Moreaus Rückzug
Plünderung
Hieronymus Kapitel 19
Da die Texterkennung unglaubliche Fortschritte gemacht hat, habe ich den Podcast mit dem Text ergänzt. Der gesamte Hieronymus liegt seit 2023 auch in Textform vor. Vorlage war die von Lucian Reich überarbeitete Auflage, die er zu Lebzeiten nicht mehr veröffentlichen konnte und die 1957, von der Heimatzunft Hüfingen als Band XII der Schriftenreihe des Kreises Donaueschingen, unter großem Aufwand von Dr. Johne, veröffentlicht wurde.
Da der Hieronymus-online sich auch der Barrierefreiheit verschrieben hat, werde ich ab sofort die einzelnen Kapitel durcharbeiten und die einzelnen Bilder im Hintergrund für Menschen mit Sehschwächen beschriften. Die Beschriftung kann mit Screenreadern ausgelesen werden.
Neunzehntes Kapitel in unserer Podcast Reihe, gelesen aus dem Hieronymus von Lucian Reich:
Moreaus Rückzug – Plünderung
Für den Augenblick war das Unwetter vorübergezogen, ohne in dieser Gegend größeren Schaden anzurichten; doch bald sollte es, von einem Gegenwind zurückgetrieben, nur um so heftiger sich entladen.
Mit dem Anfang des Oktober hatte der französische General Moreau auf seinem, wohl über die Gebühr gepriesenen Rückzuge die Höhen des Schwarzwaldes und den Paß des Höllentales wiederzugewinnen vermocht und den Schauplatz unserer Erzählung mit seinen Scharen überschwemmt.
Bereits, als es kundbar geworden, wie Erzherzog Karl die zweite feindliche Armee nach dem Main zurückgeworfen habe, und wie die fränkischen Bauern den fliehenden Franzosen mitgespielt, da machte das Vaterlandsgefühl sich geltend, überall, wo ein Feind auf deutschem Boden zu sehen gewesen. In dem diesseitigen Teile des Bistums Speyer hatte der bewaffnete Volksaufstand seinen Anfang genommen, sich rasch über den Odenwald und herauf über die Ortenau verbreitet. Aber selbst in jenem Teile des Schwarzwaldes, welcher noch in Feindes Hand war, suchte man die verborgenen Waffen wieder hervor. Wo man den Franzosen einen Schaden, einen Abbruch tun konnte, geschah es. Nachzügler, einzeln reisende Kriegsbeamte wurden überfallen und auf die Seite geschafft.
An den Heerstraßen hatten verwegene Rotten Hinterhalte angelegt, von wo sie kleinere feindliche Abteilungen versprengten, oft gar überwältigten.
Gefangene wurden bei solchen Gelegenheiten keine gemacht, das begreift man. Allerdings ließen die Franzosen solche Dinge nicht ungeahndet, wo sie es vermochten, allein man darf wohl annehmen, daß nur die Furcht, den Aufstand allgemein zu machen, sie von greulicher Wiedervergeltung abhielt.
Im Kirchtal unter andern hatte der Kuhhirt einige verwegene Gesellen um sich versammelt und lag mit diesen an der Landstraße auf der Lauer. Da sahen sie einen feindlichen Gepäckzug herannahen, nur von wenigen Bewaffneten begleitet. Die Disposition zum Angriff war bald gemacht; als der Zug nahe genug herangekommen, sprangen die Kameraden rasch aus ihrem Versteck, wirbelten mit den Füßen den Staub der Landstraße hoch in die Höhe, der Hirte feuerte dabei zwei Pistolenschüsse ab, und die erschreckten Feinde, wahrscheinlich junge Leute, nahmen eiligst die Flucht, den Wegelagerern das Gepäck als Kriegsbeute überlassend. Doch nicht lange nach dem Streich erscheint eine französische Kolonne in dem Tale, dort die Auslieferung der Übeltäter zu verlangen oder den Ort niederzubrennen. Jene aber hatten sich bereits in die Berge salviert, und der französische General war menschlich genug, nur sechs Häuser in Asche legen zu lassen. – Auch in Hausen vor Wald war ähnliches geschehen, und das Dorf wurde drei Tage lang der Plünderung preisgegeben.
In Hausen vor Wald haben wohl auch Hirten Franzosen überfallen, was genau passiert ist, schreibt Lucian Reich nicht. Auf jeden Fall wurde als Strafe Hausen vor Wald drei Tage lang Plünderungen peisgegeben. Dass danach wohl nicht mehr viel übrig sein konnte, ist wohl klar.
Und wieder fürchtete man in der Baar eine Schlacht. – Schon standen die Armeen einander gegenüber, als die Franzosen ihre Stellungen aufgaben und den Rückzug über den Schwarzwald fortsetzten. Der Feuerschein des brennenden Dorfes Röthenbach, wo vorher einige Franzosen umgebracht worden waren, und die flammende Pfarrkirche samt Schulhaus in Neustadt bezeichneten ihren Weg.
Unsern Hieronymus faßte der Strudel im Hause der Großeltern, welche im Jahr vorher kurz nacheinander aus dieser Zeitlichkeit geschieden waren und für welche eben jetzt der Gedächtnisgottesdienst gehalten werden sollte.
Zweiter Koalitionskrieg
Der Zweite Koalitionskrieg (1798/99–1801/02) wurde von einer Allianz um Russland, Österreich und Großbritannien gegen das im Ersten Koalitionskrieg erfolgreiche revolutionäre Frankreich geführt.
Auf dem Walde war in diesem Jahr vom Kriege wenig zu verspüren gewesen; kein Feind hatte noch die Gegend um Laubhausen betreten; und daß Moreau schon wieder auf dem Rückzug sich befinde, davon hatte man dort nur gerüchtweise sagen gehört. Also war Vater Mathias in die Amtsstadt gekommen, um seinen Sohn zur Gedächtnisfeier abzuholen.
Der Gottesdienst im Dorfe war noch ungestört vorübergegangen. Gegen Mittag, als die Leute gruppenweise vor ihren Häusern standen, mehr stumm und erwartungsvoll als beratend, erscholl es plötzlich: „Sie kommen“, und wirklich sah man bald darauf am „Kapf“ (einer Waldecke) Bajonette blitzen. Eine Abteilung Franzosen hatte dort Halt gemacht.
Das Kapf bei Villingen ist gegenüber vom Kirnacher Bahnhöfle und eine alte Wallanlage des keltischen Siedlungsareals.
In demselben Augenblick krächzt eine heisere Weiberstimme: „Sie kummet, sie kummet, d‘ Vetterli kummet! Jetzt ist den arme Leute g’holfe!“ – Es war das alte halbverrückte Duningerannele, welches in wahnsinniger Lust also durch das Dorf rannte.
Über das Duningerannele läßt sich in der Villinger Geschichte leider nichts mehr finden. Anscheinend aber war sie den Ideen der französischen Revolution nicht abgeneigt.
Da tut sich der krumme Davidle, der Viehdoktor und Teufelsbanner hervor, die Leute zu beruhigen: er könne Französisch, behauptete er, und wolle hinausziehen, zu parlamentieren.
Der krumme Davidle, der Viehdoktor und Teufelsbanner ist auch in den Tiefen der Geschichte verschollen.
Man ließ ihn gewähren. Da band der Patriot ein weißes Taschentuch an einen Stock und zog mit dieser Friedensfahne hinaus zu den Franzosen.
Wer sich genauer für die Wirren der Koalitionskriege interessiert, sei auf die Seite des Geschichts- und Heimatvereins Villingen verwiesen: Villingen im Zeitalter der Französischen Revolution(1770-1815) von Michael Tocha.
Nach etwa einer Viertelstunde ängstlichen Harrens kehrte der Parlamentär wieder zurück, von weitem schon schreiend: „Viktoria – sie sage, sie tun uns nüt – wenn wir ihne nur g’nug z‘ essen und z‘ trinke nausbringe.« So leichten Kaufes loszukommen, hatte man nicht vermutet, und alles beeilte sich, Schinken, ganze Speckseiten, geräuchertes Fleisch, Wein und Branntwein herbeizuschaffen, auf Karren zu laden und dies Mittagsmahl den fremden Gästen zuzuführen, welche dasselbe auch ohne viel Komplimentierens entgegennahmen. Die Leute, welche hinausfuhren, waren nicht wenig erstaunt, solch einen bunten, zerrissenen und zerlumpten Haufen zu sehen wie diese Neufranken, obwohl sie bei ihrem ersten Auftreten schon abenteuerlich genug ausgesehen hatten.
Alle Orte von Ulm bis Schwenningen, wo der Haufe durchgezogen war, mußten ihm Tribut gezollt haben. Neben einem Soldaten im französischen Casquet sah man einen andern im schwäbischen Nebelspalter, der hatte einen Weiberrock umgetan, jener einen Ratsherrenmantel. Hier lief einer barfuß, dort ein anderer in Pantoffeln. Hier einer im weißen Chorhemd, dort ein anderer im blauen Fuhrmannskittel. Dieser trug gestreifte Pantalons, jener gelbe Lederhosen. Man sah, hier herrschte Freiheit, aber wenig Gleichheit.
Mit „französische Casquet“ ist vielleicht ein Casque, ein Helm, gemeint.
Was mit einem schwäbischen Nebelspalter gemeint ist, würde mich auch sehr interessieren!
Die Lebensmittel waren kaum an ihre Herren gelangt, als wieder, wie des Morgens schon, ein eisiger Regen einfiel und die Kolonne ihren Marsch nach dem Dorf fortsetzte. – Welch ein vortrefflicher Unterhändler der krumme Davidle gewesen, zeigte sich alsobald; denn als die Franzosen kaum an den ersten Häusern angekommen waren, ging der Spektakel los.
Eine ergötzliche Jagd auf Gänse und Enten war das erste. Wo aber solch fette Bissen auf den Gassen zu finden, muß offenbar in den Häusern noch weit Köstlicheres vorhanden sein. – In dieser Voraussetzung statteten die Neufranken ihren deutschen Brüdern schon in den Nachbarhäusern überraschende Besuche ab. Bald darauf sah man einen mit einem Ballen Leinwand wieder auf die Straße stürzen, die andern gleich einer bellenden Meute hinter ihm drein, jeder bemüht, ein Stück des Ballens herunterzusäbeln und als schützenden Mantel umzuhängen. – Das alles war jedoch, wie gesagt, nur ein Vorspiel, denn bald schien es, als brenne das ganze Dorf, und die behenden Franzosen seien nur gekommen, um auszutragen, was nicht niet- und nagelfest. Da wurden verborgene Schätze gehoben ohne Wünschelrute und Christoffelgebet; Übergaben bewerkstelligt ohne Notar; Truhen wurden geleert, volle Beutel eingesteckst, ohne Empfangsbescheinigung. Manch Schweinchen wurde geschlachtet und zerstückt, ohne vorher gebrüht worden zu sein.
„Krieg den Palästen, Friede den Hütten!“ war das neue Losungswort – aber in Ermangelung von Palästen mußten eben die Hütten herhalten.
Mathias und Hieronymus hatten sich während dieses Sturmes in dem großelterlichen Häuslein gehalten, und wunderbarerweise war es gerade diese kleine Wohnung, welche verschont geblieben.
Nachdem die wilden Wasser verlaufen, suchten Vater und Sohn wieder den Heimweg. Überall auf ihrem Wege erblickten sie Spuren des wüsten Zuges, und ihre bange Spannung, wie es zu Hause ergangen sein möchte, mußte mit jedem Schritte wachsen. Hie und da begegneten den Wanderern einzelne oder kleine Truppen von Nachzüglern, die jedoch nicht alle den heimischen Herd zu sehen das Glück hatten. Gerade das aber war für den alten Mathias ein Grund vermehrter Besorgnis, denn bereits vom Tage an, wo die Franzosen gegen das Kinzigtal gekommen, war der Stoffel unsichtbar geworden; und bald da, bald dort hatte man einen erschossen gefunden, dafür aber war auch da und dort ein Hof niedergebrannt worden. Doch erwiesen sich diese Besorgnisse glücklicherweise als unbegründet. Der Feind hatte sich auf dem Rückzug keine Zeit genommen, dem entlegenen Laubhauserhof Besuche abzustatten.
Der Feldzug war beendigt und der jugendliche Held Erzherzog Karl zu Freiburg als Befreier des Vaterlandes im Triumphe eingezogen. Nur von Kehl her, welches unter dem Oberbefehl des Fürsten Alois von Fürstenberg beschossen wurde, dröhnte noch das Brummen der schweren Stücke.
Erzherzog Carl Ludwig Johann Joseph Laurentius von Österreich, Herzog von Teschen, (* 5. September 1771 in Florenz; † 30. April 1847 in Wien) aus dem Haus Habsburg-Lothringen war ein österreichischer Feldherr…. Die Zurückdrängung der französischen Rhein-Mosel Armee unter General Moreau über den Rhein nach der Schlacht bei Emmendingen verschafften Karl große Popularität in Deutschland.
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In einem gesegneten Lande aber sind die Wunden des Krieges bald verharscht; der altgewohnte Zustand kehrt wieder. Das Erlebte gibt Stoff zum traulichen Gespräch, und der wieder unbefangene Blick findet aus den Szenen des Schreckens und der Bedrängnis Züge von Humor und Originalität heraus. – So erzählte man sich in Hüfingen lange unter Lachen, wie es dem Vetter Galli ergangen. In dem allgemeinen Durcheinander hatte es ihn zum Verwalter getrieben, ohne daß er recht wußte, was er eigentlich wolle. Unterwegs trifft er auf einen Neufranken, dem sogleich des Vetters neue Bundschuhe in die Augen stechen; der Soldat erlaubt sich, dem Vetter das Schuhwerk auszuziehen, und wirft ihm dafür seine durchgetretenen Stiefel hin. Kaum im Anziehen begriffen, kommt ein anderer Kriegsmann in Pantoffeln daher, und sogleich setzt es einen neuen Tausch ab. Also leicht beschuht zieht der Galli weiter, da begegnet ihm ein Dritter, welcher gar keine Fußbekleidung umzutauschen hatte und welcher den Galli mit der jenem Volke eigenen Höflichkeit nötigt, seine Visite beim Verwalter in Socken abzustatten.
Interessanter für unsere Leser dürfte die Geschichte sein vom Sturm auf das Stöckle, dem Gefängnisturm im süßen Winkel.
Das Stöckle, der Gefängnisturm im süßen Winkel wurde etwa 1840 abgerissen.
In diesen wohlverwahrten Ort hatte man zu Anfang der Kriegsunruhen einige Sträflinge aus dem Zuchthause verbracht, darunter den Langen Hans und seine Tochter Schön Rösel. Das Vagantenmädchen, seiner bekannten Unschuld zu viel vertrauend, hatte sich aus dem Überrhein wieder herübergewagt und war endlich der ungalanten Polizei in die Hände geraten.
Als im Städtlein das Lärmen der plündernden Franzosen bis zu dem Turme gedrungen, machte sich die schöne Heimatlose an das Gitterfenster und sang eines ihrer Lieder, daß es weit durch die Gassen schallte:
„Ei schöner guter Tag!
Ei tausend gute Nacht!
Ein Fischfänger möcht ich sein
Bei der Nacht.
Die Fische fängt man in dem Teich
Im Sommer wie im Winter gleich,
Bei der Nacht!
Bei der Nacht, da fische ich!“
Ein Trupp angetrunkener Franzmänner, welcher die Gasse entlanggezogen, hörte das Lied und erschaute auch alsbald die schöne Sängerin. Als diese aber (sie hatte im Elsaß einige französische Brocken aufgefaßt) den Franzosen ihr „bon jour citoyens“ zugerufen, ging der Tanz los. „Vive la liberté!“ schrie der eine, „vive la bohémienne!“ ein anderer, und die Freiheitsmänner machten sich unter rasendem Beifallsgeschrei sämtlicher Gefangenen kühn daran, einen zweiten Sturm auf die Bastille in dem Städtchen der Baar aufzuführen.
Die gesamte Obrigkeit des Ortes, der Amtsrat, der Schultheiß, die Bettelvögte und was sonst noch zur vollziehenden Gewalt des Städtleins gehörte, waren unterdessen herbeigekommen und suchten, wiewohl vergeblich, den Auflauf zu beschwören; die Franzosen wollten nichts davon verstehen, daß es sich hier um malfaiteurs handle. Man mußte endlich unterhandeln und zuletzt sich dazu verstehen, wenigstens Schön Rösel freizugeben. Im Triumphe ward die reizende Beute durch die Gasse getragen, und sie war auch wirklich ihren Befreiern als belle cantinière auf ihren weiteren Zügen über den Rhein gefolgt.
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