Sogar der Tag ist zu Tränen gerührt

Sogar der Tag ist zu Tränen gerührt

7. Juni 2021 1 Von Hubert Mauz
Grab von Willi Storch

Treffpunkt ist unter dem Friedhofsbaldachim mit den Glasfensteroberlichter vom BaaremerKünstler Kiss. Schon jetzt verbreitete sich eine spirituelle Atmosphäre unter den Besuchern. Martina Wiemer erntet wie immer, wenn sie von den Donaueschinger Jüdischen Mitbürgern erzählt, bei der Einleitung schon Betroffenheit. Am Grab von Willi Storch, dem einzigen Jüdischen Grabstein auf der Baar, zum Gedenken an einen polnischen, 17 jährigen Jungen, wird es dann ganz still. Als Arbeitssklave in die Ortenau verschleppt, gelingt ihm die Flucht im Hochschwarzwald zusammen mit seinem älteren Bruder bei einem der berüchtigten Todesmärsche von Offenburg mit Ziel Bodensee. Viele Vernichtungsarten und Tötungsarten waren den Teilnehmern schon zu Ohren gekommen. Aber dass diese ausgemergelten, geschundenen Männer und Jungen dort ertränkt werden sollten, das senkt sich bleischwer sehr tief ins menschliche Fühlen. Wochenlange Irrungen bei Nacht, Kälte und Hunger enden erst, als diese Fluchtgruppe von den Französischen Befreiern gefunden werden. Das erste Mal seit ihrer Kindheit erfahren sie wieder Menschlichkeit, berichtet später der überlebende Bruder. Willi überlebt die Torturen nicht. Er stirbt an Fleckfieber im Lazarett Donaueschingen und wird auf dem Stadtfriedhof beerdigt.

Ganz nach altem jüdischem Brauch werden noch einige Steine auf seinem Grabstein abgelegt und dann geht es an den Hochrhein, nach Gailingen.

Martina Wiemer am Grab von Willi Storch (28. Januar 1928 – 21. Mai 1945) in Donaueschingen.

Nachdem das Nerven- und Gefühlsköstüm wieder einigermaßen zusammengerafft und gefaltet ist, betreten wir den Jüdischen Friedhof in Gailingen. Dort empfängt uns H. Krooss, ein Hamburger der in Schaffhausen gearbeitet hat und nun in Gailingen lebt. Er betreut kenntnisreich und einfühlsam den Jüdischen Friedhof in Gailingen. Dort empfängt uns H. Krooss, ein Hamburger der in Schaffhausen gearbeitet hat und nun in Gailingen lebt. Er betreut kenntnisreich und einfühlsam den Jüdischen Friedhof und das Gedenkmuseum an die Jüdische Gemeinde des Ortes und die Schicksale der großen Jüdischen Gemeinde Gailingen, Randegg, Worblingen und dem Hegau, zu der auch die jüdischen Bürger von Donaueschingen gehörten. Abraham Guggenheim aus der Wasserstrasse / Zeppelinstrasse wurde dort auf dem mystischen Friedhof, auf dem alle Gräber gegen Osten , gegen Jerusalem, zeigen, in Würde bestattet. Noch nach Jüdischem Brauch und Ritus und vor dem folgenden, grossen Grauen.


Ungefähr 250 anderen Juden aus diesem Jüdischen Sprengel widerfuhren dagegen unsägliche Torturen, Demütigungen und bestialische Grausamkeiten auf ihrem Leidensweg meist über Gurs nach Auschwitz oder Treblinka. Fabrikatorischer Massenmord und Vernichtung haben Unmenschen an Menschen, beispiellos in der Geschichte, an Frauen, Kindern, Männern und Gebrechlichen mit einer unfassbaren Gefühlskälte und Unmenschlichkeit verübt.


Die Gräber auf dem pietätvollen Friedhof erzählen noch die Geschichte der friedvollen, kultivierten jüdischen Gemeinde vom Hochrhein und dem Hegau. Einzig der Gedenkstein aus Basalt aus dem Jahr 1948 weist auf die beispiellose Menschheitsschande hin. Dort treffen sich jährlich die Juden, die das Erinnern und die Vernichtung ihrer Kultusgemeinde am Hochrhein mühsam aushalten, aus der ganzen Welt und die Nachkommen der weit verstreuten Nachfahren der Gailinger jüdischen aber auch christlichen Gemeinde zum Gedenken.

Da wird es schwer die wunderbare Landschaft dort am Rhein bei Gailingen, Dissenhofen und Büsingen zu bestaunen.
Der bedächtigte Herr Kroos empfängt uns dann noch im Museum für die Jüdische Geschichte von Gailingen und überlässt uns dem Besinnen bei der Betrachtung der gelungenen Dokumentation. Die einfühlsame Darstellung und Beschreibung mit Bild und Text bringt einem die Lebenswelt dieser lebendigen Gemeinschaft subtil näher. Nur ganz wenige bedrückende Hinweise regen zur Erschütterung an.

Da ist die Familie, die in gutem Glauben, dass ihre beiden Kinder, 5 und 10 Jahre, ein paar Tage später wie die Eltern auch über die Dissenhofer, überdachte Eichenbrücke in die Schweiz dürfen, um dann gemeinsam die genau vorbereitete Flucht nach Palästina antreten zu können. Tage später wird den Kindern der Durchgang verwehrt. Der jüngere stirbt in einem Heim. Die Eltern tragen ein lebenslanges, gewaltiges Trauma in ihrer Zuflucht Israel durchs Leben. Oder der christliche Feuerwehrkommandant, der verhindert, dass eine Familie dem Pogrom zum Opfer fällt. Oder der Nachbar, der unter Todesverachtung religiöse Kultgegenstände und die Thorarolle im Garten vergräbt. Beschwerden wegen des im Hegau legendären fasnachtsähnlichen Festreiben der Jüdischen Gemeinde werden vom christlichen Kirchengemeinderat als harmlos und brauchtumsgerecht abgeschmettert. Nur eine einzige Konzentrationsbaracke ist zu sehen, keine Gräuelbilder und lebende Leichname. Gutes Museum dieser Art kommt ohne Ermahnungen, ohne den Zeigefinger aus. Allerdings muss man sich auch darauf einlassen, mental und emotional.

19.9.1948 aufgestelltes Denkmal für die 1940 nach 
Gurs deportierten Gailinger Juden.”
לברוך עולם
Zum ewigen Gedenken an die Gailinger Juden
welche am
22. Oktober 1940
deportiert und in den
Konzentrationslagern
ums Leben gebracht wurden”

Wenn man beim Ausgang glaubt, man sei dieser Geschichte zunächst entronnen, erfordert die Stehle am gegenüberliegenden Synagogenplatz mit den fast 300 israelitischen Namen der Vernichteten aus dem Jüdischen Sprengel, noch mal eine Herausforderung und große innere Stärke.


Den Gailinger Jüdinnen und Juden, die am 22.10.1940 ins Lager Gurs und später in die deutschen Vernichtungslager des Ostens deportiert wurden, zum ewigen Gedenken und den Lebenden zur Mahnung.
In der langen Nacht der Schoa von Menschen am Menschen getan.