Die Lorettokapelle

Originalbeitrag vom 24.07.2021

Der Grundstein der von Dekan und Stadtpfarrer J. Kaspar Reichlin geplanten Lorettokapelle wurde am Georgitag, (23. April) 1711 gelegt. 1*

Eine Lorettokapelle ist eine architektonische Nachbildung der Santa Casa, der Basilika vom Heiligen Haus in Loreto. Nach legendarischer Überlieferung sollen im 13. Jahrhundert Engel das Haus der Heiligen Familie von Nazareth nach Loreto getragen haben.

Die Hüfinger Kapelle wurde nach dem Muster der Villinger Lorettokapelle gebaut.

Lorettokapelle in Villingen 1955

Die Hüfinger Lorettokapelle wurde am 31. Oktober 1715 von Weihbischof Konrad Ferdinand Geist von Wildegg (1692-1722) geweiht.1*

Die 130 Pfund schwere Glocke, die im Winter 1805/1806 gesprungen war und umgegossen werden mußte, überstand beide Weltkriege. * 1

Vielen Dank an Artur Lehnert fürs Läuten und auch dafür, dass er mich geduldig in Loretto hat Fotos machen lassen!

Johann Ignatz Schupp wurde 1692 in Villingen geboren und half seinem Vater Josef beim Fertigen des ersten Hochaltars der Benediktinerkirche in Villingen. *2

Eigentlich für St. Verena und Gallus fertigte er diese Heiligen an.

Johannes der Täufer und Johannes Evangelista vom Villinger Schnitzer Johann Ignatz Schupp 1743

Antonius der Einsiedler und Johannes Nepomuk vom Villinger Schnitzer Johann Ignatz Schupp 1743

Im Bruderhäuschen wohnten verschiedene Waldbrüder. Über die Waldbrüder berichtet auch Lucian Reich im Hieronymus Kapitel 7. Später nannte man die Waldbrüder „Lorettomessner“.

Der letzte Lorettomessner lebt noch, hat im Bruderhäuschen gewohnt und wird uns zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht mehr erzählen.

Bruderhäuschen

In das Bruderhäuschen kommt man hinter dem Altar .

Dieser wunderschöne alte Anbau sollte eigentlich zusammen mit dem Denkmalschutz renoviert werden und würde dann sicher gute Räumlichkeiten für die Jugend bieten.

Ganz oben im einsturzgefährdeten Dachgeschoss befindet sich ein altes Glasfenster vermutlich aus der Werkstatt von Fridolin Heinemann (19.12.1859-04.02.1926) einem Sohn von Josef Heinemann.

Glasfenster aus der Werkstatt von Fridolin Heinemann – ein Sohn von Josef Heinemann.

Von Gottfried Schafbuch 1972: „Die Schrecknisse des Krieges 1939/1945 sind nicht spurlos an der hiesigen Stadtkirche vorbeigegangen. Sämtliche Kirchenfenster, dabei leider auch die mit den Glasmalereien des in München verstorbenen Hüfinger Künstlers Fridolin Heinemann (1859-1926), gingen in Scherben. Das Altarbild aber blieb heil und unversehrt.

Ebenfalls im Dachgeschoss befindet sich ein Gemälde das vermutlich von Josef Heinemann gemalt wurde:

*1 Hüfingen von August Vetter (1984)

*2 Geschichts- und Heimatverein Villingen

Mit was sich die Kinder des Kohlenbrenners Christoph beschäftigen,

und wie sie den Bruder Martin zuweilen besuchen.


Christoph, der Kohlebrenner hatte mehrere Kinder, welche oft zu dem freundlichen Waldbruder in seine Felsenwohnung kamen. Besonders geschah dies zur Winterszeit, wo die Kinder nicht wie im Sommer im Wald und Feld beschäftigt waren; denn alle, das Kleinste ausgenommen, waren beflissen, ihren Eltern bei der Sorge für den täglichen Lebensunterhalt getreulich an die Hand zu gehen.

Gotthard, der älteste Knabe, war stets der Gehilfe des Vaters auf dem Kohlplatz im Walde. Ein kleines hölzernes Hüttlein war ihre Wohnung, wo sie ihre Suppe kochten und nachts je einer von ihnen der Ruhe genoß, während der andere draußen bei dem brennenden Meiler die Wache hielt, um fleißig zu schüren und acht zu haben, dass der Haufe nicht in Flammen gerate, weil alsdann das Holz, statt langsam zu verkohlen, in Asche verwandelt würde.

Das war denn für den jungen Gotthard eine Lust, wenn er in stiller Nacht beim glühenden Meiler stand, über ihm das endlose Heer der Sterne und alles rund umher, so geheimnisvoll und lautlos, und nur das Wasser rauschte im fernen Waldthale.

In solchen Augenblicken wurde das Herz des Jünglings oft wunderbar bewegt, und Worte und Sprüche kommen ihm in den Sinn, die er von Bruder Martin oder sonst gehört hatte. Fast unbewußt lispelte dann sein Mund die Worte:

„Wenn ich, o Schöpfer Deine Macht,
Die Weisheit Deiner Wege,
Die Liebe, die für alle wacht,
Anbetend überlege:
So weiß ich von Verwundrung voll,
Nicht wie ich Dich erheben soll,
Mein Gott, Mein Herr und Schöpfer.“

Und wenn nach treu durchwachter Nacht der erste Strahl des Lichtes die Dämmerung verscheuchte, so unterließ der junge Köhler nie, sein andächtiges Morgengebet zu sprechen. Während Gotthard also im Walde seine Geschäfte betrieb, half Christine, die ältere Schwester auf andere Art den ihrigen das tägliche Brot verdienen.

An die heimatliche Waldgegend stieß eine große weite Ebene, in welcher viele Bauern hausten, die so viel Korn und Gerste pflanzten, dass sie zur Erntezeit mit den eigenen Leuten nicht ausreichten und fremde Schnitter und Schnitterinnen brauchten, die ihnen das Getreide schneiden und unters Dach bringen helfen mußten. In diese Gegend nun zog auch Christine, wo sie als fleißige Schnitterin Dienste tat, und Klärchen, ihr jüngeres Schwesterlein, begleitete sie, um dort mit Ährenlesen sich zu beschäftigen.

Unter Segnungen und Ermahnungen wurden die beiden Mädchen jedes Mal von der Mutter entlassen, wenn sie von Hause weg in die Ebene, zu den Bauern zogen.

Frühe vor Tag, beim ersten Hahnenschrei, zogen sie alsdann dort hinaus mit dem übrigen Gesinde auf die Kornfelder; und während Christine mit den Anderen rüstig die Sichel handhabte, oder die Frucht in Garben binden half, folgte Klärchen mit ihrem Säcklein hinten nach, die verzettelten, liegengebliebenen Ähren aufzulesen; und wenn nach heißem Vormittag die Schnittersleute rings im Schatten eines Baumes sich gelagert hatten, um ihr Mittagsmahl einzunehmen, wurde jedes Mal das fleißige Kind herbeigerufen und zu Gaste geladen.

Nach vollbrachter Tagesmühe, wenn der Mond und sein Begleiter, der liebliche Abendstern, bereits die laue Sommernacht bestrahlten, zogen sie unter munteren Gesängen heim in die Dörfer und Höfe ihrer Dienstherren, wo die warme Suppe oder das Habermuß für die Heimgekommenen schon auf dem Tische dampfte. Auch hier durfte die Kleine wieder bei den anderen Platz nehmen und nach Belieben zugreifen; aber nie geschah dieses, ohne vorher ein andächtiges Tischgebet gesprochen zu haben. Ebenso auch beim Schlafengehen, wenn beide noch so schläfrig und müde in die finstere Kammer kamen, unterließ die Ältere nie, mit der kleinen Schwester ihr Sprüchlein herzusagen.

Nach der Erntezeit, wenn die Schwalben und Störche sich zum Wegzuge rüsteten, wanderten auch die beiden Schwestern wieder ihrer Heimat zu. Christine mit ihrem wohlverdienten Lohn in der Tasche und Klärchen mit einem Sack voll Lesefrucht, dessen größte Hälfte oft noch vom Bruder auf einem Karren abgeholt werden mußte.

Später, wenn schon kalte Winterstürme über die toten, schneebedeckten Fluren sausten und Alle Arbeit in Feld und Wald einstellten, besuchten die Kinder fast täglich den Bruder Martin. Als sie nach längerer Zeit wieder einmal dahin kamen, um zum Ersten Mal den Bären erblickten, wie dieser behaglich ausgestreckt vor dem Eingang der Hütte lag, fürchteten sich die Kleinen und wollten wieder umkehren. Wolfgang, der Jüngste unter den Geschwistern, schrie und lärmte aus Leibeskräften, so dass Bruder Martin schleunigst herbeikam, um zu sehen, was vorgefallen sei. – Er ging den Kindern entgegen und führte sie in die Zelle, wo sie bald mit Bläß so vertraut wurden, dass sie mit ihm, wie mit einem Pudel, spielen und allerlei Possen treiben durften.

Die Klause des Waldbruders war überhaupt der Lieblingsaufenthalt der Kinder. Es war auch gar kurzweilig bei dem guten Altvater. Nicht nur die Kinder fühlten sich heimisch bei ihm, auch die scheuen Tiere des Waldes fanden sich angelockt, in seiner Nähe zu kommen. – Es schien, als verbreite der stille Gottesfriede in der Umgebung des heiligen Mannes seine gewinnbringende Macht auch auf die wilden Bewohner der Wildnis.

Gar lustig war es anzusehen, wenn morgens früh die Vögelein dicht geschaart in den Zweigen der Eiche über der Felsenzelle saßen, und wie dann beim Heraustreten des Waldbruders alle zumal mit großem Geschrei um ihn herum flatterten und das Frühstück forderten, welches er ihnen gewöhnlich zu bringen pflegte. – Im Winter, wenn Bäche und Bächlein zugefroren, kamen in kalten, mondhellen Nächten oft ganze Rudel Hochwild, Hirsche und Rehe aus den Wäldern um an dem Brünnlein vor der Hütte ihren Durst zu löschen, oder das Wischlein Heu wegzuschmausen, welches der Bruder für sie hingeworfen hatte.

Manchen Tieren behagte es so sehr in Martins Klause, dass sie für immer daselbst ihre Wohnung aufschlugen. Oben im Dache zum Beispiel hatte sich ein paar wilde Tauben eingenistet. Im Inneren leistete ein zahmes Eichhörnchen dem heiligen Bruder beständig Gesellschaft und belustigte ihn durch seine Sprünge. Und wenn er ausging, so setzte sich das mutwillige Tierlein in die Kapuze seines härenen Gewandes und machte keck den Spaziergang mit.

Nebst solcher Kurzweil fanden die Kinder auch sonst noch allerlei nützlichen Unterricht bei ihrem Freunde. Nicht nur im Lesen und Schreiben unterwies er sie. Auch im Strohflechten und anderen Handarbeiten machte er ihr Lehrer. – Das Liebste jedoch war den Kleinen, wenn er ihnen erzählte: von Kain und Abel, vom ägyptischen Joseph, vom Hirtenknabe David, von Daniel in der Löwengrube und anderen biblischen Geschichten.

Die größte Freude verursachte ihnen aber die Art und Weise, wie der freundliche Altvater sie am heiligen Weihnachtsfeste überraschte.

Es war dies ein sogenanntes Kripplein, oder eine bildliche Weihnachtsvorstellung.

Einige Wochen vor der heiligen Weihnachtszeit hatte Martin seine Freunde in dem Kloster besucht und dort einen alten Mönch kennengelernt, welcher in der Bildhauer und Malerkunst wohl erfahren war. Dieser Meister hatte unserem Bruder als Beweis seiner besonderen Zuneigung verschiedene schöne, hübsch bemalte Figürchen, die heilige Familie und mehr anderes vorstellend, zum Geschenke gemacht. Bruder Martin hatte sich vorgenommen, dieselben zur Freude und anmutigen Belehrung der Kinder in passenden Gruppen in seiner Zelle aufzustellen. – Kaum konnten die Kinder die Zeit erwarten, wo die Herrlichkeiten alle enthüllt und ihnen gezeigt werden sollten. – Klärchen und Wolfgang zählten Tage und Stunden bis zum heiligen Tag, – denn bis dahin hatte der gute Martin sie zu vertrösten gesucht.

Mit Hilfe des Kohlbrenners Christof hatte Martin eine nischenförmige Vertiefung in die Wand seiner Zelle gemeißelt und aus Moos und Rinde eine artige Landschaft hineingebaut. Ein malerisches Gebirge mit einer Hütte, im Hintergrund eine Stadt mit vielen Türmen. In dieser Berglandschaft, welche das Heilige Land vorstellen sollte, wurden die Figürchen postiert und befestigt. Der heilige Tag nahte heran. Die Kinder konnten vor Freude und Erwartung die ganze Nacht vorher kein Auge zutun, und das kleine Klärchen fragte alle Augenblicke die Mutter, ob denn das Christkind noch nicht komme und warum es so lange nicht morgen sei.

Am Heiligen Abend begaben sich die Kinder, begleitet von ihren Eltern, zu Bruder Martin: was sie jedoch dort Freudiges sahen und hörten, soll im nächsten Kapitel ausführlich dargestellt und erzählt werden.

Deines Heiles mich zu freuen,
Laß mein Herz dein eigen sein;
Heiland, Dir will ich es weihen,
Ewig, ewig sey es Dein!
Komm‘ und bringe uns den Frieden,
Den Du Jenen hast beschieden,
Die da guten Willens sind;
Komm zu uns, O göttlich Kind!

Fortsetzung hier:

Übersicht hier:

Das Bruderkirchlein und die Familie des Köhlers
Beim rauchenden Meiler

Hieronymus Kapitel 7

“Sie lüte weger s’ Zeiche scho der Pfarrer, schint’s, well zitli cho.”
>Johann Peter Hebel

Das Bruderkirchlein und die Familie des Köhlers
Beim rauchenden Meiler

Rings von immergrünen Tannen beschattet, steht das Kirchlein in einsamer Talschlucht. – Von allen Himmelsgegenden führen die Wege und Weglein hinzu, auf welchen heute, als einem Marientage, die Umwohner heranziehen, gleich den Wellen des Baches.

Es ist das Bruderkirchlein in der Nähe des Laubhauserhofes – ein Filial des dortigen Kirchspiels und seit alten Zeiten eine Wallfahrt zu Ehren der Fürbitterin Maria, eine Zuflucht aller Leidenden und Bedrängten. – Ein klarer, lieblicher Morgen feiert gewissermaßen den Festtag mit zur fröhlichen Stimmung der Menschen, die, hinter sich lassend alle niederziehenden Sorgen des Werktaglebens, heute im Gebet sich sammeln und erheben wollen.

Hinten an das Gotteshäuslein angebaut ist die Wohnung des Bruders Cyriak, eines Einsiedlers und Waldbruders, wie solche damals noch häufig anzutreffen. In seiner engen Klause pflegte der Mann allerlei Hantierung zu treiben: er gießt Christkindlein und Heiligenbildchen in Wachs, drechselt aus Holz und Bein Rosenkränze und verschmäht auch nicht, im Winter sich die Zeit mit Lichtspanschnitzen zu vertreiben. Einige abgerichtete Vögel und ein zahmes Eichhörnchen, das sein Nest in einem alten, an der Wand angebrachten Filzhut hat, sind die alleinigen Gefährten seiner Einsamkeit.

Und weil der Klausner stets ein gutes, selbst gebranntes Waldkirschenwasser im Vorrat hat und nebstdem ein nach dem bewährten Rezept der Klosterfrauen in Friedenweiler bereitetes „Grünwässerle“ besitzt, so sprechen die Wallfahrer nach beendetem Gottesdienste gerne bei ihm ein, um sich zu stärken auf den langen Heimweg.

Aber nicht nur beim Kirchgang, auch zu anderen Zeiten kehrten die Leute beim Bruder ein, denn nebst der Herz- und Magenstärkung gab’s bei ihm noch Mittel gegen Haupt-, Glieder- und anderes Weh. Er verstand sich auf die Heilkraft aller Kräuter, heiß, feucht oder trocken im ersten, andern und dritten Grad; und sein Wacholdergsälz und der aus jungen grünen Tannzapfen gesottene Trank waren gewiß nicht weniger wirksam, als es unsere heutigen Fichtennadel-Dekokts und die Berliner Malz- und anderen Extrakte sind.

Herwärts vom Kirchlein sehen wir das Haus des Kohlenbrenners Klaus, der jedoch den ganzen Sommer und Herbst über in der Nähe des Laubhauserhofs sich aufhält, wo schon der Vater und der Großvater dem Bauer den Dienst eines Kohlenbrenners versehen haben.

Bevor wir aber in unserer Historie weiter fortfahren, sehen wir uns bemüßigt, die Geschichte dieses Hauses und seiner Bewohner hier einzuschalten, weil sie notwendig zum Ganzen gehört.

Mancher Leser mag zwar denken, diese Geschichte werde nicht sehr verwickelt sein; hier, in dieser Abgeschiedenheit, wo die Natur, die Verhältnisse dem Menschen so wenig bieten von demjenigen, was wir Lebensgenüsse zu nennen gewohnt sind, hier, so möchte man glauben, werden Sorgenfreiheit und Gemütsruhe zu Hause sein; der stille Friede der Natur werde auch dem Menschenherzen eine verwandte Stimmung geben, und wenig bewegt werde der Lebensgang eines solchen Waldbewohners sein. – Doch, wo wäre auch das Fleckchen Erde, auf dem der Mensch sagen könnte, hier bin ich frei und sicher vor dem Versucher und Friedensstörer, der einbricht wie der Dieb in der Nacht?

Und in der Tat, wenn der alte Klaus so allein, auf seinen Schürhaken gestützt, beim rauchenden Meiler stand, oder nach beendetem spärlichen Mahl auf der Moosbank sitzend, in die verglimmende Glut seines Herdes schaute, so schienen auch ihm allerlei schwere Gedanken wie Wolkenschatten durch den Kopf zu ziehen. Dachte der Alte vielleicht an jene Tage, wo er, nicht so allein, an den eigenen Kindern erwünschte Hilfe und Stütze gefunden? Das Haus neben dem Bruderkirchlein erbte der Klaus von seinem Vater.

Mit seinem Weib und drei Kindern trieb er das Geschäft fort, und nichts schien imstande zu sein, den Lebenslauf des genügsamen Mannes zu unterbrechen – bis der Tod des Weibes auch hier jene Lücke in das Leben riß, welche so selten ganz glücklich wieder ausgefüllt werden kann. – Bald nachher verheiratete sich die älteste Tochter, ein hübsches, kräftiges Mädchen, an den Felsenwirt, den wir bereits als Stabhalter der Gemeinde kennengelernt. Noch blieb dem Klaus ein Sohn und eine jüngere Tochter; doch an dem Buben Dieter sollte der Vater wenig Freude erleben, an der Tochter herben Schmerz.

Der Dieter hatte unsteten Sinn, das Köhlerhandwerk behagte ihm nur schlecht, und als er zufällig einen Färbermeister auf dem Walde kennengelernt, wußte er den widerstrebenden Vater zu bewegen, daß er ihn dem Manne in die Lehre gab. – Was jedoch ein Haken werden will, krümmt sich beizeiten. Das Bürschlein wollte nicht gut tun, und der Färbermeister sah sich genötigt, dem Lehrling zuweilen den Rücken blau zu färben, was dieser so übelnahm, daß er noch vor Ablauf der Lehrzeit in die weite Welt entlief. – Seit Jahr und Tag hatte man nichts mehr von ihm gehört.

Der alte Vater hauste inzwischen mit dem einzigen zu Hause gebliebenen Kinde, der jüngsten Tochter, welche ihm in allem getreulich an die Hand ging. Im Winter besorgte das Mädchen die Hausgeschäfte, und die lange Sommer- und Herbstzeit half es dem Vater bei der Köhlerei. An kräftigem Wuchse glich es der älteren Schwester; aber ein Hang zum Ungewöhnlichen, vielleicht nach dem Naturell der lebhafteren Mutter, verstärkt noch durch die fast gänzliche Abgeschiedenheit von den Menschen, hatte sich frühe schon bei dem Mädchen bemerkbar gemacht.

Als Kind war Johanna wild und verwegen. Kein Baum war ihr zu hoch und kein Fels zu schroff, den sie, als sie noch die Ziegen hütete, nicht erklettert und erstiegen hätte. Der Alte hatte in dieser Beziehung seine wahre Not mit ihr. – Aber bei der Arbeit griff sie wacker zu; sie wußte den Holzkarren und den Schürhaken und alles, was zum Handwerk gehört, so geschickt zu regieren, daß sie dem Vater alsbald einen zweiten Köhlerknecht ersparte.

Zur Jungfrau herangewachsen, legte Johanna dies wilde Wesen ab. Von früher Jugend an war sie den Verwandten der Mutter, die in guten Verhältnissen im Städtchen Neustadt lebten, viel mehr zugetan als den Sippen väterlicherseits, die alle einfache Taglöhner, Holzmacher und Kübler waren.

Längst hätte sie auch ihre Wäldertracht mit der mehr städtischen Mode vertauscht, wenn es der Vater zugelassen – längst auch wäre sie fortgegangen in einen Dienst nach Freiburg oder Waldkirch, wenn nicht Kindespflicht sie zu Hause festgehalten. Einige Zeit trug sie sich mit dem Gedanken, ins Kloster zu gehen. Das gefällige Mädchen war bei der Frau Abtissin in Friedenweiler sehr wohl gelitten; mit natürlichem Geschick begabt, lernte es dort bald allerlei künstliche Handarbeiten – so wie es denn auch Johannas liebstes Geschäft war, den Altar und das Gnadenbild im Bruderkirchlein mit selbstgefertigten Blumen, Girlanden und farbigen Bändern sinnig zu verzieren.

Tanzbelustigungen, Hochzeiten und Kirchweihen besuchte sie nie, obwohl es ihr nicht an Tänzern gefehlt haben würde. Wenigstens gab es jemand, der seinen ganzen spärlichen Jahreslohn darangesetzt haben würde, sie dort einmal einführen zu dürfen. Dieser jemand war Kolumban, ein junger Bursche, der dem Klaus aushalf beim Geschäft. Er bewarb sich eifrig um sie. Doch das Mädchen schien seine schweigende Liebe, seine Huldigungen nicht verstehen zu wollen.

Eines Tages, es war im Spätherbst, kam ein fremder Handwerksbursche ins Tal, der sich angelegentlich nach dem Köhler-Klaus erkundigte. – Man wies ihn auf die Kohlstatt, wo er richtig den Alten beim Abendessen fand. Der Geselle grüßte höflich mit der Frage, ob er den Vater des Monsieur Dieter vor sich habe?
„Ein Sohn hab ich, der Dieter heißt“, gab der Klaus zur Antwort. „Ob’s aber der Musje ist, von dem Ihr sagt, weiß ich nit“
„Freilich ist er’s“, entgegnete der Handwerksbursche. „ Ist Monsieur Dieter doch mein bester Freund, neben dem ich ein ganzes halbes Jahr drüben in Mühlhausen in Kondition gestanden bin. – Ich komm, um Euch viel Grüß von ihm auszurichten und Euch zu melden, daß er Euch nächstens einmal besuchen wird; aber nicht als armer Schlucker, sondern patent, als ein Mann, der’s hat und machen kann.“

Als der Alte nichts erwiderte, fuhr der Geselle redselig fort: „Freund Dieter steht nämlich auf dem Punkt, Karrier zu machen; überall, in den ersten Häusern hat er Zutritt, und ich kenn‘ mehr als einen reichen Fabrikherrn, der ihm seine Tochter mit Pläsier zur Frau geben würde! – Ich sag Euch, Dieter hat Konnexionen und Protektionen. Hätten mich Familienumstände nicht heim ins Württembergische abberufen, so wär ich wahrscheinlich nächstens sein Kompagnon geworden. – Das ist’s, was ich Euch im Vorbeireisen hab sagen wollen. – Ich sag Euch, Meister Klaus, Ihr seid ein glücklicher Vater!“

Der Klaus schüttelte den Kopf; dann fragte er trocken, mit ironischem Lächeln: „Hat Euch mein Sohn vielleicht Geld für mich mitgeben? – Wenn er’s so gut hat, wie Ihr sagt, so wird er g’wiß auch eppes für sei‘ n alte Vater übrig habe.“

„Lieber Mann“, entgegnete der Geselle, „in dem Punkt müßt Ihr Euern Sohn vorderhand exkusieren. Nehmt’s nicht ungütig, Monsieur Dieter braucht im Moment seine Spän selbst, um anstandsgemäß leben und nobel auftreten zu können. Hat er aber einmal drüben eine reiche Partie gemacht, so zweifle ich nicht, daß er, so wie ich ihn kenn‘, seinen alten Vater und seine Geschwisterig nicht vergessen wird. Darauf könnt Ihr Euch verlassen und das weitere ruhig abwarten.“

„Ist Euch vielleicht ein Gläsle Brändts oder en Schluck Wein g’fällig?“ fragte der Klaus, der indessen den alten Fechtbruder vom Kopf bis zum Fuß betrachtet hatte. „Wenn Ihr Durst habt, so kommt mit mir nüber in den Felsen. – Den Zehrpfennig und Botenlohn will ich Euch nachschicke, wenn ich mal im Besitz von der Unterstützung bin, die Ihr mir vom Dieter da in Aussicht stellt.“

Der gute Freund schlug’s nicht ab; und der Alte übergab die Aufsicht über das Geschäft dem Knecht und ging mit jenem hinüber ins Wirtshaus, wo der alte Stromer dann noch ein Langes und Breites vom bevorstehenden Glück des Dieter zu erzählen wußte.

Ein Jahr und mehr war seitdem verstrichen, und Dieter hatte weder geschrieben noch Geld geschickt. Das Geschäft des Köhlers ging seinen regelmäßigen Gang. Ist dieses Geschäft auch ein einfaches und einsames, so hat es nichtsdestoweniger auch sein Schönes – allerdings auch seine Mühen und Beschwerden. – Wenn auch entfernt von Menschen, so fehlt es dem Köhler doch nicht an Besuch; ist’s nicht der Forstknecht, der im Vorbeigehen in der Hütte einspricht und am Herd sein Pfeiflein anzündet, so ist’s der Harzer, der in der Umgebung sein Geschäft betreibt; oder es kommen Holzmacher oder Kinder, welche Erd- oder Steinbeeren suchen. – Und wie diese Menschengeschöpfe, so verschmähen es auch die Tiere des Waldes nicht, dem fleißigen Mann untertags eine Visite abzustatten, weil sie wissen, daß hier weder Tod noch Verderben auf sie lauert. Reincke, der Schlaue, hat ganz in der Nähe seine sichere Felsenburg und treibt an schönen Tagen mit den Jungen auf dem sonnigen Plätzlein dort seine Kurzweil, während das Eichhörnchen auf dem Baum Turnübungen abhält und der Grünspecht fleißig am Stamme hämmert. Ja selbst das schüchterne Reh wagt sich heran und betrachtet mit großen, sanften Augen das Tun und Treiben seines rußigen, aber friedlich gesinnten Freundes, und nur wenn die Geißel des Holzfuhrmanns ertönt oder das Bellen der Jagdhunde im Revier, so „schmält“ es und ergreift die Flucht. – Vertrauter ist der Rabe, der, wie die Kinder meinen, früher selbst ein Kohlenbrenner gewesen ist. Dreist, als hätte er die Aufsicht, spaziert er auf dem Platz umher und scheut sich nicht, dem Köhler auch einmal sein abgelegtes Wams zu visitieren, ob nicht ein Stücklein geräuchertes Fleisch oder ein Brocken Schwarzbrot im Sack desselben stecke.

Und ist es ganz stille, liegt die Sonne brütend heiß auf den breiten Zweigen der Weißtanne, so marschiert wohl auch einmal die Gattin des Auerhahns mit ihren Küchlein vorbei, um ihnen die Ameisenhaufen und Tannzapfen im trockenen Moos zu zeigen.

Die Nacht sinkt herab, das Geräusch des Tages ist verstummt; kein Vogel läßt sich mehr hören, höchstens daß noch der Flügelschlag eines Raben oder einer Wildtaube in den Asten einer hohen Tanne rauscht, weil ein Baummarder oder ein Wildkuter die kaum begonnene Ruhe gestört – aber unser

Köhler ist stets noch wach und auf den Beinen; denn wehe, wenn der verräterische Nachtwind die innere Glut des Haufens zur hellen Flamme anfachte oder Mangel an Zuglöchern den Brand ersticken würde. – Darum macht er von Stund zu Stunde seinen Rundgang. Er schaut zum Sternenhimmel auf, um nach der Zeit zu sehen. Der abnehmende Mond, der eben hinter der hohen Bergkuppe dort untergeht, der Stand gewisser Sternbilder, die er – wenn auch nicht dem Namen nach – sehr wohl kennt, sagen ihm, Mitternacht sei kaum vorüber. Noch ist alles stille, nur der Waldbach tost, ruhelos durch die Nacht hinströmend. – Kommt unser Freund zum zweiten-, kommt er zum drittenmal, so sind die Brillanten am Himmelsdom bereits verblaßt. Im Osten zuckt es hell und heller. – Und kommt er noch einmal, so schaut der junge Tag schon über die erwachende Erde, die den dunklen Schleier abgelegt hat und langsam ihr luftig kühles, aus Silberduft und Nebeltau gewirktes Morgengewand anzieht.

Soweit wäre alles recht hübsch und einladend. Aber es kommen auch Tage, die selbst einem Köhler nicht gefallen wollen. Wenn Nebel wochenlang trübsinnig über Berg und Wald hereinhängen oder einförmige Regentage die Gegend grau verschleiern, wenn es dann im ganzen Revier vor Nässe und Feuchtigkeit dampft und dunstet wie in einer Waschküche; wenn Sturm und Wetter die Glut auf dem kleinen Herde auszulöschen drohen und niemand den Köhler mehr besuchen mag als höchstens vielleicht ein Wilderer, der sein im Walde verborgenes Gewehr ins Trockene bringen will, oder ein verirrter Wanderer, der vor Einbruch der schauerlichen Nacht noch ein schützendes Obdach sucht – da könnte es selbst einem so abgehärteten Naturmensch vom Schlage des alten Klaus unbehaglich werden, obwohl er immer noch nicht tauschen möchte mit einem Städter und Stubenhocker.

Die Geschichte vom Bruderkirchlein in Vöhrenbach gibts auf den Seiten vom Baarverein

Mehr zum Hieronymus gibt es hier:

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