Ausblick mit Windrädern
Zur Linken sah ich schon das erste Windkraftmonster, bald sollten 90 weitere in einer Höhe von zweihundert Metern folgen. Das war das Ende, dachte ich. (Arnold Stadler: Auf dem Weg nach Winterreute. Verl. Jung und Jung, Salzburg u. Wien, 2012)
Was war das damals noch für ein Ausblick aus meinem Fenster, zumal frühmorgens, wenn sich über Nacht frühherbstlicher Bodennebel gebildet hatte! Bis zum Jahr 2016 ging die Sonne über einem gänzlich ungestörten Horizont auf, über der Schwäbischen Alb, jeden Morgen ein Stückchen weiter südwärts, genauer: über den Amtenhauser Bergen und der Blatthalde bis hinüber zum Wartenberg.
Doch dann, anno 2017, wuchsen plötzlich fünf weiße Spargel aus dem dicht bewaldeten Rücken hervor – für den Landschaftsfreund ein durch und durch gewöhnungsbedürftiger, ja verstörender Anblick, erst recht bei abendlichem Schräglicht, angestrahlt kurz vor Sonnenuntergang. Ob ich mich wohl je an diese Bildstörung gewöhnen werde? Dabei ragten die Windräder ja nur dem Anschein nach zuvorderst aus der Blatthalde hervor, in Wahrheit waren sie einen ganzen Höhenzug weiter ostwärts errichtet worden, im Fürstlich Fürstenbergischen Wald, jenseits des Amtenhauser Tals.
Gelegenheit, sich vor Ort umzusehen, ergab sich unlängst (im Vorfrühling 2023) im Rahmen einer Exkursion des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar e. V.: Erst aus der Nahperspektive erschloss sich den Teilnehmern das wahre Kaliber dieser monströsen Türme wie auch der nicht minder gigantische Platzbedarf für Baustellen und Zufahrten. Wobei man sich das Ausmaß der unterirdischen Betonsockel und deren ökologischen Fußabdruck natürlich noch hinzudenken musste.
Ein mit den Eingriffen in den Wald durchaus einverstandener und von den hier geleisteten Investitionen sichtlich erbauter Chef des Forstbetriebs Fürstenberg Forst GmbH & Co. KG gab dazu forst- und energie- wirtschaftliche Erläuterungen. So deutete er auch eher beiläufig an, welchen Nutzen sich der Forstbetrieb von der Windenergie verspricht: Mit dem jährlichen Pachterlös für ein einziges Windrad könne jeweils eine zusätzliche Arbeitskraft eingestellt und finanziert werden – allemal vom Vielfachen des zuvor erwirtschafteten Ertrags auf der benötigten Waldfläche. Der erzeugte Strom komme allerdings nicht der Region, sondern der Stadt Tübingen zugute. Im Schwarzwälder Boten (v. 6. 8. 2022) hatte Forstchef schon im Jahr zuvor, warnend vor den Auswirkungen des Klimawandels auf das Waldökosystem wie vor den Behinderungen des Windkraftausbaus durch überzogenen Artenschutz, angekündigt, das Fürstenhaus plane, nicht weniger als fünfzig (!) Standorte in seinem 18.000 ha großen Wald an Windenergiebetreiber zu verpachten.
Weshalb es denn ein Jahr später auch kaum mehr überraschen konnte, dass der Horizont der Alb plötzlich mit weiteren fünf Windrädern überstellt war. Wo doch die Energiekrise inzwischen in aller Munde, der Klimawandel anscheinend außer Rand und Band geraten war mit immer neuen Temperaturrekorden. Und wo mittlerweile dank Habecks Beschleunigungsgesetz „Deutschlandtempo“ angesagt war. Hatte nicht auch, zunehmend genervt ob der mageren Bilanz des Windkraftausbaus im eigenen Land, Ministerpräsident Kretschmann geschimpft und gedrängt: „Wir brauchen Windräder ohne Ende. Denn wo gibt es denn Windräder im Schwarzwald? Die muss man mit der Lupe suchen“ (so jedenfalls zitiert ihn der Schwarzwälder Bote vom 9. 9. 2022). Und seine Umweltministerin hatte gleich noch eins obendrauf gesetzt: „Wenn wir klimaneutral werden wollen, werden es dann mehr als 1000 Windräder sein. Sogar doppelt so viele.“ Wie lässt es sich da noch gegen die Überprägung und Störung des Landschaftsbilds argumentieren, während zugleich die Industrialisierung ganzer Waldgebiete droht?
Beim Blick aus meinem Fenster bleibt jetzt für die Bestückung mit Windenergieanlagen nur noch die Länge übrig, sofern nicht auch Warten- oder Fürstenberg aus Platzgründen noch dafür in Betracht gezogen werden sollten. Oder vielleicht doch auch noch die Schwelle des Auenbergrückens, wo anno 1988 von einigen Enthusiasten das erste neuzeitliche Windrad Baden-Württembergs errichtet worden ist – mit seiner Nabenhöhe von knapp 30 m freilich eher ein Rädchen als ein Rad heutiger Dimensionierung. Damals, noch ganz unterm Eindruck des Supergaus von Tschernobyl stehend, war damit unübersehbar ein grünes Signal gegen die Nutzung der Kernenergie gesetzt worden.
Im Jahr 2012 hatten die vier Städte rund um die Länge (Donaueschingen, Hüfingen, Blumberg und Geisingen) das bislang gänzlich unzerschnittene und unbesiedelte Waldgebiet per Flächennutzungsplanänderung zum Vorranggebiet für Windenergienutzung erklärt. Nur an seinem äußerstem Nordrand existierte ja bereits seit 2001 nebst einem TV-Umsetzer ein Windrad; sein Rotor pflegt allerdings (mit nicht einmal 1.200 Volllaststunden im Schnitt der 20 Jahre) auffallend oft stillzustehen, wie der Blick aus meinem Fenster verrät.
Windatlaswerte hin oder her: eine namhafte Betreiberfirma hatte auf der Länge schon früh das Handtuch geworfen. Doch ums Jahr 2015 sind neue Planungen an die Öffentlichkeit durchgesickert, die umgehend auch den Widerstand einer Bürgerinitiative hervorgerufen haben. Für die Widerständler drehte sich fortan alles – weil Beeinträchtigungen des Landschaftsbilds im Abwägungsprozess ohnehin kaum zählen würden – um die Schlagopfer der Rotoren, ob bei Rotmilanen, bei Wespenbussard, Hohltaube oder Raufußkauz, bei fünferlei
Specht- und acht nachgewiesenen, streng geschützten Fledermausarten; wie natürlich auch gewarnt werden musste vor der Bedrohung der (international bedeutsamen) Trittstein- und Korridorfunktion der Länge für wandernde Wildtierarten. Windräder in einem ökologisch hochwertigen Wald – was für ein Widersinn!
Doch der Widerstand und die Petitionen im Landtag verpufften wirkungslos, das Genehmigungsverfahren für 11 Schwachwindanlagen zweier Betreiberfirmen war nicht mehr zu stoppen. Nachdem Ende Dezember 2016 (kurz vor Ablauf der bis dahin geltenden, besonders windkraftfreundlichen Förderbestimmungen) die Baugenehmigungen erteilt worden waren, begannen im März unverzüglich die Rodungsarbeiten für den bislang größten Windpark Baden-Württembergs.
Die 11 Windräder, jeweils mit 245,5 m Gesamthöhe und damit doppelt so hoch wie der Freiburger Münsterturm, stehen indessen noch immer nicht. Aufgrund einer Verbandsklage der Naturschutz-Initiative e.V. urteilten erst die Freiburger, dann auch die Mannheimer Verwaltungsrichter, dass die Genehmigungen fehlerhaft waren. Das aufwändige Verfahren mitsamt Umweltverträglichkeitsprüfung musste daher wiederholt werden: Diesmal freilich nur noch für sechs Windräder, denn eine der beiden Betreiberfirmen war inzwischen insolvent geworden. Ob sich die betroffene Stadt Blumberg davon abhalten lassen wird, auf ihrem Teil der Länge weiterhin auf Windkraft zu setzen und ob nicht auch die Stadt Geisingen noch auf ihrem Vorranggebiet nachziehen wird, bleibt vorerst ungeklärt.
Doch trotz des zunehmenden Gegenwinds aus Politik und Gesellschaft ließ sich die Naturschutz-Initiative e. V. auch diesmal nicht daran hindern, erneut zu klagen. Das Urteil der Verwaltungsrichter zu den verbliebenen 6 Windrädern liegt derzeit noch immer nicht vor, sodass der Betreiberfirma Solarcomplex nach wie vor in den Startlöchern sitzt. Lediglich an den Rändern der Zufahrten zu den einzelnen Rodungsflächen wagte man schon einmal, etliche weitere Bäume zu fällen und Kabel zu verlegen. Was hatten Landes- und Ampelregierung nicht alles unternommen, um die Genehmigungsverfahren zu entbürokratisieren und zu beschleunigen – und nun dennoch eine solche Verzögerung!
Aber wie, wenn nun nächstens auch die Länge mit fast 250 m hohen Windrädern bespickt sein wird? Was wird das aus dem Landschaftsbild machen, wie wird sich der Ausblick aus meinem Wohnzimmerfenster verändern? Schlimmstenfalls wird ja wohl eines nicht allzu fernen Tages auch das Windrädchen auf dem Auenberg noch – per Repowering – auf siebenfache Gesamthöhe aufgestockt werden und mir zuguterletzt auch noch den Ausblick aufs Berneroberland vergällen. Der Schutz der Landschaft, wie damit auch die Erhaltung von „Vielfalt, Eigenart und Schönheit“ des Landschaftsbilds, steht zwar nach wie vor im § 1 Abs. 1 Pkt. 3 des Bundesnaturschutzgesetzes, und im Artikel 20a des Grundgesetztes findet sich der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (also auch derjenige von Landschaft und Tieren) sogar als Staatsziel wieder. Doch mehr denn je fühlt es sich mittlerweile so an, als lebten wir im übergesetzlichen Notstand, wo nicht einmal mehr der Staatshaushalt und seine Fördertöpfe verfassungskonform sind. Klimaschutz statt Arten und Landschaftsschutz, so lautet die Devise!
Aber wer weiß schon, ob nicht die Wohnungsinhaber kommender Generationen den Blick auf all die Windturbinen ringsum als Zeichen der Hoffnung interpretieren, ja, vorbehaltlos begrüßen werden: als Indiz für eine gelungene „ökologische Transformation“ im Kampf gegen die Klimakrise. Was also soll da noch das Gejammer über den Ausblick auf ein „transformiertes“ Landschaftsbild? Einstweilen darf allenfalls getrauert werden.
.. ich frage mich immer, wäre denen, die nun der etwas abgeänderten Aussicht nachtrauern den dann lieber – ein Atomkraftwerk in Sichtweite, .. ein Kohlekraftwerk oder doch ein Gaskraftwerk mit billigen russischem Gas? .. .. wir haben noch ca. 7 Jahre, um die Menge an erneuerabrem Strom zu verdreifachen, .. also stelle ich da doch gerne mal die Frage, wie soll man das schaffen, wenn gegen den Fortschritt – die, die die NAtur schützen wollen – die Hürden zur Umsetzung so gestalten, das manche Investoren wieder abspringen .. .. ich gehe davon aus, dass jeder der sich hier notorisch quer stellt, dann eifach persönlich auf viele Dinge im Leben die Strom verbrauchen persönlich verzichtet .. ..
Ich hatte vor ein paar Jahren mal dies hier dazu geschrieben: https://hieronymus-online.de/windpark-laenge/
und im Grunde bleibt das meinen Meinung.
Aber auch wenn ich heute wieder dafür stimmen würde, so sehe ich den Ausbau der Windkraft im Schwarzwald durchaus kritisch.
Wir haben hier riesige Parkplätze ohne Solar.
Hektarweise Versiegelung der Landschaft mit nackten Industriedächern.
Kein Pumpkraftwerk zum Speichern der Energie.
Autos werden in der Fläche geparkt ohne Sinn und Verstand, anstatt Parkäuser zu bauen.
Noch mehr Monokultur mit Mais zum Vergasen in riesigen Biogasanlagen. Wobei seit mindestens 30 Jahren bekannt ist, dass dies überhaupt nicht nachhaltig ist und nur Pestizidhersteller subventioniert.
Ich bin nicht für immer größer, weiter und schneller. Sinnvoll wären viele kleine Lösungen. Auch zum Speichern der Energie.
Aber da hierbei kein Konzern profitiert, ist dies nicht gewollt.
Ich habe kürzlich in in Sachen bedrohte Wildgänse am Kirnbergsee
mit Prof. Dr. Peter Berthold telefoniert. Er konnte mir einige hilfreiche Tipps dazu geben. Seine Meinung in Sachen Windräder kann man auf dem Wikipedia Eintrag nachlesen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Berthold
„Peter Berthold äußerte in einem Interview 2013 zur Debatte um Vogelschlag an Windkraftanlagen, wer aus Eigennutz den ökologischen Umbau der Energieversorgung verhindere, sei für ihn ein Staatsfeind. Er befürworte Windenergieanlagen. Durch eine gute Standortwahl ließen sich die Risiken für Vögel so stark minimieren, dass Ornithologen Windparks durchaus dulden könnten.“
Peter Albert
Prof. Berthold ist ein ausgewiesener Kenner der Baar.Er hat sich 2019 gegenüber der Presse erstaunlich freimütig zum geplanten Windpark auf der Länge geäußert: Die Länge sei ein Hotspot des Rotmilans. „Hier Windräder zu genehmigen und zu bauen, ist aus meiner Sicht absoluter Schwachsinn.“
Was zeigt: Man muss kein Windkraftgegener sein, um auch aus ornithologischer Sicht das Projekt abzulehnen!