Startschuss für die Luchs-Bestandesstützung
Endlich darf gejubelt werden bei der Luchs-Initiative Baden-Württemberg e. V., denn nun soll ihr jahrzehntelanger Einsatz für Pinselohr, geprägt auch von vielen Rückschlägen und Niederlagen, doch noch belohnt werden. Am 3. März 2023 war es soweit: Im Stuttgarter Waldhaus gab Minister Peter Hauk MdL den offizielle Startschuss: „Heute startet das Projekt Luchs in Baden-Württemberg zur Stützung der baden-württembergischen und mitteleuropäischen Luchspopulation“, so steht es schwarz auf weiß als Überschrift über der Pressemitteilung Nr. 75/2023 des MLR. Dabei hatten die Luchsfreunde bis zuletzt gezittert, ob der Forst- und Landwirtschaftsminister nicht in letzter Minute doch noch zurückzucken würde ob all der brandaktuellen Meldungen zur erwarteten Wolfsrudelbildung im Schwarzwald. Nein, die Kick-Off-Veranstaltung wurde nicht mehr abgeblasen, der Luchs vielmehr zum Sympathieträger erklärt. Die Notwendigkeit einer Bestandesstützung wurde begründet mit dem Umstand, dass die seit Jahrzehnten immer wieder zuwandernden und heimisch gewordenen Luchskuder nach Ansicht der Luchsexperten keinerlei Chancen haben, sich hier auch fortzupflanzen. Denn weibliche Luchse erweisen sich als weitaus weniger wanderfreudig, sodass menschliche Nachhilfe unumgänglich ist, wenn die mitteleuropäische Metapopulation sich stabilisieren soll; die zentral gelegenen Trittsteine Baden-Württembergs sind hierfür unverzichtbar. Nur die Vertreter des Umweltministeriums hatten stets auf ihrer Devise beharrt, es solle gewartet werden bis die Luchsinnen von allein einwandern.
Dennoch war das Bestandesstützungsprojekt bereits 2021 in den grün-schwarzen Koalitionsvertrag geschmuggelt worden, in den Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg: Versteckt auf S. 117 findet sich die Ankündigung: „Wir werden in enger Zusammenarbeit mit allen betroffenen Akteuren die Chancen für die Rückkehr des Luchses durch ein Programm zur Bestandsstützung verbessern.“ Betroffene Akteure – damit gemeint sind vorneweg Jäger und Bauern (nebst den Naturschutzverbänden als sog. „Fokusgruppen“), die das Ministerium für den ländlichen Raum (MLR) seit 2004 an einen runden Tisch einlädt zur Arbeitsgruppe AG Luchs, geleitet durch die Freiburger Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt FVA und die dortigen Spezialisten des Instituts für Wildökologie, denen auch das Luchs-Monitoring übertragen wurde. Zum Jahresabschluss 2021 hatte der Finanzausschuss die Anschubfinanzierung des Projekts genehmigt, nachdem WWF Deutschland und die HIT Umweltstiftung namhafte Spenden in Aussicht gestellt hatten. Als Kooperationspartner hatten sich zudem der Landesjagdverband und der Zoo Karlsruhe angeboten. Bis zu 10 vorwiegend weibliche Luchse sollen in dem vierjährigen Projekt bevorzugt im Schwarzwald ausgewildert werden, wobei man auch eng mit den Pfälzern und ihrem Auswilderungskonzept kooperieren wird.
Wenig Erwähnung hat in den Statements im Haus des Waldes zwar die Luchs-Initiative gefunden. Als Pressure Group hat sie seit 1986 verlässlich dafür gesorgt, dass ihr Anliegen nie vollends aus den Schlagzeilen verschwunden ist, so zäh und so kontrovers sich die Diskussion um den Luchs hingezogen hat. Bereits damals, im Jahr des Kernkraft-GAUs, als die Forstleute sich sorgten, dass das verstrahlte Wildbret nicht mehr verwertbar und der Wildverbiss im Wald überhandnehmen würde, hatte Hauks Vorvorgänger, Minister Gerhard Weiser, klargestellt, die Wiedereinbürgerung des Luchses sei „ein Beitrag zur Erhaltung einer in Europa vom Aussterben bedrohten Tierart“. Und weiter: „Unter Berücksichtigung der wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über die wichtigsten Voraussetzungen des Nahrungsangebots für den Luchs, seiner Habitatsstruktur und der möglichen Konflikte mit Mensch und Haustier kann auch der Schwarzwald zu den in Betracht kommenden Lebensräumen gerechnet werden.“ (PM vom 15. 11. 1986 Aktenzeichen 9/3640). Es war nicht zuletzt diese so luchsfreundliche Antwort des für Jagd und Wald zuständigen Ministers, die dazu ermutigt hatte, unter Mithilfe von Luchsexperten aus der Schweiz, aus Frankreich und Bayern erste Schritte hin zu einem wissenschaftlich begleiteten Wiederansiedlungsprojekt zu wagen.
Wie sehr man sich jedoch bemühte, die Jägerschaft mit ins Boot zu holen und den Landwirten ihre Ängste zu nehmen, der Gegenwind erreichte mitunter Sturmstärke. Die Landesregierung bremste – trotz eines lebhaften politischen Rückenwinds von Junger Union, Grünen und SPD – mit dem durchschlagenden Argument mangelnder Akzeptanz bei Jägern und Landwirten. Schon gar nicht ließ sie sich dazu bewegen, die jagd- und naturschutzrechtliche Auswilderungsgenehmigung in Aussicht zu stellen. Weshalb die Luchs-Initiative sogar eine Feststellungsklage gegen das Land riskierte, mit der sie 1997 auch vor dem VGH Mannheim scheiterte: Für die Richter war und blieb der Luchs eine „fremde Tierart“ und damit die Versagung der jagdrechtlichen Genehmigung durch das Land rechtens.
Beliebt hat sich die Luchs-Initiative damit freilich nicht gemacht – bei aller Sympathie und Schützenhilfe, die einzelne Politiker dem Luchs auch immer wieder angedeihen ließen. „Es müsste schon mit dem Teufel zugehen“, so wetterte etwa der junge Abgeordnete der Grünen Winfried Kretschmann 1991 im Landtag, „wenn die von Junger Union, der Wildbiologischen Gesellschaft, vom Landesnaturschutzverband, vom Schwarzwaldverein, vom Tierschutzbund, vom Fremdenverkehrsverband Schwarzwald und von den Grünen unterstützte Wiedereinbürgerung des Luchses im Schwarzwald nicht durchgesetzt werden kann.“ Und im Interview mit der Heilbronner Stimme vom 13. 4. 1991 legte er sich vollends fest: „Der Luchs gehört in diese Landschaft.“
Respekt, Herr Ministerpräsident, nun also hat die Landesregierung doch noch Wort gehalten!