Touristische Geniestreiche

Touristische Geniestreiche

17. Juni 2023 0 Von Wolf Hockenjos

Beeindruckende Naturlandschaften prägen die Region im mittleren Schwarzwald. Urwüchsige Bannwälder am Zweribach oder am Feldsee, wohlbehütete Naturschutzgebiete in der Wutachschlucht… Entdecke mit dem Hochschwarzwald ein nachhaltiges Urlaubsziel – hier und jetzt.

Aus dem Werbetext der Tourist-Information Hochschwarzwald, 2023.

                                        

O Schwarzwald, o Heimat, o…

Auf den Titelseiten des Schwarzwälder Boten ist zuunterst meist auch noch Platz für kurze Notizen aus der Region. Unter der Überschrift Zwei Himmelsliegen für die Linachtalsperre erfährt der Leser am 13. Juni 2023, der Vöhrenbacher Stausee sei nun „um eine Attraktion reicher“ geworden. „Geplant ist es“, so schließt der Bericht, „den idyllischen Stausee weiter aufzuwerten, beispielsweise durch einen virtuellen Rundgang.

Wie haben wir uns den wohl vorzustellen, wenn er denn verwirklicht werden sollte? Kaum zu glauben, was heutzutage nicht alles unternommen wird fürs Wohl des Gastes! Ob der nächstens wohl, ausgestreckt auf einer der Himmelsliegen, mit virtueller Aufklärung über die Hintergründe des Badeverbots oder über die Vorzüge der Wasserkraft rechnen darf – gemessen womöglich an den Einbußen, die der Schwarzwald-Landschaft durch monströse Windenergieanlagen drohen?

Linacher Stausee
Noch Platz auf der Himmelsliege

Anderntags, am 14. 6. 2023, überschreibt der Schwarzwälder Bote an gleicher Stelle eine Notiz aus Triberg mit Rasante Schlittenfahrt mitten im Frühsommer. Um eine Attraktion reicher sei das Instagram-Museum Triberg-Fantasy geworden. Eine VR-Brille ermögliche dem Besucher jetzt auch im Frühsommer wie schon beim Triberger Weihnachtszauber mit dem Hightech-Gefährt des Weihnachtsmanns eine abenteuerliche Fahrt und damit in andere Welten einzutauchen. Komme die Besonderheit gut an, sollen womöglich noch weitere ihrer Art folgen.

Mit Landschaft allein, lernt der Leser, scheint man keinen Urlauber mehr in den Schwarzwald locken zu können, mag sie weltweit noch immer einen erstaunlichen touristischen Ruf genießen. Es bedarf zusätzlicher Anreize, ob im Kleinen (Himmelsliegen) oder im Großen (analog wie virtuell). Am frühesten ist wohl den Tribergern aufgefallen, dass es nicht damit getan ist, einen Wasserfall (und sei es „Deutschlands größter“) anzubieten und zu vermarkten; selbst dann nicht, wenn der Zustrom von Touristen seit Eröffnung der Schwarzwaldbahn anno 1872 nicht mehr abreißen will. Und wenn der Wasserfall-Besucher schon am Kassenhäuschen Eintritt bezahlen muss, so sind ihm halt auch noch Events zu bieten – und das bereits seit der touristischen Frühzeit des 19. Jahrhunderts! Die haben damals sogar den Präsidenten des Schwarzwaldvereins, Prof. Ludwig Neumann, entzückt: In seinem 1897 erschienenen Prachtband „Der Schwarzwald in Wort und Bild“ schreibt er voller Bewunderung: Sinkt die Nacht herein, dann leuchtet der Gischt auf in elektrischem Licht oder in bengalischen Flammen, steigende Raketen übergießen die glitzernden Fälle mit magischem, farbenprächtigem Licht. Das Bild, welches der Fall bei solcher Beleuchtung im Rahmen der dunklen Tannen gewährt, ist von packender Schönheit.“

Den Triberger Rummel um den so perfekt kommerzialisierten Wasserfall hat freilich 1901 schon der Flensburger Reiseschriftsteller Wilhelm Jensen (1837 – 1911) in seinem Band „Der Schwarzwald“ mit spitzer Feder als „Spekulation auf die Narrheit der Menschen“ gegeißelt. Für ihn war der Schwarzwald ja noch „eine der schönsten, heimlichsten Bergwelten, die Deutschland besitzt“.

Triberger Weihnachtszauber am Wasserfall

Was die Triberger Eventmanager jedoch bis heute nicht daran hindert, immer noch glamourösere, noch naturfernere Ideen zu ersinnen und umzusetzen: „Triberger Weihnachtszauber – direkt an Deutschlands höchsten Wasserfällen“, illuminiert mit 500.000 Lichtern, dazu Feuershow mit Rockband, Alphornklängen und Gospel Singers. Ganzjährig lockt neuerdings auch noch der Greifvogel- und Eulenpark Triberg mit Flugvorführungen. Anschließend dann also im Instagram-Museum Triberg Fantasy noch der Griff zur VR-Brille – und auf zur virtuellen Schlittenpartie!

Kaum zu glauben, dass es im Schwarzwald auch noch Wasserfälle gänzlich ohne Klamauk und Kassenhäuschen gibt – so etwa im Naturschutz- und Bannwaldreservat Zweribach, einem Seitental der Wilden Gutach. Sein Wasserfall rangiert an vierter Stelle der bedeutendsten Fälle des Landes, wie schon die Beschreibung des Großherzogtums Baden im Jahr 1836 verrät; erschlossen wurde er mit Pfad, Treppen, Seilgeländer und Brücke im frühen 20. Jahrhundert von Ehrenamtlichen der Sektion St. Peter des Schwarzwaldvereins. Als ob da nicht mehr daraus zu machen gewesen wäre! Immerhin hatte der oberste Hof im Tal, ein paar Fußminuten nur bis zu den Fällen, bereits Getränke und Ansichtskarten angeboten, ehe die Landwirtschaft aufgegeben wurde und er 1984 einem Brand zum Opfer fiel. Später entstand auf der Hofstelle eine schlichte, mit Rinde gedeckte Schutzhütte mit Sitzgelegenheit. Und neuerdings gibt es auch hier zwei Himmelsliegen, und der letzte verbliebene Landwirt im Talausgang lässt es sich nehmen, am Rastplatz eine rustikale, aus einem Fichtenstamm heraus gesägte Getränke-Bar zur Selbstbedienung anzubieten und immer wieder nachzufüllen.

Zweribachwasserfälle
Getränkebar

Geschäftstüchtiger waren allemal die Todtnauer mit ihrem Todtnauberger Wasserfall. Ihn konnte seit eh und je nur besuchen, wer seinen Pkw in der Aftersteger Serpentine der Notschrei-Passstraße parkte und am Kassenhäuschen Eintritt bezahlte. Wie schon in Triberg, so war auch am zweitgrößten Wasserfall des Landes das freie Betretungsrecht der Landschaft beizeiten ausgehebelt worden. Doch erst recht seit dem 26. Mai 2023 schlägt das Herz hier schneller: Mit jedem Schritt. Über Dir der Himmel, unter Dir Freiheit. Denn wir haben uns auf die 450 m lange und 120 m hohe BLACKFORESTLINE Hängebrücke, der jüngsten touristischen Attraktion des Schwarzwalds hinaus gewagt, feierlich eröffnet u. a. von Fernsehmoderator Hansy Vogt und Schwarzwald-Dragqueen Betty, letztere mit Bollenhut, versteht sich. Der Wasserfall kann nun von oben wie von unten bewundert werden, Erwachsene mit per Kombiticket von 9,00 Euro, Kinder für 1,50 Euro – das ultimative Schwarzwalderlebnis für erwartete 100.000 Gäste im Jahr. Du schaust hinab in die Wipfel der stattlichen Schwarzwaldtannen, so wird der Besuch im Netz beworben, Spürst dieses Kribbeln. Zuerst im Bauch, und dann im ganzen Körper. Die Natur zum Greifen nah und doch so weit entfernt.

„Blackforestline“ Todtnau. Foto: Daniel Reust, Wikimedia

Himmelweit entfernt jetzt also – auch vom so viel gepriesenen Schwarzwälder Landschaftserlebnis alter Art! Für den Angstschweiß-gebadeten BLACKFORESTLINE-USER empfiehlt sich jetzt schleunigst ein Besuch im Badeparadies Titisee, sei es im PALAIS VITAL (ab 16 Jahre, textilfrei), in der PALMENOASE (keine Altersbeschränkung an Familientagen) oder/und in der GALAXIE SCHWARZWALD (Kleinkinder bis einschließlich 3 Jahre frei). Nein, mit weniger als einem galaktischen Erlebnis lassen wir uns jetzt nicht mehr abspeisen – es sei denn auf einer Himmelsliege!

Unter Palmen im Badeparadies Titisee