Wie Bruder Martin Haus und Hof verlässt und sich als Einsiedler in den Schwarzwald begibt.

Wie Bruder Martin Haus und Hof verlässt und sich als Einsiedler in den Schwarzwald begibt.

3. Dezember 2024 0 Von Hannah Miriam Jaag

Mit einer Zeichnung von Lucian Reich.

Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch von 1853 mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise.

Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript und ein paar Bildern vom Hieronymus.

Vor mehr als 300 Jahren lebte am Hofe eines mächtigen Herzogs, der in einer großen Stadt im Rheintal wohnte, ein Mann namens Martin. Seine Jugend hatte er meist im Kriege und auf den Heereszügen seines Herrn, des Herzogs, zugebracht. Ergraut in den Wechselfällen einer bewegten Zeit, hatte er manche Erfahrung und Lebensweisheit gesammelt. Es war ihm klar geworden, dass der Mensch sein Glück nicht allzu sehr in äußerlichen Dingen suchen dürfe, und dass nur der innere Friede und das Bewusstsein redlich erfüllter Pflichten die Seele wahrhaft glücklich mache. Er hatte gefunden, dass die Ruhe des Gemütes uns gar oft geraubt werde im Geräusche der Welt, und ihrem Haschen und Jagen nach eitlen, vergänglichen Dingen.

Längst war daher in ihm der Wunsch entstanden, den Rest seiner Tage in stiller Zurückgezogenheit, fern von dem Getriebe der großen Stadt zu beschließen. – Er verabschiedete sich von seinem Herrn, schenkte all sein Hab und Gut den Armen, und ergriff, mit Wenigem ausgerüstet, den Wanderstab.

Der Pilgrim wendete sich östlich gegen das hohe waldige Gebirge, welches man den Schwarzwald nennt.

Mehrere Tage war er schon gewandert und hatte bereits die finstere Schlucht des Höllentales durchschritten, als er auf eine Höhe kam, wo er, rückwärts blickend zum letzten Mal das Rheintal sah und dem silberglänzenden Strom, und der fernen im bläulichen Dufte verschwindenden Stadt, für immer Lebewohl zuwinkte.

Der rauhe, hochgelegene Schwarzwald war aber dazumal noch nicht so bewohnt und wegsam wie heut zu Tage. In den fast ununterbrochenen Tannenwäldern hausten nur hin und wieder einzelne Jäger, Holzmacher oder Kohlenbrenner, die im Dienste irgend eines Ritters oder Klosters ihre Geschäfte betrieben.


In den Tälern, wo rinnende Quellen und Bächlein üppige Matten bewässerten, lag da und dort ein Einödhof, um welchen zahlreiche Viehherden weideten, die den Hauptreichtum des Waldbauern ausmachten.

So schlicht und einfach die Menschen waren, die der Wanderer hier traf, so gastlich und herzlich war die Aufnahme, wenn er in den Hütten einsprach, um eine Erfrischung oder Herberge zu erbitten.


Einst, nach längerem Marsch, war er in ein düsteres Tal gekommen, wo im steinigen Bette ein wilder Waldbach rauschte. Die Sonne war längst hinunter, und Finsternis bedeckte die wenig begangenen Pfade. Schon hatte der Pilgrim alle Hoffnung aufgegeben, in dieser Wildnis ein beschützendes Dach zur Nachtherberge zu finden, als er unverhofft in einiger Entfernung Licht erblickte. Näher gekommen sah er ein hohes, mit Mauern umschlossenes Gebäude vor sich, welches auf einem Hügel über dem Bache lag. Es war ein Kloster. – Die hohen Fenster der Kapelle waren hell erleuchtet; die frommen Brüder hielten Gottesdienst, weil der morgige Tag ein Festtag war. – Eben rückte die glänzende Scheibe des Vollmondes über das dunkle Gebirge empor, – da ertönte von innen die Orgel und mit ihr die feierlichen Choräle. – Andächtig faltete der Pilgrim die Hände, und sein Herz hob sich mit den geheiligten Tönen des Liedes.


Als der Gesang verstummt und der Gottesdienst zu Ende war, klopfte der Fremdling an das Tor und bat den öffnenden Pförtner um Einlass und Nachtherberge, was beides ihm bereitwillig gewährt wurde. Die frommen Mönche nahmen den Pilgrim freundlich auf und fragten ihn, wo er hinzureisen gedenke. Nachdem er ihnen gesagt hatte, dass er gesinnt sei, in einer Einöde sein Leben als Waldbruder zu beschließen, machten sie ihm den Vorschlag, bei ihnen in dem Kloster zu verbleiben, was er jedoch, getreu seinem Gelübde, abzulehnen zu müssen glaubte.

Nur die Feiertage wollte er in den geheiligten Mauern zubringen, und dann wiederum weiterziehen.

Der Abt des Klosters, als er gesehen, dass der Gast durchaus nicht zum Bleiben zu bewegen sei, gab ihm die Erlaubnis, in den umliegenden Wildnissen, welche zum Kloster gehörten, sich niederzulassen wo und wie er für gut befinden würde. – Dankend und voll Vertrauen auf die göttliche Vorsicht, welche seine Schritte hierher gelenkt, schied der Pilgrim.

Nach zweitägiger, mühsamer Wanderung gelangte er an eine Stelle des Waldes, wo nebst einem rauchenden Meiler ein Kohlbrenner saß, welcher, sobald er den Fremdling gewahrte, aufstund, um ihm ehrerbietig zu begrüßen.


Der Angekommene ließ sich mit dem Manne in ein Gespräch ein und erfuhr von ihm, dass er ein Dienstmann des Klosters sei und seit frühester Jugend hier in diesem Walde die Kohlenbrennerei betreibe. Dass er Christoph heiße, Weib und Kinder habe und im benachbarten Tal ein Häuslein bewohne.

Martin, der noch mancherlei gefragt hatte, freute sich der verständigen Sinnesart dieses Mannes und teilte ihm sein Vorhaben mit, in dieser Gegend einsiedlerisch sich niederzulassen. Der Köhler that ihm hierauf zu wissen, dass hier in der Nähe eine geräumige Felsenhöhle sei, wo in der Vorzeit, wie er von seinem Großvater gehört, ein gräulicher Drache gehaust habe; daneben sei ein Brünnlein, welches im heißesten Sommer niemals versiegen und im Winter nicht zu friere, so wie eine sommerlich gelegene Halde, welche sich sehr gut zum Anbau eigne.

Der gute Martin erachtete diese Kunde für einen Fingerzeig Gottes und beschloß, den Platz einzusehen und sich daselbst niederzulassen. Der Köhler erbot sich zu bereitwilliger Mithilfe und lud, weil es schon Abend war, den Pilgrim ein, bei ihm in der Köhlerhütte zu übernachten und ein kleines Mahl daselbst einzunehmen; ein Vorschlag, den der müde Wanderer dankend und mit Freude annahm.

Am anderen Tag, früh morgens, geleitete Christoph seinen Gast zu der bezeichneten Höhle. Nach längerer Wanderung waren sie an einen Ort gekommen, wo eine wildbewachsene jähe Halde in ein tiefes Tal sich senkte. Oben in dem zackigen Gestein eines Granitfelsens fand sich eine leicht zugängliche Grotte, überragt von einer mächtigen Eiche, daneben das Brünnlein, welches ein terrassenförmiges, sonniges Wiesenplätzlein vergrünend bewässerte.

Die ganze Lage hat etwas Einladendes, heimliches; die aufgehende Sonne bestrahlte eben golden die Baumwipfel, in welchen vielstimmig der Vöglein Morgenlied erschallte.

Martin gerührt, und voll Dank gegen Gottes gütige Führung und Vorsorge, fiel auf die Knie, und drückte in den Worten des Psalms seine Empfindungen aus:

„Heil dem, sprach er, der in des Höchsten Schutze, * Im Schatten seiner Allmacht wandelt.
Er kann so sich mit Wahrheit sprechen: * Ich darf auf Gottes Hilfe bauen.
Flieh‘ ich zu Ihm in Angst und Nöten: *Ist Er mir eine Burg auf Felsen.
Mich werden seine Flügel bedecken. * Sein starker Arm wird mich beschützen.

Ein Schirm und Schild ist seine Treue. * Ich darf beim Grau’n der Nacht nicht zittern.
Beim Tage darf ich furchtlos wandeln. * Wenn Seuchen meinem Leben drohen.
Kein Unfall naht sich meiner Hütte, * Wenn ich den Ewigen vertraue.
Er hat den Engeln anbefohlen, * Auf allen Wegen mich zu tragen.
Und wenn ich seinen Namen ehre, * Nach seinem Reich vor Allem trachte:
So wird er mein Gebet erhören, * Aus jeder Lebensnoth mich retten;
Nach seiner Huld mich täglich speisen, * Gesunde Tage mir verleihen.
Er wird, bin ich des Pilgerns müde, * Das Heil der Ewigkeit mir zeigen.
Dem Vater und dem Sohne sei Ehre, * Und gleicher Ruhm dem heiligen Geiste.
So wie im Anbeginn der Zeiten, * So nun auch jetzt und dereinst ewig. Amen.

Nachdem der Pilgrim seinen Lobgesang geendet und sich wieder erhoben hatte, wurde verabredet, dass morgen schon die Vorbereitungen zur neuen Ansiedelung getroffen werden sollten. Christoph machte sich anheischig, das nötige Handwerksgeschirr herbeizuschaffen und einige Tage selbst mit Hand anzulegen.

Somit verließen die beiden Männer den Ort, um morgen mit Gottes Hilfe frisch ans Werk zu gehen.

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