Noch ein Kapitel Militärgeschichte?

Noch ein Kapitel Militärgeschichte?

21. April 2021 7 Von Wolf Hockenjos

Die Bundeswehr plant im Weißwald einen Standortübungsplatz

Werden nächstens Panzer durch den Weißwald und über den westlich benachbarten Ochsenberg rollen, wird Gefechtslärm bis zur Tannheimer Nachsorgeklinik hinüber schallen? Auch wenn es sich nur um Platzpatronen und um Übungsgranaten aus Panzerfäusten handeln sollte, die Bevölkerung ist beunruhigt, und es formiert sich Widerstand. Was wiegt schwerer, die Verteidigungsbereitschaft und der Übungszustand der in Donaueschingen stationierten Einheiten oder das Ruhebedürfnis der Bevölkerung, insbesondere der krebskranken Kinder? Plakataktionen, Unterschriftensammlung für eine Petition und Presseberichte sorgen derzeit dafür, dass der Konflikt in der Öffentlichkeit die nötige Aufmerksamkeit erhält. Nur die Älteren dürften sich noch an den mysteriösen Ruf dieses zwischen dem Weiler Beckhofen der Gemeinde Brigachtal und Tannheim sich erstreckenden ca. 500 ha umfassenden Waldgebiets erinnern, darin speziell an den Staatswalddistrikt Weißwald mit seinen Bunkern und Mannschaftsräumen, an Stacheldraht und scharfe Wachhunde aus der Zeit des Kalten Kriegs. Vom „möglicherweise düstersten Kapitel der jüngeren Militärgeschichte“ war zuletzt im Sommer 1998 in den Tageszeitungen zu lesen, als in der Villinger Fußgängerzone die Friedensorganisation Ärzte zur Verhinderung des Atomkriegs (IPPNW) Unterschriften sammelte. Eine Petition solle endlich den Nebel lichten, so die Forderung, den Militär- wie Zivilverwaltung über den Weißwald gebreitet hatten. Was war bloß dran an den Gerüchten um dort gelagerte Atomsprengköpfe?

Für Schlagzeilen in der Lokalpresse hatte im Jahr zuvor auch noch ein Rechtsstreit zwischen der Stadt Villingen-Schwenningen und dem Land Baden-Württemberg um das Munitionslager im Weißwald gesorgt. Pachtrückstände waren aufgelaufen, deretwegen die beiden Kontrahenten vors Gericht gezogen waren: Die Stadt hatte sich geweigert, vertragsgemäß weiter für ein Tauschgeschäft zu bezahlen, das anno 1961 eingefädelt worden war. Damals hatte das Land eingewilligt, dass die zuvor am Stadtrand (in Sichtweite des Villinger Klinikums!) gebunkerten Waffen einer US-amerikanischen Spezialeinheit in den ein paar Kilometer weiter südwärts gelegenen Staatswald ausgelagert wurden. Wo alsbald eine breite Zufahrtsstraße entstand, wo gerodet und viel Beton verbaut wurde innerhalb eines weitläufig abgezäunten Areals. Der Pachtvertrag für die zur Verfügung gestellte Staatswaldfläche war weitergelaufen, obwohl die Amerikaner das Lager schon 1968 wieder aufgegeben hatten. Seit Charles de Gaulle mit seiner force de frappe die militärische Zusammenarbeit mit dem großen NATO-Partner aufgekündigt hatte, war die Atommacht Frankreich für das Pentagon zum unsicheren Kantonisten geworden. 

Alliiertes Munitionslager im Winter 1997/98

In der Folge waren dann die in Villingen stationierten Franzosen mit ihrer Munition in den Weißwald umgezogen. Erst als auch sie, nach der Besiegelung der deutschen Einheit, knapp 30 Jahre später abgerückt waren, kehrte im Weißwald wieder Friede ein – abgesehen von dem Umstand, dass die leer stehenden Bunker noch zum Abenteuerspielplatz taugten, wo waffennärrische Väter ihren Sprösslingen den Umgang mit Kriegsspielzeug beibrachten. Im Brigachtäler Rathaus wurden derweil Pläne geschmiedet, dort oben lärmintensive Industriebetriebe anzusiedeln. Doch davon wollte die Forstverwaltung partout nichts wissen, und ausgangs des Jahrtausends, im Dezember 1999, rückten schließlich die Bagger einer Hüfinger Abbruchfirma an, um die Überreste des Kalten Kriegs ultimativ dem Erdboden gleich zu machen und zu renaturieren.

Auf dem gerodeten Areal, wo kurz zuvor noch Bunker und Mannschaftsunterkünfte standen, weiden unterdessen Ziegen, um die Fläche vor der Rückkehr des Waldes zu bewahren. Denn erstaunlicherweise  hat sich hier mit Kreuz- und Fransenenzian, auch mit Tausendgüldenkraut eine botanisch höchst seltene und wertvolle Flora eingefunden, wie sie in der intensiv genutzten Feldflur von heute längst nicht mehr anzutreffen ist – ein botanisches Rätsel in diesem bis zur Rodung nachweislich uralten Waldbestand.

Fransen-Enzian
Tausendgüldenkraut
Kreuz-Enzian

Der Weißwald gehörte einst dem Villinger Benediktinerkloster, das nach der Reformation vom evangelisch gewordenen St. Georgen in die katholische Zähringerstadt hatte umziehen müssen. 1806 hatte es im Zuge der Säkularisierung dem badischen Staat, dem Domänenärar, ein enorm vorratsreiches Tannenaltholz überlassen müssen. In den kolossalen Stämmen des vormaligen Klosterwalds hatten die Villinger Forstleute noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts „prachtvolle Überreste eines Urwaldes“ vermutet, die man, so liest es sich in den Akten, „möglichst lange im Walde zu erhalten wünschte“. Die Stammscheibe einer bei den Rodungsmaßnahmen gefällten Riesentanne hatte im Chefzimmer des (2005 aufgelösten) staatlichen Forstamts im Villinger Kaiserring als Tischplatte Verwendung gefunden. Die Samen der heute so schutzwürdigen Freilandflora waren offenbar bereits zu Zeiten der Waldweide (ehe diese 1833 forstgesetzlich verboten worden war) in den Klauen oder im Dung von Schafen und Rindern oder auch durch das Wild bis in den Weißwald vertragen worden, wo sie in der Samenbank des Bodens  überdauert haben müssen: Ein botanisches Phänomen, das im Weißwald auch andernorts zu bewundern ist, so in der Schneise einer in der Nachkriegszeit errichteten E-Leitung, die nach wenigen Jahrzehnten wieder abgebaut werden konnte, jetzt ein letzter Standort für Küchenschellen, Gelben Enzian, Türkenbund und allerlei Orchideenarten. Rätselhafterweise findet sich hier sogar das Alpenveilchen, eine uralte Kulturpflanze, die möglicherweise einst aus einem Klostergarten entkommen ist. Kein Wunder also, dass sich der floristisch so wertvolle Walddistrikt für das Naturschutzgroßprojekt Baar empfohlen hat.

Alpenveilchen im Weißwald

Fast ebenso undurchschaubar wie das floristische Rätsel erscheint unterdessen die Gemengelage der Interessen im Ringen um die Nutzung des Waldes als Standortsübungsplatz. Wer oder was alles steckt hinter den Plänen? Erklärtermaßen die Garnisonsstadt Donaueschingen, wo nach Abzug der Franzosen große Anstrengungen unternommen und Investitionen in eine neue Schießanlage getätigt wurden, um den Verbleib der restlichen Brigade am Ort zu sichern, während sie sich andererseits um die Conversion militärisch nicht mehr nutzbarer Baulichkeiten bemüht. Unlängst erst wurde, nach Auflösung der Immendinger Garnison, der dortige Übungsplatz zum Testgelände der Firma Daimler umgewidmet. Und auch die Pendelei von der Baar zum Standortübungsplatz auf den 70 km entfernten Heuberg will man den Donaueschinger Jägern nicht als Dauerlösung zumuten. Die Waldeigentümer – das Fürstenhaus auf dem Ochsenberg, das Land im Weißwald – mag zudem die Aussicht auf lukrative Gestattungsverträge locken, nachdem mit Holzverkauf allein nicht mehr genug zu verdienen ist. Spielt den Planern im Berliner Verteidigungsministerium womöglich auch die Drohung der US-amerikanische Regierung mit dem Abzug von 12.000 Soldaten aus Deutschland in die Karten? Vorerst soll ein Lärmgutachten die Ängste in der Tannheimer Kinder-Nachsorgeklinik besänftigen helfen, ehe dann das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren ansteht. Doch im April 2021 fand schon mal – in Anwesenheit des Generalinspekteurs der Bundeswehr – ein mehrtägiges Manöver statt: als Schauübung des Donaueschinger Jägerbataillons, vorerst nur zu Demonstrationszwecken, wie die Tageszeitungen berichteten. Hereingeschnuppert hatte im Jahr zuvor (am Ochsenberg nachgewiesen im März 2020) auch schon mal ein anderer (besonders umstrittener) Profiteur von Standortübungsplätzen: der Wolf. 

Mehr zum Standortübungsplatz gibt es hier: