Bruder Martin in Jerusalem.

Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise.Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript.

Letztes Kapitel

Während unseres Aufenthaltes in Jerusalem besuchten wir noch viele bedeutungsvolle Orte. Das in Trümmer gesunkene Haus des Pilatus, wo Christus gegeißelt und mit Dornen gekrönt und zum Tode verurteilt wurde. Das sogenannte Gerichtstor am Fuße des Marienberges, durch welches alle zum Tode bestimmten Verbrecher geführt wurden. Das Haus des Hohenpriesters Annas am Fuße des Berges Zion, und endlich den Ölberg auf der östlichen Seite der Stadt.

Das Thal Jofaphat, welches man nebst dem Bache Kridron durchschreiten muss, um zu dem Garten des Ölbergs zu gelangen, hat etwas äußerst Schwermütiges; die Berge sind kahl und kaum hie und da mit einer Gruppe wilder Ölbäume bepflanzt. Nicht weit vom Ölgarten sieht man das Dorf Gethfemane, so wie das Grabmal der heiligsten Jungfrau Maria, an dessen Stelle heut zu Tage eine reich verzierte unterirdische Kapelle ist.

Auch den Ort zeigte man uns, wo Christus über die zu seinen Füßen liegende Stadt Jerusalem weinte und ihre Zerstörung voraussagte. – Unwillkürlich gedachten wir des schrecklichen Ereignisses, welches 38 Jahre nach Christi Tod eintraf: hier an derselben Stelle, wo die Prophezeiung ausgesprochen worden, soll nach der Sage das Zelt des römischen Feldherrn Titus gestanden haben an jenen Tagen des Unheils, wo elfmalhunderttausend Juden den Tod erlitten, und Rauch und Flamme die Zinnen des Tempels Salomonis umwoben, so dass kein Stein mehr auf dem anderen blieb, und Juda’s Volk in alle Welt zerstreut ward. –

Unter wechselnden Mahnungen der Vergangenheit und Gegenwart verließen wir den Hügel, um ihm das Hospitium der Väter zurückzukehren. Über Jerusalem ruhten schon die Schatten des Abends. Nur um die hohe, gebrochene Burg Davids spielte noch der letzte Strahl des sinkenden Lichtes.

Drei glückselige Tage, begann der gute Altvater des anderen Tages seine Erzählung wieder, verweilten wir in der heiligen Stadt, als dann rüsteten wir uns zur Weiterreise.

In der Morgenstunde kam unser Führer, die heidnischen Herren, welche uns die guten Barfüßer-Mönche ausgemittelt hatten, vor das Kloster, damit sie uns auf der Fahrt nach Bethlehem beschirmten, denn es war kund geworden, dass Leute auf der Lauer wären, die uns Pilgern Schaden zufügen könnten.

Da Alles bereit war, bestiegen wir nicht ohne Besorgnis unsere Tiere und ritten den Berg Zion hinunter in das Tal Silon, immer der Königsstraße nach, den nämlichen Weg, den die Heiligen Drei Könige gemacht, als sie von Herodes nach Bethlehem geschickt wurden, um das Christkindlein aufzusuchen.

Fröhlichen Herzens ritten wir die heilige Straße fürbaß, zwischen anmutigen Gärten und Landsitzen voll köstlicher Früchte. Nach einiger Zeit kamen wir zu drei Zisternen mitten im Wege, von denen die Sage geht, dass hier den drei Weisen, der Stern wieder erschienen sei, den sie im Osten erschaut; die Zisternen seien an der Stelle gegraben worden, wo sie stillgestanden und freudig nach dem Sterne geblickt hätten, der seit ihrem Eintritt in die Stadt Jerusalem verschwunden war. – Nach ungefähr anderthalb Tagesreisen gelangten wir in eine steinige, öde Gegend, wo wir bei einer Wendung des Weges plötzlich Bethlehem, die Stadt Davids, erblickten. – Über alle Gebäude ragte die Kirche der seligsten Jungfrau Maria siegprangend empor.

Freudig ergriffen fielen wir auf unsere Knie und riefen: Heil dir Ephrata, fruchtreiches Gefilde! Heil dir, o Bethlehem! du Haus des Brodes, welches vom Himmel kam; Heil dir o Stadt, von welcher der Prophet einst geweissagt hatte, dass sie nicht die geringste sei unter den Städten Judäas, das von da ausgehen werde, der Fürst und Heiland der Welt. Freue dich, Bethlehem! Im Morgen- und Abendlande bist du verherrlicht worden: denn wie einst voll Weisheit die Könige von Aufgang der Sonne zu dir hin zogen, so nahe dir jetzt in Andacht die Schar der Pilger vom Niedergange!

Unsere maurischen Führer, die Sarazenen, rührten sich nicht und hörten uns schweigend zu. Nachdem wir mit diesen und ähnlichen Ausrufungen die heilige Stadt begrüßt hatten, bestiegen wir unsere Tiere wieder und ritten unter dem Gesange freudiger Weihnachtslieder hinunter gegen Bethlehem.

In Mitte des tiefen Tales, welches zwischen uns und der Stadt lag, wurde uns die Stelle gezeigt, wo den Hirten in der Heiligen Nacht die Geburt des Erlösers verkündet worden. Wir hielten an, die hohen Wunder Gottes zu preisen und zogen dann wohlgemut weiter.

Allein in dieser Welt, liebe Kinder, gibt es keine Freude, und wäre es die aller reinste, auf welche nicht Widerwärtigkeit und Betrübnis folgte. Dies wurden wir auch jetzt inne. Denn wie wir der gesegneten Stadt nahe waren, siehe, da sprengte ein Haufe Araber aus Bethlehem uns entgegen. Es waren wohl vierzig reisiger Heiden, die uns drohend den Weg versperrten. Unsere Führer wurden über diesen Anblick bestürzt. Wir Pilger aber traten in einen Haufen zusammen, ließen die maurischen Begleiter eine Vorhut bilden und zogen mit Furcht fürbaß den Räubern entgegen.

Als wir bei ihnen angekommen, wollten unsere Hauptleute unterhandeln wegen des Durchzuges, und schrien und zankten sich gewaltig. Doch griff keiner zu den Waffen; länger als eine Stunde standen wir und konnten weder vor noch rückwärts. Die Verwegensten unter den Raubgesellen mischten sich zuletzt mit Hohn und Geschrei unter die Reihen der unbewaffneten Pilger. Rissen ihnen die Hüte vom Kopf, stießen und zerrten sie und trieben ihren rohen Mutwillen. – In diesem Getümmel geschah es, dass ein Araber, seine Lanze schwingend, gegen mich, der ich etwas zur Seite ritt, drohend heransprengte; – glücklich wehrte ich jedoch den Stoß, den er gegen meinen Kopf und Hut führte, durch eine rasche Wendung meines Pilgerstabes ab; ein zweiter, dieses sehend, folgte dem ersten und führte seine Waffe so geschickt, dass sie gerade meine Brust traf und ich, wie meine Kameraden glaubten mochten, wie tödlich getroffen von meinem Esel stürzte. – Jetzt entstand ein schreckliches Durcheinander. Schreiend hatte sich die Pilger rückwärts auf eine Erhöhung neben der Straße geflüchtet, und unsere heidnischen Leitsmänner griffen zu den Waffen, um Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Schon waren die vordersten der Wegelagerer unter Geschrei und Lärm über den Haufen gerannt, als ihre Hauptleute Ruhe gebietend, dazwischen traten.

Diesen Augenblick benützte ich, um mich von meinem Sturze aufzuraffen und zu meinem Mitbrüdern zu eilen, die mich verwundert und mit großer Freude empfingen. Der Stoß des Arabers hätte ungezweifelt mein Leben ein Ende gemacht, wenn nicht Gottes Vorsehung mich behütet hätte.

Das scharfe Eisen hatte nämlich das mit starken Eichenholz, Brettlein und Schweinsleder gebundene Gebetsbüchlein meines seligen Bruders getroffen, welches ich von dem Johanniter bekommen und unter meinem Pilgergewand auf der Brust sorgfältig verwahrt trug.

Nach diesen Worten hielt der Erzähler einen Augenblick inne, um von einem hölzernen Schafte an der Wand das Büchlein herabzulangen und seinen jungen Freunden zu zeigen. – Deutlich sah man noch den Riss in dem ledernen Deckel, welcher von der Lanzenspitze herrührte und sich in der Verzierung des Messingbeschläge gefangen und da kräftigen Widerstand gefunden hatte.

Die Kinder, nachdem sie das Wahrzeichen einige Zeit betrachtet hatten, drangen mit großer Ungeduld in den Erzähler, neugierig den Ausgang des räuberischen Überfalls zu vernehmen.

Die Araber, fuhr der Bruder Martin fort, als sie sahen, dass unsere Begleiter ernst machten, erklärten, dass sie nicht als Feinde gekommen seien, sondern, wie sie schon am Anfang gesagt hätten, um ein Lösegeld von den Christen zu verlangen und sich jetzt statt der einst geforderten 50 Dukaten mit 24 begnügen wollten; wären wir hierzu nicht geneigt, so sollte es uns freistehen, nach Jerusalem zurückzukehren.

Wir öffneten also insgesamt unsere Börsen, zahlten jeder für seinen Teil das Geld und ritten fürder. Die Erpresser aber blieben zur Stelle und teilten ihre Beute.

Vor den Toren der Stadt Bethlehem liegt die Burg gleichen Namens. Wir gingen aber nicht hinein, sondern ließen sie zur Rechten und zogen durch viel verfallenes Mauerwerk bis zur Vorhalle der Kirche der Geburt Christi. Eilig stiegen wir ab und begaben uns in den heiligen Tempel, wo wir voll Ehrfurcht und den Liebenden im Andenken der Geburt des Herrn vor dem Altar der Heiligen Drei Könige unsere Andacht verrichteten. Unter diesem Altar aber befindet sich die Grotte, wo der Herr des Himmels und der Erde geboren wurde. Zwei Wendeltreppe, jede mit 15 Stufen, führen in die unterirdische Kapelle hinab.

Christliche Mönche, welche neben dem Tempel ihr Hospizium haben, gaben uns brennende Kerzen, bei deren Scheine wir in feierlicher Prozession unter Absingen des Liedes: Auf ! Christen ,singt feierliche Lieder x. die Stufen hinunter in die heilige Grotte zogen. Betend und mit dankendem Gemüte knieten wir alle um den von Wohlgerüchen duftenden Stein, wo nach der Überlieferung das Kripplein gestanden. Lange verweilten wir an derselben Stelle, wo einst schlichte Hirten und weise Könige das himmlische Knäblein begrüßten und wo immer bis auf den heutigen Tag Karawanen aus allen Ländern herbeiziehen; um an dem Orte zu beten, wo das Christkind allein arm zur Erde herabgekommen, um Frieden und Liebe unter den Menschen zu verbreiten.

Von der Grotte der Geburt stiegen wir zur Kapelle, wo nach der Sage die unschuldigen Kindlein ihre Gräber haben, und weiter ziehend, gelangten wir in die Zelle, in welcher der heilige Kirchenvater Hieronymus, dreihundert Jahre nach Christus, einen Teil seines Lebens zubrachte.

Man zeigte uns hier die Gräber dieses heiligen Mannes, und seiner Schülerinen der heiligen Paula und ihrer Tochter, der Heiligen euch Eustochium. Beide waren vornehme römische Damen aus den adligen Geschlechtern der Graechen und Scpione, welche der Welt und ihre vergänglichen Freunden entsagten, um hier in strenger Abgeschiedenheit den wahren Frieden der Seele zu finden.

Die Sonne war längst schon verschwunden und tausend funkelnde Sterne bestrahlten die schweigende Erde, als wir hinauszogen zum Turm Eder, wo, wie die Sage meldet, die Engel den Hirten die Geburt des Messias verkündeten. – Eine solche herrliche Nacht war es vielleicht, in welcher die frohe Botschaft erklang: Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede den Menschen auf Erden!

In einiger Entfernung glänzten die Lichter von Bethlehem. Durch das ganze Tal herrschte die tiefste Ruhe. Auf einsamen Fußwegen kehrten wir schweigend, ohne durch Worte unsere Gedanken zu stören, in das Kloster zurück.

Am dritten Tage verließen wir fröhlichen Mutes Bethlehem. Wir hatten unseren Rückweg wieder über Jerusalem genommen und suchten so bald wie möglich Joppe zu erreichen, wo wir uns unverweilt zu Schiffe begeben wollten. – Ehe wir jedoch die Hafenstadt zu Gesichte bekamen, geschah mir Folgendes

Eines Morgens, als wir längst einer spärlich bewachten Anhöhe entlang ritten, bemerkte ich oben auf den Felsen eine buschige Staude, welche scharlachrote Blüten von auffallender Schönheit trug. Von jeher ein Freund von Gewächsen und Pflanzen, kam mich die Lust an, das Ding in der Nähe zu besehen und womöglich einige Samen oder Früchte davon mitzunehmen.

Mit meinem Freunde, dem Schuster, war ich etwas hinter den übrigen zurückgeblieben und stieg ab, um die Anhöhe zu erklimmen, ohne in diesem Augenblicke der Warnung unserer Führer zu gedenken, welche uns ermahnten, nicht einzeln zurückzubleiben. Der beständig an den Küsten umherschweifenden Freibeuter wegen, welche sich oft weit ins Land hineinwagen, um wehrlose Reisende zu überfallen und als Sklaven auf ihre Schiffe zu schleppen.

Nicht ohne große Anstrengung hatte ich die jähe Halde erstiegen und näherte mich dem Orte, wo die Staude wuchs. Da hörte ich plötzlich meinen Freund, der unten bei meinem Esel geblieben war, laut rufen; – ich sehe mich um, er winkt mir eiligst umzukehren – ehe ich mich jedoch besinnen kann, stürzten zwei riesige Sarazenen über mich her, schleppen mich eine Strecke weiter längs der Felsschlucht und werfen mich auf ein bereit gehaltenes Pferd, welches der eine besteigt und mit Windeseile auf der entgegengesetzten Seite des Berges hinuntersprengt.

Ich war wie aus den Wolken gefallen; nur so viel war mir klar, dass ich mich in den Händen barbarischer Seeräuber befinde, die mit ihrer Beute so schnell wie möglich den Meeresstrand zueilten. Von meinen Begleitern, dem Pilgrimen, kam mir nichts mehr zu Gesichte.

Bei einem ärmlichen Dorfe am Meeresufer wurde Halt gemacht; in einer nahen Anfurth hielten zwei kleine Fahrzeuge, welche den Corsaren gehörten und bestimmt waren, mich mit noch mehreren Unglücksgenossen aufzunehmen und über die See zu entführen. Meine Baarschaft und alles, was ich bei mir trug, wurde mir abgenommen. Mein teuerstes Kleinod jedoch, das Gebetbüchlein warfen sie mir, nachdem sie es flüchtig betrachtet, verächtlich wieder zu, weil es für sie keinen Wert hatte.

Und so war mir doch wenigstens im Unglücke noch ein süßer Tröster geblieben, ein teurer Freund und geistlicher Ratgeber.

Mit etwa zwölf anderen Opfer teilte ich den unteren Raum des Schiffes, welches auf langer Fahrt nur einmal anhielt und bei einem kleinen Dorfe an der Küste Afrikas frisches Wasser einzunehmen.

Unweit einer großen, mit Basteien und Türmen wohl befestigten Stadt landeten wir endlich. – Es war Tunis, die Hauptstadt des Raubstaates gleichen Namens.

Ähnlich einer Handelsware wurden wir ausgeschifft und in brennender Sonnenhitze auf öffentlichem Markte lange feilgeboten. – Ich wurde das Eigentum eines vornehmen Mohammedaner’s, welcher mich nach geschehenem Handel zweien bewaffneten Schwarzen übergab, die mich außerhalb der Stadt verbrachten, wo die Reichen von Tunis ihre Landhäuser haben.

Bei einem der hohen Mauern umgeben Gute wurde halt gemacht; ein unansehnliches, einstöckiges Gebäude, die Wohnung der Sklaven und Feldarbeiter wurde mir zum Aufenthalte angewiesen. Unter den Sklaven, die größtenteils Schwarze waren, fand sich auch ein Europäer aus dem Piemontesischen gebürtig, der zu meinem großen Troste etwas deutsch sprach.

Unsere Geschäfte waren meist Feldarbeiten. Das Land umher ist ziemlich fruchtbar, und es wachsen Limonen, Datteln, Pommeranzen und türkischer Weizen, auch sagte man mir, dass es in dem Gebirge Straußen, Fasanen, wilde Ziegen und Löwen gebe .An gutem Quellwasser jedoch ist Mangel, weshalb überall Zisternen angebracht sind, in welchen sich das von den flachen Dächern ablaufende Regenwasser sammelt. Nur eine einzige Quelle nahe der Stadt liefert frisches Wasser, welches aber nichts anders als gegen Einrichtung eines Tributes und nur an Vornehme abgegeben wird.

Mein Genosse, der Italiener, wusste mir trotz seinem mangelhaften Deutsch das Loos eines Sklaven mit den abschreckenden Farben auszumalen; er verwünschte unseren Aufseher, den er als einen Unmensch und Barbaren schilderte, welcher, obwohl Christ und Europäer, nichtsdestoweniger ärger als der fühlloseste Heide sich zeige. Ich glaubte dem Menschen und faste im Voraus, ehe mir jener noch zu Gesichte kam eine herzliche Abneigung gegen den vermeintlichen Peiniger, welcher nach einigen Tagen von einem entlegenen Landgute seines Herrn zurückkehrte und seine Untergebenen musterte. Ich wurde ihm vorgestellt. Man mußte Name und Vaterland nennen, worauf er zwar in deutscher Sprache mir sagte, dass auch er am Rheine zu Hause sei. Er fragte mich noch verschiedenes über die Zustände des Deutschen Reiches. So kurz und bündig auch seine Äußerungen waren, so konnte ich doch daraus abnehmen, dass er schon sehr lange Zeit von Hause abwesend sein müsse. Seine Miene verriet etwas von Teilnahme, als er schließlich mich ermahnte, pünktlich und getreu meine Geschäfte zu verrichten. Die Sklavengesetze, fügte er bei, mit denen du vielleicht noch nicht bekannt bist, sind hart und strenge. Darum füge dich den Verhältnissen und sorge dafür, dass deine Vorgesetzten nie in die Lage kommen mögen, strafend gegenüberzutreten.

Nach dieser kurzen Audienz wurden wir angewiesen auf einem nahen Grundstücke, Datteln und eine Art wild wachsender Lotus, aus welchen die Einwohner einen beliebten Trank zu bereiten wissen, einzusammeln. Gefaßt hatte ich mich meinem Schicksal ergeben, ohne Hoffnung, je wieder erlöst zu werden, ehe dass der Tod, der treffliche, unfehlbare Arzt aller irdischen Leiden, auch meinem Elende ein Ende machen würde. Doch es war anders bestimmt.

Der Befreiungsmorgen sollte mir auf dieser Welt noch tragen, und zwar früher, als ich im günstigsten Falle für möglich gehalten hatte. Der nächstkommende Tag war ein mohammedanischer Festtag und auch für die Christen Sklaven ein Ruhetag. Frühe war ich von meinem Lager aufgestanden, um in dem Garten, der unsere und die übrigen Wohngebäude umgab, in Ungestörtheit die Morgenstunden zu genießen.

Eine milde, erfrischende Luft wehte durch die blühenden Limonen und Granatbäume, über süßduftende Beete voll Tulpen und Rosenbüsche.

Ich hatte mich auf eine Bank gesetzt und mein Büchlein hervorgezogen, um durch Gebete und Betrachtungen die Qualen der Hoffnungslosigkeit aus der leidenden Seele zu bannen.

Lange hatte ich schon gelesen und die Gegenwart und alles, was mich beschränkend umgab, beinahe gänzlich vergessen, als ein Geräusch in meiner Nähe mich weckte. Ich schaute auf. Der Aufseher stand vor mir. Anfänglich war ich erschrocken, denn ich glaubte seinen Unwillen erregt zu haben, weil ich eigenmächtig das Haus verlassen und mich in den Garten begeben hatte. Doch zu meinem Erstaunen wünschte mir der Mann nicht unfreundlich einen guten Morgen, und nachdem er einige Augenblicke mein Büchlein scharf ins Auge gefasst hatte, fragte er mit Lebhaftigkeit, wie ich zu dem Büchlein gekommen sei. Aus Furcht, es möchte mir abgenommen werden, weil nach dem Gesetze kein Sklave ein Eigentum besitzen darf, legte ich mich aufs Bitten: Verzeiht, sagte ich zaghaft, wenn ich etwas ungehöriges Unterfangen habe, ich bitte und beschwöre euch um unseres gemeinsamen Vaterlandes willen, entreißt mir dieses Kleinod nicht, mein Alles, was mir noch im Unglücke geblieben ist.

Sei ohne Furcht, ließ mich mein Vorgesetzter vernehmen, indem er mir das Büchlein aus der Hand nahm und ein wenig darin blätterte, aber sage mir ohne Rückhalt, wie das Buch in deine Hände gekommen ist.

Herr, versetzte ich, ich will Euch alles sagen: – Dieses Büchlein stammt ursprünglich von meinem Bruder selig, der im Kampfe mit den Ungläubigen vor Rhodos das Leben verlor. Bei meiner Einkehr auf jener Insel verehrte es mir ein treuer Freund und Waffenbruder des Verstorbenen, ein Johannitertitter. –

Der Mann schien überrascht; doch etwas misstrauisch versetzte er: Du redest unwahr, ich kannte den ersten Besitzer dieses Büchlein recht wohl. So viel ich aber weiß, hatte er keinen Bruder, er war der einzige Sohn seiner Eltern. – Du willst mich hintergehen und gibst dich für etwas aus, was du nicht bist.

Gott ist mein Zeuge, beteuerte ich feierlich, dass ich die Wahrheit spreche: die Mutter, deren Name ihr vorne auf dem Titelblatt sehen könnet, verheiratete sich nach des Vaters Tode zum Zweiten Mal, und dieser Ehe war mit einem Sohne gesegnet, den Ihr jetzt hier, als unglücklichen Sklaven vor Euch stehen sehet.

Der Mann schaute mich an – blickte gen Himmel und rief mit einer Stimme die mein Innerstes durchdrang: Gesegneter Tag! glückliche Stunde! – Grüßte dich der Himmel, Sohn meiner Mutter – mein Bruder!

Die Überraschung hatte mir die Zunge gelähmt. – Wir umfassten uns mit einer Heftigkeit und Inbrunst, als Sonne keine Macht der Erde uns je zu trennen vermögen.

Ihr könnt Euch denken, wie dieser Strahl plötzlicher Freude, ähnlich dem Blitz in dunkler Nacht, überraschend mich traf und alle zerknirschten Lebenshoffnungen in meinem Inneren wieder aufrischte.

Wir vergaßen in diesem Augenblicke beide, dass wir in barbarischem Lande, mitten unter Feinden unseres Glaubens uns befanden.

Nachdem der erste Sturm der Wonne und Ueberraschung vorüber war, mußte ich dem Bruder viel von den heimatlichen Zuständen, insbesondere von den Schicksalen unserer Familie, erzählen. Seit seinem Verschwinden beim Kampfe vor Rhodos hatte er nie das mindeste mehr von den Seinigen in Erfahrung gebracht. Es war natürlich, dass auch ich sehr neugierig war, zu hören, welchen Umständen er sein Leben und die Versetzung in dieses entfernte Land zu verdanken habe.

Er lud mich ein, weil der Morgen schon weit vorgerückt war, mit ihm in einer nahen, von Myrtenhecken angenehm beschatteten Laube Platz zu nehmen.

Meine Lebensgeschichte, fing er an, als wir uns dort niedergelassen, lässt sich in Wenigem zusammenfassen. – In jenem Treffen vor Rhodus, welches dir, wie du sagst, mein Freund, der Johanniter schilderte, fiel ich, von einem Pfeilschusse schwer verwundet, in die Hände der Feinde, welche mich bei ihrer Flucht auf die Schiffe schleppten. – Hier wäre mein Loos ohne Zweifel dasselbe gewesen, wie es fast sämtliche Mitgefangene getroffen, nämlich der Tod, wenn nicht Gott das Herz eines Feindes zu meinen Gunsten gerührt hätte. Der Herr des Schiffes, dessen Leute mich zum Gefangenen gemacht, entriß mich den Händen der mordlustigen Kriegsknechte, und befahl, mich, den Schwerverwundeten, zu verbinden. Der großmütige Beschützer hieß Amurath, und war kein anderer als mein jetziger Herr, der auch dein Gebieter ist. Der reiche Mann hatte auf seine Kosten ein Schiff ausgerüstet und sich freiwillig dem Zug gegen die christlichen Ritter angeschlossen.

Zurückgekehrt in sein Land, verbrachte er mich hierher, auf dieses Landgut, wo ich nach meiner vollständigen Heilung als gemeiner Sklave Dienste tun mußte. Mein Loos war erträglich, jedenfalls besser, als man es sich unter solchen Verhältnissen gewöhnlich denkt. Fleiß und Ausdauer erwarben mir die Gunst meines Herren, dem ich bald noch bei einer besonderen Gelegenheit meine Ergebenheit zeigen konnte. Es war während der Erntezeit, als eine Horde streitende Araber das Landgut überfiel, um es auszuplündern. Der Himmel wollte, dass ich die Gefahr noch zeitig entdeckte und unterstützt von einem Teil der Sklaven, die Bande so lange abhielt, bis Nachbars Hilfe kam. Mein Herr belohnte diesen Zug damit, dass er mich gemeinem Dienste enthob und mir die Aufsicht auf sämtliche Leibeigene anvertraute.

Dieses Amt bot mir nun Gelegenheit, manches Gute zu tun. Das Schicksal hatte nicht gewollt, dass ich dem Orden der Johanniter meine schwachen Kräfte widmen sollte. Dafür ward mir ein Posten gegeben, wo ich, statt christlicher Pilger mit dem Schwerte zu beschützen, arme Sklaven, gleichviel ob Christen oder Heiden ein menschliches Loos bereiten und ihr Schicksal mildern konnte: – ein Gedanke, der mir manch Bitteres meiner Stellung leichter ertragen ließ.

Überhaupt habe ich, wenn ich mein Leben überblicke, einsehen gelernt, dass man unter allen Umständen nach Kräften Gutes tun könne und dass nebst der höheren Führung, die über den Menschen schwebt, jeder doch zum Wohle und Wehe seiner und anderer gar vieles beitragen könne. Nur dass man nicht wie ein Schifflein ohne Ruder mut- und willenlos sich den Wellen des Lebens preisgeben dürfe.

Seit meinem Hiersein sind nur dreißig Jahre verflossen. Im Laufe dieser Woche kömmt Amurath, unser Herr auf diesen Landsitz, wo er alljährlich seinen Geburtstag zu feiern pflegt. Dieser Tag soll nach seinem längst verpfändeten Worte mir, seinem Diener, die Freiheit bringen. Und so wäre es gar wohl möglich, ja höchst wahrscheinlich gewesen, dass wir uns nie im Leben kennen gelernt hätten und fremd aneinander vorübergegangen wären, wenn nicht das Büchlein, auf welchem sichtbar der Segen meiner guten Mutter ruht, uns einander entdeckt und wie durch ein Wunder vereinigt hätte.

Mein Herr, fuhr er fort, stellte es meinem Entscheiden anheim, ob ich hier als Freigelassener in seinem Dienste bleiben oder in meine Heimat zurückkehren will. Längst aber war es mein Lieblingsgedanke, nach meiner einstigen Befreiung einzutreten in den Orden der Barfüßer zu Jerusalem oder Bethlehem, um dort in dem Vaterlande der Christen, abgewendet von weltlichen, den Rest meiner Erdentage zu beschließen. – Aber Gott hat es anders gewendet. – Deine Dazwischenkunft, geliebter Bruder, hat ihn mir, ich gestehe es, eine lange nicht mehr gefühlte Sehnsucht entzündet nach dem Lande, wo ich meine Jugend verlebt und wo ich irrtümlich wähnte, niemand mehr sei, der meiner gedenke. Ja, ich fühle ein Verlangen, so Gott will, die Heimat und das Vaterland noch einmal zu betreten, und zwar an deiner Hand, denn es wird mir ein Leichtes sein, auch deine Freilassung zu erwirken.

Als Bruder Martin hier einen Augenblick inne hielt, als besinne er sich des Folgenden, schaltete eines der Kinder die Frage ein: warum denn sein Bruder nicht sogleich die nahe Verwandtschaft entdeckt habe, als Martin seinen Familiennamen und den der Vaterstadt genannt habe?

Ihr habt vergessen, liebe Kinder, entgegnete der Erzähler, daß wir beide verschiedene Väter, also auch verschiedenen Namen hatten. Von der zweiten Ehe der Mutter und ihrem Wegzug vom Lande in die entfernte Stadt wusste aber mein Bruder nichts, weil er damals schon in den Händen der Ungläubigen sich befand, so dass ihn weder der Name der Familie noch der Stadt, die ich nannte, auf die Entdeckung geführt hätte, wenn es nicht durch das Wiedererkennen des Büchleins geschehen wäre.

Der Tag, berichtete Martin weiter, an dem unser Gebieter auf das Landgut kommen sollte, nahte heran. Die Gemächer des Herrenhauses wurden freilich hergerichtet und geschmückt. – Ich erstaunte ob der Pracht die im Inneren des sonst wenig versprechenden Gebäudes herrschte. Von kostbarer Mosaik und farbigem Marmor glänzten die Böden und Decken; kostbare Teppiche von künstlicher Seidenwirkerei, wie sie nur Tunis aufzuweisen vermag, zierten die Wände; alles was die Sonne des Morgenlandes an herrlichen Blumen und seinen Wohlgerüchen hervorbringt, war vereinigt, die Sinne zu ergötzen. Amurath kam wirklich an dem bezeichneten Tage mit einer seiner Favoritinnen. – Nach der Mahlzeit wurde mein Bruder vor den Herrn beschieden.

Es sind nun dreißig Jahre, sprach der Türke, daß du mir dienst in Treue und Redlichkeit. – Heute, am Gedächtnistage seiner Geburt, schenkt dir Amurath die längst versprochene Freiheit. Nütze sie nach deinem Wohlgefallen; doch bedenke, dass die Wohltaten, die dir dein Freund und ehemaliger Herr erwiesen, Bande sind, unauflöslich eher als die Fesseln der Sklaverei. – Siehe, Amurath ist großmütig; er bietet dir, dem freien Manne, als Beweise seiner fortgesetzten Gunst die fernere Verwaltung seiner sämtlichen Ländereien an. – Sei vernünftig und entschlage dich der thörichten Sehnsucht nach den öden Gefilden Palästina’s und der Gesellschaft deiner wortbrüchigen fränkischen Brüder. – Wähle das Bessere und bleibe!

Großmütiger Herr! begann nach einigem Zögern mein Bruder, wie beschämt bin ich durch deinen Edelmut. – Mein Leben, meine Freiheit danke ich dir. Doch – zeihe mich nicht der Undankbarkeit, wenn ich bitte: Du mögest deinen Diener in Frieden ziehen lassen. Betrachte, o Herr, diese grauen Haare; glaube mir, dieser müde, gealterte Körper würde wenig mehr im Stande sein, dir Vieles zu nützen. Und was das großmütige Geschenk deiner Freundschaft und Gunst anbelangt, so gönne mir das Glück, solche als wertvollste Perlen von hinnen nehmen zu dürfen.

Undankbarer Christ! murmelte unwillig mit einem Anflug von Zorn der Sarazenen. Täusche mich nicht durch leere Redensart und Ausflüchte – ziehe hin – Amurath wird nicht länger dich zurückhalten suchen. Bei dem Barte des Propheten! Du bist meines Wohlwollens unwürdig. –

Nichts schmerzt so sehr, erwiderte auf diesen Vorwurf mein Bruder, als wenn wir uns missachtet und verkannt sehen von denjenigen, die wir achten und lieben. – Laßt daher, edler Mann, nicht Unwille und Missgunst die edleren Triebe deines Herzens verdrängen. – Entziehe mir nicht den schönsten Gewinn des Lebens, die Freundschaft und Hochachtung eines edlen Menschen. Zerreiße nicht das Band, welches keine Entfernung zu schwächen vermag. Das freundliche Gedenken zwischen solchen, die sich im Leben kennen und schätzen gelernt. Höre mich an, dann lass Milde und Gerechtigkeit walten.

Der Sklave, den du jüngst der Zahl deiner Diener eingereiht, ist mein Bruder. Sein unvermutetes Erscheinen, seine Erzählung von manchem, was mir einst teuer war, ließen in mir den Wunsch entstehen, noch einmal vor meinem Tod das Vaterland zu betreten. Gewähre mir gütig eine Bitte, von deren Erfüllung das Glück zweier Menschen abhängt. – Siehe, hier diese Börse enthält die Ersparniß, von den Summen, mit welcher deine Großmut mich von Zeit zu Zeit überhäufte; gestattet mir, dass ich damit den Bruder loskaufe und dir ersetze, was du für ihn hingabst.

Mit diesen Worten, berichtete Martin, hatte mein Bruder dem Herrn einen Beutel voll Zechinen zu Füßen gelegt; ehe dieser jedoch etwas auf den Antrag erwidern konnte, wirkte seine neben ihm sitzende Gemahlin einer ihrer Dienerinnen, den Beutel aufzunehmen und zu sich zu nehmen.

Amurath ist großmütig, sprach mit Grazie die schöne Dame, welche nebst großen Vorzügen des Geistes und Herzens auch eine unverkennbare Liebe zum edlen Metalle in sich hegte und vielleicht fürchten mochte, ihr Gemahl möge in einer Anwandlung übelberechneter Großmut das Geld ausschlagen; deine Bitte ist dir gewährt, sprach sie zu meinem Bruder, Japha, die Geliebte deines Herrn ist deine Fürsprecherin, und Amurath unser Gebieter will heute nur Glückliche um sich sehen. – Nicht wahr, mein Bester? Dabei streichelte sie mit schalkhaften Lächeln die Wange ihres Herrn, welcher etwas verblüfft, nicht anders konnte, als der Schönen Beifall zu nicken.

Alles dieses, berichtete Martin, erzählte mir nachher meinem Bruder, der eiligst und voller Freude kam, mir meine Freilassung zu verkünden. So hatte jetzt mein Schicksal unverhofft eine Wendung genommen, die ich wenige Tage zuvor für kaum möglich gehalten hätte. Was mir anfänglich ein großes Unglück geschienen, meine Gefangennehmung, hatte nur dazu dienen müssen, mich dem Bruder zuzuführen.

Und wenn ich des Vorurteils, ja ich kann sagen des Hasses gedachte, den ich, angeregt durch die Einflüsterungen meines Kameraden, gegen ihn, den wortkargen Mann, im Herzen getragen, so fielen mir die Worte des heiligen Augustinus ein: Gewöhnlich, spricht er, wenn man glaubt, man hasse einen Feind, hasset man unwissend einen Bruder! – Mein Kamerad aber, der Italiener, der so Übles von seinem Vorgesetzten gesprochen, weil dieser ihn oft wegen Trägheit und Meuterei, die er unter den Sklaven anstiftete, bestrafen mußte, hatte sich die Unruhe im Hause während Amorath’s Anwesenheit zunutze gemacht und flüchtete, wahrscheinlich auf ein fremdes Handelsschiff, welches zu jener Zeit den Hafen verließ.

Unter den aufrichtigen Dankesbezeugungen verabschiedeten wir uns von unserem ehemaligen Herren, welcher, nachdem sich bei ihm der erste Unwillen über die Entfernung meines Bruders gelegt hatte, wieder seine angeborene Gemütlichkeit gegen uns walten ließ.

Wir begaben uns an Bord eines genuesischen Schiffes, welches nach rascher Fahrt ohne besondere Unfälle glücklich die Küsten Italiens erreichte. In Neapel stiegen wir ans Land, um von da nach Rom zu pilgern, von dessen Herrlichkeiten ich euch, liebe Kinder, ein andermal erzählen will.

Unvergesslich wird mir stets der Tag sein, wo wir zum Ersten Mal wieder deutsches Land für uns erblickten. Die Städte und Burgen, die Dörfer im Grün der Bäume, die gelben Weizenfelder und sonnigen Rebhügel und dazwischen der alte Vater Rhein! – Laut priesen wir die Macht und Hilfe des Höchsten, der unsere Schritte sicher hierher gelenkt und uns errettet aus Not und Gefahr.

Wohlbehalten langten wir in der Heimat an, in der sich mein Bruder fast als ein Fremder fühlte; wenige seiner Jugendgenossen fand er noch am Leben, – zerstreut die anderen in die weite Welt.

In eines Klosters Abgeschiedenheit wollte er des Lebens kurze Pilgerertage beschließen. – Die Hoffnung, uns dereinst wiederzusehen, linderte die Bitterkeit einer herben, irdischen Trennung. – Kehre zurück in das Leben, sprach mein Bruder beim Abschiede, schaffe, wirke, vollendet redlich dein Tagewerk, und es tröste dich der Gedanke: dass dort einst dem müden Abende ein neuer, ewiger Morgen tagt. – Lebe wohl!

So erzählte Bruder Martin, und die Kinder ergriffen, nachdem er geendet, seine Hand und dankten ihm.

„Gott! In Freuden und in Schmerzen.
Herrsche Du Aller Herzen;
Sey ihr Trost bei schwerem Leide,
Ihre Kraft im letzten Streite.
Nimm an ihres Lebens Ende
Ihren Geist in deine Hände;
Laß in deiner Sel’gen Reihen
Sie sich ewig Dein erfreuen.

Ende

Übersicht hier:

Bruder Martin erzählt den Kindern seine Pilgerreise nach Jerusalem und Bethlehem.

Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise. Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript.

Neuntes Kapitel

Oft schon hatte Bruder Martin den Kindern versprechen müssen, ihnen etwas aus dem gelobten Lande, von Jerusalem und Bethlehem zu erzählen. Sie wussten, dass die heiligen Stätten, wo Christus der Herr, geboren, gelehrt und gelitten hatte, bis auf den heutigen Tag verehrt und von zahllosen Wallfahrern der Christenheit besucht würden. Bruder Martin hatte in früheren Jahren selbst einmal eine Pilgerfahrt dahin unternommen und war daher im Stande, seinen Freunden Alles getreu nach eigener Anschauung zu schildern.

An einem Sonntag Nachmittag, wo die Stürme recht schauerlich um den hohen Feldberg und seine waldigen Nachbarn wirbelten und den Schnee wie sprühenden Nebel durch die Täler wehten, saßen die Kinder behaglich in Martins Zelle am wärmenden Feuer des kleinen Oefeleins. Selbst Bläß, der Bär, bezeigte heute keine Lust, seine gewöhnliche Jagd im Walde abzuhalten. Zusammengekauert wie eine Katze und zuweilen im Schlafe leise brummend, als träume ihn von einem fetten Kaninchen, lag er in der Nähe des Ofens, wo ihm Wolfgang, sein Liebling und Vertrauter, Gesellschaft leistete. Der Kleine hatte sich den linden Rücken seines zottigen Freundes zum Diwan ausersehen, von wo aus er den Erzählungen des Bruders bequem zuhören konnte.

Nachdem der gute Altvater durch eine Handvoll dürres Reisig das Feuer frisch geschürt hatte, setzte er sich in die Mitte seiner Zuhörer und begann folgendermaßen:

Vor ungefähr 30 Jahren, um’s Jahr eintausend fünfhundert und zwölf (ihr alle wisst nichts mehr davon) kam eine erschreckliche Pest ins Land herein, eine ansteckende Krankheit, die man nicht anders als eine Zuchtrute Gottes nennen konnte, um den unzufriedenen, lieblosen Menschen wieder einmal ihre Nichtigkeit und die Abhängigkeit von einer höheren Macht recht fühlbar vor Augen zu stellen. Der Tod hielt, so zu sagen, ein großes Treibjagen unter den Menschen: im Palaste wie in der Hütte, in der Stadt wie auf dem Lande, erfaßte er seine Beute. Heute roth, morgen todt! hieß es bei den Meisten. In kurzer Zeit stand manches Haus leer, ja viele Dörfer und Flecken verödeten dergestalt, dass nur wenige Pflüge noch im Felde gingen und in mancher Kirche kein Gottesdienst mehr gehalten werden konnte.

In dieser Not wurde manches Gelübde getan; Bittgänge und Wallfahrten wurden unternommen, den Himmel um Abwehr des Übels anzuflehen, oder zu danken, für glückliche Lebensrettung.

Also tat auch ich. – Die böse Seuche hatte mich auf das Krankenlager geworfen, das Fieber mir Kraft und Besinnung geraubt. – In diesem Zustande führte mich der Fieberwahn in das phantastische Bereich eines übernatürlichen Traumes. – Es war mir, als befinde ich mich in Jerusalem und läge an den Pforten des Heiligen Grabes. – Himmlische Töne hörte ich erklingen, der Glanz unzähliger Lichter umschloss mich, und ich glaubte zu fühlen, wie ein Strom von Genesung mir das kranke Gebein durchrinne. –

Ich erwachte – halb noch im Traume befangen war meine erste Frage: wo ich mich befinde? Es kam mir vor, als wäre ich zurückgekommen von einer weiten, mühsamen Reise. – Die Krankheit aber war gebrochen, es ging fortan der Besserung entgegen.

Als die Kräfte sich wieder einigermaßen eingestellt, war es mein Erstes, dem Drange meines Herzens zu folgen und dem Herrn zu danken an jener Stätte, von woher mir im Traumgesichte wunderbare Hilfe gekommen war. Ich nahm Urlaub von meinem Herrn und trat getrost in Gottes Namen die Wallfahrt nach dem Grabe des Erlösers an.

Eines Morgens früh, als sie im hohen Turme des Münsters eben die Betglocke ertönte, verließ ich im Pilgergewande die Stadt. Es war noch dunkel; kaum ein Strahl des Lichtes zuckte durch die Dämmerung. – Endlich kam die Sonne und die Silbernebel über dem Rheinstrom und am Gebirge verzogen sich und zeigten den klarsten Himmel; die Vögelein zwitscherten ihr Morgenlied und alles erwachte; – da war es mir, als hätte ich die Welt und den Tag noch nie so hell und so frisch gesehen, und als schwinde jetzt erst der letzte Rest meiner Krankheit. –

Ich wanderte der Schweiz zu, um durchs Welschland gen Rom zu pilgern, wo ich dann in einem Seehafen unter Segel gehen wollte.

Mein erstes Reiseziel war die Insel Rhodos. Dort wollte ich Erkundigungen einziehen über einen älteren Bruder, der so viel ich wußte, vor langer Zeit dahingegangen war, um sich aufnehmen zu lassen in den Orden der Johanniter-Ritter, welche auf jener Insel ihren Sitz haben.

Diesen Bruder aber hatte ich nie in meinem Leben gesehen. Sein Vater, der nicht der meinige war, denn ich stammte aus der zweiten Ehe der Mutter, war ein wenig bemittelter Adliger, welcher auf einem Landgut im Rheintal lebte. Nach seinem Tode nahm er einem Freund des Verstorbenen, ein Johanniter, den Jüngling mit nach der Insel Rhodos, wo er ihm Aufnahme in den Orden verschaffen wollte.

Die Mutter wurde unterdessen durch Kriegsunfälle gezwungen, ihr stark verschuldet das Landgut zu veräußern. Sie zog in die entferntere Stadt, und verehelichte sich nach mehreren Jahren zum zweiten Male, welcher Verbindung ich, der zweite Sohn, das Leben verdanke. Von dem fortgezogen Sohne und Bruder hörten wir in der Folge wenig mehr. Sein Beschützer verlor in einem Treffen gegen die Ungläubigen das Leben, und auch von meinem Bruder wurde das nämliche behauptet, so berichtete uns wenigstens ein von dort zurückgekommener Reitknecht. – Von anderer Seite jedoch vernahmen wir, er sei noch am Leben, und im Orient ein reicher Mann geworden. – Über alles dieses wollte ich auf meiner Pilgerfahrt an Ort und Stelle genaue Erkundigungen einziehen.

Im Kloster Rheinau, wo ich nach dem fünften Tage der Reise übernachtete, bekam ich unvermutet noch einen Weggesellen. Ein Schuster aus dem Schwäbischen, der gleich mir im Begriffe war, nach Jerusalem zu wallfahrten.

Fröhlich, voll guten Mutes zogen wir weiter. Wir nahmen unseren Weg durch das Urnerland und über den Gotthard, welches Gebirge die Schweiz von Italien scheidet. Über diesen Berg geht eine Straße in das Herzogtum Mailand, und es werden die Handelswaren auf Maultieren und Saumrossen darüber gebracht. Oben auf der Höhe liegt ein Kapuzinerkloster, in welchem Reisende jederzeit gastfrei Aufnahme finden, von da geht es abwärts gegen das erste italienische Städtlein Airolo im Lawinerthal.

Als wir gegen diesen Ort hinkamen, hörten wir aus der Ferne singen; as sind Landsleute, sagte mein Begleiter, der Schuster, das Lied klingt schwäbisch! Und richtig, als wir eine Strecke vorwärts gekommen, so zeigte es sich, dass er recht hatte. Es waren deutsche Landsknechte, welche des Weges kamen. Der Kaiser führte nämlich dazumal Krieg mit dem Franzosenkönige, wegen des Besitzes von Mailand, und es zogen beständig Kriegsvölker hin und her. –

Kaum hatten uns die verwilderten Gesellen erblickt, als einige aus dem Haufen lärmend und mit gesenkten Spießen gegen uns anliefen, um ihren Mutwillen mit uns zu treiben. – Ich versah mich nichts Gutes, denn ich kannte die wilden Sitten dieser Leute.

Sie waren uns bereits nah auf den Leib gerückt, als mein Begleiter überrascht ausrief: O ha! Peter Michel, seit wann traktiert man friedfertige Pilgimme auf diese Manier, he? Und einer aus dem Trupp, ein Kerl mit schrammigem Antlitz und Knebelbart, in Puderhosen, rannte alsbald johlend auf den Schuster los und, bewillkommte ihn mit Gruß und Handschlag. Sie waren beide Landsleute aus einer und derselben Stadt im Allgäu.

Die mutwilligen Gesellen sagten lachend, sie hätten nur Spaß gemacht, um uns ein wenig zu erschrecken. – Sie fragten, was es Neues im deutschen Reiche gebe und wo wir hin wollten? – Sie ihrerseits, berichteten sie, kämen von der Stadt Mailand und Brescia wo sie nach Herzenslust gestürmt und geplündert, auch sonst noch viele feste Schlösser erobert hätten; zuletzt aber wäre zwischen ihnen und ihren Obristen Uneinigkeit und Streit entstanden, worauf sie davongegangen um in deutschen Landen Kriegsdienste zu suchen. – Nachdem wir ihnen bedeutet hatten, wo hinzureisen gedächten, sagten sie, wir wären Narren, eine so weite Reise zu tun, es gäbe ja in Deutschland Wein und Bier genug und alles was das Herz erfreue. Sie rieten uns, wieder umzukehren und schimpften gewaltig über die Welschen und ihr Land; jedenfalls aber wollten sie uns warnen, nicht bis Rom zu gehen, weil ganz Italien voller Kriegshändel sei, und ritten, lieber gleich in Venedig, wo immer Schiffe bereit lägen, unter Segel zu gehen.

Wir danken für den guten Rat, nahmen Abschied und zogen unsere Straße.

Mein Kamerad, der nicht gerne dabei sein mochte, wo es Krieg und Händel absetzte, bat mich, mein Vorhaben, nach Rom zu gehen, aufzugeben und nach dem Rat der Landsknechte in Venedig eine Überfahrtgelegenheit zu suchen.

Gerne hätte ich zwar Rom, die Hauptstadt der Welt, gesehen, doch tat ich ihm den Gefallen, und wir schlugen den geraden Weg nach Venedig ein.

So ein kleiner Teil mir auf diese Weise auch von Italien zu Gesichte kam, so war es doch genug, um mich zu überzeugen, dass man nicht ohne Grund dieses Land den Garten Europas, oder das Paradies der alten Welt nennt. Die Milde und Klarheit des Himmels, verbunden mit der Fruchtbarkeit und Lieblichkeit der Landschaft, haben für jeden Reisenden etwas Verlockendes, und nie in seinem Leben wird er einen Aufenthalt in den Gefilden dieses schönen Landes vergessen.

Ohne weiteren Aufenthalt erreichten wir glücklich Venedig, über dessen eigentümliche Lage wir uns nicht genug verwundern konnten. Denkt euch, liebe Kinder, eine Stadt, welche auf vielen kleinen Inselchen mitten in einem seichten Meeresarm also erbaut ist, dass fast alle Häuser auf Pfählen ruhen. Eine Stadt, in welcher man statt des Straßenpflasters Meereswellen und statt Stadtkutschen und Pferde, kleine Schiffchen oder Gondeln erblickt. Die Vorderseiten der Gebäude sind nämlich meist den Kanälen zugekehrt, welche die Stadt in allen Richtungen durchschneiden und über welche mehr denn vierhundert große und kleine Brücken führen.

Nachdem wir die herrlichen Paläste und Kirchen alle angeschaut hatten, begaben wir uns in das sogenannte deutsche Haus am Großen Kanal, wohin alle Waren gebracht werden, die von Deutschland kommen oder dahin abgehen. Hier erkundigten wir uns bei einem deutschen Handelsmann, ob kein Schiff im Hafen läge, welches nach Rhodos bestimmt sei.

Man wies uns an, zwei Herren, die eben über den Hofraum gingen. Einer davon war der Kapitän eines Schiffes, welches mit einer Ladung Waren, vorzüglich Waffen für die Johanniter, nach jener Insel abzufahren im Begriffe stund. Mein Begleiter, der etwas italienisch konnte, trug diesem unseren Anliegen vor, worauf wir morgens früh an den Hafen bestellt wurden, wo uns das Nähere mitgeteilt werden sollte.

Ihr könnt Euch vorstellen, wie sehr wir erfreut waren über die Aussicht, so schnell befördert zu werden. Wir priesen das Geschick, welches uns die Landsknechte in den Weg geführt hatte, ohne die wir unsere Richtung gegen Rom genommen und wer weiß, in was für Händel verwickelt worden wären. Denn auf unserem Weg hierher hatten wir erfahren, dass auch der Heilige Vater in den vorgenannten Krieg verwickelt sei.

Am anderen Tage sollten wir nicht uns zeitig am Hafenplatz einstellen und den Kapitän des rhodiser Schiffes aufzusuchen, der uns sodann die Überfahrt gegen mäßige Vergütung gewährte.

Gegen Abend schon wurden die Anker gelichtet, in günstiger Wind stellte die Segel, und bald schimmerten uns von der Hafenstadt nur noch die Lichter entgegen, welche nach und nach am Horizonte untertauchen.

Es ist ein wunderliches Gefühl, zum erstenmal auf dem Meere zu sein; auf der großen unermeßlichen Fläche ein winziger Punkt, das Schiff, dessen schwache Balken uns trennten von den Tiefen der Gewässer und ihren schweigsamen Bewohnern.

Das Wetter war günstig. Nur einmal in der Nacht überfiel uns der Sturm. – Die Segel wurden eingezogen und die Schiffsmannschaft auf dem Verdeck versammelt, ebenso auch wir und die übrigen Pilgrimme, die noch an Bord waren. Unter dem Tosen der Meereswellen und den Schrecken eines nächtlichen Gewitters, welches unter Blitz und Donner über unseren Häuptern ging, verrichteten Alle ein gemeinsames Gebet. – Jeder fühlte die Nähe des Todes und die eigene menschliche Schwäche. Aber Gott Lob! Gegen Morgen legte sich der Sturm, der Himmel hellte sich auf, und unsere Angst löste sich in Freude und Dank gegen den, der über die Stürme und das Meer gebietet.

Nach langer Fahrt kamen wir endlich in die Gewässer von Rhodos. Ehe ich jedoch von meinem dortigen Aufenthalte erzähle, will ich euch einiges über die Johanniterritter und den Ursprung ihres Ordens mitteilen.

Ihr habt gewiss schon gehört, wie vor mehreren hundert Jahren die abendländischen Christen mit gewaffneter Hand nach Palästina zogen, um das Heilige Land und vor allem Jerusalem der Knechtschaft der Ungläubigen zu entreißen. – Während dieser Kriege, welche man die Kreuzzüge nennt, hatten italienische Kaufleute die Erlaubnis erwirkt, in Jerusalem ein Kloster oder Hospitium zu errichten, zum Schutze und zur Verpflegung christlicher Pilger, welche nach dem heiligen Grabe wallfahrten. Die Mönche dieser Anstalt nannten sich Spitalbrüder oder auch Johanniter, weil ihr Kloster zu Ehren des heiligen Johannes eingeweiht war. Nachdem die Kreuzfahrer unter Gottfried von Bouillon Jerusalem erobert und zum Sitz eines christlichen Königreiches erhoben hatte, erhielt die Gesellschaft der Johanniter eine mehr kriegerische Regel und Stellung. Nach den neuen Satzungen konnten nur Adlige Zutritt in den Orden erhalten, welche nebst der Verpflegung der Pilger immer auch noch den Zweck hatte, mit bewaffneter Hand gegen die Ungläubigen zu kämpfen. Die ganze Körperschaft teilte sich in drei Klassen: Die Ritter von altadelichem Geschlechte; in Kapläne, denen ausschließlich das Kirchliche oblag, und den in Rittersknechte, welch‘ letztere zwar auch aus edlen Familien sein mußten, bei deren Aufnahme jedoch die Ahnenprobe nicht in ihrer ganzen Strenge gefordert wurde. Der ganze Orden zerfiel wiederum in acht Nationen oder Zungen, worunter die deutsche den Vorrang vor allen übrigen behauptete.

Alle insgesamt aber mußten geloben: unverehelicht, in Armut und Gehorsam gegen ihre Oberen, getreu den Pflichten ihres Standes zu leben.

Nach der Wiedereroberung Jerusalems durch den türkischen Sultan Saladin setzte sich der Orden nacheinander in verschiedenen Küstenstädten Palästinas fest, bis die tapferen Ritter unter ihrem Großmeister Fulco de Villaret, im Jahre 1309 mit dem Schwerte in der Hand, von der Insel Rhodos Besitz nahmen, und da bleibend sich niederließen.*
Im Jahr 1522, nachdem die Ungläubigen unter Solymann II Rhodus eingenommen, wurde den Rittern die Insel Malta zum Wohnsitz eingeräumt.

In diesen Orden, liebe Kinder, fuhr Bruder Martin in seiner Erzählung fort, hatte sich, wie ich euch schon gesagt habe, auch mein Bruder aufnehmen lassen wollen, und ich näherte mich jetzt dem Orte, wo mir Gewissheit über sein Leben oder Tod werden sollte. Ehe wir dort die Insel erreichten, hatten wir noch eine kleine Angst auszustehen.

Eines Morgens nämlich sahen wir mit Besorgnis zwei Fahrzeuge am Horizonte auftauchen und die Richtung gegen unser Schiff einschlagen. Wem es bekannt ist, wie in diesen Gewässern viele und gefährliche Seeräuber ihr Handwerk treiben, wird die Angst und Bangigkeit welche uns bei ihrem Anblick überfiel, begreiflich finden. Bald jedoch verwandelte sich diese in Freude. Statt der gefürchteten Raubschiffe erkannten wir, näher gekommen, zwei Galeeren der Johanniter, welche der Orden zum Schutze christlicher Seefahrer in diesen Gewässern beständig kreuzen läßt.

Als die Schiffe so nahe gekommen waren, dass wir die roten Kreuze auf den weißen Ordensmäntel der Ritter deutlich erkennen konnten, erhoben wir lautes Freudengeschrei; – die Galeeren aber gaben uns das Geleite bis dicht vor Rhodos, wo wir an einem Sonntagmorgen im Hafen die Anker auswarfen.

An demselben Tage, der uns an Land brachte, wurde in der Kirche von Rhodos ein feierliches Dankgebet abgehalten, dem die ganze Schiffsmannschaft und alle Pilger anwohnten. Nach Beendigung des Gottesdienstes war es mein erstes Geschäft, Nachfrage meines Bruders wegen anzustellen.

Ich suchte die deutsche Herberge auf. Der Wirt war ein Deutscher und längere Zeit schon auf Rhodos ansässig. Er versicherte mich, dass er alle hiesigen Landsleute kenne, aber keinen des Namens, den ich ihm genannt hatte. Nach längerem Besinnen sagte er, dass er hier einen alten Ritter kenne, der, so wie er wisse, aus dem Breisgau stamme und jedenfalls meinen Bruder als seinen Landsmann gekannt haben werde. Der Wirt war so gefällig, mich zu dem alten Ordensmanne zu begleiten. Er führte mich in denjenigen Teil der Stadt, wo die Johanniter ihren Sitz haben und welcher mit starken Türmen und Bastien wohl befestigt ist.

Am Ende einer Straße, welche die Ritterstraße heißt und ganz von Stein erbaut ist, fanden wir unseren Mann. Als ich ihm mein Anliegen vorgetragen hatte, rief er lebhaft: Gott im Himmel, was für Erinnerungen erweckt mit dieser Name. – Ja wohl hab‘ ich ihn gekannt, er mein bester Freund und Waffenbrüder! Seid daher gegrüßt und herzlich willkommen, Bruder meines verewigten Freundes.

Also tot! fiel ich seufzend ein, und der Johanniter ergriff nicht ohne Theilnahme meine Hand und sagte: Hört, ich will euch den Hergang der Sache erzählen. Es möge nun bereits schon 34 Jahre sein, seit er hierher kam, und ein offener und einnehmender Bursche, mit dem ich bald Kameradschaft machte.

Es war im Jahr 1480 ehe Euer Bruder noch förmlich in den Orden aufgenommen war, als Mohammed der zweite Rhodos belagern ließ, um 23. Mai kam die Flotte der Ungläubigen 160 Schiffe mit einem Landheer von mehr als 100.000 Mann vor der Insel an. – Das war dann ein ordentliches Stück Arbeit für uns, die wir gegen diese Übermacht nur ein kleines Häuflein waren. Aber auch manch tapferen Degen kostete es, bis dem Feinde der Weg wieder gewiesen war in die hohe See.

Bei dem ersten blutigen Treffen mußte uns euer Bruder, tröst ihn Gott, schon entrissen werden. Nachdem die Sarazenen gelandet und in der Ebene vor unserer Stadt ihr Lager geschlagen hatten, versuchten sie unter Trommel- und Trompetenschall einen Angriff gegen die Stadttore. – Während ein Teil der Unsrigen von den Türmen und Bastien, mit großen und kleinen Geschütz, mit Steinen und Pfeilen sie begrüßte, rückte der Vice-Graf du Montreuil, des Großmeisters Petri d’Aubusson ältester Bruder, mit einer auserlesenen Schaar, der sich auch euer Bruder und ich als Freiwillige angeschlossen, den Sarazenen entgegen und warf sie nach heißem Gefechte völlig über den Haufen. Unter Geschrei und Lärm liefen sie den Schiffen zu. Während des Kampfes sah ich meinen Freund, euren Bruder, mit vielen Wunden bedeckt, an meiner Seite niedersinken, und vermute, nach allem, was ich nachher von Anderen hörte, dass er in diesem Zustande von dem Feinde zum Gefangenen gemacht und auf der Flucht mitgeschleppt worden ist. – Ich selbst wurde getroffen von einem Pfeilschuss, halbtot nach der Stadt gebracht. Von unseren Wällen aus mußten wir sehen, wie die Barbaren ihren Gefangenen ins Meer stürzten oder sonst grausam hin schlachteten, um uns zu zeigen, welch ein Schicksal unserer wartet, wenn wir nicht gutwillig die Stadt übergäben, was jedoch dank der Hilfe Gottes und dem Mute der Christen nicht geschehen ist.

Der Johanniter schwieg einen Augenblick, und ich konnte nicht anders, als seufzen und mit Tränen in den Augen das unglücklichen Bruders gedenken.

Hier – nahm nach einer Weile der alte Herr wieder das Wort, indem er auf einen Wandschrank zuschritt, hier seht Ihr ein werthes Pfand, welches mir aus seiner Verlassenschaft zugefallen. Er reichte mir ein schwarz eingebundenes Gebetsbüchlein, und zeigte auf dem Titelblatt einen Namenszug, den ich auf den ersten Blick als den eigenhändigen meiner Mutter erkannte.

Ich seufzte und betrachtete Reliquie mit Betrübnis und Freude. – Der Johanniter aber dieses bemerkend, sprach: Ich glaube die werte Hinterlassenschaft an keine bessere Hände geben zu können, als in die des Bruders des Verewigten. Ich bitte euch daher, solche als Angedenken seiner, so wie auch als Beweis meiner Wertschätzung eurer Person, zu behalten.

Ich sagte dem guten Herrn gerührt meinen Dank, und versicherte ihm, dass ich die Gabe annehmen und stets heilig und in Ehren halten wollte, sowohl meines Bruders als auch der ehrenden Freundschaft des ritterlichen Gebers wegen.

Der Johanniter fragte mich noch manches aus der deutschen Heimat und erbot sich, mit mir einen Gang durch die Stadt zu machen, um mir die Lage und Festigkeit des Ortes zu zeigen.

Er führte mich auf einen quellenreichen Hügel über der Stadt, den ein duftendes Gehölz von Pommeranzen und Granatbäumen angenehm beschattete, und wies mir mit der Hand alle die Punkte wo es während der Belagerung durch die Sarazenen heiß zugegangen. – Dort, am Ende des Hafens, sagte er, auf ein starkes Fort zeigend, seht Ihr den Nikolausthurm, den die Ungläubigen vergeblich mit Feuer und Schwert zu erobern trachteten. Der Bassa, nachdem er gesehen, dass hier nichts zu holen sei als blutige Köpfe, nahm zuletzt zur Verräterei seine Zuflucht. Zwei Mamelucken, welche der christlichen Religion abgeschworen und Mohammedaner geworden waren, unternahmen es, den Großmeister unseres Ordens meuchlings zu ermorden. Aber der saubere Plan schlug fehl, und die beiden Überläufer wurden öffentlich enthauptet. Auf dieses versuchte der erzürnte Befehlshaber wieder mit Gewalt uns beizukommen.

Mit großer Furie wurde der Nikolausthurm aufs Neue beschossen; allein, umsonst; das Bollwerk erwies sich als unüberwindlich. – Da geschah es am 27. Juli, dass der Kommandierend die Stadt von verschiedenen Seiten zu Stürmen befahl. – Das war ein Tag, der mir nie aus dem Gedächtnis schwinden wird. – Die Feinde hatten schon jenen Teil der Stadt dort genommen, welche man das Judenquartier heißt. Werden aber von den unsrigen nach zweistündigem furchtbaren Kampfe wiederum hinausgeworfen. Aber stets aufs neue heranrückende Heerhaufen ließ uns nicht zu Atem kommen, und also mörderisch ging es zu, dass der Großmeister allein fünf Wunden davontrug und manches Ritters Gewand vom Blute triefte. Unter den wehenden Panier, mit dem Bilde der heiligen Jungfrau machten die Unsrigen einen letzten kühnen Ausfall. Durch eine Lücke der Mauer stürzten wir auf den Feind. Es war nicht anders als der feire der Tod ein großes Erntefest; also grimmig wurde mit Schwert und Lanze handiert; die Ungläubigen wurden gänzlich geschlagen und mussten uns das Feld überlassen.

Mit des Sultans Standarte und Gezelt kehrten wir sieghaft in die Stadt zurück; der Feind aber hatte nichts eiligeres zu tun, als so schnell wie möglich sein Landheer einzuschiffen. Ehe sie jedoch mit der Einschiffung der Bagage und schweren Stücken zu Ende waren, erschienen auf der hohen See zwei Kriegsschiffe, welche Ferdinand, der König von Neapel uns zur Hilfe schickte.

Eines von den Fahrzeugen lief glücklich in den Hafen ein, das andere aber wurde von den türkischen Batterien so heftig beschossen, dass es dort im Kanal ankern mußte. – Der Bassa schickte zwei Galeeren unter dem Kommando seines ersten Generals, um das Schiff anzugreifen. Aber da erging es wie oftmals dem Jäger, wenn er den verwundeten Bären zu töten heraneilt, und selbst den Rest bekommt. – Das stark beschädigte neapolitanische Schiff spie Tod und Verderben auf seine Angreifer; nach zweistündigem blutigem Strauße mußten sie weichen, nachdem ihr General gefallen war.

Mit diesem letzten Trumpfe endete die ganze kriegerische Unternehmung. Am 19. August segelte die Flotte unverrichteter Sache heim nach Constantinopel.

Der Johanniter, fuhr Bruder Martin weiter, begleitete mich nach Beendigung unseres Spaziergangs in die Herberge, wo Pilger verschiedener Länder versammelt waren, die alle die Reise nach Jerusalem mitzumachen gedachten. Ein spanisches Schiff war bestimmt, uns überzufahren, und die Johanniter rüsteten eine Galeere, die uns begleiten und beschützen solle. Unter herzlichem Dank schied ich von meinem Freunde, dem Johanniter, der mich noch bis zum Schiffe begleitete.

Begünstigt vom Winde erreichten wir bald wieder die hohe See. Der Himmel war klar und die Luft so milde, dass Viele die Nächte auf dem Verdeck zubrachten. Im vierten Tage nach unserer Abfahrt bekamen wir die Insel Zypern und bald darauf einen Teil von Kleinasien zu Gesicht.

Eines Morgens, als kaum die Sonne über die Wellen heraufgestiegen war, rief plötzlich eine Stimme: Fer Karmel! – Alle wendeten ihr Antlitz gegen die Gegend, wo wir den heiligen Berg wie ein schwarzer Punkt am Horizont erblickten. Bald öffnete sich das Land. Wie ein grauer Streif erschien uns die Küsten von Palästina, über welchen leichte weißliche Nebel schwebten.

Es war ein feierlich erhebender Augenblick. Man hörte nichts als das Rauschen des Schiffes, welches majestätisch über die ruhige Fläche dahinfuhr, und die Stimme eines Pilgers, welcher laut eine Stelle aus den Psalmen vorbetete. –

Nur eine Empfindung hatte sich Aller bemächtigt: die Wallfahrer schienen alle Leiden und Mühseligkeiten einer weiten Pilgerfahrt vergessen zu haben, bei dem Anblicke des Landes, wo Christus einst unter den Menschen gewandelt.

So wie die Sonne die schwebenden Nebel mehr und mehr zerstreute, erkannten wir einzelne Punkte der, in langen Linien vor uns liegenden Landschaft. – Wir erblickten Tyrus, die alte Handelsstadt, das weißliche Vorgebirge von St. Johann d’Acre und die Ruinen von Cäsarea. – Das Schiff durchschnitt mit Windeseile den glänzenden Wasserspiegel. Gegen Mittag erblickten wir schon Judäa’s blaue Gebirge, und als der Abend herangekommen, näherten wir uns der Stadt Joppe, dem gewöhnlichen Landungsplatz der Pilger.

Mehrere kleine Boote ruderten uns entgegen, um uns aufzunehmen und ans Land zu setzen. Der Mond beschien mit seinem milden Lichte die öden Türme dieser alten Stadt, von der man sagt, dass sie schon zu Noahs Zeit gegründet worden und der Ort sei, wo nach der Sündfluth die Arche stillgestanden.

Nicht länger verweilten wir hier, als nötig war, um unsere Reiseangelegenheit in’s Reine zu bringen. – Wir mußten vor dem türkischen Aga erscheinen, der uns gegen Erlegung eines gewissen Tributes einen Schutzbrief nach Jerusalem mitgab. Nach diesem mieteten wir sogleich Lasttiere und Esel, um die Reise nach der heiligen Stadt ohne Aufenthalt antreten zu können. Der größere Teil der Pilgrim blieb aber noch einige Tage länger in der Hafenstadt, so dass unsere Schar etwa 20 Personen, meist deutsche, zählte.

Zum Schutz und Trutz gegen landesübliche Räubereien nahmen wir ein Geleite von zwölf arabischen Lanzenreitern mit; auch ein Dolmetscher folgte uns.

Der Weg führte durch eine blumenreiche, liebliche Ebene. Weithin verwandelte sich aber das lachende Bild in eine kahle Landschaft, in welcher nichts als Distel, welke Kräuter und zuweilen einige schlecht bebaute Weizenfelder neben zerfallenen Dörfer sichtbar waren. Ehe wir die Stadt Rrama, welche früher Arimathea geheißen, zu Gesichte bekamen, gelangten wir zu den Ruinen eines alten Klosters, um welches wilde Feigenbäume ein kleines schattiges Wäldchen bildeten. Hier soll der Ort sein, wo die heilige Familie bei ihrer Flucht nach Ägypten verweilte, um von den Beschwerlichkeiten der weiten Reise auszuruhen.

Wir stiegen ab, hier unsere Andacht zu verrichten, und nach kurzer Rast zogen wir weiter.

Einige Stunden hinter der Stadt Rama öffnen sich allmählich die spärlich bewachten Täler des judäischen Gebirges. Kaum einige wilde Feigen- oder einzelne in der Tiefe wachsende Ölbäume unterbrechen die schwermütige Öde dieser Gegenden, in welchen einst die Tochter Jephta’s weilte und die Propheten den Zerfall ihres Volkes beklagten. – Nachdem wir eine große Strecke in den immer kahler werdenden Gebirge fortgesritten, erblickten wir endlich das Ziel unserer Sehnsucht. – Mein Freund, der Schuster, der etwas voraus geritten war, überraschte uns zuerst mit dem Rufe: Jerusalem!

Alle eilten herbei, um des herrlichen Anblicks teilhaftig zu werden – unter Freudentränen und Lobpreisungen begrüßten wir die heilige Stadt, welche mit ihren Mauern und Türmen in sonnigem Schimmer gerade vor uns lag.

Durch das Tor von Damaskus und auch das Pilgertor genannt, zogen wir in die Stadt hinein, nachdem wir vorher den Ungläubigen den gewöhnlichen Tribut entrichten gemusst. Längs einer Reihe unansehnlicher Gebäude von Kalk und Ziegelstein führte uns der Weg zum Kloster der Barfüßer, welches nur einige 100 Schritte von der Kirche des Heiligen Grabes entfernt ist.

Die Mönche des Hospitiums nahmen uns freudig und gastlich auf; und gewiss, es war ein wohltuendes Gefühl, mitten unter den Feinden unseres Glaubens christliche, hilfreiche Brüder zu finden. – Der Quardian des Klosters gab uns alsogleich einen Führer mit, der uns beim Besuche der heiligen Örter dienlich sein sollte

Mit heiliger Ehrfurcht betraten wir die herrliche Grabeskirche. -Unbeschreiblich ist das Gefühl, welches den Pilgrim erfasst, wenn er diese hehren gottgeweihten Räume beschreitet, wo Hunderte von Lampen die ahnungsreiche Dämmerung erhellen.

Inmitten des Tempels befindet sich die in Felsen eingehauene Gruft, welche das Grab Christi in sich schließt. Durch ein enges steinernes Pförtlein tritt der Pilgrim hinein in das Heiligtum, wo einst der Herr die Macht des Todes bewältigte. In schweigender Andacht lagen wir alle vor dem marmornen Grabe auf den Knien, während die ersten Choräle der Barfüßer, welche eben Gottesdienst hielten, von außen im Tempel entlang und wie aus überirdischen Fernen in die Stille des lichtstrahlenden Grabgewölbes drangen. Dies verwirklichte sich von meinen Sinnen, jenes Traumgesicht, auf dem sich Bette und wie damals heilende Kräfte mich der leiblichen Krankheit entrissen. So fühlte sich jetzt der Geist, befreit von irdischem Kummer und Leid, emporgehoben im Vorgefühl der ewigen Seligkeiten eines neuen himmlischen Jerusalems, wo, wie der Apostel sagt, alle Tränen abgewischt werden und kein Tod, kein Leid, kein Schmerz und keine Klage mehr sein wird.

Der Tag neigte sich bereits seinem Ende zu. Als wir die Heilige Gruftkapelle verließen, um andere, jedem Christen teure und verehrungswürdige Orte zu besuchen.

Das große Münster besteht eigentlich aus drei zusammenhängenden Kirchen.: die erste umschließt das heilige Grab, die zweite den unmittelbar daran anstoßenden Calvarienberg, und die dritte den Ort wo die Kaiserin Helena das Kreuz des Herrn auf fand.

Man weiß, dass die ersten Christen 46 Jahre nach der Zerstörung Jerusalems von dem römischen Kaiser Adrian Erlaubnis erhielten, über den Grabe Christi einen Tempel zu bauen, welcher, wenn durch Kriegsstürme wiederholt zerstört, dennoch an derselben Stelle stets wieder aufs Neue aus den Trümmern sich erhob.

Nachdem die Kreuzfahrer das Heilige Land wiederum verloren hatten, erkauften morgenländische Christen mit schwerem Gelde von den Muselmännern den Besitz dieser Kirche, welche jetzt allein dem Schutze schwacher Mönche anvertraut ist, die mitten unter täglichen Erpressungen und Unbilden von Seite der Türken sich glücklich schätzen, an dem Orte leben zu dürfen, wo tausend Erinnerungen die Leiden und das Sterben des Herrn uns vergegenwärtigen.

Noch zeigte man uns das Schwert Gottfrieds von Bouillon, das in seiner halbvermoderten Scheide bis auf den heutigen Tag das Grab des Erlösers bewacht. –

Der Reihe nach besuchten wir alle Stationen bis auf die Mitte des Calvarienberges, und begaben uns dann, erfüllt von den Eindrücken des Tages, in das Kloster zurück.

Saumer waren Personen, die Lasten auf dem Rücken von Saumtieren über das Gebirge transportierten. Jahrhundertelang beförderten sie vor allem Salz und Wein auf Saumpfaden und über die Pässe der Alpen. Als Saumer musste man ein Pferd, einen Maulesel, ein Maultier oder einen Ochsen besitzen.

Airolo ist im Kanton Tessin im Regierungsbezirk Leventina

Fortsetzung hier:

Übersicht hier:

Die Flucht nach Egypten und der Kindermord

Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise.Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript.

Achtes Kapitel

Die Kunde von den hübschen Weihnachtsvorstellungen in Martins Zelle hatte sich bald in der ganzen Nachbarschaft verbreitet, und die Kinder anderer Waldbewohner kamen herbei, um die schönen Bilder auch mit anzusehen.

Bei der vierten und letzten Vorstellung, die Flucht nach Ägypten, hatten sich so viele kleine Beschauer eingefunden, dass der enge Raum kaum alle zu fassen vermochte. – Jedes wollte das Beste wissen, den anderen die Sache zeigen und erklären.

Dort sitzt er, der wüste Herodes! rief Klärchen auf das Bild zeigend, welches den König mit finsterer Miene auf seinem Throne zeigte, während neben ihm seine Kriegsknechte die unschuldigen Knäblein tödteten, und unglückliche Mütter jammernd und händeringend vergeblich abzuwehren suchten.

Seht, wie dort die Mutter Gottes mit dem Christkindlein nach Ägypten flieht, sagte der kleine Wolfgang, aber der garstige Herodes weiß nichts davon, nicht wahr, Bruder Martin?

Gewiß nicht, antwortete dieser, denn seht, liebe Kinder, als der böse Herodes vergeblich auf die Zurückkunft der Weisen aus dem Morgenlande gewartet hatte und zuletzt erfuhr, dass sie längst wieder heimgereist wären, geriet er so in Wut, dass er Befehl gab, alle Knäblein, die nicht über zwei Jahre alt waren, zu tödten. Gott aber hatte schon vorher den heiligen Josef warnen lassen.

Ein Engel war dem frommen Nährvater im Traume erschienen, und hatte ihm die Weisung gegeben, mit dem Kinde und seiner Mutter nach Ägypten zu fliehen, weil Herodes das Kindlein aufsuchen und ermorden lassen wolle.

Und sind Sie denn nicht mehr heimgekommen? fragte Wolfgang. Nur so lange blieben sie in Ägypten, berichtete der Bruder, bis Gott ihnen durch seinen Engel zu wissen that, dass der bös gesinnte Herodes gestorben sei und ein anderer seinen Thron eingenommen habe.

Joseph machte sich demnach sogleich auf, nahm das Kind und die Mutter und reiste wieder in das Vaterland Israel. Aber nach Bethlehem zurückzukehren, getraute er sich nicht, weil er wußte, dass Archelaus, der neue König, ein Sohn des bösen Herodes war. Gott schickte ihm seinen Engel zum Dritten Male und ließ ihm bedeuten, er solle sich in der Stadt Nazareth, im Lande Galiläa mit seinen Pflegebefohlenen niederlassen.

Hier, in der Geburtsstadt der Eltern, verlebte das göttliche Kind seine Jugend. Alljährlich, zurzeit des Osterfestes, gingen Maria und Josef nach Jerusalem, um im Tempel ihr Gebet zu verrichten.

Als der Knabe Jesu zwölf Jahre alt war, nahmen sie auch ihn mit dahin. – Auf der Heimreise aber merkten sie, dass der Sohn nicht bei ihnen sei. Anfangs glaubten sie, er befinde sich vielleicht unter den Freunden und Bekannten, welche die Reise ebenfalls mitgemacht hatten, aber nirgends war er zu erfragen. Voll Besorgnis kehrten die bekümmerten Eltern zurück nach Jerusalem, wo sie ihn erst nach drei Tagen wieder fanden. Er saß im Tempel, mitten unter den Lehrern und Volksältesten, die er befragte und ihnen zuhörte. Alle, die seine Reden hörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten.

Sorgenvoll sprach seine Mutter zu ihm: Mein Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.

Was ist’s, dass er mich gesucht habt? sprach der Sohn im Bewusstsein seiner göttlichen Sendung. Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem Hause meines Vaters.

Den Eltern war der Sinn dieser Worte nicht ganz klar, doch behielt, sagt die heilige Schrift, Maria alle seine Worte in ihrem Herzen.

Hoch erfreut, ihr liebes Kind wieder gefunden zu haben, zogen sie hinab gegen Nazareth, wo Jesus ihnen wie sonst gehorsam und kindlich untertan war, und zunahm an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Von seinem öffentlichen Auftreten und Lehren bis zu seinem Opfertode, will ich euch ein andermal erzählen, sagte Martin, wenn ihr mir versprecht, so folgsam, fromm und gut zu werden wie euer himmlisches Vorbild, das Christkindlein.

Sei Messias, uns willkommen,
Du der Völker Heil und Licht!
Zeige uns mit deinem Frommen
Deines Vaters Angesicht.
Lass an Tugend reich auf Erden,
Dort dereinst und selig werden.

Fortsetzung hier:

Übersicht hier:

Die Weisen aus dem Morgenlande

Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise.

Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript.

Siebentes Kapitel

Schwerlich gab es jemand auf dem ganzen Schwarzwalde, der sich mehr auf den heiligen Dreikönigstag gefreut hätte als die Kinder des Köhlers Christoph.

Sie wußten, dass an diesem Tage Bruder Martins Zelle wieder der Schauplatz eines neues Bildchen aus dem Leben Jesu sein werde. Als sie jedoch am heiligen Dreikönigstage frühmorgens erwachten und zum Fenster hinausschauten, – o, welch‘ eine unangenehme Überraschung, – es hatte die Nacht über so geweht und geschneit, dass weit und breit weder Steg noch Weg zu sehen waren. So sehr die Kleinen zu jeder anderen Zeit sich über das endlose Flockenmeer gefreut haben würden, so groß war im jetzigen Augenblicke ihre Betrübniß.

Nun können wir nicht zu Bruder Martin! jammerte Wolfgang und Klärchen, und auch Christine zweifelte an der Möglichkeit eines Ausmarsches. Gotthard aber lachte und sprach ihnen Mut ein. Er und der Vater holten sogleich den Bahnschlitten aus dem Holzhause, spannten ein Paar Kühe davor, und die Kleinen mußten als Ballast sich oben auf das Fuhrwerk setzen, und so ging es langsam, aber mit großem Jubel vorwärts, durch das Tal bis zu der Halde, wo der Bruder wohnte.

Hier lag der Schnee etwas dünner, weil ihn der Sturm mehr weggefegt, und die Kleinen konnten bequem ihre Reise zu Fuß fortsetzen.

Der erfreute Alte, welcher ihnen eine Strecke Weges entgegengekommen war, führte sie in die Zelle, wo Wolfgang beim ersten Blick auf das Kripplein überrascht ausrief: Da sind sie ja schon! nämlich die Heiligen Drei Könige, meinte er, welche man im Stalle angekommen und das Christkindlein begrüßen sah. – Die Vorstellung war aber auch wirklich gar zu schön: Maria, die himmlische Mutter, hatte das Kindlein vor sich auf dem Schoße; ihr zu Füßen kniete einer der Weisen im Begriff, dem Kinde das zarte, segensreiche Händlein zu küssen, während die beiden anderen mit Geschenken nahten. Der heilige Josef, welcher neben Maria der jungfräulichen Mutter stand, schien mit abgezogener Mütze die vornehmen Gäste ehrfurchtsvoll begrüßen zu wollen. Im Hintergrunde sah man Gefolge und Dienerschaft der fremden Könige.

Bruder Martin mußte den kleinen Wolfgang auf eine Bank lüpfen, damit er alles Recht in der Nähe sehen und bewundern konnte. Am meisten entzückte den Kleinen der funkelnde Stern, der senkrecht über dem Stalle stand. Ebenso hatte auch Balthasar, der Mohrenkönig, mit seinem reich verzierten türkischen Säbel und Dolch, seinen unbedingten Beifall.

Während die Kinder das Bildlein betrachteten, erzählte ihnen Bruder Martin die Geschichte dazu:

Da Jesu geboren war, begann er, kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und fragten am Hofe des König Herodes: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.

Als Herodes dies hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem. – Der stolze König befürchtete nämlich, seinen Thron zu verlieren, wenn ein neuer Herrscher ins Land kommen würde.

Eiligst ließ er daher alle Hohepriester und Wahrsager zu sich kommen und fragte sie: Wo denn Christus sollte geboren werden? Sie sagten ihm: zu Bethlehem im jüdischen Lande; denn es steht geschrieben durch den Propheten: Du Bethlehem im Lande Juda bist keineswegs die Geringste unter den Städten Judas, aus Dir wird der Herrscher kommen, der mein Volk regieren wird.

Herodes lief daraufhin heimlicher Weise die Könige aus dem Morgenlande wieder vor sich kommen und erkundigte sich genau, wann der Stern erschienen wäre, und riet ihnen, nach Bethlehem zu gehen: Ziehet dahin, sprach er und forschte fleißig nach dem Kinde, und wenn ihr es gefunden habt, so sagt ihr mir’s wieder, dass ich auch hinkomme und es anbete.

Nachdem Herodes ihnen dies gesagt hatte, zogen sie hin, und der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatte, zog wieder vor ihnen her, bis an den Ort, wo die heilige Familie sich befand, da stand er still.

Hocherfreut gegen die Könige in das Haus, und fanden das Kindlein mit Maria und Josef. Sie fielen auf ihre Knie und beteten es an, dann öffnete sie ihre Schatzkästlein und reichten ihm Geschenke, die in Gold, Weihrauch und Myrrhen bestanden.

In der Wahl dieser Geschenke aber lag eine hohe Deutung: – Gold brachten sie, um Ihn als König zu ehren, Weihrauch opferten sie dem wahren Gott, und die Myrrhe ist das Bild der Schwachheit und des Todes, welch‘ Beidem der Heiland sich unterwerfen wollte, zur Erlösung des Menschengeschlechtes.

Die morgenländischen Weisen hatten sich zur Ruhe begeben und wollten des anderen Tages beizeiten ihre Reise zu Herodes antreten; da erschien ihnen Nachts im Traume der Engel des Herrn und befahl ihnen, nicht mehr zu Herodes zurückzukehren; denn der böse König hatte den finsteren Anschlag ausgebrütet, das Kindlein ermorden zu lassen.

Die Weisen gehorchten der göttlichen Eingebung und kehrten auf anderen Wegen wieder in ihr Land zurück.

Was sollen wir für Gaben
Dir Herr zum Opfer weih’n?
Ist, was wir sind und haben,
Nicht Alles, Alles Dein? –
Ein Herz, Dir ganze geben,
Von allen Sünden rein,
Ein liebevolles Leben
Soll unser Opfer sein.

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Die Darstellung Jesu im Tempel

Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise.

Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript.

Am anderen Tage hatten die Kinder nach Beendigung des allgemeinen Morgengebets, welches Bruder Martin in einem kleinen Bethäuslein in Thale abgehalten, sich sogleich wieder in Martins Zelle begeben, um den guten Altvater mit dem Weihnachtsliedlein, welches er ihnen gestern mitgeteilt hatte, zu überraschen.

Gotthard hatte die Verse zu Hause seinen Geschwistern so lange vorgesagt, bis die Kinder sie auswendig wußten, um die Freude noch vollständiger zu machen, hatte ihnen die Mutter eine alte Kirchenmelodie gelernt, die recht gut auf die Worte paßte und den Kindern leicht ins Gehör fiel. Das war denn ein großer Jubel, als sie morgens ihren Freund Martin mit dem Gesange überraschen konnten. Der gute Mann versprach ihnen hierauf als Belohnung ihres Fleißes und Geschicklichkeit auf kommenden Neujahrstag eine weitere Vorstellung auf dem Krippelein, nebst einer lehrreichen Geschichte dazu.

Die Kinder waren äußerst begierig, was wohl wieder kommen werde, und nachdem der bezeichnete Tag herangekommen, stellten sie sich erwartungsvoll bei ihrem Freunde ein. Und siehe da, beim lieblichen Schimmer der Morgensonne, die ihre Strahlen durch das Fenster der Zelle warf, erblickten die Kinder ein neues Bildchen. An der Stelle, wo früher der Stall und die Krippe gestanden, sah man jetzt ein prächtiges Münster mit herrlichen Säulen und Schmuckwerk im Inneren die ehrwürdigen Gestalten Marias und Josefs, wie sie das Christkindlein dem Herrn im Tempel darbrachten; neben ihnen standen andächtig der weise Greis Simeon und die fromme Anna. – Auf den Bergen und Felsweglein erblickte man die Einwohner von Jerusalem und Bethlehem, wie sie in allerlei Geschäften sich herumtrieben: Da war zum Beispiel zu sehen ein Mädchen mit einem Korbe, in dem es Eier und Butter in die Stadt trug; dort ein anderes beschäftigt am Brunnen Wasser zu holen – hier stand eine Bettlerin mit ihrem Kinde, Vorübergehende, um einen Almosen anzusprechen, und auf dem selbigen Gebirge, wo Hirsch und Reh liefen, hatte ein Jäger mit der Armbrust Posto gefaßt, eben im Begriff, den tödlichen Pfeil auf eines der Tiere loszuschnellen. – Die Kinder konnten sich nicht satt sehen, nicht genug sich verwundern über die Mannigfaltigkeit der Schönheit. Zuletzt entdeckte Klärchen noch gar die heiligen Drei Könige im Hintergrunde, wie sie von fernen Meeresstrand herankamen, und mit vielen Dienern und Lasttieren über das Gebirge daherzogen um das Christkindlein aufzusuchen.

Nach genügsamer Betrachtung all dieser Einzelheiten lenkte Bruder Martin die Aufmerksamkeit der Beschauer wiederum auf die Hauptvorstellung: die Darstellung im Tempel, und schickte sich an, ihnen die Geschichte ausführlich zu erzählen.

Sehet, liebe Kinder, sprach er, nach dem Gesetze Moses mußten alle Eltern ihre erstgeborenen Knäblein Gott im Tempel darbringen, auf dass sie geheiligt würden. Dabei war es gebräuchlich, dass die Reichen ein Lamm, die Ärmeren ein paar junge Tauben opferten. Diesem Gebote folgten auch Josef und Maria. Sie trugen das kleine Jesuskind nach Jerusalem auf den Tempel und brachten das übliche Opfer. Zu jener Zeit aber lebte ein Mann in dieser Stadt mit Namen Simeon. Derselbe war fromm und gottesfürchtig und wartete voll des heiligen Geistes mit Sehnsucht auf die Ankunft des göttlichen Erlösers. Es war ihm geoffenbart, dass er den Tod nicht sehen solle, bevor er Christum den Herrn mit Augen gesehen hätte.

Während Maria und Josef mit dem Kinde im Tempel verweilten, kam Simeon aus göttlichem Antriebe auch in den Tempel. Als der fromme Greis das Kind Jesu erblickte, nahm er es sogleich voll Freude auf die Arme, blickte gen Himmel und rief: Nun lasse mich Herr in Frieden scheiden, denn meine Augen haben den Heiland gesehen; – das Licht der Völker und die Zierde Israels.

Josef und Maria verwunderten sich, dass ein fremder Mann das göttliche Kind erkenne und solche Worte rede. Simeon aber segnete sie und sprach zu Maria: Dieses Kindlein wird Vielen in Israel zum Falle, und Vielen zur Auferstehung gereichen. Es wird ein Zeichen sein zum Widerspruche und Schwert wird durch deine Seele dringen.

Kaum hatte der Greis Simeon seine Weissagung ausgesprochen, so kam Anna herbei, eine 84-jährige Witwe – auch sie pries den Herrn und verkündete wie Simeon laut die Ankunft des Erlösers.

Alles dieses, Schloss Bruder Martin, trug sich mit dem neugeborenen Kindlein zu, dreißig Tage nach seiner Geburt, und Alles, was jene erleuchteten Menschen prophetisch von ihm vorausgesagt hatten, sollte buchstäblich in Erfüllung gehen.

Lass dich, Jesus, von mir preisen,
Der zu unserem Heil erschien;
Dank und Ehrfurcht zu erweisen,
Bet‘ ich an dich auf den Knie’n!
Heiland, dich als Kind ich grüß‘!
Jesus! Name hold und süß.

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Übersicht hier:

Der heilige Weihnachtsabend und das Krippelein,

und was Bruder Martin dabei den Kindern erzählt.


Die Kinder waren an der Hand ihrer Eltern erwartungsvoll in die, nur schwach von dem Feuer des Öfleins erhellte Zelle, eingetreten. Im Hintergrund bemerkte man den geschäftigen Bruder Martin, halb verhüllt von einem Vorhang von Binsengeflechte. – Nach einer Weile kam er hervor, seine Gäste zu begrüßen und ihnen Plätze anzuweisen, wo sie Alles gut sehen konnten.

Der Alte schritt wieder gegen die Wand, – die Kinder verhielten den Atem, – man hätte ein Mäuslein in dem engen Raume laufen hören. – Jetzt sank die Verhüllung, und: – o, wie schön! Tönte es wie aus einem Munde. – Die Kleinen klatschten vor Freude in die Händchen, während die Größeren sich schweigsam dem Eindrucke der lieblichen Erscheinung hingaben.

So etwas Herrliches hatten die guten Schwarzwälder-Kinder ihrer Tage des Lebens noch nicht gesehen.

In Mitten der Landschaft, welche die ganze Wandvertiefung ausfüllte, erblickte man zwischen Felsen und Bäumen einen Stall, in welchem Maria und Josef zu sehen waren, nebst den Hirten, welche betend das zarte, in der Krippe liegende, süß schlummernde Christkindlein umstanden.

Über der heiligen Familie schwebte ein strahlender Stern sowie liebliche Engelsgestalten, welche ein Band in den Händen hielten, worauf in goldener Schrift die Worte standen: „Gloria in excelsis Deo.“ In den grünen Wiesen um den Stall weideten die Lämmer, und hoch oben auf zackigem Felsgestein sah man die Stadt Bethlehem, vor deren Tore der Wächter soeben Mitternacht rief.

Als der erste Eindruck der Überraschung bei den Zuschauern vorüber war, ging das Fragen an, so dass der gute Martin nicht schnell genug auf alles antworten konnte.

Klärchen wollte wissen, warum denn das Christkind allein nur auf Stroh und in gar keinem guten Bettlein liege. Und Wolfgang fragte, wer den Hirten denn schon gesagt habe, dass das Christkindlein heute Nacht auf die Welt gekommen sei und wer in der schönen Stadt auf dem Berge wohne usw..

Ich sehe wohl, sagte Bruder Martin lächelnd, daß ich Euch alles von Anfang bis zu Ende erzählen soll. Und wenn Ihr mir versprecht, hübsch still und aufmerksam zu sein, so will ich es herzlich gerne tun.

O ja! riefen die Kinder, wir bitten darum. Und auch den Ältern war es erwünscht, die lehrreichen Geschichten wieder einmal im Zusammenhange zu hören, was ihnen in dieser Einöde, entfernt von einem geistlichen Lehrer, nicht oft zuteil ward.

Zuerst, begann Bruder Martin, muss ich Euch von dem Vorläufer Christi sagen: – welches von euch Kinder weiß seinen Namen?

Johannes der Täufer, antworteten die Größeren, und die Kleineren wiederholen: ja Johannes.

Richtig! nahm Martin wieder das Wort. – Zur Zeit des Königs Herodes lebte in den Gebirgen Judäas ein Priester mit Namen Zacharias und seine Frau, welche Elisabeth hieß; beide waren fromm und gottesfürchtig wie Wenige im Lande, und hatten keine Kinder und waren schon wohl auf Jahren. Längst hatten sie alle irdischen Hoffnungen aufgegeben; nur Eines wünschten sie noch zu erleben: die Geburt des verheißenen göttlichen Königs.

Den Priester Zacharias hatte wieder einmal das Loos getroffen, im Tempel zu Jerusalem dem Herrn zu dienen, als er im priesterlichen Gewande in das Heiligtum getreten, während das Volk draußen betete, erschien ihm ein Engel Gottes. – Zacharias erschrak, der Engel aber sprach zu ihm: Fürchte dich nicht, Zacharias, dein Gebet ist erhört, deine Gemahlin Elisabeth wird dir einen Sohn schenken und den sollst du Johannes heißen. An diesem Kinde wirst du Freude und Wonne erleben, und viele werden dich über seine Geburt freuen, denn er wird ein Liebling des Herrn sein. Wein und starke Getränke wird er nicht trinken, erfüllt vom Heiligen Geiste, wird er viele Israeliten zu Gott ihrem Herrn bekehren, und dem kommenden Erlöser die Wege bahnen.

Zacharias voll Erstaunen konnte kaum glauben, dass ihre Ehe in so hohem Alter noch mit einem Sohne gesegnet werden solle, und sprach zu dem Engel: Was soll mich von der Verheißung überzeugen? Der Engel antwortete: Ich bin Gabriel, der vor Gott steht, und bin gesandt, dir die Freudennachricht zu bringen. Und siehe – weil du meinen Worten nicht geglaubt hast, so wirst du stumm sein bis auf den Tag, an dem die Verheißung wird in Erfüllung gegangen sein.

Während dieses im Tempel geschah, wartete das Volk außerhalb auf Zacharias, und konnte nicht begreifen, warum er so lange im Heiligtum verweile. Als er endlich herauskam, bemerkten sie sogleich, dass ihm etwas Außergewöhnliches begegnet sein müsse. Er gab durch Zeichen zu verstehen, dass er stumm sei, und segnete schweigend die harrende Menge.

Seht, Kinder! sagte Bruder Martin, so war denn das Außerordentliche und Wichtigste, was ich seit der Geschichte der Menschheit zugetragen: die Geburt des lang verheißenen Heilandes, auch auf außerordentlichem Wege angekündigt von einem der erwählten, seligen Geister, welche um den Thron des Höchsten stehen.

Zur selben Zeit, fuhr der Erzähler fort, lebte in dem kleinen Städtlein Nazareth, welche ihr, liebe Kinder, hier auf dem Felsen abgebildet sehet, Maria, eine Jungfrau aus dem Geschlecht des Königs David; Joseph, ein Zimmermann, hatte das Versprechen, sie mit der Zeit einmal zur Ehe zu bekommen. Maria war arm an irdischen Gütern, aber reich an Gottesfurcht und Demut. Ihr liebendes Gemüt sehnte sich, wie viele gute Seelen jener Zeit, voll Gottvertrauen auf die Ankunft des verheißenen göttlichen Erlösers.

Als sie einst in ihrem einsamen Kämmerlein zu Gott betete – da trat auf einmal, umflossen von himmlischer Glorie, der Engel zu ihr und sprach: Gegrüßet seist du Holdseligste, der Herrn ist mit dir, du Gesegnete deines Geschlechtes!

Maria erschrak und dachte: welch ein Gruß ist das? Der Engel aber sprach: Fürchte dich nicht, Maria! denn du hast Gnade gefunden vor Gott, du wirst die Mutter eines Sohnes werden, dem du den Namen Jesus geben sollst. Dieser wird groß sein, und der Sohn des Allerhöchsten genannt werden, Gott wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakobs ewiglich, sein Reich wird ohne Ende sein.

Maria fragte verwundert: Wie kann das sein, Ich weiß ja von keinem Manne?

Der Engel aber sprach: Der Heilige Geist wird über dich herabkommen, darum wird dein heiliges Kind – Sohn Gottes genannt werden, auch Elisabeth deine Base, wird einen Sohn erhalten, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.

Maria antwortete in Demut und Vertrauen: Ich bin eine Dienerin des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort! Der Engel aber verschwand.

Kurze Zeit darauf machte Maria eine Reise über das Gebirge, um Elisabeth, ihre Base, zu besuchen. Diese, als sie die heilige Jungfrau erblickte, kam ihr entgegen und begrüßte sie voll des heiligen Geistes: Gesegnete deines Geschlechtes, rief sie, wie kommt es, dass die Mutter meines Herrn mich heimsucht? O selig bist du, dass du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn.

Und Maria sprach voll himmlischer Freude:
Hoch preiset meine Seele den Herrn, und mein Geist frohlockend in Gott, meinem Heilande. Denn er hat angesehen die Niedrigkeit seiner Magd. Siehe, von nun an werden mich selig, preisen alle Geschlechter: denn Großes hat an mir gethan, der da mächtig ist, und deß Name heilig ist. Er ist barmherzig denen, die ihn fürchten. Er übet Gewalt mit seinem Arme, zerstreuet, die da hoffärtig sind in ihren Herzend Sinne. Die Mächtigen stößt er vom Throne und erhört die Niedrigen. Die Hungrigen erfüllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich Israels an, seiner Dieners: eingedenk seiner Barmherzigkeit, die er gesprochen hat zu unseren Vätern, zu Abraham und seine Nachkommen auf ewig.

Dieses, meine Kinder, fuhr der Waldbruder fort, nennt man den Lobgesang Maria’s, wie ihn uns der heilige Evangelist genau verzeichnet hat.

Bevor wir nun zur Geburt Christi kommen, muss ich euch noch etwas von Johannes erzählen.

Als die Weissagung des Engels in Erfüllung gegangen war und Gott dem Zacharias und der Elisabeth wirklich einen Sohn geschenkt hatte, berieten die Anverwandten des frommen Ehepaars lange, wie das Kind heißen solle. Zuletzt wurden sie einig, dass es seinen Vatersnamen Zacharias haben müsse. Aber die Mutter sagt: nein, er soll Johannes heißen. Die Anverwandten machten Einsprache in der ganzen Freundschaft, sagten sie, ist ja kein Mensch, der also heißt, und winkten dem Vater, wie er ihn nennen solle. Zacharias aber war noch immer stumm. Er forderte ein Täfelein und schrieb: Johannes ist sein Name. Im nämlichen Augenblicke bekam er zur Verwunderung aller die Sprache wieder und pries mit lauter Stimme den Herrn und weissagte von dem Kinde: dass es ein Prophet des Höchsten heißen und vor dem Herrn hergehen werde, damit er seine Wege bereite.

Und siehe! alles dieses ging genau in Erfüllung. Der Knabe wuchs und ward stark im Geiste, und als er größer geworden war, begab er sich in die Wüste und blieb daselbst bis zur Zeit, wo er öffentlich auftreten sollte, wie es von ihm vorausgesagt war.

Während dieses geschah, begab es sich, dass ein Engel des Herrn dem Joseph im Traume erschien und ihm offenbarte, dass Maria auserwählt sei, Mutter des Sohnes Gottes zu werden, und dass er Maria zu sich nehmen und das Kind Jesus heißen solle.

Ehe jedoch der Messias geboren ward, erschien ein Befehl des Kaisers Augustus, dass alle Untertanen des Römischen Reiches sollen eingeschrieben werden. Jedermann müsse daher in die Stadt gehen, wo sein Geschlecht herstamme, um sich da zu melden.

Maria und Josef waren aus dem Geschlechte Davids, daher machten sie sich gehorsam nach den weltlichen Geboten auf den Weg und zogen nach Bethlehem, der Vaterstadt des Königs David.

Es war Abend, als sie dem Städtlein ankamen. Schon waren viele Fremde da, die sich wollten einschreiben lassen; alle Häuser waren überfüllt. Vergebens suchte Joseph für sich und Maria eine Herberge. Überall wurde er abgewiesen. – Bei den letzten Häusern des Städtleins fand er endlich eine Höhle, welche arme Hirten und ihren Herden zum zeitweisen Aufenthalte diente. In diesem Orte nahmen sie ihre Nachtherberge. – Hier kam nun das Christkindlein zur Welt. – Maria wickelte es in Windeln und legte es, weil sonst nirgends ein besseres Plätzlein war, in die Krippe.

Aber warum hat es denn nicht einmal ein Bettlein? fragte Klärchen. Darum, sagte die Mutter, dass die Menschen schon bei seiner Geburt sehen sollten, Arm und Reich gelten bei ihm gleich, und dass es nicht auf äußerliche Güter und Reichtümer ankomme, sondern auf Tugend und Heiligkeit.

Ganz richtig, fiel der Bruder Martin ein, nun wirst du auch hören, Wolfgang, wie den Hirten die Ankunft des Erlösers kund ward. – Die guten Leute hielten eben die Nachtwache bei ihren Herden, als Engel über ihnen erschienen und verkündigten: dass in dieser Nacht der Heiland geboren worden sei, in Bethlehem der Stadt Davids. Das Zeichen, woran sie dies erkennen würden, solle sein, dass sie ein Kind in Windeln eingewickelt in der Krippe liegend finden würden.

Nach diesem erschien neben dem Engeln die Menge der himmlischen Heerscharen, welche Gott lobten und sangen: – Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden den Menschen, die eines guten Willens sind.

Die Engelschöre verschwanden; die Hirten aber sagten zueinander: Kommt, wir wollen nach Bethlehem gehen und das Wunder sehen, welches uns die Engel verkündet haben. Und sie liefen eilends fort und fanden in ihrer Hütte die heilige Familie, Maria und Joseph, und in der Krippe das Christkindlein.

Ja, rief der kleine Wolfgang, auf die Darstellung an der Wand zeigend – da bringen die Hirten dem Christkindlein ihre Schäflein und Blumen vom Felde, dort auf dem Berge ist die Stadt Bethlehem und dahinten kommt der Mond –

Und die Englein oben singen das Gloria – nicht wahr, Mutter? fragte Klärchen. Ja, erwiderte diese; sehet, die Hirten haben dem heiligen Joseph und der heiligen Jungfrau Maria alles erzählt, was sie von den Engel gehört hatten, und Maria, die glückseligeste aller Mütter, war hocherfreut darüber und behielt alle Worte in ihrem Herzen.

Wie das Christkindlein so schön die Händchen ausstreckt! rief Wolfgang; -damit will es sagen, erklärte die Mutter, dass alle Kinder zu ihm kommen sollen – um so gut und fromm zu werden wie es selbst, und dass es allen Menschen hilfreich die Hand reichen wolle.

Zum Schlusse, sagte Bruder Martin, will ich euch noch ein schönes Weihnachtslied lernen, und sehen, wer es von euch am besten auswendig lernt und morgen, am heiligen Weihnachtsfeste, wenn ihr Alle wieder zu mir kommt, ohne Fehler hersagen kann:

Weihnachts-Liedchen von J.W. Kalliwoda, gespielt von Ursula Albert.

Gotthard hatte sich ein Blatt Papier erbeten, um das Liedlein aufzuschreiben. –

Lange verweilten Alle noch freudig und betend vor dem Kripplein; es war schon beinahe Mitternacht, als die gute Familie dankend und erfüllt von dem anmutigen Eindrücken des heiligen Abends auf den Heimweg sich begab.

Fortsetzung hier

Übersicht hier:

Mit was sich die Kinder des Kohlenbrenners Christoph beschäftigen,

und wie sie den Bruder Martin zuweilen besuchen.


Christoph, der Kohlebrenner hatte mehrere Kinder, welche oft zu dem freundlichen Waldbruder in seine Felsenwohnung kamen. Besonders geschah dies zur Winterszeit, wo die Kinder nicht wie im Sommer im Wald und Feld beschäftigt waren; denn alle, das Kleinste ausgenommen, waren beflissen, ihren Eltern bei der Sorge für den täglichen Lebensunterhalt getreulich an die Hand zu gehen.

Gotthard, der älteste Knabe, war stets der Gehilfe des Vaters auf dem Kohlplatz im Walde. Ein kleines hölzernes Hüttlein war ihre Wohnung, wo sie ihre Suppe kochten und nachts je einer von ihnen der Ruhe genoß, während der andere draußen bei dem brennenden Meiler die Wache hielt, um fleißig zu schüren und acht zu haben, dass der Haufe nicht in Flammen gerate, weil alsdann das Holz, statt langsam zu verkohlen, in Asche verwandelt würde.

Das war denn für den jungen Gotthard eine Lust, wenn er in stiller Nacht beim glühenden Meiler stand, über ihm das endlose Heer der Sterne und alles rund umher, so geheimnisvoll und lautlos, und nur das Wasser rauschte im fernen Waldthale.

In solchen Augenblicken wurde das Herz des Jünglings oft wunderbar bewegt, und Worte und Sprüche kommen ihm in den Sinn, die er von Bruder Martin oder sonst gehört hatte. Fast unbewußt lispelte dann sein Mund die Worte:

„Wenn ich, o Schöpfer Deine Macht,
Die Weisheit Deiner Wege,
Die Liebe, die für alle wacht,
Anbetend überlege:
So weiß ich von Verwundrung voll,
Nicht wie ich Dich erheben soll,
Mein Gott, Mein Herr und Schöpfer.“

Und wenn nach treu durchwachter Nacht der erste Strahl des Lichtes die Dämmerung verscheuchte, so unterließ der junge Köhler nie, sein andächtiges Morgengebet zu sprechen. Während Gotthard also im Walde seine Geschäfte betrieb, half Christine, die ältere Schwester auf andere Art den ihrigen das tägliche Brot verdienen.

An die heimatliche Waldgegend stieß eine große weite Ebene, in welcher viele Bauern hausten, die so viel Korn und Gerste pflanzten, dass sie zur Erntezeit mit den eigenen Leuten nicht ausreichten und fremde Schnitter und Schnitterinnen brauchten, die ihnen das Getreide schneiden und unters Dach bringen helfen mußten. In diese Gegend nun zog auch Christine, wo sie als fleißige Schnitterin Dienste tat, und Klärchen, ihr jüngeres Schwesterlein, begleitete sie, um dort mit Ährenlesen sich zu beschäftigen.

Unter Segnungen und Ermahnungen wurden die beiden Mädchen jedes Mal von der Mutter entlassen, wenn sie von Hause weg in die Ebene, zu den Bauern zogen.

Frühe vor Tag, beim ersten Hahnenschrei, zogen sie alsdann dort hinaus mit dem übrigen Gesinde auf die Kornfelder; und während Christine mit den Anderen rüstig die Sichel handhabte, oder die Frucht in Garben binden half, folgte Klärchen mit ihrem Säcklein hinten nach, die verzettelten, liegengebliebenen Ähren aufzulesen; und wenn nach heißem Vormittag die Schnittersleute rings im Schatten eines Baumes sich gelagert hatten, um ihr Mittagsmahl einzunehmen, wurde jedes Mal das fleißige Kind herbeigerufen und zu Gaste geladen.

Nach vollbrachter Tagesmühe, wenn der Mond und sein Begleiter, der liebliche Abendstern, bereits die laue Sommernacht bestrahlten, zogen sie unter munteren Gesängen heim in die Dörfer und Höfe ihrer Dienstherren, wo die warme Suppe oder das Habermuß für die Heimgekommenen schon auf dem Tische dampfte. Auch hier durfte die Kleine wieder bei den anderen Platz nehmen und nach Belieben zugreifen; aber nie geschah dieses, ohne vorher ein andächtiges Tischgebet gesprochen zu haben. Ebenso auch beim Schlafengehen, wenn beide noch so schläfrig und müde in die finstere Kammer kamen, unterließ die Ältere nie, mit der kleinen Schwester ihr Sprüchlein herzusagen.

Nach der Erntezeit, wenn die Schwalben und Störche sich zum Wegzuge rüsteten, wanderten auch die beiden Schwestern wieder ihrer Heimat zu. Christine mit ihrem wohlverdienten Lohn in der Tasche und Klärchen mit einem Sack voll Lesefrucht, dessen größte Hälfte oft noch vom Bruder auf einem Karren abgeholt werden mußte.

Später, wenn schon kalte Winterstürme über die toten, schneebedeckten Fluren sausten und Alle Arbeit in Feld und Wald einstellten, besuchten die Kinder fast täglich den Bruder Martin. Als sie nach längerer Zeit wieder einmal dahin kamen, um zum Ersten Mal den Bären erblickten, wie dieser behaglich ausgestreckt vor dem Eingang der Hütte lag, fürchteten sich die Kleinen und wollten wieder umkehren. Wolfgang, der Jüngste unter den Geschwistern, schrie und lärmte aus Leibeskräften, so dass Bruder Martin schleunigst herbeikam, um zu sehen, was vorgefallen sei. – Er ging den Kindern entgegen und führte sie in die Zelle, wo sie bald mit Bläß so vertraut wurden, dass sie mit ihm, wie mit einem Pudel, spielen und allerlei Possen treiben durften.

Die Klause des Waldbruders war überhaupt der Lieblingsaufenthalt der Kinder. Es war auch gar kurzweilig bei dem guten Altvater. Nicht nur die Kinder fühlten sich heimisch bei ihm, auch die scheuen Tiere des Waldes fanden sich angelockt, in seiner Nähe zu kommen. – Es schien, als verbreite der stille Gottesfriede in der Umgebung des heiligen Mannes seine gewinnbringende Macht auch auf die wilden Bewohner der Wildnis.

Gar lustig war es anzusehen, wenn morgens früh die Vögelein dicht geschaart in den Zweigen der Eiche über der Felsenzelle saßen, und wie dann beim Heraustreten des Waldbruders alle zumal mit großem Geschrei um ihn herum flatterten und das Frühstück forderten, welches er ihnen gewöhnlich zu bringen pflegte. – Im Winter, wenn Bäche und Bächlein zugefroren, kamen in kalten, mondhellen Nächten oft ganze Rudel Hochwild, Hirsche und Rehe aus den Wäldern um an dem Brünnlein vor der Hütte ihren Durst zu löschen, oder das Wischlein Heu wegzuschmausen, welches der Bruder für sie hingeworfen hatte.

Manchen Tieren behagte es so sehr in Martins Klause, dass sie für immer daselbst ihre Wohnung aufschlugen. Oben im Dache zum Beispiel hatte sich ein paar wilde Tauben eingenistet. Im Inneren leistete ein zahmes Eichhörnchen dem heiligen Bruder beständig Gesellschaft und belustigte ihn durch seine Sprünge. Und wenn er ausging, so setzte sich das mutwillige Tierlein in die Kapuze seines härenen Gewandes und machte keck den Spaziergang mit.

Nebst solcher Kurzweil fanden die Kinder auch sonst noch allerlei nützlichen Unterricht bei ihrem Freunde. Nicht nur im Lesen und Schreiben unterwies er sie. Auch im Strohflechten und anderen Handarbeiten machte er ihr Lehrer. – Das Liebste jedoch war den Kleinen, wenn er ihnen erzählte: von Kain und Abel, vom ägyptischen Joseph, vom Hirtenknabe David, von Daniel in der Löwengrube und anderen biblischen Geschichten.

Die größte Freude verursachte ihnen aber die Art und Weise, wie der freundliche Altvater sie am heiligen Weihnachtsfeste überraschte.

Es war dies ein sogenanntes Kripplein, oder eine bildliche Weihnachtsvorstellung.

Einige Wochen vor der heiligen Weihnachtszeit hatte Martin seine Freunde in dem Kloster besucht und dort einen alten Mönch kennengelernt, welcher in der Bildhauer und Malerkunst wohl erfahren war. Dieser Meister hatte unserem Bruder als Beweis seiner besonderen Zuneigung verschiedene schöne, hübsch bemalte Figürchen, die heilige Familie und mehr anderes vorstellend, zum Geschenke gemacht. Bruder Martin hatte sich vorgenommen, dieselben zur Freude und anmutigen Belehrung der Kinder in passenden Gruppen in seiner Zelle aufzustellen. – Kaum konnten die Kinder die Zeit erwarten, wo die Herrlichkeiten alle enthüllt und ihnen gezeigt werden sollten. – Klärchen und Wolfgang zählten Tage und Stunden bis zum heiligen Tag, – denn bis dahin hatte der gute Martin sie zu vertrösten gesucht.

Mit Hilfe des Kohlbrenners Christof hatte Martin eine nischenförmige Vertiefung in die Wand seiner Zelle gemeißelt und aus Moos und Rinde eine artige Landschaft hineingebaut. Ein malerisches Gebirge mit einer Hütte, im Hintergrund eine Stadt mit vielen Türmen. In dieser Berglandschaft, welche das Heilige Land vorstellen sollte, wurden die Figürchen postiert und befestigt. Der heilige Tag nahte heran. Die Kinder konnten vor Freude und Erwartung die ganze Nacht vorher kein Auge zutun, und das kleine Klärchen fragte alle Augenblicke die Mutter, ob denn das Christkind noch nicht komme und warum es so lange nicht morgen sei.

Am Heiligen Abend begaben sich die Kinder, begleitet von ihren Eltern, zu Bruder Martin: was sie jedoch dort Freudiges sahen und hörten, soll im nächsten Kapitel ausführlich dargestellt und erzählt werden.

Deines Heiles mich zu freuen,
Laß mein Herz dein eigen sein;
Heiland, Dir will ich es weihen,
Ewig, ewig sey es Dein!
Komm‘ und bringe uns den Frieden,
Den Du Jenen hast beschieden,
Die da guten Willens sind;
Komm zu uns, O göttlich Kind!

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Wie Bruder Martin einen Gesellschafter bekam,

und wie ihm dieser das Leben rettete.

Eines Tages ging Bruder Martin in den Wald, um dürres Holz zu holen, womit er Feuer in seiner Zelle machen wollte, weil die Witterung rau und unfreundlich zu werden begann. Eine ziemliche Strecke war er schon unter den hohen Tannen fortgewandelt, als plötzlich ein großer Bär aus dem Gebüsche brach und schnurstracks auf ihn zukam. – Der gute Mann erschrak nicht wenig, es stand ihm nichts zu Gebote, womit er sich wehren konnte, als etwa der Stock, auf den er sich im Gehen stützte. – Zu seiner Verwunderung jedoch gebärdete sich das Tier demütig und gar nicht unartig, wie sonst Bären tun. Es winselte kläglich und hinkte, indem es die vordere Tatze in die Höhe hob. Auf den verdutzten Waldbruder zu. Dieser merkte jedoch bald, wo es dem Tiere fehle. Er sah, dass in der aufgehobenen blutigen Tatze ein scharfer Dorn steckte. Es gelang ihm, den Splitter herauszuziehen, und da in der Nähe ein Bächlein floss, so wusch er sorgfältig die blutende Wunde und verband die mit feuchtem Moos und Waldgras.

Der Bär bezeigte sich dankbar, was sonst nicht Sache wilder Tiere ist. Er leckte seinem Arzte erkenntlich die Hand, brummte, als wolle er sich bedanken, und lief fort in das Dickicht.

Der Waldbruder ging wieder an sein Geschäft, und wollte eben sein Holzbündel schnüren, als er abermals im Gebüsch rauschte und der schnaubende Bär zum Zweiten Male zum Vorschein kam. Diesmal hielt er ein Kaninchen im Rachen, welches er im Walde erjagt hatte und jetzt seinem Wohltäter zu Füßen legte. Der fromme Bruder lächelte, dankte Gott für den Braten, legte das Thierlein oben auf den Bündel und schickte sich an, die Last auf die Schultern zu heben und nach Hause zu tragen. Aber siehe, der Bär suchte dieses zu verhindern, und gab durch Brummen und allerlei Bewegung zu verstehen, dass er dieses Geschäft verrichten wolle. Als Bruder Martin sah, dass der Bär sich durchaus nicht anders zufrieden geben wolle, legte er ihm die Bürde auf den zottigen Rücken, befestigte sie mit einem Strick, den er um den Leib des Tieres schlang, und trat in Gottes Namen mit seinem Begleiter den Heimweg an.

Das treue Tier war vor dieser Zeit so anhänglich, dass es nicht mehr von seinem Wohltäter weichen wollte. Der Waldbruder gab ihm den Namen Bläß und wies ihm ein eigenes Plätzlein in der Höhle an. Der neue Hausbewohner zeigte sich so gelehrig, dass er bald allerlei Geschäften verrichten konnte. – Jedesmal, wenn der Bruder in das Holz ging, so begleitete ihn Bläß und trug ihm wie ein fleißiger Knecht die Bürde heim: auch beim Hüten der Ziegen war er zu gebrauchen; er bewachte die Tiere wie ein Hund und trieb sie abends von selbst wieder in den Stall, und was das Beste bei alldem war Bläß sorgte selbst für seine Nahrung: jeden Morgen früh vor Tag begab er sich in den Wald, um zu jagen, und selten kehrte er zurück, ohne auch etwas von dem Fange, seinem Herrn zum Frühstück mitzubringen.

Einmal rettete sogar der Bär dem Waldbruder das Leben. – Ein verzweifelter Mensch, der nur von Raub und Diebstahl lebte, hielt sich seit einiger Zeit in den umliegenden Wäldern auf. Er hatte bei einer alten heidnischen Zigeunerin, welche sich mit Wahrsagen und anderem untrüglichen Künsten abgab und im Walde wohnte, bereitwillig Unterkunft gefunden. Dieses böse Weib aber war gegen den Bruder Martin feindselig gesinnt wegen seiner Frömmigkeit und Gottesfurcht, und weil er die Leute im Guten unterwies und vor Irrtümern zu bewahren strebte. Sie hatte ihrem Schützlinge, dem Räuber, vorgespiegelt, der Waldbruder besitze große Schätze und Wunderdinge, die er aus dem heiligen Lande mitgebracht habe: er sei im Besitze, suchte ihn das Weib glauben zu machen, eines Ringes mit einem köstlichen Karfunkelstein, welcher die Kraft habe, dass demjenigen, der ihn trage, das Geld in der Tasche nie ausgehe; auch ein Tischlein habe er, dem man nur die Worte: Tischlein deck dich! zurufen dürfe, um sogleich die ersten Leckerbissen und köstlichsten Weine darauf serviert zu sehen. – Dem abergläubischen, genugsüchtigen Menschen wässert sich schon im Voraus der Mund nach diesen Kostbarkeiten, und er beschloß, den frommen Bruder zu ermorden und ihm alles zu rauben.

In einer finsteren Nacht schlich er sich zur Klause des guten Mannes. Schwarze, im Winde vorüberziehende Wolken verdeckten das Licht des Mondes. Geräuschlos hatte der Bösewicht den Zaun am Eingang der Wohnung erstiegen, und sich stille durch die offene Türe, welche der Waldbruder zuzuriegeln vergessen, in die Zelle eingeschlichen. – In der Hand ein scharfes Beil, näherte er sich dem Orte, wo er, wie er wähnte, den Waldbruder laut schnarchen hörte. – Schon hob sich die mit dem Mordinstrumente bewaffnete Hand – da ertönte urplötzlich ein entsetzliches Brummen. – Eben tritt der Mond hinter den fliehenden Wolken hervor und wirft seine Strahlen durch die offene Tür der Hütte. – Welch ein Todesschrecken! – Eine furchtbare zottige Gestalt richtet sich vor dem entsetzten Räuber auf und schlägt ihn mit gewaltiger Tatze zu Boden. – Der entsetzte Bösewicht glaubt nicht anderes, als den leibhaftigen Satan vor sich zu haben: – Pardon! Schreit er heulend und zähneklappernd, Pardon, gnädiger Herr, verschont mich nur diesmal noch, ich will euch ja gern Seele und Leib verschreiben – und alles tun, was ihr wollt – nur schenkt mir das Leben. Bruder Martin, den dieser Lärm vom Schlaf erweckte, erstaunte nicht wenig, eine so seltsame Szene vor sich zu sehen. Der ergrimmte Bär war eben im Begriff, dem bebenden Räuber seinen Lohn zu geben, als der Bruder schnell von seinem Lager aufsprang, und dazwischen tretend, abwehrte. Der Bär ließ seinen Mann los und zog sich brummend zurück.

Der Waldbruder aber wendete sich zu dem zitternden, im Mondlicht auf dem Boden liegenden Menschen und fragte, was ihn hierher führe und was er wolle. Der zerknirschte Räuber gestand sogleich sein böses Vorhaben und bat, indem er die Knie des heiligen Mannes umfaßte, flehentlich um Verzeihung. – Bruder Martin, der die Gefahr, in welcher er geschwebt, überschaute, blickte gen Himmel und sprach mit den Worten des Psalmisten:

Herr! lehr‘ uns, unsere Tage zählen, * Dass unsre Herzen Weisheit lernen.
Ergieß‘ in uns der Gnadenfülle, * Und leit und stets auf Deinem Wegen.
Sey unser Schild und unsre Stärke, * Wenn Todesschrecken sich uns nahen.

Dann sprach er zu dem Räuber: Siehe, Unglücklicher, wie Gott die Absichten seiner Feinde zu nichte macht, und wie schwach ein böser Mensch ist; doch der Herr will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bessere und auf dem Wege der Tugend wandle!

Der Räuber bat unter Tränen wiederholt um Vergebung und legte auch über seine früheren Missetaten ein reumütiges Geständnis ab.

Bruder Martin, welcher sah, dass es dem Manne mit seinem Vorsatz, sich zu bekehren, ernst sei, behielt ihn einige Tage bei sich, um durch Unterricht und Ermahnungen redlich das Seinige zur gründlichen Besserung des Reuigen beizutragen. Er hatte gefunden, dass bei dem unglücklichen Menschen, der zwar dem Namen nach ein Christ war, mehr Unwissenheit und gänzliche Vernachlässigung seiner Erziehung obwallte, als ein böses von Grund aus verdorbenes Herz. Denn als er ihn zum erstenmal fragte: ob er auch etwas von dem Christkinde wisse, welches vom Himmel herabgekommen, die Menschen zu beseeligen? antwortete der verkommene Mensch ganz verwundert: was denn das für eine Geschichte sei? – davon habe er noch nichts gehört. – Der fromme Mann entsetzte sich über diese Verwilderung und erzählte ihm auf das Liebreichste die Geschichten aus der heiligen Schrift und ihre göttlichen Lehren.

Die Bemühungen des guten Bruders waren vom besten Erfolge begleitet; seine Worte fielen wie guter Same in ein frisch gepflügten Erdreich. Der väterlich gesinnte Mann veranlaßte in der Folge seinen Freund Christoph, dass er den Neubekehrten als Köhlerknecht in seine Dienste nahm, worüber der willige Mensch sehr erfreut war, weil er jetzt einsehen gelernt hatte, dass Müßiggang alles Übels Anfang, und der Weg zum Elend und zur Not sei.


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Wie Bruder Martin sein Hauswesen einrichtet,

und wie er die Tageszeiten eintheilt.

Christoph hatte sein Versprechen gemäß des anderen Tages, Haue, Schaufel und ein Beil mitgebracht, und die beiden Männer säumten keinen Augenblick, ihr Werk zu beginnen.

Zuerst wurde die Felskluft von dem üppig wuchernden Gestripp und Steingerölle gesäubert, bei welcher Arbeit viele Knochen großer und kleiner Tiere zum Vorschein kamen, woraus Bruder Martin schloß, dass die Höhle vor Zeiten, wenn nicht einem Drachen, doch wahrscheinlich Bären oder Wölfen zum Aufenthalte gedient haben müsse. Als die Kluft ausgeräumt und der Platz davor geebnet war, fällten die Männer im nahen Walde einige Stämme, um von deren Ästen und Zweigen eine Hütte mit Vordach in den Fels hineinzubauen. Nach diesem ging es an die Beschaffung der Tische und Bänke sowie auch einer Schlafstätte. Alles so einfach, wie es einem Waldbruder geziemt. Auf den Radtdes Köhlers wurde zuletzt noch ein starker Zaun von spitzigen Pfählen vor dem Eingang der Klause aufgeführt. Zur Vorsicht gegen wilde Tiere, denn die Wildnis des Schwarzwaldes beherbergten dazumal noch Wölfe, und auch Bären ließen sich hin und wieder in den Wäldern blicken.

Nachdem alles so weit hergerichtet war, dass ein Mensch zur Not daselbst wohnen konnte, entließ Martin seinen Freund unter vielen Dankesbezeugungen. Sie machten unter sich noch aus, dass sie auch ferner sich besuchen und stets nachbarsliche Freunde bleiben wollten.

Im Verlauf der Zeit war es dem Waldbruder Martin gelungen, ein Plätzlein an der nahen, steinigen Halde, wo sonst nur Heidekraut und einzelne verkrüppelte Tannen wuchsen, urbar zu machen und zum Gärtlein herzurichten. Hier wollte er den Sommer über Gemüse und einige taugliche Fruchtgattungen pflanzen. So sehr aber der emsige Mann auch mit Sorgen und Mühen für das Leibes Notdurft beschäftigt war, so vergaß er darüber doch niemals das Wesentlichere, nämlich seine Seele zu Gott zu erheben und in frommen Betrachtungen den unsterblichen Geist zu einem schöneren, ewig dauernden Leben vorzubereiten. Bei ihm wurde der Kernspruch unserer Vorälteren zur Wahrheit:

Das Herz bei Gott, die Hand bei der Arbeit.

Früh, wenn kaum der junge Tag im Osten graute, und das leuchtende Tagesgestirn noch hinter den dunkleren Wäldern verborgen lag, öffnete der fromme Bruder die Tür seiner Zelle, um Gott zu danken für den gesund erlebten Tag und seine Nacht und Güte zu preisen im Angesicht der großen, herrlichen Schöpfung.

Allmächtiger Vater, betete er dann, Du Morgenstern der ewigen Liebe, der Du die finstere Nacht verscheuchest und den Tag erleuchtest; – die ganze Natur verkündet Deine Macht und Größe, Dich verkündet das Morgenrot und der Strahl des kommenden Lichtes, der blinkende Tau und die farbigen Blumen; Dich preiset das laute Rauschen des Waldes sowie das Plätschern der Quelle; Dich lobet die Lerche in heiterer Luft und das Geschrei der Raben im hohen Bergwalde. – Herr aller Gewalten des Himmels und der Erde, Dir sei Lob und Dank, dass Du mich in dieser Nacht durch deine große Barmherzigkeit und Milde behütet hast. Verleihe, dass auch ich den heutigen Tage verlebe mit aller Liebe, Ausdauer und Geduld, in nützlicher Arbeit sowie in Gehorsam Deiner göttlichen Gebote. Behüte mich vor allem Übel des Leibes und der Seele durch deinen Sohn Jesum Christum, der gekommen ist, die Welt zu erlösen. Amen.

Nach dem Gebete schritt er zum quellenden Brünnlein, Gesicht und Hände zu waschen, dann erst begann sein Tageswerk.

Der Platz an der Felsenwohnung hatte nach und nach ein freundliches Ansehen gewonnen. Es war dem Bruder gelungen, im nahen Walde einige Kirsch- und Birnbäume zu bekommen, welche er vor den Eingang seiner Hütte pflanzte. – In einer Ecke des Gärtleins ward eine kleine Baumschule angelegt, um aus Kernen bessere Obstgattungen, welche Martin aus dem Rheintal mitgebracht, Bäumchen zu erziehen, und jene Wildstämme durch Pfropfen zu veredeln.

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Auch mit der Bienenzucht beschäftigte sich der tätige Altvater. Als er einst im Walde nach Wurzeln und Kräutern suchte, fand er an dürren Ästen einer Eiche einen Schwarm junger Bienen angehängt. Eiligst verfertigte er einen Korb aus Binsen und Waldgras, zog die Kapuze seines härenen Gewandes über den Kopf, um sich vor dem Stiche der Tiere zu sichern, und näherte sich vorsichtig, – schüttelte und der ganze Klumpen aneinander hängender Bienen fiel glücklich in den Korb, welchen er auf ein Stück Baumrinde stellte, um den noch außerhalb Umherschwärmenden Zeit zu lassen, sich ebenfalls in der neuen Wohnung ein Plätzlein zu suchen. – Nachdem Alles in Ordnung war, trug der erfreute Bruder die ganze Bescherung nach Hause, wo er den Korb in einem sonnigen, windstillen Winkel an der Felswand aufstellte.

Schon des anderen Tages flogen die fleißigen Tierlein aus, um auf dem blumigen Wiesen im Tale Wachs und Honig zu sammeln. Und das ganze Jahr darauf vermehrte sich der Schwarm, so dass der Bruder neue Körbe flechten, und ein eigenes Häuslein zu ihrer Unterkunft bauen mußte.

Der gegenseitige Verabredung gemäß kam Christoph, der Köhler, oft zu dem Waldbruder, um aus dem Munde des erleuchteten Mannes Worte der Belehrung und Weisheit zu hören. Der fromme Martin besaß nämlich die Gabe, sein schlichtes Wissen, sein starker Glaube und sein Gottvertrauen überzeugend auch auf andere überzutragen. Sein Geist sah in der Tiefe und erkannte die Quelle gar mancherlei Übel, so wie die Schwächen des menschlichen Herzens. Der Ruf seiner Heiligkeit und Weisheit hatte sich bald weit umher verbreitet. Leute von nah und fern kamen herbei, und allen war er Freund, Lehrer und Ratgeber.

Christoph, welcher dem frommen Vater sich gerne dankbar erweisen wollte, brachte ihm eines Tages eine Ziege mit ihren Jungen, welch‘ nützliche Haustiere mit ihrer Milch dem Waldbruder sehr wohl zu statten kamen, zumal der lange Winter die kargen Vorräte, welche die rauhe Gegend bot, oft nur all‘ zu früh zu Ende gehen ließ. Aus diesem Grunde hatte Martin auch ein Stücklein Feld neben dem Gärtlein aufgebrochen und mit etwas Hafer und Wintergerste angeblümt; ein Unternehmen, welches so gut einschlug, dass der Pflanzer von dem Ertrag der kleinen Ernte seinem Freund Christoph und anderen Waldbewohnern die Mittel zu ähnlichen Versuchen darreichen konnte. – Müßiggang war überhaupt dem tätigen Manne fremd; selbst wenn er an den öden Halden seine Ziegen hütete, mußte sein Geist oder die Hand Beschäftigung haben: Entweder vertiefte er sich im Lesen der heiligen Schriften, oder er fertigte mit geschickter Hand aus Binsenweiden oder Stroh künstliche Geflechte, welche zu Decken, Hüten oder Körben verarbeitet wurden.

Wenn dann unter solcherlei Tätigkeit das Ende des Tages heran genaht und die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, so beschloß er mit frommen Dankgebeten sein Tagwerk.

Allmächtiger! betete er, öffne meinen Mund Dich zu benedeien und zu loben Deinen heiligen Namen. Durch dich leuchtet der Mond und der liebliche Abendstern. Dein Hauch bewegt die ziehenden Wolken und die rieselnden Nebel, welche das tiefe Tal bedecken. Unter Deinem Schutze ruhe das Fischlein im Bache und das Wild in den Wäldern. Allen Geschöpfen schenkst Du Ruhe und Frieden. Aber dem Menschen allein gabst Du Vernunft und ein fühlendes Herz, damit er Dir Danke und Lob singe. Beschirmen mich, o Vater, diese Nacht, und befehle mich Deinen Engeln, damit ich ruhen möge unter dem Schatten ihrer Flügel, in Deinem Namen, o Herr, will ich schlafen, damit ich glücklich den Tag erlebe und Dir diene in diesem wie dereinst im ewigen Leben. Amen.

Die einbrechende Nacht stand unserem Waldbruder regelmäßig schon auf seinem Lager, wo bald ein erquicklicher Schlummer seine Augen schloß. Und ob Sturm und Gewitter auch seine Hütte schlugen oder in nächtlicher Stille Wölfe die Wohnung umheulten, – ihn schreckte nichts, denn ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen, und wer Gott vertraut, hat wohl gebaut.

Gott, der die Welten schuf und träg,
Der in sich selbst bleibt unbewegt,
Der Du des Lichtes Lauf beschränkst
Ser Tageszeiten Wechsel lenkst.

Schenk‘ uns am Abend, Herr, dein Licht!
Des Lebensgluth entzieh‘ uns nicht!
Führ‘ uns in sel’gem Tod erneut.
In deines Reiches Herrlichkeit!

Dies, Vater, gibt vom Gnadenthron,
Und Du, dem Vater gleicher Sohn,
Dem mit dem Geist, der Trost verleiht,
Sey Ehr‘ und Preis in Ewigkeit. Amen.

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Übersicht hier:

Bruder Martin



Ein Hausbüchlein für die Jugend,
von
Lucian Reich.

Mit Bildern von Heinrich Frank, Lucian Reich und Anderen,
nebst einer Musikbeilage von J. W. Kalliwoda.

Mit der Feder auf Stein gezeichnet
von J. Nep. Heinemann

Hüfingen, Steindruckerei von J. Nep. Heinemann.

1853