
Hieronymus und der Wald-3
zwischen Dichtung und Wahrheit
Originalbeitrag vom 26. Februar 2017
Wie sich Lucian Reich im und „auf dem Walde“ auskannte
Vortrag aus Anlass des 200. Geburtstags von Lucian Reich am 26. Februar 2017 Teil 3.
In Kap. II. Häusliches Stillleben wundert sich der kleine Hieronymus über den großen Stierschädel, welcher seit mehr als Menschengedenken am First des Laubhauser Hofs angebracht war. Lucian Reich erinnert hier an die auch heute mitunter noch an der Hohsuhle (Firsthochsäule) der ältesten Schwarzwaldhöfe angebrachten Schädel der Zugtiere, die einst das Bauholz herbei befördert haben.
Hermann Schilli, der Verfasser von Das Schwarzwaldhaus (1953), zeigt einen solchermaßen mumifizierten Schädel aus dem Schwarzbauernhof im Katzensteigtal, der Blitzschläge und Unglücksfälle vom Hof fernhalten soll, wie er schreibt.
Erwähnt wird auch noch der Kolmenfrieder (vom Kolmenhof auf der Martinskapelle?), der am Kohlwasen vom Hollahoh, dem erschrecklichen G´spenst, erwürgt worden sei.
Auch den an die Köhlerei erinnernden Kohlwasen gibt es tatsächlich: Es ist ein bewaldeter Rücken zwischen Linach- und Bregtal; unlängst geriet er in die Schlagzeilen als potenzieller Standort von Windkraftanlagen. Schließlich noch ein Schlegelwald, wo es in den hohe Tanne zu wehen und zu rauschen beginnt – als wie wenn der Pfaffe-Diesle geistweis ging. Ein Schlegelwald mit hohen Tannen (aber ohne Gespenst) ist mir ebenfalls geläufig, doch der befindet sich im Villinger Stadtwald an der Vöhrenbacher Grenze.
In Kap III. Frühlingsanfang erfahren wir etwas über die Flößerei: Der Hofwald liefere, so schreibt Lucian Reich, erst seit neuerer Zeit den gewünschten Ertrag, seit nämlich mehrere Flüsse flößbar gemacht und überall Wald- und andere Wege angelegt wurden, welche die Abfuhr des Großholzes möglich machen. Eine etwas verwirrende Aussage, denn auf der Breg wurde zwar seit langem fürstliches Brennholz getriftet, doch höchstens versuchsweise einmal auch Langholz geflößt. Hierzu reichten weder die Wasserführung noch das Gefälle aus, und auch über Schwallungen (Klusen) ist nichts bekannt.

1715 wollte das Fürstenhaus die Breg bis Donaueschingen flößbar machen, scheiterte jedoch am Bräunlinger Widerstand, weshalb Fürst Anton Egon sogar erwog, einen Durchstich von Wolterdingen nach Aufen zur Brigach hinüber graben zu lassen. Ganz anders die Flößerei etwa auf der Murg, die der Rastatter Lucian Reich wohl vor Augen hatte. Doch auf den hierzu geeigneten Schwarzwaldflüssen wurde bekanntlich nicht erst seit neuerer Zeit geflößt, sondern bereits seit dem frühen Mittelalter, wenn nicht gar schon seit Römerzeiten. Die systematische Walderschließung mit einem Wegenetz ist dagegen erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts so richtig in Gang gekommen.
Die Köhlerei, das Kohlenbrennen, das auf dem Schwarzwald schon von Urzeiten her üblich war, stehe jedoch in keinem Verhältnis zu dem unermesslichen Holzvorrath, weil außer diesem und den wenigen Brettern, die jeder Bauer auf seiner einfachen Klopfsägemühle schneiden ließ, gar geringer Verbrauch war. Das scheint mir nun wirklich eine gar zu idyllische, alles in allem unzutreffende Beschreibung der Waldsituation im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert zu sein! Landesweit ging damals „das Gespenst der Holznot“ um, das die Landes- und Standesherren schließlich zu großen Anstrengungen in Richtung Nachhaltigkeit zwang, so auch durch das neue Badische Forstgesetz von 1833 (Verbot der Waldweide, des Kahlhiebs und des regellosen Plenterns im öffentlichen Wald). Die fürstliche wie auch die großherzogliche Forstverwaltung erwarben damals viele „vergantete“ Höfe (so auch den einst stattlichen Grumpenhof), den Hofwald – oft genug „in abgeforstetem“, d. h. in kahlem Zustand. Von Heinrich Hansjakob, dem Rastatter Schüler von Lucian Reich, stammt der Ausspruch – bezogen auf die FF-Wälder um Wolfach – wenn´s so weitergehe, müsse man den Schwarzwald bald in Kahlwald umbenennen.

Hier Kahllächen nach dem Orkan Lothar (1999)
Sodann zeichnet Lucian Reich ein Bild jener hochgelegenen Schwarzwälder Landschaften, wozu man sich noch weite Strecken einsamer Wildnisse und Moose, rauschende Waldbäche und zwischen all den unabsehbaren Tannenwäldern starre, spärlich bewachsene Granitmassen denken muß, um ihren eigenthümlich ernsten, bei vieler Lieblichkeit fast schwermüthigen Charakter zu fühlen.

Offenbar hat Lucian Reich hier weniger den Hoch-, als vielmehr den Baarschwarzwald vor Augen mit seinen Mösern (Mooren) und Missen oben auf der Buntsandsteindecke, die freilich schon im 19. Jahrhundert im großen Stil mit Hilfe von Grabensystemen entwässert wurden.
Weder mit Wildnissen noch mit unabsehbaren Tannenwäldern konnte dieser Teil des Schwarzwalds in Wahrheit noch aufwarten ausgangs des 18. Jahrhunderts: Dafür hatten im und um das Bregtal längst die Glashütten oder das Hammereisenbacher Eisenwerk gesorgt mit ihren dem Holzhunger geschuldeten Kahlschlägen. Reichs Tannenwälder waren damals schon weit überwiegend Fichtenwälder. So heißt es etwa im Forsteinrichtungswerk von 1833 für den Wolterdinger Wald, die Weißtanne nehme eine ganz untergeordnete Stellung ein, „obgleich sie in einzelnen riesenhaften Exemplaren und fast allenthalben als Überständer vorkommt.“
Im Bräunlinger Stadtwald war die Weißtanne bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fast völlig verschwunden. Letzte „prachtvolle Überreste“ von Tannenurwald glaubten die Forstleute – fälschlicherweise – noch im 19. Jahrhundert im Weißwald bei Tannheim und an der Bruggener Halde vorweisen zu können: im einen Fall handelte es sich um einen überaus extensiv bewirtschafteten ehemaligen Klosterwald, im andern um die Liquiditätsreserve für die Privatschatulle des Fürsten. Beim rauschenden Waldbach und den spärlich bewachsenen Granitmassen hatte der Dichter gewiss den Grumpendobel und den Tierstein vor Augen.
Über Mathias, den Vater von Hieronymus, den ältesten Sohn und weichenden Erben eines Bauern, erfahren wir nebenbei auch etwas über die Reutfeldwirtschaft, das Rüttibrennen, das vor allem im zentralen Gneis-Schwarzwald bis ins 20. Jahrhundert hinein weit verbreitet war: Auf einem entlegenen öden Feldstücke … schürfte er die Oberfläche, „brandelte“ den Rasen, ließ die Erd- und Aschehaufen den Winter über gären und verwesen, und erzielte durch diese Behandlungsart, damals noch wenig bekannt, einen solchen Ertrag an Gerste, dass es die allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Dass dieses althergebrachte Verfahren der Waldfeldwirtschaft damals noch wenig bekannt gewesen sein soll, muss erstaunen. Wieso waren die rauchgeschwärzten Hänge der Reutberge dem Hüfinger nie aufgefallen – bei all seinen Schwarzwaldwanderungen (vgl. Wanderblühten von 1855)?

Auf einem entlegenen, öden Feldstücke…schürfte er die Oberfläche, „brandelte“ den Rasen, ließ Erd- und Asche-Haufen den Winter über gären und verwesen, und erzielte einen solchen Ertrag an Gerste, dass es die allgemeine Aufmerksamkeit erregte.
Zum 4. Teil geht es hier:
Das Kapitel 2 von der von Lucian Reich überarbeiteten Auflage ist deutlich ausführlicher was die Geistergeschichten, den Hollohoh und auch die Jennischen betrifft.
Den Podcast zum Kapitel 2 gibt es hier:
Den Podcast zum Kapitel 3 gibt es hier: