The State of Alemannic oder der Zustand der Alemannischen Mundart
Alemannisch word nit untergau und wenn doch, erfahret ihr’s im Hieronymus z‘ erscht.
Teil 1
Carl Bodnaruk von der Universität Sydney hat im Juli 2020 eine Studie über die Nutzung des Alemannischen im Südwesten durchgeführt. Hierfür hat er 100 Antworten eines Fragebogens ausgewertet und als Diplomarbeit für den „Bachelor of Arts (thesis)“ veröffentlicht.
Hubert Mauz war einer dieser Teilnehmer und hat uns hier seinen beantworteten Fragebogen vom 01.09.2020 zur Veröffentlichung überlassen:
„En Guedde“
Gerne gehe ich auf den Fragebogen ein. Ich erlaube mir aus grossem Erfahrungssschatz etwas sehr ausführlich die Fragen zu beantworten und meine Intentionen darzustellen. Dazu ist mir die mail- Form die passendste und stilgerechteste.
Dialekt, ich, und die meisten Muttersprachler, nennen sie Mundart, nämlich die Art den Mund zu benutzen, wurde mir in die Wiege der Fam. gelegt. Der Fam. Clan lebte Ende 1950 im Umkreis von ca. 20 Km auf der Baar. Dort redete ich bis zur Volksschule mit 7 diese „Mutter- bzw. Vatersprache“ die Baaremer, Bodenseeallemannischen Mundart. In der Volksschule / Grundschule wurde uns Baaremern dann Schriftdeutsch mit mehr oder weniger Erfolg näher gebracht. Im Gymnasium wurde das intensiviert, wobei die Landsmannschaftlichen Lehrer tolerant waren und die unerbittlichen Norddeutschen Lehrer die Mundartbelasteten Schüler und Lehrer meist, fundamentalgebildet, hochnäsig u. arrogant als ungebildet betrachteten u. oft sogar so bezeichneten. Dies blieb u. bleibt in ganz winzigen Formen immer noch bei in unsere Landschaft eingereiste Schriftdeutschen. Als der Wirtschaftspolitische , geniale Werbespruch der BaWürtemberger erfunden und promotet wurde: „Wir können Alles ausser Hochdeutsch“ kippte die Stimmung urplötzlich und Alemannisch bekam einen hohen Charme und Anerkennungsstatus. Im Studium in Konstanz u. im Berufsleben im Südwesten hat man keinerlei Defizite und anschl. bei Projekten in ganz Dt. nütze dieser Mundartbonus sogar, gemäss diesem Sinnspruch.
Zur Begriffsbestimmung wie ich sie verstehe: Das Synonym „Hochdeutsch“ halte ich für nicht treffend, denn auch sie ist eine Mundart, gesprochen in der Lutherzeit in der Region Thüringen, Anhalt, Nordharz. Seither wurde sie zu der angeblichen reinsten Hochsprache im Raum Hannover. Wäre die Reformation gescheitert, würden wir Deutschen vermutlich nach Ansicht vieler Kenner u. Linguisten, das Fränkisch – Alemannische , Regio Mainz, Worms, Speyer reden. Dann wäre „Hochdeutsch“ auch eine Mundart und nicht die von den Süddeutschen etwas überheblich, hochnäsig betrachtete Hochsprache.
Sinnigerweise sagen die Schweizer einfach Dütsch/ Deutsch dazu oder Schwiizerdütsch. Ich bevorzuge den Begriff Schriftsprache, weil diese auch per Duden „normisiert“ ist. Noch öfter verwende ich „Buchsprache“ weil sie eben in Literatur und Schriftverkehr verwendet wird. Die Norweger sagen sehr zutreffend “ Booksmol“ und „Landsmol“ für eben Buchsprache und Landesprache, also Mundart der versch. Regionen mit dem gleichen Nord- Süd- Mundart-Gefälle wie in Dt.
In meinem Freundeskreis sprechen viele, fast alle diese Mundart mehr oder weniger ausgeprägt. Ausserdem hatte ich als Bauing. viel mit den Mundart- Baumenschen im SüWesten zu tun. Was mir auch die ziemlich genaue Einschätzung des Regio- sogar bis Dorfmundart ermöglicht hat.
Die meisten Bekannten aus dem sogenannten Bildungsbürgertum (Baarverein, Sportverein, Bürgerstiftung, Freundes- u. Familienkreis) sprechen, verstehen u. tolerieren diese Mundart. Allmählich wird sie sogar wieder eher geschätzt und weniger als „Ungebildet “ betrachtet. Das muss man aber auch selbstbewusst kolportieren.
Wenn man merkt , daß der Partner einem nicht versteht, bemüht man sich mehr in Schriftsprache. Ärger gab es nur einmal als ein angeblich gebildeter , seit 40 Jahren hier lebender, die Mundart schriftlich und unflätig diskreditierte u. auch die Schweizer beschimpfte und beleidigte. Er war der unsäglichen Ansicht, daß dieses Wortgewürge ausradiert gehöre. Gemeinsam haben wir ihm „die Zündung“ eingestellt und Einhalt geboten. Dennoch erwarte ich von Zugereisten, daß sie sich anpassen und nicht die Locals sich ihnen anpassen müssen, was man tatsächlich, aber sehr selten, antrifft. Wer nach Australien auswandert muss eben Ausi- Engl. lernen und ihr nicht Sächsisch. ( Anlagen Schmit- Cotta !!, unsäglich !)
Ja , ganz klar. In einem meiner Mundartgeschichten über die 4 Sprachinseln des kleinen Donaueschingen hab ich das beschrieben. Durch Immigration von Böhmischen Fürstenbediensteten im Residenzbereich hat sich dort die Baaremer Sprache schon verändert um 1900, zur Kasernenzeit von ca. 1920 – 1945 (bis zu 4500 Militärs) ebenso, u. zu Zt. der Ostdeutschen Flüchtlingswelle 1946- 1955 ebenso enorm. Ein Stadtteil sprach fast ausschl. Schriftdt. u. Nachwirkung hat es immer noch. Die Immigranten u. Gastarbeiter Italiener, Portugiesen, Jugoslawen, Türken , nun Rumänen, haben keinen Einfluss gehabt. Ebenso die Wirtschafts- Umsiedler aus Ostdr. u. Dt. Russen. Dass jedoch in der Schweiz in der Gastronomie Sächsisch u. Thüringisch gesprochen wird, stört die Schweizer sehr. Aber kaum, fast kein Schweizer arbeitet mehr im Gastgewerbe- u. Dienstleistungsbereich. Das ist aber ein Globales Naturgesetzt. Ich bin mir sehr sicher , und Beweise hab ich genug, wie diese Zuwanderer unsre Umgangssprache, unser Landsmol , unsere stark veränderte, modernisierte Mundart übernehmen. Die Veränderung findet unaufhaltsam und völlig legitim durch Zuwanderung, geänderte Tätigkeiten und Gewerke, durch Reisetätigkeiten priv. Geschäftlich und die Modernisierung, Digitalisierung mit völlig anderem, digitalistischem Wortgebrauch statt. Man muss das Wort Heugabel nicht mehr kennen, Mgbit aber schon oder was eine App ist.
Jede Mundart, zumindest die ich kenne u. einschätzen kann, hat etwas sehr poesievolles, narratives, blumiges, charmantes. Sie ist die Sprache, die die Menschen der Heimat gemacht, geprägt, in Sprachduktus, Grammatik, Wortschatz auch geprägt, erfunden, offenbart haben. Sprache entsteht nicht am Reissbrett oder der Redaktion des Duden oder des Diktionärs. Wenn ich meine Mundartgeschichten vom Baaremerisch ins Schriftsprachliche übersetzte, verjazze, verliert die Geschichte an Wortwitz, Duktus, Poesie u. Bildsprache. Sie wird platter, konstruierter, und normierter. In Buchsprache gibt es für viele Mundartwörter kein Wort. Sprache, ob Buchsprache oder Landesprache wird ärmer, poesieloser werden. Man mags bedauern, aber es ist auch ein evolutionäres Gesetz.
Da will ich mich aus grossem Respekt vor allen Mundarten nicht festlegen. Jeder dieser Mundartler schätz seine Sprache. Dennoch gibt es so Clichés z. B. vom Französischen, wo, glaub sogar H. Heine sagte, es sei eine „affige“ – Sprache. Sprache bildet auch immer Landsmannschaftscharakter ab. Knapp, trocken, schwülstig, ausladend, opulent, melodisch, hart, erhaben, witzig, frech, nüchtern, satirisch, etc. Bayrisch kann eine derb- blumige Sprache sein, melodisch ist Fränkisch. Sprachmelodie dürfte eine wichtige Kenngrösse der Akzeptanz sein. Dänisch, Holländisch, Nordisch ist fast wie gesungen, Keltisch- Irisch sehr rachal, die Romanischen Sprachen alle. Uns hat ein Jordanischer Studienfreund, Salim Saman, immer gesagt: „Ihr sprecht wie die Raben“. Aus Toleranz, Respekt und Rücksicht haben wir unsere Sprachempfindungen über das Arabisch nie zu äussern gewagt.
Natürlich hat sich meine Heimatstadt sowohl städtebaulich, architektonisch, bevölkerungsmässig und sprachlich stark verändert. Im sprachlichen Bereich hauptsächlich dadurch, dass zu meiner Kindheit die Stadt zu einem drittel landwirtschaftlich, baaremerisch in Gesellschaft und spiritueller und weltlicher Kultur geprägt war. Gerde diese Bauernsprache machte den Dialekt aus. Diese Bauernsprache wird nicht mehr gebraucht, auch dort wird digital- Sprache, Motorensprache, PS- , Kommerz- Finaz, Wirtschafts und Profitsprache gesprochen. Diese Mundart verändert sich rasend schnell aber sie wandelt sich. Mundart , u. wenn es Börsensprache ist, wird es immer geben. Globalisierung wirds beschleunigen aber nicht auslöschen, solange es ortsfeste Heimatkommunities geben wird. In der Finnmark siedelten sich Portugiesische Dorschfischer in einem Fjord an. Die Menschen sind olivhäutig u. sollen zu ihrer Norge. Booksmol etwas portugiesisch sprechen ?
Ein paar Aspekte hab ich glaub angeführt. Das weite Feld des Schwiizerdütsch ist gross, aber hoch erkenntnisreich. bis kurios, eine Rarität.
Unsere Mundart ist fast das zentrale mentale, familiäre, Gesellschaftliche Merkmal in unserem Leben ohne Heimattümmelei und Konservatismus. Nicht umsonst beschäftige ich mich in der Post- Berufskarriere mit Mundart, Mundartrunde, Mundartforum, 90 Mundartgeschichten , meist authentisch, Mundarttheater. Lesungen, Vorträgen, Bücher, Literatur immer im Kopfkino zunächst in Mundart. Gerade hab ich in dem BHU (Bund Heimat u, Umwelt) Forum in Magdeburg einen Vortrag gehalten über Wasserkünste meiner Heimatstadt. Das nennet man Materielles Kulturerbe, aber Thema des Forums war Immaterielles Kulturerbe, und dazu gehört Mundart in bevorzugter und wichtiger Weise.
Ich wünsche Ihnen und Euch eine erkenntnisreiche aber auch eine lustbetonte Beschäftigung mit dem für Down Under ungewöhnlichen Mundartthema. Ein UNESCO Mann, Immaterielles“, H. Dr. Luckscheiter hat bei dem Smalltalk Gespräch über euer Vorhaben evtl Hilfe zugesagt ?
Alles Gute und “ En Guete “ vom Schwarzwald Hubert Mauz
Die Studie ist unter folgendem Link einsehbar: https://ses.library.usyd.edu.au/handle/2123/24679.
Hier eine kurze Zusammenfassung von Carl Bodnaruk auf Deutsch:
Ich erwarte, dass einige der Ergebnisse, die ich hier präsentieren werden, für Sie keine Überraschung birgt. Weil Sie in dieser Region wohnen, sehen Sie die Nutzung (oder den Mangel) des Alemannischen im Alltag. Deswegen kann es gut sein, dass Sie vielleicht schon aufgrund Ihrer eigenen Beobachtung, einige Forschungsergebnisse antizipieren können, die in meiner Studie beschrieben wurden. Es könnte dann interessant sein, zu sehen, wie ähnlich Ihre Beobachtungen dieser Ergebnisse sind, und in welchen Bereichen sie sich widersprechen.
Meine Studie beinhaltet einen Fragebogen, den Sie ausgefüllt haben, und ein freiwilliges Interview, an dem Sie ggf. teilgenommen haben. Der Rücklauf betrug 100 Antworten. Ich hatte ursprünglich höchstens 50 erwartet, daher war es toll, so viele Zusagen bekommen zu haben. Ich habe die Daten des Fragebogens statistisch analysiert, um Trends und Muster darin zu identifizieren. Ich habe dann die Interviews benutzt, um die Themen des Fragebogens weiter zu untersuchen.
Die Ergebnisse des Fragebogens sind in 3 Teilen untergliedert: Demographie der Alemannisch-sprechenden Bevölkerung, die Nutzung von Alemannisch in dieser Gruppe sowie die Einstellungen von dieser Gruppe zur Sprache. Erstens habe ich herausgefunden, und das war ehrlich gesagt keine Überraschung, dass Alemannisch häufiger von älteren Leuten als jüngeren Leuten gesprochen wird. Infolgedessen wurde es auch mehr von Leuten gesprochen, die im Ruhestand sind. Es wurde auch öfter in kleineren Dörfern als in Städten wie Freiburg benutzt. Diese Ergebnisse sind tatsächlich darstellend der Mitgliedschaft der Muettersproch-Gsellschaft und könnten möglicherweise die weitere Nutzung der Sprache nicht perfekt spiegeln. Leider waren diese Daten die bestmöglichsten, die ich über das Internet während der Coronapandemie sammeln konnte. Ob die Demographie der Gsellschaft die Demographie des weiteren alemannischen Sprachraums spiegelt, kann ich aufgrund der Datenlage nicht abschließend beantworten.
Alemannisch wird im Alltag so oft wie möglich benutzt. Diese Nutzung wird durch mehrere Faktoren begrenzt, nämlich durch einen Mangel von Fachvokabular am Arbeitsplatz und in der Schule und einen Mangel von Sicherheit, dass Alemannisch vom
Gesprächspartner verstanden wird. Die erste Grenze (dass Alemannisch oft nicht bei der Arbeit oder Schule gesprochen wird) erklärt die höhere Zahl von Alemannischsprechern, die im Ruhestand sind. Die zweite (dass Alemannisch ohne Sicherheit der Sprachstufe des Gesprächspartners nicht gesprochen werden kann) erklärt teils die niedrigere Nutzung von Alemannischen in größeren Städten. Diese Schwierigkeit führt dann zu einer sich selbst anhaltenden Abnahme der Nutzung von Alemannischen in diesen Großstädten, weil, wenn man unsicher ist, ob Alemannisch verstanden wird, spricht man weniger Alemannisch, und wenn (ein anderer) Alemannisch (vom ersten) im Alltag nicht mehr hört, wird er dann auch unsicher und spricht auch weniger Alemannisch usw.
Die Einstellungen von Alemannischsprechern zur Sprache sind überwiegend positiv. Sie wollen, dass ihre nächste Generationen noch Alemannisch lernen soll und fühlen sich, dass ihre alemannische Sprachfähigkeit einen wichtigen Teil ihrer Identität als lokale Bürger bildet. Es war nicht so einstimmig, ob eine alemannische Sprachfähigkeit dafür notwendig war, um sich “lokal” zu fühlen. 26% der Probanden haben bemerkt, dass Alemannischsprecher mehr Anspruch auf diese Identität beanspruchen, 22% waren neutral und 51% sagten, dass es nicht notwendig ist.
Im Vergleich zu von französischen Forschern schon publizierten Daten gibt es in meinen Ergebnissen keine Überraschungen. Bei der Nutzung von Elsässisch sieht es sehr ähnlich aus, wahrscheinlich weil beide als lokale Sprache unter einer nationale Sprache benutzt werden. In die Schweiz aber ist das ganz anders, weil Alemannisch noch von fast jedem im Alltag benutzt wird, während Hochdeutsch nur in formellen Kontexten gesprochen wird.
Zusammenfassend sieht die Zukunft von Alemannischen leider nicht toll aus. Um als weit gesprochene regionale Sprache zu bleiben, müssen Alemannischsprechenden Chancen haben, die Sprache im Alltag zu nutzen. Je seltener diese Chancen sich bieten und genommen werden, desto weniger wird Alemannisch gesprochen und gelernt. In kleineren Dörfern gibt es diese Chancen für Kinder und anderer Sprachlerner noch relativ oft, aber in Städten ohne Unterschiede vielleicht in Bildungspolitik werden diese Gelegenheiten immer ungewöhnlicher werden.
Ich möchte mich nochmals bei Ihnen für Ihre freundliche Teilnahme an dieser Studie bedanken. Wenn Sie weitere Fragen (oder Ideen, Vorschläge, sogar Kritikpunkte) hätten, bitte stellen Sie sie mir per E-Mail und ich werde versuchen, die Fragen so gut wie möglich zu beantworten.
Mit freundlicher Genehmigung von Carl Bodnaruk, University of Sydney