Zurück zum Quellenstreit

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10. Dezember 2021 0 Von Wolf Hockenjos

„Endlich offiziell Donauquellstadt“, so werden die Donaueschinger am 10. Dezember 2021 auf der Lokalseite der Tageszeitung beglückt. OB Pauly habe von Innenminister Strobl die Auszeichnung im Rahmen einer virtuellen Feierstunde erhalten. Damit werde in besonderer Weise gewürdigt, welchen Stellenwert die Donauquelle seit jeher innehatte. Die Zusatzbezeichnung auf den Ortsschildern der Kernstadt soll nun also dem Highlight im fürstlichen Park weitere Strahlkraft, dem Tourismus der Stadt weiteren Schub verleihen. Vor lauter Stolz ist im Zeitungsbericht fast untergegangen, dass sich nun auch Furtwangen so nennen darf – welch salomonische Entscheidung in Stuttgart! Oder war sie womöglich doch nicht ganz so weise?

Als ob da nicht auch noch eine dritte Stadt ein Anrecht auf die Auszeichnung hätte! Wo doch spätestens seit 1719 klargestellt ist, wo sich die wahre Donauquelle befindet. Friedrich Wilhelm Breuninger hat darüber nicht nur ein umfangreiches Buch geschrieben, sondern auch vor Ort Beweise gesammelt. Sein fraglos etwas sperriger Buchtitel lautet:

Fons Danubii primus et naturalis: Oder die Ur-Quelle Des Welt-berühmten Donau-Stroms Welche In dem Herzogthum Würtemberg und nicht zu Don-Eschingen wie bißhero davor gehalten worden zu sein gründlich behauptet wird, und von wannen der Fluß als von seinem wahren und eigentlich Ursprung an biß zu seinen Ostiis und Aueflüssen unter mancherley Anmerkungen neben zerschiedenen Preliminarien.1

Breuningers Werk war ganz offensichtlich eine Auftragsarbeit: Der junge Geistliche des (seit 1556 evangelischen) Klosters St. Georgen hatte seinem Landesherrn, Herzog Leopold Eberhard von Württemberg-Mömpelgard, den prestigeträchtigen Nachweis zu erbringen, dass die Donau nicht etwa im fürstenbergischen Donaueschingen oder an der Martinskapelle im Vorderösterreichischen entspringt, sondern im Herzogtum Württemberg, genauer: am Hirzbauernhof, wenige Kilometer westlich der Bergstadt St. Georgen. Pech nur für Autor und Auftraggeber, dass per Staatsvertrag von 1810 das württembergische Oberamt Hornberg mitsamt St. Georgen und Ur-Quelle badisch werden sollte.

Friedrich Wilhelm Breuningers Kartenblatt (1719)

Breuningers wichtigstes Beweisstück war – ja was denn nun? – eine Wettertanne, die Gedächtnuß-Danne nämlich. Sie findet sich eingezeichnet auch auf einem von ihm sorgfältigst ausgearbeiteten Kartenblatt, knapp daneben Fons Danubii primus et naturalis, die so postulierte wahre Donauquelle. Diß ist der Baum, so schreibt er in seinem Buch, dessen wir schon oben mehrmal gedacht und das erste übergelassene Wahrzeichen von der Donau- und ihres Nahmens-Ursprung; es stehet selbiger auff der südlichen Seite der (Brigach-)Quelle etwas Ostwärts an dem aufsteigenden Hirtzberg bey 300 Schritt von dem Ursprungsort entfernt.

Der mit der mehrstämmigen Gedächtnis-Tanne offenbar bestens vertraute Verfasser scheint sich zwar durchaus darüber im Klaren gewesen zu sein, dass am Hirzbauernhof in Wahrheit die Brigach entspringt (weshalb sonst hätte er deren Namen in seinem Text in Klammern gesetzt?), doch allein dieses Brigachbächleins wegen, so argumentiert er messerscharf, hätten die Altvorderen doch nie und nimmer eine solche Wettertanne auf ihrem Feld stehen lassen! Sollte nämlich jemand danach fragen, warum der Baum mitten auf dem Acker stehen bleiben durfte und nicht auch, damit er das Land nicht hindere, ausgereutet worden, so bekommt man von den ältesten Leuten die Antwort, dass sie von den Alten gehöret und diese wiederum von ihren Vorfahren. Man habe diesen Baum an diesem Ort als eine vor allen andern schöne und besonders gewachsene Danne zum Gedächtnis stehen lassen, dass nicht weit davon die Donau entspringe und ihren Nahmen in dieser wilden Dannen-Revier bekommen habe.

Ausschnitt: Gedächtnus Danne an der „Donauquelle“ Fons Danuby primus et naturalis (Ausschnitt)

Was, bitteschön, ist – gegen ein solches Wahrzeichen! – die Aufstoßquelle in Donaueschingens fürstlichem Park oder gar das Brünnlein hinterm Kolmenhof auf der Martinskapelle!

Hätten sich die Mitarbeiter von Innenminister Strobl nicht doch etwas gründlicher informieren müssen? Und das, nachdem Breuninger es bei seiner Beweisführung nicht bei dieser einen Tanne belässt, sondern auch noch eine weitere Kronzeugin bemüht, eine zweite Gedächtnis-Tanne:

Die Au-Danne nämlich. Eine gute Viertelstunde oberhalb von St. Georgen beginne das Tal sich zu einer Aue zu weiten, durch welche das Donau-Bächlein herunter fället. Fast am unteren Ende stehe die sogenannte Au-Danne, welche die Alten zu einem Merckmahl als einen gleichfalls extraordinäre schönen Baum von besonderer Höhe und Dicke stehen lassen: welches daraus erhellet, weilen 2 biß 3 Personen in dem Baum stehen können, nachdem er von ohngefehr 20 Jahren durch einen Donnerstreich in seinem Stamm ganz hohl gemacht worden. Welcher Streich aber den Baum noch ferner zu grünen nicht verhindert, sondern nachdem allerhand Gesind durch die Kriegs-Zeiten unterdessen schattichten Schirm sich Tag und Nacht auffgehalten und Feuer darunter angezündet, geriehte er vor wenigen Jahren in eine Flamme, und brannte also der schöne und andere Donau-Gedächtnuß-Baum biß auf den Storren ab und gienge zu grund. Dahero man billich dieses Wahrzeichens hier gedenket und selbiges, weil es an sich selbsten nach und nach zu verschwinden beginnet, von der gäntzlichen Vergessenheit noch einigermaßen zu verwahren.

Das Missgeschick dieses zweiten Donau-Gedächtnuß-Baumes, an dessen hohlem Stammfuß Kriegsgesindel ein Feuer entzündet hatte, sodass leider nur noch der Stumpen übrig geblieben war, hindert den Autor nicht, auch ihn als Beweis für den württembergischen Ursprung der Donau anzuführen. Zumal doch zwei bis drei Personen im hohlen Stamm Platz gefunden hätten. Was zweifelsfrei daraus schließen lässt, dass der Stamm dieser Au-Danne noch erheblich mächtiger gewesen sein muss als jener der Wettertanne des Hirzbauern oberhalb der Quelle. Doch damit nicht genug: Vikar Breuninger versteigt sich in seinem Werk (auf S. 348) sogar zu der gewiss etwas abenteuerlichen Hypothese, der Flussname Donau sei womöglich auf eben diese Aue mit ihrer Tanne, der Dann-Au nämlich, zurückzuführen: Hiervon kann man geben keine gezwungene, sondern die allernatürlichste und deutlichste Derivation des Wortes Donau welches Dannau heißen sollte.

Keltisch-römischer Dreigötterstein

Doch um wie viel überzeugender für seinen Herzog wie für die Nachwelt wäre Breuningers Hypothese von der „Ur-Quelle des “Welt-berühmten Donau-Stromes“ ausgefallen, hätte er nicht nur mit Gedächtnistannen argumentiert, sondern auch noch mit dem über 2000 Jahre alten keltisch-römischen Dreigötterstein? Leider wurde der halt erst 170 Jahre nach seiner Buchveröffentlichung entdeckt – bei der Erneuerung des Küchengewölbes im Hirzbauernhof. Ob die Expedition des römischen Kaisers Tiberius um 15 vor Christus (von der Strabo berichtet: „Tiberius aber sah die Quellen der Donau“) also nicht doch zuvorderst dem Quellheiligtum an Breuningers eigentlicher Donauquelle gegolten hat? Ach, hätten sich dieMitarbeiter im Stuttgarter Innenministerium doch etwas gründlicher vorbereitet

Donauquellstadt St. Georgen? Lassen wir den Stuttgarter Ministerialen doch noch etwas Zeit bis zur Feierstunde mit der dritten Auszeichnung.

In freudiger Erwartung der neuen Auszeichnung: Donauquellstadt St. Georgen

1 Hockenjos, W.: Baumdenkmäler – Vereinnahmung und Gefährdung. Nicht nur im Dienst des Donau-Quellenstreits (Schwäbische Heimat 2019/1, S. 36 ff.)