Zum Tag des Waldes 2023

Zum Tag des Waldes 2023

25. Mai 2023 1 Von Wolf Hockenjos

Vortrag am 21. März 2023

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Waldfreunde,

gestern Frühlingsanfang, heute als Morgenlektüre ein wahrhaft niederschmetternder Bericht des Weltklimarats, und das also am Internationalen Tag des Waldes – was geht einem da nicht alles durch den Kopf: Klimakrise mit Waldsterben 2.0, mit Insektenschäden und Waldbränden bisher unbekannten Ausmaßes – und das alles bei zunehmend ruppiger Auseinandersetzung zwischen Forstwirtschaft und Natur- bzw. Klimaschützern um zeitgemäßere Prioritäten bei den vom Wald zu erbringenden Leistungen (ob zuerst Holzproduktion oder CO2-Speicherung, Wasserhaushalt, Erhaltung der Artenvielfalt, Kühlung, Erholungsfunktion usw. usw.). Ja, „dem Wald geht es schlecht, sehr schlecht“, wie man kürzlich erst als Schlagzeile in der FAZ lesen konnte und wie es der jüngste Waldzustandsbericht der FVA bestätigt. Seit es den gibt, seit 1985 nämlich, waren die Baumkronen nie schütterer benadelt und belaubt als nach diesen trocken-heißen Jahren. Wobei damit nicht etwa nur die Borkenkäferopfer gemeint sind. Kaum zu glauben, dass dieser Tag bereits 1971 von der Welternährungsorganisation FAO der UNO ausgerufen worden ist. Heute Abend soll er uns Anlass sein für eine knappe Stunde der Rückbesinnung: Was erwarten wir Baaremer eigentlich hier und heute alles vom Wald, was verdanken wir ihm alles? – und das am Beispiel des Unterhölzer Walds (kurz: des Unterhölzers). 

Aber klar: Bäume, Wald, Waldsterben – das Thema erscheint manch einem mittlerweile doch schon arg abgegriffen, einfach auch allzu problembelastet, als dass man sich noch einen Vortrag zum Thema Wald antun möchte – gar, dass man darüber noch ein Buch aufblättern möchte. Oder sollte man sich da eher am rheinland-pfälzischen Forstkollegen Peter Wohlleben orientieren, der mit seinem Sachbuch Das geheime Leben der Bäume Jahre lang einen Spitzenplatz auf der SPIEGEL-Bestsellerliste gepachtet hatte und damit international eine Millionenauflage erzielt hat? In aller Bescheidenheit sei es erwähnt: An Büchern über Baum und Wald (allerdings ohne Auflagenrekorde) habe ja auch ich mich wiederholt schon versucht. So schon vor fast einem halben Jahrhundert im Auftrag des Stuttgarter Forstministers mit einem Bildtextband über die Baumdenkmäler des Landes (Begegnung mit Bäumen); irgendjemand hatte da dem Minister die Idee eingeflüstert, man sollte doch mal nachschauen und dokumentieren, was von den Baumoriginalen der Jahrhundertwende nach zwei Weltkriegen noch überlebt hat. Damals war der Naturdenkmalschutz in Mode gekommen und mit ihm erschienen in den meisten deutschen Ländern Baumbücher, so auch 1908 Bemerkenswerte Bäume im Großherzogtum Baden des Forstbotanikprofessors und Grh. Bad. Geh. Hofrats Ludwig Kleinund im Auftrag der Kgl. württ. Forstdirektion 1911 ein Schwäbisches Baumbuch des Forstass. Otto Feucht, nachmals einer württembergischen Naturschutz-Ikone. Weil mir das Recherchieren, Fotografieren und Beschreiben soviel Spaß gemacht hat, folgten 1985 (ohne Ministerauftrag, aber immerhin mit einem Vorwort von MP Lothar Späth) mit Tännlefriedhof ein Band über das Waldsterben, anno 2000 dann  Waldpassagen, 2008 ein Buch über den Charakterbaum des Schwarzwalds, die Weißtanne, (Tannenbäume) und 2015 Wo Wildnis entsteht, ein Bildtextband über den ältesten Bannwald Badens und zuguterletzt 2018 dann auch noch der Bildtextband über den Unterhölzer Wald, im Untertitel „Liebeserklärung an einen alten Wald“ – allesamt Versuche, Verständnis für Baum und Wald, Freude daran zu wecken (übrigens sind die Bücher inzwischen schon fast alle vergriffen, sodass das heut also bitte auch nicht als Werbeveranstaltung missverstanden werden darf). 

Wieso aber eine Liebeserklärung, werden Sie vielleicht fragen, ausgerechnet in diesen trüben Krisenzeiten – und ausgerechnet auf der waldarmen Baar? Die Arbeit an diesem meinem letzten Buch war für mich, wie ich gestehe, weit mehr als bloßer Zeitvertreib eines unausgelasteten Ruheständlers. Eher war sie so eine Art späte Wiedergutmachung: Zum einen, weil ich den Unterhölzer mit seinen kapitalen Eichen damals in meinem Auftragswerk über die Baumoriginale des Landes sträflicherweise glatt übersehen hatte. Zum andern, weil ich als Hochschwarzwälder mit der eher spröden und unspektakulären Baarlandschaft immer schon ein bisschen gefremdelt habe, so sehr ich sie aus der Seniorenperspektive dann doch zu schätzen gelernt habe: Für den Freizeitradler erst ein flaches Einrollen, dann nichts wie rauf in den Schwarzwald, auf die Alb, auf die Länge oder in den Hegau – oder an Föhntagen auch einfach beim Blick aus dem Wohnzimmerfenster. 

Landschaft durch die rosarote Brille

Natürlich kann man auch die Baarlandschaft durch die rosarote Brille des Spätromantikers betrachten. Kulturpessimisten – oder muss man sagen: Kulturrealisten? – leiden eher an dieser Landschaft, verzweifeln womöglich an deren fortschreitender Belastung und „Verhässlichung“. So wie z. B. der Künstler Paul Schwer mit seiner Installation (Home 2013), mit der er anlässlich der Heimattage Baden-Württemberg wohl ausdrücken wollte, dass es mit der Heimat heutzutage doch irgendwie den Bach runter geht: Heimat als an der Donaueschinger Schützenbrücke gestrandetes Treibgut!

Installation Schützenbrücke

Was mir die Anfreundung mit der Baar schon immer erschwert hat: Es gibt da für meinen Geschmack 

  • viel zu viele Straßen mit viel zu wenigen Durchlässen und Übergängen (z. B. auch Grünbrücken fürs Wild), zuviel Zerschneidung und Zerstückelung also;
  • zuviel Zersiedelung, Versiegelung und Flächenfraß;
  • zuviel Monokultur, zuviel „Vermaisung“, zuviel Agrarindustrie mit zuviel Artenschwund;
  • aber auch zuviel Monokultur im bewaldeten Teil der Baar: viel zu viele Fichten und…

– …für mein Empfinden viel zu wenig Naturnähe in unserer so vielgepriesenen sog. naturnahen Waldwirtschaft;

  • und neuerdings am Horizont auftauchend: immer mehr Windräder, immer mehr großtechnische Dominanz

Alles in allem für meinen Geschmack jedenfalls: viel Bildstörung, viel Verunstaltung, viel Verarmung in dieser uralten Kulturlandschaft!

Da hat sich mir im Verlauf meiner Villinger und Donaueschinger Jahre immer häufiger die Frage aufgedrängt: Wie viel Restnatur, wie viel Naturschönheit braucht es überhaupt noch, um sich hier wirklich wohlfühlen zu können? Man mag das, gemessen an anderen noch weitaus unattraktiveren Gegenden, als ein Luxusproblem betrachten – und doch steht für mich fest: Eine an Naturerlebnissen reiche und damit vergleichsweise intakte und attraktive Kulturlandschaft ist ein kostbares und leider zusehends knapper werdendes Gut. Das Staunen über die Schönheit der Natur ist ein „Wohlfühlfaktor“ – nicht nur eine Labsal für die Psyche, sondern letztendlich vielleicht sogar ein auch wirtschaftlich ins Gewicht fallender Standortfaktor (wirksam gegen rückläufige Bevölkerungszahlen beispielsweise). Kurzum: der Unterhölzer Wald ist mir da, na ja, auch zu einer Art Einbürgerungshilfe geworden und ein bisschen wohl auch zum Seelentröster!

Was die Schönheit dieses Waldes anbetrifft, so habe ich mich hier schon immer an einen in der Forstbranche unvergessenen Klassiker erinnert gefühlt: an den schlesischen Freiherrn Heinrich von Salisch, seines Zeichens deutschkonservativer Reichstagsabgeordneter und Verfasser des 1885 erschienenen Buchs Forstästhetik, in welchem er seine „Waldschönheitslehre“ (leider vergeblich) auch als Unterrichtsfach für Forststudenten (damals gab es noch keine Forststudentinnen) einzuführen bemüht war. Ihn als Gewährsmann zitiere ich in meinem Buch mit dem womöglich schon ein bisschen verstaubt klingenden Satz:

„Je schöner der Wald, desto mehr Liebe wird er finden, desto bereitwilliger werden die gesetzgebenden Körperschaften dem Walde reiche Mittel zuwenden und die Bevölkerung wird den Wald lieben und ehren.“

Schönheit, Ästhetik eines Waldes, gar des Wirtschaftswaldes: Kann das heute, im Zeitalter der hochmechanisierten Holzernte und der knallharten Betriebswirtschaft auch in den Forstbetrieben, überhaupt noch ein Kriterium sein? Für den Unterhölzer scheint mir das Zitat des Freiherrn von Salisch derzeit jedenfalls durchaus noch aktuell zu sein. Denn apropos „reiche Mittel gesetzgebender Körperschaften“: Im Rahmen des Naturschutzgroßprojekts Baar, das gerade sein Zehnjähriges feiert, fließen insgesamt 8,6 Mio Euro (davon 75 % vom Bund, 20 % vom Land, 5 % von den Projektträgern, den Landkreisen) in unsere Region, in dieses „Drehkreuz der Wildtierkorridore von nationaler Bedeutung“nicht zuletzt also auch in dessen „Filetstück“, in den Unterhölzer Wald – natürlich nicht nur wegen seiner Schönheit, sondern mehr noch wegen seines enormen ökologischen Werts.

Hute-Eiche

Aufgrund seiner langen Geschichte als „Hutewald“ (in den die Bauern der Umgebung einst ihr Vieh getrieben haben, um überleben zu können), aber vor allem als Hofjagdgebiet, das bis 1918 dem Fürstenhaus als 500 ha großer eingezäunter „Thiergarten“ diente und seit 1939 als Naturschutzgebiet ausgewiesen ist, hat sich etwas erhalten lassen, was hierzulande Seltenheitswert hat: Ein extensiv genutzter „Märchenwald“ aus uralten Eichen und Buchen. Damit auch ein einzigartiges Refugium für eine Vielfalt von Höhlenbrütern, holzbesiedelnden Pilzen und seltensten Flechtenarten, sogar von sog. „Urwaldreliktarten“ (Arten, die seit Urwaldzeiten nur in urwaldartigem Milieu überlebt haben können). Und für uns Baaremer obendrein ein Naherholungsgebiet, das Seinesgleichen sucht.

Märchenwald

Obwohl ich in meinem Buch auch manchen Zielkonflikt aufgegriffen habe, wollte ich mit ihm doch vor allem Freude am Natur- und Walderlebnis wecken! Dank Unterhölzer samt angrenzendem Birkenried und dem NSG Mittelmeß gibt es sie hier tatsächlich noch: die einst so vielgepriesene „herbe Schönheit“ der Baar. Sie gilt es, wie ich meine, in unserer urbanisierten, technisierten und digitalisierten Welt nicht nur zu erhalten, sondern auch weiter zu vermitteln: Der Unterhölzer Wald: für mich ein liebenswertes Stück einer fast noch barocken, noch durch und durch analogen Primärwelt – ein Stück Lebensqualität!

Weshalbich meinem Buch auch ein Motto vorangestellt habe, das ich mir von John Muir ausgeliehen habe, einem der Begründer der US-amerikanischen Naturschutzbewegung und Vater der Nationalparkidee:

Wir alle brauchen nicht nur Brot, sondern auch Schönheit, Orte zum Spielen und Beten, wo die Natur uns heilen und aufmuntern kann und unserem Körper und unserer Seele gleichermaßen Kraft verleihen kann.

Dass Eichen und Buchen so alt werden durften und überlebt haben, dass der Unterhölzer Wald heute nicht überwiegend aus Fichten besteht, ist vor allem der Jagdpassion und damit natürlich auch dem Prestigebedürfnis der Fürsten zu Fürstenberg zu verdanken. In deren Ahnengalerie war Fürst Joseph Wenzel wohl der allerpassionierteste Jäger, denn er ließ nahezu gleichzeitig drei Jagdschlösser errichten: eines auf der Länge, eines im Tal von Bachzimmern und eines im Unterhölzer.

Davon ist das Längeschloss allerdings bereits 1840 wieder abgerissen worden: wie es heißt wegen Baufälligkeit und weil es zeitweilig auch als Lazarett für Cholerakranke gedient hatte, wohl auch weil die Länge als Hofjagdgebiet etwas zu abgelegen war. So kommt es, dass hier jetzt halt leider nur noch die Schlossallee daran erinnert.

Bachzimmern hat eine sehr viel bewegtere Geschichte, zumal hier ja auch das F.F. Eisenwerk stand. Weil die Klagen der Untertanen über enorme Wildschäden überhand genommen hatten, war 1781 das gesamte Rotwild der Baar und des Baarschwarzwalds mit Hilfe von 7560 zur Jagdfron verpflichteten Untertanen in den dortigen 2000 ha umfassenden „Großen Thiergarten“ getrieben worden. Doch 1810 musste das Gehege aus Kostengründen aufgegeben werden (die Pfosten fürs Gehege waren allzu rasch vermorscht und auch der Fütterungsaufwand war zu teuer geworden); 100 (!) lebend wieder eingefangene Hirsche wurden in den auf 500 ha erweiterten „Kleinen Thiergarten“ des Unterhölzers umgesiedelt. Nun erst begann hier die große Zeit, wo sich bald alljährlich der Hochadel zur Jagd einfand. Auch nach dem Ende des Geheges 1918, verursacht durch zurückflutende hungrige württembergische Truppen, trifft man sich hier noch zur Fuchsjagd und zur allsommerlichen Rufjagd auf den brunftigen Rehbock – das Streckelegen vor dem Donaueschinger Schloss war bis unlängst noch das gesellschaftliche Highlight des Jahres.

Hochadel

Natürlich stellt sich einem als Ruhestandsförster da auch die Frage: Naturschutzgebiet und Hofjagd – wie passt das eigentlich zusammen – bei einem auch heute noch enormen Bestand von Dam-, Reh- und Schwarzwild, unter dem massiv die Waldverjüngung leidet? Schon zu Tiergarten-Zeiten, also seit 1780 mit Jagdschloss (dem bescheiden sog. „Jägerhaus“), mit Torhäusern, schnurgeraden „Gestellen“ (Chausseen), mit einer prächtigen Kulisse aus parkartig erwachsenen Baumoriginalen und viel jagdlicher Prominenz, schon damals hatte sich der Wald schwergetan, hatten die Schäden durch Verbiss, damals auch noch durch das Rindenschälen und Fegen des Rotwilds dramatische Formen angenommen. Nicht nur deswegen, sondern auch wegen genetischer Verarmung, wurde das Rotwild um die vorletzte Jahrhundertwende per Abschuss aus dem Gehege verbannt und stattdessen das Damwild umso mehr gehegt. Das feudale Jagdvergnügen hatte – und hat fraglos noch immer – einen hohen waldökologischen Preis. Auch durch noch so intensives Zufüttern des Wilds lässt sich keine nennenswerte Entlastung vom Verbissdruck erreichen. 

In der ursprünglichen Schutzverordnung des NSG von 1939 war noch die Forderung enthalten, dass nach Maßgabe einer gemeinsam von der F.F. Forstverwaltung und der Naturschutzbehörde zu erstellenden Richtlinie nicht nur der „Naturwald“ zu erhalten sei (also auch für dessen Nachwuchs zu sorgen sei), sondern dass der vorwiegend aus Fichten bestehende „Wirtschaftswald“ in Mischwald umzubauen sei; diese Forderung ist 1969 in der erneuerten Schutzverordnung leider glatt unter den Tisch gefallen. Man hatte wohl beidseits (auf Seiten der Naturschutzbehörde wie des Eigentümers) kapituliert vor den Verbissschäden und den Verbissschutzkosten; womit den jagdlichen Interessen des Eigentümers eindeutig der Vorrang eingeräumt worden ist. Was seitdem der Besucher freilich als besonders reizvoll erlebt dank des lichten, parkartigen Charakters des Waldes (mit wenig Unterholz im Unterhölzer) und damit der Chance auf gelegentlichen Anblick von Wild; unterm Aspekt waldökologischer Nachhaltigkeit muss dieser Istzustand allerdings eher Besorgnis auslösen. Im Rahmen des Naturschutzgroßprojekts wurde immerhin damit begonnen, zur Verjüngung der Eichen Kleinzäune zu errichten.

Unstrittig ist, dass die Erhaltung der alten Eichen und Buchen, des sog. „Naturwalds“, und die Verhinderung des noch rascheren Vordringens des Fichten-Wirtschaftswalds immer wieder auch den persönlichen Einsatz Seiner Durchlaucht erforderte. So geht es auch schon aus einem Bericht des F.F. Forstverwalters v. 6. 7. 1881 an die Domänenkammer hervor: Der Thiergarten ist z. Zt. ungefähr mit 2/3 Laubholz und bereits mit 1/3 Nadelholz bestockt. S. D. der Fürst haben das Verhältnis in jüngster Zeit bemerkt und uns beauftragt, der fürstlichen Domänenkanzlei zu berichten, dass mit dem Verjüngen der alten Laubholzbestände innerhalb des Thiergartens mit Nadelholz eingehalten werden solle, da sonst der Tiergarten den Charakter eines Wildparks verliere. 

Es sollte in der Hofjagd eben auch weiterhin das von Alteichen und Altbuchen dominierte jagdliche Ambiente stimmen, so unverzichtbar ansonsten die um soviel profitablere Fichtenwirtschaft für die Haushaltslage des Fürstenhauses war und ist. Wobei sich freilich auch die Eichen im 19. Jahrhundert als Eisenbahnschwellen noch recht gut vermarkten ließen – und auch das sonstige Laubholz aus dem „Naturwald“ wird ja noch heute – zumindest extensiv – genutzt. Zumal Brennholz in Zeiten des Energiesparens und der explodierenden Kosten bekanntlich wieder sehr gesucht ist!

Der besondere Reiz des NSG Unterhölzer liegt nicht zuletzt auch im Nebeneinander von altem Laubmischwald und dem einst von den Pfohrenern abgetorften Niedermoor des Birkenrieds sowie dem Vogelparadies des Unterhölzer Weihers, dessen Aufstau zum Zweck der Fischerei bereits im Jahr 1499 erfolgt ist. Auch im Birkenried gedeihen extrem seltene Raritäten: so etwa das Eiszeitrelikt Strauchbirke oder die seltene Buschnelke. Hier kommt als größte Rarität der Blauschillernde Feuerfalter noch vor, aus der Vogelwelt das stark gefährdete Braunkehlchen (der Vogel des Jahres 2023) und das Schwarzkehlchen, sowie Korn- und Wiesenweihen. Ob es sich bei den Birken durchweg um die Moorbirke, den Baum des Jahres 2023, handelt, vermag ich leider nicht zu entscheiden. Denn selbst botanisch Beschlagenere tun sich schwer mit der Identifizierung je nach Behaarung der Blattunterseite, weil es überdies auch noch zur Bastardbildung zwischen Betula pendula und Betula pubscens kommt.

Hauptargument für die Kür der Moorbirke zum Baum des Jahres: Moore geraten derzeit ja auch immer mehr ins Zentrum des Klimaschutzes, weil sie in intaktem (d. h. vernässtem) Zustand mit Abstand das meiste Treibhausgas zu speichern vermögen. Weshalb 2014 ja auch eine Moorschutzkonzeption verkündet und mit reichlich Fördermitteln ausgestattet worden ist mit dem Hauptziel der Wiedervernässung trockengelegter Moore. Im Birkenried hat sich hierbei ein tüchtiger Helfershelfer eingefunden, der mithilfe seiner Dammbauten geradezu amphibische Landschaften zu schaffen in der Lage ist. So trägt der Biber nicht unwesentlich zum Kampf gegen die Klimaerwärmung „mit naturbasierten Mitteln“  bei. Er wird sich davon auch nicht durch die jüngsten Zuwanderer abhalten lassen, die hier erstmals nachgewiesenen Goldschakalfamilie. Auch der erste Wolf wurde ja 2016 am Unterhölzer gesichtet (daher „Drehkreuz“), damals noch freudig begrüßt durch Minister Hauk.

Klimaschutz

Dass auch der F.F. Wald als „CO2-Senke“ Klimaschutzleistungen erbringt, soll dem Waldbesucher mit einer orangefarbenen großen Acht gleich am Waldeingang in Erinnerung gebracht werden. Wer den QR-Code zu entschlüsseln vermag, der lernt, dass im Wald pro Jahr und Hektar mindestens 8 Tonnen des Treibhausgases gespeichert werden. Der Forstbetrieb Fürstenberg Forst GmbH ist damit erkennbar bemüht, auch die klimapolitische Leistung seines 18.000 ha großen Waldbesitzes gewinnbringend zu vermarkten, wie man erst kürzlich wieder in der Zeitung nachlesen konnte: Er scheint dabei allerdings nicht so sehr auf „naturbasierte Mittel“ zu setzen, also auf Wiedervernässung, Holzwachstum und Humusaufbau, sondern auf Technologie: Er plant neben den bereits bestehenden 6 Windrädern weitere 50(!)-WEA-Standorte in seinen Wäldern zu verpachten (bei einem Platzbedarf einer WEA von ca. 1 ha Wald sind das immerhin 56 WEA x 1 ha x 8 t = 446 t, die pro Jahr in der CO2-Senke Wald ungespeichert bleiben) – aber das wäre wieder ein anderes Vortragsthema.  

Die Beiträge zur Energiewende und zum Klimaschutz waren sicher nicht primär der Auslöser für meine „Liebesbeziehung“. Eher war es wohl doch der Wildnischarakter – auch wenn die immer wieder geäußerte Ansicht der F.F. Förster wohl nicht ganz zutrifft, dass es sich beim Unterhölzer um die „Reste eines Urwalds“ aus der steinzeitlichen Eichenmischwaldzeit handeln müsse (als das Klima noch um einiges milder war als heute). Für mich ist es wohl vor allem der ästhetische Genuss, der mich immer wieder da hin zieht, der Anblick des Krummwüchsigen und Bizarren, im Frühjahr das frische Buchengrün, im Herbst die Verfärbung. Natürlich darf auch das Vogelkonzert nicht fehlen, das Hämmern und Kichern der Spechte oder der Geruch des Bärlauchs. Es ist die Gegenwelt zu unserem oft allzu grauen Alltag – wie geschaffen für unsere krisengebeutelte Gegenwartsgesellschaft!

Buchenschleimrüblinge

Nichts kennzeichnet den echten Urwald, aber auch die sich selbst überlassene Naturwaldzelle, das Waldreservat, eindeutiger, nichts taugt als Gradmesser für Naturnähe besser als die Fülle der Pilze an Strünken und Stämmen: In nichts unterscheiden sich reife (d. h. alte, unverkürzte) Waldökosysteme augenfälliger vom kurzlebigen Wirtschaftswald als in ihrer Pilzflora. Im „Naturwald“-Teil des Unterhölzers hat die über Jahrhunderte hinweg praktizierte nur extensive Nutzung der alten Buchen und Eichen dazu geführt, dass die Vielfalt baumbesiedelnder/holzabbauender Pilze und das Vorkommen echter Raritäten in Deutschlands Südwestecke ihresgleichen sucht. Wo sonst bekommt man sie noch zu Gesicht, die Stachelbärte, Schüpplinge, Rüblinge, Porlinge, Stäublinge, Mürblinge, Schwindlinge, deren botanisch korrekte Zuordnung mykologische Spezialkenntnisse erfordert. Ihr Kommen und Verschwinden je nach Baumart, Alter und Zerfallsgrad des Holzes, gar ihr unterirdisches Mykorrhiza-Geflecht – ein wahres Mysterium! Auch wenn manches an dem angeblichen Kommunikationssystem von Baum zu Baum über die Pilzfäden, auf Neudeutsch: dem „Wood Wide Web“,  wohl allzu enthusiastisch interpretiert worden ist (s. Peter Wohlleben), wie kürzlich DER SPIEGEL unter der Überschrift „Hirngespinst unter dem Waldboden“ berichtet hat – unter Hinweis auf kanadische und US-amerikanische Forschungsergebnisse. Doch es bleibt ein Wunder: Wie konnten all die Pilzarten überhaupt überleben in unseren Kulturlandschaften mit den immer fragmentierteren (verinselteren) und auf Wirtschaftlichkeit getrimmten Wäldern?

Am häufigsten und am auffälligsten besiedeln die Zunderschwämme die Buchenstrünke, einst gesuchter Rohstoff der Zundelmacher, gelaugt und gewalkt nach streng gehüteten Verfahrensweisen, sodann schier universell verwendbar von Mützen (die sogar als Mittel gegen Kopfschmerz empfohlen wurden) über die Bekleidung, als Unterlage bei chirurgischen Bandagen bis zum Künstlerbedarf. In Todtnau gab es im 19. Jahrhundert sogar noch eine florierende Zunderindustrie (die die Schwämme allerdings bald aus den Balkanländern einführen musste). Nach Auskunft der Badischen Gewerbezeitung soll 1874 ein so gewaltiger Naturschwamm verarbeitet worden sein, dass daraus ein Talar für den Freiburger Erzbischof angefertigt werden konnte, nahtlos aus einem Stück! 

Zunderschwämme

Die Pferdehuf-ähnlichen, knochenharten, oft Jahrzehnte alten Fruchtkörper mit ihrem stets horizontalen Wachstum, ob am stehenden oder liegenden Holz, ernähren Dutzende von Schwammkäferarten. In einer einzigen Vegetationsperiode wurden im Zuge des Naturschutzgroßprojekts Baar 165 „xylobionte“ (holzbewohnende) Käferarten im Unterhölzer nachgewiesen, darunter acht, die hohen Gefährdungsstufen der Roten Liste und den echten Urwaldreliktarten zugerechnet werden. Definitionsgemäß kommen diese nur eben dort noch vor, wo seit der nacheiszeitlichen Wiederbewaldung eine ungebrochene Lebensraumtradition anzunehmen ist, mit vielfältigen Strukturen und einem reichhaltigen Inventar von alten Bäumen, von Mulmhöhlen, von starkem stehenden und liegenden Totholz –  Verhältnissen also, wie sie sonst allenfalls in Urwäldern noch anzutreffen sind.

Eine zentrale Rolle für den Nährstoffkreislauf wie für die Artenvielfalt kommt bekanntlich auch den Spechten zu: einmal beim Zerkleinern von Totholz, zum andern durch die Spechthöhlen und deren Nachmieter, ob Fledermäuse, Baummarder, Bilche, Hummeln, Wildbienen, Spinnen, Asseln, Würmer und sonstige Mulmbewohner. Zehn Fledermausarten wurden im Unterhölzer nachgewiesen, darunter die hochgradig vom Aussterben bedrohte Bechstein- und die Mopsfledermaus. Laubwälder mit hohem Alt- und Totholzanteil gelten als unersetzlicher Lebensraum für insgesamt 6.800 Tier- und 1.600 Pilzarten! Kein Wunder, dass sogar im Koalitionsvertrag der Ampel gefordert wird, alte Buchenwälder, soweit sie sich in öffentlichem Eigentum befinden, aus der Bewirtschaftung zu entlassen und zu schützen im Zuge der nationalen Biodiversitätsstrategie um den Artenschwund zu stoppen. Weltweit sollen sogar 30 % Schutzgebiete entstehen, so war ja kürzlich jedenfalls der Beschluss der Weltnaturschutzkonferenz in Montreal.

Eine weitere Besonderheit des Unterhölzers ist das Vorkommen von Wildobst, von Malus silvestris, dem Wild- oder Holzapfel, und Pirus pyraster, der Wild- oder Holzbirne. Beide Arten kommen auf der Baar noch vergleichsweise reinrassig vor, während kontinentweit sonst Hybridformen überwiegen. Das Fehlen  konkurrierender Kultursorten scheint sich hier für den Artenerhalt geradezu als Glücksfall erwiesen zu haben. Weil Wildobst keine Kreuzungsbarrieren kennt und in den heutigen Kulturlandschaften extrem selten geworden ist, wurde die Wildbirne 1998, der Wildapfel 2013 jeweils zum Baum des Jahres gekürt, um die in Ihrer Existenz stark gefährdeten Baumarten wieder einmal ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. 

Einer, der das mit den fehlenden Kultursorten auf der Baar unbedingt ändern wollte, war der im Immendinger Schloss residierende Baron in fürstenbergischen Diensten Friedrich Roth von Schreckenstein, 1805 der Gründer des ältesten deutschen Geschichtsvereins, ein leidenschaftlicher Pomologe. In seinem ersten Vortrag vor dem Verein empfahl er eine Auswahl von 60 Obstsorten für die raue Baar – womit er freilich kläglich gescheitert ist, wie wir heute wissen – sehr zum Vorteil des Wildobstes. Dass es im Unterhölzer einst dem Wild zuliebe auch angepflanzt oder doch gefördert worden ist, liegt auf der Hand. Denn vor allem mit den kleinen Birnchen lassen sich Reh- und Damwild zielgenau herbeilocken (in der Jägersprache: „ankirren“). Die Wildapfelbäume auf der Königswiese inmitten des Unterhölzers zeugen noch heute von diesen Bemühungen, desgleichen eine Wildbirne in Schussweite vom Jagdschlösschen entfernt. 

Damwild

Zu den auf der Baar natürlich vorkommenden Baumarten zählt zweifellos auch die Fichte, die als Nordländerin einst freilich vor allem die Moorränder besiedelt und erst ab dem Mittelalter dann mächtig zugelegt hat dank menschlicher Nachhilfe. Speziell in den F.F. Wäldern war die so profitable Fichte bald allgegenwärtig, so sehr, dass das Kürzel F.F. unter spöttischen Forstkollegen bald für Fichte Fichte stand (nach der uralten Försterweisheit Willst Du deinen Wald vernichten, pflanze Fichten nichts als Fichten). Von dieser Vorliebe sollte auch der Unterhölzer nicht ganz verschont bleiben, wie aus der Vogelperspektive leicht zu erkennen ist.

Kadaververjüngung der Fichte
Fichten im Vormarsch

Eine Spezialität der Fichte fällt einem im Unterhölzer besonders oft ins Auge: Ihre Fähigkeit zur „Kadaververjüngung“ (so der Försterslang), also sich auf dem Moder- oder Totholz abgängiger Buchen und Eichen anzusiedeln. Was bei starker Vergrasung und bei hohem Verbissdruck eine durchaus erfolgreiche Strategie sein kann, mit der die Fichte auch gern ganz von allein den Laubwald unterwandert.

Ein Unterschied bei der Fichtenwirtschaft innerhalb und außerhalb des Naturschutzgebiets ist nicht auszumachen (Großmaschineneinsatz, Maschinengassen alle 20 m). Die spannende Frage ist heute, wie lange die so flachwurzelnde, borkenkäfergefährdete Fichte im Trockenstress des Klimawandels durchhalten wird, ob nicht der „Brotbaum“ bereits dabei ist, sich zum „Katastrophenbaum“ zu verwandeln. 

Weil aber mit Laubholz nun einmal nicht viel zu verdienen ist, kam F.F. auf die Idee, unter seinen Eichen und Buchen einen Friedwald anzulegen (wobei man ja bereits auf Erfahrungen mit etlichen weiteren Friedwäldern zurückgreifen konnte): Urnenbestattung im Wald als Wertschöpfung ganz ohne Notwendigkeit, im NSG Holz ernten und vermarkten zu müssen – eine wahre Win-win-Strategie! Allerdings scheiterte der Plan, wie es hieß, am Widerstand der örtlichen Geistlichkeit. Die Ersatzlösung: ein Tierfriedhof. Der fand dann sogar die Zustimmung der oberen Naturschutzbehörde.

Damit komme ich zum Schluss unseres bebilderten Ausflugs in den Unterhölzer zum Tag des Waldes: Schon im Vorwort meines 1978 im Auftrag des Stuttgarter Forstministers erschienenen Erstlings, des Bildtextbands Begegnung mit Bäumen, hatte ich als Gewährsmann für mein Anliegen den Baseler Biologen, Zoologen, Anthropologen und Naturphilosophen Adolf PORTMANN (1897 – 1982) zitiert. Dessen Botschaft will mir  heute aktueller denn je erscheinen, weshalb ich sie auch ans Ende meines Unterhölzer-Buchs gesetzt habe und jetzt auch meinen Vortrag damit beenden möchte. Nehmen Sie das Zitat als Wort zum Tag des Waldes:

Unsere Welt wird in steigendem Maß beherrscht durch das von uns Erfundene, durch den Apparat. Der Rausch des Machens, des Apparateherstellens – auch der Zwang dazu wächst ständig. So wird denn – aber zu wenig beachtet – immer bedeutungsvoller die Aufgabe der Kompensation: Es gilt, den Blick auf das nicht von uns Geschaffene zu richten, auf das Entstandene, auf das Geheimnis der Schöpfung, das mit der wissenschaftlichen Einsicht nicht geringer, sondern größer wird. Es ist von größter Bedeutung, dass die ursprünglichen Quellen reich fließen, dass das unmittelbare Leben mit Menschen und Naturgestalten, mit Natureindrücken nicht von einer Scheinwelt verdrängt werde.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!