
Das Deggenreuschen-Elseli
von Gottfried Schafbuch in Mii Boor – Mii Hoamet 1972

Das Deggenreuschen Elselie vorgelesen von Maria Simon
Die schwedischen Horden, in Wirklichkeit waren es aber württembergische Söldner, die am 15. Oktober 1632 in Hüfingen das gräßliche Blutbad anrichteten, zogen auf ihrem Raub- und Plünderungsweg südwärts. Am Morgen des 17. Oktober erschien ein Meldereiter im Lager des Oberst Rau und meldete, daß die Marketenderin Elseli samt Waren, Roß und Wagen spurlos verschwunden sei. Der Oberst, ein trinkfester Haudegen, schlug wütend auf den Tisch und schrie zornig:
„Der Teufel soll doch die abgefeimte Vettel holen und sie geisterweise in den Wäldern umherjagen. Doch, wir haben weder Lust noch Zeit, der schwarzen Hexe nachzuspüren!“
Die durchtriebene und furchtlose Marketenderin Elseli war schon zwei Tage vorher, also an jenem Tage als die Soldateska im Städtchen Hüfingen fürchterlich und grausam mordete und manchem Mannsvolk den sogenannten „Schwedentrunk“ gab, heimlicherweise bei Nacht und Nebel abseits der ehemaligen Römerstraße entlanggefahren, und hatte sich in eine kleine Lichtung zwischen den dichten Tannenwäldern Rauschachen, Schafschachen und Armenhölzle geflüchtet.
Beim Morgengrauen traf sie dort der sechsunddreißigjährige Sattler und Ratsherr Matthias Schafbuch mit seiner Frau Magdalena geborene Forster, die schon am 29. April 1633 im Wochenbett verstarb. Nach kurzem hin und her und wohin führten Schafbuch und dessen Weib auf fast unwegsamem Karrenweg das Elseli mit seinem Gespann in den nahegelegenen Deggenreuschenwald. Dort zeigten sie ihm den ehemaligen römischen Gutshof, in dessen Keller 17 Stufen hinunter führten. Gemeinsam richteten sie der Heimatlosen eine wohl recht dürftige Niederlassung ein.
Ihren Klepper gab Elseli wohlfeil dem Ratsherrn, der ihr versprach, sie nicht im Stich zu lassen und nach Möglichkeit für ihre Atzung besorgt zu sein. So hatte das Weiblein, das sich fortan nur selten im Städtlein zeigte, sogar eine heizbare Unterkunft, wie sie ehedem von den Römern erbaut wurden.

Badezimmers der villa rustica.
Das Bild zeigt die unterste Lage der Heizkacheln, durch die die warme Luft des Kohlbodens in die Höhe steigt und die Wand erwärmt. Die Kacheln sind da, wo sie den Boden verlassen, durch einen Viertelrundstab gegen Beschädigungen geschützt und an ihrer Vorderseite geraut, damit der Wandstuck besser haftet.
Die Römer in der Baar von Dr. Paul Revellio in der Badische Heimat 8 (1921)

Fürderhin sammelte Elseli Wurzeln, Kräuter und Beeren, die sie gegen Nahrung in Hüfingen, Döggingen, Hausen vor Wald und Sumpfohren feilhielt. Niemand wagte es, das runzelige Weiblein abzuweisen. Gar bald stand es im Städtchen und in dessen Umgebung im Verdachte der Zauberei und im Bündnis mit dem Leibhaftigen. Ihr Umgang im Hause des Ratsherrn Schafbuch schützte sie jedoch vor öffentlichen Lieblosigkeiten oder gar Verfolgung.
Im Frühjahr und zur Sommerszeit erfreute Elseli ihre Wohltäter mit den seltensten Blumen wie: Osterglocken, Ägetli, Hummel-, Spinne-, Bienen- und Fliegenragwurz, sowie Türkenbund und dem prächtigen Frauenschuh. Man munkelte, daß das Elseli den Samen dieser bisher unbekannten Blumen aus fernen Landen in ihrem Marketenderwagen mitgebracht und an verborgenen, schier unzugänglichen Plätzen ausgestreut habe.
Viele Jahre lebte das anspruchslose Weiblein vor sich hin. Matthias Schafbuch war am 19. November 1635 gestorben und seine zweite Frau, Catharina geborene Bauknecht, sowie ihre beiden Kinder Johann Georg und Catharina, waren dem Elseli stets gut gesinnt.
Auf einmal blieb das alte Weiblein aus und man vermutete allenthalben, daß es verstorben sei. Der ehemals römische Gutshof war nun im Laufe der Jahre eingestürzt und zweihundert Jahre später ward ein großer Hügel aus ihm, der bis anfangs des 20. Jahrhunderts im Volksmund das „Hünengrab“ genannt wurde. Erst im Jahre 1913 gruben Gelehrte das Hünengrab um und legten den römischen Gutshof, den ehemaligen Aufenthaltsort des Elseli, frei.
hieronymus-online.de/villa-rustica-in-huefingen/
Nach Ende des unseligen Dreißigjährigen Krieges anno 1648, hieß es allgemein, das Elseli gehe im Deggenreuschenwald geistweis. Man erzählte von gar manchem Schabernack, den es den Leuten antue.
Ab und zu rauschte es im Dickicht und ein kleines Weiblein huschte vorüber. Die Leute, die ihm ausweichen wollten, verfehlten den düsteren Weg und kamen an irgend einer anderen Stelle, weitab ihres Zieles, zum Walde heraus. Ja, mancher Wanderer erzählte, daß ihm ein ausgemergeltes Weiblein auf den Rücken gehüpft sei und sich bis zum Ende des Waldes von ihm tragen ließ. Es sei dann boshaft lachend in den Deggenreuschenwald zurückgehuscht. Einer Botenfrau aus Bachheim, die wöchentlich mit einem eselbespannten Wägelein auf dem Weg im Deggenreuschenwald fuhr, in Hüfingen Butter, Eier und Geflügel feilbot und dort von den Krämern Waren mitnahm, geschah es mehrmals, dass ihr Esel stark unruhig wurde, zu schreien und zu schwitzen begann und zuguterletzt das Wägelein mit der ganzen Butscher umwarf. Wohl oder übel mußte die geneckte Botenfrau ihren allerdings unversehrt gebliebenen Kram wieder in das Wägelein packen, während dessen sprang das Hexlein Elseli lachend in das Innere des Waldes. Schindluder trieb der Waldgeist auch immer wieder mit den Schnittern und Schnitterinnen, die im nahen Ochsentrieb arbeiteten. Öfters kam es vor, dass das Hexlein den Korb mit dem Frühstück eiligst wegnahm und damit in einem dichten Gebüsch verschwand. Wenn die Schnitterinnen dann schimpfend an die Schatenstelle eilten, wo der Brotkorb in der Kühle stand, lag er noch unberührt, aber mit etlichen Blumen geschmückt, am Platze. Manchmal wurde auch beobachtet, daß das Weiblein nach Sonnenuntergang über die Ährenfelder dahintanzte.
Aber nicht nur neckend oder gar boshaft war das Deggenreuschen-Elseli. Gar manchen Leuten half es beim Holzlesen. Kindern, welche Erdbeeren und Himbeeren im Walde suchten, zeigte es gerne die besten Plätze. Nur in ganz wenigen Fällen jedoch führte es Leute zu seinen farbenfrohen Blumengärtchen. Möglich ist dies vielleicht die Ursache, daß sich heute noch im Deggenreuschen- und Rauschachenwald ein geschütztes Orchideenvorkommen erhalten hat, daß die Botaniker diesen beiden Wäldern den Namen „Blumenparadies von Deutschland“ gaben.
Ist das Deggenreuschen-Elseli von seinem Dasein „verlöst“ und zur Ruhe gebracht worden? Gewiß ist, dass es in Hüfngen heute, 1972, noch Leute gibt, die fest und steif behaupten, den Waldgeist Elseli gesehen zu haben. Es sei auf dem untersten Ast einer mächtigen Tanne gesessen und habe sich auf- und abgeschaukelt. Plötzlich sei es verschwunden und dann wieder in einem anderen Häs auf dem nächsten Tannenbaum lauthalslachend erschienen.
Solange im „Blumenparadies von Deutschland“ die Vielzahl seltener Blumen und Pflanzen vorkommt und unser Auge erfreut, wollen wir aber auch furchtlos der sagenhaften Gestalt des Deggenreuschen-Elseli gedenken und jener schrecklichen Zeit des „Dreißigjährigen Krieges“, in der unsere Vorfahren gar oft in den Wäldern kampieren mußten.
Blumig von Hannah bebildert und blumig, poesievoll, melodiös von Maria gelesen und zum Augen- und Ohrenschmaus von Gottfried angerichtet.
Danke diesem Trio