Auf Veilchensuche

Auf Veilchensuche

27. Juni 2023 1 Von Wolf Hockenjos

Mit der genetischen Untersuchung des Vorkommens des Alpenveilchens im Brigachtal konnte nachgewiesen werden, dass es sich um das Europäische Alpenveilchen (Cyclamen pupurescens) und nicht um eine Zuchtform handelt.

Hannah Miriam Jaag und Thomas Kring: Vorkommen des Alpenveilchens im Brigachtal – eine molekulargenetische Analyse. Schriften der Baar Bd. 60/2017


Sein Brigachtäler (genauer: Beckhofener) Vorkommen hat mich schon seit Jahren fasziniert. Befindet es sich doch in der – auch im Ruhestand ob ihrer floristischen Raritäten noch immer gern und oft besuchten – Staatswaldabteilung Haselbuck des Weißwalds. Der hatte bis zur Säkularisation dem Villinger Benediktinerkloster gehört. Ob sich das Alpenveilchen womöglich aus einem der Klostergärten hierher verirrt hatte? Mit seiner Wurzelknolle fehlte es einst in keinem Kräuterbuch, denn es hat gegen allerlei Beschwerden geholfen. Wie im Beitrag in den Schriften der Baar ausgeführt wird, gehören die Alpenveilchen zu den ältesten dokumentierten Heilpflanzen Europas. Wohingegen sie in den Beschreibungen der Flora der Baar keinerlei Erwähnung finden. War also eines der Veilchen etwa von einem Blumenfreund „angesalbt“ worden, wie die Botaniker Auswilderungen aus heimischen Blumentöpfen zu bezeichnen pflegen? Das rätselhafte Brigachtäler Exemplar schien sich jedenfalls wohl zu fühlen auf dem sonnseitigen Hang am Rand der Trasse einer längst demontierten Überlandleitung. Nicht anders als Gelber Enzian, Küchenschelle oder Rotes Waldvögelein; auch wenn es keinerlei Anzeichen für eine Ausweitung des Vorkommens gibt. 

Zum 150. Erscheinen der Schriften der Baar, dem Organ des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der  Baar e. V. befasste sich ein Beitrag erneut mit dem Alpenveilchen1, mit dessen Verwandtschaftsverhältnissen und Herkünften, soweit sie sich per molekulargenetischen Abgleich entschlüsseln lassen. Erstaunlicherweise stellte sich dabei heraus, dass das Brigachtäler Alpenveilchen nicht sehr eng mit jenen der nächstgelegenen Schweizer, eher mit österreichischen Vorkommen zusammenpasst. Wie naheliegend wäre dann der Einfluss der vorderösterreichischen Geschichte unserer Region, sprich: die Versorgung mit dortigem Pflanzgut? Oder sollte die Alpenpflanze am Ende doch heimisch gewesen sein auf der Baar, im südlichen Schwarzwald wie auch im benachbarten Kanton Schaffhausen?

Noch im Sommer 2020 hatten sich mir im Weißwald zwei zarte purpurrote Veilchenblüten gezeigt – umso enttäuschender fiel der Besuch im Frühjahr 2023 aus – bei heillos verfrühten hochsommerlichen Temperaturen. Nicht einmal mehr die Blättchen waren auffindbar. Hatte ihnen die Serie trockenheißer Vegetationsperioden inzwischen dermaßen zugesetzt? Oder hatten sie sich nur versteckt, derweil meine Sehschärfe und mein Orientierungssinn sich unterdessen verschlechtert hatten? 

Es traf sich gut, dass eben jetzt die traditionelle „Altherrentour“ der Brüder wieder anstand. Warum – den Alpenveilchen zuliebe – nicht den Walensee anlaufen, wo es im übersteilen Bergwald längs des Nordufers (der „Schweizer Riviera“) noch eines der besten Veilchenvorkommen geben soll? Die mehrstündige Wanderung, vorbei am  (mit ca. 580 m Fallhöhe!) höchsten Wasserfall der Schweiz, den Seerenbachfällen, weiter bis zum autofreien Weiler Quinten mit seiner Anlegestelle und retour dann per Schiff, hatte doch schon der Schriftsteller und Kabarettist Franz Hohler (in seinem Buch 52 Wanderungen) wärmstens empfohlen – nicht ohne die Alpenveilchen zu erwähnen. Und auch der Bruder versicherte glaubhaft, am Walensee vor Jahrzehnten schon mal fündig geworden zu sein.

Wo in Normalzeiten der Wasserfall rauscht 
Malven- statt Veilchenblüte überm Walensee

Zur Sommersonnwende also nichts wie los, wenngleich bereits wieder bei drückender Hitze und Schwüle, in den Medien allenthalben als Beweis fortschreitenden Klimawandels beklagt. Sodass selbst im kühlenden Schatten des Bergmischwalds mit seinen Linden, Buchen und Eiben der Schweiß tropfte und die Rücksäcke drückten. Während der Wasserfall nicht mehr schäumte, weil sein Zulauf mangels Schneeschmelze fast schon am Versiegen zu sein schien. Doch so beharrlich wir beidseits des Fußpfads den Waldboden ausspähten: Alpenveilchen Fehlanzeige!

Was mochte die Ursache dafür sein: Hitze und Wassermangel? Oder waren wir zu früh im Jahr unterwegs? So jedenfalls war es auch Franz Hohler schon ergangen bei seiner Frühlingstour, wie sich, wieder zuhause, bei gründlicherer Lektüre seines Wandertipps herausstellt: Seine (ihm von mir unterstellten) Alpenveilchen waren in Wahrheit Leberblümchen und andere Frühblüher. Doch der floristische Flop ließ mir keine Ruhe mehr: klar, dass deshalb der erste Gang (bei nach wie vor brütender Hitze) in den Weißwald führte! Und o Wunder, siehe da: Vier Veilchenblüten (nein, nicht etwa Hunds-, sondern Alpenveilchenblüten) leuchten mir entgegen – als wäre ihnen nie Abträgliches widerfahren, ja, als sei der Klimawandel pures Medienprodukt. Offenbar haben sie es im Brigachtal mit dem Blühen doch etwas eiliger gehabt als im mediterran getönten Klima des Walenseeufers.

Da blühen sie wieder (Weißwald am 25. 6. 2023)

1 Hannah Miriam Jaag u. Hans Joachim Blech: Das Alpenveilchen als uralte Kulturpflanze. Zum Vorkommen im südlichen Mitteleuropa. Schriften der Baar Bd. 63/2020