Die Darstellung Jesu im Tempel.
Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise.
Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript.
Am anderen Tage hatten die Kinder nach Beendigung des allgemeinen Morgengebets, welches Bruder Martin in einem kleinen Bethäuslein in Thale abgehalten, sich sogleich wieder in Martins Zelle begeben, um den guten Altvater mit dem Weihnachtsliedlein, welches er ihnen gestern mitgeteilt hatte, zu überraschen.
Gotthard hatte die Verse zu Hause seinen Geschwistern so lange vorgesagt, bis die Kinder sie auswendig wußten, um die Freude noch vollständiger zu machen, hatte ihnen die Mutter eine alte Kirchenmelodie gelernt, die recht gut auf die Worte paßte und den Kindern leicht ins Gehör fiel. Das war denn ein großer Jubel, als sie morgens ihren Freund Martin mit dem Gesange überraschen konnten. Der gute Mann versprach ihnen hierauf als Belohnung ihres Fleißes und Geschicklichkeit auf kommenden Neujahrstag eine weitere Vorstellung auf dem Krippelein, nebst einer lehrreichen Geschichte dazu.
Die Kinder waren äußerst begierig, was wohl wieder kommen werde, und nachdem der bezeichnete Tag herangekommen, stellten sie sich erwartungsvoll bei ihrem Freunde ein. Und siehe da, beim lieblichen Schimmer der Morgensonne, die ihre Strahlen durch das Fenster der Zelle warf, erblickten die Kinder ein neues Bildchen. An der Stelle, wo früher der Stall und die Krippe gestanden, sah man jetzt ein prächtiges Münster mit herrlichen Säulen und Schmuckwerk im Inneren die ehrwürdigen Gestalten Marias und Josefs, wie sie das Christkindlein dem Herrn im Tempel darbrachten; neben ihnen standen andächtig der weise Greis Simeon und die fromme Anna. – Auf den Bergen und Felsweglein erblickte man die Einwohner von Jerusalem und Bethlehem, wie sie in allerlei Geschäften sich herumtrieben: Da war zum Beispiel zu sehen ein Mädchen mit einem Korbe, in dem es Eier und Butter in die Stadt trug; dort ein anderes beschäftigt am Brunnen Wasser zu holen – hier stand eine Bettlerin mit ihrem Kinde, Vorübergehende, um einen Almosen anzusprechen, und auf dem selbigen Gebirge, wo Hirsch und Reh liefen, hatte ein Jäger mit der Armbrust Posto gefaßt, eben im Begriff, den tödlichen Pfeil auf eines der Tiere loszuschnellen. – Die Kinder konnten sich nicht satt sehen, nicht genug sich verwundern über die Mannigfaltigkeit der Schönheit. Zuletzt entdeckte Klärchen noch gar die heiligen Drei Könige im Hintergrunde, wie sie von fernen Meeresstrand herankamen, und mit vielen Dienern und Lasttieren über das Gebirge daherzogen um das Christkindlein aufzusuchen.
Nach genügsamer Betrachtung all dieser Einzelheiten lenkte Bruder Martin die Aufmerksamkeit der Beschauer wiederum auf die Hauptvorstellung: die Darstellung im Tempel, und schickte sich an, ihnen die Geschichte ausführlich zu erzählen.
Sehet, liebe Kinder, sprach er, nach dem Gesetze Moses mußten alle Eltern ihre erstgeborenen Knäblein Gott im Tempel darbringen, auf dass sie geheiligt würden. Dabei war es gebräuchlich, dass die Reichen ein Lamm, die Ärmeren ein paar junge Tauben opferten. Diesem Gebote folgten auch Josef und Maria. Sie trugen das kleine Jesuskind nach Jerusalem auf den Tempel und brachten das übliche Opfer. Zu jener Zeit aber lebte ein Mann in dieser Stadt mit Namen Simeon. Derselbe war fromm und gottesfürchtig und wartete voll des heiligen Geistes mit Sehnsucht auf die Ankunft des göttlichen Erlösers. Es war ihm geoffenbart, dass er den Tod nicht sehen solle, bevor er Christum den Herrn mit Augen gesehen hätte.
Während Maria und Josef mit dem Kinde im Tempel verweilten, kam Simeon aus göttlichem Antriebe auch in den Tempel. Als der fromme Greis das Kind Jesu erblickte, nahm er es sogleich voll Freude auf die Arme, blickte gen Himmel und rief: Nun lasse mich Herr in Frieden scheiden, denn meine Augen haben den Heiland gesehen; – das Licht der Völker und die Zierde Israels.
Josef und Maria verwunderten sich, dass ein fremder Mann das göttliche Kind erkenne und solche Worte rede. Simeon aber segnete sie und sprach zu Maria: Dieses Kindlein wird Vielen in Israel zum Falle, und Vielen zur Auferstehung gereichen. Es wird ein Zeichen sein zum Widerspruche und Schwert wird durch deine Seele dringen.
Kaum hatte der Greis Simeon seine Weissagung ausgesprochen, so kam Anna herbei, eine 84-jährige Witwe – auch sie pries den Herrn und verkündete wie Simeon laut die Ankunft des Erlösers.
Alles dieses, Schloss Bruder Martin, trug sich mit dem neugeborenen Kindlein zu, dreißig Tage nach seiner Geburt, und Alles, was jene erleuchteten Menschen prophetisch von ihm vorausgesagt hatten, sollte buchstäblich in Erfüllung gehen.
“Lass dich, Jesus, von mir preisen,
Der zu unserem Heil erschien;
Dank und Ehrfurcht zu erweisen,
Bet’ ich an dich auf den Knie’n!
Heiland, dich als Kind ich grüß’!
Jesus! Name hold und süß.“
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