Die Flucht nach Egypten und der Kindermord.
Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise.
Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript.
Die Kunde von den hübschen Weihnachtsvorstellungen in Martins Zelle hatte sich bald in der ganzen Nachbarschaft verbreitet, und die Kinder anderer Waldbewohner kamen herbei, um die schönen Bilder auch mit anzusehen.
Bei der vierten und letzten Vorstellung, die Flucht nach Ägypten, hatten sich so viele kleine Beschauer eingefunden, dass der enge Raum kaum alle zu fassen vermochte. – Jedes wollte das Beste wissen, den anderen die Sache zeigen und erklären.
Dort sitzt er, der wüste Herodes! rief Klärchen auf das Bild zeigend, welches den König mit finsterer Miene auf seinem Throne zeigte, während neben ihm seine Kriegsknechte die unschuldigen Knäblein tödteten, und unglückliche Mütter jammernd und händeringend vergeblich abzuwehren suchten.
Seht, wie dort die Mutter Gottes mit dem Christkindlein nach Ägypten flieht, sagte der kleine Wolfgang, aber der garstige Herodes weiß nichts davon, nicht wahr, Bruder Martin?
Gewiß nicht, antwortete dieser, denn seht, liebe Kinder, als der böse Herodes vergeblich auf die Zurückkunft der Weisen aus dem Morgenlande gewartet hatte und zuletzt erfuhr, dass sie längst wieder heimgereist wären, geriet er so in Wut, dass er Befehl gab, alle Knäblein, die nicht über zwei Jahre alt waren, zu tödten. Gott aber hatte schon vorher den heiligen Josef warnen lassen.
Ein Engel war dem frommen Nährvater im Traume erschienen, und hatte ihm die Weisung gegeben, mit dem Kinde und seiner Mutter nach Ägypten zu fliehen, weil Herodes das Kindlein aufsuchen und ermorden lassen wolle.
Und sind Sie denn nicht mehr heimgekommen? fragte Wolfgang. Nur so lange blieben sie in Ägypten, berichtete der Bruder, bis Gott ihnen durch seinen Engel zu wissen that, dass der bös gesinnte Herodes gestorben sei und ein anderer seinen Thron eingenommen habe.
Joseph machte sich demnach sogleich auf, nahm das Kind und die Mutter und reiste wieder in das Vaterland Israel. Aber nach Bethlehem zurückzukehren, getraute er sich nicht, weil er wußte, dass Archelaus, der neue König, ein Sohn des bösen Herodes war. Gott schickte ihm seinen Engel zum Dritten Male und ließ ihm bedeuten, er solle sich in der Stadt Nazareth, im Lande Galiläa mit seinen Pflegebefohlenen niederlassen.
Hier, in der Geburtsstadt der Eltern, verlebte das göttliche Kind seine Jugend. Alljährlich, zurzeit des Osterfestes, gingen Maria und Josef nach Jerusalem, um im Tempel ihr Gebet zu verrichten.
Als der Knabe Jesu zwölf Jahre alt war, nahmen sie auch ihn mit dahin. – Auf der Heimreise aber merkten sie, dass der Sohn nicht bei ihnen sei. Anfangs glaubten sie, er befinde sich vielleicht unter den Freunden und Bekannten, welche die Reise ebenfalls mitgemacht hatten, aber nirgends war er zu erfragen. Voll Besorgnis kehrten die bekümmerten Eltern zurück nach Jerusalem, wo sie ihn erst nach drei Tagen wieder fanden. Er saß im Tempel, mitten unter den Lehrern und Volksältesten, die er befragte und ihnen zuhörte. Alle, die seine Reden hörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten.
Sorgenvoll sprach seine Mutter zu ihm: Mein Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.
Was ist’s, dass er mich gesucht habt? sprach der Sohn im Bewusstsein seiner göttlichen Sendung. Wusstet ihr nicht, dass ich sein muss in dem Hause meines Vaters.
Den Eltern war der Sinn dieser Worte nicht ganz klar, doch behielt, sagt die heilige Schrift, Maria alle seine Worte in ihrem Herzen.
Hoch erfreut, ihr liebes Kind wieder gefunden zu haben, zogen sie hinab gegen Nazareth, wo Jesus ihnen wie sonst gehorsam und kindlich untertan war, und zunahm an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.
Von seinem öffentlichen Auftreten und Lehren bis zu seinem Opfertode, will ich euch ein andermal erzählen, sagte Martin, wenn ihr mir versprecht, so folgsam, fromm und gut zu werden wie euer himmlisches Vorbild, das Christkindlein.
“Sei Messias, uns willkommen,
Du der Völker Heil und Licht!
Zeige uns mit deinem Frommen
Deines Vaters Angesicht.
Lass an Tugend reich auf Erden,
Dort dereinst und selig werden.“
Fortsetzung hier:
Übersicht hier: