Mit Anselm und Karl Ove im Park

Mit Anselm und Karl Ove im Park

2. Januar 2024 0 Von Wolf Hockenjos

Donaueschingens berühmtester Sohn, Anselm Kiefer, ein Weltstar unter den Malern der Gegenwart, scheint sich schwer zu tun mit seiner Geburtsstadt: Kurz vor Kriegsende (am 8. März 1945) hier geboren und fünf Jahre lang bei seinen Großeltern aufgewachsen, lässt er sich bislang nicht erweichen, sich zur Baar zu bekennen – so sehr die Stadt seit Jahrzehnten darum buhlt und mit ihm zu flirten bemüht ist. Zuletzt im Juli 2022 hatte ihn eine Donaueschinger Delegation in seinem Pariser Atelier aufgesucht, wie der Südkurier berichtete. Doch zu recht viel mehr als zu einem Pressefoto zusammen mit dem gefeierten Künstler scheint es wieder nicht gereicht zu haben.

Wie gut, dass da an Weihnachten nicht nur Wim Wenders seinen Film über Anselm Kiefer („Ein Maler wie kein anderer“) in die Kinos brachte, sondern dass auch das neue Buch von Karl Ove Knausgård auf dem Gabentisch lag, des vielfach preisgekrönten norwegischen Weltstars unter den Literaten. Sein Titel: Der Wald und der Fluss. Über Anselm Kiefer und seine Kunst (Luchterhand-Verl.). Dem Maler mit seinen ebenso großflächigen wie düsteren Werken war der norwegische Schriftsteller seit Jahren schon auf der Fährte – in der Hoffnung, dessen Kunst und Persönlichkeit zu ergründen. Er hatte ihn bereits in seinen Ateliers in Paris wie in Barjac in den Cevennen besucht, war ihm zu mehreren Ausstellungen gefolgt und schließlich auch zu dessen Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Albert-Ludwig-Universität nach Freiburg gereist, wo Kiefer einst Jura studiert hatte. Da lag es nah, dass man bei dieser Gelegenheit auch noch der Einladung des Donaueschinger Fürstenhauses nachkam und in schwarzer Mercedes-Limousine (weil der Hubschrauberflug wegen des Nebels nicht möglich war) durch den winterlichen Schwarzwald auf die Baar fuhr. Schon früh glaubte Knausgård erkannt zu haben, dass der (Schwarz-)Wald und der Fluss (die Donau) aus Kiefers Donaueschinger Kindheit neben der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bis heute in seine monströsen Kunstwerke hineinwirken. 

Zum nachmittäglichen Kaffee fand man sich im Schloss ein, wo die fürstliche Familie sich lebhaft um die prominenten Gäste bemühte, ja man bot dem berühmtesten Sohn der Stadt sogar Gelände (60 Hektar) für ein weiters Atelier an, zu jenem in Barjac (50 Hektar) und zur Werkshalle in Paris hinzu. Nach der Schlossführung und vor dem Besuch der Sammlungen besichtigte man selbstverständlich auch die Donauquelle. Als Vierundzwanzigjähriger hatte Kiefer sie in Karlsruhe auf der Vorderseite seines Ausschnittsbuchs gestaltet, berichtet Karl Ove Knausgårdd: Im Buch gab es dann Fotos von einer alten, mit Wasser gefüllten Badewanne, eines alten, schnurzigen Spülbeckens voller Wasser, vermutlich aus seiner eigenen Wohnung.


Entsprang die Donau tatsächlich hier?

Der große deutsche Dichter Hölderlin hatte über die Donau geschrieben, er nannte den Fluss bei seinem uralten Namen Ister und ließ ihn in die griechische Mythologie strömen. Heidegger hatte eine Vorlesungsreihe über das Gedicht und den Fluss gehalten, 1942, als die Nacht im Menschlichen am tiefsten und er selbst nicht ohne Anteil daran war.

Die schwarze Wasserfläche da unten reflektierte wabernd den Himmel über uns. Kiefer sagte nichts über die Bedeutung der Quelle, weder über die mythologische, die historische oder künstlerische, noch über die persönliche, und ein paar Minuten später verließen wir das Schlossgelände und gingen die Hügel zum Museum hinauf.


Dort wunderte sich der Schriftsteller über all die „Hirschköpfe mit großen Geweihen“ und über „ein langes schmales Fresko mit Jagdszenen, auf dem die Menschen und die Tiere, die sie töteten, eng ineinander verschlungen waren“. Und so lässt er Maximiliane die Sicht der Einheimischen erläutern: „Die Straße hinauf wurden die Tiere gesammelt, die man im Wald getötet hatte. Sie wurden abgebalgt, und da oben fand die Auktion statt. Damals waren Felle wichtig.“ Woraufhin Knausgård sich fragt, wie es möglich war, in einen solchen Zustand zu geraten, in dem sich alles darum drehte, Leben enden zu lassen, in dem sämtliche Gedanken und Grenzen aufhören. Das muss der Grund gewesen sein, dass die vielen Tierbilder, Tierstatuen, Hirschköpfe und Jagdszenen, die ich an diesem Tag gesehen hatte, mich mit einem vagen Gefühl von etwas Unheimlichem erfüllten, dachte ich. Das war der Wald.

Nach dem Besuch der Sammlungen („einer Art Raritätenkabinett“), aus dem von Christian auch noch allerlei Mitbringsel für Kiefer abgezweigt wurden, spazierte man an der Brigach entlang durch den Park, wo man sich von der Fürstenfamilie verabschiedete – so herzlich, dass Knausgård sich zur Frage an Kiefer veranlasst sieht: : „Haben Sie wirklich Lust, wieder hierher zu ziehen?“ Was dieser jedoch entschieden verneint, wo er hier doch nur die Fürstenfamilie kenne, während er in Paris Philosophen, Dichtern und Kollegen begegne.


Doch dann wird es doch noch heiter, ja, intim: 

Der viele Kaffee, den ich im Schloss getrunken hatte, führte dazu, dass ich auf die Toilette musste, und als wir unsren Weg zu dem Tor am andern Ende des Parks fortsetzten, überlegte ich, ob es möglich wäre, hinter eines der Gebüsche zu gehen und zu pinkeln, verwarf den Gedanken jedoch, als ich die Situation vor mir sah. Kiefer und Forelli [die Managerin], wie sie herumstanden und auf mich warteten, ein wenig verlegen angesichts der plätschernden Geräusche, die von mir zu ihnen drangen, und vielleicht auch peinlich berührt über das Unhöfliche der Aktion.

Doch dann verließ Kiefer plötzlich den Weg und ging über die schneebedeckte Erde, wo er hinter einem Strauch verschwand, so dass ich ihm erleichtert folgen und mich hinter einen anderen stellen konnte.

Wie zwei Hunde kamen wir eine Minute später hinter unseren Büschen hervor, wo die Schneedecke nun von gelben Löchern perforiert war, stapften durch den Schnee zum Weg zurück und schlüpften wieder in unsere Rollen.

Zuguterletzt erreichte man auch noch, vorbei am Bahnhof (Kiefer lachend: „Man sollte nicht meinen, dass das ein Bahnhof ist!“), das Haus, klein und anonym, weiß gestrichen und viereckig, in dem der Maler seine Kindheit verbracht hatte: Es sah aus wie irgendein beliebiges Haus aus den fünfziger Jahren in einer beliebigen europäischen Stadt.

Dann beeilte man sich, zum Donaueschinger Flughafen zu gelangen, stieg in den dort auf sie wartenden noblen Jet, um bei Sonnenuntergang in Paris zu landen. Noch am nämlichen Abend hatte Kiefer mit seinen polnischen Arbeitern „eine große Skulptur für das Rockefeller Center anzufertigen“, sieben Meter breit, weshalb sie sehr sorgfältig konstruiert werden müsse. „Ein Modell, das halb so groß ist, habe ich bereits fertiggestellt.“ Kein Wunder, dass der Künstler, wie er bekannte, nach einem neuen Atelier suchte, das einen Kilometer lang sein solle. Seine Begierde nach Raum schien unersättlich zu sein. Seine Begierde zu arbeiten ebenso.

Ob da DER WALD UND DER FLUSS, der Schwarzwald und die Donau, noch eine tragende Rolle dabei spielen werden?