Kleine Galerie der Baaremer Tannenriesen

Kleine Galerie der Baaremer Tannenriesen

21. September 2024 2 Von Wolf Hockenjos

Beitrag vom 11. Juni 2022

Die Weiß- oder Edeltanne ist, ähnlich der Eiche unter den Laubhölzern, durch den Adel der Gestalt wie durch das Alter und die mächtigen Dimensionen, welche einzelne besonders günstig entwickelte Exemplare erreichen, unstreitig die Königin unserer Nadelhölzer.

Ludwig Klein: Bemerkenswerte Bäume im Großherzogtum Baden. Karlsruhe (1908)

Die Tanne nimmt eine ganz untergeordnete Stellung ein, obgleich sie in einzelnen riesenhaften Exemplaren und fast allenthalben als Überständer vorkommt.

Aus den Forsteinrichtungsakten des ehem. Wolterdinger Gemeindewalds (1833)

Ein Hoch auf die Weißtanne! Auch wenn sich die „Königin unserer Nadelhölzer“ (L. Klein) im Wald der Baar und des Baarschwarzwalds schon seit längerem ziemlich rar gemacht hat. Dabei war sie, wie es die  Pollenprofile beweisen, auch hier die führende Nadelbaumart. An ihrer Stelle hat die frostharte und gegen Wildverbiss so viel robustere Fichte das Rennen gemacht. Wo immer der Wald im schachbrettartigen Altersklassenverfahren nach Maßgabe des badischen Forstgesetzes (ab 1833) bewirtschaftet worden ist, wo gar Kahlschläge grassierten und Sturmblößen um sich gegriffen haben, war es um die gegen Spätfrost so empfindliche Tanne geschehen. Weshalb bis heute labile Fichtenreinbestände („Monokulturen“) den Ton angeben, so sehr die Förster bemüht waren, den Tannenanteil wieder anzuheben. Fast schon resignierend heißt es etwa 1960 in den Forsteinrichtungsakten des Bräunlinger Stadtwalds: „Die Tanne hat sich mit 3 % behauptet, […] die immer wieder geforderte Erhöhung des Tannenanteils gelang nicht.“ Derzeit liegt er noch immer deutlich unter 10 %. Oft genug lag es auch an übertriebener Rehwildhege (Winterfütterung, unzulängliche Bejagung), dass alle waldbaulichen Bemühungen um die Tanne umsonst waren. Weil aber im Zeichen des Klimawandels der Waldumbau hin zu stabileren, ökologisch wie ökonomisch vorteilhafteren Mischwäldern (mit mehr Weißtannen und Buchen als Fichten) zur neuen Jahrhundertaufgabe der Forstwirtschaft avanciert ist, gerät die Forstpartie oft genug unter öffentlichen Druck, ob mit oder ohne Zutun des Bestsellerautors Peter Wohlleben. Denn der gleichwüchsige, fichtenlastige „Tausendsäulensaal“ hat ausgedient angesichts der Anforderungen an den Wald der Zukunft, als da sind CO2-Speicherung, Kühlung und Widerstandskraft (Resilienz).

Umso dankbarer nimmt man zur Kenntnis, dass da und dort wenigstens ein paar einzelne alte Weißtannen (im Forstjargon sog. „Überständer“ oder „Überhälter“) allen Stürmen und  Immissionen, selbst dem Trocken- und Hitzestress der zurückliegenden Jahre getrotzt haben. Denn als Samenspender sind sie noch immer im Stande, für den lang ersehnten Nachwuchs zu sorgen. Einige dieser Veteranen aus tannenfreundlicheren Epochen haben inzwischen bereits Dimensionen erreicht, die längst durch kein Sägewerksgatter mehr passen. Was schon Generationen von Waldeigentümern und Förstern dazu veranlasst hat, ihnen das Gnadenbrot zu gewähren. Mitunter tragen sie dann sogar Namensschilder, stehen womöglich unter Naturdenkmalschutz und sind inzwischen zum Stolz ihrer Eigentümer und zu bestaunten Attraktionen für Waldbesucher herangewachsen. 

Was Prominenz und Bekanntheitsgrad solcher Uralttannen anbetrifft, so bleibt natürlich „Deutschlands größte Tanne“ unerreicht: der „Hölzlekönig“, der einst im Gewann Hölzle zwischen Villingen und Schwenningen residierte. Der märchenhaft populäre, geschätzt über 350 jährige Riese, an den noch ein Ausflugslokal gleichen Namens erinnert, hat mit seinem Umfang von 6 Metern in Brusthöhe und mit seinem Holzvolumen von –  sage und schreibe – 64 (!) Festmetern freilich schon vor einhundert Jahren das Zeitliche gesegnet, nachdem er zuvor durch Blitzschlag und Wipfelbruch beschädigt worden war. Auch die etwas schmächtigere „Hölzlekönigin“ an seiner Seite hat ihn nicht mehr lange überlebt. Das Ableben des Königs dürfte zudem durch den Umstand beschleunigt worden sein, dass unter seiner Krone ausgiebig Waldfeste gefeiert worden sind, was zu baumschädlicher Bodenverdichtung geführt haben muss. 

Waldfest unterm Hölzlekönig

Weißtannen können im Extremfall bis zu 700 Jahre alt werden, wie sie nachweislich per Jahrringzählung an einem jener Thüringer Tannengiganten ermittelt worden sind, unter denen auch die Nachfolgerin des „Hölzlekönigs“ als Deutschlands neuer Superlativ gefunden wurde: die „Königstanne“; benannt nach Gottlob König (1779 – 1849), dem Gründer und Direktor der Eisenacher Forstlehranstalt. Weil er als Begründer der Dendrometrie, der Holzmesslehre, gilt, dürften Zweifel am Holzvolumen der ihm gewidmeten Tanne, an deren phänomenalen 66 Festmetern, unangebracht sein, so sehr Volumenangaben von stehenden Bäumen ansonsten mit Vorsicht zu genießen sind. Wirklich Verlass ist meist nur auf Durchmesser und Umfang in Brusthöhe.

Auch wenn die heutigen Starktannen der Baar und des Baarschwarzwalds noch nicht zur absoluten Spitzenklasse zählen, so spricht doch nichts dagegen, dass die eine oder andere durchaus das Zeug dazu hat, in die allererste Garnitur aufzusteigen. Aktuelle deutsche Rekordhalterin ist die „Große Waldhaustanne“ im Nationalpark Bayerischer Wald mit 6,35 m Brusthöhenumfang (BHU) bei einer Baumhöhe von 50 m; für Baden-Württemberg hält bislang die „Großvatertanne“ unweit Freudenstadt den Rekord mit 5,50 m BHD, einer Baumhöhe von 50 m und ca. 40 Festmetern Volumen. Gegen derlei Konkurrenz mögen die hiesigen Spitzenreiter fast noch schmächtig erscheinen, doch staunenswert sind sie allemal. Weshalb zumindest ein paar wenige es verdient haben, dem Leser vorgestellt zu werden.

1. Meßmer-Tanne

Mit einem BHU von „nur“ 3,70 m zählt sie noch nicht zum engeren Kreis der Giganten, doch weil sie einem Donaueschinger Bürgermeister gewidmet, soll sie hier aufgeführt werden: Leopold Meßmer, nach dem auch eine Straße benannt ist, war, wie man einer Tafel am Baum entnehmen kann, von 1945 – 1953 amtierend. Als Verfolgter des NS-Regimes wurde er gleich nach Kriegsende von der französischen Besatzungsmacht inthronisiert, was ihn nicht daran gehindert hat, die Bürgermeistergeschäfte so überzeugend zu versehen, dass man ihm eine der Tannen-Überhälter im Oberholz hart an der Mistelbrunner Grenze gewidmet hat. Die Benadelung seiner dem Wind ausgesetzten Krone ist bereits etwas schütter, dennoch scheint ihr Gesundheitszustand noch immer zufriedenstellend zu sein. In der Wanderkarte 1:35.000 des Schwarzwald-Baar-Kreises ist die Tanne allerdings nur mit einer winzigen Signatur als „Hervorragender Baum“ verzeichnet, und der Wanderbetrieb hält sich hier offenbar in Grenzen – damit auch die Zahl der an Donaueschingens Zeitgeschichte interessierten Bewunderer Meßmers und seiner Tanne. Immerhin habe sich vor Jahren einmal die  SPD-Fraktion zu einem Besuch der Tanne aufgerafft, um ihres Genossen zu gedenken.



2. Fischer-Tanne

Wie die Meßmer-Tanne schmückt auch die Fischer-Tanne den Donaueschinger Stadtwald-Distrikt Oberholz. Und auch sie ist einem Bürgermeister gewidmet: dem von 1885 bis 1909 amtierenden Hermann Fischer und an dessen Wirken bis heute auch eine Hermann-Fischer-Allee in der Stadt erinnert. Bei ihrem BHD von 4,60 m und mit dem am Stamm angebrachten Namensschild ist sie von Hubertshofen aus kaum zu verfehlen. Steht sie doch am schnurgeraden, von der Richard Fesenmeyer Hütte (benannt nach dem Großvater des derzeitigen, in 6. Generation für den Stadtwald zuständigen Försters) aus durch schier endlosen Fichtenforst führenden Fischertannenweg und ist auch in der Wanderkarte verzeichnet. Ausweislich der dichten Benadelung ihrer Krone erfreut sie sich bester Gesundheit, was verwundern muss. Denn in der Rinde des mächtigen Stammes hat unverkennbar ein Blitz seine gewundene Spur hinterlassen. Ein kleines Kruzifix neben dem Stammfuß könnte die Vermutung aufkommen lassen, dass nicht nur die Tanne getroffen wurde, sondern auch noch ein Waldbesucher, der hier am 11. März 2005 den Tod gefunden hat.  Doch es war ein Waidmann, den hier ein Herzschlag ereilt hat, und die Narben am Stamm sind offenbar älteren Datums. Eine Kanzel neben der Tanne, gepaart mit einer saftig-grünen Äsungsfläche, erinnert daran, wie sehr eine erfolgreiche Rehwildbejagung über Wohl und Wehe von Weißtannen entscheidet. Umso schmerzlicher vermisst man im weiten Umkreis jegliche Ansätze von Ansamung und Anreicherung mit Tannenjugend. 



 3. Georg-Mayer-Tanne

Sie ist unübersehbar ein extrastarkes Kaliber mit ihrem BHU von 4,80 m, sodass die Sitzbank am Stammfuß optisch zum Bänkchen zusammenschrumpft. Gewidmet wurde die Tanne, wie einer hölzernen Tafel am Stamm zu entnehmen ist, dem F.F. Revierförster Georg Mayer, der von 1962 bis 1999 das Revier Hubertshofen versah und 2020 84jährig verstarb. Schon zuvor hatte der kapitale Baum mit seinem mächtigen Kandelaber-Ast in der Krone unter dem Namen „Habseck-Tanne“ einen gewissen Bekanntheitsgrad genossen, ist er doch vom Startplatz der Hubertshofener Skiloipe aus auf dem waldeinwärts führenden Weg bequem erreichbar. Sein Alter dürfte, gemessen an seinem Stammumfang, die 250 Jahre längst überschritten haben. Nur schade, dass es auch ihm zeitlebens nicht gegönnt war, für Tannen-Nachwuchs zu sorgen: im weiten Umkreis dominiert ausschließlich die Fichte. Tannenkeimlinge bevorzugen zwar auch deren Halbschatten, doch leider werden sie bereits als Sternchen vom Rehwild so vernascht, dass der Nachwuchs chancenlos bleibt.

Georg Mayer-Tanne

4. Die Große Eggwaldtanne

Bis unlängst war sie noch – mit ihrem BHU von 5,20 m und einer Baumhöhe von 50 m – die unzweifelhaft stärkste Tanne des Landkreises. Doch im Winter 2020 wurde sie vom Wintersturm „Sabine“ in ca. 30 m Höhe geköpft, der abgerissene Wipfel maß an der Bruchstelle noch immer  einen Dreiviertelmeter. Weil der Stamm aber noch über genügend grüne Äste verfügt, wird er wohl alsbald eine Ersatzkrone aufsetzen, sodass das Schicksal des Baumes noch lange nicht besiegelt sein muss. Dass er auch schon in intaktem Zustand nur wenig Aufsehen erregt hat, liegt an seinem versteckten Standort: Der Gigant steht eingetieft auf der Sohle der „Hofbächleschlucht“ im äußersten Westen des tannenreichen Brigachtaler Gemeindewalddistrikts Eggwald, weshalb er schon vor dem Sturmschaden das Bestandesdach kaum überragte. Wipfelbrüche sind für derlei Tannentürme nichts Ungewöhnliches: Schon einmal, im Kriegsjahr 1942, ist es der Eggwaldtanne widerfahren, wie es alte Überauchener Holzhauer bezeugt haben.  Weißtannen besitzen, wie sich hier zeigt, eine famose Fähigkeit zur Ausheilung abhanden gekommener Wipfel.

Die Große Eggwaldtanne – ein geschütztes Naturdenkmal

2013 war mit einem Spezialgerät, einem auf Holzdichte kalibrierten Resistographen, der Versuch unternommen worden, das genaue Alter der Tanne zu ergründen, wobei nur gegen 200 Jahrringe gezählt werden konnten. Doch der innerste Kern wies mikroskopisch enge Jahrringe auf, was auf einen längeren „Schattenschlaf“ unter dem Bestandesdach schließen lässt, für Schatten ertragende Weißtannen ein nicht ungewöhnlicher Lebenslauf, der das wahre Alter der Bäume zu verschleiern pflegt: Bis über hundert Jahre lang können sie als sog. „Vorwüchse“ überdauern, um dann bei Lichtzutritt loszuwachsen wie ein biologisch junger Baum. Der Riesenwuchs korrespondiert also nicht durchweg mit dem Alter, sondern weit mehr mit der Waldstruktur und dem verfügbaren Nährstoff- und Wasserangebot. Im Wurzelraum der Tanne haust gegenwärtig ein Dachs, der bisweilen morsches Wurzelholz nach oben zu befördert. Ob dies auf eine beeinträchtigte Statik des geschützten Naturdenkmals hindeutet, bleibt einstweilen dahin gestellt. Sollte sein Schicksal doch eines Tages besiegelt sein, so bietet sich ein Stück bachabwärts am Steilhang der „Schlucht“ bereits eine würdige Nachfolgerin an.

Im Wurzelraum wohnt der Dachs

5. Tanne im Krumpendobel

Unweit des Fischerhofs zweigt vom Bregtal rechts der Krumpendobel ab. Zuhinterst, wo 1565 der letzte Bär von F.F. Jägern erlegt worden ist, versteckt sich hart am Bachlauf eines Seitentälchens eine namenlose, doch offensichtlich sehr vitale Starktanne. „Waldbiotop“, verkündet ein Schildchen am Stamm, „geschützt durch Fürstenberg Forst“ und zeigt damit an, dass die Tanne nicht geerntet wird und also noch richtig alt werden darf bis zu ihrem natürlichen Ende. Dank optimaler Wasser- und Nährstoffversorgung wie auch durch ihren vor Stürmen bestens geschützten Standort hat sie gute Chancen, dereinst in die Spitzenklasse der Tannenveteranen aufzurücken, auch wenn ihr BHU eben erst die Viermeter übersprungen hat. Ihr Stammvolumen wird sich weiterhin progressiv vergrößern, weil das Dickenwachstum von Tannen bis ins höchste Greisenalter anhält und jeder Jahrring sich um einen noch größeren Holzzylinder legt. 

Im Krumpendobel

Wer sie aufsuchen will, nehme den Waldweg durch den Krumpendobel bis rechter Hand der Hangweg zum mysteriösen Krumpenschloss „Altfürstenberg“ abzweigt und wo von links ein Bächlein herabplätschert. Exakt an diesem, keine 20 m vom Fahrwegrand entfernt, versteckt sie sich im Fichtenbestand. Dass auch das lange Zeit überaus fichtenfreudige F.F. Fürstenhaus sich mittlerweile mehr Weißtannen erhofft im Wald der Zukunft, zeigt sich im steilen Talabschluss, wo etliche weitere Tannen als Überhälter von der Holzernte ausgespart geblieben sind und mit ihrem Nachwuchs die nächste, wenn nicht gar übernächste Waldgeneration bereichern dürfen. Sogar die eigentliche Gesellschafterin der Weißtannen, die Buche, konnte sich hier hinten behaupten.

6. Die Linacher Tanne

Noch versteckter als die Tanne im Krumpendobel wartet der Wald des Linacher Hansenhofs mit einem leider schon stark ramponierten Riesen auf, dem man kaum mehr eine Zukunft zutrauen mag. Viele Jahrzehnte lang war er von der Kreisstraße aus leicht auszumachen, denn seine Kuppelkrone überragte den Wald im (dem Hansenhof gegenüberliegenden) Dobel beträchtlich. Ein Gerücht will sogar wissen, dass im Taumel des „Dritten Reichs“ auf der Tanne auch schon mal die Hakenkreuzfahne gehisst worden sei, wem auch immer das gelungen sein soll. Doch inzwischen ist die Tanne nach dem Verlust des Wipfels abgetaucht, nachdem auch ihre sie bedrängenden halbstarken Sprösslinge an Höhenwachstum kräftig zugelegt haben. Der BHU des gewaltigen Stammes mit den zahlreichen abgebrochenen dürren Starkästen beträgt 4,75 m; dabei wird es wohl auch bleiben, denn ob der Baum mit der geringen ihm verbliebenen Nadelmasse doch noch einmal eine Sekundärkrone ausbilden kann, erscheint höchst zweifelhaft. Von einem Besuch ist deshalb eher abzuraten.

Im Wald des Hansenhof

7. Schillertanne

Sie ist die Einzige, die in der Wanderkarte mit Namen aufgeführt wird, auch als geschütztes Naturdenkmal. Und noch ein Alleinstellungsmerkmal verdient festgehalten zu werden: Sie hat für reichlich Tannenverjüngung gesorgt, was für den St. Georgener Stadtwalddistrikt Röhlinwald wenig überraschend sein mag, denn hier scheint die Balance zwischen Wald und Wild zu stimmen. Dennoch ist die ca. 350jährige Tanne, die Ihren Namen wohl seit dem hundertsten Todestag des Dichters (am 9. Mai 1909) trägt, das Sorgenkind unter den Naturdenkmälern: Weil ein als Rad- und Wanderweg markierter Forstweg an ihr vorbeiführt, hatte die untere Naturschutzbehörde auf Antrag der Forstverwaltung bereits 2010 ihrer Fällung aus Verkehrssicherungsgründen zugestimmt. Denn in ca. 11 m Höhe ist der Stamm durch einen halbseits sichtbaren Tannenkrebs befallen, an dessen Totholzgeschwür auch der Fruchtkörper des Weißfäule verursachenden Feuerschwamms und mehrere Spechthöhlen erkennbar sind. Hätte nicht ein Baumsachverständiger rasch noch ein Gutachten gefertigt, das zugunsten eines einstweiligen Verbleibs der Tanne ausgefallen war und somit die Verkehrsgefährdung relativiert hatte, wäre es um den Baum geschehen gewesen. Allein das Grummeln in der St. Georgener Bevölkerung oder die vom Naturschutzgesetz geschützten Spechthöhlen hätten ihn gewiss nicht mehr gerettet. Immerhin wurde aus Sicherheitsgründen eine Sitzbank vom Stammfuß wegversetzt.

Tannenjungwuchs zu Füßen der Schillertanne

Ausweislich der 1993 erstellten Erläuterungstafel hatte die Schillertanne damals einen BHU von 4.35 m, dabei aber nur eine Baumhöhe von 28 m, denn 30 Jahre zuvor war ihr im Sturm der Wipfel abgebrochen, woraufhin sie die tannenübliche Ersatzkrone aufgesetzt hatte; die hat inzwischen dafür gesorgt, dass der Stamm bis heute an Umfang noch einmal kräftig zulegt hat und jetzt 4,70 m misst.

Tannenkrebs mit Spechthöhlen und Feuerschwamm – ist die Tanne noch zu retten?

Neuerdings wurde erneut ein Gutachten angefordert, denn der Tannenkrebs könnte sich unterdessen ja weiter ausgebreitet und das Risiko für Radler und Wanderer noch vergrößert haben. Dabei war im Jahr 2010 das Bundeswaldgesetz ergänzt worden um eine geringfügige, für die Verkehrssicherungspflicht jedoch desto bedeutsamere Änderung: So wurde die durch die Bundesländer umzusetzende Rahmenregelung, wonach bislang (im § 14 Abs. 1 BWaldG) die Benutzung des Waldes „auf eigene Gefahr“ geschieht, ergänzt um einen klärenden Satz: „Dies gilt insbesondere für waldtypische Gefahren.“

Lässt sich die Schillertanne vielleicht doch noch retten? Immerhin bestünde die Möglichkeit, ihren Stamm in Höhe des Krebses zu kappen und so jegliche Verkehrsgefährdung zu minimieren. Denn knapp darunter hat sich bereits ein mächtiger Ast empor gerichtet, der dafür sorgen könnte, dass die Tanne ein weiteres Mal eine Ersatzkrone bildet und so den St. Georgenern weiterhin erhalten bleibt – wer weiß, vielleicht bis zum 250. Todestag Friedrich Schillers.

Im Umgang mit „Gedächtnistannen“ hat man Erfahrung in der Bergstadt: Spätestens seit 1719, als der hiesige Vikar und Magister der Philosophie sein dickleibiges Buch über die wahre Donauquelle veröffentlichte. In ihm hatte er ihm Auftrag des württembergischen Herzogs den Nachweis zu führen, dass die Donau nicht etwa in Donaueschingen, sondern am Hirzbauernhof im damals Württembergischen entspringt. Sein frappierender Beweis: eine gewaltige Wettertanne, die man auf dem dortigen Weidfeld schon deshalb nie gefällt habe, weil sie seit Urzeiten dem Andenken an die Donauquelle gewidmet gewesen sei.

Ob sich die Schillertanne am Ende also doch erhalten lässt – trotz (waldtypischer?) Gefahrenlage für Radler und Wanderer? Halten wir uns an den Dichter:

Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.
(Wilhelm Tell IV, 2)

8. Tanne am Reichenbächle

Ein letzter, vergleichsweise schlanker, doch hoch aufgeschossener Tannenveteran soll hier noch angefügt werden, denn auch ihm (wie unmittelbar daneben zwei weiteren stattlichen Weißtannen) droht möglicherweise Gefahr. Gegenwärtig präsentiert er sich noch in  bester  gesundheitlicher Verfassung. Sein Pech ist. dass er ausgangs des Reichenbächles (im Volksmund des „Badmühlenbächles“) steht und daher nur knapp überm Staubereich des neuen Wolterdinger Hochwasserdammes, der im Katastrophenfall das Bregtal abriegeln soll, um die Donautalbewohner vor exorbitanten Hochwässern zu schützen. Und die Szenarien der im Zuge des Klimawandels zu befürchtenden Starkniederschläge lassen es nicht mehr als ganz und gar abwegig erscheinen, dass die Breg im Falle eines Jahrhunderthochwassers fast bis zur Dammkrone ansteigen wird. Da könnte die tief wurzelnde Tanne womöglich nasse Füße bekommen, und ab wann ihr die Überflutung schaden wird, ist ungewiss. 

Einstweilen erbauen sich die Wolterdinger Waldgänger noch an ihrer stolzen, namenslosen Tanne – ahnend, dass diese Baumart noch immer Seltenheitswert besitzt in ihrem Wald. Um ihren Stammfuß herum hat ein Baumliebhaber ein Bänkchen gezimmert, das zum Rasten einlädt und zum Staunen über die Wuchspotenz der Weißtanne. Noch hat sie erst einen BHU von 3,90 m erreicht, doch angesichts bester Wasser- und Nährstoffversorgung wird auch sie alsbald die Viermeterschwelle übersprungen haben – immer vorausgesetzt, dass die Jahrhundert- oder gar Jahrtausendhochwässer nicht überhand nehmen werden. Das Einzugsgebiet der Breg ist überaus waldreich, und Wälder sollten auch bei Starkregen tunlichst noch als Schwämme und Regenrückhalt taugen, so es sich denn um die richtige Sorte von (Misch-)Wald handelt. Die Tannenriesen geben hierzu die nötigen Fingerzeige.

Am Reichenbächle