Wenig Federlesen

Wenig Federlesen

27. Oktober 2023 3 Von Wolf Hockenjos

Die Lektüre des Schwarzwälder Boten ist an diesem grauen und verregneten Oktobermorgen dazu geeignet, Tier- und Naturfreunde, wenn schon nicht in Verzweiflung, so doch in Verunsicherung zu stürzen: DIE DRITTE SEITE widmet sich in großer Aufmachung, bebildert mit Luchs und Rothirsch, den 16 deutschen Nationalparks und deren derzeit anlaufende Evaluierung. Gesucht wird nach Stärken und Schwächen sowie nach deren Ursachen – und das auf gerade mal 0,6 Prozent der Fläche Deutschlands. Nationalparks in unzureichender Qualität seien „nichts anderes als Etikettenschwindel“, so wird aus Thüringen die Sprecherin der Nationalparkverwaltung Hainich zitiert, während andererseits der Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrats argumentiert, die Wälder müssten doch, anstatt sie stillzulegen, wegen des Klimawandels „gezielt umgebaut“ werden. Nationalparke seien kontraproduktiv für Klimaschutz und Holzversorgung, unterstreicht der Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände: „Keine Holzernte heißt kein Ersatz klimaschädlicher Bau- und Brennstoffe.“ Die Bilanz des Schwarzwälder Nationalparks falle „nüchtern“ aus, weil trotz der auf 3000 ha ausgewiesenen Wildruhezonen der Bestand an Rothirschen noch immer nicht zugenommen habe und der Bestand seines Charaktervogels, des Auerhuhns, schrumpfe sogar. Oder sollte er neuerdings nicht doch um sechs balzende Hähne zugenommen haben?

Nationalparks werden evaluiert

Unter DONAUESCHINGEN begrüßt der Lokalteil den Leser mit der Schlagzeile „Wildgänsen geht es an den Kragen“. Weil die Vögel sich am Kirnbergsee immer mehr vermehrten, Liegewiesen und Badesteg verschmutzten und überdies über die Getreidefelder herfallen. Weshalb der Bräunlinger Gemeinderat über eine Abschussfreigabe berät. Die SPD-Fraktion habe den Antrag gestellt, „den Bestand an Nilgänsen auf null zu reduzieren“, den der Graugänse auf „maximal 150“ zu begrenzen, nachdem mittlerweile rund 400 Tiere sich am See aufhalten und zu einer echten Plage geworden seien. Erwogen  werden „Treibjagden in frühen Morgenstunden“.

Vogelschutz am Kirnbergsee

War Ähnliches nicht unlängst auch schon über die unerquickliche Invasion der Nilgänse in der Landeshauptstadt berichtet worden? Ein Gänsemanagement müsse her wegen massiver innerstädtischer Verschmutzung, gar wegen aggressiven Verhaltens, derweil ein Manager des Fellbacher Erlebnisbads wegen Tierquälerei habe entlassen werden müssen, weil er ohne behördliche Genehmigung einer Nilgans den Hals umgedreht hatte!

Schließlich wird dem SchwaBo-Leser an diesem 26. Oktober zuhinterst auch noch die Sonderseite Tierisch gut – DAS LEBEN MIT HAUSTIEREN zugemutet, diesmal mit einem ganzseitigen Bericht aus der Region unter der Überschrift Auch Reptilien sind ideale Haustiere. Im Text und auf den Fotos vorgestellt wird „einer der größten Terraristik-Händler…in Deutschland und Europa“, abgebildet mit einer (aufgrund eines genetischen Defekts) doppelköpfigen Boa in den Händen sowie mit einer geschulterten riesigen Anakonda, dazu die Bildunterschrift „Keine Angst vor großen Schlangen…“, wobei auch das Foto einer exotischen Echse nicht fehlen darf. Zitiert wird der Tierhalter u. a. mit dem ebenso befremdlichen wie verkaufsförderlichen Satz: „Echsen und Schlangen können ohne seelisches Leid ihren Besitzer wechseln und auch im höheren Alter noch gut weiterverkauft werden, während bei Säugetieren oft nur Baby- und Jungtiere gewünscht werden.“

In was für einer Welt leben wir eigentlich? So mag sich heute Morgen – mit oder ohne seelischem Leid – der geneigte SchwaBo-Leser fragen. War doch die Nilgans einst als Ziergefieder aus britischen Gehegen ausgebrochen, um sich nun in halb Europa grottenbreit zu machen; im Standardwerk Jochen Hölzingers aus dem Jahr 1987 Die Vögel Baden-Württembergs findet die Art sich noch nirgends erwähnt. Wohingegen die Graugans dem Ornithologen noch als bedrohte Art galt, „die an ihren Rast- und Überwinterungsplätzen (bzw. zeitweiligen Aufenthaltsplätzen) Ruhezonen und Nahrungsplätze benötigt“. Seinerzeit war ja auch noch „Gänsevater“, Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz unterwegs, dem die Graugans Martina eine Schar Junggänse geschenkt hatte, die ihm sodann überaus telegen auf Schritt und Tritt gefolgt war.

Sollten wir uns, wenn schon nicht über die invasive Ausbreitung der Immigrantin Nilgans, so doch immerhin über die Bestandszunahme der Graugans auf den Seen der Baar nicht eher freuen als uns darüber zu grämen und Vergrämungsmaßnahmen zu ersinnen? Ist die Zunahme dieser ureuropäischen Zugvogelart nicht doch ein vorwiegend positiv zu wertendes Signal angesichts des weltweiten Artenschwunds? Ansonsten sind es in der Vogelwelt ja bestenfalls noch Weißstorch und Rotmilan mit einer Positivbilanz auf der Baar. Oder müssten nicht auch sie, sollte ihre Bestandszunahme weiter andauern, alsbald reguliert und reduziert werden – die einen wegen zunehmender Verschmutzung der Dächer, die andern womöglich wegen Behinderung des Windenergieausbaus in den Rotmilandichtezentren?