„Deutschlandtempo“
Mitten in die einzigartige Kulturlandschaft auf Rügen soll jetzt ein LNG-Terminal gebaut werden. Es wäre vielleicht ganz sinnvoll gewesen, sich mit dem Erbgut dieser Insel zu befassen, bevor man sie der Industrialisierung opfert. (Renate Meinhof: „Ein Rohr durchs Paradies“, Süddeutsche Zeitung v. 21. Juli 2023)
Nein, die Autorin ist nicht etwa verwandt mit der Terroristin Ulrike M., und sie gilt wohl auch nicht als sonderlich subversiv; doch um heutzutage über die Folgen der Energiewende eine so bittere Bilanz in einer ganzseitigen Reportage auf Seite Drei einer Tageszeitung zu verbreiten, muss sie als Journalistin wohl viel Renommee haben in der Redaktion – und sich als gebürtige Insulanerin auch besonders betroffen fühlen. Was sie über den bereits beschlossenen LNG-Terminal auf Rügen recherchiert hat, ist wahrhaft erschütternd:
Der energiepolitische „Sachzwang“ schmerzt heftig, mit dem die Opferung einer einzigartigen Vorzeigelandschaft für Kultur, Natur und Tourismus begründet wird. Befinden wir uns hier doch in Caspar David Friedrichs „Wohnzimmer“, am Rande des Jasmund Nationalparks mit seiner Stubbenkammer (deren Buchenwald UNESCO-Weltnaturerbe ist!) sowie auf der Strandpromenade des noblen Kur- und Badeorts Binz. Kurzum: es handelt sich um ein gegen alle Widerstände der Einheimischen bis hin zur Ministerpräsidentin kurz vor der Sommerpause vom Bundestag noch durchgewunkenes Großprojekt, das vom Bundeskanzler zur Chefsache erklärt worden ist. Ein neues „Deutschlandtempo“ gelte es dabei einzuhalten, ein Bautempo, wie es von den Machern der vom Lieferstopp russischen Erdgases und vom Klimawandel erzwungenen Transformation bislang sonst allenthalben vergebens angestrebt wird – trotz aller Beschleunigungsvorsätze der Behörden.
Der SZ-Bericht schließt mit den Worten eines ganz und gar desillusionierten Hans Dieter Knapp, seines Zeichens langjähriger Leiter der Außenstelle des Bundesamts für Naturschutz mit Sitz auf der kleinen Nachbarinsel Rügens, der „Malerinsel“ Vilm, wo sich seit Deutschlands Wiedervereinigung jahraus jahrein professionelle und ehrenamtliche Naturschützer ihr Stelldichein geben, um kluge Ideen auszutauschen: „Der Irrsinn nimmt scheinbar seinen Lauf.“
Dabei ist das Rügener LNG-Projekt zwar sicherlich ein besonders krasses Beispiel. Und doch droht es, symptomatisch zu werden auch für andere „beschleunigte“ Ausbauvorhaben in unserer an noch halbwegs intakten Wohlfühllandschaften schon so armen Republik – man denke an die Überstellung von Wald und Flur mit monströsesten Windenergieanlagen, mit Solarfeldern und Leitungstrassen. Der Landschaftsschutz, für den schon vor 150 Jahren Verschönerungsvereine, sodann die Naturschutzverbände auf die Barrikaden gestiegen sind (und der mittlerweile sogar im Grundgesetzartikel 21 a verankert ist) scheint endgültig auf die Verliererstraße zu geraten. Und wer sich noch immer gegen die Inanspruchnahme der letzten leidlich ungestörten, reizvollen Landschaften zu wehren wagt, wird prompt als AfD-Sympathisant verdächtigt.
Von Carl Gustav Carus (1789 – 1869), dem Arzt und Malerfreund von Caspar David Friedrich, ist über seine künstlerisch so produktiven Rügen-Aufenthalte das zeitlose Bekenntnis überliefert „…ich habe kaum jemals wieder dies Gefühl so reinen, schönen und einsamen Naturerlebnisses gehabt…“. Soll hier nicht auch Johannes Brahms vom Natur- und Landschaftserlebnis mächtig inspiriert worden sein? Doch egal, auch wenn sich auf dem Königsstuhl heute Touristenherden drängeln, angesichts des Terminals und der mit Flüssiggas beladenen Tankschiffe vor den Kreidefelsen und vor dem Binzer Strand wird man die Landschaft künftig anders, jedenfalls weit weniger einzigartig akzeptieren müssen.
Es sei denn, die Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht, die vom Ostseebad aus Sorge um die Zukunft von Tourismus und Umwelt angestrengt wird, hätte schließlich doch noch Erfolg. Oder sollte gar die Strafanzeige gegen die Betreiberfirma „wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Geldwäsche“ womöglich noch die Wende bringen? Tempo ist allemal angesagt.