Die LebensfrageDunkles Gewölk und Wetterleuchten am politischen HorizontZweckloses TreibenDer Lehrvertrag

Die Lebensfrage
Dunkles Gewölk und Wetterleuchten am politischen Horizont
Zweckloses Treiben
Der Lehrvertrag

20. Februar 2024 0 Von Hannah Miriam Jaag

Hieronymus Kapitel 11

Es chunnt e chuele Abedluft, und an de Halme hangt der Duft denckmol, mer göhn jez an alsgmach im stille Frieden unter Dach!
>Johann Peter Hebel

Unsern Hieronymus und seine Kameraden sehen wir nun in jene Periode eintreten, wo die Kinderwelt entschwunden ist, wo das Jünglingsleben beginnt mit seinen neuen Gefühlen, seiner eigentümlichen Anschauung, und wo die Eltern gewöhnlich die Frage zu erörtern pflegen: „Was soll eigentlich aus dem Bürschlein werden?”

Das Leben des Menschen ist dem Jahresleben eines Baumes vergleichbar, und die Jugend dem Frühling, welcher die Blüten hervorlockt. Wie ihr rosiger Schmuck die Hoffnung des Pflanzers erweckt, so entzücken uns die sich entwickelnden Eigenschaften des Kindes. Ist jedoch der Frühling vorüber, so sieht der Gärtner nach, was wohl die wehenden Lüfte, die Maifröste, Raupen und Käfer übriggelassen haben; und er ist froh, wenn von all den hoffnungsreichen Knospen nur ein bescheidener Teil sich entwickelt hat als werdende Frucht und künftig lohnende Ernte.

Zu schönen Hoffnungen durfte Vater Mathias sich gewiß berechtigt glauben, denn sein Sohn hatte bisher in allen Arbeiten ein natürliches Geschick gezeigt und mannigfache Anlagen entwickelt. Ein eigentlicher Lebensweg jedoch lag noch nicht bestimmt vor Augen. – Hieronymus war der einzige von seinen Altersgenossen, über dessen künftigen Beruf man noch zu keinem Entschluß gekommen.

Romulus hatte stets wenig Neigung zur Feldarbeit gezeigt, weshalb sein Vater auf den Gedanken gekommen war, der Bube müsse Student werden; und wirklich hatte er auch zu studieren angefangen und vom Herrn Pfarrer in den Rudimenten Unterweisung empfangen. Wenn der Neffe des geistlichen Herrn, ein Studiosus Juris, seine Ferien im Tale zubrachte, so war ihm Romulus dienstbarer Geist und Famulus, der ihm die Kleider und die Schuhe reinigen und bei Ausflügen das Ränzlein tragen durfte. Daß er nebenbei auf seine Kameraden etwas geringschätzig herabsah, konnte einem, der bereits schon lateinisch zu deklinieren verstand, nicht wohl übelgenommen werden.

Was Dionys betraf, so hatte sein Vater, der Stabhalter, als praktischer Mann, neben seiner Wirtschaft noch einen Kramladen errichtet, worin er dem gewöhnlichen Warenvorrat für den Hausbedarf noch ein Lager von Draht, Eisen- und Messingblech usw. beigesellte, um damit die Uhrenmacherwerkstätten der Umgegend versorgen zu können, welche täglich mehr an Bedeutung zunahmen. – Der junge Dionys war für sein Alter bereits ein recht gewürfelter Bursche, der sich trefflich zum Krämergeschäft anschickte. – Wenn er so des Sonntagnachmittags, wo viele Leute ab- und zugingen, vor der Ladentür stand, die Feder hinterm Ohr, so wußte er sich ein Ansehen zu geben, als wäre er Mitglied der ostindischen Handelskompanie und wüßte aller Welt die Prozente vorzurechnen.

Des Laubhausers Peter, der auch vollständig herangewachsen war, brauchte sich, als einziger Sohn des reichen Vaters, begreiflicherweise nicht viel Kopfzerbrechen über seine künftige Bestimmung zu machen. Liebe zum Bauernstand war ihm angeboren, und er kümmerte sich in der Tat nur wenig um Dinge, welche außerhalb der Marksteine des Hofgutes lagen.

So war denn Hieronymus, wie gesagt, der einzige, welcher noch zu keinem Entschlusse gekommen war. Sein Vater wünschte ihn in demjenigen ausgebildet zu sehen, was er selbst mit so viel Mühe und doch nur notdürftig andern abgelernt: im Malen und Schnitzen; und dahin ging auch das Streben des Sohnes. Es war dem Vater bekannt, daß sein Schwager, der Klosterschneider in Villingen, ein Befreundeter des Malers Schilling alldort sei, welcher zur Zeit viel für Kirchen zu malen hatte. Er nahm sich vor, gelegentlich einmal mit dem Schwager zu reden und ihn um Rat zu fragen.

Dem Klosterschneider aber wollte der Plan nicht recht einleuchten, namentlich seitdem ihm der Maler Schilling zu verstehen gegeben, wieviel Zeit, Kosten, Selbstverleugnung und Glück dazu gehörten, um bei allem Talent auf der Kunstbahn vorwärtszukommen. – Eher, sagte der Schwager, rate er zum Lehrfach: „Es ist jetzt drauf und dran”, meinte er, „daß überail die Normalschulen eingeführt werden, und ich glaub, daß der Bub da ganz am Platz wär und sein ehrlich Brot und Auskommen finden würde.”

Auch der greise Pfarrer riet dazu; weniger aber zeigte sich Bachweber mit der Sache einverstanden, nicht etwa, weil er gefürchtet hätte, Hieronymus möchte ihm dereinst ins Handwerk stehen, sondern weil er auf die Neuerung mit den Normalschulen überhaupt nicht viel hielt; die Sache, meinte er, werde nur verändert, aber nicht besser, und werde gewiß nicht lange halten. – Hieronymus, der bei dieser wichtigen Frage doch auch nicht ganz ohne Sitz und Stimme bleiben konnte, gab aber dem Kunstfach entschieden den Vorzug. Gern wäre er zu einem Uhrenschildmaler, der im benachbarten kleinen Eisenbächle ansässig, in die Lehre gegangen. Aber dieser Mann hatte es im Fache selbst noch nicht so weit gebracht, daß ein Lehrling viel hätte bei ihm profitieren können. – Auch in Hüfingen lebte – wie man vom Feldwaibel wußte – ein Maler und Vergolder, und Hieronymus bewog den Vater, mit dem Vetter dort gelegentlich einmal zu reden. – Das ward denn auch ausgeführt; die beiden zogen hinaus ins Standquartier, wo sie vom Feldwaibel, wie gewohnt, freundlichst aufgenommen wurden.

Der Kriegsmann billigte das Streben des Hieronymus und erbot sich gern zu aller Beihilfe. Ohne weiteren Verzug führte er die Angekommenen zu seinem Freunde, dem Faßmaler, den sie gerade in voller Arbeit fanden. Der Meister hatte einen reichgeschnitzten Altar unter den Händen, um ihn mit buntfarbiger Marmorierung und Vergoldung zu schmücken. Beim Anblick dieses Werkes sowie bei der raschen und sicheren Handfertigkeit des Meisters ward es dem guten Mathias fast weinerlich zumut, so klein kam er sich in diesem Augenblick vor. Sein Sohn aber faßte frischen Mut und Vertrauen.

Als der Feldwaibel dem Meister das Anliegen seines Vetters gründlich auseinandergesetzt, legte jener den Anschießpinsel und das Goldmesser aus der Hand, sah über die Brille hinweg auf den Jungen und erklärte: „Jetzt, grad im Augenblick, kann ich euren Sohn nicht unterbringen – ich hab gegenwärtig selbst noch zwei Lehrjungen; und bis der eine Schlingel ausgelernt hat, kann ich keinen andern einstellen. – Aber – hernach kann es sein, da wollen wir sehen, wie sich der kleine Wäldner anlaßt. – Die vom Wald”, setzte er bei, „haben gemeiniglich ein besseres Sitzleder und bleiben lieber bei der Stubenarbeit als die aus der Baar, die nausmüssen, wenn die Lerchen singen, ins Feld. – Ich denk, so in einem halben Jahr – wird sich’s machen lassen.” – Mit diesen Zusicherungen schickte man sich zum Fortgehen an. „ Was ich noch sagen will*, rief der Meister den Scheidenden nach, „werdet Ihr Euren Vetter heut abend mitbringen zu mei’m Schwager, dem Verwalter?” – Der Feldwaibel bejahte und begleitete seine Gäste wieder nach Haus, wo die Hausfrau und das Mittagessen ihrer warteten.

Das Gespräch über Mittag nahm diesmal eine Wendung über die alltäglichen eigenen Angelegenheiten hinweg. Denn das Gewitter, das in Frankreich zum Losbruch kommen sollte, zeigte sich schon als dunkles unheildrohendes Gewölk am Horizont. Das Wetterleuchten zuckte bereits herüber über den Rhein. „Ich glaub, daß ich in meinen alten Tagen nochmal Pulver zu riechen bekommen werde”, äußerte der Feldwaibel, „denn”, setzte er hinzu, „die Potentaten haben, scheint es, kein sonderliches Wohlgefallen an der Wirtschaft drüben im Nachbarland.” Mathias erschrak bei dieser Bestätigung der trüben Nachrichten, welche der Sohn des Kaiserzollers kürzlich auf den Laubhauserhof gebracht hatte.

Er kannte den Krieg und wußte, daß der Bauer stets am meisten dabei herhalten müsse, weshalb er – wenn von Händeln und Krieg die Rede war – zu sagen pflegte, daß ihm für sein Teil der „Friedle” der liebste sei. – Als Antwort teilte er nun dem Feldwaibel die Nachrichten des jungen Kaiserzollers mit, welche dessen Vater kürzlich von Freiburg heimgebracht: im ganzen Elsaß geh ein gefährlicher Wind, im Straßburgischen, auch hüben im Hanauer Ländle und in der Ortenau hätten sie rebelliert, und der Fürst von Heitersheim sei fort nach Passau. Ebenso hätten sich auch andere Herrschaften und Beamten aus dem Staub gemacht. – Und auch der Kaiserzoller hab seinen Verwandten sagen lassen, daß er beim ersten Rumpel mit seiner Kasse nach dem von der Landstraße weiter abgelegenen Laubhauserhof flüchten wolle. „Wenn wir heut abend beim Verwalter zLicht gehen, werden wir vielleicht mehr hören. Heut kommt die Ordinari mit der Zeitung”, entgegnete der Feldwaibel. „Es liegt etwas in der Luft und muß sich gewiß bald entscheiden.”

Der Verwalter aber, von welchem er gesprochen, war der Vorstand der Landesstrafanstalt in Hüfingen. Diese Anstalt, wohin man auch die Straf kontingente einiger benachbarter Territorien ablieferte, beherbergte damals noch Gäste eigener Art. Burschen niederer Herkunft, welche nicht guttun wollten, pflegte man unters Militär zu stecken; vornehme Familien aber zogen es vor, einem Sprößling, an welchem Hopfen und Malz verloren, ein Nebenplätzchen im Zuchthaus zu verschaffen. – In der Strafanstalt zu Hüfingen befanden sich um jene Zeit etliche solcher Gutedel, denen natürlich eine gewisse Freiheit und Bequemlichkeit gestattet ward.

Grundriss des Zucht- und Arbeitshaus (2)
siehe ganz unten

Die geräumige Wohnstube des Verwalters diente abends zur gewöhnlichen Zusammenkunft von Bürgern und Beamten, welche in vertraulichen Gesprächen über städtische und andere Angelegenheiten und Tagesfragen sich die Stunden verkürzten. Als diesmal der Feldwaibel mit seinem Vetter eintrat (Hieronymus war bei der Base geblieben), trafen sie den Kaplan gerade beschäftigt, einen Artikel aus dem Postreiter vorzulesen. Es war darin von einem Kurier die Rede, welcher mit gewissen wichtigen Depeschen durch eine gewisse Residenz gekommen sein sollte. Diese Nachricht führte unsere Gesellschaft unwillkürlich zur Erörterung der wichtigen Frage: was das wohl zu bedeuten haben werde?

– Der Feldwaibel, nachdem er seinen Gast der Gesellschaft vorgestellt, berichtete, was dieser ihm vom Kaiserzoller mitgeteilt; und man schien nicht abgeneigt, zu glauben, daß es zum Krieg kommen werde. Auch der Kaplan war dieser Meinung.

„Seine Majestät, der Kaiser”, sagte er, „ist bekanntlich verschwägert mit dem Franzosenkönig; und es sollte mich nicht wundern, wenn er mit dem König von Preußen Allianz machte, um seinem bedrängten Schwager zu Hilf zu ziehen.”
„A parbleu!” ließ sich aus der Ecke ein junger Mann in Jagdkleidung vernehmen, „der König von Frankreich wird allein mit der rebellischen Canaille fertig werden! Hätt ich nur vier Wochen das Regime”, setzte er bei, indem er die Füße über den vor seinem Lehnstuhl stehenden Schemel legte, „ich würde der Welt ein Exempel geben.”
Der Sprecher war Monsieur Sirjean, einer jener jungen Herrn, von welchen wir oben geredet. Seine Familie, bei Kolmar begütert, war durch den Tunichtgut fast ruiniert worden und hatte ihn endlich dem Zuchthausverwalter in Hüfingen in Kost und Logis gegeben.
„Das Morgenrot der Humanität ist angebrochen”, entgegnete der Gefällverwalter, seine Perücke etwas auf die Seite schiebend. „Und ich behaupte, daß die Tugend im Zwillichkittel ebenso ehrwürdig sei wie im goldbortierten Rock. – Die Zeit, wo man Hexen schmäucht, ist Gott sei Dank vorbei. Es wird immer heller, und jeder kann sehen, daß das Horn des Überflusses von der gütigen Natur für alle Kreaturen, ohne Unterschied, ausgeschüttet wird.” „Très bien! Mit Ausnahme der Straßburger Gänseleberpasteten”, warf spöttisch Sirjean ein; denn der philosophierende Gefällverwalter, welcher als Junggeselle lebte, hielt, nebst der Tugend und Natur, Geflügel, feines Gemüse und andere Produkte der höheren Kochkunst, welche er von Straßburg zu beziehen pflegte, für das Preiswürdigste im Leben.
“Euer Witz ist etwas abgetragen!” versetzte beleidigt der Gefällverwalter mit einem Seitenblick auf das ziemlich schäbige Kollett des Sprechers, „man lerne mich besser verstehen!” fügte er bei und drehte jenem den Rücken zu. – Der Kaplan aber, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, sagte:
„Ich verstehe mich zwar nicht viel auf weltliche Handel, aber so viel scheint doch aus allem hervorzugehen, daß ein Überfall französischerseits gar wohl möglich wäre.”
Diese Behauptung aber brachte sämtliche kaiserlich Gesinnte in den Harnisch, und der Zollbereiter schwur hoch und teuer, daß sie, die Franzosen, diesmal nicht ungestraft über den Höllenpaß heraufkommen sollten. „Es müßte mit dem Teufel zugehen”, meinte er, „wenn wir ihnen nicht schon vor der Haustür ein Frühstück anrichteten, daß ihnen der Appetit zum Mittagsmahl vergehen würde.”

Fürstenberger Grenadier von 1760 (1)

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Fürstenberger Grenadier von 1760 (1)

„Da werden wir städtische Schützen uns wohl hinter die Stadtmauer postieren müssen”, unterbrach ihn der Zuchtverwalter lächelnd, indem er einen Griff in seine silberbeschlagene Dose tat. „Und die Böller auf dem Lorettoberg aufpflanzen, zur Begrüßung!* ergänzte sein Nachbar und Hausfreund, der Naglermeister.
„Allerdings!” erwiderte der Zollbereiter. „Haben nicht ebenso kleine Städtlein schon gegen übermächtige Feinde sich gewehrt? – Man leitet die Breg in den Stadtgraben, verrammelt die Tore, wirft die hölzerne Brücke ab und da wollt ich doch sehen”

»Man hört, lieber Herr”, unterbrach ihn der Feldwaibel, der bisher schweigend zugehört, „daß Ihr noch niemals dabeigewesen seid, wo’s ernstlich geknallt hat. Mit alten Stadtmauern und hölzernen Torflügeln richtet man heutzutag nichts mehr aus, das dürft Ihr mir glauben.”
„Herr Feldwaibel!” warf der kommandierende Zollbereiter ärgerlich hin, „das kann ich Euch sagen, so wie zu Eurer Zeit, im Siebenjährigen Krieg, so ging’s nicht mehr. Der Bürgersmann würde jetzt auch noch ein Wort mit dreinreden wollen. “

„Hab nichts dagegen!” erwiderte gelassen der alte Kriegsmann. „Der Markt wird lehren kramen. – Glaubt mir indes: nur der Soldat gibt im Krieg den Ausschlag, und der Bürger muß sich ducken!” – Aber der Zollbereiter nahm den Kampf von neuem auf und schleuderte Tod und Verderben von den Mauern und Türmen der Stadt auf den anrückenden Reichsfeind. Und als Sirjean zuletzt verächtlich einige französische Stücke auf einer Anhöhe über dem Städtchen aufführen ließ, um die deutschen „Spießbürger” Mores zu lehren, wurde das Gefecht immer lauter und allgemeiner – und wahrlich, das Schicksal beider Reiche wäre sicherlich, an diesem Abend schon, an den Ufern der Bregach entschieden worden, hätte nicht ein plötzliches Dazwischenkommen von außen her die Kämpfenden getrennt und zum Waffenstillstand gebracht. Es war der Nachtwächter, der auf seinem Rundgang durch die Gassen seinen Ruf erschallen ließ – mit der Mahnung: „Habet acht auf Feur und Licht, daß niemand keinen Schaden geschicht. – Es hat Zehne g’schlagen. Gelobt sei Jesus Christ!”

„Oha! Schon die Zeit?” hieß es, indem jeder nach Hut und Stock griff.
„Wie man sich doch verplaudern kann!” – Im Fortgehen sagte der Vetter Galli, ein friedliebender Bürgersmann und Olmüller: „Soviel hab ich g’merkt, wir alle da machen die Sach nit aus. Der Kaiser aber, hoff ich, wird der Haue schon en Stiel finde. – Gut Nacht, ihr Herren!”

Nicht ohne Besorgnis für die Zukunft war Mathias mit seinem Sohn in die Berge zurückgekehrt. Hieronymus aber, dem politische Händel wenig Sorgen machten, freute sich der günstigen Aussichten, die ihm vom Meister eröffnet worden. – Dabei fühlte er sich jedoch in eine eigentümliche Lage versetzt. Er war ruhelos, harrte Tag um Tag, Woche um Woche auf Nachricht aus der Stadt. Zu keiner Arbeit mehr fühlte er sich aufgelegt. Ja er schien sogar gewohnte Gesellschaft zu meiden. Er glich einem Menschen, der reisefertig bei allen Bekannten schon Abschied genommen und eingepackt hat, stets aber durch Hindernisse wieder festgehalten wird. Sein bisheriger Gesichtskreis schien sich erweitert zu haben und sein Geist unstät hinaus ins Weite zu schweifen.

Wem es aber vergönnt gewesen wäre, einen Blick zu tun in das Innere des guten Burschen, auf den verschwiegenen Grund seines Herzens, der hätte vielleicht noch andere Ursachen seines wachsenden Unbehagens gefunden, das ihm die Brust bald hob, bald beengte. – War es etwa die Liebe im Schoße der Hoffnung, welche dem Sohne des Häuslers goldene Träume der Zukunft vormalte – ein holdes Bild und glückseligen Besitz, der nur durch einen langen Umweg zu erreichen war?

Zu Feldarbeiten fühlte er gar keine Lust mehr; und auch seine sonstigen Beschäftigungen machten ihm kein Vergnügen mehr, seitdem er einsehen gelernt, daß er doch beinahe von vorne anfangen müsse. – Es trieb ihn hinaus in die Wälder und Berge; und sein liebster Gesellschafter war der Stoffel. Das unstete Leben des Jägers und Fischers paßte vollkommen zu seiner Gemütsstimmung. Oft, wenn es im Tale schon dunkelte, wenn allein noch auf einzelnen Gumpen im Bach oder auf Quellen im tiefen Mattengrün der Abglanz des verglimmenden Tages ruhte, sah man die beiden noch draußen beim Fischfang. Und frühmorgens, wenn feuchte Nebelmassen noch auf den Bergen lagen und über den wildbewachsenen Ufern der Bregach, zogen sie wieder hinaus mit Netzen und Stangen.

Wenn im Frühjahr der Auerhahn balzte und der fürstliche Hof zur Jagd erwartet wurde, war Hieronymus dabei, wenn der Stoffel abends vorher das Federwild „verhörte”; oder er ging mit, das Gewehr über der Schulter, hinaus auf den Anstand oder half dem Stoffel beim Dachsgraben oder leistete ihm Gesellschaft in der Fallhütte. – Von der felsigen Fischerhöhe bis in die Wälder der Schollach und des Hallenberges führten sie ihre Streifereien. Und nicht selten nahmen sie ihr Nachtquartier in entlegenen Hütten und Höfen.


Wär es dem Alten nach gegangen, Hieronymus wäre sein Nachfolger im Dienst geworden. Die Kugelbüchse (nebst der Ulmer Pfeife Stoffels intimste Freundin und Begleiterin) sollte dereinst dem Burschen als Erbstück zufallen, so versicherte er diesem oft.

So gelehrig sich Hieronymus indes anstellte, zum Waidwerk fühlte er keinen innerlichen Beruf. Ja, er kam oft verdüstert und verdrießlich von diesen Gängen heim. Das Gefühl, zweck- und nutzlos seine Zeit zu verschleudern, lastete zuweilen wie ein Alp auf seiner Brust. Die Mutter bekümmerte sich nicht wenig über die veränderte Lebensweise ihres Sohnes; und es vermochte sie nur wenig zu beruhigen, wenn der Vater ihr tröstend einredete, es könne ja nicht mehr lange dauern, bis Hieronymus beim Meister in der Stadt eintreten müsse.

Denn mehr noch als das Leben, von welchem es heißt: Fischen und Jagen hat nie viel eingetragen, mußte die Mutter sich Bedenken machen über die Gesellschaft ihres Sohnes; denn man sagte dem Stoffel manches Unheimliche nach. Er besuchte nie eine Kirche, und niemand wußte, ob er ein Christ oder ein Heide sei. Wie alt er war, wußte ebenfalls niemand, er selbst nicht ganz genau, denn sein Taufschein war ihm längst abhanden gekommen. Auch sagte man ihm nach, daß Menschenblut an seinen Händen klebe, daß er früher, als Wilderer, stets bereit gewesen sei, die Kugel, die für den Rehbock gegossen, unter Umständen auch dem Jäger als runden Gutenmorgen entgegenzuschicken, während er jetzt, als Waldhüter, nicht leicht einen Wilderer verschone.

Manche behaupteten auch, er verstehe die Kunst, sich „fest zu machen”; ja, die alte Fahlenbacherin und einige andere Betschwestern und Geisterseherinnen wollten herausgebracht haben, der Stoffel suche bisweilen den „Schwarzen” im Walde auf.

Mochten diese Behauptungen von vielen bezweifelt werden, von einem Stücklein, welches den Beweis lieferte, daß der Alte mehr könne als Brot essen, war fast das ganze Kirchspiel Augenzeuge gewesen. – Dem Oberförster war einigemal aus seinem Garten das mühsam erzielte Obst gestohlen worden, und der Stoffel hatte öffentlich ausgesprochen, daß er den Dieb nächstens „stellen” werde. – Und wirklich sahen die Leute, als sie am nächsten Sonntag aus der Kirche kamen, einen fremden Handwerksburschen, der, die Hand am Aste eines Apfelbaums, sich vergeblich bemühte, dieselbe loszumachen. Zugleich sah man den Stoffel herankommen mit der Hundspeitsche:

“Hab ich endlich emal einen, wart, ich will dir das Stehlen vertreiben!” Und somit schickte er sich an, dem armen Teufel das Trinkgeld zu verabreichen; einige geheimnisvolle Zeichen, und der Bann war sodann gelöst. – Freilich wollten einige wissen, alles sei Verabredung gewesen, aber – was die Hauptsache war – Obst wurde von der Zeit an dem Oberförster keines mehr gestohlen. Ob es mit den andern Künsten des Stoffels ähnliche Bewandtnis gehabt habe, vermögen wir nicht zu entscheiden; gewiß bleibt, daß der Waidgeselle überall dabei war, wo es ein nicht gern gesehenes Treiben galt. Durch ihn vornehmlich war ein alter, fast vergessener Brauch neuerdings wieder in Schwung gekommen, das „Sägswerfen” in der Nacht vor der sogenannten Jungfernfastnacht. Altere Leute schüttelten den Kopf über dies „heidnische Wesen”, indem sie behaupteten, daß dabei oft schon urplötzlich ein „Gewisser« sich eingestellt habe, zum Todesschrecken der Teilnehmer.

Es war im März; die jungen Burschen, Hieronymus unter ihnen, hatten sich versammelt, um mit einbrechender Nacht auf die hohe St.-Georgen-Halde zu ziehen. Unten im Tale sammelten sich die Zuschauer, die Mädchen dicht zusammengeschart. – Als der letzte Abendschimmer hinter dunkeln Wolkenschleiern verschwunden war, sah man oben auf der Halde ein mächtiges Feuer auflodern. Dort war indessen ein Tannenstamm in scheibenförmige Stücke zersägt und die Scheiben in der Mitte durchbohrt worden. Jeder Bursche hatte eine Scheibe ergriffen, um sie auf einen Stock zu stecken und am Feuer in Brand zu setzen.

Hieronymus trat zuerst vor, den Stab mit der glühenden Scheibe in der Hand und sprach, gegen das Tal gewendet, mit lauter Stimme: „Die Sags fahrt links, die Sägs fahrt rechts, sie macht’s der Jungfer Florentina grad recht!” Dabei schleuderte er in raschem Schwunge das funkensprühende Rad weit hinaus in die finstere Nacht. – Unten angekommen, rollte es noch eine Strecke weit über die Wiesen hin, um zischend in der Bregach zu erlöschen.

Auf solche Weise trat nun einer nach dem andern der jungen Burschen vor, warf die Sägs und nannte den Namen des Mädchens, dem zu Ehren der Wurf getan wurde. Des andern Tages empfing dann jeder dieser ländlichen Ritter den Dank von seiner Holden; und bestand dieser Dank auch nicht in güldenen Ketten oder Pokalen, so war er doch nicht minder begehrt und erfreulich. Denn so eine große Platte voll Fastnachtsküchle, zumal von schönen Händen zubereitet und gespendet, war ein Preis, um den man schon einmal die „Fastnachtsfunken” sprühen und sausen lassen konnte.

Für unsern Ritter, der auf dem Wege war, in solch zwecklosem Treiben sich ganz zu verlieren, schlug glücklicherweise jetzt bald die Stunde der Lebenswendung. Ehe jedoch dieser Zeitpunkt erschienen, ward ihm Gelegenheit geboten, vor seinem Abschied der Freundin Florentina noch einen Dienst zu erweisen. Diese war unterdessen in ein Alter getreten, wo man mit Recht von ihr sagen konnte: „De bist jetzt kei Meideli meh, jetz sag i der Meidli, und wie de gosch, wirsch alliwil größer und schöner.” Durch die Mutter war ihr ein eigener Kleiderkasten eingeräumt worden. Denn der Vater hatte, wie er selbst zu gestehen pflegte und wie wir bereits am Neujahrsmorgen gesehen, in Sachen des Putzes allen Einfluß verloren. „Die Alte hat sie verzogen”, äußerte er oft, scheinbar verdrießlich, in der Tat aber innerlich geschmeichelt von den Lobsprüchen, die man dem schönen Mägdlein und seinem Kleiderstaate allenthalben spendete. „Es ist nur gut”, meinte er, „daß sie die einzige ist; hätt ich ein Dutzend, so wär mei’ Seel der Wald droben schon lang de Bach ab!”

Bevor das Töchterlein seine Aussteuer in den überkommenen Kasten einräumte, hatte es den Hieronymus gebeten, das altväterliche Möbel hübsch zu renovieren, d. h. frisch anzustreichen und zu bemalen – eine Bitte, die wie ein reifes Samenkorn in fruchtbares Erdreich fiel. Freudig hatte sich der Künstler an die Arbeit gemacht, und die Bestellerin schaute fleißig nach und unterließ auch nicht, durch eine gelegentliche Erfrischung aus dem Hofkeller seine Begeisterung zu erhöhen. – Kein Eckchen am Kasten blieb unverziert.

In der Mitte der Türfüllung brachte er ein rotes flammendes Herz an, umgeben von Rosen und Vergißmeinnicht, auf den Seiten grüne Girlanden mit großen Maschen, während die ausgeschweifte Bekrönung oben den vergoldeten Namen der Eigentümerin und die Jahreszahl aufzunehmen bestimmt war. Über die Art der Honorierung des gelungenen Werkes wurde im Hof dann eine geheime Konferenz abgehalten. Der Bauer, der natürlich nichts geschenkt haben wollte, war der Meinung, man solle dem Mathias ein paar Viertel Vesen dafür ablassen; die Bäuerin aber sagte: „Nein, der Hieronymus hat’s g’schafft, er soll au den Lohn dafür bekomme. Er geht jetzt bald in die Lehr, und da wird er Geld brauche; an dem, was er daheim mitbekommt, wird er ohnehin nit schwer zu trage habe.” Und als zur Abstimmung geschritten wurde, sah sich der gute Mann abermals in der Minorität, denn Florentina stimmte mit der Mutter, und der Vater zog seinen Antrag zurück – dem Hausfrieden zulieb, wie er sich ausdrückte.

Hieronymus seinerseits hätte vorlieb genommen mit dem herzlichen Dank, den ihm die Freundin für die Arbeit spendete. „Nun hab ich doch ein Andenken von dir, wenn du einmal fort sein wirst”, sagte sie, ihm die Hand gebend. , Und ich kann darnach nie über dem Kasten, ohne an dich zu Ein paar Wochen nachher kam der Amtsbot mit einem Schreiben vom Meister. – Mathias machte sich ungesäumt auf nach der Stadt, um das Nähere zu hören und auszumachen. Hieronymus sollte, so wurde bestimmt, drei Jahre lernen, und weil der Vater das Lehrgeld nicht bezahlen konnte, nach vollbrachter Lehrzeit noch ein Jahr „zurückdienen” und auch alle Kosten übernehmen beim Aufdingen und Ledigsprechen. Der Feldwaibel, als „ Beistand”, stellte die herkömmliche Bürgschaft mit zwanzig Gulden, „für den nicht zu verhoffenden Fall, daß der Lehrjung etwa nicht fromm und redlich” sein sollte. Beinebens sollte dieser außer den Schuhen auch die Kleider sich beschaffen und sogleich beim Eintritt achtundvierzig Kreuzer in die Zunftlade bezahlen. – So verlangten es die Satzungen.

Hieronymus jubelte, als ihm’s der Vater Schwarz auf Weiß brachte, daß der Bann nun gelöst sei, der ihn wider Willen bisher im engen heimatlichen Kreise festgehalten. – Bald darauf nahm er Abschied, um der neuen Bestimmung entgegenzugehen.


Zucht- und Arbeitshaus Hüfingen

Nach dem Kreistagsbericht vom 25.Juli 1715 sollte das Donaueschinger Zucht- und Arbeitshaus zur Aufnahme von mindestens 300 Personen dienen; auch “arme Kinder und Waisen, alte unkräftige Leute, Tolle und Irrsinnige sollten Aufnahme finden, dagegen nicht eigentlich Zigeuner, die den Venetianern ad triremes zu überlassen waren”. (2)

Nach 9- jährige Bauzeit wurde am 7. Oktober 1758 der Bau und die Einrichtung fertig und am 16. Mai 1759 ergeht ein Erlaß an sämtliche Oberämter mit der Anfrage, ob Züchtlinge oder Kinder einzuweisen seien. Am 23. Januar 1790 wurde Franz Joseph Schelble Zuchtmeister. Er war der letzte fürstenbergische Zuchthausverwalter und wurde 1808 in badischen Dienst übernommen. (2)

Franz Joseph Schelble war der Schwiegervater von Luzian Reich senior und somit der Großvater von Lucian Reich.

Am 27. Juli 1809 wurde das Zuchthaus in ein Korrektionshaus umgewandelt und zum Korrektionshausverwalter wurde Zuchtmeister Schelble ernannt.

Alle nach badischen Kriminalgesetzten Verurteilten wurden nach Freiburg abtransportiert. Das Korrektionshaus wurde 1828 aufgegehoben. Schelble starb mit 78 Jahren am 13. Februar 1835 und seine Ehefrau Katharina geb. Götz am 4. April 1847 mit 87 Jahren. (2)

1850 diente das Gebäude eine Zeitlang als Kaserne, 1853 als Fürsorgeerziehungsanstalt, die nach dem in der Nacht vom 22./23. März 1853 abgebrannten Kloster in Neudingen den Namen Mariahof führt und seither katholische schulpflichtige Knaben beherbergte.

Das Bauwerk wurde erst 1972 abgerissen.

Postkarte von 1910 aus der Sammlung Dieter Friedt. Hüfingen
http://www.baarverein.de/postkarten/huefingen/bauwerke/index.htm

(1) Aus den Schriften der Baar 17 (1928), Georg Tumbült: Das Fürstenbergische Kontigent Schwäbischen Kreises.

(2) Aus den Schriften der Baar 17 (1928), Dr. F. Wangener: Aus der Geschichte des Zucht- und Arbeitshauses in Hüfingen.

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