Der LandsturmRückkehr der Kreissoldaten

Der Landsturm
Rückkehr der Kreissoldaten

28. Februar 2024 0 Von Hannah Miriam Jaag

Hieronymus Kapitel 18

Aber so wende nach innen, so wende nach außen die Kräfte Jeder: da wär’s ein Fest, Deutscher mit Deutschen zu sein.
> Goethe

Der Landsturm – Rückkehr der Kreissoldaten

Bevor noch der Krieg erklärt – schon zu Anfang der neunziger Jahre -, war man in den vorliegenden Landen auf Verteidigung derselben durch Errichtung eines Landsturms bedacht.

Der Plan ging zunächst von Freiherrn v. Sommerau aus, dem Landeschef der vorderösterreichischen Regierung. Manche Reichsstände gingen sogleich auf den Vorschlag ein, welcher, allgemein und mit Beharrlichkeit durchgeführt, das Land vor einer französischen Überflutung durchaus schützen mußte. Aber wie es im Reich zu gehen pflegte, einzelne Stände ließen sich bereitwillig finden, andere taten nichts oder waren geradezu entgegen.

Alle waffenfähige Mannschaft, hieß es in dem Aufruf, vom fünfzehnten bis fünfzigsten Jahr, sollte ungesäumt militärisch eingeübt werden. Die Gemeinden sollten für diejenigen, welche es benötigt, Wehr, Munition und Proviant liefern. Sammelplätze wurden bestimmt, und jedem Platz ward ein kaiserlicher Hauptmann als Kommandant beigegeben. – Allein, wie schon gesagt, Zusammenhang kam nie in das Unternehmen, es fehlte an ernstlicher Unterstützung von oben. Erst im Jahr sechsundneunzig, als die Franzosen um Straßburg eine beträchtliche Heeresmacht versammelt hatten, rief man den Landsturm auf. Eine Proklamation erschien, worin das Volk aufgefordert wurde, sich zu verteidigen, als Männer zu kämpfen für Religion, für den Kaiser, für das Vaterland und den eigenen Herd.

Rasch hatte das Wort gezündet. Die Bürger von Freiburg und Kenzingen waren dem Korps des Generals Fröhlich beigegeben, die aus der Herrschaft Kürnberg und Lichteneck den Kaiserlichen bei Ober- und Niederhausen.

Die Bauern aus dem Elztal, Simonswald und Triberg, die Bürger aus den Städten Villingen und Bräunlingen sollten unter Führung ihrer Bürgermeister und Vögte die Gebirgspässe im Schwarzwald besetzen. Auch die Männer aus dem Münstertal, Staufen und Säckingen, Waldshut und Laufenburg sowie die St.-Blasianer griffen zu den Waffen.

Der erste Koalitionskrieg

Der Krieg dauerte von 1792 bis 1797 und es waren Frankreich mit Österreich und Preußen im Krieg.

Die Kaiserlichen Reichstruppen zogen vom Jahr 1790 an durch Hüfingen und 1791 folgte das kaiserliche Kürassierregiment Hohenzollern. Am 14. Juli 1796 überschritten die französischen Truppen unter General Moreaus den Rhein.

Ein kaiserlicher Kürassier im Polnischen Thronfolgekrieg vor Philippsburg 1734 („Jung-Savoyen“ – Zeitgenössische Gudenus-Handschrift) Foto: Wikipedia

Wie wenig durchgreifenden Erfolg auch solche verspätete Erhebung haben mußte, den Franzosen erschien sie bedenklich genug. Vielleicht erinnerten sie sich der Fährlichkeiten, welche ihre Heere zu Anfang des Jahrhunderts im Schwarzwald zu bestehen gehabt. Durch Sendlinge aller Art suchten sie abzumahnen und zu hintertreiben, wo und wie sie nur konnten; Proklamationen verteilte man, worin zur Neutralität geraten und Schutz der Nationalität sowie der Religion verheißen wurde; ihre Agenten zischelten den Bauern in die Ohren, daß der Landsturm nur organisiert werde, um ihn für schweres Geld an die Engländer zu verkaufen usw. Es war eine bewegte Zeit; auch bis in die entlegensten Täler und Winkel schlugen die Wogen der großen Weltbegebenheiten.

Während dieses ungewöhnlichen Treibens pflegte Philipp, der älteste Sohn des Kaiserzollers, ein aufgeweckter junger Mann, oft nach Laubhausen zu kommen, und er unterließ dabei niemals, auch im Wirtshaus „Zum Felsen” einzusprechen. – Philipp sollte einst das Bauerngut seines Vaters erben und, so Gott wollte und der österreichische Obervogt nichts dagegen hatte, auch des Vaters Amt als Kaiserzoller erhalten. Dieser befehligte ein Fähnlein bei dem Landsturmaufgebot, und dem Philipp war eine Führerstelle bei demselben übertragen worden.

Auch einen zweiten Gast, nämlich Romulus, schienen die Zeitverhältnisse jetzt öfter in den Felsen zu führen. Der Student hatte vorderhand seine Studien an den Nagel gehängt, sei es nun, daß diese Studien den Geldbeutel des Vaters zu sehr angegriffen, oder daß die Zeitströmung überhaupt zu mächtig auf seinen Geist einwirkte, um in Ruhe hinter dem Schreibtisch ausharren zu können. – Das letztere muß als wahrscheinlich angenommen werden, denn des jungen Mannes Kopf schien vollständig eingenommen zu sein von den neufränkischen Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Wenigstens ermangelte er selten, im Gespräch mit anderen diese Ideen zu verteidigen und mit Andersgesinnten deswegen anzubinden.

Die Aufgebote harrten des Befehls zum Ausmarsch, und Philipp benützte diese letzte Frist, um noch einmal herüber zu seinen Verwandten zu kommen. Er war bereits als marschbereiter Wehrmann angetan und hatte sein Pferd im „Felsen” eingestellt. Diesmal empfing ihn Juliana, das Töchterlein des Hauses, denn der Wirt und sein Sohn waren in Geschäften abwesend. – Das Mädchen hatte dem eintretenden Landsturmmann zuvorkommend Hut und Säbel abgenommen, beides in die Ecke zu stellen, und fragte nun freundlich nach des Gastes weiterem Begehr. – Es waren noch mehr Gäste in der Stube, und auch der Laubhauser hatte sich herüber begeben, um Neuigkeiten zu hören. Romulus mit einigen Gesinnungsgenossen saß am hinteren Tisch bei der Küchentür.

Philipp schien heute besonders redselig; in feurigen Ausdrücken sprach er über die allgemeine Landesdefension, den Ausmarsch, und was damit zusammenhing. Juliana, welche sich neben ihn gesetzt, schien, den Kopf auf die Hand gestützt, aufmerksam jedes Wort des Redners zu verfolgen.

„Ja, wenn alle täten wie wir, im Vorderösterreichischen”, rief Philipp lebhaft, „so kam uns diesmal der Franzos nit auf den Hals! – Aber so ist’s halt meistens g’wesen, während die einen den Brand g löscht haben, sind die andern als bedächtliche Zugucker daneben ‘standen oder haben sich höchstens noch am Austragen beteiligt, um ein paar Fetzen für sich zu erwischen. – Da geh’ mal einer nach Freiburg und schau, wie da das Freischützenkorps so fleißig exerziert und manövriert. Und in Waldshut und in Staufen und andern Städten soll ebenfalls die Bürgerschaft schon vollständig unterm Gwehr steh’n. Und die Bauern von Altdorf, so hört man, die haben sogar aus freien Stücken bei der Regierung den Antrag g’stellt, sich bewaffnen und ausmarschieren zu dürfen. – Und ich kann euch versichern, auch bei mir daheim will keiner z’rückbleiben, ja, ich glaub, die Weiber gingen noch mit, wenn’s sein müßt. – Wundere mich nur, daß hier rum noch alles so ruhig ist!” „Ich für mein’ Teil, Vetter”, unterbrach der Laubhauser, unwillig auf die Tür zuschreitend, die Rede seines begeisterten Neffen, „ich bin der Meinung, der Bur g’hört an de’ Pflug!”

„Ja, freilich”, rief ihm Philipp nach, „so heißt’s eben bei vielen: so der Baur nit muß, rührt er weder Hand noch Fuß. – Und wenn wir auch alle das Leben lassen müssen”, fuhr er, die Augen auf Juliana heftend, fort, „so haben wir uns doch gezeigt als Männer und uns gewehrt für alles, was uns lieb und wert ist!”

Jetzt hörte man am hinteren Tisch an die leere Flasche klingeln, so daß Juliana aufstand, zu sehen, was man begehre. Romulus, ihr die Flasche darreichend, sagte mit spöttischem Blick auf Philipp: „Es wird halt wieder heißen: vorne getrommelt und hinten keine Soldaten!”

Dem Philipp stieg das Blut zu Gesicht, doch hielt er an sich und tat, als habe er’s nicht gehört. „Laßt sie nur kommen, und schaut dann, wie mäuslestill die Helden auf einmal sein werden”, fuhr Romulus fort. – „Laßt euch nit beschwätzen von solchen”, sagte er zu seiner Umgebung, mit einem stechenden Seitenblick auf den jungen Wehrmann, „von Leuten, denen es im Grund ja doch nur um en Amtle oder um die Gnad von oben zu tun ist.” „Laßt euch nit beschwätzen”, gab Philipp trotzig zurück, „von verdorbnen Advokaten (Romulus hatte Juristerei zu studieren angefangen), von Leut’, die für’s Geld die Briefträger und falschen Ratgeber machen.”

Aber der Student – der in der Tat kurz vorher eine der vielen damals erschienenen Flugschriften vorgelesen und den Bauern erklärt hatte – brach in ein schallendes Gelächter aus und begann dann das bekannte Spottlied auf den österreichischen Landsturm zu singen: Nur langsam voran, usw. Das war zu stark. – Die mühsam zurücgehaltene Flamme brach aus in lichter Lohe. – Zorngeröteten Angesichts sprang Philipp nach seinem Rolandsschwert. – Die am hintern Tisch aber griffen zu Schutz und Trutz nach Stühlen und Flaschen – so rasch aber wie diese war auch das Wirtstöchterlein Juliana zur Stelle.

„Unfriedensstifter!” rief sie erzürnt gegen Romulus; und zugleich fühlte dieser von einem schönen, aber kräftigen Arm so unsanft sich zurückgestoßen, daß er, der aus Verdruß wohl ein wenig zu tief ins Glas geschaut haben mochte, taumelnd gegen die Wand stolperte. – Dann wendete das Mädchen sich gegen Philipp und bat, ihn sanft umfassend: „Gib Frieden, mir zulieb!” Dem Jüngling aber geschah dabei, wie einst Rudolph von Habsburg, als er vor Basel die Botschaft seiner Kaiserwahl empfing, denn gleich diesem steckte jener die gezückte Klinge ruhig wieder in die Scheide und machte Friede.

In der Tat war dem guten Burschen durch das Benehmen des Wirtstöchterleins etwas kund geworden, was ihn höher beglückte als selbst eine Kaiserbotschaft; denn als er dastand, von den Armen des schönen Mädchens umfaßt, als sein Auge in das ihrige schaute, fast bis auf den Grund ihrer Seele, da überkam ihn ein noch nie empfundenes Gefühl. Das wild aufgeregte Meer der Zornesleidenschaft ward zur sonnenhellen Fläche, widerspiegelnd den Himmel und die schönen Sterne.

Bei diesem Anblick des umschlungenen Paares war Romulus mit verbissenem Ingrimm zur Stube hinausgerannt, und jetzt konnten die übrigen Anwesenden erst merken, um was es sich hier gehandelt: daß die beiden nämlich weder um den Kaiser noch um das Reich gestritten, sondern einzig und allein um der Wirtin Töchterlein.

Wäre irgendein Zweifel noch möglich gewesen, die nachfolgende Abschiedsszene hätte auch den letzten Rest davon tilgen müssen; die Zeit drängte, und als der Augenblick des Scheidens nimmer verschoben werden konnte, hatte Juliana bereits den Hut des wehrhaften Landesverteidigers mit Strauß und Band geschmückt und geleitete den Abziehenden hinaus zu seinem Pferde. Der Jüngling hatte mit der Linken Zügel und Kammhaar erfaßt, sich in den Sattel zu schwingen, und streckte die Rechte zum letzten Lebewohl nochmals gegen die Begleiterin. Da vermochte das bisher so spröde Mädchen sich nicht mehr zu halten; zur Verwunderung aller Zuschauer hinter den Fensterscheiben umhalste sie den Freund, drückte einen herzhaften Kuß auf seine Lippen – und eilte schnell in das Haus zurück, auf ihre Kammer, dort den mühsam verhaltenen Tränen freien Lauf zu lassen. Denn Lieb’ ist Leides Anfang, und wer konnte wissen, ob alle auch glücklich wieder aus dem Felde heimkehren würden?

Der Landsturmmann war rasch aufgesessen, hatte seinem Rosse beide Sporen in die Weichen gedrückt und war im scharfen Trabe davongeritten, gleich, als ginge es jetzt vor den Feind, und als müßte er mutig einsetzen sein Leben für Gott, für das Vaterland und alles, was darin lebte und liebte.

Oben auf der Höhe sah man ihn anhalten, um gegen das schon in der Abenddämmerung rauchende Wirtshaus im Tale noch einmal grüßend den Hut zu schwingen, denn am diesseitigen Giebelfensterlein winkte ja die Genossin seiner Schmerzen, seines Glücks, von welcher ihn das Schicksal zu scheiden zwang, in dem Augenblick, wo ihre Herzen für immer sich verkettet. Schon der nächste Tag brachte den Befehl zum allgemeinen Aufbruche. Die Landsturm-Trompeter gaben aller Orten die Signale, und von allen Bergen und Tälern zogen die Bewaffneten auf ihre Sammelplätze.

Am vierundzwanzigsten Mai des Jahres sechsundneunzig, wenige Stunden nach Mitternacht, begann Geschützfeuer zu erdröhnen im ganzen Rheintal von Basel bis Philippsburg. Diese Nacht hatte der republikanische Oberfeldherr bestimmt, den Übergang seines Heeres über den Strom zu erzwingen. Auf Stadt und Dorf Kehl, wo unser schwäbisches Kreiskontingent mit elf schwachen Bataillonen und zwei Reiterregimentern in langer Linie aufgestellt war, richtete der Feind seinen Hauptstoß. Kaum die Hälfte dieses Korps, wenig über dreitausend Mann, konnten hier auf dem bedachten Punkte den Franzosen entgegengeworfen werden. Um fünf Uhr des Morgens war man handgemein geworden, und noch fünf Stunden lang hatte das Häuflein sich gewehrt gegen die stets und stets wachsende Zahl der Feinde, sechshundert der Ihrigen auf der Walstatt gelassen und dann gegen das Gebirge hin sich zurückgezogen.

Der französische Oberfeldherr hatte die Kaiserlichen rheinabwärts gedrängt, und schon am vierten Tag stand ihm der Eingang in das Renchtal und somit nach Schwaben offen. Bei dem schwäbischen Korps hatte der Landgraf von Fürstenberg den Befehl übernommen (denn der alte Feldzeugmeister Stain war „erkrankt”), und diesem General gelang es noch, mit einigen Abteilungen seines Korps die Gebirgspässe des Kniebis und Roßbühl zu besetzen und so dem Feinde den Weg zu verlegen. Der Rest stand im Kinzigtal.

In der ersten Hälfte des Juli war am Ausgang des Bleichtales bei Herbolzheim und Wagenstadt der Landsturm zum ersten Treffen gekommen und hatte mit seinem Blute wenigstens Unerschrockenheit und den besten Willen bekundet, so daß ihm der General Fröhlich das Zeugnis ausstellen konnte, er verdanke den Sieg größtenteils der Tapferkeit der Landmiliz.

Bis herauf zu den Höhen des Schwarzwaldes hallte der Donner der Geschütze, und selbst in der Gegend des Laubhauserhofes konnte man deutlich die einzelnen Schüsse der schweren Stücke unterscheiden. Während die Alten in banger Spannung lebten und manch bekümmertes Gemüt im Gebet Hilfe suchte, lagen die Kinder draußen auf dem Rasen, das Ohr am Boden und vergnügten sich, die einzelnen Schläge des fernen Geschützdonners zu zählen.

Es war am vierzehnten Juli des Nachts, als der kaiserliche General Fröhlich in Villingen eintraf, welcher die Mannschaft dieser Stadt sowie jene aus Bräunlingen, Triberg und aus dem Nellenburgischen schleunigst nach den Gebirgspässen beorderte. – Mit Freuden war man diesem Befehle gefolgt, denn noch immer hielt man die kaiserliche Armee für unüberwindlich, trotz der vielen bedenklichen Nachrichten, welche man in neuester Zeit vernommen. Doch gab es auch Weiterblickende, denen ein trübes Vorgefühl nicht das Beste prophezeite. Indessen, man marschierte aus, ward in den Dörfern einquartiert, hielt einige Pässe und Höhepunkte besetzt und harrte des Verlaufes der Dinge.

In Hüfingen wie im ganzen Fürstenbergischen war es zu keinem Landsturmaufgebot gekommen; man sprach wohl allgemein davon – und namentlich freute sich der Zollbereiter, wenn in der Abendgesellschaft beim Verwalter davon die Rede war, daß sein Vorschlag einer Bürgerbewaffnung nun doch zur Ausführung komme – allein zur Organisation war es zu spät.

Hieronymus hoffte vergeblich auf einen Ausmarsch; er hatte sogar Lust, in des Kaiserzollers Kompanie als Freiwilliger einzutreten, aber sein Meister und auch Severin rieten ab.

In diese Zeit allgemeinen Kriegslärms fiel auch der Tod unseres Tambours Gsell – der Himmel wollte dem alten Veteranen den Schmerz ersparen, ein kaiserliches Heer retirieren zu sehen.

Des Kaiserzollers Kompanie stand bei St. Georgen auf der Sommerau, und hatte sich in einem alten Gemäuer gelagert. Von nordwärts her hörte man deutlich Kleingewehrfeuer, und Geschützschüsse tönten aus allen Tälern herauf. Ein paar junge Burschen standen als Schildwachen auf den Mauer-trümmern. Im Innern aber lagerte ein Teil der Mannschaft an einem lustigen Feuer, wobei der alte Büchsenmacher aus dem Tribergischen mit Kugelgießen beschäftigt war. Bei jeder blauen Bohne, welche der alte Kauz aus dem Kugelmodel klopfte, murmelte er einige Verwünschungen über das Avancieren der Franzosen und das Mißgeschick des Reichsheeres.

Philipp, den Kopf auf die Hand gestützt, lag nachdenklich abseits, und ich glaube, daß er mehr an des Felsenwirts nettes Töchterlein gedacht als an die Zustände des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Der Hauptmann Kaiserzoller aber ging unruhig auf und ab. – Es dunkelte bereits, das Schießen hatte aufgehört, allein es war unverkennbar, daß der Feind wieder Boden gewonnen habe, daß nicht nur der Kniebispaß, sondern wahrscheinlich auch der Höllenpaß bereits in seiner Hand sein werde. „Wenn sie jetzt nit kommen, so ist ihnen was passiert”, fing endlich der Hauptmann an, indem er stehenblieb. „Entweder sind sie weiter als Mönchweiler oder sie sind am End gar schon den Bündelbuben (den Franzosen) in die Händ’ g’fallen”, war die Ansicht des Haldenbauers. „Ah”, beruhigte der Büchsenmacher, „so g fährlich steht die Sach’ noch nit – dem Schießen nach ist noch kein Französle über Schiltach hoben – und wenn auch – sorg nur keiner für den Husarenseppel, der ist ein alter Soldat und kennt die Schlich!”

In dem Augenblick hörte man von außen Stimmen und zugleich auch den Buben, welcher als Lauerposten auf der Mauer stand, herunterrufen. Alle Blicke wendeten sich nach dem Eingang, wo man auch alsobald die beiden auf Kundschaft ausgesendeten Männer, von welchen bisher die Rede gewesen, hereinschreiten sah. Der eine trug zu seinem bäuerischen Anzug noch eine verbleichte Husarenjacke, auf der Schulter aber ein Kommißgewehr nebst großer Patrontasche. Es war der Husarenseppel, der sich wirklich zu dem bevorstehenden Feldzug mit dem Rest seiner ehemaligen Soldatengarderobe herausstaffiert hatte. Sein Begleiter, der Pariserschneider mit sorgfältig gewickeltem Zopf, trug auf der Schulter einen langen Nachtwächterspieß und in der Rocktasche eine mächtige Reiterpistole.

„Das war beim Dunder e g’fährliche Kommission”, platzte der Schneider sogleich heraus. „Ich hab nimmer glaubt, daß wir” -, doch war es ihm nicht vergönnt, die Phrase zu vollenden, denn mit den Worten: „nur g’stät”, schob ihn der Husarenseppel alsbald zur Seite, trat mit militärischem Gruß steif vor den Hauptmann hin und rapportierte ordonnanzmäßig ungefähr folgendes:

In Mönchweiler hätten sie die Villinger nicht mehr angetroffen, und man habe dort ihnen berichtet, daß sie nach Fischbach marschiert wären, und so hätten sie beide auch den Weg dahin eingeschlagen und die Leute richtig getroffen. Von dem Hauptmann, Syndikus Handtmann, hätten sie nun vernommen, daß des Tags zuvor zweihundert Mann von Stockach zu ihnen gestoßen waren. Der Syndikus und der Stockacher Hauptmann hätten sich dann bei dem österreichischen Kommandanten zu Fischbach gemeldet und diesem ihre Leute zur Verfügung gestellt. Der Offizier aber habe ihnen bedeutet, sie möchten mit ihren Leuten in Gottes Namen wieder heimziehen, denn so, wie die Sachen jetzt stünden, wisse er sie nicht mehr zu gebrauchen.

Dessen aber hätten sich die Landsturmmänner entschieden geweigert. Nun seien heute um Mittag die angesehensten und ältesten Männer von Villingen zu ihnen hinausgekommen, um sie zum Heimgehen zu vermögen, und dazu hätten sie sich endlich auch entschlossen. „Und so bleibt uns denn auch nix anders übris”, schloß die Meldung, „als in Gott’s Name den Villingern nachzumachen und umzukehren. – Die Kappe ist, wie ich merk, verschnitten!” – Dieser Rat erwies sich wirklich auch als der beste, denn am andern Morgen sah man, daß die Nachhut der kaiserlichen Truppen vor Tag schon aus der Gegend abmarschiert war.

An manchen Herd, in manche Hütte war mit den heimkehrenden Wehrmännern die Ruhe wieder eingezogen, die bange Sorge entflohen. Aber auch manche frühzeitig zur Witwe gewordene Gattin saß da im dumpfen Schmerze; mancher Mutter Tränen flossen um den gebliebenen Sohn, und viele Herzen waren noch die Beute nagender Ungewißheit.

Es waren überhaupt Tage der Verwirrung und Bestürzung. Der fürstliche Hof zu Donaueschingen hatte sich nach der Schweiz geflüchtet, nachdem vorher das Wertvollste aus dem Archiv dorthin gebracht und das Kupfer und Zinngeschirr aus der Schloßküche an einer tiefen Stelle in die Donau versenkt worden war. – Solche Beispiele sind ansteckend, weil die Leute selten den Unterschied der Beweggründe bedenken noch die Mittel zur Ausführung.

Auch in Hüfingen war die Lust zum Auswandern eingerissen. Beim Verwalter wurde die Sache beraten; man wollte wenigstens Frauen und Kinder in Sicherheit bringen. Allein noch keine Tagreise war gemacht, als das Gefühl der Ratlosigkeit schon über alle gekommen. Jedes lernte einsehen, was es heiße, Haus und Hof so übereilt zu verlassen – und so zog man in Gottesnamen wieder heim. Doch wurde das Vieh in die Wälder geflüchtet.

An die Beamten war die Weisung ergangen, auf ihren Posten standhaft auszuharren. Aber auch sie wollten nicht versäumen, ihre beste Habe in Sicherheit zu bringen. Also geschah es auch im Hause des Rats; und Hieronymus wurde vom Meister Amtsdiener beordert, der Familie beim Geschäft an die Hand zu gehen. Während der Amtsdiener nächtlicherweile bemüht war, in einem Winkel des Hausgartens eine Kiste mit Silber und Wertsachen zu verscharren, half Hieronymus der Base Annakäther und Fräulein Helene bei Verpackung des Weißzeugs und anderer Sachen, die man mit Beihilfe eines Knechtes unter dem Kommando der Frau Rätin oben auf dem Speicher unter den Trümmern eines alten Kachelofens versteckte.

Mit Severin war Hieronymus, nachdem das Geschäft beendet, spät in der Nacht noch vor das Tor gegangen. In den Gassen, die sie durchschritten, herrschte Unruhe, alles lief hin und her, und niemand wollte sich dem Schlaf überlassen. Die Männer, welche in Gruppen vor dem Tore standen, wollten bestimmt wissen, die Vorposten der Franzosen stünden bereits schon herwärts von Kirchdorf und Klengen. – An der „Länge“, vom Wartenberg bis zum Fürstenberg hin, sah man Wachtfeuer brennen vom Lager, welches die Condéer und die Kaiserlichen dort geschlagen. Allgemein wurde eine Schlacht befürchtet. – Ein Reiter kam dahergetrabt. Man drängte sich um ihn, fragend nach dem Stand der Dinge. Richtig, die Franzosen hatten Villingen besetzt, der ganze Marktplatz, berichtete der Mann, liege voll Soldaten, stehe voll Kanonen.

Aber schon im Laufe des folgenden Morgens traf die Nachricht ein, die Kaiserlichen hätten ihr Lager aufgehoben und ihren Rückzug fortgesetzt. Bald nachher rückte der Feind in Donaueschingen ein und besetzte auch die Amtsstadt. Die „Erleichterungen”, von welchen der Fohrlenbacher gesprochen, nahmen ihren Anfang. – Zum Glück konnten die brandschatzenden, hungrigen und durstigen Brüder nicht lange in der Gegend verweilen; schon nach drei Tagen zogen sie wieder ab.

Von dem Kreiskontingente wußte man nur wenig Sicheres. Daß dasselbe bedeutend zusammengeschmolzen, namentlich durch den Abzug der Württemberger, war gewiß. Indessen gelangten durch sichere Boten Briefe aus dem Hauptquartier des Landgrafen von Fürstenberg nach Donaueschingen. Durch sie hatte man erfahren, daß das Korps am achtzehnten und neunzehnten Juli sich noch bei Haigerloch und Rottenburg geschlagen, daß man aber durch die Reichsstände zu Augsburg Befehl erhalten habe, nach Biberach zu marschieren.

Bald jedoch waren die Vorgänge bei Biberach kund geworden; sie machten großes Aufsehen, denn daß die braven Soldaten durch Kaiserliche selbst entwaffnet worden, schien unbegreiflich. Man wußte eben nicht, daß es ein Gebot der Not und Vorsicht war; denn Erzherzog Karl wußte, daß viele Reichsstände geneigt waren, separat mit dem französischen Oberfeldherrn zu unterhandeln, so wie andererseits das Gemunkel von einer Schwäbischen Republik (auf welche gewisse Professoren bereits Subskribenten sammelten) auch zu seinen Ohren gekommen sein mußte.

Einige Wochen später kamen einzelne fürstenbergische Soldaten zurück, und man erfuhr in Hüfingen, daß eine größere Abteilung von Geisingen her im Anmarsch wäre. Große Aufregung entstand darob im Städtlein, und viele hatten sich auf den Weg gemacht, ihnen bis zum Hexenberg entgegenzueilen.

Der Hüfinger Hexenberg war vermutlich dort, wo jetzt der Bauhof steht.

Hieronymus war sogleich aus seiner Werkstatt fort zur Base gelaufen, ihr die Neuigkeit zu bringen. Die Nachricht schlug der guten Frau so in die Glieder, daß sie sich setzen mußte und nicht vermochte, dem Gatten entgegenzugehen. Hieronymus eilte allein hinaus und hatte die Kolonne bald erreicht, wenn man einen Haufen abgerissener, schuhloser, mit Stöcken bewaffneter Soldaten also nennen darf. Aber wie auch der Lehrling mit suchendem Auge den Zug musterte – den Feldwaibel sah er nicht. Mit banger Ahnung fragte er einen der alten Grenadiere.

„Der Feldwaibel”, hieß es, „ist in Möhringen zurückgeblieben, er ist malad! Ist aber auch kein Wunder, der Ärger und Verdruß ist mehr als die Strapaz! Sechsundzwanzig Tag hintereinander in der Bataille – und zuletzt so. – Der gemeine Mann hat seine Schuldigkeit getan; bei meiner Seel, so lang das Deutsche Reich existiert, ist’s nit erhört worden!”

Der Grenadier hatte recht berichtet; der Meister Amtsdiener, noch einige Freunde, Frau Annakäther, welche jetzt nimmer aufzuhalten war, hatten alsobald ein leichtes Fuhrwerk genommen, waren damit nach Möhringen geeilt, und hatten auch den Veteranen glücklich und in leidlichem Zustande dort aufgefunden. Es war schon dunkel, als sie zurückkehrend, hinter der Stadtmauer weg, zum Petertörlein hineinfuhren, denn der Feldwaibel wollte nicht bei Tag vor aller Augen in das Standquartier einziehen – ohne Mannschaft und Waffen.

„Ja, den Kaiserlichen haben wir bigott selber die G’wehr lassen müssen”, ergänzte ein Kreisdragoner, der sich statt des Gaules mit einem unterwegs geschnittenen Weißdornstock forthalf, „und die Condéer, hol’s der Teufel, haben uns noch die Gäul g’ nommen – was haben wir machen können? – Die mögen’s verantworten, die schuld d’ran sind.” Die Umstehenden waren wenig erbaut von diesen Reden. Hieronymus hielt sich nicht dabei auf, sondern eilte, soviel er vermochte, seine, wenn auch nicht freudige, doch immerhin beruhigende Botschaft der Base zu verkünden.

Der alte Soldat hatte Tränen vergossen, als die Mannschaft das Gewehr strecken mußte, so erzählten später noch Leute seiner Kompanie. Es war die schmerzlichste Wunde, welche dem getreuen Kämpen in seinem Leben geschlagen worden.

Eine Episode soll hier aber noch ergänzt werden:

Auf der Hüfinger Kälberweide wurde am 21. August 1796 ein Soldat des ungarischen Infantrieregiments Benjofsky gehängt, weil er ein Komplott zur Desertion angezettelt haben sollte. Die anderen Beteiligten wurden durch die Spieße gejagt. Der hingerichtete war erst 21 Jahre alt und vom Hüfinger Scharfrichter gefoltert und gehängt worden. Ein ganzes Bataillon war zur Exekution ausgerückt.

Hüfinger Chronik von August Vetter (1984)

Aber auch viele Steuerpflichtigen hätten weinen mögen – über die nachfolgenden Umlagen. Denn über zweimalhunderttausend Gulden hatte der Durchzug das Land gekostet; und zwölf Millionen Franken waren der Preis, um welchen der Schwäbische Kreis seinen Waffenstillstand hat erkaufen müssen – nicht mit eingerechnet die bedeutenden Geldgeschenke, die einzelne Generäle und Kommissäre eigens noch für sich verlangt hatten.