
Jung – liberal – Bundestagskandidat/in
Offener Brief am 15.03.2025 von Dr. Gerhard Bronner für die Umweltgruppe Südbaar
Offener Brief an die vier jüngsten Bundestagskandidaten in unserem Wahlkreis
Sehr geehrte Frau Schmidt, geehrter Herr Dold, sehr geehrter Herr Hohensee, sehr geehrter Herr Weißer,
Sie haben für den Bundestag kandidiert und einen Wahlkampf geführt. Dafür meinen Respekt, auch wenn es (diesmal) nicht für ein Mandat gereicht hat. Sie sind jung und politisch engagiert, werden also potenziell noch sehr lange in der Politik aktiv sein können. Deshalb möchte ich Ihnen einige Gedanken auf Ihren weiteren Weg geben, auch wenn die Wahl vorbei ist und Sie Ihre Zeit vorerst nicht im Bundestag verbringen werden.
Weil mein Interesse besonders dem Umwelt- und Naturschutz gilt, ganz kurz einige Fakten:
- Wir verbrennen derzeit jedes Jahr die Menge an fossilen Energieträgern, die in 1 Million Jahren entstanden ist
- Jedes Jahr sterben etwa durch menschliches Handeln 1000 mal mehr Arten aus, als der natürlichen Aussterberate entspricht
- die etwa 5500 wildlebenden Säugetierarten machen 3 % der Säugetier-Biomasse aus, der Mensch und seine Haustiere 97 %.
- 360.000 Menschen sterben in Europa jährlich vorzeitig durch die Luftverschmutzung.
Drei von Ihnen haben jüngst an der Podiumsdiskussion der Umweltgruppe Südbaar in Donaueschingen teilgenommen. Sie haben dort dezidiert liberale, teilweise ultraliberale Thesen vertreten. Sie, Herr Dold, haben sich auf die Anfrage nicht gemeldet, aber nach Ihren Aussagen in den Medien würde ich sie ebenso einordnen. Liberal heißt, dem Bürger größtmögliche Freiheit zu gewähren, ihn nicht zu gängeln und ihm Eigenverantwortung zuzubilligen, aber sie auch einzufordern. Das ist eine gute Sache – ohne Frage! Aber die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo sie die Freiheit seiner Mitmenschen beeinträchtigt. Sie, Herr Weißer, wollen im Umweltschutz den Menschen gar keine Vorschriften machen und auch bestehende abschaffen. Warum nur im Umweltbereich? Ist der weniger wichtig als die Bildung (Schulpflicht), die Sicherheit (Waffenrecht), die Gesundheit (Verbot harter Drogen), die Verkehrssicherheit (Straßenverkehrsordnung)? Möchten Sie wirklich jedem erlauben, seinen Müll egal wo wegzuwerfen, den Sie dann – wie Sie sagten – beim Wandern aufsammeln?
Sie, Herr Hohensee, wollten dem Gesetzesdschungel auf dem FDP-Parteitag mit der Motorsäge zu Leibe rücken, was dann wegen Sicherheitsregeln des Veranstaltungsortes nicht geklappt hat (Bürokratie!). Ja, eine erstickende und übertriebene Bürokratie abzubauen, ist ein hochaktuelles politisches Anliegen. Aber bitte bedenken sie eines: Bürokratie heißt die Anwendung von Regeln, die einem sinnvollen Zweck dienen. Das ist das Herz des Rechtsstaates. Der Verzicht auf Regeln bedeutet das Recht des Stärkeren. Es kann also nicht darum gehen, Regeln abzuschaffen, sondern sie möglichst schlank und effizient zu gestalten. Das erfordert aber mühsame Detailarbeit mit Pinzette und Zange – und nicht mit der Motorsäge und dem Holzhammer.
Etwas ratlos machen mich Ihre Thesen, Herr Dold. Aussagen wie „Streichung sämtlicher Dokumentationspflichten“, Forderungen nach Beendigung der Energiewende oder die Beobachtung, alles werde in der Bundespolitik immer schlimmer (seit wann? 1949?) lassen nicht erkennen, dass Sie sich mit den Problemen tiefer beschäftigt hätten. Bauchgefühl mag manchmal hilfreich sein, aber Politik macht man dann doch besser mit anderen Organen (Kopf und Herz). Wenn Sie an unserer Diskussion teilgenommen hätten, hätten Sie mitbekommen, dass man bei manchen Problemen doch etwas tiefer einsteigen muss, wenn man echte Lösungen sucht. Die Auswirkungen Ihres Programmes legen einen Faktencheck per Taschenrechner nahe: Steuern radikal runter, aber mehr staatliches Geld für Handwerksausbildung und Kitas. Es wäre spannend, Ihre Haltung zur Schuldenbremse zu kennen… Die Flächenprämien für die Landwirtschaft sollen ja wohl schon noch fließen…
Frau Schmidt, Sie bekennen sich klar und eindeutig zu Europa. Auch dazu, dass Europa Regeln erlässt, die die Spielräume der Einzelstaaten (und auch der Kommunen, meine Herren!) einschränken. Europa ist – bei aller berechtigten Kritik an Bürokratie und Kakophonie – unsere einzige Hoffnung, wenn man sieht, von welchen Gestalten Russland, China, Indien und neuerdings die USA regiert werden. Dass Sie die Inhalte des Natur-Wiederherstellungs-Gesetzes nicht kannten: geschenkt! Es ist wohltuend, von einer Politikerin ein klares „ich weiß es nicht“ anstatt eines nichtssagenden Herumgeredes zu hören. Und beim nächsten Mal werden Sie sich kundig gemacht haben, gell?
Menschen leben in Gemeinschaften – da sind Regeln etwas (über-)lebensnotwendiges. Wenn ich mich besonders umweltbelastend verhalte, so schädige ich nicht nur die Umwelt, sondern auch meine Mitmenschen. Damit widerspricht eine regulatorische Umweltpolitik gerade nicht dem liberalen Prinzip. Den Menschen zu sagen, sie sollen sich umweltfreundlich verhalten, Rad und Bahn fahren oder sparsame Autos kaufen, weniger fliegen, reicht nicht. Es tritt nämlich das „Trittbrettfahrerproblem“ auf: wenn ich mit Bahn oder Flixbus statt mit Lufthansa oder Ryanair verreise, schone ich zwar die Umwelt. Ich habe aber mehr Zeitaufwand und teils auch höhere Kosten. Den Nutzen dieses Verhaltens habe aber nicht ich, sondern die gesamte Gesellschaft – bzw. hätte ihn, wenn sich alle oder zumindest viele so verhielten. Das hat in der Vergangenheit nie funktioniert und wird es auch in Zukunft nicht tun. Wenn sie also wirklich etwas erreichen will, muss die Politik regulieren, Gesetze erlassen, gleiche Spielregeln für alle schaffen. Das bedeutet auch Verwaltungsaufwand. Es sollte eine kluge Mischung aus Ordnungsrecht (Vorschriften, Grenzwerte) und ökonomischen Anreizen sein.
Auch in der Innenstadt von Schwenningen können wir die Luft atmen, ohne gleich krank zu werden. Können. Donau und Neckar sind (halbwegs) sauber und beherbergen Fische. Wilde Mülldeponien in jedem Dorf wie noch vor 50 Jahren gibt es nicht mehr. Das liegt daran, dass in den 70er-Jahren liberale Innenminister wie Hans-Dietrich Genscher und Gerhart Baum eine Vielzahl von Regeln und Gesetzen zum Schutz der Umwelt geschaffen haben. Und die weiteren Fortschritte der letzten 30 Jahre liegen daran, dass die EU das Thema Umwelt übernommen hat.
Ich gebe Ihnen Recht, Herr Hohensee: der Emissionshandel sollte das zentrale Steuerungselement im Klimaschutz sein. Wenn man ihn konsequent durchzieht, und nicht – wie jüngst der ADAC – einen Ausgleich für die kommenden Benzinpreissteigerungen durch die CO2-Zertifikate fordert. Spannend bleibt dabei, wie man soziale Verwerfungen vermeidet. Vielleicht wäre ja ein vom Staat an die Bürger gezahltes „Klimageld“ wie in der Schweiz ein Instrument, auf das Sie sich alle vier einigen könnten?
Auch Liberalismus kann zur Ideologie ausarten – wie jede andere politische Richtung auch. In der Geschichte zählt dazu die Hungersnot in Irland im 19. Jahrhundert, als die liberale englische Regierung Nahrungsmittelhilfe verweigerte, weil sie angeblich den Arbeitswillen der irischen Bevölkerung schmälere. Und aktuell beobachten wir gerade, welche Verheerungen ein verquerer „Liberalismus“ in den USA anrichtet.
Ich wünsche Ihnen allen ein erfolgreiches politisches Wirken im Sinne des Gemeinwohls, und beherzigen Sie in allen Diskussionen den Hinwies des Philosophen Hans Georg Gadamer: „Man muss immer damit rechnen, dass der Andere recht haben könnte.“