Das unverhoffte Aus für die A 86

Das unverhoffte Aus für die A 86

9. März 2024 1 Von Wolf Hockenjos

Wer auf der A 81 von Stuttgart oder Singen kommend in Richtung Bad Dürrheim und Donaueschingen auf die A 864 einbiegt und westwärts rollt, wird bald (Achtung Blitzer!) bis auf 60 Stundenkilometer herunter gebremst, ehe er auf die quer verlaufende, ebenfalls vierspurig ausgebaute B 27/B 33 abbiegt. Exakt hier, beim kurzen Seitenblick auf den dunklen Waldhorizont im Westen, werden die Verkehrsteilnehmer, zumal Schwarzwälder und Baaremer älterer Jahrgänge, urplötzlich von der Erinnerung an die „Schwarzwaldautobahn“ eingeholt. Dies je nachdem: die Einen mit nachträglichem Bedauern, die Andern mit Genugtuung. Denn eigentlich hatte es hier ja mal schnurgerade weiter in Richtung Schwarzwald und Breisgau gehen sollen – fast alle hatten damals mit dem Weiterbau gerechnet.

Verstopfungen in den Engpässen der Ortsdurchfahrten und Leidensdruck bei den Anwohnern der B 31, verursacht durch Lärm und Gestank des in den Wirtschaftswunderjahren so rasch anwachsenden Straßenverkehrs, hatten bereits anno 1965 dafür gesorgt, dass im Generalverkehrsplan des Landes Baden-Württemberg eine „A 86 Freiburg – Donaueschingen“ aufgetaucht ist: die „Schwarzwaldautobahn“. Eine leistungsfähigere Querverbindung über den Schwarzwald hinweg muss her, so argumentierten die Verkehrspolitiker und feierten sie vorneweg schon als „Verkehrsachse Paris – Wien“! Zwei Jahre später wurde sie auch vom Bundesverkehrswegeplan übernommen, und 1970 wurden einzelne Bauabschnitte bereits in Dringlichkeitsstufe II oder gar I eingestuft.

Im Hochschwarzwald schrillten da die Alarmglocken! Denn die zahlreichen Planungsvarianten mit ihren Tunnels und Viadukten mussten ja allesamt vom Rheintal aus eine Höhendifferenz von gut und gern 700 m überwinden und alle sollten sie dann gebündelt über den Thurner (1025 m NN) hinweg führen – womit sie allesamt den „Schwarzwälder Herrgottswinkel“ entweihen würden, das touristisch und landschaftlich so gepriesene Höhengebiet von St. Peter und St. Märgen. Kein Wunder, dass sich da besonders die „Arbeitsgemeinschaft Heimatschutz Südbaden“ ins Zeug legte, jener Zusammenschluss von etlichen dem Natur- und Landschaftsschutz verpflichteten Mitgliedsorganisationen (allen voran dem Schwarzwaldverein) und ihren insgesamt rund 130.000 Mitgliedern, angeführt von einem streitbaren Vorsitzenden, dem St. Märgener Forstamtsleiter und Kreisbeauftragten für Naturschutz Fritz Hockenjos (dem Vater des Verf.). Wie stellen sich die Verkehrsexperten eigentlich die winterliche Überquerung des Thurners auf einer Autobahn vor, so wurde gefragt, und das bei Schnee, Sturm und Wolkennebel, wie sie da oben an der Tagesordnung sind? Und von der Passhöhe sollte es dann durchs bäuerlich-idyllische Jostal in Richtung Neustadt hinab gehen – was für ein Viecherei! Doch so ganz wollte sich auch der Heimatschutz nicht gegen eine brauchbarere Ost-West-Verbindung verkämpfen. Aber wäre es da nicht klüger durchs Höllental mit Untertunnelung von Hirschsprung und Hinterzarten?

Per A 86 durch den „Schwarzwälder Herrgottswinkel“?

Die Auseinandersetzungen um Vor- und Nachteile dieser oder jener Trassenvariante fielen immer heftiger aus: Im Dreisamtal mischte eine eigens hierfür gegründete „Aktionsgemeinschaft für demokratische Verkehrsplanung“ mit, die die A 68 ebenso strikt durchs Dreisam- und Höllental ablehnte wie die Gemeinden St. Peter und St. Märgen die Varianten über ihre Gemarkungen hinweg, während erboste Jostäler Bauern sogar mit der Schrotflinte drohten. „Eine mittlere Barbarei“, so hatte der Oppositionsführer im Landtag, Erhard Eppler, die Schwarzwaldautobahn gescholten. 

Der Überraschungseffekt war daher gewaltig, als im Dezember 1975 Ministerpräsident Filbinger vor der Presse trat und erklärte, dass anstelle der A 86 die B 31 ausgebaut werden soll und dass die Autobahnpläne zu den Akten gelegt worden seien. Was mochte in Stuttgart bloß einen solch krassen Paradigmenwechsel herbeigeführt haben, wenn nicht der geharnischte Widerstand der „Wälder“? Oder hatte es beim Regierungschef womöglich ein Saulus-Paulus-Erlebnis gegeben, von dem die Verkehrpolitiker von Land und Bund buchstäblich überrumpelt worden sind?

Womöglich ist es wie folgt passiert: In Winter 1972/73 war auf dem Thurner ein Skilanglaufzentrum für Freizeitsportler eingeweiht worden, initiiert und gefördert durch die Forstverwaltung (mit Mitteln für Erholungseinrichtungen in und am Wald) und betrieben durch den gemeinnützigen Förderverein Club Thurnerspur. Weil sich jedoch in Breitnau und St. Märgen, auf deren Gemarkungen sich fortan die Skiläufer seitdem austoben durften, niemand so recht vorstellen konnte, was die eigentlichen Motive der Betreiber dieser bundesweit neuartigen Einrichtung da oben waren und ob davon ein touristischer Nutzen zu erwarten war, hatte die Thurnerspur in der Bevölkerung schon bald ihre Spitznamen weg: Mal hieß sie die „Kommunistenrennbahn“, mal „die rote Spur“, wo sich doch im rabenschwarzen St. Märgen der frisch gewählte Bürgermeister als Roter entpuppt hatte und wo auch der Clubvorsitzende politisch kaum einzuordnen war – der „Radikalenerlass“ des Jahres 1972 ließ grüßen.

So war es ein rechter Paukenschlag, als sich auf dem Thurner plötzlich Hans Filbinger, der Landesvater höchstpersönlich, zum Skilaufen einfand und auch sogleich Clubmitglied wurde. Im Nordschwarzwald hatte, mit dem Ministerpräsidenten als Schirmherrn, erstmals ein „Baden-Württembergischer Skiwandertag“ stattgefunden, Grund genug, Filbinger auf den Thurner einzuladen – fraglos ein listiger Schachzug! Dass er sich hier mitsamt Familie und Bodygards beim Skilaufen pudelwohl gefühlt und die Politik weit hinter sich gelassen hat, beweisen seine regelmäßigen Besuche (bis zu seiner Abdankung im Jahr 1978).

Prominenter Besuch auf der Thurnerspur (1973)

Der Thurnerspur brachte das prominente Mitglied nicht nur eine nachhaltige Imageverbesserung ein. Filbinger sorgte auch dafür, dass im Zuge des Neubaus der B 500 reichlich Parkraum entstand auf dem Thurner. Überliefert ist freilich auch die Episode, wonach der Clubvorsitzende anlässlich einer gemeinsamen Thurnerspur-Runde per Langlaufski den Landesvater vom tief verschneiten Doldenbühl aus auf die durchs Jostal geplante, so heiß umstrittene Trasse der Schwarzwaldautobahn aufmerksam gemacht habe. Woraufhin Filbinger, sichtlich betroffen, gemurmelt haben soll, das werde man sich ja wohl noch zwei-, dreimal überlegen müssen – womöglich der Anfang vom Ende des Prestigeprojekts?

Mit der A 86 längs durchs idyllische Jostal (Fotomontage aus „Zeit-Magazin“ 1974)

Allein, der ersatzweise versprochene drei- bis vierspurige Ausbau der B 31 sollte bis heute, nach über einem halben Jahrhundert, immer wieder ins Stocken geraten: Für die Baaremer am eindrucksvollsten ablesbar ist der Stand der Dinge an der seit Jahren vierspurig fertig gestellten Untertunnelung Döggingens. Die Zufahrt zu den beiden Tunnelröhen erfolgt jedoch über die Gauchach hinweg nach wie vor auf einem nur zweispurigen Viadukt. Gegen den Bau der seit Jahren parallel dazu eingeplanten zweiten Gauchachtalbrücke klagt der Verkehrsclub Deutschland (VCD). Ein Termin beim Verwaltungsgerichtshof ist inzwischen in Aussicht gestellt.