Green Deal in der Waldwirtschaft

Green Deal in der Waldwirtschaft

20. Juli 2023 0 Von Wolf Hockenjos

Dem Wasserhaushalt kommt eine Schlüsselfunktion bei der Anpassung von Wäldern an zunehmende Trocken- und Hitzereignisse zu. Bei allen waldbaulichen Eingriffen ist daher besonderes Augenmerk auf die Bewahrung bzw. Verbesserung des Waldbinnenklimas und des Bodenwasserangebots zu legen, um Temperaturextreme abzupuffern und die Konkurrenz um Wasser abzumildern. (Wälder im Klimawandel: Steigerung von Anpassungsfähigkeit und Resilienz durch mehr Vielfalt und Heterogenität. Ein Positionspapier des BfN, Bonn 2019.)

Alle Welt stöhnt im Juli 2023 unter neuen Hitzerekorden. Kaum weniger hitzig ging es derweil im Straßburger EU-Parlament zu bei der Abstimmung über das Renaturierungsgesetz. Denn die größte Fraktion, die konservative EVP, hatte sich vor den Karren der Bauernverbände spannen lassen und gegen den Green Deal von EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen gestimmt. So gab es denn nur eine hauchdünne Mehrheit für das Gesetz, dessen endgültige Fassung von den Vertretern der EU-Staaten und des Parlaments freilich erst noch vollends ausgehandelt werden muss. Um den Kollaps der Ökosysteme zu verhindern und den Artenschwund aufzuhalten, sieht es bis 2030 Renaturierungsmaßnahmen vor auf mindestens 20 Prozent der EU-Flächen und Meeresgebiete. Im Fokus stehen dabei vor allem Moore und Wälder, die als wirksame CO2-Speicher nur in möglichst intaktem Zustand taugen: die Moore wassergesättigt, Wälder bei möglichst stabiler Dauerbestockung – andernfalls gehören sie eher zu den Emittenten.

Die allermeisten Moore sind freilich längst entwässert und in landwirtschaftliche Nutzfläche umgewandelt: nicht zuletzt deshalb auch der erbitterte Widerstand der Agrarlobby. Doch nicht viel besser erging es Mooren in den Wäldern, wo sie schon seit über zwei Jahrhunderten mittels umfangreichen Grabensystemen drainiert und „melioriert“ worden sind. Speziell die abflussträgen Lagen des Buntsandstein-Schwarzwalds waren einst durchsetzt mit „Mösern“ und „Missen“, deren Entwässerung zum Pflichtprogramm ordnungsgemäßer Forstwirtschaft gehörte, ja, bisweilen noch immer dazu gehört.

Beispielhaft sei aus der Geschichte der Fürstlich Fürstenbergischen Forstwirtschaft von E. Wohlfahrt1 zitiert: Die Gräben wurden nach Tiefe und Breite unterschieden in Hauptgräben 1. und 2. Ordnung und in Seitengräben der 1. und 2. Ordnung. Allein im F. A. Friedenweiler wurden mehr als 90 km Gräben neu angelegt und ca. 80 km unterhalten. Nachdem die Grabenziehung beendet war, bemühte man sich, diese Gräben offenzuhalten und neue Gräben lediglich zur Ergänzung des Grabensystems anzulegen. Die Wirkung der Grabenziehung sei, so berichtet Wohlfahrt, noch verstärkt worden durch die einsetzende Anlage von befestigten Wegen und unbefestigten, aber ebenfalls mit Seitengräben versehenen Schneisen. Es ist kein Geheimnis, dass diese Grabensysteme aus dem 19. Jahrhundert im F.F. Großprivatwald auch nach der Jahrtausendwende noch mit Baggerhilfe weiter unterhalten wurden. Weder Naturschutzbehörden noch Wasserwirtschaftsämter wagten hiergegen einzuschreiten, wo von den Gräben wenn schon nicht die letzten Auerhühner, so doch Libellen und Amphibien profitierten.

Foto: B. Scherer

Im benachbarten Villinger Stadtwald beschreibt U. Rodenwaldt2 die im 19. Jahrhundert gängige Praxis nicht weniger plastisch: Im „Allgemeinen Kulturplan“ des Einrichtungswerkes 1837 wurde für die Zeit bis 1857 die Trockenlegung von 363 Morgen (etwa 120 ha) vorgesehen. Bis 1848 waren bereits 9000 Ruthen (27 000 m) Entwässerungsgräben angelegt worden. Für das nächste Jahrzehnt wurden weitere 3700 Ruthen vorgesehen. 1857 heißt es dann: Ungleich mehr ist für die Trockenlegung geschehen und wurden anstatt der vorgesehenen 3700 Ruthen Gräben 10 320 Ruthen (= 30 000 m) Abzugsgräben angelegt. Die Entwässerung wird daher in nächster Zeit als beendet angesehen werden können.

Doch auch noch im Zuge der Wiederaufforstungen der Franzosen-Kahlhiebsflächen in den Nachkriegsjahren habe man die Erfahrung machen müssen, dass die Kulturen erst nach Anlage neuer Gräben gelungen seien. Weshalb in der Liste der Empfehlungen Rodenwaldts für die künftige Kulturtätigkeit die „Öffnung der alten Gräben“ noch an oberster Stelle rangiert.

Im Hintervillinger Raum, dem Bereich des (2005 aufgelösten) staatlichen Forstamtes, waren die Gräben schon länger nicht mehr offengehalten worden. In den 1980er Jahren begann man im Staatswald da und dort, sie mit Baggerhilfe zu verschließen und zu Tümpeln umzugestalten, um so der Amphibienwelt zu helfen. Wo sie im Nahbereich von jagdlichen Einrichtungen entstanden waren, sorgten sie bei Morgen- und Abendansitzen zunehmend für Kurzweil, denn hier war immer etwas los – hier entstand neues Leben im Ökosystem Wald.


In den 1990er Jahren, nach Waldsterben und den ersten großen Orkanschäden, wurde nicht nur die naturnahe Forstwirtschaft propagiert und im öffentlichen Wald vorgeschrieben. Auch die Umweltverbände begannen, sich stärker für den Wald zu interessieren und zu engagieren. Der NABU erfand die Naturwaldgemeinde, in welcher der Waldökologie ein besonders hoher Stellenwert beigemessen werden soll, bis hin zur Entlassung von fünf Prozent der Waldfläche aus der Bewirtschaftung. Königsfeld, das mit seinem kurortsnahen Doniswald schon immer ein besonders enges Verhältnis zum Wald gepflegt hatte, wurde 1997 bundesweit erste Naturwaldgemeinde, Mönchweiler und Bad Dürrheim folgten alsbald nach, jeweils unterstützt durch das Forstamt und seine für die Gemeinden zuständigen Forstrevierleiter. 

Das NABU-Etikett Naturwaldgemeinde scheint sich bei den drei Gemeindegremien seither einiger Wertschätzung zu erfreuen, auch wenn es in Baden-Württemberg (bei insgesamt nur neun Naturwaldgemeinden) ansonsten bisher keine Erfolgsnummer geworden ist. In Königsfeld feierte man im Juli vergangenen Jahres mit einem Festakt und Exkursionen den 25. Geburtstag. Dank naturnahen Waldbaus und erfolgreichen Wirtschaftens konnte dabei, trotz mancher Schadereignisse, auf eine noch immer vergleichsweise erfreuliche Verfassung des Gemeindewalds verwiesen werden. Noch bemerkenswerter war für die Exkursionsteilnehmer freilich, was sich (nicht zuletzt auf Initiative des im Naturschutz besonders engagierten Revierleiters) inzwischen auf den abzugsträgen Buntsandstein-Waldstandorten getan hat: Durch Verschluss der alten Drainagegräben mit Baggerhilfe wurde eine Vielzahl von Kleingewässern geschaffen, von denen nicht nur Amphibien profitieren, sondern der Wasserhaushalt insgesamt – im Klimawandel zweifellos die entscheidende Voraussetzung für die Widerstandskraft des Waldes. Auch Torfmoos findet sich nun wieder ein und beginnt mit neuerlicher Moorbildung. Der Aufwand für die Baggereinsätze hatten sich im Königsfelder Waldhaushalt als verschmerzbar erwiesen, schließlich war vom Landratsamt an der Peripherie der Gemeinde, am Brogen oben, ein Windrad genehmigt worden mit der Auflage einer Ausgleichszahlung, die in den Wald fließen durfte. Der Aufstau in den alten Drainagegräben – eine späte Wiedergutmachung!

Egal, was das Renaturierungsgesetz noch bringen mag für die Waldwirtschaft, im Königsfelder Gemeindewald haben sie den Green Deal der EU-Ratspräsidentin vorausschauend bereits vollzogen.

1 Wohlfahrt, E.: Geschichte der Fürstlich Fürstenbergischen Forstwirtschaft. Stuttgart und Donaueschingen 1983.

2 Rodenwaldt, U.: Der Villinger Stadtwald. Villingen 1962.