Wanderblühten – Johann Nepomuk Schelble


Theuerste Eltern

Kaum hatte ich meinen ersten Brief in Hechingen der Post übergeben, als ich einen von Euch, lieber Vater, erhielt, woraus ich erfah, dass ihr bei Eurer Rückkehr meine liebe Mutter und Geschwister gesund und wohl angetroffen habt. Ich befinde mich, einen fatalen Schnupfen abgerechnet, wohl. In Hechingen, fand ich für notwendig, Euren Rat zu befolgen und mir ein warmes Unterwamms zu kaufen. Herr von Hampeln besorgte mir bei einem Juden den Einkauf. Durch diese und andere Ausgaben wurde meine Kasse etwas geschwächt und es schien mir räthlich, elf Gulden gegen eine Quittung aufzunehmen. Für Fräulein Mina von Hampeln kaufte ich zugleich ein kleines, modern gesticktes Halstuch und für mich ein Paar Handschuhe.

Mittwoch früh um fünf reiste ich mit dem Hechinger Boten weiter; es war sehr kalt und ich würde es jetzt bereut haben, meine Einkäufe nicht gemacht zu haben. Zwei Stunden vor Stuttgart blieb ich mit dem Boten übernachtet. Dieselbe Kost und das Nachtlager wie im Schönbrunn fand ich hier nicht, es war Alles so ziemlich das Gegenteil. Morgens ging es früh wieder auf den Weg, und wir kamen um sieben Uhr hier in Stuttgart an.

Ich kleidete mich folglich um, und ließ mir die Wohnung des Herrn Galeriedirektor Seele zeigen, den ich jedoch nicht zu Hause traf. Man führte mich auf die Akademie, wo er sein Arbeitszimmer hat. Er nahm mich sehr gütig auf, und wollte mir sogleich, weil der König gerade abwesend ist, die Residenz zeigen, wurde aber durch Geschäfte abgehalten. Er führte mich hierauf zu den Herrn Krebs, den wir krank im Bette antrafen. Seele setzte ihn von meinem Entschlusse in Kenntnis und bat ihn freundlich, er möchte sich doch meiner annehmen und mir in allem mit Rat und Tat beistehen, worauf er sich empfahl. Ich reichte Herrn Krebs meine Briefe, und er überlas zuerst den seines Onkels Wölfle, sodann das Schreiben des Herrn Weiß. Nachdem er gelesen hatte, sagte er: „Ja! – wenn ich Ihnen raten soll wie ein Vater, so rate ich Ihnen, anders als die Rehmännin und all Die, welche Sie bestimmen, bei Vogler singen zu lernen.“

Nachdem fragte er mich noch über Manches; besann sich hierauf lange ohne etwas zu sagen, dann hub an: „Entweder sie verlegen sich auf die Komposition allein, um einst als Kompositeur aufzutreten, oder Sie müssen sich dem Gesange ausschließlich widmen, um als guter Sänger später eine Anstellung finden zu können. Beides zugleich werden sie entweder erst nach langer Zeit und mit vielem Geldaufwand, oder am Ende gar nicht erreichen.“ Ich sagte ihm, dass ich auf das Studium des Gesanges mein Hauptaugenmerk gerichtet habe. „Und Sie wollen zu Abbé Vogler, um singen zu lernen?“ „Ja!, war meine Antwort. „Lieber Freund“, sagte er, „dieser Plan mag wohl gemeint sein, aber Sie werden Ihren Endzweck durchaus nicht erreichen, ich kenne Abbé Vogler so gut wie ich meinen besten Freund kenne; er war vor zwei Monaten hier und ich hatte täglich Gelegenheit, sowohl seinen musikalischen wie sittlichen Charakter genau kennen zu lernen. Er besitzt eine gründliche Theorie der Musik überhaupt, er weiß wie man Anfängern im Gesange die Scala doctieret, aber wahre Sänger vermag er doch keine zu bilden; sie würden nach seiner Methode alle chromatischen und enharmonischen Gesänge treffen, und zuletzt doch ein gefühlsloser Sänger sein, der außer dem Kontrapunkt und einigen Kirchenkompositionen singen zu können, kein anderes Verdienst besäße, als sogar die sangbarsten Sachen steif vorzutragen. Geiz ist seine Hauptleidenschaft, welche aber von einer krankhaften Überspannung herrühren mag; denn er glaubt immer dereinst noch von Hunger und Armut zu Grunde gehen zu müssen, wie er mir oft selbst klagte; er würde Sie deshalb seiner allzu großen Habsucht aufopfern.“ Dann, bemerkte er noch, meine Fortschritte im Gesang würden bei ihm sehr langsam sein. Um die Komposition zu lernen, wolle er mir Danzi raten, der, ihn als vortrefflichen Harmonisten nicht zu erwähnen, einer der jetzt beliebtesten Melodien sei; er verbinde mit seiner Kunst eine seltene Menschenliebe, auf welche etwas zu bauen wäre; um aber als Sänger einst mein Glück zu finden, rate er mir, da ihm Weiß schreibe, ich hätte eine Schule noch einige Jahre notwendig, wieder zu ihm zurückzukehren. –

Ich sagte, dass ich beinahe zwei Jahre sein Schüler gewesen sei, und während dieser Zeit die Vorteile zur Stimmbildung mir so ziemlich eigen gemacht habe; meine Stimme sei freilich noch nicht ganz gebildet, ich hoffe jedoch, durch eigenes Studium sie zu vervollkommnen. Herr Krebs sagte hierauf, er wolle mich prüfen, finde er, dass ich schon ziemlich vorwärts gekommen sei, so wolle er auf einen anderen guten Rat denken, ich müße also am nächsten Freitag singen, und er wollte mehrere Kunstverständige dazu einladen, damit er ein unparteiliches Urteil höre.“


Soweit der Brief; das Ende desselben liegt nicht mehr vor, und kann somit das Ergebnis der Probe nur noch der Hauptsache nach mitgeteilt werden.

Schelble sang wirklich an dem bezeichneten Abend, und zwar so sehr zur Zufriedenheit seines Gönners und der übrigen Herren, dass ihm Ersterer Gelegenheit verschaffte, in einem Konzerte vor dem König sich hören zu lassen. Der jugendliche Sänger erntete Beifall, und am andern Tag wurde ihm durch Dr. Jalobi, dem königlichen Leibarzt, zu wissen gethan, dass ihm der König eine Anstellung als Sänger am Theater biete, und er beauftragt sei zu fragen, unter welchen Bedingungen er zu bleiben gesonnen wäre.

Schelble, dem die Theaterlaufbahn nicht sein vorgestreckten Ziel war, konnte sich nicht sogleich entschließen und würde wohl das Anerbieten ohne das Zureden seiner Freunde abgelehnt haben. Bei einer zweiten Unterredung mit dem königlichen Leibarzt äußerte er: ob 500 Gulden wohl zu viel sein möchten? „Das ist zu wenig, lieber Freund“, versetzte der wohlmeinende Arzt, „damit reichen Sie hier nicht aus, verlangen Sie keck tausend, ich will, wenn es Ihnen recht ist, die Sache also dem König vortragen.“

Schelble erhielt demnach die Anstellung unter den verabredeten Bedingungen als königlicher Hof- und Opernsänger, und Krebs interessierte sich bald mit großer Vorliebe für den enthusiastisch strebenden Jüngling. Das Krebs’sche Haus, in welchem von nun an Schelble wohnte, war seiner Zeit der Sammelplatz jüngerer Männer vom Musikfache, welche zum Theil nach ihrer Kosttisch daselbst hatten. Der Hausherr war ein jener tüchtigen anregenden Naturen, die wie zum Vorbild und Mentor Jüngerer geschaffen sind. Eine gründliche Bildung und schönes Talent machten ihn zum Künstler im besten Sinne des Wortes, während die Liebe und der Eifer, womit er Alles, was sich auf die Kunst bezog, erfaßte und betrieb, nicht ohne bedeutenden Einfluss auf seine Umgebung bleiben konnte. Zudem war Stuttgart dazumal der Ort manch regen Strebens, und der Hof wusste Leben um sich zu verbreiten, indem er jüngere Talente, welche über das Gewöhnliche sich erhoben, hegte und förderte.

Die pestalozzi’schen Erziehungsgrundsätze beschäftigten zur selben Zeit mächtig die Geister. Ihre Anwendung auf den musikalischen Unterricht lag nahe, und schon durch Nägeli ward der Gedanke hierzu angeregt. Auch Krebs hatte diese Idee aufgefaßt und sie bei der seiner Zeit neu errichteten Musikschule am städtischen Waisenhause zu verwirklichen gesucht. Schelble, welcher an dieser Anstalt durch die Verwendung seines Freundes eine weitere Anstellung erhalten, ging darin schon weiter, indem er seine Schüler selbst Melodien erfinden und sogar mehrstimmige Sätze ausarbeiten ließ. Zum Behufe zweckmäßiger Treff- und Leseübungen aber schrieb er eine Menge, zum Theil contrapunktisch gearbeiteter Übungsstücke*.
*Ein Bericht in der „Allgemeinen musikalischen Zeitung“ vom Jahr 1812 erwähnt Schelble’s mit besonderer Auszeichnung. Es heißt darin unter Anderem: „Wenn er auch nicht schon früher eine Geschicklichkeit als Lehrer in einem Privatinstitut bewiesen hätte, so würden die Fortschritte seiner Schüler zeugen müssen, dass er die Sache aus dem rechten, ja vielleicht einzig wahren Gesichtspunkte betrachtet.“

Bei dieser vielfachen Thätigkeit vergaß jedoch Schelble keineswegs das Höherliegende. Mit Eifer begann er das Studium der Komposition, und welch tiefe Kenntnisse er sich hierin erworben, beweisen am besten seine Kompositionen selbst, wobei er vorzüglich Mozart zu seinem Vorbild nahm, und sich dessen Form und Wesen dadurch anzueignen suchte, dass er die Werke dieses unvergleichlichen Meisters fleißig studierte. Zu solchem Zwecke ließ er sich unter Anderem dessen sämmtliche Streichquartette und Quintette in Partitur setzen. Nebst verschiedenen Quartetten schrieb Schelble damals auch eine Oper „Graf Adalbert„, zu welcher Krebs den Text gedichtet hatte. All dies seine Geisteswerke zeigten nach dem Urteile kundiger Richter, nicht nur eine glückliche Erfindungsgabe, sondern sind auch in Form, Harmonie und Stimmführung durchaus gelungen zu nennen.

Vorübergehend mag hier eines vorherrschen des Zuges in dem Charakter des trefflichen Mannes gedacht werden: die stets unwandelbare Anhänglichkeit an die Seinigen, verbunden mit der Sorge, nicht nur diesen, sondern auch allen Nahestehenden nützlich und förderlich zu sein. – Daher kam es auch, dass er zwei seiner jüngeren Schwestern (von 14 Geschwistern hatten nur fünf das reife Alter erreicht) zu sich nach Stuttgart berief, wo sie unter strenger Aufsicht des Krebs’schen Familie einer künstlerische Bildung teilhaftig werden sollten. – Doch, zu ihrem Glück vielleicht, führte sie das Schicksal nach kurzem Aufenthalte in der Residenz wieder in heimatlichen Verhältnissen zu, worin sie in später gegründeten Familienkreisen eine angemessenere Bestimmung finden sollten.

Es läßt sich denken, wie erfreut die Eltern über das Wohlergehen des Sohnes waren. Auch der alte Lehrer Eiselin, der Freund des Hauses, der längst schon wieder mit seinem ehemals so falsch beurteilten Schüler sich ausgesöhnt hatte, kam in Begleitung der Eltern nach Stuttgart, um sich persönlich von den Fortschritten und dem Wohlergehen des 20-jährigen Hofsängers zu überzeugen.

Bis zum Jahre 1814 blieb Schaible in Stuttgart. Der Drang nach höherer Ausbildung verlangte ihn, die dortigen Verhältnisse aufzugeben und einem Rufe an das Wiener Hoftheater zu folgen. Nach des Künstlers eigenem Urtheile erreichte sein Gesang zu jener Zeit noch keineswegs die Höhe, welche seinem Ideale entsprach. Daher es auch kommen mag, dass sein erstes Auftreten in der Kaiserstadt ohne sonderliche Beachtung blieb, wozu jedoch eine anhaltende Heiserkeit des Sängers, die zuweilen wie ein düsterer Flor seine Stimmung überzog, mit eingerechnet werden muss.

“ Am 20. Juni (1814)“, schrieb er seinen Eltern, „bin ich im „lustigen Schuster“ von Paer aufgetreten. Ich habe Euch in meinem letzten Briefe über mein erstes Début geschrieben, demzufolge Ihr Euch leicht denken konntet, dass das Publikum nicht mit den besten Erwartungen von meinem Talente als Sänger ins Theater ging, weil der größte Teil desselben meiner vormaligen Heiserkeit keinen Glauben beimessen wollte. Demungeachtet gefiel mir Leistung; ich hatte freilich alle Künstler, die mich in der Probe hörten, für mich, was hier viel wert ist. Das ganze Orchesterpersonal sprach von mir überaus günstig. Den Tag nach dieser Oper ließ mich Graf Palsi rufen, um die Unterhandlungen, welche (da mir inzwischen vom auswärtigen Direktionen vorteilhafte Anträge gemacht worden) noch immer nicht beendet waren, in’s Reine zu bringen. Ein Advokat, namens Schreivogel, dem Balsi sie das ganze Geschäft aufgetragen hatte, sollte mit mir contrahieren. Wir waren einig bis auf die Reiseentschädigung, welche mir schon in Stuttgart zugesichert worden war. Schreivogel sagte mir, dass nicht die jetzige Direktion, sondern die frühere interimistische unter Schwarzenberg diese Verbindlichkeiten eingegangen habe. Über diese Äußerung wurde ich ungehalten und verließ nach kurzem Wortwechsel das Zimmer mit der Versicherung: das Engagement gar nicht annehmen zu wollen. Ich ließ mir, wie früher bestimmt war, 150 Gulden als Honorar für die beiden Rollen, in welchen ich aufgetreten, ausbezahlen und hatte schon den Tag meiner Abreise bestimmt, als die Direktion mich fragen ließ, wie viel ich denn Reiseentschädigung verlange; worüber ich mich erklärte und wir endlich einig wurden. Ich wollte jedoch keinen längeren Kontrakt als auf ein Jahr eingehen. Mein Gehalt belaufe sich auf 2500 Gulden, nebst der Zusicherung, dass binnen Monatsfrist die Oper „Massinissa“, auf die Bühne gebracht werden solle. Ich habe euch schon in meinem vorigen Briefe geschrieben, dass ich entschlossen sei, die hiesigen Verbindungen aufzugeben. – Unterdessen habe ich die Sache überlegt. Jedermann weiß, dass Wien gegenwärtig einen Tenoristen sehr nöthig hat; Viele, theils in Stuttgart, theils an anderen Theatern, deren teilnehmende oder neidische Augen im jetzigen Augenblicke auf mich gerichtet sind, wissend, dass es mein Wunsch gewesen ist, in Wien zu bleiben. Wenn ich nun auch zehnmal der bin, der nach genauer Prüfung der hiesigen Verhältnisse nicht mehr wünscht, so würde es auch ein Bruch mit der Direktion nicht meinen Willen, sondern einer, meinem Renommé als Künstler nachteiligen Ursache zugeschrieben werden. Ich hielt es somit für Pflicht, gegen mich selbst, wenigstens ein Jahr hier mich zu verbinden, um nicht einen falschen Schein auf mich zu ziehen. Nach Umfluß dieser Zeit kann sich Manches geändert haben, und will ich reisen, so stehen mir, dem ehemaligen k.k. Hofopernsänger, die Pforten der deutschen Theater offen. Unterdessen werde ich meiner Stimme die letzte Politur geben, ja ich kann sagen, dass sie bereits jetzt schon wieder besser geworden ist. – Ich bin so gesund, liebe Eltern, dass ich Gott nicht genug danken kann für dieses herrliche Geschenk; auch lebe ich bei meinen fleißigen Studien in einer fortwährenden Ruhe mit mir selbst. Würde der Gedanke: wie geht es in meinen lieben Eltern, werden auch Sie im Geiste ihrer Kinder glücklich sein? mich nicht manchmal beunruhigen, weil ich so wäre meine jetzige Lage beneidenswert. Doch die Vorsehung, scheint es, habe, um uns vor Hochmut und anderem Bösen zu bewahren, es so eingerichtet, dass mit den schönsten beruhigendsten Freuden stets das Gegenteil im Vereine steht.“

Nach Ablauf der Verbindlichkeiten folgte Schelble einem Rufe nach Treßburg, wo er als Regisseur der Oper einige Zeit tätig war; später kehrt er wiederum nach Wien zurück, um allein nur seinem Studium und dem Verkehr mit großen Meistern zu leben. Wien war zu jener Zeit der Mittelpunkt musikalischer Bestrebungen in Deutschland, dazu kam noch der Congreß, der so viele berühmte Männer in die Kaiserstadt geführt hatte. Es konnte daher nicht fehlen, dass der junge Mann Gelegenheit fand, mit bedeutenden Künstlern in seinem Fache bekannt zu werden; unter diesen Weigel, Spohrs, Meyfeder, Kreutzer, Schuppanzig und vor Allem Beethoven.

Den Werken des Letzteren hatte Schelble bis dahin wenig Beachtung geschenkt., desto größer ward nun aber seine Verehrung, die er dem gewaltigen Meister zollte, als er mit dessen Schöpfung vertrauter geworden. Auch mit Händel’s großen Werken hatte Schelble hier zuerst Bekanntschaft gemacht. Alles dieses mußte natürlich von mächtiger Wirkung auf das selbstschaffende Talent des jungen Mannes sein. Wenn seine Kompositionen von dieser Zeit an auch nicht mehr sehr zahlreich sind, so zeigen sie aber dagegen einen bedeutend verfeinerten Geschmack und mehr Selbstständigkeit im Styl. Seine größeren Gesangswerke aus dieser Zeit sind auch besonders sehr gut instrumentiert.

Er hatte es sich damals zur Regel gemacht, die goldenen Stunden des Morgens in ungestörtem Fleiße dem Komponieren zu widmen, aber sich zu vertiefen in die mannigfaltigen Herrlichkeiten großer Meisterwerke.

Meine Geschäfte hier“, schreibt er in einem Brief, „gehen wie ich es wünsche. Ich habe nun Gelegenheit, so nach und nach zu zeigen, was an mir ist, und ich darf mir schmeicheln, dass ich fortwährend an Achtung als Künstler gewinne. So wurde zum Beispiel letzthin bei Spohr ein großes Quintett, welches ich hier schrieb, aufgeführt. Viele konnten sich nicht genug wundern, wie ein Sänger ein so durchgearbeitete thematisches Werk liefern könne. Es wurde von fünf großen Virtuosen gespielt und daher über meine Erwartung schön exekutiert. Soeben, während ich in meinem Zimmer sitze und schreibe, donnern die Kanonen und verkünden die Ankunft des Königs von Württemberg. In allen Straßen strömt es unaufhörlich von Menschen; einmal 100.000 Fremde zählt man schon, die auf Veranlassung der Festis aufgekommen sind. Ihr könnt euch das Leben und den Spektakel denken. – Ich habe gegenwärtig täglich Probe und bin daher viel beschäftigt. Von Stuttgart bekomme ich stets die freundschaftlichsten Briefe mit den herzlichsten Äußerungen, besonders dass ich wieder kommen solle; ob es von Herzen geht, weiß ich nicht. Ich meinerseits werde Krebs, dem ich viel zu verdanken habe, nie undankbar vergessen. – In Betreff meines jungen Freundes Weiß kann ich im Augenblicke unmöglich etwas tun. Ihr glaubt nicht, wie die Theaterverwaltung gegenwärtig derangiert ist. Das ganze Orchester am Burgtheater wurde entlassen, worunter Spohr, der erste Violinspieler Deutschlands, Gierowetz und eine Menge anderer Mitglieder des Theaterpersonals u.s.w.

Wenn wir bedenken, wie selten Schelble mit seinen eigenen Werken hervorgetreten, und wie wenig er sich deshalb als Komponist in der Welt einen Namen gemacht, möchte es fast scheinen, dass er mit seinem schönen Talente auf halbem Wege stehen geblieben sey; doch mag bedacht werden, dass er dieses Studium eigentlich mehr nur als Bildungsmittel denn als Zweck selbst benützte, wie denn auch diese Geistestätigkeit gewiss vor Allem es war, welche seinem Sinn und Gemüte jene Richtung zum Ernsten und Tiefen der Kunst verliehen, welche sein ganzes nachheriges Wirken so entschieden bezeichnet. Vielleicht aber war auch der Umgang und die begeisterte Verehrung, die er den klassischen Meisterwerken zollte, mit mit Ursache, warum er stets so gleichgültig gegen die Kinder seines eigenen Geistes war, die er bekanntlich eher zu verbergen als vorzuführen suchte.*
*Ich habe einmal von einem denkenden Manne die Bemerkung gehört: das Süddeutsche sei im Vergleiche zu seinem verständnig nüchternen Landsmann im Norden ein fahrlässiger Haushälter in Sachen des eigenen Talentes; dieser wisse durch die kluge Oekonomie oft kein Weniges zu allgemeiner Geltung zu bringen, während Jener auch bei ungleich größerer Begabung nicht selten freiwillig zurückstehe. Und wahrlich, wenn wir die Kunstgeschichte verschiedener Zweige durchgehen, so finden wir in dieser Behauptung etwas Richtiges.

Von Wien ging Schelble über Prag nach Berlin, wo die großartige edle Weise seines Gesanges viel Anerkennung fand, ohne dass es jedoch, wie er zu wünschen schien, zu einer Anstellung gekommen wäre. Als ihn Freunde aufforderten, weitere „geeignete Schritte“ deshalb zu tun, war seine Antwort: „Wenn sie mich hätten haben wollen, würden Sie schon gekommen sein.“

Es lag eben nicht in dem Charakter des Mannes, durch unwürdiges Gebaren sich sein besseres Selbst herabzusetzen und damit ein gewünschtes Ziel erreichen zu wollen.

Der kurze Aufenthalt in Berlin verschaffte indes unserem Künstler sehr interessante Bekanntschaften mit ausgezeichneten Männern, wie Zeltler und Andere; auch erhielt er genaue Einsicht in die durch Fesch gegründete Singakademie. – Welche Vorbedeutung für Schelble!

In Frankfurt am Main, wo der Sänger durch Vermittlung des Dichters Clemens Brentano, mit dem er in Berlin nahe befreundet geworden, zu Gastrollen erwartet ward, gefiel sein Gesang so sehr, dass sogleich eine Anstellung als erster Tenorist auf drei Jahre mit entsprechendem Gehalt erfolgte. Zwar wollten auch hier wie anderwärts Manche sein mangelhaftes Spiel tadeln; doch dürfte, wie Solche behaupten, die tiefer blicken, dieses im Allgemeinen nur von Rollen zu verstehen sein, welche seiner edlen Persönlichkeit entgegen waren. (Wie sehr würde nicht heut zu Tage das Publikum in dieser Beziehung über ihn zu klagen haben, da dieser Fall auf unseren Bühnen so häufig vorkommen müßte.) Wer Schelble in Lieblingsrollen, wie Titus, Seretus, Belmont, Joseph und Faust gesehen, wird obigem Urtheile von Herzen beipflichten. Die herrlichen Genüsse, welche seine Gesangsleistung boten, wurden leider durch einen rheumatisch-gichtiges Uebel, welches ihn befiehl, unterbrochen. Schelble, der früher völlig gesund war, maß die Ursache dieser Krankheit der Bauart des Frankfurter Theaters bei, indem, sobald der Vorhang aufging, durch die Dachöffnung eine merkliche Zugluft entstand. – Und wirklich nach des Künstlers Abgang vom Theater verlor sich gedachtes Übel sehr bald, und er genoss auf lange wie eine beste Gesundheit.

Während einer langwierigen Kur, die er zum Theil im Bade Soden brauchten, war sein Kontrakt abgelaufen und Schelble sehnte sich nicht, ihn wieder erneuert zu sehen. Sollte ihm doch der Vaterstadt Goethe’s auf andere Weise Zeit und Gelegenheit werden, sein reiches Talent zu entfalten. Freiwillig entsagte er einer ruhmvollen Theaterlaufbahn, um der Kunstrichtung zu folgen, welche seinem geläuterten, auf’s höchste gerichteten Sinn völlig entsprach.

Die erste Veranlassung zur Gründer seines später berühmt gewordenen Cäcilienvereins gab eine kleine Zahl befähigter Schüler und Schülerinnen des Gesanges, mit welchen Schelble in geselligen Zirkeln zuweilen ein oder mehrstimmige Gesangsstücke zur Aufführung brachte. Die geschmacks- und würdevolle Art, wie der Künstler diese Musiken leitete, konnte nicht verfehlen, auf die Teilnehmenden einen bedeutsamen Eindruck zu machen, und der Gedanke einer dauernden Vereinigung trat lebhaft hervor. In dieser Absicht versammelten sich die Freunde am 24. Juli 1818 und beschlossen nach kurzer Beratung, dass wöchentlich einmal und zwar Mittwoch Abends Gesangsübungen unter der Leitung Schelble’s stattfinden sollten.

Die Einrichtung dieser Gesellschaft war in erster Zeit sehr einfach und patriarchalisch, indem jedes Mitglied einen gewissen Beitrag zur Bestreitung der unvermeidlichen Ausgaben spendete und alles andere dem Meister überlassen blieb, in dessen Wohnung die Singübungen gehalten wurden. Als Hauptleitfaden diente der Grundsatz: Meisterwerke für Gesang aller Gattungen und Zeiten mit Sorgfalt einzuüben und sie in möglichst künstlerischer Vollendung auch öffentlich vorzutragen.

Man wird natürlich finden, dass zuerst nur kleinere Werke einstudiert werden konnten, um die Kräfte allmählich erstarken zu lassen, was jedoch schneller geschah, als man erwarten durfte. Bereits am 8. Oktober 1818 wurde von einem kleinen Zuhörerkreis die Zauberflöte von Mozart und am 22. November eine Kantate von Schelible mit 50 Mitgliedern des Vereins ausgeführt. Ohne einseitige Ausschließen folgte rasch hintereinander bedeutende Werke: Mozarts Requiem, Misericordias, mehrere Messen und Chöre beschäftigten den Verein um diese Zeit.

Am 21. Februar 1820 aber konnte schon Händels Alexanderfest mit Mozarts Instrumentation unter Mitwirkung des ganzen Theaterorchesters gegeben werden, während für die nächstfolgende Zeit Cherubins Requiem, Händels Empfindungen am Grabe Jesu, sowie Sebastian Bachs achtstimmige Motette: „Ich lass dich nicht!“ die Tätigkeit des Vereins in Anspruch nahmen.

Gegen Ende des Jahres 1821 zählte der Verein bereits 100 Mitglieder; die erste Probezeit war glücklich bestanden, und das allgemeine Zutrauen, welches Schelble und seine gute Sache sich erworben, ließ dem Geschaffenen eine gedeihliche Zukunft hoffen. Die Wohnung des Meisters genügte der stets wachsende Mitgliederzahl nicht mehr, und ein größeres Lokal mußte gemietet werden. Zugleich war man auch bemüht, dem jugendlichen Institute eine spätere Gestalt und Grundlage zu geben. Die reichen Mitglieder traten zusammen, um einen Ausschuss zu wählen, welcher fortan den ökonomischen Teil des Ganzen zu übernehmen sich verpflichteten, während zu des Vereins Sicherung und Bestehen mit Schelble ein Vertrag auf zehn Jahre abgeschlossen, und ihm ein ansehnliches Gehalt bestimmt ward.

Um dieselbe Zeit wurde der Meister auch von Außen eine sehr beachtenswerte Antrag gemacht, der, wenn er angenommen worden wäre, des Meisters Zukunft jedenfalls zeitlebens gesichert hätte; Schelble jedoch glaubte, im Hinblick auf die soeben eingegangenen Verbindlichkeiten, denselben ablehnen zu müssen.

Das Verbleiben in der größeren Stadt und eine mehr gesicherte Stellung daselbst mußte unserem Meister umso erwünschter sein, als das Geschick ihn eben erst mit Fräulein Molly Müller aus Königsberg bekannt gemacht, mit welcher er im Jahre 1822 ein eheliches Bündnis feierte.

Im Zusammenhang mit der neu gegründeten Organisation des Vereins begannen nun Abonnementskonzerte, welche am 12. Dezember mit Händels Oratorium „Judas Maccabäus“ glorreich eröffnet wurden. Bald folgten auch andere Werke dieses herrlichen Meisters, sowie von berühmten Musterwerken einzelne Sätze, zum Beispiel von Palestrina, Lotti, Durante, Marcello, vorzüglich aber die Schöpfung eines Mozart, Haydn, Beethoven, Cherubini und später zuweilen auch Mendelssohn. Bei solcher Vielheit und Abwechslung wird daher der Vorwurf allzu einseitig strenger Richtung wohl nur von solchen gemacht werden können, die in unterentwickelten Sinne und Geschmacklosigkeit geistlose Modewerke dem Besten an die Seite setzen und als passende Unterhaltung für sich in Anspruch nehmen möchten. Gerade darin lag aber Schelble’s großer Verdienst, dass er dem Trivialen und Schwächlichen niemals die mindeste Konzession machte, und dadurch seinen Verein auf die Stufe wahrhaft künstlerischer Vollkommenheit hob.

Ein Blick über die Gesamtleitung des Vereins lässt hauptsächlich zwei Hauptperioden unterscheiden; die erste bis zum Jahr 1828 füllen vorzugsweise Händel’s, die zweite Bach’s Werke.

Durch den bekannten Kunstphilosophen Nägeli, mit welchem Scheluble persönlich und nahe befreundet war, hat er unter anderem eine authentische Abschrift des Bach’schen H Moll Messe erhalten, nach dem Autographum, welches Nägeli nebst anderen Handschriften dieses großen Meisters besaß, während andererseits Mendelssohn es war, der dem Meister die erste Kunde von Sebastian Bach’s doppelchöriger Passion brachte, indem dieser jugendliche Künstler bei einem Besuche in Frankfurt für Scheluble mehrere Stellen aus dem Gedächtnisse aufschrieb, später aber von Berlin aus eine Abschrift der ganzen Partitur besorgen ließ.

Sehr große Sorgfalt verwendete Schäuble auf die Ausbildung des Chorgesanges, wobei er, um jede Übereilung zu verhüten, mit größter Umsicht zu Werke ging. Außer den gewöhnlichen Proben am Mittwoch wurden deshalb nicht selten Extra- oder Spezial-Proben für einzelne Stimmen, zum Beispiel des ganzen Soprans x. veranstaltet, wobei allein jene freien Feinheiten erreicht werden konnte, die einem Kunstwerk seine individuelle Vollendung geben. Aber auch dem Sologesang widmete Schäuble seine ganze Aufmerksamkeit, umso mehr, als es keine geringe Aufgabe ist, mit bloßen Musikliebhabern das zu erreichen, was streng genommen nur dem eigentlichen Künstler zugemutet werden darf. Seiner Ausdauer gelang es jedoch, mehrere Schülerinnen für diesen Zweig heranzubilden, deren vortreffliche Leistungen weit über den gewöhnlichen Dilettantismus hinausreichten.

Eine Sorge anderer Art war für ihn die Instrumentalbegleitung, indem er dahin strebte, jedes Werk mit den ihm eigenen Instrumenten ausführen zu lassen. Geraume Zeit waren die Konzerte, mit wenigen Ausnahmen, mit der einfachen, aber vortrefflichen Klavierbegleitung Schelbles ausgeführt worden. In der Folge, als die Zahl der Mitglieder bedeutend angewachsen, hatte er diese Begleitung durch einen Kontrabass zu kräftigen gesucht, und später einmal bearbeitete er Haydn’s Schöpfung und die Jahreszeiten für mehrere Klaviere, was, obgleich von schöner Wirkung, denn doch nicht ausreichen sollte und Schelble mit dem Gedanken umging, ein Instrumentalverein aus Liebhabern ins Leben zu rufen. – Ein Plan, der jedoch nie zur Ausführung kam. Es mußte deshalb Zuflucht zum Theaterorchester genommen werden, was freilich mit Kosten und Unannehmlichkeiten mannigfacher Art verbunden war, in dem diese Künstlerschaft vom Theater abhängig und daher nicht jederzeit zu Diensten sein konnte.

Unter solchen Verhältnissen hatte der Verein das Jahr 1828 erreicht. Nach 10-jähriger Mühe und Arbeit war es gelungen, den musikalischen Sinn bedeutend zu wecken und auf Großartiges, Aechtes hinzulenken. Freudig wurden die herrlichen Leistungen des Vereins anerkannt und auch die allseitige Teilnahme des Publikums fehlte nicht.

Jetzt glaubte Schelble einen Schritt weitergehen und den kühnen Plan fassen zu dürfen, die Werke des größten und tiefsinnigsten Tondichters, des Johann Sebastian Bach, zum Hauptstudium des Vereins zu erheben. Indem er den Verein dadurch das unbestreitbare Verdienst verlieh, welches dem Institute wohl die erste Stelle unter ähnlichen Deutschlands einräumte, konnte dem Meister vielleicht etwas allzu rasches Vorgehen nach dem vorgesteckten hohen Ziele zum Vorwurf gemacht werden, wenn wir bedenken, dass er sogleich zwei der größten Werke Bachs hintereinander vornahm. Doch Schelble’s genialistischer Kraft und Begeisterung war allen entgegenstehenden Schwierigkeiten gewachsen. Nach der ersten Aufführung der großen H Moll Messe schrieb er den Seinigen in der Heimat: „Es ist das erste Mal, dass von Sebastian Bach’s größeren Kompositionen eine in’s Leben getreten ist. Als ich im Vereine anfing, die aus der großen Messe gewählten Stücke einzuüben, fand ich große Hindernisse. Die meisten Sänger und Sängerinnen hatten ein Vorurteil gegen diese Komposition gefaßt. Die Schwierigkeiten schienen ihnen unüberwindlich. Selbst die besten, die es mit der Sache treulich hielten, baten mich, von meinem Vorhaben abzusehen. Ich beschwichtigte sie, so gut ich konnte, half ihrem Unvermögen durch stetes Erklären des Bach’schen Werkes auf, und siehe da, als dieses Werk aus dem Chaos heraustrat – (es klang fürchterlich in der ersten Probe) wurde es immer herrlicher und größer, und bei der ersten Orchesterprobe mußte Freund und Feind bekennen, in seinem Leben nie etwas Tieferes und Erhabener es gehört zu haben. – So siegte meine Liebe und Tätigkeit für das große Werk, welches die Kunstgeschichte aufzuweisen hat, über das Vorurteil des vorlauten Dilettantismus. – Die Aufführung war prachtvoll, an 200 Personen wirkten mit, ich hatte ein gutes Orchester: 18 Violinen, vier Violen, vier Violocelles, zwei Kontrabässe, nebst kompletter Harmonie mit Posaunen.“

Fast gleichzeitig wurde, zwar immer noch unter Mühe und Not, die doppelchörige Passion eingeübt. Als dieses merkwürdige Werk so weit gediehen war, dass es richtig verstanden werden konnte, da freute sich Jedermann über den Geistesreichtum, welcher durch Svhelble’s Bemühen erschlossen ward.

Die erste Aufführung fand am 2. Mai 1829 statt. Groß und mächtig war der Eindruck sowohl der originell charakteristischen Chöre, als auch der höchst ausdrucksvolle Rezitative und Arien voll wunderbarer Schönheit. Diese Aufführung war ganz besonders feierlich, indem Schelble den Vortrag der Rezitative des Evangelisten und Christus übernommen hatte, während etwa sechzig junge Mädchen aus der städtischen Musterschule die in dem Werke vorkommenden Choralmelodien sangen.

Der sonst so unwillkommene Bach war von nun an der Liebling des Vereins. Man überzeugte sich immer mehr, dass derselbe nicht bloß ein strenger Contrapunktist, sondern ein tiefer, feinfühlender Komponist sei.

Um aber all diese Früchte zur Reife gebracht zu sehen, hatte es eines Mannes bedurft wie Schelble vor Liebe und Hingebung für das vorgestreckte, hohe Ziel. Uneigennützigkeit hatte er in die besten Jahren seines Lebens geopfert und das Gute, was durch seine seltene Kraft und Ausdauer geschaffen war, durfte Frankfurt unbestritten zu einer seiner vorzüglichen Zierde rechnen. Umso unerwarteter muss es daher erscheinen, bald darauf eine bedenkliche Krise für das ferne Bestehen des Vereins eintreten zu sehen. Viele frühere Mitglieder waren unterdessen zurückgetreten, und eine Erneuerung des Contracts, wodurch allein der Meister und sein Institut ganz sichergestellt werden konnten, war nicht zu hoffen. In dieser unangenehme Lage entschloß sich Schelble im Jahr 1831 auf Zureden seiner Freunde, den Verein auf eigene Rechnung fortzuführen. Und wenn auch der innere Fortgang des Instituts durch alles dies nicht im Mindesten litt, so kann es doch schwerlich Frankfurt zum Lob gereichen, Schelble und seine Sache aufs Spiel gestellt zu haben.

Die größeren Konzerte wurden wie bisher mit Orchester gegeben; daneben aber fanden auch kleinere, nicht minder interessante Aufführungen im Lokal des Vereins statt, wobei manche bisher unbekannt gebliebene Gesang- und Instrumentalwerke zu Gehör gebracht wurden. Aus diesem möchte genugsam zu entnehmen sein, wie der Meister weder Mühe noch Opfer scheute, um den Ruhm und das Gedeihen des Vereins aufrecht zu erhalten.

Gleichen Schritte mit Schelble’s Tätigkeit als Direktor hielten seine Bemühungen im Gebiete des Unterrichts. Nachdem der von ihm gegründete Verein bereits die höchste Stufe erreicht hatte und ein glückliches häusliches Leben dem genügsamen Manne wenig äußerliche Wünsche übrig lassen mochten, da gerade ließ es sich Schelble, von einem wohlverdienten Ruhm keineswegs lässig gemacht, auf das eifrigste angelegt sein, immer mehr den Mängeln und Lücken der musikalischen Bildung nachzuspüren; umso mehr, als diese es waren, welche ihm bisher so manche Mühe und Kämpfe bereitet hatten. Als Grund des Übels wurde von ihm erkannt, dass die Meisten die Musikin zu vorgerücktem Alter erlernen, das heißt in einer Zeit, wo die eigentliche Epoche der Bildungsfähigkeit schon vorüber ist. Vielfältige Versuche, welche Schelble bei Kindern anstellte, überzeugten ihn, dass je früher der Unterricht beginne, desto erfreulichere Resultate zu erwarten sein; eine Wahrnehmung, auf welche er seine, (wenn auch nicht allgemein) bekannt und sogar berühmt gewordene Singmethode, oder richtiger Gehörsbildungsmethode für Kinder gründete.

Diese Unterrichtsweise geht dahin, bei Kindern im zarten Alter das musikalische Gehör oder den Tonsinn auf naturgemäß neue Art zu wecken und stufenweise bis zu möglicher Vollkommenheit auszubilden. Leider hat uns der Meister, außer einer „kurzen Anleitung zur musikalischen Elementarunterrichte“ keine ausführliche Theorie seiner Methode hinterlassen. Doch ist hinlängliches Material selbst komponierter Übungsstücke vorhanden, von dem ersten Anfange mit drei Tönen bis zum ganzen Umfange der C Dur Tonleiter, nebst Ausarbeitung des harmonischen Theils oder der Akkorde.

In der geschriebenen Anleitung sagt Schelble: „Manche glauben, es gebe Kinder, die kein musikalisches Gehör besitzen; ich selbst war der Meinung; denn es gibt Kinder, welche mit zehn oder elf Jahren Musik zu lernen anfangen, und es zeigt sich, dass sie kein Gehör haben; nicht einen Ton sind sie imstande aufzufassen. Solche Beispiele habe ich viele gehabt. Dieser Mangel findet sich jedoch bei keinem einzigen Kinde von 4 bis 5 Jahren, mit welchem auf obige Art verfahren wird; alle werden ohne Unterschied Ton und Melodie auffassen. – Die Kinder lernen nach derselben Methode Musik, ehe sie noch Anderes zu begreifen imstande sind; ja sie sollen mit dem Schwersten schon fertig sein, ehe sie Weiteres beginnen. Fangen sie im vierten Jahre bei einigermaßen günstigen Naturfähigkeiten an, so werden sie mit den 7. nicht nur jene Melodie der Dur- und Moll- Leiter richtig hören und notieren, sondern sie werden auch alle Dreiklänge und ihre Versetzungen, so wie alle Vierklänge mit letzteren sicher hören, was viele Tausende, die ihre ganze Lebenszeit mit Musik sich beschäftigen, nicht können.“

Ohnerachtet Schelble seine Lernmethode nur für den Umfang der C Dur Tonleiter auszuführen Zeit gefunden, kann der Lehrgang noch gewissermaßen als abgeschlossen betrachtet werden, weil die Anwendung der noch übrigen fünf Töne keine so große Schwierigkeiten hat, als auf den ersten Blick scheinen möchte. Wenn diese treffliche Methode bis jetzt auch immer nicht im allgemeinen bekannt geworden, so sie verdient, so mag es vielleicht in den Umstande liegen, dass sie eben mehr unmittelbar praktisch, als bloß nur theoretisch mitgeteilt werden will; jede Willkür und Voreiligkeit oder Schaden bringen und die gehofften Vorteile im Voraus vernichten würde.

Was den eigenen Bildungsgang unseres Künstlers betrifft, so muss es auffallen, dass er im ganzen wenig Unterricht genossen, während er selbst eine angeborene Neigung in sich trug, unterrichtend und belehrend auf seine Umgebung einzuwirken. Selbst als Theatersänger suchte Schelble nach Umständen, in diesem Sinne tätig zu sein, in denen er die Kollegen die sich ihm zu nähern verstanden, gewissermaßen als Schüler betrachtete. Denn nicht nur teilte er diesen seinen Erfahrungen und Ansichten über Gesang gerne mit, sondern er sang mit ihnen Szenen, Arien, ja selbst ganze Opern am Klavier durch. Und noch mögen manche dieser Sänger und Sängerinnen leben, die Schelble’s Andenken dankend feiern.

Schelble selbst war eigentlich zum Sänger geboren; wie denn überhaupt alles dabei von einer glücklichen körperlichen und geistigen Organisation abhängt. Bei Schelble fand diese Organisation in glücklicher Vereinigung statt. Nebst einer vortrefflichen psysischen Bildung dürfen wohl die Hauptpunkte, Verstand und Gemüth, nur selten in so richtigem Verhältnis, wie bei ihm, zu finden sein. Seine Stimme war von Natur mehr hoher Baß, als eigentlich Tenor; aber durch fleißiges Studium hatte er den bedeutenden Umfang vom tiefen C bis zum hohen G oder A der kleinen Oktave erlangt. Über diese Töne von seltener Biegsamkeit und Gleichmäßigkeit war der Sänger völlig Herr und Meister, während Kraft und Wortlaut sein herrliches Organ schmückten, das leise An- und Verklingen der Töne, wie nicht minder die große Fertigkeit, die schwersten Gänge, Läufe und einen vollendeten Triller zu singen, waren bewundernswert; doch muß bemerkt werden, dass Schelble von diesem Prunk nur höchst selten und in späteren Zeiten gar keinen öffentlichen Gebrauch machte, weil er seinen Geschmack weit mehr zusagte, dem einfachen, zugleich aber künstlerisch vollendeten Vortrag seine Meisterschaft zu zeigen. „Ich kenne“, sagt er in dieser Beziehung von sich „viele Sänger welche mit schöner Stimme als die meinige ist, begabt sind. Was ich aber zu haben glaube ist: dass ich jedes Gesangsstück nach seinem wahrem Charakter vorzutragen verstehe“. Und wahrlich wer ihn hörte, mußte bekennen, dass sich bei ihm eine Art des Gesanges geltend mache, wie man sie noch nicht gehört hatte.

Nachdem Schelble das Theater (mit der Rolle „Tancred“) auf immer verlassen, war seine ganze Wirksamkeit als Sänger ausschließlich dem Cäcilienvereine gewidmet, wo diese Tätigkeit gerade bedeutend wurde, indem er nicht nur als Sänger überhaupt einen mächtigen Einfluss auf diese Anstalt ausübte, sondern auch viele vorkommende Solo’s selbst übernahm und sie jederzeit zur großen Erbauung der lauschenden Zuhörer vorzutragen wußte.

Was von dem Meister als Sänger gesagt ist, kann in fast gleichem Maße auf ihn auch als Klavierspieler angewendet werden. Er spielte zwar, Gesangsbegleitung ausgenommen, nie öffentlich und wollte überhaupt als Spieler ex professo nicht angesehen werden, allein seine Art und der reine Geschmack, mit welchen er das Instrument behandelte, waren vortrefflich. Ein schöner, gleichmäßiger Anschlag, verbunden mit bedeutender Fertigkeit, welche jedoch nie in die Sphäre des Virtuosentums ging, bezeichneten sein durchdachtes und höchst anspruchsvolles Spiel ohne alle Affectionen und kleinliches Effektaschen, wobei allerdings der gebildete Sänger nicht zu verkennen war, in den er die Tasten gleichsam zum Singen brachte. Die Werke eines Mozart, Beethoven und Bach konnte man unmöglich schöner als von ihm vorgetragen hören.

Es wird wohl kaum der Versicherung bedürfen, dass bei einer Kunstrichtung wie die Schelble’sche war, alle Halbheitheit und Scheinstreben einen strengen Richter gefunden haben werde. Bezeichnend in dieser Hinsicht ist die Antwort, die er einst einem Kunstjünger gab, der ihn bescheiden um die Erlaubnis fragte, den Vereinsübungen manchmal beiwohnen zu dürfen. „Wenn Sie nur manchmal kommen wollen“, entgegnete Schelble, „so kann ich es Ihnen nicht erlauben, wollen Sie den Verein aber regelmäßig besuchen, so sind Sie mir jederzeit willkommen.“ Eine solche, auf nur das Innerste und Wahre gerichtete Gesinnung konnte natürlich auch nur wenig Behagen finden an sich vielfach verbildeten Zuständen unserer modernen Salon- und Modelebens. Obwohl ausgerüstet mit seltenen geselligen Talenten und auch einer durchaus bedeutsamen Persönlichkeit, suchte und fand er allein nur Erholung und Genuss im Geiste vertrauter Freunde.

Schon früh hatte er in seiner Vaterstadt, mit welcher noch Eltern und Geschwister lebten, ein kleines ländliches Besitztum erworben und hergerichtet, wo er alljährlich zur Sommerzeit sich aufzuhalten pflegte.

Hier, in der wohlbebauten Hochebene in der Nähe des Schwarzwaldes, verlebte der genügsame Manne an der Seite seiner würdigen Gattin die heiteren Stunden. „Wie glücklich bist du“, heißt es in einem Schreiben an seinen Schwager, welcher um die Zeit dort ein Stück Bergfeld zu kultivieren angefangen, „wie glücklich, dass du deinen Berg- und Baumgarten täglich sehen und besuchen kannst, während ich getrennt von einem meine liebsten Lebensgenüsse lebe, und auch noch von vielem Anderen. Kommen und gehen, mich freuen und betrüben, scheint mein Loos zu sein. Wir gehen oft spazieren und vergleichen hundertmal unsere Besitztum mit dem Gesehenen. – Es ist eben nicht der Garten allein, was mich fesselt, an dem hängt ein Ideal, also ein Ding, wovon das jetzige Leben sehr verschieden ist – und das ich vielleicht nie erreiche!“

Als Schelble hörte, dass in seiner Heimat die Straßen mit Bäumen bepflanzt werden sollen, schrieb er einem Freunde: „Hoch erfreut bin ich, dass endlich von Oben für die Verschönerung der Städtleins und der Gegend etwas getan wird. Möge die Sache mit Liebe und Strenge betrieben werden, das wünsche ich aus hundert Gründen tausendmal. Wissen möchte ich wohl, wann der erste Baum gesetzt wird, ich möchte diesen Tag feiern.

Wohl machte schon dazumal das Leben der größten Stadt von jenen bedrohlichen Vorzeichen der Bewegung und politischen Zwiespältigkeit, welche bald nachher den Frieden der Gesellschaft auf bedenkliche Weise zu stören drohten, Manches ahnen lassen.

Die Worte, welche Schelble aus Anlass der bekannten Frankfurter Unruhen anfangs der dreißiger Jahre brieflich anspricht, scheinen mir im Hinblick auf unsere nächste Vergangenheit etwas Prophetisches zu haben: „Wie auch die Ansicht und Empfindung eines jedes Einzelnen sein mag“, schreibt er, „Jeder fühlt sich auf seine Art höchst unangemessen berührt, und Zerwürfnis, Misstrauen und Feindschaft im Kleinen wie im Großen werden leider durch solche Ereignisse immer häufiger und somit das Leben trüber werden. Da ist es denn gut, wenn wir im kleineren Kreise einer erquicklichen Häuslichkeit uns einer Kunst oder Wissenschaft hinzugeben, das Glück haben.“

Und gewiss Schelbe’s reiches Gemüt und uneigennützig Strebende fand dieses Glück jederzeit in sich selbst und in dem Anteil und der Verehrung Aller, die mit ihm durch Beruf oder Freundschaftsverhältnisse in näherer oder entfernter Berührung kamen.

Auf’s lebhafteste und mit richtigem Sinn und Geschmack interessierte sich Schelble auch für alle Erscheinungen auf dem Gebiete der bildenden Kunst, ohne sich jedoch jenen leidigen sogenannten Kunstkennern beizählen zu wollen, die entweder in falsch verstandener Toleranz das Schlechte mit dem Guten gleichberechtigten, oder unfertigem Absprechen ihrer Meinung als gültigen Maßstab hurtig und flink und das Höchste und Vollkommenste unbedenklich anlegen möchten. Das Städel’sche Institut in seinem Anfang und Fortgang gab Gelegenheit genug, dem mit mehr als gewöhnlicher Liebhaberei gehegten Kunstinteresse Schelble’s einen Anhaltspunkt zu geben; sowie denn auch unter den in Frankfurt lebenden Künstlern mehrere waren, die zu seinen näheren Freunden zählten, mit welchen ein geselliges Verhältnis stets auf das Beste gepflogen ward.

Im Vorbeigehen mag hier noch erwähnt werden, wie der fein und gründlich gebildete Musiker sich mit Vorliebe für den Volksgesang interessierte. Es war ihm nicht zu geringfügig, bei Gelegenheit seines Sommeraufenthaltes in Vaterort zuweilen vorbeiziehende, singende Landleute, Schnitter und Schnitterinnen, zu sich in seinen Garten einzuladen, um an ihren Gesänge zu sich zu ergötzen. Ja, er schrieb sich manchmal diese Lieder auf, jedoch nicht um sie, wie es heutzutage geschieht, für den Salon oder die gebildete Welt zustutzen zu wollen.
*Es ist auffallend, dass da, wo (auf dem Lande) die, unserer Zeit so betriebenen Männergesangsvereine bestehen, der Volksgesang, diese gleichsam wildwachsende, aber frisch duftende Blüte auf dem Felde der Tonkunst, verschwindet. – Sonderbar, nachdem im 14. Jahrhundert die Meistersänger-Zunft entstanden war, hatte die Poesie bereits aufgehört. – Vielleicht dass einmal nach 50 Jahren ähnliche Betrachtungen auch über unsere Konservatorien, Akademien und zum Teil auch über die Universitäten angestellt werden.

Die Haupttätigkeit des Mannes aber war und blieb dem Vereine zugewendet. Die Zeit hatte zwischen ihm und einem herangeblühten Stamme der Mitglieder ein Band geschlungen, welches auf lange und glückliche Zukunft hoffen ließ; -allein das Schicksal hatte anderes beschlossen. Gegen das Jahr 1834 fing des Meisters Gesundheit an, schwankend zu werden; doch blieb Schelble noch immer in gewohnter Tätigkeit, bis gegen Ende des nächsten Jahres, wo sein Zustand bedenklicher wurde und er, zuerst auf kurze Zeit, dann auf immer dem Vereine entsagen mußte.

In peinlicher Untätigkeit wurde der Winter verbracht, und mit kommendem Frühjahr (1836) schied der Meister von Frankfurt nicht ohne ein Vorgefühl, dass er wohl für immer sein werde.

Im Bade Gastein hatte er vergeblich Heilung gesucht; ist so mächtig in die Heimat zu, wo er in der stärkenden Luft des Hochlandes Besserung hoffen durfte. – Und wirklich schien erneutes Leben noch einmal wiederkehren zu wollen – doch war es leider nur Täuschung – das Vollgefühl der Gesundheit kehrte nimmermehr wieder. Demungeachtet war er noch immer unausgesetzt thätig. Nebst der Sorge für die häusliche Einrichtung seiner kleinen Gartenwohnung beschäftigte ihn der Singunterricht der Kinder, die er um sich versammelt hatte; auch hier im Kleinen, wie früher im Großen, wollte er den Sinn und die Empfänglichkeit für das Schöne wecken und fördern. – Frohe Hoffnung gänzlicher Genesung beschlichen die Brust der Seinigen; um so unvorbereiteter traf sein plötzliches Dahinscheiden.

Es war am 6. August des Jahres 1837, an einem Sonntag, als das Totenglöcklein der Stadtkirche üblicherweise den Einwohnern verkündete, dass ein Mensch aus ihrer Mitte geschieden sei. – Es war das Scheidezeichen für Johann Nepomuk Schelble. – Im Geleite der Seinigen hatte er denselben Tag einen Spaziergang auf ein entferntes Grundstück unternommen, als er zurückkehrend am Eingange seines Gartens von einem Blutsturz befallen wurde, der seinen Leben in den Armen seiner Gattin ein schmerzliches schnelles Ende machte.

Ein Mitglied des Cäcilienvereins (Johannes Weismann) unternahm es, für die Freunde in kurzgefassten Zügen eine Schilderung des Lebens und Wirkens des Verewigten zu entwerfen. Und wohl darf er als die Denkweise Vieler betrachtet werden, wenn der Verehrer am Schlusse seines Nekrologs ausruft: „Fürwahr, ein ungewöhnlicher, ein großer Mensch ist mit ihm von der Erde geschieden; denn seine Aufgabe war eine große, und er hat sie im großen Sinn aufgefaßt und gelöst. Darum erkannte sich der Verein mit tiefem Schmerze verwaist, als er sich ihm die Überzeugung aufdrang, dass Schelble ihm unwiederbringlich entrissen sei. Darum ist es so natürlich, dass wir immer von Neuem an ihn erinnert werden, dass wir ihn immer wieder vor unserem Geistesauge erblicken, den Mann mit der großen Stirne, mit dem edelgebildeten Haupte, dem tiefblickenden Auge, wie er anspruchslos am Klavier saß und mit klarem, ruhigen Sinn die Tonwelt, das Ganze wie das Einzelne beherrschte“.

Noch besteht der von Schelble gegründete Cäcilienverein, ein lebendes Denkmal des Dahingeschiedenen. Und wenn auch der öftere Wechsel der Direktion nach Schelble der Sache nicht vorteilhaft sein konnte, und daher Manches vom ursprünglichen Geiste verloren gegangen sein mag, so darf dennoch nicht verkannt werden, dass der Sinn und die Richtung des Geschmackes für gediegene Musik im Ganzen erhalten blieb.


Lucian Reich zitiert hier viel aus Briefen von Johann Nepomuk Schelble die ihm damals wohl vorgelegen haben. Hier kommen wieder die selben Künstler vor die in den letzten Kapitel erwähnt wurden:

Johann Nepomuk Schelble (16.05.1789-06.08.1837) kam also über Stuttgart, Wien, Prag und Berlin nach Frankfurt.

Nebst verschiedenen Quartetten schrieb Schelble damals auch eine Oper „Graf Adalbert„, zu welcher Krebs den Text gedichtet hatte.

Graf Adalbert ist eine Oper in 3 Akten (1813 Stuttgart). Leider ist wohl nur der Text überliefert, die Musik gilt als verschollen.

Es konnte daher nicht fehlen, daß der junge Mann Gelegenheit fand, mit bedeutenden Künstlern in seinem Fache bekannt zu werden; unter diesen Weigel, Spohr, Meyfeder, Kreuzer, Schuppanzig und vor Allen Beethoven….Auch mit Händel’s großen Werken hatte Schelble hier (in Wien) Bekanntschaft gemacht.

So gab Johann Nepomuk Schelble als Initiator und bewegende Kraft einen Takt vor, der Frankfurts Chöre noch 175 Jahre nach seinem Tod durchpulst. Solange sie singen, kann man ihn, mag auch das Bild seiner Persönlichkeit verblasst, sein Name vergessen sein, noch heute „hören“.

https://www.caecilienchor.de/UeberUns/Schelble.shtml

1822 heiratete Schelble das Fräulein Molly Müller aus Königsberg.

Leider lässt sich über Molly Müller nichts mehr weiter herausfinden, außer, dass die Ehe anscheinend kinderlos blieb.

In Hüfingen erwarb Schelble 1824 ein „Landgütchen“, das er sein „Ruhetal“ nannte.

Foto: Karl Schweizer etwa 1980

Lucian Reich berichtet über Schelbles Engagement in Hüfingen und von den Pflanzungen der Hüfinger Anlage, die mit den Freunden der Natur Hüfingen errichtet wurde und teilweise auch von den selben „Baunausen im Geiste“ zerstört wurden, deren Nachfahren auch heute noch in Hüfingen Unheil stiften:

Mit 48 Jahren starb Schelble in den Armen seiner Frau Molly Müller am Eingang seines Hüfinger Hauses an der Bräunlinger Straße.

Wanderblühten – Schlußwort

Wanderblühten – Das Buch

Zur Übersicht gehts hier:

204 Jahre Zerstörung der Anlage

Dieser Artikel ist nicht mehr aktuell und wird im Winter 2025 geändert werden!
Die Chronik von August Vetter stimmt nicht, im August 2025 habe ich mir die ganze Akte StAF B 695/1 Nr. 731 aus Freiburg über die Freunde der Natur Hüfingen kopiert.

In Erinnerung an die Zerstörung der „neuen“ Anlage!
Zur Mahnung, da Bäume auch über 200 Jahre später, immer noch unerwünscht sind!
Für eine Zukunft der nächsten Generation mit Bäumen!

Wie die Blätter am grünen Stamme wachsen und abfallen,
so die Geschlechter der Menschen.
Das Eine stirbt ab und ein Anderes wird geboren.

Auch 204 Jahre später leben wir noch.
Für die Hüfinger Natur!

aktualisierter Originalartikel vom 5. März 2021

Vor 200 Jahren gab es in Hüfingen den Verein „Freunde der Natur“. Diesem Verein gehörten Hüfinger Künstler um Luzian Reich senior an. Mit dabei war auch Johann Nepomuk Schelble, der Bruder von Maria Josefa Reich und einer der Gründer des Cäcilienvereins in Frankfurt a. M.

Johann Nepomuk Schelble
(1789 -1837)
Zeichnung von unbekannt.

Die Freunde der Natur entschlossen sich in Hüfingen mehrere Anlagen zu erbauen.

„Die Ruhe im Tempel der Natur besänftiget die Stürme des Gemüts“ war die Inschrift an der „Johannishütte“ in den gemeinsam von Bürgern und Beamten geschaffenen „Anlagen“ im nahen Tannengewälde des „Rotenraines“. (Lucian Reich im Denkbuch)

Eingang der Anlage von der Nordost Seite. Gewidmet Seiner Wohlgebohren Herrn Hofrath Baur, Director des Vereins gezeichnet von Luzian Reich senior 1820

Eingang der Anlage von der Nordost Seite. Gewidmet Seiner Wohlgebohren Herrn Hofrath Baur, Director des Vereins gezeichnet von Luzian Reich senior 1820
StAF B 695/1 Nr. 731

Fast die ganze Stadt Hüfingen stand hinter der Anlage und sehr viele hatten geholfen sie aufzubauen. So wurde ein Steg über die Breg gebaut und ein Forstweg errichtet. Auch wurde eine Kapelle errichtet mit einem „Joseph in der Wüste“. Die Anlagen ist in „erstaunungswürdiger Anstrengung“, so der damalige Hofrat Anton Baur, in kürzester Zeit entstanden. In der Nacht zum Fasnet Sonntag, vom 4. auf den 5. März 1821, wurden große Teile in der Nacht von Frevelern zerstört.

39 – Lehrer Reich
40 – Musiker Schelble

Mitgliederliste der Freunde der Natur 1833.
(Staatsarchiv Freiburg Akte Rotrain StAF B 695/1 Nr. 731)

In der Akte vom Staatsarchiv ist die Abschrift eines später verfassten Spottgedichts über die Zerstörungsnacht mit dem Akrostichon: „FALLER AUER RUF“ vorhanden. Der Verfasser des Gedichts wollte damit auf die Identitäten der Missetäter hinweisen (Landesarchiv Baden-Württemberg).

Spottgedicht von 1821
Staatsarchiv Freiburg B 695/1 Nr. 731

Abschrift

Die Zersterung der neuen Anlag in der Nacht vom 4. auf den 5. März 1821

Fallet Bäumchen fallet
Alles heute nacht erschallet
Laut vom Jubelthon
Luna selbst wird mich erheren
Eine Anlag zu zersteren
Ruf ich auch noch Pluto an

Als uns gedanken=Räthe niemand wollte Mehren
Unterstand ich mich, und half zersteren
Ein Erholungsort sehr angenehm und schön
Ruf ich jetzt Ruhe es ist geschehen.

Ruft nicht so laut! Sprach nach vollbrachter That ein Heüchlerischer Bether
Und nehmt euch wohl in Acht, es gibt ein fürchterliches Wetter.
Fort fort es ist geschehen, wir müssen jetzt ganz still nach Hause gehen.

Ein alter Briefkopf zeigt Hüfingen etwa 1840 mit den Pappelpflanzungen und der Anlage am Rotrain.

Ein alter Briefkopf zeigt Hüfingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Pflanzungen der Freunde der Natur.

Die Namen der Zerstörer der Anlage waren damals bekannt, aber sie wurden vor einem Verfahren geschützt. Der Schutz ging noch bis ins Jahr 1984 in die Chronik von August Vetter über. So steht zu den Freunden der Natur in der Chronik gleich gar nichts, sondern es wird nur eine „Baumschule“ erwähnt:

Äpfel- und Birnbäume sollten in ihr gezogen werden. Mit besonderem Eifer setzte sich Oberamtmann Bauer für diese Baumschule am Rotrain ein. Oberlehrer Luzian Reich und Stadtrat Josef Burkhard überwachten die Ausführung der Pläne, die auch eine Allee zur Baumschule vorsahen.

Diese Allee wurde mit 400 Pappeln bepflanzt, die vom Fürsten Karl Egon von Fürstenberg gestiftet wurden. Er übernahm auch den größten Teil der Kosten für den Steg im Mühlöschle, der dort über die Breg führte und 1823 gebaut wurde.
Als die Anlage fertiggestellt war und die Bäume kräftig heranwuchsen, wurden in der Nacht vom Fastnachtssonntag zum Fastnachtsmontag in dieser Anlage 216 Bäume frevelhafterweise umgehauen.
Zwar wurden die Täter ermittelt, aber im Hinblick auf deren Familien schonlich behandelt.

Chronik von August Vetter 1984

Die heute kaum noch erkennbare Anlage mit den 216 Bäumen befand sich im Gewann Rotrain also westlich vom Römerbad.

Gewann Rotrain

Was noch lange stand war das sogenannte „Waldhisli“. Heute befindet sich auf dem Fundament ein Teil vom Römerpfad und es war ein Teil vom nicht realisierten Konzept des Architekten Hermann Sumser.

Weg durch den alten Steinbruch angelegt durch die Freunde der Natur 1820
Der Weg führte zur Kapelle mit einer Statue des heiligen Johannes in der Wüste auf dem Giebel

Das Waldhisli wurde vermutlich auf das Fundament der Johannes Kapelle gebaut

Schild auf derAnlage am Rothrain mit Waldhisli

Stein vom Fundament

Die Zerstörung der Anlage wird auch im Hieronymus von Lucian Reich junior in Kapitel 5 mehr- oder weniger thematisiert:

Das schien auch dem Kleinen das vernünftigste zu sein; und der Vetter sagte ihm dann, sie wollten jetzt noch einen Gang durch den fürstlichen Hofgarten machen. Der Hofgärtner besorgte früher den Dienst im Schloßgarten zu Hüfingen, wo ihn der Feldwaibel oft besucht und manche Tulpenzwiebel oder sonstige Sämerei von ihm erhalten hatte. Sie trafen den Mann im Garten, vor dem Treibhaus; und während er ihnen bereitwillig die Pflanzen und Blumen zeigte, erzählte er seinem Freunde, daß die fürstliche Regierung nächstens einen Befehl ergehen lassen werde zur Bepflanzung der Landstraßen mit Obstbäumen. „Es ist wahrhaftig kein Überfluß”, meinte er, „wenn die Baar mit Bäumen geziert wird. Denn, sagt selbst, Feldwaibel, ist es nicht ein trostloser Anblick, wenn man zum Beispiel aus dem schönen Kinzigtal heraufkommt und unsere baumlose Hochebene überschaut?”

„Wie man’s nimmt”, entgegnete der Feldwaibel. „Als Gärtner habt Ihr vollkommen recht. – Fragt aber einmal einen Bauern, der wird Euch sagen, daß es in der Welt nichts Schöneres gebe als so ein glatter Fruchtösch, Feld an Feld wie ein Schachbrett – insonderheit wenn die Ernt reif ist und das Aug über die gelben, im Sonnenschein wie ein Meer schwankenden Kornfelder hinschauen kann.”
„Ganz richtig”, versetzte der Hofgärtner. „Hätt ich aber zu befehlen, so müßte mir jeder Bauer wenigstens ein halbes Dutzend Obstbäume in jeden Acker pflanzen.”
„Würde nicht lang guttun”, meinte der Feldwaibel, „der Bauersmann ist kein Freund vom Schatten; und das hiesige Klima ist dem veredelten Obstbaum nicht günstig. Besser als das wäre meines Erachtens, wenn man das Wildobst im Wald und Feld mehr schonen würd. Erinnere mich noch recht wohl, wie wir daheim den ganzen Winter über gedörrte Holzäpfelschnitz oder teige Holzbirnen im Vorrat gehabt haben. Und eine ordentliche Kunkelstube hätt Euch den Abend nicht rumzubringen gewußt, wenn die Spinnerinnen keine Schnitz oder gedörrte Schlehen zum ‚Annetzen’ gehabt hätten. – Und jetzt noch darf in keinem rechten Bauernhaus das Fäßle hinterm Ofen fehlen, in dem die Bäurin ihren Essig aus Wildobst aufbewahrt.«

„In dem Punkt mögt Ihr recht haben, Feldwaibel”, räumte der Hofgärtner ein. „Andernteils aber müßt Ihr wieder zugeben, daß so manches unbenützte Plätzlein um Haus und Dorf vorhanden ist, wo ein Baum, gleichviel, ob Obstbaum oder sonst einer, recht gut stehen und niemand im Weg sein würde.”

„Einverstanden, Herr Hofgärtner, bin ganz Eurer Meinung”, sagte der Feldwaibel, „und bedaure nur, daß der alte Brauch mit Pflanzen von Linden so ganz abzukommen droht. Denn abgesehen von den Gemeindelinden ist keine Kirch, kein Kirchhof, keine Kapell oder Schützenhaus gewesen, wo früher nicht Linden hingepflanzt worden sind. – So ein Lindenbaum aber ist für den Landmann eine kleine Apothek, wo er den Lindenblütentee umsonst haben kann, für die Immen im Frühling aber eine wahre Honigweid. – Und daß auch der Holzbildhauer am liebsten zum Lindenholz greift, wenn er etwas Schönes machen will, ist bekannt.“

Kapitel 5 Hieronymus

Zum Tod von Hermann Sumser

Unser herzliches Beileid an seine Witwe und allen Angehörigen.

Hier stellte Hermann Sumser im April 2021 das Brigobannis-Projekt im Hieronymus vor:

Brigobannis auf kulturellen Abwegen

06.04.2021 von Hermann Sumser

Statt nach der Realisierung der Fußgängerbrücke über die Breg ein nächstes Element im Rahmen des „Brigobannis-Projektes“ anzugehen,  riskiert man auf Anraten der CDU-Fraktion wie ich annehme lieber den Untergang dieses Projektes und der angesagten 50%-Zuschüsse des Landes, um das verfügbare Kapital für das nächste Großprojekt der Stadt anzusparen: z.B. die Umwandlung von Grünlandschaft in kommunales Bauland in der Kernstadt und in den Ortsteilen entgegen der Umweltpolitik des Landes und riskiert damit auch noch den Verlust der verfügbaren Finanzen  durch riskante Geldanlagen, die keinesfalls dem Fachbeamten allein anzulasten sind, sondern der politischen Vorgabe durch den Bürgermeister und die CDU-Fraktion, wie ich annehme.

Nun nach dem möglichen Verlust von 3 Millionen und dem großzügigen Verlust von Zuschüssen zum von Anfang an verunglimpften Projekt des „Römerparks“ kann man sich wohl die Wunschvorstellungen der Rekonstruktion von Serpentinenpfaden zum ehemaligen Waldhaus im „Roten Rain“ und hoch vom Römerbad zum Galgenberg und die Landschaftsgestaltung zur optischen Wiedergabe des Kastells auf dem Galgenberg bis zum Beispiel  die Umwandlung der leer stehenden Wasserreservoire in Schauräume zur Ausstellung von wichtigen Repliken des „Hüfinger Reiters und anderer spektakulären archäologischen Fundobjekten an den Hut schreiben; wahrscheinlich auch das Vorhaben der Darstellung des „Unteren Tores“ im Städtle als wichtigen Abschluss der Straßengestaltung in den letzten 10 Jahren, die das Städtle attraktiver gestalten  und das Geschichtsbewusstsein der Einwohner stärken soll.

Vermutlich können sich die Hüfinger Bürger auch das begehbare Archiv  im Erdgeschoss des Hüfinger Rathauses und die Ausstellung der Hüfinger Geschichte dort vergessen, weil kein Geld für sowas „Überflüssiges“ nach einem solchen Verlust mehr da ist, zumal auch noch die Großinvestition der Erneuerung des Schwimmbades ansteht. Wie schön, dass man immer die verzichtbaren Kultur-Investitionen im Auge hat. Schon einmal wie vor 200 Jahren, als einige engagierte Personen, wie z.B. Luzian Reich der Ältere die Hüfinger „Anlagen“ und jene noch heute wunderbare Fußgänger-Baumallee als Zugang, zum Teil sogar auf eigene Kosten,  realisiert haben und dafür von den Hüfinger Normalbürgern belächelt wurden. 

Liebe Hüfingerinnen, liebe Hüfinger,

was macht Hüfingen im Vergleich zu den umliegenden Städten zu etwas Besonderem, das es immer wieder zu stärken gilt? Es sind die Zeugnisse aus der Frühgeschichte und das Stadtbild aus der mittelalterlichen Geschichte der Stadt.

Vor mittlerweile  60 Jahren hatte mich eines Tages Altbürgermeister Max Gilly zu meiner Überraschung nach bestandenem Abitur ins Rathaus rufen lassen, um mit mir über die Zukunft von Hüfingen zu sprechen. Auf seine Fragestellung habe ich ihm damals geantwortet, dass das größte Kapital von Hüfingen seine mittelalterliche Altstadt ist. Wenige Jahre später gehörte Hüfingen zu den ersten Antragstellern an die zuständige Behörde der Landesregierung nach Aufnahme in das neue Städtebauförderungsprogramm. Die folgenden Jahre waren in Hüfingen geprägt von den Sanierungsmaßnahmen in der „Hinterstadt“, später in der „Vorderstadt“, schließlich in der Unterstadt, in der Folge auch von den Auseinandersetzungen um den Erhalt von historischen Häusern in der „Hinterstadt“, dem Sanierungsgebiet Nr. 1. Als ein von Bürgermeister Gilly an mich beauftragtes  Gutachten im Ergebnis das Zerschneiden des besonderen Baudenkmals in der Hinterstadt Nr. 7-9 in Frage stellte, dessen Abbruch schon vorgesehen war,  scheiterte bei unserem Antrag zur Bewahrung dieses nach Aussage des zuständigen Denkmalschützers, der sich voll hinter mein Gutachten zur Bewahrung diese bedeutenden Baudenkmals stellte, unser Antrag zum Erhalt in der anschließenden Gemeinderatssitzung an der CDU-Mehrheitsfraktion. Der Abbruch wurde nach Beschluss im Gemeinderat vollzogen.

Vor nunmehr mehr als 30 Jahren hat das Land Baden-Würrtemberg auf einen Hinweis des inzwischen als Nachfolger gewählten Bürgermeisters Anton Knapp auf die heruntergekommene Ruine des „Römerbades“ auf eigene Rechnung des Landes das Ruinenfeld wieder rekonstruiert  und in aufwändiger  Form eine Besichtigungsbühne auf halber Höhe über den Ruinen mittels einer Stahlkonstruktion einbringen lassen und damit dem bedeutenden Baudenkmal wieder zu neuem Glanz verholfen. Wenige Jahre später habe ich das Projekt „Brigobannis“ mit mehr als 20 Einzelelementen konzipiert vom „Pavillon“ über die Tribünen an der Römerwiese, über eine Brücke über die Breg in Fortsetzung der früheren Römerstraße, über die Reaktivierung von historischen Pfaden im Umfeld des Römerbades bis hin zum ehemaligen Waldhaus im „Roten Rain“ mit Aussicht auf die Altstadt, über die Darstellung des ehemaligen Kastells auf dem Galgenberg mit landschaftlich gestalteten Außenanlagen bis hin zum Ausbau von zwei vorhandenen unterirdischen Wasserreservoiren, die aufgegeben wurden, weil sie technisch überholt waren zu unterirdischen Schauräumen, in denen die bedeutenden Funde der Hüfinger Geschichte aus den verschiedenen archäologischen Grabungsfeldern, die in den Archiven des Landes ruhen,  in Hüfingen präsentiert werden sollten über den Einbau eines unterirdischen Verbindungsbauwerks zwischen den unterirdischen Schauräumen und die Herstellung von Repliken dieser Fundgegenstände. Das Projekt wurde von Bürgermeisetr Knapp aufgenommen und mit der Zentrale des Denkmalschutzes in Esslingen kommuniziert. Der damalige Präsident des Landesdenkmalschutzes Professor Dr. Bader erschien persönlich zu einer Besprechung in Hüfingen und hat seine Zustimmung signalisiert. Das Regierungspräsidium in Freiburg hat das Projekt begrüßt und die Bezuschussung in Höhe von 50% der jeweiligen Baukosten in Aussicht gestellt. Im Gemeinderat in Hüfingen habe ich das Projekt vorgestellt. Einige Elemente wurden realisiert und zu 50% bezuschusst, andere scheiterten bislang am Einspruch der CDU-Fraktion und wurden vorerst zurückgestellt. 

Ein anderer Projektvorschlag: das „Untere Tor“, das ich planerisch und im Detail ausgearbeitet hatte, hat Bürgermeister Knapp ebenfalls im Gemeinderat eingebracht. Es ging dabei um die Darstellung dieses ehemaligen wichtigen Gebäudes der Vorderstadt, das ca. 1840 durch Antrag der Fuhrunternehmer abgebrochen wurde. Die Darstellung in Konturen, die durch eine Stahlkonstruktion erfolgen soll,  um wieder die ehemalige räumliche Wirkung in moderner Form zu vermitteln, ist sie eine wichtige städtebauliche Maßnahme, die das „Städtle“ als Veranstaltungsraum stärken soll. Die Realisierung scheiterte vor 20 Jahren wieder einmal am dem Widerspruch der CDU-Fraktion in der betreffenden Gemeinderatssitzung.  Es wäre gleichzeitig eine bewusste Schickane, um den immer noch heftigen Durchfahrtsverkehr etwas zu reduzieren, die Attraktivität im und vor dem „Städtle“ zu steigern und das Brauchtum zu stärken durch die Figuren-Installationen an dieser Stahlkonstruktion und die Einbeziehung in die Hüfinger  Fasnacht. 

Sie sehen, dass in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Ansätze zur Bewahrung und zur Belebung des Hüfinger Stadtbildes und zur Veranschaulichung der bedeutenden Hüfinger Geschichte durch mich und durch die Unterstützung durch den Bügermeister erfolgt sind. Vor nunmehr 2 Jahren habe ich dem jetzigen Bürgermeister in einem Gespräch im Rathaus diese Projekte vorgestellt, die er als ehemals auswärtiger Bewerber um das Bürgermeisteramt natürlich noch nicht kennen konnten. Sie sehen, dass immer wieder auch wichtige Vorschläge von Außen an den Bürgermeister herangetragen wurden, die immer wieder von den aufeinander folgenden Bürgermeistern aufgenommen wurden und  zur Profilierung der Stadt und auch  ihres Bürgermeisters beigetragen haben.

Obgleich der Bürgermeister bei dem Gespräch einen wirklich interessierten Eindruck auf mich gemacht hat, ist bis heute keinerlei Berücksichtigung erkennbar. Statt dessen ist die Stadtverwaltung bestrebt in der Kernstadt und in allen Ortsteilen die landschaftliche  Umgebung zu Bauland umzuwidmen entgegen der allgemeinen politischen Absicht im Land. Statt dessen schockt uns vor wenigen Tagen  die jüngste Nachricht  von einem Verlust von 3 Millionen im Stadtsäckel durch eine verloren gegangene Einlage der Stadtverwaltung in einer privaten Bank. Für diesen Betrag hätten problemlos manche dieser vorgeschlagenen Elemente des Projektes realisiert werden können. Ohne jegliche Schuldzuweisung auszusprechen, schmerzt mich natürlich dieser finanzielle Verlust. Vielleicht wäre eine gewisse Offenheit gegenüber meinen Vorschlägen als gebürtiger und geschichtsbewussten Hüfinger Bürger hilfreich. Statt dessen erklärte der Bürgermeister damals: das Projekt „Brigobannis“ werde nicht weiter verfolgt,  auf Anraten wieder mal der CDU-Fraktion, wie ich annehme, obgleich auch die Realisierung der Wege und Pfade, die Rekonstruktion des Waldhauses, die gärtnerische Gestaltung des Kastells auf dem Galgenberg einmal abgesehen von den unterirdischen Schauräumen genügend Ansätze bieten, auch überschaubare Elemente des Projektes zu realisieren. Also verzichtet man auch großzügig auf die angesagten Zuschüsse des Regierungspräsidiums. 

Kompetente Visionen des Patriarchats Teil 5

Ein alter Briefkopf zeigt Hüfingen etwa 1840 mit den Pappelpflanzungen und der Anlage am Rotrain.

Dann haben wir 2021 den über 200 Jahre alten Verein Freunde der Natur Hüfingen wieder gegründet. Ich fand das irgendwie witzig, da damals meine Vorfahren die Anlage gepflanzt hatten und ein Vorfahre eines des größten Naturzerstörers im Hier und Heute, hatten in einer Nacht- und Nebel Aktion im Jahr 1821 illegal 216 Bäume davon gefällt. Welch großer Hass mag damals wohl am Werke gewesen sein?

Die „Frevler“ waren wohl bekannt, blieben wegen ihren mächtigen Familien aber verschont und die Akten dazu gingen nach Freiburg ins Exil, wo wir sie wieder entdeckt hatten.

Schon vor der Wiedergründung durfte ich erleben, wie der aktuelle Hüfinger Bm mir nicht nur verbot ins Archiv zu gehen, um die Akten meiner eigenen Familie einzusehen, sondern wie er auch behaupten ließ, die gäbe es gar nicht. Für diese „Auskunft“ wollte er dann auch noch eine Gebühr von € 79,10 Euro; die er aber unter Androhung einer Beschwerde wegen Gebührenüberhebung zurück überweisen ließ.

Nicht genug, dass der Bm meine Familie für seinen Narzissmus beschlagnahmt hat, jetzt behauptet er auch noch die Freunde der Natur Hüfingen e.V. seien kein Hüfinger Verein. 

Er hat doch tatsächlich von der Vorsitzenden verlangt, ihm alle Mitglieder mit Geburtsdatum zu melden, weil er diese überprüfen müsse! Er stehe hier über der DSGVO.

Eine Nachfrage bei der Bundesnetzagentur bestätigte dies. Ein Bürgermeister steht über fast allen Gesetzen, einfach, weil es keine Institution gibt bei der man sich über ihn beschweren darf.

Deswegen beschwere ich mich bei Euch und bitte alle Hüfingerinnen und Hüfinger: Nehmt die Finger des Geisingers raus aus unserem Erbe von Luzian Reich und auch Johann Nepomuk Schelble und des gesamten Hüfinger Künstlerkreises. Das ist nämlich nicht nur meine Familie, sondern auch Euer Erbe und Eure Geschichte!

Der Besuch in der Stadt

Hieronymus Kapitel 5


Ruhig Gewissen, eigner Herd Ist Gott und aller Ehren werth.
>Johann Peter Hebel

Der Besuch in der Stadt

Es traf sich oft, daß der Feldwaibel auf Kommando zu Streifzügen und Exekutionen auf den Wald kam, wo er, wenn immer möglich, in der Mühle einzusprechen Gelegenheit nahm. Dies war auch kurz nach jenem nächtlichen Brande geschehen, welchen der Lange Hans auf dem Laubhauserhof noch spät abends angezeigt, und weshalb später dringender Verdacht der Brandstiftung auf die Vagabunden gefallen war.

Ein Einbruch, den der Stumpfarm geleitet und wobei auch der Hans die Hand im Spiel gehabt haben sollte, war durch einen Bauern verraten und bei Gericht angezeigt worden; und allgemein vermutete man, daß diesem dafür von der Bande der rote Hahn aufs Dach gesteckt worden sei, wobei, wie wir gehört, auch der Kaiserzoller zu Schaden gekommen war. Es wurde eine Streife angeordnet, aber ohne Erfolg, denn der Herr Graf von Bettelrain und Nirgendheim mit Gefolge war in strengstem Inkognito längst über die Grenze gereist, und die verhaßten „Balmacker“, wie die Soldaten in der Gaunersprache heißen, hatten das Nachsehen. – Nach einiger Zeit aber, als die Emigranten annehmen konnten, es sei über das Geschehene Gras gewach-sen, kehrten sie wieder zurück auf ihre Domänen, wofür sie die Bauernhöfe ansahen. Diesmal aber hatten sie sich in ihrer Voraussetzung getäuscht, denn sie wurden alsbald abgefaßt, eingesteckt und scharf inquiriert. Es kam jedoch dabei nicht viel mehr heraus als die gewöhnlichen Atzungs- und Untersuchungskosten für den Staat, denn die guten Leute waren ja, wie alle Spitzbuben, die nicht auf frischer Tat ertappt werden, völlig unschuldig und nach der Untersuchung wieder ebenso „ehrlich“ wie vorher.

Bald hatten Diebstähle und anderer Unfug wieder so überhandgenommen, daß eine Generalstreife notwendig schien, und diese führte den Feldwaibel auf einige Tage zu seinen Freunden nach Laubhausen; denn der einsamere Schwarzwald war es besonders, wohin sich die Landfahrer während solcher unbequemen Züge flüchteten und versteckten. – Die graubärtigen Weißröcke hatten hoch und teuer geschworen, daß ihnen diesmal kein Schopf und kein Knopf von der Hanikelbande durchschlüpfen solle. In Verbindung mit den aufgebotenen Bettelvögten und Bauern wurden alle Schlupfwinkel in Feld und Wald, alle Bettelküchen und Feuerstellen, wo die Zunft gewöhnlich lagerte, gründlich durchsucht, die Kameraden auch haufenweis zusammengetrieben, diejenigen, welche sich nicht als sauber übers Nierenstück auszuweisen vermochten, abgeführt und hinter Schloß und Riegel gesetzt.

Hieronymus und seine Kameraden beteten zu Gott, daß doch ja der Lange Hans nicht aufgegriffen werden möge, denn er war ja ihr bester Freund und Lehrmeister. Hatte er, der fertige Spielmann, den Romulus nicht geigen gelehrt und den Hieronymus maultrommeln? Wer hatte ihnen so zierliche Vogelkäfige von Draht gestrickt und ihnen alle Vorteile und Gelegenheiten gezeigt, um Schwarzblättchen, Kreuzschnäbel und andere Vögel zu fangen?

Hier stellt sich Lucian Reich wieder deutlich auf die Seite der Landfahrer und läßt Hieronymus und seine Freunde beten, dass zumindest ihr „bester Freund und Lehrmeister“ nicht aufgegriffen wird.

Und erst kürzlich hatte er auch dem Hieronymus wieder einen Bund feiner Bleistifte vom Vöhrenbacher Markt mitgebracht, wo er stets so wohlfeil einzukaufen pflegte. Kein Wunder also, wenn die Buben wünschten, er möge den ergrimmten Musketieren nicht in die Waffen fallen.

Diesmal kam der Lange wirklich auch ungerupft davon, denn es wurden nur solche Vögel gefangen und abgeführt, die von irgendeiner Behörde signalisiert oder in den Gaunerlisten eingetragen waren – und der Hans war ja, wie er selbst oft versicherte und wie es sich bei früheren Untersuchungen zur Genüge herausgestellt, der ehrlichste Mann im ganzen Schwäbischen Kreis.

Der Feldwaibel hatte bei seinem Besuch in der Mühle natürlich auch Einsicht von den Kunstleistungen unseres Hieronymus genommen. Er selbst verstand etwas von diesen Dingen, war er doch ein Hausfreund vom Faßmaler und Vergolder in Hüfingen. Zwar das Porträt des edlen Ritters, mit dem er ja im Frühjahr überrascht werden sollte, wurde ihm jetzt noch nicht gezeigt; dafür sah er aber andere Blätter, denen er alles Lob spenden konnte. Hieronymus solle nur so fortfahren, sagte er, und ihn dann im Frühjahr in Hüfn-gen besuchen, wo er allerlei Schönes und Merkwürdiges zu sehen bekommen werde. Erst kürzlich, erzählte er, habe die dortige Pfarrkirche zwei schöne neue Seitenaltäre bekommen, welche das Werk seines Freundes, des Faßmalers, seien. Die Altarblätter hiezu habe der Hofmaler in Donaueschingen gefertigt.

Jakobsfahne vom Hofmaler Weiss

Fahne der Jakobsbruderschaft vom Hofmaler Weiß
Vielen Dank an Markus Leichenauer für das Foto!

linker Seitenaltar in Verena und Gallus vom Hofmaler Weiß

Jakobus mit Wanderstab in der Hand, dem Volke predigend aus 1774.

Die links unten auf der Tafel gemalte Männergestalt soll ein Selbstbildnis des Hofmalers Franz Josef Weiß sein.

So war denn die Sache aufs beste eingeleitet; und noch nie in seinem Leben hatte der fleißige Schüler sich so auf den Frühling gefreut wie diesmal. Hätte die Sonne nur halb soviel Eifer und Ungeduld an den Tag gelegt wie er, der Schnee wäre längst geschmolzen gewesen und der holde Lenz schon um Lichtmeß oder Fastnacht ins Land gekommen. So aber schien die Gute – ihm recht zum Schabernack – nur deshalb jeden Tag früher aufzustehen, um durch Auftauen und wieder gefrieren lassen die dicke Schneedecke immer noch zäher und undurchdringlicher machen zu wollen. – Es war erster Mai – und noch hatte die Gegend ihr weißes Wollehemd an. Ja, am vierten oder fünften mußte sogar der Bahnschlitten wieder geführt werden. Hatte dieses Fuhrwerk dem Knaben sonst jedesmal viel Spaß gemacht, wenn er und seine Kameraden als Ballast obenauf unter Lachen und Jubel den sprühenden Schneestaub um Ohren und Augen sich sausen lassen – so sah er jetzt den Zug mit Verdruß am Haus vorbeikutschieren. Denn, „wenn der Schnee weg ist und man auch ’naus ins Freie kann!“ hatte der Vetter Feldwaibel ausdrücklich seiner freundlichen Einladung beigefügt.

Doch die Sache machte sich rascher, als man vermutete. Der Wind schlug plötzlich um und blies aus einer anderen, weicheren Tonart. Der neue Schnee fraß sozusagen den alten; die ganze Nacht über rutschten und rauschten die Lawinen groß und klein ins Tal herab. Und als Hieronymus des Morgens früh zum Fenster hinauslugte, sah er den Bach vom Eise befreit, ein paar Tage später – und auch das Feld war geräumt. – Bachweber, der die Schule geschlossen und sich anschickte, die langen Sommerferien wieder drüben beim Schwager zuzubringen, gab die tröstliche Versicherung, die schönen Tage würden dauernd und kein Rückfall, weder von Frost noch von Schnee, mehr zu befürchten sein: Das wollte er dem Fluge der Vögel, dem Benehmen der Spinnen und andern Naturerscheinungen entnommen haben.

Und so geschah es auch. – Gegen Mitte des Monats säte der Laubhauserbauer den Haber – und Vater Mathias trug die Stöcke aus der obern Kammer hinab ins Immenhäusle; und jetzt durfte auch der Sohn den längst vorbereiteten Ausflug antreten.

Es war des Knaben erste selbständige Reise, für ihn eine Fahrt ins Gelobte Land, von welchem ihm aus den Kinderjahren nur wenig in der Erinnerung geblieben war. Der Vater gab ihm das Geleite bis zum Zindelstein, um ihm noch einige Anstandsregeln einzuprägen.

Schon in Wolterdingen, wo er den Wald hinter sich hatte, glaubte der kleine Wandersmann in der Fremde zu sein; mit einem gewissen Trostgefühl jedoch bemerkte er dort einen Landsmann und alten Bekannten wieder neben sich: den Bregbach, welcher murmelnd und plätschernd ihm treues Geleite gab. – Das Wetter war zweifelhaft; der Himmel, mit einem milchweißen Flor überzogen, ließ kaum durch einen hellern Fleck den Stand der Sonne erraten; doch morgen war der heilige Pfingsttag! Und da konnte es unmöglich schlechtes Wetter geben. Und er täuschte sich nicht, denn kaum hatte er den Fußweg vom Dorfe abwärts eingeschlagen, so trat die Sonne siegreich strahlend aus dem dünnen Gewölk hervor; es schien, als würde ein Vorhang am Himmel weggezogen, recht eigentlich zur Verschönerung des kommenden Festtages. – Durch die grünenden Wiesen hin gaukelten ein paar gelbe Schmetterlinge, wahrscheinlich machten auch sie ihren ersten Ausflug wie der kleine Tourist. Dieser war jedoch nicht so leicht, ohne alles Gepäck, fortgezogen wie die Sommervögel. Über seiner Schulter hing ein ganz anständiger Zwerchsack, der keine geringe Last vermuten ließ. Und in der Tat hatte die Mutter ihrem Einzigen beim Abmarsch noch etwas mitgegeben, von dem sie überzeugt war, daß es der haushälterischen, genau rechnenden Base Annakäther ein beifälliges Lächeln abzugewinnen imstande sein werde.

In seinem vorderen Teil nämlich beherbergte der Sack nichts geringeres als einen großen, sorgfältig in eine hölzerne Schachtel verpackten Butterballen, während die hintere Abteilung, des Gleichgewichtes wegen, mit einem nicht minder schweren Hafen voll Honig belastet war – Dinge, welche man in der Baar nicht von solcher Güte haben konnte wie auf dem Wald. – Unterm Arm trug er dann noch die Rolle mit dem bewußten Bildnis, welches nachträglich noch schön koloriert worden war. – So ausgerüstet, schritt er mit seinem dicken Haselnußstock in der Rechten munter vorwärts.

Die Sonne meinte es wahrlich gut, obwohl sie bereits im Sinken war; und gerne hätte der kleine Sackträger auch einmal ausgeruht, dort, wo der Fußweg auf kurze Strecke sich im Holz verliert – wenn er nicht gefürchtet hätte, bei gar zu später Tageszeit in Hüfingen anzukommen. Aus diesem Grunde ließ er Bräunlingen rechts liegen, den näheren Weg am Abhang hin, der Mühle zu, einschlagend. Dort, am brausenden Wuhr, wo die badenden Gänse einen so merkwürdigen Lärm erhoben, als verwunderten sie sich über die Ankunft des Reisenden, dort erblickte er die ersten Häuser von Hüfingen, in welches er heute zum erstenmal allein, ohne die Eltern, eintreten sollte. Das Herz schlug ihm vor Freude und Beklemmung, als er näher und näher kam und die, wie er meinte, große Stadt mit ihren zackigen Hausgiebeln und rauchenden Schornsteinen vor sich liegen sah. Und als er durch das obere Tor in diese eingetreten und vom Kirchturm feierliches Geläute erklang, als Vorbedeutung des kommenden Festtages, so wurde er fast kleinmütig und verlegen: er fühlte sich fremd in den unbekannten Gassen.

Vor den Häusern standen plaudernde Männergruppen, den früheren Feierabend in behaglicher Ruhe genießend, und am Stadtbächlein und an den Brunnen waren fleißige Hände noch mit Waschen und Putzen beschäftigt. Aber die Kinder, welche bisher vor dem Rathaus um die hohe, mit eisernen Geländern versehene Freitreppe ihr lärmendes Wesen getrieben, hatten sich, nachdem die Betglocken ausgeklungen, gebührendermaßen schon von der Gasse entfernt. Das steinerne Muttergottesbild auf dem Stadtbrunnen, an welchem die Knechte und Buben ihre Rosse tränkten, sah schon bekränzt für den morgigen Tag herab auf den Platz.

Hieronymus erinnerte sich von seinen früheren Besuchen her nur noch dunkel der Gasse, in welcher seine Verwandten wohnten. Nach vielem Zögern fragte er endlich einen Vorübergehenden, wo der Vetter wohne, was man ihm natürlich erst sagen konnte, als er Name und Stand desselben beigesetzt.

Das Ehepaar saß eben beim Abendessen, als Hieronymus eintrat. Obwohl das Mahl für Gäste nicht eingerichtet, mußte der Ankömmling, nachdem er die vielen Grüße von daheim ausgerichtet und sein Gepäck im Stubenwinkel abgelegt hatte, dennoch ohne Umstände sogleich mithalten.

Im reinlichen Stüblein blickten ihn die Gerätschaften und Möbel wie alte Bekannte nach langer Trennung wieder an. An derselben Stelle wie vor Jahren hing noch das große holzgeschnitzte Kruzifix, gegenüber dem Bildnisse des Fürsten Frobenius in der gewaltigen Allongeperücke. Auf der geschweiften Kommode tickte immer noch die Stockuhr in ihrem hübsch eingelegten Holzkästchen; die Turteltauben unter dem Ofen und das Eichhörnchen in seinem Häuschen schienen stets noch dieselben zu sein wie damals; und die schön gemalten Tassen im Glaskästchen erinnerten ihn lebhaft an den Tag, an dem er zum erstenmal den köstlichen, fremdländischen Trank geschlürft.

Die Base zeigte sich ausnehmend zutunlich, namentlich seit dem Momente der feierlichen Enthüllung des gewichtigen „Krams“ im Zwerchsack; und auch der Vetter sprach sich sehr belobend aus über das wohlgetroffene Bild-nis, das er sogleich mit Stecknadeln an die Wand heftete.

Nach dem Essen kam noch ein zweiter Gast, der invalide Tambour Gsell, der Hausfreund und Diener des Feldwaibels. – Als der Alte das Porträt des Prinzen Eugenius sah, versicherte er, dasselbe sei ausnehmend gut getroffen, nur etwas jünger sehe er aus als damals, wo er ihn als Kommandierenden am Rhein gesehen und sogar einmal mit ihm gesprochen habe. Es sei nach einer Attacke gewesen, wo der Prinz vor allen seinen Generälen gesagt habe, wenn er ein ganzes Regiment solcher Kerle hätte wie der Tambour Gsell, so würde er’s getrost nicht bloß mit dem Türk oder Franzos, sondern mit allen Potentaten der Welt aufnehmen.

Nachdem Hieronymus sodann von allem, wie es zu Haus stehe, gehörig Bericht erstattet und alle sonstigen Fragen der Base gewissenhaft beantwortet hatte, wurde ihm das Schlafkämmerlein angewiesen. Das Ehepaar erfreute sich nur einer einzigen Tochter, die an den Schloßverwalter in Wildenstein im Donautal verheiratet war. Seit ihrem Wegzug stand die Kammer unbewohnt, in welcher Hieronymus nun ein wohlaufgerichtetes Gastbett fand.

Vergnügt über den glücklichen Verlauf der Reise, erfreut über die gute Aufnahme im Haus, versenkte er sich alsbald in die Federn, wo ein fester Schlaf nicht lange auf sich warten ließ.

Als er morgens nach erquicklichem Schlummer die Augen aufschlug, warf die Sonne bereits ihre Strahlen schräg durch das Fensterlein, welches der Feldwaibel mit Bewilligung des Stadtrats schräg in die Stadtmauer hatte brechen lassen. Nach kurzem Besinnen erhob er sich rasch, denn bereits hörte er die Base in der Küche nebenan rumoren, und auch der Vetter hustete schon in der Stube. Er streckte den Kopf zum Fenster hinaus – es war der schönste Morgen – ganz nach Bachwebers Prophezeiung. – In der alten Stadtmauer und auf den Vogelbeerbäumen am Stadtgraben hin schrien und jagten sich die Spatzen wie in tollem Jubel über den schönen Tag. Rechts am Wiesfeld hin floß die Breg – langsam, als wolle sie ausruhen von ihrem ungestümen Lauf über Stock und Stein. – Die glatte Fläche dampfte wie in Schweiß ge-raten. Weiter hinaus in der Hochebene, in den von Morgennebeln halb verhüllten Dörfern längs den blauen Linien des Heuberges, tönten Morgenglocken – es war ein Festtag – herrlich weit und breit. In den Gärten unten an der Mauer standen schon einige Hausväter betrachtend vor den Bienenstöcken oder vor den Beeten voll knospender Tulpen und Aurikeln, während auf der Straße von Donaueschingen her festlich gekleidete Leute, einzeln oder in Gruppen, der Stadt zu wandelten.

Die Base erschien jetzt unter der Kammertür, freundlich guten Morgen wünschend und zum Kaffee kommandierend; denn ein solcher wurde heute wiederum aufgetischt, einmal des Vierfestes wegen und dann zu Ehren ihres Gastes. – War Kaffee zu jener Zeit auch noch ein teures Getränk, so kam das Frühstück die Base doch nicht hoch zu stehen, weil sie aus der Küche der ihr geneigten Frau Oberamtsrätin regelmäßig den Satz vom jüngst genossenen Trank der Ratsfamilie erhielt, woraus sie dann eine zweite, mit vielen Zusätzen vermehrte, aber keineswegs verbesserte Auflage veranstaltete.

Während des Frühstücks verkündete die Base ihrem Gast, daß er mit ihr und ihrem Mann den Spätgottesdienst besuchen dürfe. Seine Toilette hiezu war schnell gemacht. Denn kurzes Haar ist bald gebürstet, sagt das Sprichwort; desto mehr Zeit brauchte indes die Base, um sich gehörig in Staat zu setzen. Sie zog, was nur bei ganz absonderlichen Gelegenheiten geschah, ihr seidenes, großgeblümtes Hochzeitskleid an, ein Geschenk der verstorbenen Fürstin, bei welcher sie lange Zeit in Diensten gestanden. Den Kopfputz bildete die zierliche Goldhaube mit dem mit Perlen und Flitter besetzten Boden; und als Vervollständigung kam hinzu noch das grünschillernde Mieder mit langer Taille, wie es die Tracht der Bürgerfrauen mit sich brachte.

Der Gottesdienst selbst hatte für Hieronymus etwas Überraschendes; das mit Pauken und Trompeten eingeleitete Hochamt, die vollen Orgeltöne und die Instrumentalmusik stachen so gewaltig ab gegen das einfache Ritual in seinem Heimatkirchlein, daß er wie in eine andere Welt sich versetzt glaubte.

Mit Staunen und Ehrfurcht betrachtete der Knabe – wie einst sein Vater die Bildnisse im Rittersaal zu Villingen – die lebensgroßen Apostel im Langhaus, die Altäre und die steinernen Ritter- und Frauengestalten auf den freiherrlich schellenbergischen Grabmälern an den Wänden umher, und in seinem Innersten regte sich der leise Wunsch, auch dereinst so etwas machen zu können. Bald ward dieser Wunsch zum Gebet, welches er zu Gott emporsendete, daß er ihm solche Fertigkeit gnädig verleihen möge.

Nach dem Gottesdienste sehen wir den Knaben mit seinem Vetter im Gärtchen am Hause lustwandeln, wo in den reinlichen, mit Buchs eingefaß-ten Beeten im herrlichsten Flor Tulpen und Hyazinthen blühten und die tiefglühende Pfingstrose bereits am Aufbrechen war. Bunte Schmetterlinge, summende Bienen wiegten sich von Blume zu Blume, denn es war hier an der Stadtmauer, die Haus und Garten nach außen hin abschloß, ganz sommerlich warm und windstill. – Alles war so friedlich, so ungestört wie die damalige Friedenszeit selbst, die sich in ihrer Harmlosigkeit überall in allen Zuständen des öffentlichen wie des Familienlebens klar abspiegelte.

Hieronymus betrachtete seinen Vetter, der sich mit ihm auf der Bank unter dem Holunderstrauch niedergelassen, mit heimlicher Verwunderung, denn der Feldwaibel glänzte heut in seiner Paradeuniform; und in der Tat sah der alte Kriegsmann in dem weißen, rot ausgeschlagenen Kolett mit blanken weißen Knöpfen, dem Dreispitz mit Silberborten und weißem Busch darauf, ganz stattlich aus. Sein stark markiertes Gesicht mit dem vorwärts-dressierten Backenbart, die steifgepuderten Haarlocken und der schwarz ein-gebändelte Zopf sowie der ganze abgemessene Anstand des Mannes mußten jedem in seiner Umgebung schuldigsten Respekt einflößen.

Eben wollte der Vetter seinem Gaste sagen, daß sie dann morgen ins hiesige Schloß und auch in den Hofgarten gehen wollten – als ein Rütteln und Schütteln an der Gartentür die Blicke beider dorthin lenkte. Alsbald gewahrten sie auch ein frisiertes, gepudertes Kinderköpfchen, das über die Tür hereinlugte und Einlaß verlangte; obgleich das Pförtchen nicht verschlossen war, konnte es die Kleine doch nicht öffnen, denn in der einen Hand trug sie einen Blumenstrauß, in der andern den Fächer, und dem Ellenbogen wollte der hölzerne Riegel nicht weichen.

Hier trifft Hieronymus das erste mal auf Helena, die Tochter des Herrn Oberamtsrates und er geht danach mit seinem Vetter, dem „Feldwaibel“ nach Donaueschingen auf einen Spaziergang.

Bevor der Feldwaibel hinzutreten konnte, war ihm seine Frau zuvorgekommen, weil auch sie die kommende Visite vom Fenster aus bemerkt hatte. – Das geputzte Dämchen war heute eigentlich nur gekommen, um sein neues Kleid und seine Frisur zu zeigen. Frau Annakäther führte es an der Hand auf ihren Mann und Hieronymus zu; und nachdem der Feldwaibel gebührendes Lob gespendet, wurden die Kleinen einander förmlich vor-gestellt. – Da standen sie einander gegenüber – hier das Stadt- und Beamtenkind in seinem seidenen bauschigen Kleidchen und den violetten Atlasschuhen – dort das bäuerliche Wälderkind im leinenen Kittel, mit kurzen Lederhosen und schwer genagelten Bundschuhen; zwischen ihnen Frau Annakäther in ihrer Bürgerstracht, gleichsam als vermittelnder Genius. Mit jeder Hand hielt sie eines der Kinder gefaßt und bemühte sich, dieselben einander näherzubringen, was ihr jedoch durchaus nicht gelingen wollte, weil Hieronymus, schüchtern und verlegen, immer zurückwich; und so vermochte die Base es mit keiner Lieb dahin zu bringen, daß die Kleinen sich die Hände reichten. – Später allerdings ging die Sache besser.

Der Abstand zwischen dem höheren und niederen Herkommen ward in jugendlicher Zutraulichkeit bald vergessen, und nach einer Weile wandelten die beiden Hand in Hand zwischen den Beeten umher. Helene machte ihren neuen Freund auf jede Blume und Blüte aufmerksam, an deren Pflege und Wachstum sie als Mithelferin der Hausfrau kindlichen Anteil genommen; denn manche Stunde verbrachte sie hier im Garten und Haus. Zuletzt führte sie ihn zu einem Beetchen an der Mauer, welches ihr gehörte und worin der Anfangsbuchstabe ihres Namens eingesät und bereits als zartes Grün auf dem dunkeln Grunde sich zeigte. – Und als Hieronymus die Entdeckung machte, dieses H sei ja auch der Anfangsbuchstabe seines Namens, ward dies mit Jubel dem lächelnden Feldwaibel verkündet, der bisher behaglich auf dem sonnigen Bänkchen sitzengeblieben. Nur ungern trennten sich die beiden Kinder, als das Mädchen zuletzt von der Magd zum Mittagessen abgerufen wurde.

Helenchen war die Tochter des Herrn Oberamtsrats, der in der Nähe ein herrschaftliches Haus bewohnte. Herr Rat und Frau Rätin waren dem Feld-waibelschen Ehepaar in Gnaden sehr gewogen, und die Frau Amtsrätin kam oft herüber, um in allerlei häuslichen Angelegenheiten die Hilfe der dienstfertigen Frau Annakäther in Anspruch zu nehmen. Und auch dem Feld-waibel war es nicht selten vergönnt, tätig dort mit Hand anlegen zu dürfen – versteht sich, ohne Sold.

Nachmittags pflegte sich, in regelmäßigem Gang wie eine Wälderuhr, der Tambour Gsell einzustellen. War es gestern, am Vorabend, sein Geschäft gewesen, das Kolett seines Feldwaibels mit Weißerde anzustreichen, auszuklopfen und auszubürsten, Knöpfe und Schnallen blank zu machen, so kam er jetzt, um den Vögeln in den Käfigen Mehlwürmer, Ameiseneier und andere Leckerbissen zuzustecken. Nebenbei unterließ er natürlich nie, pflichtgemäß Rapport zu erstatten über wichtige Stadtneuigkeiten. – Solche gab es heute glücklicherweise keine, wenigstens keine, die aufregender Natur gewesen wären. Und so konnte der Feldwaibel ungestört seine Zeit dem Gaste widmen.

Nach der Vesper machten sie zusammen einen Spaziergang, hinab durch die Wiesen, über Almendshofen nach Donaueschingen. Es war ein Tag, den man unmöglich in Haus und Stube zubringen konnte – voll Lerchenwirbel und Himmelsruh. – Es lag in der Absicht des Feldwaibels, dem wißbegierigen Knaben die Hauptmerkwürdigkeit der Gegend, die Donauquelle, zu zeigen.

Bei dem kleinen Wäldner war die Neugierde um so größer, als ihm der Lehrer Bachweber schon so mancherlei vom Donaustrom, vom Ursprung bis zum Ausfluß, erzählt hatte: wie das Gewässer oberhalb Ulm schon zweihundert Schritt breit und schiffbar werde – und wie er, als Schneidergeselle auf seiner Wanderschaft von Ulm abwärts, auf dem Wiener Ordinarischiff nach Wien gefahren und sicherlich weiter bis nach Ungarn und ans Schwarze Meer gekommen wäre, wenn’s der Zufall oder das Glück nicht gewollt, daß er, bald nach seiner Ankunft in der Kaiserstadt, ein Engagement als Kompanieschneider gefunden hätte.

Hieronymus hatte sich den Ursprung immer ziemlich stark vorgestellt, wenigstens so viel Wasser, meinte er, werde der Brunnen haben wie die Breg bei Hammereisenbach.

Nun sah er aber, im Schloßhof angekommen, eine Quelle, etwa halb so groß wie der Forellenweiher beim Laubhauserhof. – Während er in das Quirlen und Blasenaufwerfen des kristallklaren Wasserbeckens hinabschaute, erzählte ihm der Vetter, wie es früher Sitte gewesen, daß jeder Fremde, der zum erstenmal die Quelle in Augenschein genommen, zum Andenken einen Sprung in dieselbe habe tun müssen. „Ist es ein Vornehmer, ein Fürst oder Edelmann gewesen“, berichtete er, „so ist ihm vorher der Willkomm im großen silbernen Becher dargereicht worden, wozu die Böller geknallt und die Musik gespielt haben. – So soll es auch dazumal gewesen sein – wie mir ein Piarist am hiesigen Pädagogium erzählt hat -, als Kaiser Max, von Villingen her, den Donauursprung besichtigt hat. Da seien allhier Zelt‘ aufgeschlagen und allerlei Spiel‘ und Kurzweil getrieben worden.“ „Der Lehrer hat uns oft g’sagt“, nahm Hieronymus das Wort, „der rechte Ursprung sei eigentlich unsre Breg, weil sie am weitesten herkommt.“

„Ich weiß“, versetzte der Feldwaibel, „die Gelehrten und Professoren, die ja sonst alles am besten wissen wollen, sind in diesem Punkt selber nicht im klaren. Erst kürzlich hat der Abt von St. Blasi eine Landkart im Druck ausgehen lassen, die unser Hauptmann letzthin auf die Wachtstube gebracht hat, auf welcher weder der hiesige Quell noch die Bregach – sondern die Brig hinter St. Georgen als der alleinige Ursprung der Donau verzeichnet ist.

Ja, wem soll man jetzt glauben?“ fragte Hieronymus, der keinenfalls der Brig den Vorzug vor seinem heimatlichen Bach einräumen mochte.

„Wem man glauben soll? – Den Alten!“ entschied der Feldwaibel. „Seit Menschengedenken heißt die Quell hier und die drüben bei Allmendshofen – Donau. Und bis die Gelehrten einmal einig sind, wird es am besten sein, den Ursprung hier in der Baar anzunehmen, wo das wässerige Kleeblatt gleichsam zu einem Stiel zusammenwachst.“

Selbstverständlich wird die Donauquelle besichtigt und der jahrhundertalte Streit um die „richtige“ Quelle wird diskutiert. Die Argumente waren vor 200 Jahren genau die gleichen wie heute und der Feldwaibel entscheidet, dass die Donau ihren Ursprung hier in der Baar habe, wo das „wässrige Kleeblatt gleichsam zu einem Stiel zusammenwachst“.

Das schien auch dem Kleinen das vernünftigste zu sein; und der Vetter sagte ihm dann, sie wollten jetzt noch einen Gang durch den fürstlichen Hofgarten machen. Der Hofgärtner besorgte früher den Dienst im Schloßgarten zu Hüfingen, wo ihn der Feldwaibel oft besucht und manche Tulpenzwiebel oder sonstige Sämerei von ihm erhalten hatte. Sie trafen den Mann im Garten, vor dem Treibhaus; und während er ihnen bereitwillig die Pflanzen und Blumen zeigte, erzählte er seinem Freunde, daß die fürstliche Regierung nächstens einen Befehl ergehen lassen werde zur Bepflanzung der Landstraßen mit Obstbäumen. „Es ist wahrhaftig kein Überfluß“, meinte er, „wenn die Baar mit Bäumen geziert wird. Denn, sagt selbst, Feldwaibel, ist es nicht ein trostloser Anblick, wenn man zum Beispiel aus dem schönen Kinzigtal heraufkommt und unsere baumlose Hochebene überschaut?“

„Wie man’s nimmt“, entgegnete der Feldwaibel. „Als Gärtner habt Ihr vollkommen recht. – Fragt aber einmal einen Bauern, der wird Euch sagen, daß es in der Welt nichts Schöneres gebe als so ein glatter Fruchtösch, Feld an Feld wie ein Schachbrett – insonderheit wenn die Ernt reif ist und das Aug über die gelben, im Sonnenschein wie ein Meer schwankenden Kornfelder hinschauen kann.“
„Ganz richtig“, versetzte der Hofgärtner. „Hätt ich aber zu befehlen, so müßte mir jeder Bauer wenigstens ein halbes Dutzend Obstbäume in jeden Acker pflanzen.“
„Würde nicht lang guttun“, meinte der Feldwaibel, „der Bauersmann ist kein Freund vom Schatten; und das hiesige Klima ist dem veredelten Obstbaum nicht günstig. Besser als das wäre meines Erachtens, wenn man das Wildobst im Wald und Feld mehr schonen würd. Erinnere mich noch recht wohl, wie wir daheim den ganzen Winter über gedörrte Holzäpfelschnitz oder teige Holzbirnen im Vorrat gehabt haben. Und eine ordentliche Kunkelstube hätt Euch den Abend nicht rumzubringen gewußt, wenn die Spinnerinnen keine Schnitz oder gedörrte Schlehen zum ‚Annetzen‘ gehabt hätten. – Und jetzt noch darf in keinem rechten Bauernhaus das Fäßle hinterm Ofen fehlen, in dem die Bäurin ihren Essig aus Wildobst aufbewahrt.“

„In dem Punkt mögt Ihr recht haben, Feldwaibel“, räumte der Hofgärtner ein. „Andernteils aber müßt Ihr wieder zugeben, daß so manches unbenützte Plätzlein um Haus und Dorf vorhanden ist, wo ein Baum, gleichviel, ob Obstbaum oder sonst einer, recht gut stehen und niemand im Weg sein würde.“

„Einverstanden, Herr Hofgärtner, bin ganz Eurer Meinung“, sagte der Feldwaibel, „und bedaure nur, daß der alte Brauch mit Pflanzen von Linden so ganz abzukommen droht. Denn abgesehen von den Gemeindelinden ist keine Kirch, kein Kirchhof, keine Kapell oder Schützenhaus gewesen, wo früher nicht Linden hingepflanzt worden sind. – So ein Lindenbaum aber ist für den Landmann eine kleine Apothek, wo er den Lindenblütentee umsonst haben kann, für die Immen im Frühling aber eine wahre Honigweid. – Und daß auch der Holzbildhauer am liebsten zum Lindenholz greift, wenn er etwas Schönes machen will, ist bekannt.“

Dieses bis heute leidige Thema läßt sich auch an der Geschichte der Freunde der Natur sehen. Der Vater von Lucian Reich, Luzian Reich senior, hatte zusammen mit dem Musiker Johann Nepomuk Schelble und anderen in der Hüfinger Anlage einige Bäume gepflanzt. Der Hauptteil selber aber wurde 1821 von wütenden Bauern zerstört. Baaremer Bauern scheinen traditionell etwas gegen Bäume zu haben, auch wenn diese nicht auf ihrem Land stehen.

Hieronymus schenkte begreiflicherweis diesem landwirtschaftlichen Gespräch, das die beiden noch eine Weile fortsetzten, wenig Aufmerksamkeit.

Interessanter als Holzäpfel und Lindenblüten erschienen ihm die prächtigen Pomeranzen- und Zitronenbäume, die er hier mit ihren Früchten zum erstenmal in natura zu sehen bekam. – Nachdem der Feldwaibel dann noch etwelche neuangekommene Blumensorten umständlich bewundert hatte, trat er mit seinem Vetter den Rückweg an.

Viel Neues und Schönes brachte auch der zweite Pfingstfeiertag, an welchem der Feldwaibel seinen Gast sogleich nach dem Essen hinauf ins fürstliche Schloß führte, das jedem Fremden gerne gezeigt wurde. – Dasselbe, ursprünglich zum Witwensitze bestimmt und jetzt nur von einem Verwalter bewohnt, war erst neuerdings mit allerlei Merkwürdigkeiten neu ausstaffiert und möbliert worden.

Der Feldwaibel besichtigt hier mit Hieronymus das Schloss in Hüfingen, welches zu der Zeit nur von einem Verwalter bewohnt war.

Das war denn für Hieronymus wieder eine ganz neue Welt. Schon das hohe geräumige Stiegenhaus, durch welches der Verwalter die beiden führte, erregte Bewunderung. Es hingen da große, in Öl gemalte Ahnenbilder des fürstenbergischen Hauses, die in ihren kriegerischen Rüstungen und prächtigen Ordensgewändern einen tiefen Eindruck auf den Knaben machten. Es waren die ersten lebensgroßen Bildnisse, die er in seinem Leben gesehen.

Nicht minder schön und wunderbar dünkte ihn das, was er in der langen Zimmerreihe zu betrachten bekam. Er glaubte in einem Heiligtum zu wandeln. Die kostbaren farbigen Tapeten, die Vorhänge von schwerem Damast mit großen Quasten, die mit Seidenzeug überzogenen Sessel, Lehnstühle und Sofas, die zierlich eingelegten Kästchen und Pfeilertischlein, von welchen eines ein ganzes Kartenspiel, benebst dem Titelblatte eines Kalenders in kunstvoller Einlage zeigte, die allmächtig großen Spiegel, in denen der Kleine seine ganze Figur vom Kopf bis zum Fuß betrachten konnte – alles war ihm neu und entlockte ihm Ausdrücke des höchsten Erstaunens. In einem größeren Zimmer erschaute man Merkwürdigkeiten der seltensten Art. Gleich beim Eintritt fielen die Augen auf eine freistehende, längliche Kommode, auf welcher ein Truthahn, ein Pudel und ein Pfau saßen, überaus täuschend aus verschiedenfarbigen Schneckchen und Muscheln zusammengesetzt. Aus gleichem Material gebildet waren die an den Wänden angebrachten Affen, Waldteufel, Tiger und Meerkatzen, alle so natürlich, daß man fast darob erschrak. Dazwischen wieder ganze Landschaften, Städte, Schlösser und Seehäfen mit Schiffen, aus Rinde, Baumzweigen, Moos und Korallen gemacht.

Der Verwalter sagte dem entzückten Kleinen, daß alle diese Herrlichkeiten eigenhändige Arbeiten des fürstlichen Archivars in Donaueschingen seien. Ein anderes Gemach, das dem jugendlichen Beschauer groß wie ein Saal vorkam, war mit hübschen, mythologischen Figuren geziert, Grau in Grau auf die Wand gemalt; und in einem folgenden, äußerst behaglichen Kabinettchen mit der Aussicht auf die Brücke und die Lorettokapelle sah er zum erstenmal in seinem Leben ein Welschkamin. Kohlen und Feuerzange lagen noch da, als wär die wärmende Glut erst gestern ausgegangen. – Dann kamen Zimmer mit schönen Gemälden: Herodias, das Haupt des Johannes tragend, Diana auf der Jagd, Lot und seine Töchter, Wildbrethändler, Landschaften, Bataillenstücke, duftige Pastellbilder, Windhunde und seltenes Wild. – Auch war zu finden eine Anzahl Vögel, halb erhaben mit natürlichem Gefieder, auf Tableaux aufgelegt, jeder in seinem Element, im Wasser, auf dem Baum oder im Gras. Und die nebenbei in Kästen zur Schau gestellten Mineralien und Stufen aus den Bergwerken im Kinzigtal sowie verschiedene Kuriositäten bildeten eine von allen Kennern jener Zeit hochgeschätzte Sehenswürdigkeit.

Am meisten bewunderte Hieronymus den großen Elefantenzahn, den er mit Mühe kaum vom Boden zu lüpfen vermochte, nicht minder das Straußenei, die Kokosnüsse, die glänzenden Meermuscheln und den großen Magnet, der ein ganzes Hufeisen trug. Und blickte er an die Decke hinauf, so mußte er staunen über die Tempel, Girlanden und Figuren, welche halb erhaben, in Stucko, die Plafonds schmückten.

Der gute Junge hatte nur einen Wunsch, daß auch Vater und Mutter anwesend sein möchten, um teilzunehmen am Beschauen all dieser Herrlichkeit.

Nachdem das Merkwürdigste oben beschaut, stiegen sie in den Schloßgarten hinab, um sich in der schattigen Lindenallee und zwischen den geschorenen Hecken und Laubwänden vergnüglich zu ergehen. Und als zum Schluß der Vetter beim Verwalter, der zugleich auch wirtete, ein Glas frisches Braunbier mit Käs und Brot bestellt hatte, ließ sich Hieronymus, der sich ganz müde und hungrig gesehen, diese leiblichen Genüsse mit ebenso großer Inbrunst schmecken wie vorher die geistigen.

Im Verlauf des Nachmittags ward unserm Wälderkind auch noch Gelegenheit geboten, den sogenannten Pfingstritt der Knechte und Roßbuben mit anzusehen, von welchem der Vater oft schon erzählt hatte. – Mit bebänderten Tannenbäumchen in den Händen, zog die verschieden kostümierte Kavalkade durch das obere Tor in die Stadt ein, wo nach den üblichen Sprüchen und Schwänken der vollständig in Rinde gehüllte „Pfingsthagen“ unter dem Jubel der Schuljugend in den Brunnen geworfen wurde. Nach dieser feierlichen Handlung wurde vor den Häusern gesammelt, zum Schmaus, welcher im Wirtshaus zum Leuen abgehalten werden sollte. Auch dabei, bei diesem Umritt, war es Aufgabe der Gassenjugend, den armen durchnäßten Pfingsthagen tüchtig zu necken, der, hinter den andern herreitend, die Hände zu den Fenstern emporhob mit dem beweglichen Ruf: „I ha au no nünd!“ Nach all diesen Erlebnissen sehnte sich Hieronymus wieder recht sehr nach Hause, um den Eltern und Kameraden von dem Gesehenen und Gehörten ausführlich Bericht erstatten zu können.

Am Ende des Kapitels wird der Pfingstritt der Knechte und Roßbuben beschrieben, an dessen Ende der Pfingsthagen in den Brunnen geworfen wurde.

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