Wie Bruder Martin sein Hauswesen einrichtet,
und wie er die Tageszeiten eintheilt.
Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch von 1853 mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise.
Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript und ein paar Bildern vom Hieronymus.
Hier das zweite Kapitel:
Christoph hatte sein Versprechen gemäß des anderen Tages, Haue, Schaufel und ein Beil mitgebracht, und die beiden Männer säumten keinen Augenblick, ihr Werk zu beginnen.
Zuerst wurde die Felskluft von dem üppig wuchernden Gestripp und Steingerölle gesäubert, bei welcher Arbeit viele Knochen großer und kleiner Tiere zum Vorschein kamen, woraus Bruder Martin schloß, dass die Höhle vor Zeiten, wenn nicht einem Drachen, doch wahrscheinlich Bären oder Wölfen zum Aufenthalte gedient haben müsse. Als die Kluft ausgeräumt und der Platz davor geebnet war, fällten die Männer im nahen Walde einige Stämme, um von deren Ästen und Zweigen eine Hütte mit Vordach in den Fels hineinzubauen. Nach diesem ging es an die Beschaffung der Tische und Bänke sowie auch einer Schlafstätte. Alles so einfach, wie es einem Waldbruder geziemt. Auf den Radtdes Köhlers wurde zuletzt noch ein starker Zaun von spitzigen Pfählen vor dem Eingang der Klause aufgeführt. Zur Vorsicht gegen wilde Tiere, denn die Wildnis des Schwarzwaldes beherbergten dazumal noch Wölfe, und auch Bären ließen sich hin und wieder in den Wäldern blicken.
Nachdem alles so weit hergerichtet war, dass ein Mensch zur Not daselbst wohnen konnte, entließ Martin seinen Freund unter vielen Dankesbezeugungen. Sie machten unter sich noch aus, dass sie auch ferner sich besuchen und stets nachbarsliche Freunde bleiben wollten.
Im Verlauf der Zeit war es dem Waldbruder Martin gelungen, ein Plätzlein an der nahen, steinigen Halde, wo sonst nur Heidekraut und einzelne verkrüppelte Tannen wuchsen, urbar zu machen und zum Gärtlein herzurichten. Hier wollte er den Sommer über Gemüse und einige taugliche Fruchtgattungen pflanzen. So sehr aber der emsige Mann auch mit Sorgen und Mühen für das Leibes Notdurft beschäftigt war, so vergaß er darüber doch niemals das Wesentlichere, nämlich seine Seele zu Gott zu erheben und in frommen Betrachtungen den unsterblichen Geist zu einem schöneren, ewig dauernden Leben vorzubereiten. Bei ihm wurde der Kernspruch unserer Vorälteren zur Wahrheit:
Das Herz bei Gott, die Hand bei der Arbeit.
Früh, wenn kaum der junge Tag im Osten graute, und das leuchtende Tagesgestirn noch hinter den dunkleren Wäldern verborgen lag, öffnete der fromme Bruder die Tür seiner Zelle, um Gott zu danken für den gesund erlebten Tag und seine Nacht und Güte zu preisen im Angesicht der großen, herrlichen Schöpfung.
Allmächtiger Vater, betete er dann, Du Morgenstern der ewigen Liebe, der Du die finstere Nacht verscheuchest und den Tag erleuchtest; – die ganze Natur verkündet Deine Macht und Größe, Dich verkündet das Morgenrot und der Strahl des kommenden Lichtes, der blinkende Tau und die farbigen Blumen; Dich preiset das laute Rauschen des Waldes sowie das Plätschern der Quelle; Dich lobet die Lerche in heiterer Luft und das Geschrei der Raben im hohen Bergwalde. – Herr aller Gewalten des Himmels und der Erde, Dir sei Lob und Dank, dass Du mich in dieser Nacht durch deine große Barmherzigkeit und Milde behütet hast. Verleihe, dass auch ich den heutigen Tage verlebe mit aller Liebe, Ausdauer und Geduld, in nützlicher Arbeit sowie in Gehorsam Deiner göttlichen Gebote. Behüte mich vor allem Übel des Leibes und der Seele durch deinen Sohn Jesum Christum, der gekommen ist, die Welt zu erlösen. Amen.
Nach dem Gebete schritt er zum quellenden Brünnlein, Gesicht und Hände zu waschen, dann erst begann sein Tageswerk.
Der Platz an der Felsenwohnung hatte nach und nach ein freundliches Ansehen gewonnen. Es war dem Bruder gelungen, im nahen Walde einige Kirsch- und Birnbäume zu bekommen, welche er vor den Eingang seiner Hütte pflanzte. – In einer Ecke des Gärtleins ward eine kleine Baumschule angelegt, um aus Kernen bessere Obstgattungen, welche Martin aus dem Rheintal mitgebracht, Bäumchen zu erziehen, und jene Wildstämme durch Pfropfen zu veredeln.
Auch mit der Bienenzucht beschäftigte sich der tätige Altvater. Als er einst im Walde nach Wurzeln und Kräutern suchte, fand er an dürren Ästen einer Eiche einen Schwarm junger Bienen angehängt. Eiligst verfertigte er einen Korb aus Binsen und Waldgras, zog die Kapuze seines härenen Gewandes über den Kopf, um sich vor dem Stiche der Tiere zu sichern, und näherte sich vorsichtig, – schüttelte und der ganze Klumpen aneinander hängender Bienen fiel glücklich in den Korb, welchen er auf ein Stück Baumrinde stellte, um den noch außerhalb Umherschwärmenden Zeit zu lassen, sich ebenfalls in der neuen Wohnung ein Plätzlein zu suchen. – Nachdem Alles in Ordnung war, trug der erfreute Bruder die ganze Bescherung nach Hause, wo er den Korb in einem sonnigen, windstillen Winkel an der Felswand aufstellte.
Schon des anderen Tages flogen die fleißigen Tierlein aus, um auf dem blumigen Wiesen im Tale Wachs und Honig zu sammeln. Und das ganze Jahr darauf vermehrte sich der Schwarm, so dass der Bruder neue Körbe flechten, und ein eigenes Häuslein zu ihrer Unterkunft bauen mußte.
Der gegenseitige Verabredung gemäß kam Christoph, der Köhler, oft zu dem Waldbruder, um aus dem Munde des erleuchteten Mannes Worte der Belehrung und Weisheit zu hören. Der fromme Martin besaß nämlich die Gabe, sein schlichtes Wissen, sein starker Glaube und sein Gottvertrauen überzeugend auch auf andere überzutragen. Sein Geist sah in der Tiefe und erkannte die Quelle gar mancherlei Übel, so wie die Schwächen des menschlichen Herzens. Der Ruf seiner Heiligkeit und Weisheit hatte sich bald weit umher verbreitet. Leute von nah und fern kamen herbei, und allen war er Freund, Lehrer und Ratgeber.
Christoph, welcher dem frommen Vater sich gerne dankbar erweisen wollte, brachte ihm eines Tages eine Ziege mit ihren Jungen, welch’ nützliche Haustiere mit ihrer Milch dem Waldbruder sehr wohl zu statten kamen, zumal der lange Winter die kargen Vorräte, welche die rauhe Gegend bot, oft nur all’ zu früh zu Ende gehen ließ. Aus diesem Grunde hatte Martin auch ein Stücklein Feld neben dem Gärtlein aufgebrochen und mit etwas Hafer und Wintergerste angeblümt; ein Unternehmen, welches so gut einschlug, dass der Pflanzer von dem Ertrag der kleinen Ernte seinem Freund Christoph und anderen Waldbewohnern die Mittel zu ähnlichen Versuchen darreichen konnte. – Müßiggang war überhaupt dem tätigen Manne fremd; selbst wenn er an den öden Halden seine Ziegen hütete, mußte sein Geist oder die Hand Beschäftigung haben: Entweder vertiefte er sich im Lesen der heiligen Schriften, oder er fertigte mit geschickter Hand aus Binsenweiden oder Stroh künstliche Geflechte, welche zu Decken, Hüten oder Körben verarbeitet wurden.
Wenn dann unter solcherlei Tätigkeit das Ende des Tages heran genaht und die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, so beschloß er mit frommen Dankgebeten sein Tagwerk.
Allmächtiger! betete er, öffne meinen Mund Dich zu benedeien und zu loben Deinen heiligen Namen. Durch dich leuchtet der Mond und der liebliche Abendstern. Dein Hauch bewegt die ziehenden Wolken und die rieselnden Nebel, welche das tiefe Tal bedecken. Unter Deinem Schutze ruhe das Fischlein im Bache und das Wild in den Wäldern. Allen Geschöpfen schenkst Du Ruhe und Frieden. Aber dem Menschen allein gabst Du Vernunft und ein fühlendes Herz, damit er Dir Danke und Lob singe. Beschirmen mich, o Vater, diese Nacht, und befehle mich Deinen Engeln, damit ich ruhen möge unter dem Schatten ihrer Flügel, in Deinem Namen, o Herr, will ich schlafen, damit ich glücklich den Tag erlebe und Dir diene in diesem wie dereinst im ewigen Leben. Amen.
Die einbrechende Nacht stand unserem Waldbruder regelmäßig schon auf seinem Lager, wo bald ein erquicklicher Schlummer seine Augen schloß. Und ob Sturm und Gewitter auch seine Hütte schlugen oder in nächtlicher Stille Wölfe die Wohnung umheulten, – ihn schreckte nichts, denn ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen, und wer Gott vertraut, hat wohl gebaut.
“Gott, der die Welten schuf und träg,
Der in sich selbst bleibt unbewegt,
Der Du des Lichtes Lauf beschränkst
Ser Tageszeiten Wechsel lenkst.
Schenk’ uns am Abend, Herr, dein Licht!
Des Lebensgluth entzieh’ uns nicht!
Führ’ uns in sel’gem Tod erneut.
In deines Reiches Herrlichkeit!
Dies, Vater, gibt vom Gnadenthron,
Und Du, dem Vater gleicher Sohn,
Dem mit dem Geist, der Trost verleiht,
Sey Ehr’ und Preis in Ewigkeit. Amen.“
Tierstein im Bregtal
Lesender Klausner etwa 1870 von Carl Spitzweg
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