Was ist los mit dem Moos?
Moos genießt gemeinhin die ungeteilte Sympathie der Waldbesucher – denn was wäre schon ein Wald ohne seine schwellenden Moospolster! Zumal bemooste Stammverhaue gehören zu den unverzichtbaren Requisiten naturnaher Wälder, allemal der Schluchtwälder. Und auch die unterm Moosbehang halberstickten Nadelbäumchen am Bachufer passen ja wohl mit dazu; niemand käme auf die Idee, es könnte sich bei ihrem Darben um ein morbides Symptom der Klimakrise handeln. Wo wir uns die Konfrontation mit dieser Zeiterscheinung auf unserer Schluchtwanderung doch ohnehin möglichst ersparen wollten.
Freilich wurde ich (schon vor über einem Jahrzehnt am Rande einer waldkundlichen Vortragsveranstaltung in Baiersbronn) auch auf eine ganz andere, ja offensichtlich bedrohliche „Vermoosung“ von jungen Tannen- und Fichten aufmerksam gemacht. Ein bäuerlicher Waldbesitzer hatte mich bestürmt, ich müsse unbedingt noch einen Blick in seinen Wald werfen, wo es neuerdings zu gravierenden Umweltschäden gekommen sei. Und tatsächlich: in seinem Waldstück in einem Seitental der Murg zeigte sich die junge Tannengeneration unterm Schirm des Altbestands gespensterhaft bemoost. Fast kam ich mir vor, als befände ich mich im Regenwald an der amerikanischen Westküste – was war hier los?
Da und dort war der Jungwald offenbar bereits erstickt und zusammengebrochen, sodass der Hilferuf des Waldeigentümers umso verständlicher erschien. Ein Übermaß an Luftfeuchte und Niederschlag durfte hier ja wohl nicht als Ursache in Frage kommen, war doch der „Jahrhundertsommer 2003“ mit seinen Rekordtemperaturen noch in lebhafter Erinnerung – jenes denkwürdige Jahr, in dem die grüne Umweltministerin Renate Künast das Waldsterben endgültig für beendet erklärt hatte. Oder waren am plötzlichen Mooswachstum nicht vielleicht doch auch wieder Stoffeinträge verantwortlich, etwa die Stickstoffdusche aus Landwirtschaft und Verkehr, die am Humus zehrte? Grund genug also, das Rätsel mit der Kamera festzuhalten und dem Waldbesitzer zu versichern, man werde sich schlau machen bei den Experten der Freiburger Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt FVA. Erst einmal solle er doch seinen Wald per Holzhieb ein bisschen durchlüften, so lautete meine Empfehlung zum Abschluss des Begangs.
Leider habe ich nicht Wort gehalten: das Rätsel blieb ungelöst. Denn in der Folge hatten andere Waldthemen die Oberhand gewonnen: Borkenkäfer- und Dürreschäden (selbst an der vermeintlich klimaharten Weißtanne) und Waldbrände bislang unbekannten Ausmaßes, auch katastrophale Starkniederschläge und zu allem hin eine sich zunehmend verschärfende Diskussion um eine zeitgemäßere Prioritätenliste der vom Wald zu erbringenden Leistungen in den Zeiten des galoppierenden Klimawandels.
Da meldete sich kürzlich unverhofft ein befreundeter Forstkollege i. R. aus dem mittleren Schwarzwald, der berichtete, die Elztäler Tannenjugend leide unter zunehmendem Moosbewuchs. Da müsse doch wohl die Wissenschaft alarmiert werden, um die Ursachen des spektakulären Vorgangs zu erforschen und nach Abhilfemaßnahmen zu fahnden. Für mich Grund genug jedenfalls, mich des Baiersbronner Waldbesuchs zu erinnern und mich eilends im heimischen Wald auf der Baar umzusehen. Am besten ja wohl da, wo in jüngerer Zeit keine forstwirtschaftlichen Eingriffe mehr erfolgt waren: im tannenreichen Bannwald „Haldenwald“ östlich der A 81 auf Gemarkung Tuningen. Hatte sich auch auf den nährstoffreichen Tonlehmstandorten des Braunjuras etwas verändert, wo das Waldwachstum Höchstleistungen zu erbringen verspricht? Und siehe da, auch hier ist in den Dickungen die Zunahme des Moosbewuchses nicht zu übersehen. Könnte es sein, dass das durch die Trockenheit stark gedrosselte Wachstum der zurückliegenden Jahre den Moosbehang der Zweige gefördert hat, nicht anders als massierter Flechtenbewuchs am absterbenden Holz? Derweil zeigen sich die 200jährigen Alttannen in einem Ausmaß vom Tannenborkenkäfer befallen, wie es die Forstentomologen wohl noch kaum jemals beschrieben haben. Denn selbst den Tannen, den Tiefwurzlern unter den Nadelbäumen, dürfte es nach den Jahren der Trockenheit nicht mehr gelungen sein, Wasser aus den steinhart verbackenen Braunjura- Tonlehmen in die Kronen hoch zu pumpen.
Bannwälder haben vorrangig der Forschung zu dienen, und so finden sich unterdessen auch im Haldenwald allerlei Markierungen von Beobachtungs- und Kontrollpunkten. Wenn überhaupt irgendwo, so müssten sich aktuelle Veränderungen der Vegetation und des Baumwachstums in den Waldschutzgebieten des Landes bemerkbar machen und dokumentiert werden. Ob da demnächst wohl auch was an die nichtforstliche Öffentlichkeit dringen wird?
Die Erscheinung starker Moosbehänge an dicht- oder unterständigen Tannen oder Fichten ist keine neue Erscheinung, diesbezügliche Beobachtungen haben mich immer wieder mal erreicht. Bei Artbestimmungen landet man fast immer beim Zypressen-Schlafmoos (Hypnum cupressiforme), eine Allerweltsart im Schwarzwald und somit leider auch naturschutzfachlich keine Besonderheit.
Regelmäßig tritt dieses Moos epiphytisch an den Stämmen auf, aber unter gewissen Umständen kann es auch auf die Äste übergreifen und dann regelrechte Behänge bilden. Luftfeuchtigkeit ist sicher ein Standortsfaktor, wobei epiphytische Moose auch mal eine völlige Austrocknung vertragen, denn nach der Wiederbefeuchtung wachsen sie putzmunter weiter. Atmosphärische Stickstoffeinträge schaden dem Zypressen-Schlafmoos sicher auch nicht, aber die N-Deposition ist ja keine neue Erscheinung und tendenziell in den letzten beiden Jahrzehnten zurückgegangen. Und eine geringe Belichtung, verbunden mit Schwachwüchsigkeit bei den Trägerbäumen, würde ich aus den Erfahrungen auch bestätigen. Vitale Tanne oder Fichten mit halbmeter- bis meterlangen Jahrestrieben wachsen oben einfach zu schnell für das Moos und sind dann irgendwann aus der kritischen Zone der Luftfeuchtigkeit heraus.
Dass Bäume unter dem Moosbehang zusammenbrechen ist dann schon eine eher seltene Erscheinung. Dies dem Klimawandel anzuhängen würde ich aber als zu weit hergeholt betrachten. Eine frühzeitige Einzelbaumförderung, verbunden mit erhöhtem Strahlungsgenuss für die jungen Bäumchen, wäre eine geeignete Therapie gewesen, wenn eine Übermacht der Moosfraktion erkennbar wird. Im Bannwald wird das natürlich nicht passieren, und deswegen fallen hier die jungen Bäumchen auch mal um, was dem epiphytischen Moos aber auch nicht wirklich einen Vorteil bringt. Die Natur geht manchmal merkwürdige Wege!
Dr. Hans-Gerhard Michiels
Abteilung Waldnaturschutz, Arbeitsbereich Waldpflanzenökologie,
Waldökologische Standortskartierung
Vielen Dank Herr Dr. Michiels für die Antwort!
Wir haben diese über E-Mail bekommen und mit seiner Erlaubnis hier eingefügt.
Wir würden uns hier sehr über weitere Berichte über ähnliche Beobachtungen freuen!