Wanderblühten – Das Burgele

Wanderblühten – Das Burgele

2. April 2023 0 Von Hannah Miriam Jaag

Heinrich Jansjakob (1837-1916) schreibt in seinem Reisetagebuch, Verlassene Wege unterm 21. Juni 1900:

Ehe ich heute meine Reise fortsetzte, besuchte ich noch einen alten Ehrenmann, der einst in Rastatt mein Zeichenlehrer war – den Maler und Volksschriftsteller Lucian Reich. – Im dritten Stock eines kleinen Häuschens in Hüfingen, über dessen schmale Treppe ich mich förmlich hinaufzwängen mußte, traf ich ihn. Er war hocherfreut über meinen Besuch, der dreiundachzigjährige Greis, in dessen Zügen Bitterkeit und Biederkeit sich die Waage halten. – Er kommt seit Jahren nicht mehr aus seiner Stube und unter die Menschen, und sein einziges Kind, eine Tochter, pflegt ihn. – Unermüdlich ist er aber noch geistig tätig, liest und zeichnet und schriftstellert.

Wanderblühten
aus dem
Gedenkbuche eines Mahlers.
Von
Lucian Reich.

Mit einem Titelblatt von Rudolf Gleichauf und Bildern
von L. Reich,

mit der Feder auf Stein gezeichnet
von
Johann Nepomuk Heinemann.

Karlsruhe.
Herder’sche Buchhandlung (A. Geßner).

1855

Ich möchte hier erwähnen, dass ich das alte Buch mit der sehr eigenwilligen Schreibweise in Frakturschrift vorgelesen habe, um den gesprochenen Text von einem Programm namens f4transkript in Buchstaben umzuwandeln. Den umgewandelten Text habe ich danach bearbeitet, da viele der Wörter dem Programm nicht bekannt waren. Aus diesen Gründen ist der Text ein Gemisch aus alter und neuer Schreibweise.

Was es in den verschiedenen Kapiteln des Buches gibt, ist diese vorgelesene Tonspur mit dem Transkript in schwarz.
In blau sind unten noch Erklärungen dabei.

Eingang

Eingang

Mehrere durch Lebensberuf und Neigung gleichgesinnte Freunde, welche in ihrer kleineren Stadt des badischen Oberlandes ihren Sitz hatten, waren gewohnt, ihre abendlichen Mußestunden vereint im häuslichen Kreise einer befreundeten Familie zuzubringen.

Es war in Zeiten gesellschaftlicher Verwirrung und Zwiespältigkeit, die Manchen, dem es unerquicklich erscheinen mochte, dem Tagesgetriebe sich hinzugeben, auf sich selbst oder den Umgang Weniger zurückwiesen. Das Haus, wo die Verbündeten ihre Zusammenkünfte hielten, war eine freundliche Gartenwohnung am Rande der Stadt, und hatte, um mich eines beschreibenden Vergleiches zu bedienen, einige Ähnlichkeit mit der Villa des Cicero bei Tusculum, wo bekanntlich dieser Philosoph öfter mit seinen Freunden zusammenkam, um diejenigen Materien zu besprechen, die er später niederschrieb, und nach dem Namen seines Landhauses betitelte, der Nachwelt hinterließ.

Wenn unser schwarzwäldisches Tuskulanum, welches, beiläufig gesagt, dem Italienischen gleichen mochte wie etwa einer Tanne dem Lorbeer, wenn es auch nicht das Glück hatte, Philosophen und große Gelehrte unter seiner seine Besucher zu zählen, so steht, so fehlte es doch keineswegs an Stoff zu gegenseitiger Unterhaltung und probaten Mitteln, den einförmigen Tageslebens eine farbige Folie unterzulegen.

Die Zeit, wo die Sonne im Zeichen der Waage zum zweiten Mal, dem Tage und der Nacht gleiche Dauer gibt, war vorüber, und der Winter begann bereits sein ganzes Aufgebot von dienstbaren Geistern: Frostn Nebel und Stürme, mobil zu machen und über das Land zu schicken, so dass jedermann wieder gerne zu Stuben und Ofen seine Zuflucht nahm.

Auch in unserem Tuskulanum hatte die Behaglichkeit einer stillen Häuslichkeit sich wieder geltend gemacht, und statt wie noch vor Kurzem die Abende im Freien zu verbringen, saßen jetzt die Freunde in dem Stüblein am runden Tische in der Nähe des Ofens, in welchen ein tüchtiges Feuer brummte, wie um die Wette mit dem eisigen Nordwinde, der draußen über die herbstlichen Stoppelfelder brauste und im Kamin seine Klagelieder sang.

Eines Abends, als ein junger Mann, der gewöhnlich das Amt eines Dorflehrers bekleidete, der Gesellschaft eine Novelle vorgetragen, bemerkte der Zuhörer, als jener geendet: „das ist wieder einmal eine jener romanhaften Liebesgeschichten, wie sie gewöhnlich in Büchern, aber selten oder nie im Leben vorkommen.“

Ja wohl“, versetzte daraufhin ein Anderer, „man sieht auf den ersten Blick, dass das Ding keinen wahren Boden hat, also rein aus der Luft gegriffen und lediglich nur Machwerk ist. – Es gibt aber, sollte man meinen, im Leben genug Motive, die zu solchen Schilderungen recht guten Stoff abgeben und jedenfalls mehr Interesse erregen würden, als solche oberflächliche Erzeugnisse. – Mir fällt gerade ein Geschichtchen ein, welches ich einst von einem gesprächigen Alten vernommen, und wenn ihr mir Gehör schenken wollt, so will ich es gerne zum Besten geben.“

Es soll uns willkommen sein!“ hieß es von allen Seiten, und nachdem der Freund sein Pfeifchen gestopft und angezündet hatte, begann er seinen Vortrag.

-„Druf bruckt er ’s Füür mit de Fingeren abe, und macht ’s Deckli zu. „Se willi den näumis verzehle,“ seit er, und sizt nieder, „doch müender ordeli still sy, aß i nit verstunn, ebs us isch;“ —
Johann Peter Hebel
Mit der Feder auf Stein gezeichnet von J. Nepomuk Heinemann

Die erste Geschichte ist die eines alten Herren, des Baschi, den der Erzähler bei einer seiner Wanderschaften in einer alten Friedhofskapelle trifft. Der alte Baschie erzählt, wie er seine Frau, das Burgele, kennenlernte.

Das Burgele

Als ich einst, fing er an, nach längerer Abwesenheit meinen Aufenthalt wieder auf einige Monate im elterlichen Hause genommen, ward mir manche freie Zeit zu Ausflügen in die Umgegend und den angrenzenden Schwarzwald.

Auf einer dieser Wanderung in den nächsten Schwarzwaldtäler wollte ich bei einem alten Bekannten nicht vorübergehen. Es war dies ein schon bejahrter Mann mit gutem Gedächtniß, welcher mancherlei von der alten Zeit und ihren Sitten zu erzählen wußte.
Seine Wohnung lag etwas abseits des Städtleins, dicht neben dem Kirchhofe, auf welchem er das Geschäft seines Totengräbers zu verstehen, eines Totengräbers zu versehen hatte.

Eine in der Mitte des Platzes stehende, halb zerfallene Kirche war ihres hohen Alters wegen schon oft der Gegenstand meiner Betrachtung geworden. Einst die Pfarrkirche des Dorfes, war sie, seit der Erbauung einer neuen Kirche innerhalb des Städtlein selbst verlassen, und seit Menschengedenken kein Gottesdienst mehr in ihr gehalten worden. Von den verödeten, entweihten Altären blickten noch alte holzgeschnitzte Heiligenbilder, als Denkmäler jener kräftigen, begeisterten Zeit, welche dem Leben und der Kunst einen goldenen Boden bereitete und an den Wänden zeigten sich noch hie und da Überreste von alten Malereien; aber die Fenster waren zerbrochen und das Blei hing schlotternd herab, dem Wind und Wetter seinem Durchzug gewährend. Nur noch einzelnen Betern diente jetzt die Kirche zur einsamen Gottesverehrung, und in den hinteren Räumen, neben zertrümmerten Kirchenstühlen, bewahrte der Totengräber die Bahre auf und sein übriges Geschirr. Denn der Kirchhof ist immer noch wie vor Zeiten die Begräbnisstätte der Ortseinwohner, und die Glocken im alten Turme läuten noch jeden Abgeschiedenen auf dem Heimweg.

Diesmal fand ich das Haus des Totengräbers verschlossen und suchte deshalb meinen Mann auf dem Kirchhof. Es war zur schönen Sommerzeit; der alte Lindenbaum an der Mauer stand in vollen Blüten, und einige Kinder waren beschäftigt, diese in Körbchen zu sammeln, zum heilsamen Tranke. Ein paar fromme Mütterlein wandelten betend zwischen den Gräbern, und weiterhin sah ich endlich den Alten, wie er eben einem Verstorbenen seine letzte Ruhestätte bettete.

Ich trat näher und grüßte ihn; er reichte mir die Hand aus dem halbfertigen Grabe und sagte, wie es ihn freue, mich wieder einmal hier zu sehen. Zugleich erkundigte er sich nach meinem bisherigen Aufenthalte, und als ich ihm gesagt, ich komme aus ich komme aus dem Unterland, so fragte er mit Theilnahme nach Neuigkeiten von dort.

Das Neueste“, antwortete ich, „ist jetzt die Eisenbahn, an welcher über Kopf und Hals gearbeitet wird, so dass schon eine Strecke unterhalb Karlsruhe befahren werden kann.“ Es war nämlich zu Anfang der vierziger Jahre.

Hm!“ sagte er, „was der Mensch doch für Erfindungen macht, um schneller durch’s Leben z’kommen – es geht ja ohnehin schnell g’nug, d’Zeit selber ist en Eisenbahn.“

Und ihr seid der Bahnwärter an der letzten Station, nicht wahr?“ erwiderte ich, auf das offene Grab deutend, „da müssen eben alle Passagiere aussteigen, weil jenseits eine andere Spurweite beginnt, zu welcher die irdischen Räder nicht mehr passen“, setzte ich bei, sein Gleichnis weiter ausmalend.

Er nickte, obwohl er mich nicht ganz verstanden haben mochte. „Ja, ja“, sagte er nach einer Weile, „’s geht rasch mit dem Lebe, das ist jetzt das dritte Mal, dass ich den Kirchhof umgab‘. Ihr könnt Euch denke, wie Mängem ich schon sein Bettle g’macht hab‘. Da schaufle ich eben dem Kranzwirth aus, en Mann, der seiner Zeit in Ehr und Reichtum g’standen, es weiß kein Mensch wie groß, er und seine seine vier schönen Töchter, -und jetzt ist keins mehr da von Allen nix als Knoche – lauter Vergänglichkeit.“

Der Mann fragte mich hierauf, wo ich hin wolle, denn er hatte bemerkt, dass ich Kappe und Regenschirm bei mir trug, und auf meinem meine Erwiderung, dass ich eine kleine Reise vorhabe und beim Rückweg wieder bei ihm zu sprechen gedächte, um mit ihm mehr noch von den alten Zeiten zu plaudern, deutete auf ein altes, graues Männlein, welches mühsam den Hügel herauf gegen die Kirche kam. „Der kann doch von Allerlei erzähle“, sagte er, „das ist einer der Ältesten im Ort, der alt‘ Baschi.“

Dieser Weisung zufolge verabschiedete ich mich von meinem nimmer rastenen Gärtnersmann und schritt auf die Kirche zu, in der Absicht, mit dem Alten anzuknüpfen. Er war schon innerhalb des Gotteshauses angekommen und hatte ermüdet in einem der Kirchstühle Platz genommen.

Geht’s immer noch ein wenig, Großvater?“ fing ich an.
Kann’s nicht lobe“, gab er zur Antwort, „’s ist bald Mathä am Lezte mit dem Baschi – wär’aber auch kein Wunder“, setzte er lächelnd bei.

Wie alt, Mann, seyd ihr wohl?“ fragte ich weiter.
Ihr könnt denke, es sind jetzt schon 65 Jahr, seit ich geheiratet habe, und 15 Jahre sind’s, seit’s Bugele selig tot ist – und ich leb‘ alleweil noch.“
s’Burgele war euer Weib?“ fragte ich, und als es bejahte, erkundigte mich, ob es auch aus dem Städtlein gewesen.
Ah, b’hütesgott!“ sagte er kopfschüttelnd, „es ist in der Schollach daheim g’wese, wenn Ihr wisset, wo die liegt.“
Recht wohl“, versetzte ich, „aber wie habt Ihr sie denn kennengelernt?“
Auf sonderbarliche Art, Herr, unsere Liebe hat mir Prügel eingefangen – abt Ihr auch schon mal so was gehört – mit Prügel!“ sagte er lachend.
Das ist allerdings ein wunderlicher Anfang“, bemerkte ich; „denn dass schon manche Liebe auf diese Art geendet hat, ist bekannt, aber damit angefangen, das ist unerhört – Bin doch begierig, zu hören, wie sich’s zugetragen.“
Von Profession“, fuhr der Baschi fort, „bin ich ein Zimmermann, weil es aber daheim mit allsfort Arbeit gebe hat, so bin ich ‚rum zogen im ganzen Fürstenbergischen und weiters; denn, Herr, dazumal sind nicht noch so viel Häuser im Rauch aufgegange, wie jetzt, und d’rum auch weniger gebaut worden. Vor sechsundsechzig Jahren aber hat es sich ereignet, dass der Wolfshalder-Hof verbronne; ’s hat selbige Tag ein entsetzlich‘ Wetter am Himmel gehabt, und man hat sagen wollen, es sei unter erschröckliche Schlägen en feurige Drach‘ aus finsteren Wolken auf’s Haus ‚rab g’fahre. Gesehen habe ich es nicht, aber so viel ist richtig, dass selbigmal der Wolfshaber-Hof verbrannt worden ist bis auf den Grund. Der Schaden ist groß gewesen, aber das Vermögen vom Wolfshalderbauer noch größer; das Holz zum Bau hat er im eigenen Wald geschlagen, und die Bretter auf der eigenen Sägemühle schneiden lassen, und an baarem Geld hat es ihm nicht gefehlt. – Da habe ich denn auch Arbeit gefunden als junger Zimmergesell. Mein Meister ist der Seppetoni selig gewesen, ein Ausbund von Geschicklichkeit, wie man in siebe Herre Länder kein‘ mehr antrifft, Herr! – Gegen den Herbst ist der Hof wieder gestanden, größer und properer als z’erst, und am Donnerstag nach Michäli ist der Dachstuhl aufgeschlagen worden. Dazumal aber habe ich noch keine Bekanntschaft gehabt; doch bekennen muss ich, s’Zinkebaure Jüngste hat mir gefallen, ne bundesnett Weibsbild, gesund und frisch wie eine Rose. Das Mädel aber hat nichts von mir wissen wollen, und das hat mich bitterlich verdrossen. Wie nun der Dachstuhl glücklich aufgeschlagen gewesen war, habe ich den üblichen Spruch gehalten, denn in derartigen Dingen habe ich meines Gleiche g’sucht. Mein Vater selig ist der Spielhans gewesen, ein Tanzgeiger und Reimereißer obenaus; aber ’s Geigen ist jetzt abgekommen beim Tanz, es muss jetzt Alles pfiffen und trompetet sein. – Des Zinkebaure Jüngster und ihre Kamerädine zum Schabernack, habe ich aber in den Spruch noch das Versle eingflickt:

„Von schöne Mädle, das ist bekannt,
hat es die feinste hierzuland;
Doch will ich nicht lang suchen und laufen,
Will ein Dutzend um ein alt’s Strohseil kaufen“,

und da sind sie halt waidlich ausgelacht worden.
Darnach aber ist der Schmaus angangen und alle Nachbarn und Bekannten sind dazu invitiert worden. Herr! das ist en Esse g’wese – potz Dunder! Zuerst sind komme: Knöpfle im Specksuppe, Leberwürste und zwei Dudelsäck, d’rauf grüner Speck, Schulterblättle und Rippestückle, nach dem geräucherten Speck und Bratwürste, und auf das erste noch vier Hammestoze* und Stücker habe wir davor ‚runter gsäbelt, wie Brieftasche – e Sauerkräudle dazu, so schön wie en Goldfaden; aber z’allereletzt sind noch aufgetrage worden zwei Guckinofen** und Torten und Muskete“.
* Schinken
** Gugelhopf

Pasteten, wollt Ihr sagen“, unterbrach ich ihn.
Nun ja, ich sage ja nur Muskete, mit Mandeln und Zibeebe, denn ihr müsst wissen, dass die jüngste Tochter vom Wolfshalder Klosterfrau gewesen ist in Friedenweiler, und die hat das Backwerk spendiert; und was an Wein draufgegangen, ist nicht zum sage.
Am Samstag darauf bin ich heim, um meiner Mutter, tröstet sie Gott, die schwarz Wäsche z’bringe, und wie ich da mit meinem Bündel unterm Arm guten Mutes fort marschiere und zum Bildstöckle komme -was geschieht? Die Mädel passe mir auf, von wegen dem Spruch. „Da kommt er mit seinem wüsten Maul“, höre ich sagen, „und da hat’s Trinkgeld“. Jetzt aber ist es losgegangen mit Ruten und Besen über mich her! Da ist dabeigewesen ’s Zinkebaure Jüngste, ’s Fralkebühlers Rosle, das Brunnenbachers Kätherle, s‘ Bierwirths Sepperle, s‘ Waldbauers Burgerle und noch drei Andere. Da habe ich denn für jedwedes unnütz‘ Wort, was ich gesprochen habe, ein Paar Flausen überkommen und es ist mir ganz recht geschehen.

Die aber, die mir’s am Allerärgsten gemacht hat, die ist s’Burgele gewesen. „Du wirst an mich denken“, sagte es und versetzte mir noch ein Paar herzhafte mit den bloßen Händen und seine weißen Arme – gibt mir en Blick und macht sich aus dem Staub mit den Anderen.

Die Geschicht aber hat mir z’denke g’macht, absonderlich s’Burgele’s Benehmen und seine Wort‘, und ihr dürft mir’s glauben, Herr, es ist mir zur Nacht verkommen im Traum – und fein lieblich Gestalt ist wieder vor mir gestanden, und es sagt mit freundliche Worte zu mir: „Du wirst an mich denken“, und gib mir, statt den Streichen, e‘ Schmüzli und rennt fort .- ‚s ist e‘ Sach, Herr, um d‘ Jugend!

Am Montag darauf komme ich wieder zurück; da habe ich denn für den Spott auch nicht sorgen dürfe, von wege dem Trinkgeld. Am nämlichen Nachmittag aber sehe ich, nit weit von unserem Zimmerplatz s’Burgele, wie es auf dem Grasplatz vor ihrem Haus Garn spreitet; es ist ein schöner Tag gewesen. – Ich lug hinüber, und wie ich so während der das Holz’bschlagen nüber schiel, glitscht mir’s Breitbeil aus am Holz und fahrt mir tief in den Waden am linken Fuß, und das Blut ist rausgesprungen wie ne Brunnenröhre; –s Burgele sieht’s und springt rüber.

Um Gotteswille“, ruft es, „was hast g’macht und was ist passiert, o Baschi!“ Und es reißt in der Eil sein Fürtuch vom Leib und will mir’s Blut stille, nimmt mich am Arm und führt mich in ihr Haus; und die Anderen sind her g’sprungen und haben mich noch gar verbunden. Zum Glück ist grad das Kräuter-Toneli bei der Hand mit seiner Kunst und Sympathi; es nimmt e‘ Gläsle mit Kupferwasser und lasst etliche Blutstropfen d’rein fallen und sagt: „das Glas muss jetzt ‚e reine Jungfrau in ihrem Kleiderkasten aufhebe, doch so, dass weder Sonne noch Mond dazukommt“, und s’Burgele springt auf und sagt: „gebt’s mir her, Tonele!“ und es nimmt’s und verschließt’s in seinem Kasten, und im nämlichen Augenblick ist s’Blut gestillt, und d’Schmerze sind weg, wie weg g’wischt.

O Burgele, Burgele, sag ich, was tust du am mir, ich kann’s dir mein Lebtag nicht vergelten.“
Es ist ja gern geschehen“, sagt es, „und wenn’s nur bald wieder gesund wirst, Baschi!“
Ich aber bin bald wieder heil worde, denn es hat sich schnell bessert, und s’Burgele ist bei mir bliebe früh und bis spät und hat mir abg’wartet. Schon nach acht Tagen habe ich wieder marschieren können und bin heim gegangen. Wie ich aber daher oben angekommen, so fangt die Blessur unverhofft wieder an zu bluten und die Mutter meint, es kommt von der Mühe im Laufe; sie rennt fort und holt den Scharfrichter-Hans, der hat auch verstanden z‘ „stille“. – Ich sage ihm, so und so ist’s gegangen und das und das hat mir geholfen; er aber macht seine Spargelementer und sagt, dass ich mindestens acht Tage Hausarrest haben soll. – „Aber das kann ich euch sagen“, macht er, „wenn ich nicht dazugekommen wäre, hätte es euch könne das Leben kosten, Baschi; ich vermute nämlich nichts anderes, als dass das Fläschle, von dem er mir sagt, an der Sonne oder an’s Feuer gekommen ist.“

So wird mir doch, denke ich, s’Burgele den Streich nicht gespielt haben, es täte mir wahrhaftig weher als der böse Fuss, und macht mir so meine Gedanken. Zwölf Tage habe ich d’Stube hüte müssen und wie ich wieder hoch marschieren können, ist der erste Gang – in d’Schollach.

Wie ich zu s‘ Waldbauers Haus hin komm‘, treffe ich gerad ’s Kräuterweible vor der Tür, und es winkt mir und nimmt mich zur Seite.
Baschi“, sagt es, „Ihr habt nicht gut g’handelt am Bugele“, und Dies und Jenes.
Warum?“ sagt ich. „und was meint ihr damit?“ und sie erzählte mir Alles.
Drum hat es en „Anhalter“ g’habt ’s Zinkebauers Franz, und Vater und Mutter haben ihm zugesprochen, es soll ihn nehme. Geld hat er und Haus und Hof dazu; aber s’Burgele will nit. Lieber ledig sterben als den Franz! sagt es, und wie sie ihm weiters zuspreche, wird es krank und ißt nicht und trinkt nicht, denn die Liebe ist eine Krankheit, sagt das Sprichwort. Keinem Menschen aber hat es anvertraut, was ihm fehlt und wo sein Kummer sitzt, als mir.“
Ich habe ’s im Vertrauen in den Baschi gesetzt.“ sagt es, „und keinen Anderen will ich und mit keinem Anderen kann ich leben; wenn er nur käme und wenn ich mit ihm reden könnt“. – Aber wer nicht kommt, das ist der Baschi, und es wartet und wartet, und es kommt kein Baschi. „Er hat mich vergessen“, seufzt es und brieget. Und so, Freund, stehe jetzt die Sache“, sagt’s Toneli, „sprecht, wie seyd ihr g’sinnt, und was ist z’machen. Euer Zuspruch wird besser helfen als alle meine Kräuter und alle Sympathie.“

Ihr könnt euch vorstellen, Herr, wie groß auf einmal meine Freude und meine Hoffnung geworden sind, und ich sag ihm, wie es mir gegangen, wie mein Fuß wieder rebellisch worden sey und was mir der Scharfrichter-Hans bedeutet habe, von wegen dem Gläsle. Aber s’Töneli erklärt und mir d’Sach.

s’Burgele ist unschuldig, und ihr könnt ihm keine Schuld beimessen; s’Barbele, seine jüngste Schwester, hat den Streich gespielt und s’Gläsle heimlich aus dem Kasten genommen und an die Sonne gestellt aus Wunderwitz. s’Burgele ist dazugekommen und zum Tod erschrocken, und rennt schnell zu mir und sagt mirs.“

„Burgele, habe ich gesagt, es gibt Gegenmittel und ich will es anwenden, Dir und dem Baschi zuzlieb, aber hätte gefährlich ablaufen können, mit solchen Sachen lässt sich nicht spaßen.“

Tonele“, sag ich, „Ihr seid mein guter Engel, der mich leitet und führt, und grüßet mir s’Burgele, es soll mir verzeihe, wenn ich es erzürnt habe, und ich wollte selber noch mit ihm reden“, und so und so und so.

Den nämlichen Tag noch ist es aufgestanden, und am anderen Morgen hat es eine Wallfahrt gemacht, mit dem Bärbele und dem alte Tonele nach, Tryberg zur Kreuztanne; und wie sie wieder retour kommen, so stehe ich ihnen auf dem Weg beim Bildstöckle, wo ich vor 14 Tagen die Flause bekommen habe.

Es ist schon ziemlich dunkel gewesen, und wie sie daherkommen, so gehe ich aufs Bugele zu und sage „Verzeiht mir Burgele (denn ich hab’s Herz nimmer g’habt, „Du“ zu ihm z’sagen) und zürnet mir nicht.“ Es aber gibt mir die Hand und sagt „ich wüßte nicht wegen was, Baschi“ zieht e’Betbüchle heraus und reicht mir e‘ Helgele: „da hast dein’n heilige Namenspatron, und wir haben auch e‘ wenig für dich betet bei der Kreuztanne, und du darfst mich aber wohl noch duzen!“ sagt es. Und s’Tonele winkt mir mit den Auge.

Und das ich’s kurz mache, Herr, wir haben einander geheiratet trotz meiner Armut und alle Hindernissen. Aber Harz hat es kostet, das kann ich sagen, bis die Älteren das Jawort gegeben haben und bis alles in Richtigkeit gewesen ist. Denn, selbiger Zeit ist’s Hochzeitmachen nicht so leicht gegangen, wie heut zu Tage; aber ich habe gute Patrone gehabt und unser Bürgermeister hat mir geholfen mit guten Attestate, sonst wär es auch nicht gegangen.

Mit der Arbeit und Sparsamkeit haben wir uns durchgeschlagen, und wenn auch im Anfang Schulden vorhanden gewesen sind, so haben wir uns doch in kurze Jahre frei gemacht. – Freud und Leid, gute und böse Tage haben wir miteinander ertragen und unser Herrgott hat uns geholfen. d‘ Burgele ist jetzt schon 15 Jahre tot, aber kein Stund vergeht dem Tag, wo ich nicht an ihn’s denke, und sein Tag im Jahr und kein Tag im Jahr, wo ich nicht für ihn‘ s bet. – Ich denke, Der, der das Menschenherz trennt, wird’s auch wieder vereinigen. – Das, sagte er, an seinem abgetragenen blauen Rock deutend, ist mein Hochzeitsrock und mit dem soll man mich auch ins Grab legen. – Wenn’s nur bald Gotteswill wär.

Der Alte schwieg, und seine Lippen bewegten sich wie in stillen Gebete. Ich legte ein Geldstücklein in seinen nebenan stehenden Hut und er nickte stumm zum Abschied.
Als ich nach einigen Wochen wieder von meinem Ausflug zurückkam und meinem Versprechen gemäß beim alten Totengräber einsprach, rief mir dieser schon von weitem entgegen „der Baschi ist fort, – er ist erlöst, unser Herr Gott hat ihn endlich zu sich genommen. – Dort hinten bei der Linde habe ich ihm’s Bett gemacht, nicht weit von seinem Burgele. Er hat sich gefreut auf sein‘ Sterbestund, tröst ihn Gott – er hat’s überstanden!“

So erzählte der Freund, und alle baten ihn, diese Geschichte doch aufzuschreiben, dem guten Burgele und dem Baschi zum Gedächtnis und ihren, den Zuhörern, zur freundlichen Erinnerung an eine angenehm verbrachte Stunde.

Der Erzähler hatte der Gesellschaft zu willfahren versprochen und brachte wirklich nach einiger Zeit die kleine Novelle Schwarz auf weiß. – „da bekanntlich“, sagte er mit sehr ernsthafter Miene, indem er das Werk den Freunden reichte, „Bescheidenheit schriftstellerischer Verdienste holdefte Tochter ist, so glaube auch ich mit unserem gefeierten Landsmann und Dichter von dieser Arbeit sagen zu dürfen, dass ihr Inhalt und ihre Manier sie besonders für die Freunde ländlicher Natur und Sitten eignet; und wenn Herren und Damen höherer Bildung sie nicht ganz unbefriedigt aus den Händen legen, so ist der Wunsch des Verfassers erreicht. Ich habe“, schloss er, „der kleinen Gabe nach eine bildliche Darstellung beigegeben, gleichsam als heimatlichen Boden und Fundort des Blümleins, welches also ausgestattet ich Euch überreiche.“

Wie zu erwarten, erntete der Autor großes Lob – ein Ding, womit Freunde in der Regel nicht allzu sparsam umgehen zu pflegen. Auch wurde dabei der Wunsch ausgesprochen, es möchte dem Einzelnen Mehreres dere Art angereihet werden, so dass es, wie eben Kranze die Blume (welche oft für sich alleine wenig ist) im Verein mit anderen gehoben und bedeutsamer erscheine.

Gut!“ ließ sich der Erzähler der freundlichen Idylle vernehmenm „um also den Anforderungen wohlmeinender Freunde zu entsprechen, wie es gewöhnlich in Vorreden heißt, will ich Eurem Begehren nachkommen und dem Versuch machen. – Was ich jedoch geben möchte, sind, und bei dem gewählten Bild stehen zu bleiben, weniger künstlich gezogene Zier- und Prachtblumen, als vielmehr solche, wie sie etwa ein Wanderer am Wege durch Felder und Wälder zu pflücken Gelegenheit findet, oder mit anderen Worten, Schilderungen aus dem Gedenkhefte eines Reisenden. – Was aber die Art und Weise der Darstellung betrifft, so wolle der geneigte Leser, wie ein alter Scribent in seiner Vorrede sich ausdrückt, dieselbe sich wohl gefallen lassen und wenn einige Fehler und Mängel sich eingeschlichen, dieselben mit seiner Nachsicht und gewohnten Leutseligkeit wohlgeneigt zudecken; was mich nicht allein unendlich obligieren, sondern auch ermutigen würde, in Zukunft mehr Anderes mitzuteilen, sintemal in einige Jahre über durch selbst eigene Notierung, als auch nach gepflogener Korrespondenz, verschiedene Historien zusammen bekommen, welche der wißbegierigen Welt keineswegs verdeckt werden, noch in ewige Vergessenheit geraten sollen. – Indessen bleibe das liebe Publikum mir gewogen und lebe verpflichtet, dass ich ihm zu dienen allzeit bereitwillig verbleibe u.s.w.“

Nach diesen und ähnlichen Präliminarien wurde ganz weiter ausgemacht, dass einige Abende in der Woche den Mitteilungen gewidmet werden sollen, vorausgesetzt, dass nicht etwa wichtige Stadt- und Landneuigkeiten einliefern, die eine gründliche patriotische Besprechung vor Allem notwendig machten. Zum Schluss versprach noch ein Mitglied, den ganzen ehrenwerten Club in Tusculanum, wie er leibte und lebte, zu Papier zu bringen und sollen je die Abhandlung, etwa unter dem ansprechenden Titel: „Wanderblühten“ oder „fliegende Blätter aus der Reisetasche eines modernen Pilgers“, gedruckt und herausgegeben werden, so, meinte er, könne das Ding eben so gut, wie manche bescheidene Neuere ihr eigenes Bildnis als empfehlendes Tavernschild vor ihren Werken aushängen, dem Ganzen als Titelblatt beigegeben werden.

So viel über die Veranlassung, welcher die nachfolgenden Mitteilungen zunächst ihr Entstehen verdanken.

„Und woni gang, go Gresgen oder Wies in Feld und Wald, go Basel oder heim, s’isch einerlei, igang im Chilchhof zu“
Johann Peter Hebel
Mit der Feder auf Stein gezeichnet von J. Nepomuk Heinemann

Der Baschi war Zimmermann und hat das Burgele bei Arbeiten an einem niedergebrannten Hof kennengelernt. Aus Unachtsamkeit haut er sich mit dem Breitbeil in die linke Wade. Zum Glück kommt gerade „das Kräuter-Toneli“ vorbei, nimmt ein Gläschen mit Kupferwasser und läßt etliche Blutstropfen hinein fallen. Das Glas muss dann bei einer reinen Jungfrau in ihrem Kleiderkasten aufbewahrt werden. Es darf aber weder Sonne noch Mond drauf scheinen. Burgerle nimmt das Gläschen zu sich in ihren Kleiderkasten. Der Baschi ist sehr dankbar, dass sie ihm das Leben gerettet hat. Die Blutung hört sofort auf.

Danach geht der Baschi zu seiner Mutter ihr die Schmutzwäsche zu bringen. Bei der Mutter angekommen blutet das Bein wieder. Die Mutter holt den Scharfrichter-Hans, der auch verstehen würde Blut zu stillen. Der befiehlt zwölf Tage Hausarrest. Und meint, dass das Fläschle mit dem Blut an die Sonne gekommen sei. Baschi wundert sich, dass das Burgele ihm solch einen Streich gespielt hat, der ihm fast das Leben kostet.

Als es ihm wieder besser geht, trifft er an dem Bildstock das Kräuter-Toneli. Toneli erzählt Burgele hätte einen reichen Mann heiraten sollen, aber sie würde ich weigern und nur den Baschi wollen. Dann sei die kleine Schwester an ihren Kleiderkasten und habe das Fläschchen mit dem Blut am Fenster angeguckt. Kräuter-Toneli wurde sofort von Burgele dazu gerufen und konnte Baschi gerade so nochmal retten, sonst wäre er jetzt tot.

Da lässt Baschi dem Burgele Grüße ausrichten. Darauf hin geht das Burgele mit Freundinen nach Tryberg an die Kreuztanne zum beten. Was es mit der Bildtanne in Triberg auf sich hat, läßt sich auf den überaus interessanten Seiten von Dieter Hund nachlesen. Diese kommt nämlich schon im Kapitel 22 vom Hieronymus vor.

Als das Burgele mit den Freundinnen zurück kommt, wartet der Baschi an dem Bildstock auf sie. Die zwei sprechen sich aus und werden heiraten.

Nach der Geschichte mit dem Baschi und seinem Burgele, entschließen sich die Freunde von nun an Geschichten zu sammeln und aufzuschreiben.

Pilgerfahrten
durch
das Breisgau und den Schwarzwald.

Die Pilgerfahrt beginnt in Staufen an der Johanneskapelle.

„Ne gattig Chilchli hen si do, so sufer wie in menger Stadt, s’isch Sechsi uffem Zifferblatt.“
Johann Peter Hebel
Mit der Feder auf Stein gezeichnet von J. Nepomuk Heinemann

Fortsetzung hier

Zur Übersicht gehts hier: