Ländlich, sittlich

Ländlich, sittlich

26. Februar 2024 0 Von Hannah Miriam Jaag

Hieronymus Kapitel 16

Willchumm Herr Storch! bisch au scho do, und schmecksch im Weiher d’Frösche scho? und meinsch der Winter heig si Sach, und’s besser Wetter chöm alsgmach?
>Johann Peter Hebel

Ländlich, sittlich

Lassen wir vorderhand unsern Helden im väterlichen Hause ungestört ausschlafen, um uns bis zu seinem Wiedererwachen der Betrachtung vorliegender Illustration und der Landschaft überhaupt zuzuwenden.

Die Zeichnung trägt den Charakter der Baar. Über die Häuser, welche mit ihren aufstrebenden steinernen Giebeln einen auffallenden Gegensatz bilden zu den breiten, strohbedeckten Hütten des Waldes, zieht durch die heitere Luft der Storch, der stets willkommene Frühlingsgast. Ehe jedoch der beschwingte Reisende das alte Nest, weit umkreisend, in Besitz nimmt und sein Dorf klappernd begrüßen kann, jubeln ihm schon die Kinder entgegen.

Gleich aber beginnt ein Wettlauf der lieben Jugend nach dem Hause des Vogts; denn es gilt nach altem Herkommen einen Laib Brot für denjenigen, welcher die Ankunft des Frühlingsboten dort zuerst meldet.

Dem Waldbewohner erscheint die benachbarte Hochebene bereits als „im Schwobe druß”. Und wirklich verrät das fruchtreiche Kornland mit seinen abgegrenzten Tannen- und Buchenwäldern und den zusammengedrängten, von großen Fruchtöschen umgebenen Ortschaften schon viel schwäbisches Gepräge. Der hohe Schwarzwald dort hat keine eigentlichen Dörfer, nur Talgemeinden in zerstreut durch die Täler und über die Höhen hinziehenden Gehöften und Hütten. – Im Wälderhof befindet sich die große gemeinsame Wohnstube nebst Küche im Erdgeschoß; das alte Baarer Haus in Stadt und Land hat diese ausschließlich im zweiten Stockwerk.

Wie die Wohnungsverhältnisse, so zeigen auch Lebensweise, Sitten und Gewohnheiten der beiden Angrenzer merkliche Verschiedenheit. Wenn der Baarer bei Übergabe des Hofguts das Regiment sogleich an den jüngsten Sohn oder – in Ermanglung eines männlichen Sprossen – an die älteste Tochter abtrat und dann im Leibgedingstüblein, einem Alkov neben der allgemeinen Wohnstube, seine Tage verbrachte, so erhielt dagegen der junge Wäldner bei seiner Verehelichung zwar den Kauf, aber nicht zugleich das Regiment im Haus; dies behielt der Vater meist lebenslänglich für sich, und die jungen Eheleute setzten sich mit den Alten zu Tische; die baarischen Leibgedingleute dagegen führten eine getrennte Haushaltung: sie speisten am sogenannten Klebtischlein, wo sie gewöhnlich die kleinen Enkel zu Gast hatten.

Das baarische Hofgut bestand in der Regel aus Lehen, wobei nur ein kleiner Teil eigen und zinsfrei war. – Des Wäldners Güter waren meist freies Eigentum. – Hier wie dort aber bildeten ein charakteristisches Familienanhängsel die „Vetter“, wie die älteren, im Haus verbliebenen ledigen Brüder des Gutsbesitzers insgemein genannt wurden. Schon von frühester Jugend an mußten diese hören, daß sie sich auf Versorgung, d. h. Verheiratung, nicht viel Hoffnung machen dürften, es wäre denn, daß eine reiche Bauerntochter oder eine Witwe sich fände, die bereit wäre, ihr Herz einem solchen Vetter zu schenken. Eigenes Vermögen besaßen die Vettern nicht. Wohl wurden ihnen bei der Erbteilung etwelche Felder überlassen, aber nur als unveräußerlicher Bestandteil des Hofes, der, gewissermaßen Fideikommiß, nie geschmälert werden durfte – worauf auch die Vettern einen besonderen Stolz hatten. Sie schafften in Haus und Feld, was und wie es ihnen beliebte, erhielten Verköstigung vom Bruder mit Statt und Platz zur Legung ihrer Feldfrüchte; und im Alter wurden sie gemeiniglich sorglich verpflegt, weil es gewöhnlich von ihnen noch etwas zu erben gab.

Beachtet man, daß seit uralten Zeiten ein bedeutender Teil des Waldes mit der Baar in Gaugenossenschaft verbunden gewesen, so wird man es erklärlich finden, daß bei aller Verschiedenheit des Volkscharakters und der Lebens- und Erwerbsweise dennoch Sitten und Anschauungen viel Übereinstimmendes haben mußten. Namentlich prägten sich religiöse Formen und Bräuche, die allem eine gewisse Weihe gaben, überall gleichmäßig aus, im öffentlichen wie im häuslichen Leben.

Kein Bauernknecht, auch nicht der roheste, betrat des Morgens die Stube ohne den Gruß: „Gelobt sei Jesus Christ!” und ohne sich, nachdem er die Hände im zinnernen „Handgießle” an der Türe gewaschen, mit Weihwasser zu besprengen. Mit einem „Im Namen Gottes!” begann der Sämann sein Tagewerk, und mit dem Wunsch: „Jetzt walt Gott und unsre liebe Frau!” verließ er nach vollbrachter Arbeit den Acker. – Mit den Worten: „Glück im Stall!” betrat man in fremden Häusern den Viehstall; und fand man ein Stück zu loben, so geschah es nie ohne den Beisatz: „Ein schön Stück Vieh, b’hüt’s Gott!”

Die am Palmsonntag von Knaben zur Kirche getragene und da geweihte Palme wurde – wie heute noch – vor dem Hause aufgesteckt als Schutz gegen Blitz und Ungewitter; während der von Mädchen zum Altar gebrachte (in früheren Zeiten lediglich nur aus Heilkräutern bestehende) Kräuterbüschel im Stall das Vieh vor Krankheiten behüten soll. – Wenn am St.-Agatha-Tag sich das Gesinde am Herd versammelte, um den Rosenkranz zu beten, so geschah es, weil diese Heilige als Patronin gegen Feuersgefahr angerufen wird. Dieser Beziehung verdankte zum Beispiel auch das alte Heiligenbild unter dem Gewölbe des Niedertors zu Villingen sein Dasein, vor welchem Bilde früher alljährlich am genannten Tage Lichter angezündet und öffentliche Gebete verrichtet wurden; und zwar soll dies seit der Zeit geschehen sein, wo (im 13. Jahrhundert) die Stadt durch einen großen – der Sage nach durch eine vom Niedertor hereingeflogene feurige Kugel (Aerolith) verursachten – Brand bis auf wenige Häuser in Asche gelegt wurde.

Zeichnung von Paul Bärsen. (aus GHV-Jahresheft 2001, Seite 41).

Das Niedere Tor in Villingen wurde (bis heute ein Ärgernis aller Villinger) 1847 abgebrochen. Das Aussehen und die Abmessung des Niederen Tores sind laut Geschichts- und Heimatverein Villingen weitgehend unbekannt. So wird wohl auf ewig unbekannt bleiben was für ein altes Heiligenbild unter dem Gewölbe zu sehen war. Es läßt aber vermuten, dass es ein Bild der Heiligen Agatha war.

Eine Figur der Heiligen Agatha, die aus den Trümmern des Tors gerettet worden sei, befindet sich heute im Franziskanermuseum

Figur der Heiligen Agathe aus dem 18. Jahrhundert.
Foto: Peter Graßmann, Franziskanermuseum

1271 wurde eine feurige Kugel, welche aus der Luft in die Stadt fuhr, ein Haus in Brand gesteckt, worauf das Feuer so schnell und gewaltig um sich griff, daß ganz Villingen niederbrannte, und über dreihundert Menschen ihr Leben einbüßten.

Badische Landes-Geschichte von den ältesten bis auf unsere Zeiten von Josef Bader 1836

Lucian Reich erzählt hier die Sage, dass am St.Agatha Tag diese feurige Kugel, seiner Meinung nach ein Aerolith (Meteorit), durch das Niedere Tor hereingeflogen kam und Villingen in Asche gelegt habe.

Aus diesen Gründen war wohl das Niedere Tor der Heiligen Agathe – der Patronin der Feuerwehren – geweiht worden.

Am Thomastage pflegten die Mädchen jedweden Hauses den sogenannten Durchsitz zu halten, d. h. sie durchwachten die Nacht in gesellschaftlichem Verein, wobei sie spannen und abwechslungsweise geistliche Lieder sangen (wie es scheint, eingeführt, um die in dieser Nacht getriebenen abergläubischen Bräuche zu verdrängen). Und gewiß, es war ein sinniger Brauch, wenn in der Heiligen Nacht die Hirten betend um den Stall gingen und sodann den Tieren Futter aufsteckten. Noch bis in die neueste Zeit war es in Villingen üblich, daß in jener Nacht die städtischen Hirten, ihre Reigen blasend, durch die Gassen der Stadt zogen.

Bekannt sind die kirchlichen Prozessionen vor der Erntezeit durch die Ortsgemarkung oder, wie man in der Baar sagt, um den Oesch. Eigentümlich war früher daselbst der Oeschritt, welcher nur von berittenen Männern, voran der Geistliche mit Kreuz und Fahne, abgehalten wurde. Wie früher alles in standesgemäßer Ordnung und Begrenzung vor sich gehen mußte, so trugen bei einem solchen Oeschritt die Verheirateten den blauen Tuchrock, die Ledigen das rote Wollehemd, während den Buben nur der weiße Zwillichkittel zustand. Wenn dann der also geordnete Zug nach vollbrachtem Umritt dem heimatlichen Dorfe wiederum nahte, so warteten seiner die Weiber mit ihren Kindern auf den Armen; und nun war es eine Freude für die Kleinen, wenn sie, vom Vater auf das Roß gehoben, den Weg bis zur Kirche und von da nach Haus im Sattel zurücklegen durften.

Von den verschiedenen religiösen Vereinen mag allein der sogenannte Marianische Rat, dessen Ursprung sehr alt zu sein scheint, hier erwähnt werden.

Dieser Verein bestand in der Regel aus dem Vogt als Vorstand und elf Mitgliedern, gewöhnlich den Ältesten der Gemeinde und von anerkannter Ehrenhaftigkeit. Seine Aufgabe war, in Verbindung mit dem Pfarrer die Kirchenordnung und Sittlichkeit überhaupt zu handhaben und zu überwachen, denn selbst auf Aburteilung von Felddiebstählen und ähnlicher Vergehen dehnte sich die Befugnis aus. Beim sonntäglichen Gottesdienste führte stets ein Ratsglied die Aufsicht über die Jugend; die zwei vordersten Bänke auf der Männerseite waren der bestimmte Platz für diese Volksältesten, wo vor jedem ein mit einem Stern gezierter Stab aufgesteckt war, an welchem er bei Prozessionen feierlich einherzuschreiten pflegte.

Waren sittlicher Ernst und religiöse Anschauung auf diese Weise überall vorherrschend, so konnte man die Lebensweise doch entfernt nicht eine kopfhängerische nennen. Denn an heitern Anlässen, Erholungen und Lustbarkeiten fehlte es durchaus nicht.

Ein allgemein bekanntes, bis in unsere Zeit reichendes Kinderfest war der Gregoristag, am Ende der Winterschule. Schon im sechzehnten Jahrhundert verschönerte die Gattin Heinrichs von Fürstenberg, welche auch die erste Schule in Donaueschingen gegründet, dieses Fest durch eine Stiftung, zufolge welcher noch heute an diesem Tage Wecken an arme Kinder der Gemeinde ausgeteilt werden. – In der Regel waren es die vier besten Schüler, welche als „Gregorisbuben” mit bebänderten Stäben in den Händen in und vor den Häusern umhergehen, Sprüche hersagen und Gaben einsammeln durften, mit welchen dann der allgemeine Schmaus im Wirtshaus bestritten wurde. An manchen Orten fanden auch dabei Spiele statt, wie zum Beispiel in Bräunlingen das Kugelwerfen nach dem hölzernen Löwen (im Stadtwappen), wobei die Gemeinde die Preise spendete. – Die Neuzeit hat dieses Schulkinderfest abgeschafft, und kein anderes ist bis jetzt an seine Stelle getreten.

Gregoristag
Das GregoriFest findet in Donaueschingen immer noch statt. Auch werden heute noch “Gregorisbuben” vom Fürst mit einer Uhr beschenkt. Wobei die Buben heute wohl eher Mädchen sind.
Das Kugelwerfen in Bräunlingen nach dem hölzernen Löwen hört sich besonders spannend an.

Löwe auf dem Ottilienberg in Bräunlingen

An Kirchweih und Fastnacht fanden fast in jedem Dorf an je zwei Tagen Tanzbelustigungen statt. – Versetzen wir uns einige Jahrzehnte zurück, um auf dem Tanzboden als Zuschauer gegenwärtig sein zu können.

Es ist zwölf Uhr mittags. Im Zuge, voran die Spielleute, begeben sich die Paare ins Wirtshaus, wohin vorerst der ledige Bursche nur seine Schwester mitbringen darf. – Denjenigen Schönen, welche eines Bruders entbehren, ist jedoch nur eine kurze Frist des Harrens auferlegt. Denn kaum einige Stunden währt die Lust, so wählt der junge Bursche, dem die Sitte verbietet, seine Liebste in eigener Person zum Tanze zu führen, aus seinen Freunden einen sogenannten Fürsprech, der als Abgeordneter ins elterliche Haus des Mädchens gesendet wird.

Hier grüßt er die Eltern mit dem herkömmlichen Spruch:

„Des Vogts Peter schickt mich her,
Eine Tänzerin wär sein Begehr.
Er verspricht, er wolle sie halten in Ehren,
Drum werden’s die lieben Eltern nicht verwehren.”

Wenn die Mutter hierauf ihre Einwilligung gegeben, entfernt sich das Töchterlein, um sich geziemend herauszustaffieren. Der Vater aber trinkt mit dem Fürsprech am Tisch den Willkomm. Endlich tritt die geschmückte Schöne wieder in die Stube; der Vater bestimmt die Stunde, welche der Lustbarkeit ein Ende machen soll; die Mutter führt die Tochter vor das Weihwassergefäß, besprengt, segnet sie und entläßt sie in „Gottes Namen”. – War es ein heiterer Tag, so ließ sich die ganze Tanzgesellschaft wohl auch einmal verlocken, vom Tanzboden weg einen Ausflug ins Freie zu machen – dieses hieß das „Ausziehen”. Auf eine nahegelegene Wiese oder Garten zog das junge Volk unter dem Schall der Instrumente. Nachdem die Spielleute sich auf eine Bank postiert, begann der Tanz. – Aber jetzt, nachdem, angelockt durch Musik und lauten Jubel, jüngere Frauen, ihre Kinder auf dem Arme, herbeigekommen und zuschauend die Tanzenden umstanden, geschah das „Wechseln”, eine Sitte, die eine anmutige Rücksicht der Mädchen gegen die jungen Frauen in sich schloß. Mitten im Tanze wurde innegehalten. Jedes Mädchen führte ihren Tänzer einer der zusehenden Frauen zu, nahm ihr das Kind vom Arme und unterhielt sich mit dem Kleinen, während die Mutter nun den Reigen antrat.

Die ledigen Burschen saßen gewöhnlich in gemeinschaftlicher Zeche, wobei jedesmal ein gewählter Zechmeister die Schreibtafel zu besorgen hatte, zu welchem Amtlein in der Regel solche junge Männer ausersehen wurden, die in Trauer waren und deshalb nicht tanzen durften. Nebst einer großen und einer kleinen Zeche, in welche letztere die Späterkommenden sich setzten, gab es auch noch einen „Knausertisch” für solche, die auf eigene Rechnung zehren wollten.

Der Tanz selbst hatte mancherlei Abwechslung. Es gab Hahnen-, Schappel- und Hammeltänze sowie die „sieben Sprüng”, welche man nach dem Rhythmus gewisser, von den Tanzenden gesprochener Verse ausführte.

Die löbliche Sitte der Landleute, sich in selbstgefertigte Leinwand zu kleiden, hatte damals den ausgedehnten Anbau des Hanfes und Flachses zur Notwendigkeit gemacht, und die Zubereitung dieser beiden Erzeugnisse, bevor sie in die Hände des Webers kamen, war fast ausschließlich Geschäft der Hausfrauen.

Wenn im Oktober die Arbeit des Hanfbrechens bei einer eigens hiezu gebauten Feuerstätte im Freien, die je einer Familie abwechslungsweise zur Benutzung zustand, vorgenommen wurde, so halfen außer den bestellten Lohnbrecherinnen noch angesehene Bauerntöchter mit, welche man Ehrenbrecherinnen nannte. Kam nun während des Geschäftes, wobei es gewöhnlich lustig zuging, ein bekannter junger Mann vorüber, so beeilten sich ein paar der Mädchen, ihm zuvorzukommen. Jede trug eine Handvoll feiner Reisten (gebrochenen Hanf), mit welcher sie dem Ankömmling den Weg bestreuten, sprechend:

„Es reist ein schöner Herr wohl übers Land,
Wir hoffen, er hab einen großen Verstand,
Wir wollen ihm streuen in Ehren,
Er wird uns auch was in die Reisten verehren!”

Der Angesprochene, um sich loszukaufen, langt in die Tasche, reicht den schalkhaften Brecherinnen scherzweise das kleinste Geldstück, welches er bei sich trägt und spricht:

„Weil ihr mir die Ehr erweiset,
Und mich gar einen Herren heißet,
So will ich mich nicht länger wehren,
Und euch diesen Kronentaler in die Reisten verehren!”

Die Mädchen unter Scherz und Lachen:

„Dieser Kronentaler ist viel zu klein,
So zahlen arme Bäuerlein;
Die Herren spenden immer mehr,
Drum gib uns noch einen Zwölfer her.”

Und keiner war je so ungalant, daß er nicht den schönen Drängerinnen mehr gespendet hätte. Reiche Bauernsöhne gaben sogar nicht selten in der Tat einen Kronentaler, selbst mehr, vorausgesetzt, daß ihnen die „Reisten” und diejenigen, welche sie gestreut, gut gefallen.

Den Schluß des ländlichen Geschäfts machte jedesmal ein Schmaus, welchen die Hausfrau ihren Helferinnen zum besten gab – und als Beweis, daß diese stets einen guten Appetit von der Arbeit mitzubringen pflegten, kann das alte Sprichwort gelten: Hunger haben wie eine Brecherin. Während dem Ehrenmahl erschienen die ledigen Burschen des Ortes, jeder mit einem Stab in der Hand, und indem sie sich vor das Haus postierten, unterhielten sie sich durch die offenen Fenster mit den essenden Schönen in der untern Stube.

Weil aber dem Mahle niemals Apfel- oder Birnenschnitze fehlen durften, so verlangten die Außenstehenden, scherzweise durch die hohle Hand sprechend, bald von dieser, bald von jener Innesitzenden einen Schnitz, dessen Geben oder Verweigern natürlich stets großen Spaß verursachte.

War das Essen vorüber, so stellten sich die Burschen im Spalier vor dem Hause auf mit vorgehaltenen Stäben – und wenn die Mädchen heraustraten, um nach Hause zu gehen, so mußte sich jede die Begleitung eines solchen galanten Stabhalters gefallen lassen.

Selbst der geringste Stand der Dienstboten, die Roßbuben, die wir bereits in einem früheren Kapitel kennengelernt, hatten ihre besonderen Rechte und bestimmten Lustbarkeiten.

Ehe die allgemeine Allmendteilung stattgefunden, bestanden in der Baar überall besondere Roßweiden, die sich wieder in Tag- und in Nachtweiden teilten. Am ersten Mai, wenn die Roßbuben zum erstenmal „ausfuhren”, fand ein Ringkampf unter ihnen statt, und die drei Stärksten wurden die „Stillieger” oder Hauptleute der übrigen. Drei Knappen, solche, die nach ihnen im Kampfe als die Gewandtesten sich erwiesen, durften sie bedienen, wenn sie am Feuer lagerten, schmausten, würfelten oder sonstige Kurzweil trieben; während allen andern, den „Wehrbuben”, die Aufsicht über die Rosse oblag.

Gewisse Gesetze und Gebote waren diesen wilden und oft sehr rohen Burschen, welche die Hälfte des Jahres unter freiem Himmel zubrachten, um so notwendiger, als sie nur wenig in die Kirche und höchst selten in eine Schule kamen; daher das Sprichwort: Gefürchtet wie der Teufel und die Roßbuben.

Übertretung ihrer Gebote – von welchen zum Beispiel eines Ehrerbietung gegen Frauen und Mädchen oder gegen Feldkreuze zur Pflicht machte – wurden jeden Monatssonntag nach dem Gottesdienst von den Stilliegern öffentlich vor dem Pfarrhof oder dem Rathaus mittelst auf dem bloßen Arm des Schuldigen hin und her geschwungener Bündel Wacholderreises abgestraft. – Aber auch dem Feldbannwart stand eine gewisse Aufsicht über die ganze „Hut” zu; denn wenn er auf die Weide kam und zum Beispiel zum Gebet kommandierte, so mußten sich alle seiner Anordnung fügen. Kehrten sie abends mit ihren Rossen heim, so wurde auf dem Weg ein gemeinschaftlicher Rosenkranz gebetet.

War das Stehlen unter Kameraden strenge verpönt, so wurde es nach außen hin – nach altspartanischer Sitte – doch nur dann als strafwürdig erachtet, wenn der Betreffende ungeschickt genug war, sich dabei erwischen zu lassen. Während der Nacht oft meilenweit reitend, statteten die Burschen den Obstgärten und Rauchfängen fremder Bauern gern Besuche ab; und es war für die Bäurin gewiß keine angenehme Überraschung, wenn sie morgens die Küche betrat und statt der saftigen Schinken ein Stück Holz im Kamin hängen sah. – Auch geschah es oft, daß eine „Hut” einer andern benachbarten förmlich Krieg erklärte; auf unzugerittenen Fohlen sprengten sie dann gegeneinander, und nicht selten verfolgten die Sieger den fliehenden Feind bis in die Dörfer, allwo Pfarrer und Vogt zur Abwehr herbeieilen mußten, um weitere Gewalttaten zu verhindern.

Der Pfingstmontag war – wie wir bereits gesehen haben – der eigentliche Ehrentag dieser Nomaden, wobei sie unter dem Schalle ihrer Rindenhörner zu Pferd in die betreffende Ortschaft oder Stadt einzogen, um den Pfingsthagen, Pfingstbutz oder wie er sonst noch geheißen, in den Brunnen zu werfen – ein Brauch, der jedenfalls auf das altgermanische Maifest zurückzuführen ist. Unter dem grüne Tännchen in der Hand tragenden Zuge wurde der Frühling verstanden, welcher kommt, den mit Rinde oder Stroh umhüllten Winter in das fließende Wasser zu werfen. – Ein ähnlicher Brauch herrschte auch unter den Kindern. Paarweise zogen sie in den Häusern umher, das eine mit dem grünen Bäumchen stellte den Frühling, das andere in Stroh gehüllte den Winter vor, der unter wechselweise hergesagten Sprüchen vom andern zur Tür hinausgetrieben wurde.

Der Pfingsthagen ist heute ganz unbekannt. Wobei ein Teil des Brauches lebt vielleicht in den Villinger Wuescht fort.

An der Kirchweih war unsern Rossebändigern zwei Tage hindurch Tanzbelustigung – der sogenannte Heuliechertanz – abzuhalten gestattet, während alsdann die Knechte für sie die Pferde auf die Weide treiben und hüten mußten.

Mit Beginn des Frühlings pflegte die erwachsene Jugend allsonntäglich hinauszuziehen auf den in der Nähe des Ortes gelegenen „Brühl” oder Grasgarten, um da gemeinsame Spiele, Ballschlagen usw. zu treiben. Vom ersten Mai ab hörte aber dieses „Brühlrennen” auf, weil von jetzt an die Wiesen nicht mehr begangen werden durften. – Beliebt war in der Baar um Ostern das Eierlesen; eine Wette, wobei ein Bursche eine gewisse Wegstrecke zurückzulegen hat, während sein Gegner eine Anzahl, in gemessener Entfernung auseinanderliegenden Eier jedes einzeln aufzulesen und in eine am Ziel aufgestellte, mit Spreu gefüllte Wanne zu bringen sich anheischig macht.

Während der Heuernte hatte jeder Bursche unter den Mädchen seiner Umgebung ein „Heubühle” (deminutiv von Buhle) zu wählen, dem er diese Zeit über gefällig und dienstbar sein wollte. – Sind die Früchte glücklich eingeheimst, so feiert der Bauer die „Sichelhenke“; hat das Gesinde dem Meister das Jahr über redlich gedient, so ist’s jetzt am Meister und der Meisterin, die Dienstboten am Tische zu bedienen und – womöglich mit neuem Wein – das Mundschenkenamt zu versehen.

Werden diese flüchtigen Umrisse nicht schon erkennen lassen, wie gut es unsere Vorfahren verstanden, jedem Vorkommnis im Leben eine bedeutende oder heitere Seite abzugewinnen? Und sollte ein Vergleich der Gegenwart mit den Bildern der Vergangenheit nicht zu allen Zeiten eine ebenso nützliche wie angenehme Unterhaltung gewähren?