Frischer Wind?

Frischer Wind?

8. Januar 2024 1 Von Wolf Hockenjos

„Beim Ausbau der Windenergie sind wir gut dabei. Bereits 106 Windkraftanlagen drehen sich über den Baumwipfeln im Staatswald. ForstBW treibt die Verpachtung landeseigener Waldflächen intensiv voran, um seinen Beitrag zu leisten und zeitnah den Anteil erneuerbarer Energien bei der Stromversorgung zu sichern.“ (Peter Hauk MdL, Minister für Ernährung, Ländlicher Raum und Verbraucherschutz, Aufsichtsratsvorsitzender von ForstBW in ForstBW INTERN, Ausgabe Dezember 2023)

Keine neuen Windräder im Staatswald. Trotz der Vermarktungsoffensive im Staatswald ist noch kein Windrad auf den seit 2021 ausgewiesenen Flächen genehmigt. (Schlagzeile des Schwarzwälder Boten v. 4. 1. 2024)

Auf der Titelseite von ForstBW INTERN vom Dezember 2023, den Mitteilungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wünscht die Betriebsleitung ForstBW frohe Weihnachten. Darunter werden aus dem Inhalt vor allem drei Beiträge angekündigt: „Frauen im Forst – über Chancengleichheit und Wandel in der Forstwelt“, „Moorrevitalisierung – Startschuss für das Naturschutzgroßprojekt MooReKa“ und unter „Frischer Wind im Wald“ ein Bericht über die Einweihung des Windparks „Junge Donau“. Die Anstalt öffentlichen Rechts (AöR), zu welcher die Staatsforstverwaltung 2020 umgewandelt worden ist, hat mittlerweile, so ahnt man schon vor dem Öffnen des Blattes, neben der Staatswaldbewirtschaftung ein zusehends breiter gefächertes Aufgabenspektrum zu bewältigen. Dafür hat ForstBW immerhin, wie der Leser auf Seite 3 erfährt, in der Branche Forstwirtschaft den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024 gewonnen, verliehen von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis. Womit die Vorreiterrolle der AöR im Bereich der multifunktionalen Waldbewirtschaftung belohnt werde. Nominiert worden sei ForstBW als eines von mehreren Forstunternehmen nach einem mehrstufigen Auswahlprozess, „zunächst mithilfe KI-basierter Recherchen“, was immer man sich darunter vorzustellen hat. Es glaube nur ja niemand, im Staatswald unseres Bundeslands seien noch Hinterwäldler am Werk, sei die Neuzeit noch nicht angebrochen!

Dass der „frische Wind im Wald“ (bzw. „über den Baumwipfeln“) mächtig die Backen aufbläst, zeigt sich sodann im halbseitigen Bericht über die  Einweihungsfeierlichkeiten des Windparks „Junge Donau“ vom 22. September 2023. Illustriert ist er mit zwei Fotos: auf dem einen ist zuoberst auf der Außentreppe eines der fünf gigantischen Türme Ministerin Thekla Walker MdL festgehalten, darunter Landrat Stefan Bär vom Landkreis Tuttlingen, dazu Oberbürgermeister und Bürgermeister der umliegenden Gemeinden sowie ForstBW-Vorstand (alias Landesforstpräsident) Felix Reining, weil nämlich drei der fünf Windräder im Staatswald stehen; das zweite Foto zeigt neben einem zehnachsigen Spezialtransporter mit einem in Schrägstellung aufgeladenem gewaltigen Rotorflügel das Forstbezirksteam (23 Mitarbeiter*innen in warnfarbener Arbeitskluft) zu Besuch im zentralen Zwischenlager der Windenergiebranche bei Neuenbürg im Nordschwarzwald. 


Bei der anschließenden Pressekonferenz im Tuttlinger Rathaus hob ForstBW-Vorstand Reining hervor, „dass die Flächenverfügbarkeit eine grundlegende Voraussetzung für einen weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien sei und ForstBW hierzu einen wichtigen Beitrag leiste.“ Erfreut gezeigt „über die Früchte der Windkraftarbeit des Windkraftteams“ hat sich, dem Bericht zufolge, auch Geschäftsbereichsleiter GB 33 Jörg Hertie (sollte sich hinter GB der vormalige Forstrevier- oder der Forstamtsleiter verstecken?), schließlich hätten die Arbeiten zur Flächenbereitstellung ja bereits 2014 begonnen und 2016 sei dann der Gestattungsvertrag abgeschlossen worden – ein langer Planungsprozess sei somit glücklich beendet und mit der „Jungen Donau“ drehten sich nun also 106 Windenergieanlagen in den Staatswäldern von Baden-Württemberg. 

Doch trotz dieser Erfolgsmeldung sollte noch vor Dreikönig, am 4. Januar des neuen Jahrs, Gegenwind aufkommen: „Bremst Forst BW den Ausbau?“, so fragt der Schwarzwälder Bote auf seiner Titelseite. Auch im vergangenen Jahr seien im Südwesten nur einige wenige Windkraftanlagen genehmigt worden. Weshalb die für die Ausweisung von Flächen im Staatswald zuständige Behörde in der Kritik stehe. Landsweit seien laut Umweltministerium 774 Anlagen in Betrieb, nur 16 seien neu ans Netz gekommen, netto sogar nur 13, da auch Anlagen abgeschaltet worden seien. Und das, obwohl die Landesregierung doch eigens eine Taskforce Erneuerbare Energien eingesetzt habe, um Hindernisse für den Windkraftausbau aus dem Weg zu räumen. Doch gerade der Staatswald komme nicht voran: Auf den seit 2021 ausgewiesenen Flächen sei „kein einziges neues Windrad entstanden“. Dabei sollen es nach den im Koalitionsvertrag festgelegten Zielvorstellungen der Landesregierung doch bis zu den Neuwahlen allein im Staatswald 1000 werden. Mag sein, dass man im Ministerium Ländlicher Raum (MLR) die Utopie dieser Zielvorgabe erkannt hatte: Ein paar Monate später wurde die Zahl jedenfalls auf 500 abgeschwächt, während noch knapp vor der Wahl, auf der Delegiertenkonferenz von Bündnis 90 / Die Grünen, sogar 2000 Windräder für den Staatswald eingefordert worden waren.


Und dies, obwohl zuvor eine repräsentative Emnid-Umfrage im Auftrag der Deutschen Wildtierstiftung herausgefunden hatte, dass 80 % der  Befragten Windräder im Wald ablehnen. Und wo doch auch Deutschlands bekanntester (und umstrittenster) Förster und Bestsellerautor Peter Wohlleben (im Interview mit der Stuttgarter Zeitung v. 6. August 2021) aus Anlass seines Nationalen Waldgipfels noch die Ansicht vertreten hatte, Windkraft im Wald sei „Irrsinn im Quadrat“. Jetzt aber verrät der Naturschutzbund (Nabu) dem Schwarzwälder Boten, es seien halt vielfach Flächen ausgewiesen worden, die artenschutzrechtlich sensibel sind: „Wir haben den Eindruck, Forst BW sieht die ganze Ausschreibung zu technisch und zu wenig gesellschaftlich.“ Ja wie, bitteschön, wünschen wir ihn uns denn nun eigentlich, den deutschen Wald?

O, wie hat sie sich verändert, die forstliche Welt, seit sich die baden-württembergische Staatsforstverwaltung als Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) vermehrt dem Zugriff der Politik ausgesetzt sieht! Aus den Waldhütern alter Schule, die sich vordem noch mit Zähnen und Klauen gegen jede unangemessene, gar ungesetzliche Waldinanspruchnahme zur Wehr gesetzt haben, sollen nun also in Windeseile multifunktionstüchtige Windkraftarbeiter und Windkraftteams werden. „Wir sind gut dabei“, meinen sie derweil in ForstBW INTERN.

Im schönen grünen Bergmischwald,
wo heut Touristen wandeln,
da werden Windturbinen bald
den Wald vollends verschandeln.

Dann hält sich,
wer auch kommen mag, 
die Augen zu und Ohren
zum Schutze gegen Schattenschlag 
und rauschende Rotoren.                                                                                     
Die Landschaft, die uns teuer war,
ist leider nicht erneuerbar.                           

nach M. Lieser, 2017


„Junge Donau“: die neue Skyline der Schwäbischen Alb – gesellschaftlich erwünscht?