RückblickeNeugestaltungen und AbschiedNach den Mühen des Tages

Rückblicke
Neugestaltungen und Abschied
Nach den Mühen des Tages

17. März 2024 0 Von Hannah Miriam Jaag

Hieronymus Kapitel 24

Rückblicke – Neugestaltungen und Abschied
Nach den Mühen des Tages

Gleichwie ein Wanderer, wenn er, nahe dem Reiseziel, eine letzte Höhe erstiegen, hier haltmacht, hinzuschauen auf die lange Strecke zurückgelegten Weges, und dann vorwärts, wohl über sein Ziel hinaus, also sei uns auch jetzt noch einmal eine Umschau vergönnt.

In grünem Tale, hell von der Sonne beschienen, erblicken wir freundliche und befreundete Wohnungen, in der Ferne die Türme blühender Städte.

Lichte Wölklein ziehen darüber hin und umdüstern nur auf Augenblicke den lieblichen Anblick. – Weiter seitwärts aber hat das Gewölk sich gehäuft, der dunkle Vorhang reicht herunter bis zum Gesichtskreis, wo Luft und Land sich zu vermischen scheinen.

Wer sind die Wanderer, welche dort des Weges ziehen, immer tiefer hinein gegen die unheildrohende Nacht? – Wir werden den Blick anstrengen müssen, irrende Landfahrer zu erkennen.

Das Haupt der Sippe, den Langen Hans, haben wir im Zuchthause zu Hüfingen verlassen. Er genoß dort eine recht hübsche Aussicht auf die grüne Stadtwiese und über die Ufer der Breg, trotzdem aber begann der Aufenthalt ihm herzlich langweilig zu werden, weil auch die schönste Gegend ihren Reiz verliert, wenn wir sie täglich vor Augen haben.

Hans war griesgrämig, schwermütig geworden und dachte ernstlich daran, eine Ortsveränderung vorzunehmen. Schweizer Luft, hoffte er, sollte ihm besser zuschlagen. – Die Anstalten zur Abreise wurden aber wiederholt durch den wachsamen Zuchtknecht entdeckt und damit letztere selbst vereitelt.

In einsamer Zelle legte man den Alten an Ketten. Aber auch hier fand er die Ruhe nicht. Wenn er schlief – so träumte er vom freien Leben, von Zusammenkünften mit Tanz und Schmaus, von Wald und Feld. Es war in einer unheimlich finsteren Novembernacht; der Sturm sauste mächtig durch die Gassen, durch die unbelaubten Bäume in dem Zuchthausgarten und rüttelte polternd an Läden und Fenstern. – Da regte es sich um Mitternacht auf dem Dache des Hauptbaues, eine Gestalt stieg hervor, kletterte mit Katzengewandtheit über die Ziegel bis zur Dachrinne, rutschte dann an schnell befestigter Leine geräuschlos herab auf den Boden. – Eben schritt der Wachposten, tief in den Mantel gewickelt, aus dem Schilderhaus. Der Flüchtling barg sich hinter einem Eckstein. –

Als der Zuchtknecht am Morgen in die Zelle des Langen Hans getreten – fand er das Nest leer – die Ketten durchgefeilt und den Ofen abgebrochen.

Es mußte dem Sträfling Hilfe von außen gebracht worden sein. – Und wahrlich, es wäre ein heroischer Zug von der Vagantin Trautel, wenn sie, wie angenommen wurde, durch eigene Hingebung den Gatten gerettet hätte. – Gewiß ist, daß das Weib zur Haft gebracht, wenige Tage zuvor ihrem Hans gegenübergestellt worden. In heftiger Freude des Wiedersehens war sie dem Manne um den Hals gefallen und, so wurde vom scharfsinnigen Inquisitor angenommen, sei im Kusse ein Wachskügelchen, worin eine feingezähnte Uhrfeder verborgen, aus dem Munde der Gattin in den des Gatten über-gegangen.

Der Flüchtling war unbeschrien aus der Stadt entkommen und hatte sich gegen Hausen und Mundelfingen gewendet. Dort im Walde, eine bekannte Bettelküche aufsuchend, war er an einer Stelle angelangt, wo am halberloschenen Feuer ein Mann schnarchte. „Bist du’s?” fragte der Lange. „Ja!” antwortete die Stimme des Schwarz Sepple. – „Ihr habt lang auf Euch warten lassen!”

In Opferdingen stahlen sie einem Bauern die Kleider aus der Schlafkammer. „Man kann nit alles kaufen!” lautete der Wahlspruch des Langen, „und so kann ich mich als ehrlicher Mann am Tag vor niemand zeigen.” Seine Garderobe, großenteils zum rettenden Seil zerschnitten, war auch in der Tat bis auf das Notdürftigste zusammengeschmolzen. Die beiden wateten sodann durch die Wutach, und noch vor Tag waren sie über der Schweizer Grenze.

Der Sepple hatte den Plan, in der Schweiz den Doktor zu spielen, Hans wollte als Spielmann sein ehrlich Auskommen suchen; es scheint jedoch, als hätten die Stücklein, die er spielte, den freien Eidgenossen nicht sonderlich gefallen, denn nach kurzer Zeit schon saß der Hans wieder als Malefikant im Wasserturm zu Zürich.

In mondloser Nacht hören die Wächter ein Geräusch wie von einem Sprung in den See, ein Mensch taucht aus den Wellen – ein Schuß von der Wache – ein Schrei – der Flüchtling rudert und ringt noch eine Weile – dann verschlingt der See sein Opfer. Es war der Lange Hans. – Ob zur mitternächtlichen Stunde bisweilen noch der Geist des alten Kommunisten aufsteigt und über den Wassern schwebt, die menschliche Gesellschaft zu beunruhigen – weiß ich nicht zu sagen. –

Als wäre der Fall des Familienhäuptlings ein böses Vorzeichen vom Untergange nicht nur der eigenen Sippe, sondern des gesamten Vagantenvolkes, brach jetzt für diese Heimatlosen eine verhängnisvolle letzte Zeit herein.

Geschärft ward allenthalben das Schwert der Kriminaljustiz. Die Waage in der Hand des Richters muß empfindlich im höchsten Grade gewesen sein, denn das geringste Gewichtsteilchen von Schuld reichte hin, die Schale des Missetäters hoch hinaufzuschnellen. Lange war der Name des Schultheißen Schäfer zu Sulz am Neckar der Schrecken aller Landfahrer. Man erzählt sich heute noch, daß Hunderte jener armen Teufel durch den gestrengen Richter von Rechts wegen dem Henker überliefert worden seien.

Auch die Gebeine des Schwarz Sepple ruhen zu Sulz unter dem Galgen. – Den Stumpfarm wollte man anfangs der neunziger Jahre unter einem Haufen Sansculotten im Elsaß gesehen haben, später soll er gezwungen worden sein, Bekanntschaft mit der Guillotine zu machen.

Trautel, nach langer Haft endlich aus dem Gefängnisturm entlassen, verlor sich spurlos unter der Menge. – Von Schön Rösel hat man nichts mehr gehört und gesehen seit ihrem Abzug mit den Neufranken.

Im letzten Kapitel geht Lucian Reich wieder auf die Verfolgung und Ermordung der Jenischen ein.

Über den nach Lucian Reich schlimmsten Inquisitor, den Schultheiß Schäfer zu Sulz am Neckar, konnte ich leider nichts finden.

Auch über die Jenischen selber läßt sich heute nur noch wenig finden, da von den Überlebenden der Verfolgungen um die Jahrhundertwende (1780-1810) wohl viele in der Anonymität Zuflucht gefunden haben.

Jenische Familien wurden später von den Nazis verfolgt und ermordet und sie sind in Deutschland, im Gegensatz zur Schweiz, bis heute nicht als als nationale Minderheit anerkannt.

Die Jahre eintausendachthundertdrei und -vier waren herbeigekommen und die reichsstädtischen Souveränitäten nebst noch manchem anderen unter den Trümmern der alten deutschen Reichsverfassung begraben worden.

Unser alter Freund, der Feldwaibel, erlebte diese Katastrophe noch sowie die politischen Neugestaltungen in Deutschland; sie machten dem Alten . wenig Bedenken. Aber die Auflösung des fürstenbergischen Korps, eine Folge jener Weltereignisse, das Verschwinden jenes Banners, unter welchem der bereits ergraute Soldat sich noch Lorbeeren gesammelt, das war für ihn die letzte schmerzliche Begebenheit seines Lebens, ja vielleicht die nächstliegende Ursache seines Todes. Wenigstens war ein auffallender Wechsel in dem Gesundheitszustand des Veteranen zu bemerken seit der Zeit, als es bekannt geworden, welchen Ausgang die Verhandlungen der Reichsdeputation zu Regensburg nehmen werden.

Im Frieden von Lunéville hatte Österreich auf die linksrheinischen deutschen Gebiete verzichtet. Das Haus Fürstenberg war nicht dem Rheinbund beigetreten. *

Als Feldmarschall Leutnant Fürst Karl Aloys von Fürstenberg am 25. März 1799 bei Liptingen gefallen war, hatte seine Gemahlin, Elisabeth Fürstin zu Fürstenberg, Prinzessin von Thurn und Taxis die Vormundschaft über ihren Sohn, den 1796 in Prag geborenen Prinzen Karl Egon II.. *

So zogen wohl 1804 die fürstenbergischen Truppen auf immer aus Hüfingen ab und Hüfingen wurde Teil der Rheinbundstaaten und des Großerzogtums Baden. *

In Baden wurden Rekruten durch Konskription ausgehoben.

Was vielleicht interessant ist, ist die Konskription und der Aufstand von 1806 in Hüfingen

Schon im Oktober 1806 fand auch in der Baar die erste Truppenaushebung nach der Eingliederung in das Großherzogtum Baden statt. Sie stieß in der Baar auf Widerstand, der in verschiedenen Gemeinden zu Behinderung der Konskription und zu offenem Aufruhr führte. ….

…Am 26. Oktober hatten sich Bauern und Bauernsöhne aus Mundelfingen, Hausen vor Wald, Behla, Riedböhringen und anderen Orten zusammengerottet – sogar in Donaueschingen habe es gespuckt – , waren in Hüfingen vor das Schloß gezogen, um mit Bengeln und Prügeln bewaffnet einige Beamte der Donaueschinger Regierung aufzusuchen.

Chronik Hüfingen von August Vetter (1984) Seite 260 ff

Er fühlte die Abnahme seiner Lebenskräfte, und der Soldat bereitete sich, so wie er gelebt, als Mann auch zu scheiden aus dieser Zeitlichkeit. Gefaßt und ergeben hatte er von Priesterhand die Letzte Olung empfangen zur Reise in das unbekannte Jenseits. Es war am Morgen desselben Tages, an welchem die Fürstenberger den Befehl erhalten, sich zu sammeln, um reorganisiert und einem neuen Kriegs- und Landesherrn zugeführt zu werden.

Der Kranke war eingeschlummert, als gegen Mittag Trommelschlag ihn erweckte. Da bat er die hingebend sorgliche Hausfrau, ihn aufzurichten, damit er durch das Fensterlein in der Stadtmauer hinausschauen könne auf die Heerstraße, denn hier mußten die abmarschierenden Kriegsgefährten vorüberziehen. Unverwandt haftete der Blick des Soldaten auf der scheidenden Kompanie, bis diese ihm so teuren Weißröcke für immer hinter der Anhöhe bei Almendshofen verschwunden waren. – Dann sank er zurück in die Kissen. Einige Augenblicke darauf suchte er die Hand der Hausfrau und sprach wenige kaum verständliche Worte – es war der letzte Abschied, das Ende nah.

Die gute Annakäther hatte sich über den Sterbenden gebeugt, ihre Tränen träufelten auf sein bleiches Angesicht; dann kniete sie an der Bettstatt nieder und betete zum Namenspatron des Verscheidenden, zum heiligen Michael, dem „unüberwindlichen Fechter und Beschirmer, daß er den kranken heimziehenden Menschen schützen und geleiten möge aus diesem Jammertal, hinauf – in die Wohnungen des ewigen Friedens” Ehe der Abend herangekommen, war er entschlummert.

Die Tochter in Wildenstein wollte haben, die Mutter solle nun zu ihr ziehen, um den Rest ihrer Tage bei ihren Kindern und Enkeln sorgenfrei beschließen zu können; doch die Matrone war nicht zu bewegen, das gewohnte Stüblein zu verlassen – bis zu dem Tage, der auch sie abrief zur Vereinigung mit dem vorangegangenen Gatten.

Tolberg blieb für immer bei seinen Kindern. Lebhaftes Interesse nahm der alte Geschäftsmann am Fortgang des Uhrenhandels, dem er durch Adressen und Verbindungen manchen Vorteil zuzuweisen vermochte. Wie auf einen stürmischen Herbst zuweilen noch späte, stillsommerliche Tage folgen, so verlebte der vielgeprüfte Mann noch heitere, glückliche Tage.

Ehe wir jedoch dem freundlichen Leser die Hand zum Abschiede reichen, sei uns vergönnt, noch einen Blick zu tun auf das Schlußbildchen.

Wir versetzen uns in die erste Zeit glücklichen Ehelebens unseres Paares.

An der Schwelle des eigenen Heimwesens sitzt das vergnügte Ehepaar, Hieronymus und Helena, diese Kinder einer abgeschlossenen Zeit, deren Enkel kaum mehr wissen, wie es zu den Tagen der Großeltern im Lande ausgesehen.

Es ist Abend; die Mühen des Tages sind vorüber. Mondlicht zittert durch die Zweige, friedlich, versöhnend; und beim Anblick der ewigen Sterne ziehen in die Brust des Menschen Friede und Vertrauen – und die Seele beseligt die Liebe, von welcher die Heilige Schrift sagt, daß sie stärker sei – als der Tod.

Wir freuen uns über mehr Erkenntnisse zu diesem Podcast in den Kommentaren!