Totholznot

Totholznot

16. August 2021 1 Von Wolf Hockenjos

Totholz stellt im Ökosystem Wald eine enorm wertvolle Ressource dar. Pilze, Flechten, Moose, Schnecken, Käfer, Vögel und Säuger stellen rund 11.000 Arten in den Wäldern Deutschlands dar. Von diesen Arten ist ein Großteil auf das Vorhandensein von Totholz z.B. als Unterschlupf, Brutplatz oder Nahrungsquelle angewiesen. Das bedeutet, dass Totholz ein entscheidender Faktor für die Sicherung der biologischen Vielfalt im Ökosystem Wald ist. (Aus dem Alt- und Totholzkonzept Baden-Württemberg)

Im Donaueschinger Walddistrikt Buchberg, hart am Stadtrand gelegen und daher vielbesucht, hat im Frühjahr 2021 ein heftiger Holzhieb stattgefunden. Der galt zwar vornehmlich den erkrankten bis abgestorbenen Eschen, womit die Stadt ihrer Verkehrssicherungspflicht nachgekommen ist, doch im nämlichen Aufwasch fiel auch allerlei weiteres Holz an, gesundes wie erntereifes. Weshalb  die Bürger, nachdem die Sperrung der Wege endlich wieder aufgehoben werden konnte, mit Unmutsäußerungen nicht zurückhielten. Die „Wüstenei“, die die Forstmaschinen hinterlassen hatten, erbosten manche derart, dass sogar der Oberbürgermeister sein Fett abbekam. Hätte der Eingriff nicht doch auch ein bisschen moderater ausfallen können im Erholungswald? Immerhin beeilte sich die Stadt, Pfade und Wege vom Schlagraum zu befreien und wieder herzurichten. Nur mit der Abfuhr der geschlagenen Hölzer längs der Spazierwege haperte und dauerte es.

Nach dem Holzhieb und nach Wiederherstellung der Wege

Um die Wogen zu glätten, beschloss die Stadt, aus der Not eine waldpädagogische Tugend zu machen: Mit Baggerhilfe wurde ein Teil der Stämme den verkaufsfertigen Poltern entnommen und in Wegnähe wieder eingepflanzt, egal ob in der ursprünglichen Wuchsform oder mit dem Fällschnitt zuoberst. Und weil sich der Sinn der eingegrabenen – indianischen Totempfählen nicht unähnlichen – Holzblöcke nicht jedermann sogleich erschließt, versah man sie mit Hinweistafeln, die den geneigten Waldbesucher nun in Bild und Text aufklären über die waldökologischen Vorzüge von Totholz wie über Sinn und Zweck der ungewöhnlichen Maßnahme. Denn an Totholz hat es bislang weithin gefehlt, zumal im gewohnt besenrein aufgeräumten und also besucherfreundlichen Walddistrikt Buchberg. Weshalb man jetzt also zu dieser unorthodoxen Lösung griff. Verspricht man sich doch davon, dass die künstlich eingepflanzten Stämme alsbald Flechten, Moos und Patina ansetzen werden, sodass sie in ihrem äußeren Erscheinungsbild echtem, naturbelassenem Totholz zum Verwechseln ähnlich sehen werden. Selbst der Specht soll sich, bitteschön, recht bald an ihnen zu schaffen machen.  Oder sollten hier etwa Schilda und Potemkin grüßen lassen? 

Lässt Schilda grüßen?

Dass die Anreicherung mit Totholz dem Ökosystem Wald, auch dem Nutzökosystem Wirtschaftswald, dessen Nährstoff- und Wasserhaushalt zugute kommt, entnehmen die Donaueschinger Waldfreunde und Hundehalter jetzt den Hinweistafeln. In natura tut sich die Stadt offenbar schwerer mit der ökologischen Aufwertung ihres insgesamt 2305 ha großen Waldes, wie zuletzt einem Südkurierbericht (vom 18. April 2017) zu entnehmen war. Das für den Staatswald seit Jahren verbindlich vorgeschriebene Alt- und Totholz-Konzept, entwickelt von der Freiburger Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) und der Landesanstalt für Umweltschutz (LUBW), wird längst wärmstens auch dem Kommunal- wie dem Privatwald empfohlen, stärkt es doch die Selbstheilungskräfte des vom Klimawandel gestressten Waldes. In Donaueschingen war es indessen auf Ablehnung gestoßen, auch wenn der Stadt damit Ökopunkte gewunken hätten: „Viel zu restriktiv und viel zu belastend für den Betrieb“, so zitiert der Südkurier den für den Stadtwald zuständigen Bürgermeister, auch zu gefährlich für Waldarbeiter und Spaziergänger. Zumal nach den Vorgaben des Konzeptes ja nicht nur Einzelbäume stehen zu bleiben hätten, sondern auch „Habitatbaumgruppen“ und „Waldrefugien“ ausgewiesen werden müssten, in denen die Nutzung ruht. Das den Stadtwald betreuende Forstamt bezifferte den bei Übernahme des Konzepts zu erwartenden jährlichen Minderertrag sogar exakt mit 22.400 Euro.

Im ostwärtigen Teil des Buchbergs, dort wo im kommenden Jahr ein weiterer Holzhieb geplant ist und wo die Sperrung in der Zeitung bereits vorangekündigt wurde, war im Jahr 1905 zum hundertsten Todestag Friedrich Schillers der Schillerstein im Rahmen eines Festakts von Stadtverwaltung, Fürstenhaus, Gymnasium und breiter Öffentlichkeit feierlich eingeweiht worden. Das Denkmal am von Joggern und Nordic Walkern viel genutzten Fußpfad mag uns heute aus Anlass unserer Erörterung forstwirtschaftlicher Maßnahmen an eine Schillersche Episode erinnern: Auf einem seiner Waldspaziergänge im Ilmenauer Forst, so hat es die Zeitschrift Sylvan des Jahrgangs 1814 überliefert, soll der Dichterfürst einem Forsttaxator begegnet sein, von dem er sich die weit ins nächste Jahrhundert vorgreifenden Planungen zur Sicherung der Holzversorgung habe erläutern lassen. Erstaunt und voller Hochachtung habe Schiller ausgerufen: „Ich hielt Euch Jäger für sehr gemeine Menschen, deren Taten sich über das Töten des Wildes nicht erheben. – Aber Ihr seid groß, – Ihr wirket unbekannt, unbelohnt, frei von des Egoismus Tyrannei – und Eures stillen Fleißes Früchte reifen der späteren Nachwelt noch.“ 

Ach, wäre es Friedrich Schiller doch gegönnt, in unserem 21. Jahrhundert durch den trotz  Eschensterben und Klimawandel noch immer leidlich intakten Buchberg-Wald zu spazieren. Wie würde er die Arbeit der Förster („Jäger“) heute kommentieren? Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft, so würde ihn der Forstexperte aufklären(sofern er einem solchen im Wald begegnen würde, nachdem im Jahr 2021 wohl wieder einmal eine Forsttaxation ansteht), sei längst nicht mehr das, was vor 300 Jahren der sächsische Berghauptmann Hans Carl von Carlowitz erstmals benannt und in seiner Sylvicultura oeconomica als forstliches Prinzip zur nachhaltigen Versorgungssicherheit von Bergwerken und Hütten  festgeschrieben hatte. Dessen inzwischen so abgenutzter, allgegenwärtiger Nachhaltigkeitsbegriff sei längst um eine ökologische Komponente erweitert worden – auch und gerade in der Waldwirtschaft. 

Vielleicht würde der Dichter, sofern es zu der Begegnung im Wald denn doch nicht gekommen sein sollte, die Handynummer des Forstrevierleiters wählen, wie sie fürsorglich auf den Hinweistafeln zum Thema Totholz vermerkt ist. Mag sein, er würde auch sinnend verweilen, um deren Text vollends durchzumustern: „Der Buchberg“, so heißt es da, „wird von vielen Menschen zur Erholung genutzt. Aus Sicherheitsgründen können alte und kranke Bäume nur bedingt dem natürlichen Verfall überlassen werden. Um den vielen totholzbewohnenden Lebewesen trotzdem einen Rückzugsort zu bieten, hat der städtische Forst Donaueschingen hier diese Holzstücke aufgestellt. Wir hoffen auf viele neue Bewohner der Holzstämme, die das Holz zersetzen. Darin werden am Ende wieder große Bäume auf den zersetzten Stämmen wachsen.“

Ob er sich wohl von den Bemühungen der Donaueschinger beeindruckt gezeigt hätte, wie sie ihre liebe Not mit dem fehlenden Totholz und mit der Verkehrssicherungspflicht nachhaltig zu beheben gedenken?

Schillerstein im Stadtwalddistrikt Buchberg