Volkstrauertag oder Besinnungstag?
Besinnendes zum Besinnungstag
Joseph Roth’s Gedanken in Zlotograd / Galizien an einem Freitag 1914:
Zwei Tage lang zog durch das kleine Städtchen noch der hartsüße, warme Geruch der gebratenen Äpfel. Es begann zu regnen. Es war ein Donnerstag. Am nächsten Tag, Freitag also, klebte die Botschaft schon an allen Straßenecken.
Es war das Manifest unseres alten Kaisers Franz Joseph, und es hieß: »An Meine Völker!«Ich war Fähnrich der Reserve. Knapp zwei Jahre vorher hatte ich mein Bataillon, die Einundzwanziger Jäger, verlassen. Es schien mir damals, daß mir der Krieg durchaus gelegen käme.
In dem Augenblick, in dem er nun da war und unausbleiblich, erkannte ich sofort – und, ich glaube, auch alle meine Freunde dürften es genauso schnell und so plötzlich, erkannt haben -, daß sogar noch ein sinnloser Tod besser sei als ein sinnloses Leben. Ich hatte Angst vor dem Tod. Das ist gewiß. Ich wollte nicht fallen. Ich wollte mir lediglich selbst die Sicherheit verschaffen, daß ich sterben könne.
Mein Vetter Joseph Branco und sein Freund, der Fiaker Manes, waren beide Soldaten der Reserve. Auch sie mußten also einrücken. Am Abend jenes Freitags, an dem das Manifest des Kaisers an den Wänden plakatiert worden war, ging ich, wie gewohnt, ins Kasino, um mit meinen Freunden von den Neuner Dragonern zu essen. Ich konnte ihren Appetit nicht begreifen, ihre gewohnte Heiterkeit nicht, nicht ihre törichte Gleichgültigkeit gegen die Marschorder nach dem nordöstlich gelegenen russischen Grenzorte Radziwillow. Ich war der einzige unter ihnen, der schon die Anzeichen des Todes in ihren harmlosen, sogar fröhlichen, jedenfalls unbewegten Gesichtern erkannte. Es war, als befänden sie sich in einer Art euphorischem Zustand, der die Sterbenden so häufig begnadet, ein Vorbote des Todes. Und obwohl sie noch gesund und munter an den Tischen saßen und Schnaps und Bier tranken, und obwohl ich so tat, als nähme ich teil an ihren törichten Scherzen, kam ich mir doch vor wie ein Arzt oder ein Krankenpfleger, der seinen Patienten sterben sieht und der sich freut, daß der Sterbende noch gar nichts von dem nahen Tode weiß. Und dennoch fühlte ich auf die Dauer ein Unbehagen, wie es vielleicht auch mancher Arzt und mancher Krankenwärter haben mag im Angesicht des Todes und der Euphorie des Sterbenden, in jenem Augenblick also, da sie nicht genau wissen mögen, ob es nicht besser wäre, dem Todgeweihten zu sagen, daß er bald sterben müsse, statt die günstige Tatsache zu begrüßen, daß er dahingehen würde, ohne etwas zu ahnen.
Aus „Die Kapuzienergruft“ Seite 40 und 41 von Joseph Roth.
Das Psychogramm des Krieges: Einfältig-heroischen Nationalismus anfachen.
Der Text unten wurde am 11. November 2021 veröffentlicht
„alles ummesunscht„, ein Bild Gedanken- Gang, Allmendshofen, DS, Fürstenberg,
Mundelfingen.
Mitte der 70-er Jahre stehe ich hinter Villingen mit dem Bürgermeister und den Gemeinderäten am Denkmal aus
Buntsandstein für die Kriegsopfer der Gemeinde. Das Mahnmal soll einem Kanalbau weichen.
Einige wollen es endgültig beseitigen, wenige auf den Friedhof umsetzen. Unerwartet eilt ein betagter, sichtlich erregter Mann hinzu und fragt, was hier vorgehe. „Wir beraten, ob wir das Mahnmal beseitigen oder umsetzen“ sagt der Bürgermeister. Jetzt brechen bei dem Mann alle Gefühls-Dämme. Er klammert sich an das Denkmal und weint erschütternd, stammelt herzerweichend immerzu „Wenn ihr des wegwerfet, war alls umsunscht“. Einstimmig war man nun fürs umsetzten und der Bagger schwieg. Der Mann fand zumindest wieder seinen äusseren Frieden. Was muss dieser einfache Bürger erlebt haben, dachte ich erschüttert bei der Heimfahrt.
Wäre alles umsonst, denke ich alljährlich im Novemberanfang, auch 45 Jahre nach diesem unvergesslichen Erlebnis? Dann, wenn wir uns nicht mindestens einmal im Jahr an diesen Mahnmalen besinnen würden? Und
immer dann, wenn ich am Stahlhelm vor dem Rathaus Donaueschingen, der Gedenksäule mit 130 Namen Eschinger Weltkrieg-Eins Opfer, dem martialischen Kriegerhain in Fürstenberg und dem ausdrucksstarken Standbild „Trachtenfrau mit Kind, Uniformierter Mann“ am Eingangstor zum Mundelfinger Friedhof vorbei komme.
Mühe hat man oft, bei Kriegerdenkmalen mit Heldenposen, die den Geist des Völkischen atmen. Bei diesen „Krieger“ -Denkmalen, nicht bei den Kriegsopfergräbern, denkt man schon, dass das alles umsonst war. Geht man aber betroffen vorbei an der Frau mit Kind in Baaremer Tracht in die Dorffriedhofs Kapelle und zählt die zu Tode gekommenen aus dieser kleinen Dorfgemeinschaft, erkennt man, dass das Erinnern nicht umsonst sein kann und darf.
„Gefallen“ ist ein verharmlosender begriff aus dem Geist der Heldenverehrung. Sie alle sind nicht nicht einfach nur „gefallen“, in Wahrheit sind sie Opfer. Opfer die den tyrannischsten, entmenschlichsten Verbrechern „zum Opfer gefallen sind“. Besinnung kommt auch auf, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass von fast vierzig, von ausnahmslos Allen ! eingezogenen Bauernhoferben aus Donaueschingen, kein einziger die Baar wieder gesehen hat. Es war zwar völlig sinnlos, menschenverachtend, unmenschlich, aber es hat im Nachhinein nur den einzigen Sinn: Mahnung und Warnung vor Unmenschen. Und unendliche Trauer um die unfassbar vielen Opfer.
Eindrückliche Mahnmale und Besinnungsstätten sind deshalb nie umsonst. Das wusste und sagte uns der Mann aus dem Eschachtal. Dass man nämlich auf Mahn- und Denk- Male nicht verzichten kann. Auf heroisierende „Krieger“ -Denkmale aber schon.
Unsere Lokalpolitiker meinen, dass wir auch in diesem feierlosen Jahr, in diesen Besinnungstagen, einen Gedanken- Gang machen sollten.
Leider kein Besinnungstag, wir trauern um die Opfer der Kriege und hoffen auf friedliche Zeiten. So hören wir es in den zahlreichen Reden zum Volkstrauertag. Doch was tun wir um dieses Ziel zu erreichen?
Alle Kriege sind von Regierungen geschaffen, denen es sehr leicht fällt die Völker gegeneinander aufzuhetzen. Gerade jetzt helfen sogar auch wir Deutsche dummerweise mit, das der Krieg in der Ukraine mit täglich Hunderten Toten auf beiden Seiten immer weiter geht. Alles nur für den Begriff Freiheit. Was hat ein Toter davon? Am Ende gehen den Ukrainern die Soldaten aus und sie müssen Gebiete abtreten. Das hätten sie viel früher haben können und wir hätten das viele Geld für die eigene Verteidigungsfähigkeit einsetzen können.
Die Menschheit hat seit Tausenden von Jahren Kriege geführt, die Wahrscheinlichkeit für eine friedliche Welt ist daher gleich null. Die Regierungen werden nie zur Besinnung kommen und ihre Völker weiter in den Tod treiben. Die Mächtigen und ihre Familien stehen heutzutage ja nicht mehr an der Front, die lassen schön die anderen kämpfen.
Und mit jedem Krieg wächst der Hass beim Unterlegenen, der sich dann wieder überlegt wie er zurückschlagen kann. Dann werden neue Allianzen geschmiedet und erneut aufgerüstet.
Die Sonntagsreden von heute sind morgen verhallt und von Taten ist nichts zu sehen. So werden wir auch nächstes Jahr wieder an den Mahnmalen stehen und viele weitere Tote betrauern.
Sehr interessanter und einfühlsamer Beitrag, der mich nachdenklich gestimmt hat.
Frieden schaffen – ohne Waffen!
Ein Krieg ist heute nicht mehr zu führen – und schon immer nicht zu gewinnen.
Wieviele Kriege haben einen religiösen Ursprung?
Warum segnen die Amtskirchen immer noch die Waffen?