Lindeninnerei

Lindeninnerei

1. Februar 2023 0 Von Dr. Franz Maus

Liebe Bürgerpostleser, 

jetzt kommt eine Geschichte, die es in sich hat. Bis vor ein paar Tagen war das Ganze ein Geheimnis. Es wurde gelüftet durch Christiane Willmann aus Schwärzenbach. Sie hat das neue großformatige 595 seitige Buch, „die Baumschätze Baden-Württembergs“ erstanden, auch weil zwei tolle Bäume von Ihrem Hof aufgeführt sind. Ja, was hat das mit der Rätsellösung zu tun? Wissen Sie überhaupt schon, um welches Rätsel es geht? Jetzt erst mal weiter. Letzte Woche frug sie mich, ob ich die Gerichtslinde am Tengener Eck kenne. Der Grund ist der, weil mein Heimatort Uttenhofen zu Tengen gehört. Das bejahte ich, wobei ich die Linde nicht als Gerichtslinde kannte. Dann schickte sie mir eine Fotokopie des umfassenden Textes und dann gingen die Lichter an. Dort stand, dass die 300 bis 500 Jahre alte Linde 1960 von einem Blitzschlag getroffen und wenig später von einem Brand heimgesucht wurde. Sie habe durch Überwallungen und durch das Anlegen von Adventivwurzeln einen Überlebenskampf bis heute erfolgreich geführt. Adventivwurzeln, mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Diese Gebilde, die auf Bild 2 und 3 zu sehen sind, sind Adventivwurzeln, der absolute Hammer. Ich habe im Vorfeld einige namhafte Experten gefragt und keiner hatte gewußt, was es ist. Meistens lautete die Antwort, es seinen Efeuranken, aber innerhalb eines Stammes? Nein, die ranken außen an den Bäumen empor und bilden eine großes Blätterwerk. Außerdem hatte Stefan Weiss, der Hofbesitzer, nie und nirgends Efeublätter in der Linde gesehen.

Die Internetrecherche über https://www.unigoettingen.de/de/regenerationsf%C3%A4higkeit/41757.html erklärte es klipp und klar. Das Lindenholz ist stark Fäulnis anfällig. Das sieht man eindeutig an dem Stammrest, innen ist alles kaputt bis auf einen 15 bis 20 cm dicken Außenring. Kein Wunder, ist der stattliche Baum bei einem Februarsturm 2022 mit brachialer Gewalt abgedreht worden. Die Adventivwurzeln natürlich auch, siehe Bild rechts.

Der Beitrag schreibt, dass im Alter neue Innenwurzeln gebildet werden, die sich von den Ästen her wie Luftwurzeln nach unten schieben. Durch diese Innenwurzeln wird der Baum wieder fest verankert und stabilisiert und eine anhaltende Nährstoffversorgung sichergestellt, wodurch Linden ein sehr hohes Alter erreichen können. Müssen Sie auch kurz durchschnaufen, was Sie da lesen? Für mich ist es das Wunderbarste, was ich bisher geschrieben habe. Das so etwas möglich ist, hätte ich nie im Leben gedacht. 

Toll finde ich, dass Stefan Weiss den Baum gewähren lässt. Sehen Sie auf dem Bild rechts, wie der alte Riese bereits wieder grüne Stellen hat? Die Aufnahme stammt vom 19. September 2022. Vielleicht schafft er es, wieder eine kleine Krone zu bekommen. 

Das Ganze erinnerte mich an Würgefeigen im tropischen Regenwald. Deren Samen werden von Vögeln in Urwaldriesen auf hohe Äste platziert, die dann Wurzeln nach unten treiben, und so wuchern, dass sie den Riesenbaum mit der Zeit zu Tode würgen. Dagegen sind die Adventivwurzeln der Linden von anderer Natur, freundlich und hilfreich. 

Herzliche Grüße
Franz Maus