Die Buche – erneut „Baum des Jahres“

Die Buche – erneut „Baum des Jahres“

15. November 2021 0 Von Wolf Hockenjos

Es ist wieder soweit: Im Oktober ist nun auch der Baum des Jahres wieder verkündet worden – zusammen mit einer Vielzahl anderer Objekte zum Jahr 2022. Und wieder ist es die Buche geworden, botanisch korrekt: die Rotbuche (Fagus sylvatica), Deutschlands häufigster Laubbaum. Schon einmal, im Herbst 1989, ist die „Mutter des Waldes“ dazu ausersehen worden. Sollten dem zuständigen Kuratorium, das diese Auszeichnung seit jenem Jahr vergibt, inzwischen die Baumarten ausgegangen sein angesichts der eher schmalen Palette mitteleuropäischer Baumarten? Wo doch die Eiszeiten und das Bollwerk der Alpen die Zahl der vor den Gletschern Zurückweichenden und aus ihren Refugien wieder Einwandernden einst stark reduziert haben – ganz anders als Rocky Mountains und Anden auf dem amerikanischen Doppelkontinent.

Doppelt gemoppelt: die Buche, Baum des Jahres sowohl 1990 als auch  2022 wieder.

Oder gab es triftige Gründe, der bundesdeutschen Gesellschaft diese Baumart ein zweites Mal ans Herz zu legen?  „Die Buche hat zwei wichtige Botschaften in Zeiten klimatischer Veränderungen und extremer Wetterbedingungen“, erklärt uns Stefan Meier, Präsident der Stiftung in einer Pressemitteilung,  „deshalb haben wir uns dafür entschieden, die Art ein zweites Mal zu wählen.“ Zwar gelte sie als äußerst robust, desto schockierender seien die Schäden an den Altbuchen im Trockenstress der drei zurückliegenden Jahre gewesen.

Andererseits gebe es jedoch auch Hoffnung: Selbst wenn dem Altbestand noch so stark zugesetzt worden sei, bedeute das nicht, dass auch die Jungbäume ebenso stark leiden. Die jüngeren Rotbuchen würden sich sogar an die veränderten klimatischen Bedingungen anpassen können. Vor drei Jahrzehnten habe das Waldsterben den Ausschlag gegeben für die Wahl, diesmal der alle anderen Themen haushoch überlagernde Klimawandel.

Waldsterben 2.0: Trocknisschäden an Buchen

1990, wir erinnern uns, war die Waldsterbensdiskussion bereits wieder im Abflauen begriffen, von den Medien schon bald sogar in Anführungszeichen gesetzt als „sogenanntes Waldsterben“, als Indiz heillos übertriebener „german angst“. Schon hatten andere Themen wieder die Schlagzeilen geliefert: die Havarie des Atomreaktors im ukrainischen Tschernobyl oder der Fall der Mauer. Derweil hatten sich im Wald draußen die Orkane Vivian, Wiebke & Co. ausgetobt und in der Forstwirtschaft ein erstes Umdenken eingeleitet, weg von den labilen Nadelholz-Monokulturen, hin zur „naturnahen Waldwirtschaft“, in der auch der Buche wieder ein höherer Stellenwert zugedacht war. War die Gewalt der Stürme womöglich Folge der anthropogen aufgeheizten Wetterküche des Atlantiks? Das waldschädliche Schwefeldioxid (SO₂) des sauren Regens hatte sich durch ein paar Verordnungen zur Entschwefelung der Schlote, die Stickoxide (NOx) durch Einführung des Katalysators wirksam verringern lassen, doch wie sah es mit dem zur Assimilation benötigte, nun aber in Verdacht geratene Treibhausgas Kohlendioxid (CO₂) aus? Im Vergleich mit den globalen Bemühungen um ein Verdikt fossiler Verbrennung war die Reduzierung des Schwefeldioxids ja fast ein Kinderspiel gewesen.

Der Brocken: Fluch der reinen Fichtenwälder.

Neuerdings, nach drei Jahrzehnten, ist das Waldsterben plötzlich wieder aus der Versenkung hervorgeholt worden, diesmal als Waldsterben 2.0 nach drei trockenheißen Sommern mit wahrhaft spektakulären Schäden, von denen insbesondere die Nadelhölzer betroffen waren, vorneweg die Fichten, die zudem von Borkenkäferkalamitäten heimgesucht worden sind. Aber auch die Laubbäume, nicht zuletzt die Buchen, wiesen plötzlich enorme Trocknisschäden auf, zumal auf sonnenseitigen und flachgründigen Standorten sowie nach holzerntebedingten Auflockerungen des Kronendachs, erst recht entlang von Kahlschlägen.

Wo Bäume verdursten, weil der Wasserhaushalt der Wälder in Unordnung geraten ist, gewinnt der Winterniederschlag an zusätzlicher Bedeutung. Kein Wunder, dass in der heftig entbrannten Diskussion um die Widerstandskraft (Resilienz) der Waldökosysteme in Zeiten des Klimawandels und um die fällige Anpassung der Waldwirtschaft die Beimischung winterkahler Baumarten, wie auch die Bevorzugung reiner Laubwälder immer lauter gefordert wird. Denn deren Kronen fangen Schnee und Regen nun einmal weniger ab und transpirieren auch nicht den Winter über wie immergrüne Nadelbäume. Der Blattabwurf bekommt auch den Waldböden mitsamt der unterirdischen Mikrobenwelt besser als die sauere Nadelstreu von Fichten. Was wiederum den Mykorrhizapilzen an den Feinwurzeln der Bäume zugute kommt, die für deren Wasser- und Nährstoffversorgung zuständig sind. Auch die schwammartige Wasserrückhaltefähigkeit der Wälder verbessert sich so, ein entscheidender Vorteil angesichts katastrophaler Starkniederschläge. Womit sie letztlich auch mehr CO₂ zu speichern vermögen, sofern nicht alsbald wieder ein Sturmwurf oder gar ein Kahlschlag droht, Ereignisse, die das Treibhausgas (auch als noch klimaschädlicheres Methan und Lachgas) wieder in die Atmosphäre entlassen. Wo es dies zu vermeiden gilt, sind Schatten ertragende Buchen, aber auch Weißtannen mit ihrer milden Streu und ihrem tiefer reichenden Wurzelwerk, wie sie für ungleichaltrige Bergmischwälder charakteristisch sind, zweifellos im Vorteil; allemal erfüllen sie die den Wäldern zukommende Funktion als Kohlenstoffsenken (mit 8 bis 10 Tonnen je Jahr und Hektar) besser als die „Holzfabriken“ gleichwüchsiger Nadelbaumbestände. 

Unstrittig ist, dass Deutschlands Wälder ursprünglich zu weiten Teilen von der Buche beherrscht wurden, während Fichten und Kiefern, die im heutigen Wald noch immer dominieren, einst nur auf wenigen Sonderstandorten (an Moorrändern, auf Fels und in den höchsten Waldlagen) zuhause waren. Weil das Land Verbreitungszentrum der Rotbuche ist, wurden 2011 fünf deutsche Buchenwaldgebiete zu UNESCO-Weltnaturerbe erklärt. Umso lebhafter beklagt die Naturschutzseite allzu bescheidene Laubbaumanteile in den Wirtschaftswäldern, vor allem aber das Fehlen alter Wälder mit starken Dimensionen und hohem Totholzanteil. Die Forstwirtschaft ernte das Laubholz viel zu früh, sodass Spechte, Höhlenbrüter und holzbesiedelnde Pilze (wie der für Buchenwälder charakteristische Zunderschwamm) nahezu chancenlos sind. 

Umgekehrt argumentiert die Forstseite, dass nicht zuletzt der vom Holzmarkt und der Möbelbranche verschmähte Rotkern der Buchen zu frühzeitigem Einschlag zwinge, und auch die vollmechanisierte Holzerntetechnik verweigere sich bei allzu starken Dimensionen. So bleibt es einstweilen bei viel zu wenigen Waldreservaten, in denen die Bäume alt werden dürfen, wiewohl die Bundesregierung bereits 2007 in ihrer „nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt“ (Biodiversitätsstrategie) bis 2020 fünf Prozent unbewirtschaftete Waldwildnis als Ziel vorgegeben hatte.

Im „Mehrgenerationenhaus“ des naturnahen Bergmischwalds (Bannwald Zweribach).

Die Waldwirtschaft verzeichnet indessen, seit die Schadholzberge abgetragen sind, einen boomenden Nadelholzmarkt mit kräftig steigenden Roh- und Schnittholzpreisen, denn der (Nadel-)Holzbau wird zusehends attraktiver seit im Klimawandel auch die CO₂-Bilanz der Baustoffe hinterfragt und damit auch vermehrt „Nadelholz der kurzen Wege“ aus heimischen Wäldern verlangt wird. Zugleich fördert der globalisierte Markt den Bauholzexport nach USA und China und heizt so den Boom weiter an – sehr zur Freude der küstennahen Großsägewerksbetreiber und des Holzhandels. 

Kein Wunder also, dass die Bevorzugung von Buchen- und Mischwäldern an Stelle von reinen Nadelholzplantagen nicht überall auf Gegenliebe stößt. Befürchtet wird eine Verknappung des Bauholzes je mehr Waldökologen und Klimaschützer das Sagen haben werden. Dabei ist längst klar, dass auch in der Waldwirtschaft neue Prioritäten gesetzt werden müssen; dass es gilt, den Wasserhaushalt und die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern durch Unterlassung von Kahlschlägen und Förderung der Laubbaumbeimischung. Vor exakt 100 Jahren hat der Eberswalder Waldbauprofessor Alfred Möller (1860 – 1922) seine revolutionäre Dauerwald-Idee in den forstwissenschaftlichen und -wirtschaftlichen Diskurs eingebracht und damit heftige Auseinandersetzungen ausgelöst. Nie war seine Forderung nach sich selbst erneuerndem Wald an Stelle von ackerbauartig bewirtschaftetem Forst, nie war seine ökosystemare Sichtweise zeitgemäßer als unterm Vorzeichen des Klimawandels – wie geschaffen auch für die nachhaltige Förderung des Baums des Jahres 2022.