Ausblick mit Windrädern

Ausblick mit Windrädern

2. Dezember 2023 4 Von Wolf Hockenjos

Zur Linken sah ich schon das erste Windkraftmonster, bald sollten 90 weitere in einer Höhe von zweihundert Metern folgen. Das war das Ende, dachte ich. (Arnold Stadler: Auf dem Weg nach Winterreute. Verl. Jung und Jung, Salzburg u. Wien, 2012)

Was war das damals noch für ein Ausblick aus meinem Fenster, zumal frühmorgens, wenn sich über Nacht frühherbstlicher Bodennebel gebildet hatte! Bis zum Jahr 2016 ging die Sonne über einem gänzlich ungestörten Horizont auf, über der Schwäbischen Alb, jeden Morgen ein Stückchen weiter südwärts, genauer: über den Amtenhauser Bergen und der Blatthalde bis hinüber zum Wartenberg.

Sonnenaufgang über der Schwäbischen Alb (2016)

Doch dann, anno 2017, wuchsen plötzlich fünf weiße Spargel aus dem dicht bewaldeten Rücken hervor –  für den Landschaftsfreund ein durch und durch gewöhnungsbedürftiger, ja verstörender Anblick, erst recht bei abendlichem Schräglicht, angestrahlt kurz vor Sonnenuntergang. Ob ich mich wohl je an diese Bildstörung gewöhnen werde? Dabei ragten die Windräder ja nur dem Anschein nach zuvorderst aus der Blatthalde hervor, in Wahrheit waren sie einen ganzen Höhenzug weiter ostwärts errichtet worden, im Fürstlich Fürstenbergischen Wald, jenseits des Amtenhauser Tals.

Die neue Skyline (2017)

Gelegenheit, sich vor Ort umzusehen, ergab sich unlängst (im Vorfrühling 2023) im Rahmen einer Exkursion des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte der Baar e. V.: Erst aus der Nahperspektive erschloss sich den Teilnehmern das wahre Kaliber dieser monströsen Türme wie auch der nicht minder gigantische Platzbedarf für Baustellen und Zufahrten. Wobei man sich das Ausmaß der unterirdischen Betonsockel und deren ökologischen Fußabdruck natürlich noch hinzudenken musste.

Auf Waldexkursion (2023)

Ein mit den Eingriffen in den Wald durchaus einverstandener und von den hier geleisteten Investitionen sichtlich erbauter Chef des Forstbetriebs Fürstenberg Forst GmbH & Co. KG gab dazu forst- und energie- wirtschaftliche Erläuterungen. So deutete er auch eher beiläufig an, welchen Nutzen sich der Forstbetrieb von der Windenergie verspricht: Mit dem jährlichen Pachterlös für ein einziges Windrad könne jeweils eine zusätzliche Arbeitskraft eingestellt und finanziert werden – allemal vom Vielfachen des zuvor erwirtschafteten Ertrags auf der benötigten Waldfläche. Der erzeugte Strom komme allerdings nicht der Region, sondern der Stadt Tübingen zugute. Im Schwarzwälder Boten (v. 6. 8. 2022) hatte Forstchef schon im Jahr zuvor,  warnend vor den Auswirkungen des Klimawandels auf das Waldökosystem wie vor den Behinderungen des Windkraftausbaus durch überzogenen Artenschutz, angekündigt, das Fürstenhaus plane, nicht weniger als fünfzig (!)  Standorte in seinem 18.000 ha großen Wald an Windenergiebetreiber zu verpachten.

Da waren es plötzlich doppelt so viele Windräder am Horizont

 Weshalb es denn ein Jahr später auch kaum mehr überraschen konnte, dass der Horizont der Alb plötzlich mit weiteren fünf Windrädern überstellt war. Wo doch die Energiekrise inzwischen in aller Munde, der Klimawandel anscheinend außer Rand und Band geraten war mit immer neuen Temperaturrekorden. Und wo mittlerweile dank Habecks Beschleunigungsgesetz  „Deutschlandtempo“ angesagt war. Hatte nicht auch, zunehmend genervt ob der mageren Bilanz des Windkraftausbaus im eigenen Land, Ministerpräsident Kretschmann geschimpft und gedrängt: „Wir brauchen Windräder ohne Ende. Denn wo gibt es denn Windräder im Schwarzwald? Die muss man mit der Lupe suchen“ (so jedenfalls zitiert ihn der Schwarzwälder Bote vom 9. 9. 2022). Und seine Umweltministerin hatte gleich noch eins obendrauf gesetzt: „Wenn wir klimaneutral werden wollen, werden es dann mehr als 1000 Windräder sein. Sogar doppelt so viele.“ Wie lässt es sich da noch gegen die Überprägung und Störung des Landschaftsbilds argumentieren, während zugleich die Industrialisierung ganzer Waldgebiete droht?

In Erwartung weiterer Verspargelung: die Länge (2023)

Beim Blick aus meinem Fenster bleibt jetzt für die Bestückung mit Windenergieanlagen nur noch die Länge übrig, sofern nicht auch Warten- oder Fürstenberg aus Platzgründen noch dafür in Betracht gezogen werden sollten. Oder vielleicht doch auch noch die Schwelle des Auenbergrückens, wo anno 1988 von einigen Enthusiasten das erste neuzeitliche Windrad Baden-Württembergs errichtet worden ist – mit seiner Nabenhöhe von knapp 30 m freilich eher ein Rädchen als ein Rad heutiger Dimensionierung. Damals, noch ganz unterm Eindruck des Supergaus von Tschernobyl stehend, war damit  unübersehbar ein grünes Signal gegen die Nutzung der Kernenergie gesetzt worden. 

Der Auenberg mit dem ersten Windrad des Landes

Im Jahr 2012 hatten die vier Städte rund um die Länge (Donaueschingen, Hüfingen, Blumberg und Geisingen) das bislang gänzlich unzerschnittene und unbesiedelte Waldgebiet per Flächennutzungsplanänderung zum Vorranggebiet für Windenergienutzung erklärt. Nur an seinem äußerstem Nordrand existierte  ja bereits seit 2001 nebst einem TV-Umsetzer ein Windrad; sein Rotor pflegt allerdings (mit nicht einmal 1.200 Volllaststunden im Schnitt der 20 Jahre) auffallend oft stillzustehen, wie der Blick aus meinem Fenster verrät.

Windatlaswerte hin oder her: eine namhafte Betreiberfirma hatte auf der Länge schon früh das Handtuch geworfen. Doch ums Jahr 2015 sind neue Planungen an die Öffentlichkeit durchgesickert, die umgehend auch den Widerstand einer Bürgerinitiative hervorgerufen haben. Für die Widerständler drehte sich fortan alles – weil Beeinträchtigungen des Landschaftsbilds im Abwägungsprozess ohnehin kaum zählen würden – um die Schlagopfer der Rotoren, ob bei Rotmilanen, bei Wespenbussard, Hohltaube oder Raufußkauz, bei fünferlei

Specht- und acht nachgewiesenen, streng geschützten Fledermausarten; wie  natürlich auch gewarnt werden musste vor der Bedrohung der (international bedeutsamen) Trittstein- und Korridorfunktion der Länge für wandernde Wildtierarten. Windräder in einem ökologisch hochwertigen Wald – was für ein Widersinn! 

Doch der Widerstand und die Petitionen im Landtag verpufften wirkungslos, das Genehmigungsverfahren für 11 Schwachwindanlagen zweier Betreiberfirmen war nicht mehr zu stoppen. Nachdem  Ende Dezember 2016 (kurz vor Ablauf  der bis dahin geltenden, besonders windkraftfreundlichen Förderbestimmungen) die Baugenehmigungen erteilt worden waren, begannen im März unverzüglich die Rodungsarbeiten für den bislang größten Windpark Baden-Württembergs. 

Die 11 Windräder, jeweils mit 245,5 m Gesamthöhe und damit doppelt so hoch wie der Freiburger Münsterturm, stehen indessen noch immer nicht. Aufgrund einer Verbandsklage der Naturschutz-Initiative e.V. urteilten erst die Freiburger, dann auch die Mannheimer Verwaltungsrichter, dass die Genehmigungen fehlerhaft waren. Das aufwändige Verfahren mitsamt  Umweltverträglichkeitsprüfung musste daher wiederholt werden: Diesmal freilich nur noch für sechs Windräder, denn eine der beiden Betreiberfirmen war inzwischen insolvent geworden. Ob sich die betroffene Stadt Blumberg davon abhalten lassen wird, auf ihrem Teil der Länge weiterhin auf Windkraft zu setzen und ob nicht auch die Stadt Geisingen noch auf ihrem Vorranggebiet nachziehen wird, bleibt vorerst ungeklärt.

Visualisierter Ausblick auf die Länge (Foto U. Bielefeld)

Doch trotz des zunehmenden Gegenwinds aus Politik und Gesellschaft ließ sich die Naturschutz-Initiative e. V. auch diesmal nicht daran hindern, erneut zu klagen. Das Urteil der Verwaltungsrichter zu den  verbliebenen 6 Windrädern liegt derzeit noch immer nicht vor, sodass der Betreiberfirma Solarcomplex nach wie vor in den Startlöchern sitzt. Lediglich an den Rändern der Zufahrten zu den einzelnen Rodungsflächen wagte man schon einmal, etliche weitere Bäume zu fällen und Kabel zu verlegen. Was hatten Landes- und Ampelregierung nicht alles unternommen, um die Genehmigungsverfahren zu entbürokratisieren und zu beschleunigen – und nun dennoch eine solche Verzögerung!

Aber wie, wenn nun nächstens auch die Länge mit fast 250 m hohen Windrädern bespickt sein wird? Was wird das aus dem Landschaftsbild machen, wie wird sich der Ausblick aus meinem Wohnzimmerfenster verändern? Schlimmstenfalls wird ja wohl eines nicht allzu fernen Tages auch das Windrädchen auf dem Auenberg noch – per Repowering – auf siebenfache Gesamthöhe aufgestockt werden und mir zuguterletzt auch noch den Ausblick aufs Berneroberland vergällen. Der Schutz der Landschaft, wie damit auch die Erhaltung von „Vielfalt, Eigenart und Schönheit“ des Landschaftsbilds, steht zwar nach wie vor im § 1 Abs. 1 Pkt. 3 des Bundesnaturschutzgesetzes, und im Artikel 20a des Grundgesetztes findet sich der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (also auch derjenige von Landschaft und Tieren) sogar als Staatsziel wieder. Doch mehr denn je fühlt es sich mittlerweile so an, als lebten wir im übergesetzlichen Notstand, wo nicht einmal mehr der Staatshaushalt und seine Fördertöpfe verfassungskonform sind. Klimaschutz statt Arten und Landschaftsschutz, so lautet die Devise! 

Aber wer weiß schon, ob nicht die Wohnungsinhaber kommender Generationen den Blick auf all die Windturbinen ringsum als Zeichen der Hoffnung interpretieren, ja, vorbehaltlos begrüßen werden: als Indiz für eine gelungene „ökologische Transformation“ im Kampf gegen die Klimakrise. Was also soll da noch das Gejammer über den Ausblick auf ein „transformiertes“ Landschaftsbild? Einstweilen darf allenfalls getrauert werden.