Wie es aus dem Wald heraus schallt
Egal wie man in den Wald hinein ruft und wie es auch wieder heraus schallt: Es sind vorwiegend Hiobsbotschaften, die sich derzeit förmlich zu überschlagen scheinen. Der jüngste Waldzustandsbericht des Landes, gefertigt von der Freiburger Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt FVA, vermeldet den schüttersten Benadelungs- und Belaubungszustand der Bäume seit 1985 – seit dem Horror der Waldsterbensjahre. Vier von fünf Bäumen sind krank, verkündete auch für die Bundesregierung Minister Cem Özdemir – pünktlich zum Frühlingsanfang, dem Internationalen Tag des Waldes 2023. Längst zirkuliert in den Medien der Begriff „Waldsterben 2.0“, als wären die „neuartigen Waldschäden“ nicht schon vor zwei Jahrzehnten von der grünen Umweltministerin Renate Künast (ausgerechnet im „Jahrhundertsommer 2003“) für beendet erklärt worden. Hatte man damals nicht der Automobilindustrie den Katalysator abgetrotzt und mit der Großfeuerungsanlagenverordnung die Entschwefelung vorangetrieben? Jetzt aber sollte sich das Jahr 2022 als das wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen herausstellen, als Rekordjahr einer ganzen Serie von trockenheißen Sommern; sie allesamt haben nicht nur dem Wald zugesetzt, sondern wohl auch die letzten Zweifler überzeugt von der Realität des Klimawandels.
Im Wald herrschen seither geradezu superoptimale Voraussetzungen für die Massenvermehrung von Waldschädlingen, insbesondere der Fichtenborkenkäfer. Doch selbst die als vergleichsweise klimahart geltende Weißtanne leidet zunehmend unterm Trockenstress und unter den Angriffen von Tannenborkenkäfern, die zuvor kaum jemals mit forstwirtschaftlich fühlbaren Auswirkungen in Erscheinung getreten waren.
Noch schlimmer steht es um die Esche, die „bereits dem Untergang geweiht“ ist, wie der Schwarzwälder Bote zum Jahresausklang 2022 seinen Bericht über die Pressemitteilung des Stuttgarter Forstministeriums zum Thema Eschentriebsterben überschrieben hat. Verursacher der Krankheit ist diesmal freilich nicht der Klimawandel, sondern die Globalisierung: ein aus Fernost eingeschleppter Pilz mit dem so possierlich klingenden Namen Falsches Weißes Stengelbecherchen. Ebenfalls durch einen aggressiven Pilz, der in anderen Bundesländern bereits zum Absterben ganzer Bestände geführt habe, sei die als trockenheitstolerant geltende und als Ersatzbaumart für die so anfällige Fichte ausersehene Douglasie bedroht, so wird der Forstminister zitiert.
Wahrlich düstere Aussichten also, auch für den zu 45 % seiner Fläche bewaldeten Quellenlandkreis mit seinem hohen Fichtenanteil. Immerhin blieb man hier bisher, anders als nach den „Jahrhundertorkanen“ kurz vor der Jahrtausendwende, von größeren Schadensflächen verschont, wie sie derzeit vor allem in der Vorbergzone und im Hotzenwald beklagt werden, erst recht im Sauerland oder im Harz. Freilich zeichnet sich auch im Schwarzwald-Baar-Kreis, im Regenschatten des Schwarzwalds, bereits ab, dass angesichts der Häufung von Dürreperioden der Wasserhaushalt zum eigentlichen Engpass wird – nicht nur für den Wald. Umso vordringlicher wird der Waldumbau mit dem Ziel widerstandsfähigerer Mischwälder, also auch unter Beteiligung von winterkahlen Baumarten wie der Buche zur besseren Nutzung der Winterniederschläge. Allemal muss die Wasseraufnahme- und die Wasserrückhaltefähigkeit verbessert werden. Dann taugen die Wälder auch verlässlicher als CO2-Speicher, denn wann immer es zu flächigen Dürre-, Sturm- und Käferschäden, gar zu Waldbränden kommt, verkehrt sich ihre Kohlenstoff-Bilanz ins krasse Gegenteil, werden klimaschädliche Gase emittiert statt gespeichert.
Der Name Baar, heißt es, stamme aus dem Keltischen und bedeute nichts anderes als „Sumpf- und Quellenland“. Weil intakte (sprich: unentwässerte) Moore noch weitaus mehr Kohlendioxid zu speichern vermögen als die Wälder, stehen Moorschutzprogramme neuerdings umso mehr im Zentrum des (naturgebundenen) Klimaschutzes. Die Wiedervernässung trockengelegter Hoch- oder Niedermoore, nicht zuletzt auch die Wiederherstellung all der „Waldmöser“ des Baarschwarzwalds, die in den zurückliegenden zwei Jahrhunderten mit ausgedehnten Grabensystemen entwässert („melioriert“) worden waren, könnte daher alsbald zum neuen Pflichtprogramm der Forstwirtschaft werden. Zur Einstimmung in die Thematik ist schon einmal die Moorbirke zum „Baum des Jahres 2023“ gekürt worden. Als Helfershelfer bei den Wiedervernässungsvorhaben macht sich derweil vielerorts ein Neubürger verdient: der Biber mit seinen Dammbauten.
Erfolgreicher Waldumbau setzt „angepasste“ Wildbestände voraus. Um die Frage abzuklären, inwieweit eine konsequente Regulierung des Reh- und Rotwildbestands dazu beiträgt, die zukünftigen Wälder vielfältiger und widerstandsfähiger („resilienter“) zu machen, haben die beiden großen Waldbesitzer des Landkreises, die Stadt Villingen-Schwenningen und der Fürst zu Fürstenberg, an einem bundesweiten Forschungsprojekt (dem BioWild-Projekt 2015-2021) teilgenommen. Dessen Ergebnisse sind am 25. April 2023 im Villinger Theater am Ring der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Nun soll das Projekt mit fünfjähriger Laufzeit bis 2027 fortgesetzt werden. Dass man auch im Schwarzwald-Baar-Kreis noch vielerorts weit davon entfernt ist, den Wildbestand so zu bejagen, wie es jagdgesetzlich gefordert wird und wie es aufwändigen Verbissschutz erübrigen soll, um die heimischen Hauptbaumarten einzubringen, das zeigen die vielen Plastikwuchshüllen, die allenthalben den Wald verunzieren: Manchenorts ähneln Kulturflächen inzwischen Soldatenfriedhöfen auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs.
Dass neuerdings auch die großen Beutegreifer wieder mitmischen im Ökosystem Wald, ist ein Thema mit besonderem Sprengstoff, zumal wenn (wie im bayerischen Wahlkampf) sogar der Bär wieder mit ins Spiel gebracht wird. Dessen Rückkehr ist bei uns zwar rundweg auszuschließen, nachdem der Letzte seiner Art im Kreisgebiet ja bereits 1565 (im Krumpenloch bei Hammereisenbach) erlegt worden ist. Umso heftiger wird im Schwarzwald über die erwartete Rudelbildung der einwanderten Wölfe diskutiert – nicht nur unter den Nutztierhaltern, sondern auch unter überbesorgten Normalbürgern, die beim Waldspaziergang um Leib und Leben bangen. Der Tod des Joggers im italienischen Trentino hat die Raubtiere allesamt wieder stärker ins Gespräch gebracht, wobei die Mehrheit der Bevölkerung einer jüngsten Umfrage zufolge ihre Wiederkehr noch immer begrüßt. Das Schicksal Brunos, das behördlich angeordnete Ende des „Problembären“ anno 2006 auf der bayerischen Kümpflalm, dürfte auch im Schwarzwald unvergessen bleiben – zumal, wann immer sich ein Landespolitiker öffentlichkeitswirksam für den Abschuss von „Problemwölfen“ einsetzt.
Zu allem hin hatte im Oktober 2022 das Stuttgarter Umweltministerium in einer Pressemitteilung eine Aufsehen erregende „Uraufführung“ gemeldet: Erstmals in Deutschland hatte eine Wildkamera im Kreisgebiet (am Unterhölzer Wald) ein Goldschakal-Paar mit Welpen dokumentiert. Jetzt also offensichtlich auch noch Zuwanderer aus Südost (Balkan, Vorderer Orient), von denen bislang noch kaum jemand Notiz genommen hatte. War ihr plötzliches Auftauchen etwa schon auf den Klimawandel zurückzuführen – und würden aus den ariden Zonen des Planeten nächstens womöglich auch Hyänen und Gazellen einwandern? Kein Wunder, dass derweil der Unmut unter den Schwarzwälder Viehhaltern wächst – auch wenn nennenswerte Schäden durch den Goldschakal aufgrund seiner eher bescheidenen Größe (zwischen Fuchs und Wolf) sowie seiner Vorliebe für Kleintiere und Vegetarisches wohl auszuschließen sind.
Umso überraschender kam für die Öffentlichkeit ein Startschuss, den Forstminister Peter Hauk am 3. März 2023 im Stuttgarter Waldhaus gab: „Heute startet das Projekt Luchs in Baden-Württemberg zur Stützung der baden-württembergischen und mitteleuropäischen Luchspopulation“, so steht es schwarz auf weiß als Überschrift über der Pressemitteilung Nr. 75/2023 des MLR. Die Notwendigkeit einer Bestandesstützung wird damit begründet, dass die seit Jahrzehnten immer wieder zuwandernden und heimisch gewordenen (männlichen) Luchskuder nach Ansicht der Experten keinerlei Chancen haben, sich hierzulande auch fortzupflanzen. Denn weibliche Luchse, ob aus dem benachbarten Schweizer Jura oder aus dem Pfälzer Wald, haben sich als weitaus weniger wanderfreudig erwiesen, sodass menschliche Nachhilfe unumgänglich ist, wenn die mitteleuropäische Metapopulation sich stabilisieren soll; die zentral gelegenen Trittsteine Baden-Württembergs seien hierfür unverzichtbar. Lang genug hatte man die Devise ausgegeben, es solle abgewartet werden bis die Luchsinnen von allein einwandern.
Der Luchs – für Tourismusregionen ein erhoffter Sympathie- und Werbeträger also, der schon seit Jahrzehnten auf leisen Pfoten durch den Schwarzwald wie durch die Medien geistert. Das Projekt war bereits 2021 im grün-schwarzen Koalitionsvertrag angekündigt worden, dem Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg: „Wir werden in enger Zusammenarbeit mit allen betroffenen Akteuren“, heißt es da, „die Chancen für die Rückkehr des Luchses durch ein Programm zur Bestandsstützung verbessern.“ Mit „betroffenen Akteuren“ gemeint sind vorneweg Jäger und Bauern (nebst den Naturschutzverbänden), die das Ministerium für den ländlichen Raum (MLR) bereits seit 2004 an einen runden Tisch einlädt: zur Arbeitsgruppe AG Luchs, geleitet durch die Freiburger Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt und die dortigen Spezialisten des Instituts für Wildökologie, denen das Wildtiermanagement wie auch das Luchs-Monitoring obliegt.
Erstmals war das Thema Luchs 1986 im Schwarzwald-Baar-Kreis aufgekommen: Weil durch den Kernkraft-GAU von Tschernobyl auch hier das Wildbret verstrahlt war, musste befürchtet werden, dass bei nachlassender Bejagung die Verbissschäden im Wald überhand nehmen könnten. Sollten daher nicht vielleicht doch die natürlichen Regulatoren von Pflanzenfresserbeständen, der Winter (durch Einstellung der Fütterung) und der Fressfeind Luchs, reaktiviert werden? Nachdem sich das zuständige Stuttgarter Ministerium in Beantwortung einer Kleinen Anfrage (des SPD-Abgeordneten Redling aus Mönchweiler) überraschend positiv zu diesem Lösungsansatz geäußert hatte, wurde in einer Hütte im Staatswalddistrikt Mailänder, assistiert von Luchsexperten aus der Schweiz, aus Frankreich und aus Bayern, ein Luchs-Wiederansiedlungsprojekt ausgeheckt. Dieses trug man sodann der Vorstandschaft des Landesjagdverbands vor, die mehrheitlich ihre Zustimmung signalisierte.
Es darf als besondere Pointe jener Initiative festgehalten werden, dass exakt vor hundert Jahren ebenfalls hier, im nämlichen Hintervillinger Wald, der allerletzte Luchs des Landes erlegt worden war, wie einer Meldung der Schwarzwälder Zeitung vom 20. Dezember 1922 zu entnehmen ist:
Villingen, 19. Dez. Bei einem kürzlichen Treibjagen wurde auf Gemarkung Kappel ein Luchs weiblichen Geschlechts geschossen. Das in Deutschland jetzt nur noch äußerst selten vorkommende Raubtier hatte eine Gesamtlänge vom Kopf bis zu Schwanzspitze von 1,30 Meter, es war also ein ganz respektables Tier. Pächter der Jagd auf Gemarkung Kappel ist Herr Jean Weis-Königsfeld, der somit auch Eigentümer des erlegten Raubtiers ist. – Der letzte Luchs wurde im Harz im Jahre 1817 geschossen, in der Schweiz 1873.
Gut Ding braucht Weile, und es sollten noch über drei Jahrzehnte heftigen Gezänks mit Jägern und Landwirten vergehen, ehe das Projekt nun doch noch (in abgespeckter Form) gestartet werden konnte. Im Zeichen des weltweiten Artenschwunds und der Klimakrise ist damit ein positives Signal gesetzt worden.
In Krisenzeiten wächst die Wertschätzung des Waldes als Ort der Erholung, der Erhaltung physischer und psychischer Gesundheit: Coronapandemie, die Schreckenberichte aus Putins Krieg, die Drohungen mit nuklearen Schlägen wie auch alle weiteren Zumutungen und Überforderungen der Gegenwart haben offenbar wieder mehr Menschen Ablenkung und Trost in der grünen Waldnatur suchen lassen. Zufolge einer neuen Sinus-Studie, in welcher u. a. nach der „Lieblingsbeschäftigung regelmäßiger Waldgänger*innen“ gefragt worden war, wurden zwei Motive mit Abstand am häufigsten angekreuzt: 81 % Spazieren/Wandern gehen und 49 % Die Natur genießen, „Waldbaden“ – fürwahr ein starkes Votum für die „Erholungs- und Sozialfunktion“ des Waldes! Weshalb denn auch der „Tag des Waldes 2023“ unter dem Motto „Wälder und Gesundheit“ stand.
Zugleich sollen die Wälder nun aber auch – so will es der Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg – für die Energiewende stärker in Anspruch genommen werden: Nicht nur zur nachhaltigen Lieferung von CO2-neutralem Brennholz, von Hackschnitzeln und Pellets, sondern insbesondere auch als Standort von Windenergieanlagen. Eintausend Windräder soll allein der Staatswald des Landes verkraften – für Waldfreunde mitunter eine verstörende Aussicht, eher Hiobs- als Frohbotschaft. So bleibt zu hoffen, dass es auch in Zukunft gelingen möge, all den neuen Anforderungen an den Wald leidlich gerecht zu werden.