Über Weihnachten und Neujahr

Über Weihnachten und Neujahr

19. Februar 2024 0 Von Hannah Miriam Jaag

Hieronymus Kapitel 10

“E freie frohe Muth e gsund und frölich Blut goht über Geld und Guth.”
>Johann Peter Hebel

Es muß kalt sein, denn wir sehen auf dem Bilde den Stoffel wider Gewohnheit frühe schon von der Jagd heimkehren. Mag aber auch das Alter Ursache haben, vor dem rücksichtslosen Gaste sich zurückzuziehen und Türen und Fenster zu verschließen, so hat doch für die Jugend jegliche Jahreszeit ihre eigenen Freuden: ist es nicht die blühende Rose am Stock, so ist es die Eisblume an der Fensterscheibe.

Nehmen wir einen Sonntagnachmittag. Der Nebel hat das Feld geräumt und die Sonne strahlt glanzvoll über dem weißbepuderten Tannenwald; die Birken und Erlen sehen aus, als kämen sie frisch vom Zuckerbäcker – und in tausend und tausend flimmernden Sternchen glitzert das Schneefeld. – Das ist für die Buben eine Lust, denn jetzt gilt es zu zeigen, wer dort auf der „Schleifer” des Mühlbachs der Gewandteste und Keckste sei – und die Mädchen am besten zu necken verstehe. – Das waren auch für Hieronymus und seine Kameraden stets um so vergnügtere Tage gewesen, als sie nicht so häufig sind, diese Tage fröhlichen Treibens; denn oft erblickt man in der tief eingeschneiten Landschaft auch nicht ein menschliches Wesen. Nur Raben und Schneegeier flattern über das öde Gefilde, während scharfe Windswehen die Hütten und Höfe mit gewaltigen Schneemassen förmlich in Belagerungszustand versetzen, so daß der Hausvater morgens weder Laden noch Haustüre zu öffnen vermag und genötigt ist, wenn er dem Nachbar einen Besuch machen will, zuerst Minen und Tunnels zu graben.

Wie aber nach dem Ausspruch des Dichters: „Eines schickt sich nicht für alle”, gewisse Dinge in Scherz und Ernst immer nur einem gewissen Alter zukommen, so sahen die herangewachsenen Bürschlein bereits schon eine jüngere Altersklasse lustig auf dem Eis sich tummeln. – Ganz entsagen jedoch konnten sie diesem Vergnügen nicht. War die Schuljugend mit einbrechender Dämmerung vom Bache verschwunden, stieg der Vollmond über dem Wald empor und bestrahlte er die Schneelandschaft so helle, als wollte er’s mit wunderbarem Flimmern und Blitzen der verschwundenen Sonne fast gleichtun, so begaben sich Hieronymus, Dionys und Romulus mit anderen auf den überfrorenen „Gumpen” unterhalb der Mühle; und auch Florentina und Juliana mit ihren Gespielinnen machten sich herbei, um ein halbes Stündchen lang die spiegelglatte Bahn wieder einmal zu probieren.

Die kurzen Tage hindurch saß Hieronymus fleißig bei der Arbeit. Die langen Abende jedoch gewährten Muße genug, auch noch eine Nebenbeschäftigung vornehmen zu können. – Wie damals in den meisten Kirchen bildliche Weihnachtsvorstellungen, sogenannte Kripplein, beliebt waren, so konnte man in manchen Häusern ebenfalls welche sehen. Für Kinder bildeten sie eine sehr anmutige Unterhaltung. Denn nicht nur erblickten sie da in romantischer Landschaft den Stall mit der Heiligen Familie, auch die drei Weisen aus dem Morgenlande kamen bereits über das Gebirge daher, und am Neujahrstag fand die Darstellung im Tempel statt – und so ging es fort, bis zum ersten Wunder am Hochzeitstisch zu Kana.

Auch Vater Mathias besaß von früher her eine Schachtel voll solcher Figürchen, nur war ihm bisher noch nie so viel Zeit geblieben, dieselben renovieren und eine Landschaft dazu erbauen zu können. Diesem Geschäfte unterzog sich jetzt Hieronymus. Frisch machte er sich daran, von Kohlenstücken eine Felsenlandschaft zu gestalten – eine Schöpfung, die indes nicht sogleich gelingen wollte. Denn bereits war der Berg erbaut, und Bachweber, der sich’s nicht nehmen ließ, auch mit Hand anzulegen, wollte eben als Schlußstein noch ein Kohlenstück einsetzen, als der Brocken seinen Fingern entschlüpfte und der Erschrockene, im Begriff, denselben noch zu erhaschen, an eine der hinten angebrachten Stützen stieß, wodurch – zum nicht geringen Entsetzen der Zuschauer, unter denen auch der Laubhauser sich befand – ein fataler Rutsch erfolgte, der dem mühsam geschaffenen Heiligen Lande den Untergang brachte. – Beim zweiten Versuch wurde der Leim zu schwach genommen und das Werk zu nahe an den warmen Ofen gestellt, was abermals Senkungen und Risse zur Folge hatte; und so gelang die Arbeit erst, nachdem Bruder Cyriak herbeigeholt und zu Rat gezogen worden war. Der in solchen Dingen wohlerfahrene Mann gab die rechten Rezepte und Anleitungen zum Leimen – und bald konnte man zum Grundieren und Kolorieren der Landschaft schreiten.

Der Bruder hatte sich anheischig gemacht, ein neues, in Wachs gegossenes Christkindlein zu stiften, während Hieronymus sich angeregt fühlte, manche Lücke im biblischen Personal kunstgerecht auszufüllen. Er machte es hierbei wie die alten Meister: er griff keck ins Leben hinein und brachte Personen seiner nächsten Umgebung – so gut es seiner Unzulänglichkeit gelingen mochte – in den historischen Rahmen. So stellte er seinen Vater, kenntlich an Haltung und Kleidung, als Hirten dar, sich selbst nebst Dionys und Romulus als Hirtenkinder. Auch der Lehrer Bachweber erschien in einer folgenden Darstellung, und zwar als Schriftgelehrter.

Am meisten Beifall erhielten von seinen Schöpfungen: ein Einsiedler, der im Habit des Bruders Cyriak oben auf den Felsen hinter Bethlehem vor seiner mit einem Kreuze gezierten Klause das Ave-Maria läutete; ferner ein Tiroler Gemsjäger, benebst einer Schwarzwälder Ankenhändlerin, im Begriff, mit ihrer Ware den Wochenmarkt in Jerusalem zu besuchen. – Um die Kritik gelehrter Ästhetiker und Kunstliteraten brauchte er sich ebensowenig zu kümmern wie die alten Meister, weil er glücklicherweise ebensowenig wie diese von solchen etwas wußte.

Am Heiligen Abend und die ganze Weihnachtszeit über kamen viele Kinder und Erwachsene aus dem Tal, um das Werk zu bewundern. Manche fühlten sich bemüßigt, dem Christkindle ein kleines Opfer zu entrichten – was zwar nicht verlangt, aber vernünftigerweise auch nicht abgelehnt wurde.

War unter dem Opfergeld auch mehr Kupfer als Silber zu finden, so gab solches dem Künstler doch schon wieder – rechnete er – Futterzeug zum neuen Rock; denn daß ein solcher notwendig, darüber herrschte im Hause längst keine Meinungsverschiedenheit mehr; nur hatte die Anschaffung bisher immer verschoben werden müssen, der im vorigen Kapitel erwähnten finanziellen Bedrängnisse wegen.

Am Neujahrstage mußte Hieronymus, wie gewöhnlich an diesem Tage, schon vor dem Kirchgang mit den Eltern hinübergehen in den Hof, um den bäuerlichen Herrschaften pflichtschuldigst zu gratulieren. Es geschah mit der üblichen Redensart: Glückseliges Neujahr, und man wünsche, was man sich selber wünsche – Gesundheit und langes Leben und nach diesem die ewige Seligkeit usw. Auf dem Tisch im Hofe dufteten bereits die von allen übrigen Gratulanten sehr bewunderten Attribute des Tages, Meisterstücke der Bäckerkunst unseres Mathias und seiner Anastas: ein mit Zucker bestreuter „Guck-inofen” nebst etlichen mürben, von Butter glänzenden „Eierringen”, im Durchmesser nicht viel kleiner als ein Pflugrad.

Festtäglich geputzt trat Florentina rasch aus der Kammer in die Stube ein, dem Besuche das Neujahr „abzugewinnen”- Hieronymus sah sie heute zum erstenmal wieder seit ihrer Rückkehr aus dem Hause des Kaiserzollers, wo sie seit etwa acht Wochen sich aufgehalten, um nach dem Wunsche der Mutter im dortigen Wirtshaus das Kochen zu lernen. – Hieronymus konnte eine leichte Überraschung kaum verbergen; war es die Glorie der Morgensonne, die in vollem Winterglanze durch die Scheiben strahlte, oder machten es die neuen Kleider, in denen die Tochter des Hauses nun zum erstenmal in die Kirche gehen wollte – genug, der Freund schien sich heute zum erstenmal bewußt zu werden, daß Florentina ein – bildschönes Mädchen sei. Und fast gar wäre ihm der Ausruf entschlüpft: „O wie schön bist du!” – Aber er korrigierte sich schnell und sagte – „sind deine Kleider!”

Es waren in der Tat auch Prachtstücke von bestem Samt und Seide: das grüne, reich verzierte Goller, fast zu eng für den weißen Hals, der dunkelrote Brustlatz, gestickt in echtem Gold und Silber, dazu die bauschige, violett schimmernde Taffetschürze mit dem silbernen Gürtel darüber, das faltenreiche Halstuch, die feinen Hemdärmel, weiß wie frisch gefallener Schnee. – Alles zeigte klar, daß ihr Vater in Sachen des Putzes, wie er jetzt selbst oft zu sagen pflegte, nimmer Meister sei.

Und als die liebliche Maid ihrem jugendlichen Freund zur Bekräftigung der guten Wünsche für das neue Jahr die Hand gab, bemerkte dieser am Ringfinger der dargebotenen Rechten ein massiv silbernes Ringlein mit einem leuchtenden Karfunkelstein – ein Neujahrsgeschenk war’s von ihrer Patin, der Frau Kaiserzollerin.

Wie nun das an der Schwelle des jungfräulichen Alters stehende Mädchen in diesem standesgemäßen Anzuge vor ihm prangte, mochte ihm wohl ein leises Gefühl sagen, wie beträchtlich der Abstand sei zwischen dem Sohne des armen Hausmanns – und der Tochter des reichsten Hofbauern im ganzen Tal.

Geschärft mochte diese Erkenntnis noch werden durch das Gespräch der Eltern, die im Fortgehen zu allerlei Betrachtungen sich veranlaßt fühlten über den Reichtum der Familie und über das einstige große Heiratsgut des einzigen Töchterleins, auf dessen Hand sicherlich schon dieser und jener vermögliche Hofbauernsohn spekuliere usw. – Oft schon hatte Hieronymus dieses Thema von den Eltern besprechen gehört, aber noch nie war es ihm so nachhaltig ins Gehör gefallen – wie heute.

Zerstreut kam er aus der Kirche nach Haus; und nach dem Essen begab er sich zum Stabhalter, diesem einen schön gemalten Neujahrswunsch zu überreichen; ein blankes Käsperle war der Lohn für diese Aufmerksamkeit, welches Geldstück der Empfänger mit einer gewissen Befriedigung den übrigen Sparpfennigen beigesellte. – War er nur einmal gehörig ausgerüstet – dann sollte ihn nichts mehr zurückhalten hier im Tal; denn daß da sein Glück nicht blühe, daß er hinaus, etwas Rechtes erlernen und werden müsse, das wurde dem guten Burschen mit jedem Tage mehr klar.

Im Laufe des Nachmittags kamen noch sämtliche nächste Anverwandte des Laubhausers auf den Hof. Es ging hoch her im Haus, denn bei solchen Anlässen wollte der Bauer zeigen, wie gut es mit Küche und Keller zu Laubhausen bestellt sei. Aber nur Ebenbürtige waren zur Teilnahme berechtigt.

Vettern und Basen, mit denen kein Staat zu machen war, wurden nur so nebenbei, in der Küche oder im Hinterstüblein abgespeist. Während kleinere Hausmanns- oder Taglöhnerskinder vor der Haustür dort standen und die ankommenden Schlitten und ihre Insassen musterten oder begehrlich und wunderfitzig durch die Fensterscheiben lugten und vom Peter zuweilen ein duftendes „Küchle” oder ein paar „Sträuble” hinausgelangt bekamen – wandelte Hieronymus gedankenvoll hinter den Häusern hinweg, hinüber zur einsamen Hütte des Stoffels.

Jagdschloss im Unterhölzer Wald

Der wunderliche alte Junggeselle war eben im Begriff, von seinem unzertrennlichen Dachshund begleitet, einen Gang in den Wald zu machen, und Hieronymus schloß sich ihm an. – Im Fortgehen erzählte der Stoffel seinem jungen Freund, wie nächstens wieder ein großes, von der Herrschaft anbefohlenes Treibjagen auf Säu und Hochwild abgehalten werden solle. „Du weißt”, sagte er, „daß kürzlich in Unterhölzer beim Wartenberg der große Eichwald zum Tiergarten eingezäunt worden ist, wo allein noch Hoch- und Schwarzwild g’hegt werde soll. «

„Vorgestern”, bestätigte Hieronymus, „hab ich g’seh’, wie sie schon die Wehrblahen und die Garn und Schweinsseil mit den Steckgabeln auf Wägen von Donaueschingen herbracht haben – nüber ins Jägerhaus. Da sind schon die Hundsbube versammelt mit den Leit- und Hetzhund; auch das Zelt hab ich g’sehen ablade für die Herrschaft, – die Fürstin soll ja selber eine so g’schickte Jägerin sein.”

„Allerdings – aber wenn’s so fortgeht”, meinte der Alte verdrießlich, indem er Feuer schlug, um seinen Ulmer wieder in Brand zu versetzen, „wird’s bald höre haben mit der Jagd auf Edelwild. Weiß noch gut die Zeit, wo die Hirsch rudelweis in strenge Winternächte vor die Bauernhöf komme sind, oft bis in die Scheuern, wenn der Knecht vergessen hat, das Scheuertor recht zu schließe.”

Indem sie unter solchen Gesprächen den Wald durchstreiften, der – weil der Schnee fest gefroren – gut zu begehen war, und der Stoffel seinen Begleiter da und dort auf die Fährten und das Getieger des Wildes aufmerksam machte – flog ein Kreuzschnabel über ihren Köpfen hinweg. – „So ein Kreuzschnabel“, sagte der Stoffel, „ist ein wahrhafter echter Schwarzwälder. Wenn die andern wehleidig vor dem Winter Reißaus nehmen oder vor den Häusern und Scheuren auf dem Bettel rumziehen, ist es dem Bürschle erst recht wohl im Wald, so daß es mitten im Winter, im Jänner schon, ans Nesten und Brüte denkt.”

Kreuzschnabel im Schwarzwald

Zu einer Lichtung des Waldes gekommen, wo ein hungriges Häslein um einzelne, aus der Schneedecke ragende Sträucher und Stäudlein sich mühte, nahm der Stoffel seinen Stutzen von der Schulter und machte mit einem wohlgezielten Schusse den Nahrungssorgen des guten Tierles, wie er sich ausdrückte, ein Ende. – „Es wird auf eins rauskomme”, lachte er, indem er zur Stelle schritt und den armen Lampe in den Büchsenranzen schob, „ob dich heut nacht ein Fuchs oder morgen der alte Stoffel verspeist. – Einer lebt vom andern, das ist der Lauf der Welt – und selber essen macht fett, das heutig’ Evangelium! – Hast du Lust, Hieronymus, so bist du höflich invitiert auf morgen zum ersten Werktagsschmaus. – Man darf die alten ehrwürdige Bräuch nit abgehe lasse.«

„Ihr habt’s gut, Stoffel!” entgegnete Hieronymus, den Alten, der sein Gewehr wiederum lud, mit lächelnder Miene betrachtend. „Ihr lebt, wie es Euch g’fallt, und schert Euch um niemand und um nix, was andern ‘s Herz schwer macht.”

„Närrischer Kerl”, versetzte mit heiserem Lachen der Stoffel, „kannst’s ja auch so haben, wenn du willst! – Was braucht sich einer viel zu kümmern, wenn er nur sein bißle Leben und von Zeit zu Zeit sein Brätesle uf em Tisch hat!”
„Um das handelt es sich nit allein!” sagte Hieronymus mit einem halb unterdrückten Seufzer. „Man strebt halt b’ständig weiter – in der Hoffnung -“
“Ei was, Hoffnung!” brummte der Alte, unwirsch ihn unterbrechend. “Hoffen und Harren macht manchen zum Narren. Die Hoffnung ist ein betrügliches Weibsbild, das viel verspricht und wenig halt’; hat manchen schon sein Lebtag am Narrenseil rumg’führt.”
„Wenn die Hoffnung nit wär”, meinte Hieronymus ernst, „so wär’s ja zum Verzweifeln. – Und wege was soll man nit hoffen und trachten – nach Glück und -“
„Hoffen und trachte nach Luftschlössern?” fiel der Alte höhnisch ein.
„Schau, en Spatz in der Hand ist mir lieber als die Taub uf ’em Dach, das magre Häsle da im Ranzen mir ang’nehmer als der fetteste Rehbock drüben am Feldberg. – Laß das unnötige Schmachten und Trachte. – Laß anderen ihr eingebildet Glück; laß ihne den Geldsack und die Ehrestelle. – Hast du wenig – so brauch wenig, hast dann au nit nötig, dich viel zu bedanken oder jemand zu schmeicheln. – Und kommt dir trotzdem emal einer überzwerch – so zeig ihm, wo er her ist – und daß du nix nach ihm z’ frage hast.” Das war in kurzen Worten so ziemlich die ganze Lebensphilosophie des Stoffels, der übrigens seinen jungen Freund nicht ganz verstanden, nicht erraten zu haben schien, wo diesen der Schuh drückte. – Der Alte kümmerte sich in der Tat um niemand, und niemand kümmerte sich viel um ihn, weder der Stabhalter, Vogt noch Amtmann oder der Pfarrer. Er seinerseits brauchte keinen; er zahlte weder Steuern noch Abgaben, weder Sporteln noch Frevelbußen, und kam auch nie in die Lage, Stolgebühren entrichten oder um Dispens nachsuchen zu müssen. – Von Haus aus Wilderer und Fischer nach Belieben, an dem die Jäger und Aufseher gerne vorbeigingen, als hätten sie ihn nicht gesehen, hatte er später sich herbeigelassen, ein Dienstlein anzunehmen.

Der einsichtsvolle Oberförster übertrug ihm nämlich die Aufsicht über das Wild und die Dressur der Jagdhunde. Die Besoldung bestand hauptsächlich im Schußgeld vom Raubzeug; und wenn hie und da auch einmal eine Kugel nebenaus ging und zufällig einen fetten Rehbock oder – wie heute – ein unvorsichtiges Häslein traf, so fiel es niemand ein, den Schützen deshalb zur Rede setzen zu wollen.

Die Raben zogen schon heimwärts, den Bergwäldern zu, als die beiden, herabgestiegen ins Tal, den Rückweg antraten – und am Kreuzweg sich verabschiedeten. – Der klare Wintertag schloß mit einem prächtigen Sonnenuntergang. Als Hieronymus einmal zurückschaute, sah er das Tagesgestirn eben in glühendes, nach oben hin violett verschwimmendes Rot hinabsinken.

Die Berge standen in kaltblauen Schatten am Horizont, nur der Schnee im Tal und auf dem eingefrorenen Bache schimmerte stellenweis wie angehaucht vom Abendrot. – Gedankenvoll betrachtete Hieronymus das schöne Naturspiel eine Weile – dann schritt er weiter. – Aus eisgrauen Wolkenschichten schaute im Osten die blaßgelbe, unvollkommene Scheibe des Mondes über die Höhen, finster schon lagen die Häuser und Hütten – nur die Fenster am Laubhauserhof flammten und spiegelten noch die späte Glut des Himmels ab.

Am andern Tage kam richtig der Gemeindsbote mit der Ansage zur großen Jagd. – Auch Hieronymus rüstete sich dazu; es war nicht das erste Mal, daß er eine solche Hetze mitmachen mußte. – Aber die fürstlichen Herrschaften kamen nicht; die Jagd wurde verschoben, von einem Tag zum andern – bis endlich Tauwetter einfiel. – Ein lauer Föhn war über Nacht ins Land gekommen. Die Tannen verloren ihren Duft und schauten schwarz und melancholisch über das Schneefeld. Es schien, als wolle am Dreikönigstag der Frühling schon seinen Einzug halten. Seine Vorboten, Sturm und Regen, hatten bereits eine allgemeine Mobilmachung angeordnet, und selbst das Eis auf dem Bache erhielt schleunigst Marschbefehl. Es drängten und schoben sich die Schollen auf- und untereinander, gleich einem retirierenden Heere, das im Abziehen noch Brücken und Stege sprengt und soviel wie möglich am Wege hin verwüstet. – Aus allen Wäldern und Schluchten stürzten reißende Gießbäche hervor; das Wasser wuchs stündlich, und man fürchtete für die Hütten und Höfe im Tal, und selbst im Laubhauserhof fand man’s geraten, die Haus- und die Stalltüre mit Mist zu verschanzen.

Einsilbig, in sich gekehrt, verbrachte der von seinem Spaziergang gehörig durchlüftete Bursche den Abend. Früh ging er zu Bett, aber noch lange traf die laute Unterhaltung drüben im Hof sein Ohr – er hörte die umständliche Verabschiedung der Gäste vor der Haustür, das „Bhütigott!” und „Kommet guet heim!” der Zurückbleibenden und der Scheidenden – bis endlich, mit dem Geklingel des letzten abziehenden Schlittens, alles in Nacht und Schweigen versank.

Aber der besiegte Winter gab sein Spiel noch lange nicht verloren. Kurz nach Lichtmeß nahm er, als erfahrener Feldherr, im Sturme wieder die Höhen und Pässe – und es fiel eine solche Masse Schnee, daß die Wohnungen in den Niederungen förmlich gesperrt und blockiert wurden.

Dazumal war es auch, daß ein einsamer Hof am Feldberg mit seinen Bewohnern wochenlang unter der Schneedecke begraben lag, bis endlich – es war gerade Karfreitag – Umwohnende den Dachfirst endlich wieder aus dem Schneemeer hervorragen sahen und zu Hilfe zogen. Man brach ein Loch in das Dach und rief hinunter, ob alle noch am Leben seien. „Ja”, erscholl es aus der Tiefe. „Wißt ihr auch, daß heut Karfreitag ist?” war die zweite Frage der Obenstehenden. „Gottsnamen!” hieß es unten, »wir verspeisen soeben ‘s letzte Stück vom letzten Stier!«

Feldberg vom Klippeneck aus

Auch Unglücksfälle durch Lawinen kamen vor, ähnlich der gänzlichen Zertrümmerung des Königenhofs bei Waldau in neuerer Zeit, wobei die vom jähen, von keinem schützenden Waldmantel mehr bedeckten Berg herabrutschende Schneemasse sämtliche Bewohner mit ins Grab riß. – Wie häufig geschieht, mußten auch damals die Leute am Feldberg aufgeboten werden, diesem Beherrscher des Schwarzwaldes im Juli oder August den Schnee vom Haupte zu schäufeln; denn, sagen sie, wär’s ihm nur einmal wieder gelungen, die uralte Mode einzuführen und die Haube das ganze Jahr hindurch aufzubehalten, so wäre der Schwarzwälder Gletscher fertig, wie er’s vor Jahrtausenden gewesen.

In der ersten Ausgabe hatte Lucian Reich auch noch den Text eines Liedes mit drin:

Ich bring heut ein`sehr fröhliche Bost,
Auf daß ihr Hirten die Freuden verkost`;
Als ich nun bei der Nacht,
Bei meinen Schäflein wacht,
Habens ein`liebliche Musik gemacht.

Ich greif einlends nach meiner Schalem;
Und ruf gleich meinen Schäflein herbei,
Aber sie lassen mich,
Sammt meiner Pfeif`im Stich,
Springen, frohlocken und erfreuen sich.

Kommt laß uns nach Bethlehem geh`n
Um nun alldorten das Wunder zu seh`n:
Es war ein alter Stall,
Der voller Feuer stral`,
Wo sich die himmlische Musik erschall.

Ich sah dorten das göttliche Kind,
Liegen im Viehstall bei Esel und Rind.
Herzliebstes Jesulein,
Wir wollen dir dankbar sein,
Daß du bei Sünder gekehret hast ein!