangen sein mag, so darf dennoch nicht verkannt werden, dass der Sinn und die Richtung des Geschmackes für gediegene Musik im Ganzen erhalten blieb.



Lucian Reich zitiert hier viel aus Briefen von Johann Nepomuk Schelble die ihm damals wohl vorgelegen haben. Hier kommen wieder die selben Künstler vor die in den letzten Kapitel erwähnt wurden:

Johann Nepomuk Schelble (16.05.1789-06.08.1837) kam also über Stuttgart, Wien, Prag und Berlin nach Frankfurt.

Nebst verschiedenen Quartetten schrieb Schelble damals auch eine Oper „Graf Adalbert„, zu welcher Krebs den Text gedichtet hatte.

Graf Adalbert ist eine Oper in 3 Akten (1813 Stuttgart). Leider ist wohl nur der Text überliefert, die Musik gilt als verschollen.

Es konnte daher nicht fehlen, daß der junge Mann Gelegenheit fand, mit bedeutenden Künstlern in seinem Fache bekannt zu werden; unter diesen Weigel, Spohr, Meyfeder, Kreuzer, Schuppanzig und vor Allen Beethoven….Auch mit Händel’s großen Werken hatte Schelble hier (in Wien) Bekanntschaft gemacht.

So gab Johann Nepomuk Schelble als Initiator und bewegende Kraft einen Takt vor, der Frankfurts Chöre noch 175 Jahre nach seinem Tod durchpulst. Solange sie singen, kann man ihn, mag auch das Bild seiner Persönlichkeit verblasst, sein Name vergessen sein, noch heute „hören“.

https://www.caecilienchor.de/UeberUns/Schelble.shtml

1822 heiratete Schelble das Fräulein Molly Müller aus Königsberg.

Leider lässt sich über Molly Müller nichts mehr weiter herausfinden, außer, dass die Ehe anscheinend kinderlos blieb.

In Hüfingen erwarb Schelble 1824 ein „Landgütchen“, das er sein „Ruhetal“ nannte.
Foto: Karl Schweizer etwa 1980

Lucian Reich berichtet über Schelbles Engagement in Hüfingen und von den Pflanzungen der Hüfinger Anlage, die mit den Freunden der Natur Hüfingen errichtet wurde und teilweise auch von den selben „Baunausen im Geiste“ zerstört wurden, deren Nachfahren auch heute noch in Hüfingen Unheil stiften:

Mit 48 Jahren starb Schelble in den Armen seiner Frau Molly Müller am Eingang seines Hüfinger Hauses an der Bräunlinger Straße.

Fortsetzung hier:

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