Hieronymus und der Wald-4
Originalbeitrag vom 26. Februar 2017
zwischen Dichtung und Wahrheit
Wie sich Lucian Reich im und „auf dem Walde“ auskannte
Vortrag aus Anlass des 200. Geburtstags von Lucian Reich am 26. Februar 2017 Teil 4.
Im Kapitel VI. Hirten- und Jugendleben taucht der Forbachklaus wieder auf, in dessen Köhlerhütte sich die Hirtenbuben an regnerischen nebelig-kalten Tagen aufwärmten an den Gluten, woran der Alte sein spärliches Mahl bereitete. Klaus unterrichtete die Kinder, wie man sich vor den Wölfen zu schützen habe, oder theilte ihnen anderes über diese Raubthiere mit.
Es sei letzthin erst durch die Nachlässigkeit des Hirten wieder eine Kuh von den Wölf´ zerrissen worden. Weshalb auch der fürstlich´ Oberjäger erst wieder die Wolfsgruben, oben am Thierstein und durch den ganzen Hellberg (den Hallenberg?), frisch habe auslegen (sprich: beködern) lassen.
Dann heißt es weiter: Den Schwarzwaldkindern waren übrigens Wölfe damals nichts Fremdes, und Hieronymus kannte ihr Geheul ganz wohl, denn des Winters trieb der Hunger die Bestien oft bis an die Einfriedung der Gehöfte, welche sie umstrichen, oder wo sie sich, den Hunden gleich, niederkauerten, die Gelegenheit zu einem Raube, oder zu einem Einbruch in den Stall zu erspähen. Auch hier hat Lucian Reich zweifellos etwas allzu dick aufgetragen, denn die Wölfe waren bereits im frühen 18. Jahrhundert – nicht zuletzt dank der Wartenbergischen Wolfsordnung – so gut wie ausgerottet. Der seinerzeit letzte Wolf, ein einzelner Zuwanderer (wie der vorerst allerletzte, am Ochsenberg bei Tannheim nachgewiesene vom März 2020), wurde bekanntlich anno 1805 bei Immendingen erlegt, nachdem schon Jahrzehnte lang keiner mehr aufgetaucht war.
Ein andermal erzählt der Fohrbachklaus von den gewaltigen Steinhaufen im Wald des Laubhauser Bergs, wo eine Stadt gestanden habe. Der gut erhaltene Thorbogen war ebenso frei erfunden wie das prächtige Kloster, das einst auf dem Tierstein gestanden habe.
Immerhin soll dort oben nach Kwasnitschka eine Fliehburg mittelalterlichen, wenn nicht gar keltischen Ursprungs existiert haben. Unter den überhängenden Felsen des Tiersteins, wo bisweilen auch die Vaganten zu kampieren pflegten, flüchteten die Kinder bei Sturm und Gewitter, oder sie verschanzten sich im verfallenen Gemäuer des einsamen Zindelsteins. Erstaunlicherweise hat sich Reich einen Hinweis auf Altfürstenberg, das (erstmals 1619 erwähnte) Krumpenschloss, versagt, dem ebenfalls keltische Ursprünge nachgesagt werden.
Die Hütte des alten Köhlers stand auf der Kohlstatt beim Bruderkirchlein, heißt es in Kap. VII. Das Bruderkirchlein und die Köhlerhütte.
Klaus hatte sie von seinem Vater geerbt, der auch seine ganze Lebzeit im Dienste des Laubhausers kohlte. So ganz realitätsnah will mir das nicht erscheinen, denn die Kohlplatten wechselten rasch, sobald ringsum der Kohlholzvorrat erschöpft war. Der Stich zum Kapitel zeigt auch am Tierstein eine Hütte, doch die scheint nur als Unterschlupf gedient zu haben. Das Motiv der Köhlerhütte hat Lucian Reich auch auf Uhrenschildern verwendet, wie im Hüfinger Museum gezeigt wird.
Hier also, in Kapitel VIII. Johanna, sitzt der alte Forbachklaus ruhig bei seinem Feuerherd unter dem Thierstein, in dessen Nähe er seine Kohlstatt aufgeschlagen hatte.
Derweil war seiner Tochter, der kleinen Johanna, kein Baum zu hoch und kein Fels zu schroff, als dass sie ihn nicht erklettert hätte: Auf die höchsten Mauerzacken der verwitterten Burg Neufürstenberg wagte sie sich, wo auch der verwegenste Bube ihr nicht nachgekommen wäre.
In der Köhlerhütte jedenfalls empfangen Klaus und Tochter Johanna den jungen Herrn Tolberg, der einige Zeit verweilen möchte, um die Angehörigen seines Freundes, des Köhlersohns Dieter, kennen zu lernen, so wie die traulichen Hütten und romantischen Gegenden des schönen Schwarzwaldes. Köhlerhütten wird man sich nicht gar zu traulich, eher rußig-schmutzig und primitiv vorzustellen haben; erst recht die von Schweiß und Ruß gezeichneten, oft lungenkranken Köhler, deren Beruf am unteren Ende des Sozialprestiges rangierte. Insofern scheint mir hier die Idylle doch ein bisschen allzu weit getrieben worden zu sein. Aber es sollte hier ja auch eine zarte, folgenreiche Liebesgeschichte ihren Anfang nehmen. Wilhelm Hauffs 1830 geschriebenes Märchen Das Kalten Herz mit Kohlenmunk-Peter und Holländer Michel, jenes frühkapitalistische Lehrstück über die menschliche Gier, hat die Köhlerei jedenfalls sehr viel sozialkritischer beschrieben.
Fortsetzung gibt es hier
Hier gehts zum Podcast der Kapitel 6-8 der von Lucian Reich überarbeiteten Auflage: