Die Verwandlung des Feldberger Hofs

Die Verwandlung des Feldberger Hofs

2. Februar 2023 0 Von Wolf Hockenjos

Verwandlung
Vom Berggasthaus zum „Millionenhotel“

Doch wollen wir nicht von des Feldbergs Höhe scheiden, ohne den Wunsch auszusprechen, es möge in aller Zukunft hier oben der alte behagliche und herzliche Ton herrschen bleiben, auf dass nicht eines Tages ein Abschreckungsbädecker nötig falle. (Prof. Dr. Ludwig Neumann: Der Schwarzwald in Wort und Bild. Stuttgart, 1897) 

Mit dem Bädecker hatten sie es nie so arg im Schwarzwald, sehr viel angesagter waren die Führer von Seydlitz, Bayer und Schnars, die über viele Jahrzehnte und in ungezählten Auflagen zu Schwarzwaldtouren einluden, nicht zuletzt rund um den Feldberg. Von den Viehhütten einmal abgesehen, die nur halbjährig genutzt und bewohnt worden sind und in denen der Wanderer notfalls Unterschlupf fand, begann die eigentliche Besiedlung und die touristische Nutzung des Feldbergs erst ums Jahr 1864: Eine Menzenschwander Aktiengesellschaft, zu der sich einige Bürger zusammengetan hatten, eröffnete etwas oberhalb ihrer Viehhütte in geschützter Muldenlage östlich des Seebucks eines der ersten Berggasthäuser des Schwarzwalds, den Feldbergerhof. An dessen Standort lässt ein Neuer Wegweiser durch den Schwarzwald von Dr. G. v. Seydlitz aus dem Jahr 1870 allerdings noch kein gutes Haar: „Dieser neue Gasthof liegt in einer muldenartigen Hochebene, ohne Aussicht, ohne hübsche Umgebung, [ist] offenbar ganz verfehlt angelegt.“ Doch werde er Jedermann zur Stärkung angenehm sein und biete allen wünschenswerte Bequemlichkeit zur Nacht, die auf dem Berg bleiben wollen. Der Durstige finde Bier allerdings nur ausnahmsweise, wenn an schönen Sonntagen viel Besuch aus den umliegenden Tälern erwartet werde „und die Hirten und Knechte hier zahlreich verkehren.“ Bei der Anlage des Hauses sei sogar eine Molken- und Luftkuranstalt beabsichtigt gewesen. Wanderführer durften damals anscheinend auch noch kritisch sein, ohne gleich wegen Geschäftsschädigung verklagt zu werden.

Werbung anno 1865

Der freundliche Feldberger Hof sei „ein kleines Häuschen, das zunächst dem bescheidenen Zuspruch reichlich gerecht wurde“. So wohlwollend beschreibt indessen 1897 in einem opulenten Goldschnitt-Prachtband Der Schwarzwald in Wort und Bild Prof. Dr. Ludwig Neumann das Gasthaus, im Ehrenamt Präsident des 1864 in Freiburg gegründeten Badischen Vereins von Gastwirten und Industriellen, der alsbald in Schwarzwaldverein umbenannt worden war. 

Doch schon damals scheinen den Autor leise Zweifel beschlichen zu haben, ob der touristische Aufschwung nicht eines Tages einen „Abschreckungsbädecker“ erforderlich mache, um der Verrummelung des Bergs vorzubeugen. Neumanns Schreckbild war der aufdringliche „Salonschwarzwälder“, der es womöglich bald nicht mehr erlauben werde, „das Dasein auf der herrlichen Höhe auch weiterhin einfachen und anspruchslosen Menschen sympathisch zu erhalten“. Mit der Eröffnung der Höllentalbahn 1887 sei im Feldberger Hof die Besucherzahl derart sprunghaft angewachsen, „dass an Sonn- und Feiertagen oft 300 Gäste und mehr gleichzeitig hier weilen; die alte Stube wurde zu klein, das Gastzimmer mit den Hebelbildern bekam den großen neuen Speisesaal als Anbau … das Haus ist zu einer großen, umfangreichen Anlage geworden gleich einem stattlichen Herrschaftshof.“ Soweit Ludwig Neumann ausgangs des Jahrhunderts.

Feldberger Hof 1897 (Foto: Netzfund)

Stattlich, herrschaftlich…kein Wunder, wo der Feldberger Hof ja doch, „wie die weiten Waldungen auf der Ostseite des Berges Eigentum des Fürsten von Fürstenberg“ sei, wie Wilhelm Jensen, der holsteinische Reiseschriftsteller, 1901 in seinem kaum minder opulenten und reich bebilderten Werk Der Schwarzwald mutmaßt. Es sei ein großräumiger Gasthof, „in dem auch der zahlreichste Besuch ziemlich sicher, sei es in eigenen Zimmern, sei es in hergerichteten Betten am Boden rechnen darf“. Sicherheitshalber solle man sich telefonisch anmelden. Übrigens erstrecke sich seine Gastlichkeit neuerdings bis zum „Höchsten“, wo von dem rührigen, aber „höchst zuvorkommenden Wirt“ neben dem Luisenturm ein Rasthaus errichtet worden sei. Eine nicht geringe Rolle spiele bei der Befriedigung der Wünsche und Bedürfnisse der Gäste „die erquickliche Beschaffung trocknen Fußzeugs, im Notfall auch Kleidungsstücke für trübselig durchnässte Ankömmlinge, deren Zahl auch im besten Sommer keine unbedeutende ist.“

Erst in Schnars Schwarzwaldführer (dessen Erstauflage wohl 1878  gedruckt wurde) ist in der 16. Auflage von 1908 zum Stichwort Feldberger Hof auch vom Winter die Rede: „Schneeschuhlaufen wird hier als Sport getrieben.“ In seiner 22. verbesserten und erweiterten Ausgabe aus dem Jahr 1922 bekommt die Wintersaison im Feldberger Hof einen noch höheren Stellenwert: „Großartiger Neubau mit allen Erfordernissen eines modernen Gashofes, 200 Zimmer mit über 300 Betten. Schönstes Feld für Skiläufer (Wettläufe im Februar, Skiclub Schwarzwald).“ Und in seiner 25. verbesserten Auflage von 1928 wird daraus ein „gernbesuchtes Familienhotel“ mit Touristenunterkunft, und es wird noch mehr hervorgehoben: „Erster deutscher Wintersportplatz: schönstes Feld für Skiläufer (Wettläufe im Februar, Skiclub Schwarzwald):“

Umso erstaunlicher ist es, dass die beiden prominenten Autoren Neumann und Jensen in ihren Bänden über den Schwarzwald zum Winterbetrieb noch kein Wort verloren haben. Dabei hatten im Feldberger Hof doch bereits seit den 1890er Jahren die Wintertouristen Einzug gehalten und sogleich für einen rasanten Aufschwung der Wintersaison gesorgt, wie es im Gästebuch des Hauses die Einträge der namhaftesten Pioniere der deutschen Skisportentwicklung dokumentieren. Den Boom ausgelöst haben in Todtnau die Berichte über  Fridtjof Nansens Grönlanddurchquerung auf Skiern im Winter 1888; sie hatten den hiesigen Arzt Dr. Tholus dazu animiert, sich ein Paar Ski aus Norwegen schicken zu lassen. Die Erstbesteigung des Feldbergs per Ski erfolgte prompt im Winter 1890/91: Kurioserweise zeitgleich von Todtnau aus vom Rheinländer Fritz Breuer zusammen mit einem einheimischen Begleiter sowie von Titisee aus vom französischen Diplomaten Dr. Pilet in Begleitung eines baltischen Grafen. Beide Partien trafen zum großen wechselseitigen Erstaunen im Feldberger Hof zusammen, ehe sie dann gemeinsam zum Gipfelsturm ansetzten. Noch im nämlichen Jahr gründete Breuer im Todtnauer Ochsen den ersten Skiclub Deutschlands, der bekanntlich Nansen die Ehrenmitgliedschaft antrug, dessen Dankschreiben (v. 5. Januar 1892) seither unstrittig das Gründungsjahr 1891 belegt. 

Schon 1892 verfasste der umtriebige Todtnauer Skiclubvorsitzende Fritz Breuer seine „Anleitung zum Schneeschuhlaufen“, auch organisierte er im Feldberger Hof eine erste „Weltausstellung von Schneeschuhrequisiten“. Die Mitgliederzahl wuchs so rasch an, dass man sich schon 1895 dazu entschloss, einen Verband mit Ortsgruppen, den Skiclub Schwarzwald (nachmals Skiverband Schwarzwald) zu gründen. Noch vor der Jahrhundertwende wurden erste Wettkämpfe, im Winter 1897/98 sogar bereits die ersten Damenskirennen ausgetragen. Im Jahr 1900 fand die erste Deutsche Meisterschaft im Dauerlauf statt mit Start am Belchen und Zieltransparent am Feldberger Hof, gewonnen von einem norwegischen Studenten. Drei Winter später sollte diese strapaziöse Veranstaltung sogar bereits als „Erster Internationaler Dauerlauf um die Meisterschaft in Deutschland“ durchgeführt werden. 

Die Begeisterung für die Nordländer und ihre Skilaufkunst war so immens, dass man von Norwegen damals nicht nur Ski, Ausrüstung und Trainer importierte, sondern zu wintersportlichen Zwecken sogar Rentiere. Die Tiere waren von 1898 bis 1901 im Feldberger Hof stationiert unter der Obhut der Wirtsleute, der skienthusiastischen Karl und Fanny Mayer. Auf der Speisekarte standen nun plötzlich auch Telemarker Bauernsuppe, Grönländer Wal mit Thrantunke, Rentierwürste und Multebeeren. Für die überaus gastfreundliche Umsorgung der Wintergäste sollte Fanny Mayer alsbald den Ehrennamen „Feldbergmutter“ erhalten. 

Feldberger Hof 1904 – 1936

Nichts von alledem erwähnen Ludwig Neumann und Wilhelm Jensen, die beiden Autoren, in ihren Standardwerken: Noch kein Wort zum so jäh aufblühenden Wintertourismus! Fast sieht es so aus, als ob ihnen die geradezu atemberaubende Entwicklung vom traditionellen Sommergeschäft zum Ganzjahresbetrieb, gar zum Wintersportrummel, nicht ganz geheuer erschienen wäre. Schon 1904, nicht lange nach dem Erscheinen der beiden prächtigen Schwarzwaldbände, war aus dem heimeligen Berggasthaus ein neues großes Hotelgebäude geworden. 

Was vom älteren Teil des Hauses erhalten geblieben war, ist 1936 inklusive Hebelstube und Bismarcksaal abgerissen worden und einem noch größeren Neubau gewichen, jetzt nicht mehr mit Walm- sondern mit Flachdach, geräumig genug, um darin auch Großveranstaltungen ausrichten zu können. So wie anno 1939 die 75-Jahr-Feier des Schwarzwaldvereins. Doch auch damit nicht genug der Innovation: In den 1970er Jahren musste auch dieser Bau dem heutigen Hotelkomplex Feldberger Hof weichen, dem Sporthotel mit 700 Appartements und 300 Hotelbetten, dazu Restaurants für jeden Anspruch, Tiefgarage, Ladenpassage und Badelandschaft mit Saunen und Solarien.

Skibetrieb am Feldberger Hof 1975

Parallel zur Verwandlung des Feldberger Hofs veränderte sich auch dessen Umgebung. Im Wald gleich hinterm Hotelkomplex, wo Wilhelm Jensen noch einen „prachtvollen, urwaldartigen Tannenforst“ beschreibt, wurden für die kleinen Gäste Rutschen und Schaukeln, für die größeren der Kletterwald-Feldberg (Kletter- und Abenteuerspaß für Groß & Klein) angelegt sowie (als bei weitem attraktivste Zugnummer) der Wichtelpfad durch den Auerhuhnwald. Wo der Pfad den Wald verlässt, befindet sich ein offensichtlich dem Zerfall überlassenes Skiläuferdenkmal, das den gefallenen Skiläufern des Ersten Weltkriegs gewidmet ist. Höchstwahrscheinlich ist es um 1920 auf Initiative des Skipioniers, Lawinenforschers und Karlsruher Geographie-Professors Wilhelm Paulcke entstanden, der mit seinen Skikameraden im Winter regelmäßiger Gast im Feldberger Hof war und auf dem Köpfle nebenan auch schon paramilitärische Jägerrennen und Skipatrouillen-Wettkämpfe veranstaltet hatte, bevor er in die Türkei entsandt wurde, um auch dort Skitruppen auszubilden.

Feldberger Hof mit Haus der Natur

Kaum weniger gründlich als die Waldseite wird der im Sommer beweidete Hang zum Bismarckdenkmal-gekrönten Seebuck hinauf für den Skibetrieb hergerichtet. Denn die seit den ersten Anfängen sich hier austobenden, erst Telemark- und Kristiania-, dann Parallelschwünge der Arlbergschule übenden Skiläufer benötigen seit den Wirtschaftswunderjahren Lifte – und spätestens seit der Jahrtausendwende auch mehr und mehr Schneekanonen. Erfunden hatte den Schlepplift bereits im Jahr 1908 ein Schwarzwälder Gastwirt, Schneckenwirt Robert Winterhalder aus Schollach; der wollte mit seiner patentierten Erfindung natürlich nicht nur seine Hausgäste, sondern auch die Feldberger beglücken. In seinem Nachlass finden sich neben technischen Zeichnungen und Rentabilitätsberechnungen auch die Lagepläne zweier Schlepplifte für den Seebuck: Der eine war eben dort geplant, wo 1950 der bis heute (mit jährlich bis zu einer halben Million verkauften Liftkärtchen) bestfrequentierte Sessellift des Schwarzwalds errichtet wurde; der andere sollte im nahen Wald an der Max-Egon-Schanze die Skispringer wieder zum Anlauf hinauf befördern, das Nonplusultra moderner Skisprungstadien. Doch die Feldberger lehnten sein Angebot ab – mit der wahrhaft zeitlosen Begründung, es werde die Landschaft  zu sehr verschandelt.

Seit die Skiläufer massenhaft in Pkws anrücken, hatte sich die Parkproblematik rund um den Feldberger Hof dramatisch zugespitzt, weshalb 2015 am Hangfuß, ein Steinwurf vom Hotel entfernt, für 15 Millionen Euro ein gigantisches Parkhaus mit 1200 Stellplätzen, errichtet wurde; um die Kritik der Naturschützer zu entschärfen und das Landschaftsbild zu schonen, erhielt es ein Satteldach „in alpenländischem Stil“ und wurde komplett mit Holz verkleidet. Der winterlichen Parkplatznot wurde dennoch kaum abgeholfen: Was vermisst wird, ist ein Verkehrskonzept mit obligatorischem Shuttle-Betrieb – was freilich auch in Zeiten eines galoppierenden Klimawandels noch immer kaum durchzusetzen sein dürfte.

Kaum Entspannung der Parkmisere auf dem Berg

Weil der Feldberg seit 1937 mit dem ältesten und mit 42 km2 dem größten Naturschutzgebiet des Landes aufwarten kann, wurde dem Hotelkomplex aus Beton und Glas noch vor der Jahrtausendwende ein Haus der Natur in modernster Tonnenform und Holzbauweise zur Seite gestellt. Mit seinen Ausstellungs- und Seminarräumen zu Naturschutzthemen ist es zugleich Sitz des Naturschutzzentrums Südschwarzwald und des Naturparks. Doch auch für deren Raumbedarf sieht man sich bereits genötigt, das Haus durch Anbau oder Abriss und Neubau massiv zu vergrößern. 

Mitten im Hitzesommer 2022 überraschte der Bürgermeister der Gemeinde Feldberg, zu welcher die Besiedlung mit vielerlei weiteren Hotels und Ferienhäusern unterdessen herangewachsen ist, mit neuerlichen Ausbauplänen: „Wir wollen unser Skigebiet für die Zukunft fit machen“, erläuterte er den Medien. Hierzu soll das Speicherbecken für die Kunstschneeproduktion vergrößert werden, und eine Ganzjahres-Kabinenbahn soll auf den Seebuck hinauf führen, denn die bis fünfsitzigen Sessellifte scheinen an ihre Belastungsgrenzen zu stoßen. 

Dass der Massentourismus am Feldberg eine Kehrseite hat, ist jedenfalls keine neue Erkenntnis, wo doch bereits die frühen Tourismuspioniere von Albträumen heimgesucht worden sind. So braucht es wohl nicht einmal mehr den von Ludwig Neumann erwogenen „Abschreckungsbädecker“. In den Monatsblättern seines Schwarzwaldvereins vom Oktober 1912 findet sich im Beitrag eines H. Flamm „Aus der Geschichte des Feldbergs“ die wohl düsterste Prophezeiung: …es scheint dem herrlichen Berg noch eine Epoche seiner Erschließung bevorzustehen. Der Bau von Millionenhotels wird ernstlich erwogen, und die „Elektrische“ soll nicht nur, was zu billigen wäre, an den Berg heran, sondern hinauf auf seine Höhen führen. Ein leidiger Schluss einer unentweihten Vergangenheit.

Oder sollte H. Flamm mit seiner „Elektrischen“ womöglich die E-Motorisierung vorausgeahnt haben? Es läuft sich derzeit nicht nur das Klima warm, auch die Klima- und Umweltschützer stehen in den Starlöchern.

In Erwartung des Winters