Aloys Hirt – Ein Bällämer Römer in Berlin

Aloys Hirt – Ein Bällämer Römer in Berlin

4. Januar 2024 0 Von hieronymus

18. Juni 2022 von Markus Greif

Die meisten, die diese Zeilen lesen, dürften wohl schon einmal die Bällämer Via Appia, die Alois-Hirt-Straße, gen Sumpfohren bereist haben. Doch wer war dieser Alois Hirt, nach dem die Straße benannt ist? Nun gleich vorweg, er selbst schrieb sich Aloys Hirt. Wer ihm das i im Straßennamen verpasste, muss hier vorerst ungeklärt bleiben. Auch der zweite Vornamen Ludwig ist eine spätere Erfindung – es wäre ja auch ein Art Tautologie. Geboren wurde er am 27. Juni 1759 in Behla als Sohn der wohlhabenden Hofbesitzer Franz und Elisabeth Hirt. Sein stattliches Elternhaus (Alois-Hirt-Straße 3) steht noch heute und zeugt vom damaligen Wohlstand der Familie. 

Elternhaus von Aloys Hirt heute (2022).
Foto: Felix Bogenschütz

Dieser Wohlstand dürfte auch dafür verantwortlich gewesen sein, dass der junge Aloys ab 1768 das Gymnasium der Benediktiner in Villingen, heute Karl-Brachat-Realschule, besuchen konnte. Es folgten die Gymnasien in Freiburg i. Br. und Rottweil. 

„Altes Gymnasiums“ in Rottweil.
Bildnachweis: Wikimedia

Der frühe Verlust seiner Jugendliebe trieb ihn in ein Kloster des „grauenvollsten Schwarzwaldes“, von dem er dann doch wieder loskam, um ab 1778 in Nancy Philosophie zu studieren. Dort hielt es ihn aber ebenso wenig wie in Freiburg i. B., wo er sich 1779 kurzeitig den Rechtswissenschaften widmete. Denn noch im gleichen Jahr zog er weiter nach Wien, um an der dortigen Alma Mater Rudolphina das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften zu betreiben.

„Neue Aula“ der Universität Wien aus der Zeit Hirts, heute Sitz der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Bildnachweis: Wikipedia

Dieses Vorhaben wich seiner Begeisterung für die Kunstgeschichte, der er sich in der Folge mehr und mehr zuwandte. Deshalb ging seine Grand Tour 1782 mit dem Ziel Rom weiter, das er u. a. über Venedig, Bologna und Florenz erreichte. Dort angekommen wandte sich sein Hauptinteresse fortan der antiken Architektur und Kunst zu. Als profunder Kenner dieser verdiente er seinen Lebensunterhalt ab 1785 als Cicerone (Fremdenführer) in Rom und Süditalien. Auch die Beratung zu und die Organisation von Kunst- und Gemäldeeinkäufen gehörte zu seinem Repertoire.

Das Pantheon in Rom.
Bildnachweis: Wikipedia

Zu den zahlreichen Italienreisenden, die er so kennen lernte, zählten u. a. der Architekt Friedrich Wilhelm Freiherr von Erdmannsdorff, auf dessen Empfehlung hin Fürstin Luise Henriette von Anhalt-Dessau, des Weiteren der britisch-hannoverische Prinz August Friedrich Herzog von Sussex, Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar, der ungarische Fürst Nikolaus II. Esterházy de Galantha, die Mätresse des preußischen Königs Friedrich Wilhelms II., Wilhelmine Gräfin von Lichtenau, und nicht zu vergessen Johann Wolfang von Goethe sowie viele weitere illustre Namen. In den Sommermonaten, in denen sich keine Touristen in den Süden trauten, widmete er sich wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Seine Dienste ließ er sich gut entlohnen. Eine Zechine (Dukat) nahm er am Tag – wie Goethe zu berichten wusste – für die Touren, die in der Regel auf einen Monat, täglich 9–14 Uhr, angelegt waren. Zum Vergleich: Dafür musste ein Tagelöhner oder ein Handwerker ungefähr ein bis zwei Wochen schuften.

Venezianische Zechine (Dukat) des Dogen Paolo Renier (1779–1789)
Bildnachweis: Gorny & Mosch Giessener Münzhandlung, Auktion 246, Los 3616, 8.03.2017.

Doch Hirts Führungen schienen nicht nur auf uneingeschränkte Zustimmung gestoßen zu sein. So meinte selbst Goethe, mit dem ihn später eine lebenslange Freundschaft verband, in einem Brief an Johann Gottfried Herder „Wenn Ihr einen Antiquar braucht, wie Ihr denn einen braucht, so nehmt einen Deutschen, der Hirt heißt. Er ist ein Pedante, weiß aber viel und wird jedem Fremden nützlich sein.“ Herder zog es nach einem kurzen Kennenlernen dann offenbar auch vor, Rom eigenständig zu erkunden. Ähnlich verhielt es sich mit dem Kunsttheoretiker Carl Ludwig Fernow, der Hirts veraltete, eigenwillige Sichtweise erkannte und ihn in einem Brief spöttisch als Günstling der „Königshure“ bezeichnete.

Nichtsdestotrotz brachten ihm seine römischen Bekanntschaften auch viele Möglichkeiten ein. So konnte Hirt 1796, als ihn die Napoleonischen Kriege dazu zwangen Italien zu verlassen, nach einigen Zwischenzielen in Berlin an seine Karriere anknüpfen – besser gesagt, seine eigentliche akademische Karriere erst starten. König Friedrich Wilhelm II. war von der Gräfin Lichtenau, seiner Geliebten, schon über Aloys Hirt unterrichtet worden und stellte ihn prompt als Lehrer des Prinzen Heinrich ein. Außerdem wurde er preußischer Hofrat und Mitglied der Akademien der bildenden Künste und mechanischen Wissenschaften sowie der Akademie der Wissenschaften mit der Aufgabe die preußischen Kunstschätze in einem Museum zusammenzufassen – eine Idee, die von Hirt selbst stammte und aus der erst sehr viel später die Berliner Museumsinsel hervorgehen sollte. In Berlin wurde er aufgrund seines langen Italienaufenthalts schlicht der Römer genannt. 

König Friedrich Wilhelm II. von Preußen (1786–1797)
Gemälde von Johann Christoph Frisch 1797
Bildnachweis: Wikipedia
Wilhelmine Gräfin von Lichtenau (1752–1820)
Bildnachweis: Wikipedia


Hirt konnte seine enge Bindung zum preußischen Königshaus auch halten, als Friedrich Wilhelm II. bereits 1797 starb und sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm III. die ihm verhasste Gräfin von Lichtenau, Mätresse seines Vaters und Förderin Hirts, aus Berlin verbannen ließ. Er behielt seine Posten, wurde ebenso Berater des neuen Königs und verfolgte weiterhin seine kunstgeschichtlichen / archäologischen Forschungen. 1810 wurde er schließlich ordentlicher Professor für Archäologie der damals neu gegründeten Berliner Universität. Goethe blieb er zeitlebens freundschaftlich verbunden und besuchte ihn mehrmals in Weimar.

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), Ölgemälde von Joseph Karl Stieler 1828.
Bildnachweis: Wikipedia

Zu seinem Berliner Freundeskreis gehörte die Runde der illegitimen Söhne und Söhne aus morganatischen Ehen König Friedrich Wilhelms II. um den Grafen Ingenheim. Mit Luise Mila, der Ehefrau eines befreundeten hugenottischen Predigers und preußischen Justizrats, soll der Jungesselle Hirt – wie in der neuesten Forschung angedeutet wird – selbst einen Sohn gezeugt haben, den späteren Portraitmaler Paul Mila. Mit dem Grafen Ingelheim unternahm Hirt 1816/17 abermals eine Italienreise.

Gesellige Runde beim Grafen Ingenheim. Aloys Hirt als zweiter v. l., Gemälde von Johann Erdmann Hummel um 1819.
Bildnachweis: Wikipedia

Der Umstand, dass Hirt immer ein bisschen zwischen den Stühlen saß, sich sowohl als Kunsthistoriker aber auch als Archäologe verstand und zudem ganz eigene bautechnische Überlegungen in seine kunsthistorischen Theorien mit einbrachte, rief auch viele Kritiker hervor. Zudem war er zu großen Teilen auch Autodidakt in seinen Fächern, was eine mangelnde Kenntnis der Fachsprache und Methodik mit sich brachte. Seine Berliner Karriere beruhte auch auf dem Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Hirts Ansichten galten letztlich bereits zu seinen Lebzeiten als veraltet oder fehlgeleitet. Mit der ab 1815 verstärkt aufkommenden Kritik – selbst unter seinen Schülern – konnte er offenbar schlecht umgehen. Vielleicht war dies mit ein Grund, warum er sich ab den 1820er allmählich aus der aktiven wissenschaftlichen Arbeit und der Wissenschaftspolitik zurückzog. Er veröffentlichte aber weiterhin wissenschaftliche Artikel, zuletzt 1834. 

Historisch-architektonische Beobachtungen über das Pantheon in Rom von 1791. Titelblatt, eine der ersten Veröffentlichungen Hirts. Exemplar der italienischen Nationalbibliothek in Rom.

Seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen liefern auch den Schlüssel zur Verwirrung um seinen Vornamen. So wurde zu seinem Aufsatz „Ueber das Pantheon“ von 1807, den er als „A. Hirt“ veröffentlichte, von den Herausgebern ergänzt:

„Der ganze Namen ist Aloys. Wir merken dies an, weil einige den Namen Luigi, den unser Freund in italienischen Schriften führet, und der allerdings auch Ludwig heissen kann (da Aloys und Ludwig ursprünglich nur Ein Namen ist), auf letztere Art übersetzt haben.“

Den Lebensabend verbrachte Aloys Hirt – unterbrochen von einigen Kuraufenthalten im böhmischen Karlsbad – im Kreise der ihm vertrauten Familie Mila. Er verstarb am 29. Juni 1837, im Alter von 78 Jahren in Berlin – das Datum wurde in der Vergangenheit oft falsch angegeben.

Dass er mit seiner Idee zu einem zentralen Museum für die Kunstschätze des preußischen Königshauses der eigentliche Urheber der weltberühmten Museumsinsel in Berlin war, dürfte heute sowohl dort als auch in Behla weitestgehend vergessen sein. Seine Heimat sah Aloys Hirt 1793, während einer kurzen Unterbrechung seines Italienaufenthalt, wieder. Ob er Behla später noch einmal besuchte, ist nicht bekannt.

Museumsinsel in Berlin.
Bildnachweis: Wikipedia

Literatur:

Alfred Hall, Egon Bäurer, Fridolin Kaiser, Behla. Stadtteil von Hüfingen. Geschichte eines Baardorfes im Rahmen der Landschaft (Hüfingen 1989), S. 82–84.

Wolfgang Freiherr von Löhneysen, „Hirt, Aloys“. In: Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Hg.), Neue Deutsche Biographie. Bd. 9 Hess–Huttig (Berlin 1972), S. 234–235. Online-Version: https://www.deutsche-biographie.de/sfz32578.html#ndbcontent

Claudia Sedlarz, Einleitung. In: Claudia Sedlarz (Hg.), Aloys Hirt. Archäologe, Historiker, Kunstkenner. Tagung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin April 2000 (Berliner Klassik. Eine Großstadtkultur um 1800. Studien und Dokumente Bd. 1, Hannover 2004), S. 3–14, hier S. 3 und En. 2 auf S. 13. [zur Vaterschaft des Paul Mila]

Jürgen Zimmer, Nachrichten über Aloys Hirt und Bibliographie seiner gedruckten Schriften. In: Jahrbuch der Berliner Museen. Bd. 41 (1999), S. 133–194.

Quellen:

Johann Wolfgang Goethe, Italienische Reise (Frankfurt a. M. 2009), S. 470f. [zur Begegnung mit Hirt im November 1787]

o. V., Aloys Hirt. In: [Georg Friedrich August Schmidt] (Hg.), Neuer Nekrolog der Deutschen. Jg. 15 Teil 2 1837 (Weimar 1839), S. 672–682.

Aloys Hirt. Bildnis von Friedrich Georg Weitsch oder Paul Mila? nach einer Vorlage von Friedrich Georg Weitsch.
Bildnachweis: Wikipedia